Draußen beobachtet

Die Nachtigall des Nordens

Singdrosseln bauen immer verfestigte Topfnester

Von Professor Dr. Wilfried Stichmann. Erschienen im Soester Anzeiger am 5.06.2019


MÖHNESEE – Schwarzdrosseln kennt jedermann, Singdrosseln sind deutlich weniger bekannt, obwohl auch sie schon längst in den Siedlungen Einzug gehalten haben. Allerdings wollen sie mehr Grün als ihre Verwandten. Größere, gehölzreiche Gärten und Parks reichen ihnen zum Brüten aus. Dass die Schwarzdrosseln uns viel vertrauter sind, mag auch daran liegen, dass sie auch im Winter bei uns bleiben, während die Singdrosseln zur Zeit noch größtenteils mildere Landstriche – vor allem in den Mittelmeerländern – aufsuchen.
Dabei ist der Gesang der Singdrosseln so unverkennbar, dass er sich leicht einprägt. Es ist eine Folge unterschiedlicher, kurzer Motive, die meistens jeweils dreimal wiederholt werden. Im Norden Skandinaviens, wo es Nachtigallen aus klimatischen Gründen nicht gibt, gilt die Singdrossel wegen ihres stimmungsvollen Gesangs als „Nachtigall des Nordens“.
Wo im Garten die zertrümmerten Schalen gleich mehrerer Schnirkelschnecken liegen, war eine Singdrossel am Werk. Sie hat die Schnecken herangetragen und einen bestimmten Stein als Amboss benutzt. „Drosselschmiede“ wird solch ein Ort genannt. Einziger Täter ist immer eine Singdrossel, die die Beete ringsum so gründlich nach Schnirkelschnecken abgesucht hat, dass kaum noch Schnecken in unversehrten Schalen zu finden sind.
Bis zur Abreise in den Süden bevorzugen die Singdrosseln allerdings die Fülle reifer Beeren, vor allem die von Stechpalmen und Eiben. Wenn sie nachts über die Orte ziehen, vernimmt man ihre Flugrufen, die wie „zipp“ klingen.
Erwähnenswert sind noch die topfartigen Nester, die im herbstlich kahlen Geäst auffallen. Sie sind mit einer harten Schicht aus Holzmulm und Speichel ausgekleidet und waren Kinderwiege für jeweils vier bis sechs Junge, die beide Eltern zwei Wochen lang betreuten. Dennoch fand das Männchen immer wieder einmal Zeit, von der höchsten Spitze des Baums seine klangvollen Strophen vorzutragen: für Menschen ein Genuss, für andere Singdrosseln ein deutliches Signal, dass das Revier besetzt ist und nötigenfalls verteidigt wird.