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Aachen

Herzlichen Glückwunsch, Kunst!

Der heutige 17. Januar ist ein überaus hoher Feiertag - fast unerreicht hoch. Die Kunst nämlich feiert ihren 1.000.049. Geburtstag - in Worten: den einmillionneunundvierzigsten.

Der 1 000 010. Geburtstag der Kunst am 17. Januar 1973 in Aachen: Fluxus- und Happening-Künstler Robert Filliou und die Kunstlehrerin Annette Pfau von den Driesch entzünden die Kerzen der Gipstorte im Ballsaal des Alten Kurhauses, der Neuen Galerie - Sammlung Ludwig.
Der 1 000 010. Geburtstag der Kunst am 17. Januar 1973 in Aachen: Fluxus- und Happening-Künstler Robert Filliou und die Kunstlehrerin Annette Pfau von den Driesch entzünden die Kerzen der Gipstorte im Ballsaal des Alten Kurhauses, der Neuen Galerie - Sammlung Ludwig. Foto: Ludwig Forum<br />

Eingefleischte Kunstfreunde, und nicht nur die, begehen das stolze Ereignis auf der ganzen Welt - in Tokio ebenso wie in New York oder Melbourne. Ein Teil davon mag sogar wissen, wo der Festtag seinen Ursprung hat - keine Frage: in Aachen.

Aachen-Revival für 2013 geplant

„Arts Birthday” heißt der Feiertag traditionellerweise international. Zwar hat ihn der französische Fluxus- und Happening-Künstler Robert Filliou (1926 bis 1987) an seinem eigenen Geburtstag am 17. Januar bereits im Jahr 1963 proklamiert, allerdings mehr oder weniger für sich im stillen Kämmerlein, damals als - vermutlich gefühlten - einmillionsten Geburtstag der Kunst.

Doch richtig groß raus kam das Jubiläum erst zehn Jahre später mit der ersten gebührenden Feier: am 17. Januar 1973 in der Neuen Galerie - Sammlung Ludwig bei einer zünftigen Fete im Ballsaal des Alten Kurhauses und musikalischen Ablegern in der ganzen Stadt. Filliou selbst entzündete die Kerzen auf der Geburtstagstorte. Die aktuelle Ausstellung im Ludwig Forum, „Nie wieder störungsfrei!” über die Aachener Avantgarde in den 60er und 70er Jahren, erinnert gerade mit Foto- und Textdokumenten daran.

Dabei ist das witzige Ereignis durchaus kein Witz: SWR2 feiert zum Beispiel heute Arts Birthday ab 20 Uhr bei einem absolut ernstzunehmenden vierstündigen Konzert im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) mit elektronischer Musik von Jan Jelinek und Hanno Leichtmann, das live übertragen wird. Nicht nur das: Die Konzertbesucher in Karlsruhe erleben darüber hinaus - ebenfalls live - via Satellit, was Künstler in Moskau, Paris oder Berlin zum Arts Birthday beitragen.

Nächstes Jahr, zum 40-jährigen Jubiläum des 1.000.010. Geburtstages der Kunst, soll mindestens Vergleichbares in Aachen stattfinden: Der Künstler Karl von Monschau plant und organisiert bereits seit einem halben Jahr für den 17. Januar 2013 ein Revival der ursprünglichen Feier. Den Ballsaal hat er dafür schon reserviert, Schirmherr ist Wolfgang Becker, damals der Leiter der Neuen Galerie.

Lustiges hat sich an jenem Tag in Aachen abgespielt. Kunst und Frohsinn vertragen sich jedenfalls bestens, als Robert Filliou - ein Mensch mit der schillernden Biografie eines französischen Widerstandskämpfers, späteren Coca-Cola-Mitarbeiters, Wirtschaftswissenschaftlers, UNO-Beauftragten für den Wiederaufbau in Korea, Galeristen, schließlich Happening-Künstlers - und Wolfgang Becker damals in unserer Zeitung und im „Playboy” die Menschen dazu aufrufen, zu Hause und im Büro den 1.000.010. Geburtstag der Kunst auf privaten Partys mitzufeiern. Wer nicht feiern kann, soll eine Kerze in den Ballsaal schicken. Die trudeln tatsächlich reichlich ein, Filliou entzündet sie morgens auf der riesigen Geburtstagstorte unter dem Kronleuchter.

Die überregional verbreitete Einladung zur Party hat derart gefruchtet, dass sich am 17. Januar 1973 Gäste aus Belgien, Holland, Frankreich und selbst der Schweiz im Ballsaal eingefunden haben. Aus Düsseldorf sind die später weltberühmten Künstler Sigmar Polke und Katharina Sieverding angereist. In ganz Aachen tobt der Bär: Eine Dixie-Band zieht durch die Stadt und verkündet das Ereignis musikalisch, am Elisenbrunnen tanzt eine Gruppe Obdachloser dazu.

Ganze Schulklassen wirken an der Feier mit. Die Klasse 8b der Schule Eintrachtstraße, ist am nächsten Tag im Bericht unserer Zeitung zu lesen, nutzt die Gunst der Stunde und nippt am dargereichten Sekt. Höhepunkt ist der Auftritt der Öcher Börjerwehr samt Tanzmariechen - Filliou und Becker werden Karnevalsorden verliehen. Die beiden sind völlig verdattert, komplett überrascht von der gewaltigen Resonanz und dem Publikumserfolg - selbst das Stedelijk Museum in Amsterdam veranstaltet an dem Tag parallel eine Party. Und der Präsident des Aachener Karnevalsvereins, Helmut A. Crous, tanzt im Ballsaal mit Marianne, Fillious Frau.

Die Kunst ist komplett abgehängt worden in der Neuen Galerie: An ihrem Ehrentag, so Fillious Idee, soll sie ganz ohne Werke im Leben selbst aufgehen - beim Feiern.

Der Aufruf des Künstlers, am Gedenktag des symbolischen Anfangszeitpunktes der Kunst den Kindern schulfrei zu geben, findet allerdings nur partiell Zuspruch. Immerhin: Einige Kunstlehrerinnen und -lehrer rücken im Ballsaal mit ihren Klassen an, darunter Annette Pfau von den Driesch, die sogar die Geburtstagstorte aus Gips mit Plastiknelken und einem Kunststoff-Pferdchen obendrauf beisteuert.

Schrei- statt Schweigeminute

Karl von Monschau hat die Lehrerin jetzt in Potsdam wieder aufgespürt und mit ihr Kontakt aufgenommen; er motiviert sie gerade, 2013 an der Jubiläumsfete teilzunehmen. Viele Künstlerkollegen konnte er überdies bereits gewinnen, eigene Beiträge zu leisten. „Wäre doch auch schön, wenn die Aachener Schüler schulfrei bekämen”, wünscht sich Karl von Monschau. Und er hofft auf das Engagement von so kunst- wie frohsinnigen Sponsoren, die sich gleichermaßen einen Nerv bewahrt haben für Un- wie für Tiefsinn.

Inspirierend übrigens, wie Arts Birthday in der Nacht vom 16. auf den 17. Januar 2007 in Paris begangen wurde: Schlag Mitternacht fand im Museum Palais de Tokyo, ungelogen, eine Schreiminute statt - das Gegenteil einer Schweigeminute.