Leben in der Sperrzone

  • Search10.03.2021

„Tschernobyl ist eine Geldmaschine“

Der Fotograf Arthur Bondar hat über Jahre das Leben rund um Tschernobyl dokumentiert. Im Interview berichtet er von der Unwissenheit und Armut der Siedler in der Sperrzone, vom boomenden Tourismus und von der eigentümlichen Faszination, die der geisterhafte Ort auf ihn ausübt.

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    Tschernobyl-Sperrzone: Ein Schild warnt vor Radioaktivität. Im Hintergrund stehen zurückgelassene Militärfahrzeuge. Foto: Arthur Bondar.

    Am 26. April 1986 explodierte Block vier des Atomkraftwerks Tschernobyl. Nach dem Super-GAU errichteten die sowjetischen Behörden eine Sperrzone von 30 Kilometern rund um den Reaktor, mehr als 160.000 Menschen mussten ihre Häuser fluchtartig verlassen und wurden umgesiedelt. Viele sind in den Jahrzehnten nach der Katastrophe zurückgekehrt. Heute leben rund 1000 Menschen im Sperrgebiet. Sie werden Samosely genannt, zu Deutsch Selbstsiedler.

    Der ukrainische Fotograf Arthur Bondar hat ihr Leben über Jahre dokumentiert. Die Schwarz-Weiß-Bilder auf dieser Seite sind ein eindrucksvoller Ausschnitt davon. Unsere Autorin Natalia Sadovnik hat mit Bondar über die Erlebnisse auf seinen Reisen nach Tschernobyl gesprochen.

    Luftbild der Geisterstadt Pripyat mit dem Atomkraftwerk Tschernobyl im Hintergrund. Foto: Arthur Bondar.

    Arthur, Sie sind einer der wenigen, wenn nicht der einzige ukrainische Fotograf, der einen Bildband über Tschernobyl gemacht hat. Interessieren sich die Ukrainer nicht dafür?
    Arthur Bondar: Deswegen habe ich angefangen – mich überraschte, dass große Arbeiten über Tschernobyl meist aus dem Ausland kommen. In der Ukraine erscheint höchstens ein Zeitungsfoto zum Jahrestag. Natürlich war es in der sowjetischen Zeit ein Tabuthema und wurde totgeschwiegen. Wenn man die Generation danach fragt, winken viele ab. Es ist unser nationales Trauma. Es ist schwer, darüber zu reden, und zugleich wurde schon so viel gesagt. Ich bin 37. Ich erinnere mich natürlich, wie meine Eltern die Fenster zuklebten und Jodtabletten genommen haben. Aber für meine Generation ist Tschernobyl eher eine Art Hype.

    Schemenhaft sind Strommasten und im Hintergrund das Atomkraftwerk Tschernobyl zu sehen. Foto: Arthur Bondar.

    Inwiefern?
    Bondar: Viele sind in die Sperrzone gefahren, um später sagen zu können, dass sie dort waren. Zu den Jahrestagen schicken alle Medien ihre Fotografen nach Tschernobyl, wenn irgendein Abgeordneter Blumen legt oder eine neue Gedenktafel einweiht. So kam ich auch zum ersten Mal dorthin.

    Das war 2007. Wie war Ihr erster Eindruck?
    Bondar: Ich habe sofort gemerkt, dass ich mich dort sehr wohl fühle.

    Eine unerwartete Antwort.
    Bondar: Ja, das denken die meisten. Ich mag keine Großstädte und keine Menschenmassen. An diesem Ort sieht man kaum Menschen und taucht umso mehr in seine Atmosphäre ein.

    Pripyat ist eine Geisterstadt, in die es immer mehr Touristen zieht: Die Sperrzone von Tschernobyl wurde für Besucher freigegeben. Foto: Arthur Bondar.

    Von der Atmosphäre in Tschernobyl waren Sie am Anfang so beeindruckt, dass Sie nicht einmal Fotos gemacht haben.
    Bondar: Ja, ich bin nach meinem Auftrag einfach spazieren gegangen und habe versucht, den Ort zu verstehen. Da ist eine Leere, aber keine Stille: Tschernobyl klingt nach schwingenden Fenstern, nach Tieren und Blätterrauschen, alles Dinge, die man in der Stadt so nicht hört. Dort ist alles verdichtet. Das hat mich umgehauen. Von da an habe ich keine Gelegenheit ausgelassen, noch mal dorthin zu kommen.

    Der einfache Zaun der Tschernobyl-Sperrzone ist voller Löcher. Anwohner kommen zum Jagen, zum Fischen oder um Pilze zu sammeln in das Gebiet. Foto: Arthur Bondar.

    Wenn es sein musste, auch illegal – Sie wurden sogar einmal festgenommen.
    Bondar: Man durfte normalerweise nicht ohne Begleitung dahin, aber ich wollte nicht nur die touristischen Routen sehen. Und wie immer in der Ukraine wechselt die Regierung, wechseln auch die Aufseher, also waren meine Beziehungen hin. Sie müssen sich vorstellen: Die Absperrung ist einfach ein Stacheldraht. Und da gibt es jede Menge Löcher. Viele haben Menschen hineingeschnitten, die um das abgesperrte Gebiet wohnen. Als Kompensation dafür, dass sie auf verunreinigten Territorien leben, zahlt ihnen der Staat ganze anderthalb Dollar im Monat. Und so gehen viele in der Zone angeln, jagen oder Pilze sammeln, obwohl das natürlich streng verboten ist.

     

    2017 bekam der havarierte Reaktorblock 4 eine neue Schutzhülle: Die 109 Meter hohe Konstruktion umhüllt den in die Jahre gekommenen Sarkophag, den die Arbeiter direkt nach der Katastrophe über mehrere Monate errichtet hatten. Zuletzt drohte er einzustürzen. Der Bau des neuen „Safe Confinement“, der 100 Jahre lang halten soll, hat rund 1,5 Milliarden Euro verschlungen. An den Kosten beteiligten sich 40 Länder. Die Hülle schirmt 96 Prozent der beim Unfall entstandenen Radioaktivität ab.

    Karte von Tschernobyl: Der Ort der Atomkatatsrophe vom 26. April 1986 liegt rund 1150 Kilometer von Berlin entfernt. Die radioaktive Wolke nach dem Super-GAU erreichte damals vor allem Süddeutschland.

    Die Folgen der Atomkatastrophe trafen auch Deutschland. Vor allem in Bayern wurden stark erhöhte Strahlenwerte gemessen.

    Immer wieder wird aufgedeckt, dass Beeren oder Pilze aus Tschernobyl in der Ukraine auf den Markt kommen.
    Bondar: Dazu kann ich eine Geschichte erzählen: Ich war einmal bei einer alten Frau zuhause und sie hängte riesige Pilze zum Trocknen auf. Ich fragte sie, ob sie keine Angst hat, dass sie vielleicht radioaktiv sind. Und sie antwortete: Mach dir keine Sorgen, Sohn, die sind für den Verkauf nach Kiew. Danach habe ich nie wieder irgendwo auf der Straße Pilze gekauft (lacht). Aber ich verstehe sie natürlich vollkommen. Es gibt keine Arbeit, diese Entschädigung ist ein Witz – wovon soll sie sonst leben? So jemandem kannst du nicht mit Umwelt und Gesundheit kommen.

     

    Viele Menschen sind freiwillig nach Tschernobyl zurückgekehrt und leben im Sperrgebiet. Haben sie keine Angst vor Radioaktivität?
    Bondar: Die Menschen wissen immer noch sehr wenig über Strahlung. Ein Mann hat mich so aufgeklärt: Schau mal, Tschernobyl ist doch explodiert. Und dieser Schmutz, der ist nicht sofort hingefallen, sondern erst durch die Luft geflogen und später abgesunken. Deswegen: Je näher am Reaktor, desto sauberer. Das ist doch Physik! Da merkst du: Die Leute verstehen gar nichts.

    Tschernobyl – das Leben im Sperrgebiet

     

    Eine Frau verbrennt Gartenabfälle in einem Dorf am Rand der Sperrzone von Tschernobyl: Umweltschützer warnen davor, Feuer zu entzünden – der Rauch könnte radioaktives Material verbreiten.

    Eine Frau verbrennt Gartenabfälle in einem Dorf am Rand der Sperrzone: Umweltschützer warnen davor, Feuer zu entzünden – der Rauch könnte radioaktives Material verbreiten.

    Alexander war einer der sogenannten Liquidatoren in Tschernobyl. Später hat er in der Sperrzone um das Kraftwerk gejagt, gefischt und Pilze gesammelt. Foto: Arthur Bondar.

    Bei seinen Besuchen in Tschernobyl ist Arthur Bondar wiederholt auf Aleksander getroffen. Er hat nach dem Super-GAU als „Liquidator“ bei der Unglücksbekämpfung geholfen. Später ist er häufig in die Sperrzone zurückgekehrt, um zu jagen, zu fischen oder Pilze zu sammeln.

    Fischer in der Sperrzone von Tschernobyl: Obwohl Fischen streng verboten ist, kommen die Männer der umliegenden Dörfer regelmäßig hierher. Foto: Arthur Bondar.

    Fischen ist in der Sperrzone streng verboten. Die Männer der umliegenden Dörfer hält das nicht ab. Die Not ist groß und das Verbot wird kaum kontrolliert.

    Fischer aus einem Dorf nahe der Sperrzone von Tschernobyl kehren über einen zugefrorenen Fluss nach Hause zurück. Foto: Arthur Bondar.

    In der Dunkelheit kehren Fischer über einen zugefrorenen Fluss zurück in ihr Dorf Straholesie, gut 1,5 Kilometer von der Sperrzone entfernt.

    In einem Kühlbecken am zerstörten Reaktor in Tschernobyl tummeln sich Fische – groß und hochgradig verstrahlt. Angler haben wiederholt von „Riesenwelsen“ berichtet. Foto: Arthur Bondar.

    In einem Kühlbecken am zerstörten Reaktor tummeln sich Fische – groß und hochgradig verstrahlt. Angler haben wiederholt von „Riesenwelsen“ berichtet.

    Diesen Hirsch hat ein Jäger in der Sperrzone von Tschernobyl erlegt. Auch das ist verboten, aber unter der lokalen Bevölkerung weit verbreitet. Foto: Arthur Bondar.

    Diesen Hirsch hat ein Jäger in der Sperrzone erlegt. Auch das ist verboten, aber unter der lokalen Bevölkerung weit verbreitet.

    Ulyana Prokopovna war mit 96 Jahren die älteste Einwohnerin von Straholesie. Die Sterblichkeitsrate in der Region ist hoch, was allerdings nicht nur an der Strahlung, sondern auch am hohen Durchschnittsalter liegt. Foto: Arthur Bondar.

    Ulyana Prokopovna war mit 96 Jahren die älteste Einwohnerin von Straholesie. Die Sterblichkeitsrate in der Region ist hoch, was allerdings nicht nur an der Strahlung, sondern auch am hohen Durchschnittsalter liegt.

    Eier, Roggenbrot, Speck und Grappa stehen auf dem Tisch in der Hütte eines Selbstsiedlers (Samosely) in der Sperrzone von Tschernobyl. Foto: Arthur Bondar.

    Eier, Roggenbrot, Speck und Grappa stehen auf dem Tisch in der Hütte eines Selbstsiedlers (Samosely) in der Sperrzone von Tschernobyl.

    Fast alle Selbstsiedler sind in ihre alten Häuser zurückgekehrt. Sie leben überwiegend von dem, was sie mit eigener Hand anbauen. Foto: Arthur Bondar.

    Rund 1000 Selbstsiedler leben heute in der Sperrzone, die meisten von ihnen in den Häusern, die sie 1986 verlassen mussten. Sie leben überwiegend von dem, was sie mit eigener Hand anbauen.

    Mitten in Tschernobyl steht eine Kirche, in der Gläubige zu besonderen Anlässen zusammenkommen. Hier bereiten sie sich auf die Osterfeierlichkeiten vor. Foto: Arthur Bondar.

    Mitten in Tschernobyl steht eine Kirche, in der Gläubige zu besonderen Anlässen zusammenkommen. Hier bereiten sie sich auf die Osterfeierlichkeiten vor.

    Mitten in Tschernobyl steht eine Kirche, in der Gläubige zu besonderen Anlässen zusammenkommen. Hier bereiten sie sich auf die Osterfeierlichkeiten vor. Foto: Arthur Bondar.

    Ostermarsch in Tschernobyl: Dreimal umrunden die Gläubigen das Gebäude der Sankt-Elias-Kirche. Seitdem Touristen in die Sperrzone kommen, hat die Kirche sogar einen eigenen Eintrag bei Tripadvisor.

    Ein Bus am Checkpoint Dityatki: Die Arbeiterinnen in Tschernobyl müssen nach jedem Aufenthalt ihre Strahlenwerte messen. Foto: Arthur Bondar.

    Arbeiterinnen in einem Bus am Checkpoint Dityatki: Nach jedem Betreten der Sperrzone wird ihre Strahlung mit einem Dosimeter gemessen.

    Tschernobyl: Ein Lastwagen transportiert mutmaßlich verstrahlten Elektroschrott aus der Sperrzone, obwohl das streng verboten ist. Aber die Korruption blüht. Foto: Arthur Bondar.

    Ein Lastwagen transportiert mutmaßlich verstrahlten Metallschrott aus der Sperrzone, obwohl das streng verboten ist. Aber die Korruption blüht.

    Eine Frau verbrennt Gartenabfälle in einem Dorf am Rand der Sperrzone von Tschernobyl: Umweltschützer warnen davor, Feuer zu entzünden – der Rauch könnte radioaktives Material verbreiten.
    Alexander war einer der sogenannten Liquidatoren in Tschernobyl. Später hat er in der Sperrzone um das Kraftwerk gejagt, gefischt und Pilze gesammelt. Foto: Arthur Bondar.
    Fischer in der Sperrzone von Tschernobyl: Obwohl Fischen streng verboten ist, kommen die Männer der umliegenden Dörfer regelmäßig hierher. Foto: Arthur Bondar.
    Fischer aus einem Dorf nahe der Sperrzone von Tschernobyl kehren über einen zugefrorenen Fluss nach Hause zurück. Foto: Arthur Bondar.
    In einem Kühlbecken am zerstörten Reaktor in Tschernobyl tummeln sich Fische – groß und hochgradig verstrahlt. Angler haben wiederholt von „Riesenwelsen“ berichtet. Foto: Arthur Bondar.
    Diesen Hirsch hat ein Jäger in der Sperrzone von Tschernobyl erlegt. Auch das ist verboten, aber unter der lokalen Bevölkerung weit verbreitet. Foto: Arthur Bondar.
    Ulyana Prokopovna war mit 96 Jahren die älteste Einwohnerin von Straholesie. Die Sterblichkeitsrate in der Region ist hoch, was allerdings nicht nur an der Strahlung, sondern auch am hohen Durchschnittsalter liegt. Foto: Arthur Bondar.
    Eier, Roggenbrot, Speck und Grappa stehen auf dem Tisch in der Hütte eines Selbstsiedlers (Samosely) in der Sperrzone von Tschernobyl. Foto: Arthur Bondar.
    Fast alle Selbstsiedler sind in ihre alten Häuser zurückgekehrt. Sie leben überwiegend von dem, was sie mit eigener Hand anbauen. Foto: Arthur Bondar.
    Mitten in Tschernobyl steht eine Kirche, in der Gläubige zu besonderen Anlässen zusammenkommen. Hier bereiten sie sich auf die Osterfeierlichkeiten vor. Foto: Arthur Bondar.
    Mitten in Tschernobyl steht eine Kirche, in der Gläubige zu besonderen Anlässen zusammenkommen. Hier bereiten sie sich auf die Osterfeierlichkeiten vor. Foto: Arthur Bondar.
    Ein Bus am Checkpoint Dityatki: Die Arbeiterinnen in Tschernobyl müssen nach jedem Aufenthalt ihre Strahlenwerte messen. Foto: Arthur Bondar.
    Tschernobyl: Ein Lastwagen transportiert mutmaßlich verstrahlten Elektroschrott aus der Sperrzone, obwohl das streng verboten ist. Aber die Korruption blüht. Foto: Arthur Bondar.

    In den Wäldern des kaum besiedelten Gebiets rund um Tschernobyl kommt es häufig zu großen Bränden, zuletzt 2020. Zeitweise war die ukrainische Hauptstadt Kiew, anderthalb Stunden Fahrt von Tschernobyl entfernt, von dichtem Smog umhüllt. Die Behörden verkündeten, dass die Radioaktivität unter den Grenzwerten liege. Als Ursache wird meist Brandstiftung genannt, doch ukrainische Journalisten vermuten, dass die Brände zum Vertuschen illegaler Waldrodungen im Sperrgebiet gelegt wurden.

    Hatten Sie Angst, wenn Sie in Tschernobyl waren?
    Bondar: Am Anfang ja. Die Angst kommt, wenn du nicht weißt, was zu tun ist und wie die Strahlung funktioniert. Am Anfang habe ich einen Geigerzähler mitgenommen. Aber wenn du den Ort gut kennst, weißt du, an welche Orte du am besten nicht gehst. Und natürlich darf man nichts aus der Zone mitnehmen – eine Regel, die leider viele missachten.

     

    Sie haben viel Zeit mit der Bevölkerung verbracht. Wie leben diese Menschen?
    Bondar: Sie sind meist älter, wer unter 40 ist, darf dort nicht wohnen. Als sie damals evakuiert wurden, wurde ein Stadtteil in Kiew für sie errichtet. Aber wer sein ganzes Leben in einem Dorf verbracht hat, fühlt sich in der Großstadt nicht wohl. Viele sind erst illegal zurück, später hat man ihnen die Erlaubnis gegeben, auf eigene Gefahr zurückzukehren. Ich konnte unter anderem zwei Wochen im Dorf Teremtsy wohnen. Das war einer der angenehmsten Orte, an denen ich je war.

    Warum?
    Bondar: Je weiter entfernt von der Zivilisation die Menschen leben, desto einfacher und offener sind sie, desto weniger aggressiv. Ich habe am Anfang nicht damit gerechnet, bleiben zu können, hatte kein Zelt oder Ähnliches. Dann kam eine Familie und sagte: Dieses Haus steht leer, weil die Besitzer weggefahren sind, ihr könnt hier wohnen, solange ihr wollt. Sie haben uns verpflegt – sie dürfen zwar keine Kühe halten, weil die Milch radioaktiv verseucht wäre, aber Hühner haben sie. Sie machen Wodka aus Trauben, bauen Gemüse und Obst an, führen im Grunde ein normales, wenn auch etwas beschränktes Landleben. Sie leben autonom und rechnen nicht mit Hilfe. Es ist eine Art Staat im Staat.

    Werden sie oft krank?
    Bondar: Jedes Mal, als ich dort war, ist jemand gestorben. Das hängt natürlich nicht nur mit der Strahlung zusammen. Ältere Menschen sterben eben irgendwann.

    Fakten zur Atomkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986: 180.000 Tonnen hoch radiokatives Material befanden sich im Reaktor, 530.000 Menschen waren bei der Bekämpfung des Unglücks im Einsatz.

     

    Wie viele Atomkraftwerke werden pro Jahr weltweit stillgelegt oder neu in Betrieb genommen? Die Infografik zeigt, dass sich der Trend nach dem Hoch der Atomkraft in den Siebzigern und Achtzigern stark verändert hat.

    Nie wieder gingen weltweit so viele Atomkraftwerke ans Netz wie Mitte der Achtzigerjahre. Zuletzt überwog die Zahl der Stilllegungen die der Inbetriebnahmen.

    Vor allem seit der HBO-Serie „Chernobyl“ boomt der Tourismus. 2019 hat der ukrainische Präsident Zelenskij die Sperrzone für Touristen geöffnet. Was hält die Bevölkerung davon?
    Bondar: Das interessiert absolut niemanden. Genau wie die Umwelt. Ich glaube, es gibt nur noch eine Messstation, die vor Ort die Wirkung der Radioaktivität erforscht, über die wir ja noch immer vieles nicht genau wissen. Finanziert wird sie von den Franzosen, soweit ich weiß. Tschernobyl ist eine Geldmaschine. Der Tourismus boomt, dort wird der Wald gerodet und Abgeordnete fahren zum Jagen hin – nur ein bisschen schießen, das Fleisch ist schließlich verseucht. Und dann das Altmetall: Ich habe ein Foto davon, wie sie ganze Ladungen in Lastwagen hinausfahren. Das ist reine Korruption. Das wissen alle. Und es ist leider allen egal.

    Der Fotograf Arthur Bondar hat das Leben der Menschen in Tschernobyl über Jahre in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotos dokumentiert.

    Der Fotograf und Fotojournalist Arthur Bondar stammt aus der Zentralukraine und lebt zur Zeit in Moskau. Er studierte Dokumentarfotografie unter anderem an der Tisch School of the Arts in New York und wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Deutsche Fotobuchpreis 2019/20 und der National Geographic Grant. Seine Bilder sind unter anderem in der „New York Times“, „Time“, „Le Monde“ und im „Spiegel“ erschienen.

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