Majak/Kyschtym, Russland

Produktion / Herstellung

Die russische Atomindustrieanlage in Majak kontaminierte durch eine Serie von Unfällen und radioaktiven Lecks mehr als 15.000 km2 mit hoch radioaktiven Abfallprodukten. Der Kyschtym-Unfall verseuchte 1957 eine große Fläche der östlichen Uralregion. Tausende Menschen mussten umgesiedelt werden. Bis heute zählt die betroffene Region zu den am stärksten kontaminierten Orten der Erde.

Foto: Am Ufer des kontaminierten Flusses Tetscha grasen Kühe. Erst seit 2006 warnen Schilder vor der radioaktiven Verseuchung. Foto: Ecodefense/Heinrich Boell Stiftung Russia/Slapovskaya/Nikulina

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Hintergrund

Die Produktionsgenossenschaft Majak war die erste und, mit einem Gelände von mehr als 200 km2, größte Atomindustrieanlage der Sowjetunion. Zwischen 1945 und 1948 wurden an diesem Standort zwischen Jekaterinburg und Tscheljabinsk fünf Atomreaktoren gebaut, um Plutonium für das sowjetische Atomwaffenprogramm herzustellen. Die Anlage wurde kontinuierlich erweitert, bis 1987 die Produktion gestoppt und der Betrieb schrittweise eingestellt wurde. Von 1949 bis 1956 wurden insgesamt 100 PetaBecquerel (Peta = Billiarde) an radioaktivem Abfall in die Zuflüsse der Tetscha geleitet – unter anderem Strontium-90, Cäsium-137, Plutonium und Uran.1 Zum Vergleich: Die radioaktive Belastung des Pazifischen Ozeans durch den Super-GAU von Fukushima schätzt man auf etwa 78 PBq. Zudem kam es in Majak bis 1968 zu mindestens acht kritischen Unfällen. So führte die Ausbreitung von radioaktivem Staub aus der Atommülldeponie in Karatschai 1967 beispielsweise zu einer Kontamination von über 1.800 km2 mit Cäsium-137. Der wohl folgenschwerste Unfall ereignete sich 1957 im 15 km entfernt gelegenen Kyschtym, als ein Container mit 740 PBq radioaktivem Abfall explodierte und eine Fläche von mehr als 15.000 km2 verseuchte. Nach Tschernobyl und Fukushima gilt dieser Unfall als drittschwerstes Atomunglück der Geschichte (Stufe 6 auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse INES). Bleibende Folge der Katastrophe ist die mehr als 300 km lange und 30–50 km breite radioaktiv verseuchte „Osturalspur“, in der allein der Leukämie verursachende Stoff Strontium-90 Konzentrationen von bis zu 7,4 MBq/m2 (Mega = Million) erreicht. Zum Vergleich: Nach Tschernobyl wurden Gebiete mit mehr als 0,5 MBq/m2 Strahlenbelastung zur permanenten Sperrzone erklärt.

Folgen für Umwelt und Gesundheit

Knapp 19.000 Arbeiter waren bis 1973 in Majak angestellt. Sie erhielten die höchste Strahlenbelastung durch die zahlreichen Unfälle. Die rund 10.000 Beschäftigten, die bereits vor 1959 in der Anlage arbeiteten, erhielten im Durchschnitt eine kumulative äußere Strahlendosis von 1.200 mSv. Diese Dosis entspricht in etwa 60.000 Röntgenuntersuchungen. Allein durch die externe Verstrahlung ist daher bei etwa zwölf Prozent der Beschäftigten mit der Entwicklung einer Krebserkrankung zu rechnen. Die Zahl wird jedoch vermutlich noch höher liegen, da die interne Verstrahlung ebenfalls einen Einfluss auf das Krebsrisiko hat. So nahmen z. B. etwa 1.000 Arbeiter Plutonium in Größenordnungen von 1.500 bis 172.000 Bq auf. Bei einem Dosisfaktor von 0,00014 Sv/Bq entspricht dies einer inneren Strahlendosis von ca. 0,2 bis 24 Sv. Eine Strahlendosis von zehn Sievert gilt als tödlich, bei einer Dosis von fünf Sievert stirbt jeder Zweite an akuten Strahlenfolgen. Bis zu Dosen von einem Sievert kommt es noch zu Symptomen der akuten Strahlenkrankheit, bei Dosen darunter überwiegen die Langzeitfolgen. Die WHO rechnet damit, dass bei einer Dosis von 0,1 Sv das Leukämierisiko ca. 19 % beträgt, bei 0,2 Sv 38 %, bei höheren Werte entsprechend höher. Das relative Risiko für Knochenkrebs liegt in der ehemaligen Belegschaft einer russischen Studie zufolge acht Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung, das relative Risiko für Leberkrebs sogar 17 Mal höher.

Neben den Beschäftigten der Anlage bilden die knapp 300.000 Bewohner der kontaminierten Regionen die am stärksten betroffene Gruppe. Die geschätzte Kollektivdosis dieser Bevölkerung beträgt etwa 4.500 Personen-Sievert, etwa 60 % der Kollektivdosis des Super-GAUs von Tschernobyl. Menschen, die in der Nähe von Majak oder dem Fluss Tetscha lebten, waren aufgrund der radioaktiven Verseuchung ihrer Umwelt einer durchschnittlichen Lebenszeitdosis von1.700 mSv ausgesetzt. Diese Lebenszeitdosis setzt sich zusammen aus externer Bestrahlung, der Aufnahme von kontaminiertem Trinkwasser und dem Verzehr von Nahrung, die auf kontaminierten Feldern angebaut wurde. Voraussichtlich 17 % der Bevölkerung werden somit eine Krebserkrankung entwickeln, die sie ohne die Kontamination nicht entwickelt hätten.

Chronische Strahlenkrankheit und ein Anstieg der Fälle von Leukämien, Lungen-, Leber- und Knochentumoren konnten in der betroffenen Bevölkerung nachgewiesen werden. Auch zeigte sich ein zwei- bis fünffacher Anstieg in der Häufigkeit von Knochenmarksuppression, Chromosomenaberrationen sowie Tot- und Fehlgeburten. Aufgrund militärischer Geheimhaltung wurden die Menschen in der Region weder über die Gefahren informiert noch das wahre Ausmaß der Kontamination und der gesundheitlichen Auswirkungen vollständig dokumentiert oder untersucht.

Ausblick

Bis heute sind ca. 14.000 Arbeiter in der Atomanlage von Majak beschäftigt, um Plutonium, Uran und andere Spaltprodukte herzustellen. Majak beherbergt zudem Russlands einzige atomare Wiederaufbereitungs- und Müllverarbeitungsanlage. Der Großteil der abgerüsteten russischen Atomsprengköpfe landet irgendwann in Majak. Obwohl die Kontamination der Umgebung in den letzten Jahrzehnten auf etwa ein Drittel zurückgegangen ist, wird das Umland von Majak auch weiterhin noch als einer der am schlimmsten radioaktiv verseuchten Orte der Welt angesehen. Speicherseen des Tetscha Flusses werden noch immer als Deponien für radioaktiven Müll benutzt. So wird das belastete Flusssystem weiter kontaminiert und die Menschen andauernder Radioaktivität ausgesetzt. Groß angelegte epidemiologische Studien und weitere Dekontaminationsprojekte sind dringend erforderlich, um die Hibakusha von Majak, die bereits genug unter der rücksichtslosen russischen Atompolitik gelitten haben, in Zukunft adäquat schützen zu können.

Quellen

  • Standring WJF. „Review of the current status and operations at Mayak Production Association“. Strålevern Rapport 2006:19, Norwegian Radiation Protection Authority (NRPA), 2006. www.nrpa.no/dav/1fbb52ea04.pdf
  •  „BEIR VII report, phase 2: Health risks from exposure to low levels of ionizing radiation“. National Academy of Sciences Advisory Committee on the Biological Effects of Ionizing Radiation, 2006. www.nap.edu/openbook.php? record_id=11340&page=8
  • Koshurnikova et al. „Studies on the Mayak nuclear workers: health effects“. Radiation and Environmental Biophysics, 41:1, 29-31, 2002. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12014404
  • WHO. „Health risk assessment from the nuclear accident after the 2011 Great East Japan earthquake and tsunami, based on a preliminary dose estimation“, 28.02.2013, p 32. http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/78218/1/9789241505130_eng.pdf
  • Standring et al. „Mayak Health Report“. Strålevern Rapport 2008:3, Norwegian Radiation Protection Authority (NRPA), 2008. www.nrpa.no/dav/19bdfc616e.pdf
  •  „Atom ohne Geheimnis“, IPPNW, Moskau-Berlin, 1992
55.693611, 60.804444