Wahlen werden längst nicht mehr nur von Parteien und ihren Wahlprogrammen, sondern auch von Spitzenkandidaten gewonnen. Entscheidend ist heute die Personalisierung, auch wenn man in Deutschland lange Zeit davon ausging, dass bei Wahlkreiskandidaten die Wähler nach Partei abstimmen und persönliche Eigenschaften und Qualitäten von Kandidaten kaum einen Unterschied ausmachen. Lange galt daher die These vom Besenstiel. Am Beispiel des konservativen Teils von Baden schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung einmal, hier könne "die CDU den sprichwörtlichen Besenstiel aufstellen, und er würde gewählt."

Die Entwicklung des Stimmensplittings lässt daran jedoch zweifeln: 1957 machten nur 6,4 Prozent der Wähler von der Möglichkeit Gebrauch, unterschiedliche Parteien mit der Erst- und Zweistimme zu wählen. Seither ist der Anteil kontinuierlich angewachsen und wurde bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen von etwa einem Viertel der Wählerschaft genutzt. Hinter den Motiven für das Splitting stehen nicht nur strategische Überlegungen.

Bereits bei der Bundestagswahl 1998 wurden Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten auch danach gewählt, ob sie aus der Sicht der Bürger gute Arbeit im Wahlkreis geleistet hatten, wie eine damalige Studie zeigt. Im Durchschnitt wurde eine gute Arbeit mit einem etwa fünf Prozentpunkte höheren Wähleranteil belohnt. In der Spitze lag der Effekt zwischen schlechter und guter Arbeit im Wahlkreis bei über zehn Prozentpunkten Differenz im Wähleranteil.

Mehr Wettbewerb für die Kandidaten

Auch die Bekanntheit der Wahlkreiskandidaten ist gestiegen. 1998 konnten knapp 42 Prozent der Wähler wenigstens einen Kandidaten im Wahlkreis richtig nennen, 2009 waren es 55 Prozent und bei der Bundestagswahl 2013 dann knapp 64 Prozent, wie die Daten der deutschen Wahlstudie GLES (German Longitudinal Election Study) zeigen, an der das WZB beteiligt ist. Die Basis für ein personenorientiertes Wählen ist beständig gewachsen und wird stärker von einem immer größeren Teil der Wählerschaft auch genutzt.

Das bedeutet mehr Wettbewerb für die Kandidaten. In mehr als einem Fünftel aller Wahlkreise fällt die Entscheidung denkbar knapp aus: Die Differenz zwischen dem Erst- und Zweitgewählten liegt bei nur fünf Prozentpunkten. In den Wahlkreisen, die dem Amtsinhaber bei der aktuellen Wahl verloren gingen, hatte die Differenz zum Kontrahenten auch schon in der vorhergehenden Wahl im Durchschnitt nur bei sechs Prozentpunkten oder weniger gelegen. In stabilen Wahlkreisen liegt sie dagegen im Durchschnitt bei fast 15 Prozentpunkten.

Ein beachtlicher Teil der Wahlkreisabgeordneten steht also unter starkem elektoralen Wettbewerbsdruck. Aber auch der innerparteiliche Wettbewerb um die Nominierung hat sich verstärkt. 2002 waren etwa 29 Prozent der Wahlkreisnominierungen umkämpft, 2009 lag der Anteil bei 36 Prozent, 2013 bei etwas über 40 Prozent.

Was auffällt: Im Kampf um die Wählerstimmen schätzt die große Mehrheit der Kandidaten ihre jeweiligen Chancen sehr realistisch ein, wie die Kandidatenbefragung der GLES zeigt. Unter denjenigen, die glaubten, kein Mandat erringen zu können, lag der mittlere Erststimmenanteil dann auch nur bei 5,3 Prozent, der Anteil derjenigen, die ein Mandat errungen hatten, bei 0,2 Prozent. Bei denjenigen, die davon ausgingen, auf jeden Fall ein Mandat zu gewinnen, lag der durchschnittliche Erststimmenanteil bei 43,7 Prozent und der Anteil derjenigen, die ein Mandat erzielten, bei 75 Prozent.