Seit drei Monaten leckte das Schlammbecken der ungarischen Aluminiumfabrik MAL, doch die Verantwortlichen unternahmen nichts. Der Rotschlamm ist giftiger, als angenommen. Und nun droht eine neue Flutwelle.
Kolontár war bis vor wenigen Tagen ein idyllischer Ort im Westen Ungarns. Seit diesem Montag gleicht der Ort einer Landschaft wie auf dem Planeten Mars - alles ist von der giftigen rotbraunen Schlammasse bedeckt, die aus der Deponie der Aluminiumfabrik Magyar Aluminium (MAL) entwich.
Die Flut sprengte Brücken, drang in die Häuser ein und riss alles mit sich, das nicht niet- und nagelfest war. Nach der Flut blieben giftige Rückständ an den Häuserwänden haften. Über eine Million Kubikmeter des Giftschlamms entwich der Fabrik und verteilte sich auf 40 Quadratkilometern.
Über 100 Menschen verletzt
Mindestens sieben Tote forderten die Fluten bisher. Die österreichische Zeitung «Der Standard» geht von über zehn Todesopfern aus. Über 120 Menschen wurden verletzt, die regionalen Krankenhäuser waren sofort überfüllt, wer aus den betroffenen Dörfern fliehen konnte, wurde in provisorischen Lagern untergebracht.
Firma wollte nur 100 000 Euro zahlen
Rotschlamm ist ein Abfallprodukt bei der Aluminiumgewinnung. Dabei wird aus Bauxit Aluminiumoxid gewonnen, das anschliessend weiterverarbeitert wird. Übrig bleibt dabei Rotschlamm.
Er ist stark ätzend, denn er besteht aus Natronlauge und verschiedenen Metallverbindungen. Das charakteristische Rot entsteht durch die Eisenverbindungen.
Die Firma erzählte zuerst, der Schlamm sei ungefährlich, man könne ihn abwaschen. Weit gefehlt: Bei einigen Opfern hat sich nach Kontakt mit dem Schlamm die Haut abgeschält. Die Betroffenen sind empört über das Verhalten von MAL.
Gegenüber dem «Standard» berichtete eine Person schon am Dienstag, dass beim Damm der Firma, der den Giftschlamm hätte zurückhalten sollen, etwas faul war. Der Damm sei nicht gut gebaut gewesen. Die Rotschlamm-Behälter, von der einer brach, stammten noch aus der Zeit der Sowjetunion.
Bosse gehören zu den reichsten Ungarn
Fünf Tage nach der Katastrophe sind die Verantwortlichen abgetaucht, lassen sich nur über ihre Website vernehmen. Wie die ungarische Wirtschaftszeitung «Napi Gazdasag» berichtet, haben die Aluminiumgeschäfte den MAL-Geschäftsführer Zoltan Bakonyi, seinen Vater und einen Partner zum Kreis der 100 reichsten Ungarn gemacht.
Ungarn gehört zu den wenigen Ländern Europas, die über grosse Bauxit-Vorkommen verfügen. MAL beschäftigt in Ungarn etwa 2000 Personen. Die Firma hat Niederlassungen in Deutschland und Osteuropa. MAL weist Gerüchte zurück, wonach die Firma unzureichend gegen solche Schadensfälle versichert sei.
WWF: Schon im Juni gabs Lecks
Jetzt zeigen Bilder von WWF Ungarn, dass der Damm bereits im Juni schwerwiegende Risse enthielt - MAL hatte nichts unternommen. Nun droht Kolontár eine neue Überschwemmung mit dem Rotschlamm. Ministerpräsident Viktor Orban sagte heute, die Wände des Auffangbeckens der Aluminiumfabrik wiesen immer grössere Risse auf. Es sei sehr wahrscheinlich, dass sie nachgeben würden. Die Bewohner Kolontárs wurden daraufhin wieder evakuiert.
Arsen, Quecksilber, Chrom in hohen Mengen
Greenpeace hat inzwischen eine doppelt so hohe Konzentration von Arsen im Schlamm entdeckt, insgesamt 50 Tonnen. Ein Milligramm kann 100 Liter Wasser vergiften. Laut Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster befinden sich im Schlamm etwa 300 Tonnen Chrom und 500 Kilogramm Quecksilber.