Interview

Thomas Mann und sein Sohn Klaus: "Ein unglaublich komplexes Gebilde"

Heinz J. Armbrust hat das Verhältnis zwischen Thomas und Klaus Mann anhand ihrer Tagebücher und Briefe untersucht.
| Philipp Seidel
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Thomas Mann und seine Frau Katia (3. v. l.) mit ihren Kindern Erika und Klaus Mann - fotografiert um 1930 wohl auf der Terrasse der Münchner Villa.
Thomas Mann und seine Frau Katia (3. v. l.) mit ihren Kindern Erika und Klaus Mann - fotografiert um 1930 wohl auf der Terrasse der Münchner Villa. © imago images/Leemage

Der übermächtige Vater wurde in der Familie "Zauberer" genannt. Und der älteste Sohn will werden, was sein Vater ist: Schriftsteller. Konfliktfrei kann das nicht ablaufen.

Aber das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war auch nicht so kalt, wie oft behauptet wird. Heinz J. Armbrust aus Ergolding bei Landshut hat die Briefe und Tagebücher von Thomas und Klaus Mann angesehen und das Buch "Des Zauberers Schatten" darüber geschrieben.

AZ: Herr Armbrust, Sie zitieren einen Eintrag aus Klaus Manns Tagebuch vom 3. Juli 1936: "Was für eine sonderbare FAMILIE sind wir! Man wird später Bücher über UNS - nicht nur über einzelne von uns - schreiben." Was fasziniert Sie an dieser Familie?
HEINZ J. ARMBRUST: Die Familiengeschichte ist sowohl in literarischer Hinsicht als auch psychologisch ein unglaublich komplexes und interessantes Gebilde. Die Beziehungen zwischen den Eltern und den Kindern ist das eine. Dazu kommt, dass ihr Familienleben exemplarisch ist für eine Gegnerschaft zu Hitler. Aber natürlich fing das Interesse bei mir in erster Linie an mit der Faszination für Thomas Manns Werk, die mich schon als 15-Jähriger ergriffen hat.

Armbrust über Thomas Mann: Kein Bilderbuchvater - aber gelobt hat er seinen Sohn schon

Wie kamen Sie nun aktuell auf Thomas und Klaus Mann?
Es hat mich schon länger geärgert, dass in populären Darstellungen ein falsches Bild von Thomas Mann als Vater vorherrscht. In einem Vortrag hörte ich zum Beispiel einmal, es sei bekannt, dass Thomas Mann seinem Sohn Klaus nie ein Lobeswort habe zukommen lassen. Das ist grundfalsch! Dazu muss man sich nur die Tagebücher und Briefe von Thomas und Klaus Mann anschauen - die liegen ja gedruckt vor!

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Ganz unkompliziert war das Verhältnis zwischen ihnen aber nicht.
Nein, ich stelle ihn ja auch nicht als Bilderbuchvater dar. Aber Lob hat er seinem Sohn wiederholt gezollt. Nachdem er Klaus Manns Roman "Vulkan" gelesen hatte, schrieb er ihm, jeder müsse nun anerkennen, dass er als Schriftsteller mehr könne als die meisten. Andererseits weiß man, dass es Probleme gab - mehr von Klaus Manns Seite als umgekehrt. Als Klaus mal einen Artikel über die literarische Romantik verfasst hatte, schrieb Thomas Mann ihm sinngemäß: Mein Junge, so geht das nicht. Das sollten wir anderen überlassen. Ich selber würde mich da nicht rantrauen.

"Klaus hat in jungen Jahren versucht, mit seinem Vater gleichzuziehen" 

Als erstgeborener Sohn von Thomas Mann kann das Leben ja nicht ganz einfach sein, vor allem, wenn man ausgerechnet auch als Schriftsteller Erfolg haben möchte. Wie ging Klaus damit um?
Klaus hat in jungen Jahren tatsächlich versucht, mit seinem Vater gleichzuziehen. Im Exil in Amerika hat er dann gemerkt, dass das so nicht möglich sein würde, aber er hat trotz Rückschlägen immer ungeheuer fleißig gearbeitet, um als eigenständiger Schriftsteller wahrgenommen zu werden. Im Tagebuch kommt einmal der Aufschrei: "Werde ich je aus seinem Schatten treten?" Spätestens um 1943, als er in der US-Armee Dienst tat, nahm er die Sohnesrolle an. In den Briefen sprach er dann auch von Vati, Papa, Pa, Dad, Daddy - nicht mehr nur im Familienjargon von "Zauberer." Allerdings hatte er auch später noch Probleme damit und bei einem Vortrag in Deutschland nach dem Krieg sogar auf sein Honorar verzichtet, unter der Bedingung, dass er nicht als Sohn von Thomas Mann vorgestellt werden würde.

Er hat die Eltern ja auch gebraucht.
Ja, er hat ja zum Teil monatelang bei den Eltern gewohnt. Und bei ihnen Schutz gesucht. Ich würde sagen, sein Lebensweg war so: Am Anfang hat er versucht, den Vater zu erreichen, dann gab es eine gewisse Enttäuschung wegen der eigenen Erfolglosigkeit, aber die Bewunderung für den Vaters war da, und nach dem Krieg kam die völlige Anerkennung: Der Vater ist nun mal sehr viel größer als ich. Die Erfolglosigkeit hat Klaus schließlich zermürbt, dann auch die Drogen und die Enttäuschungen in der Liebe. Er hatte ja viele Partner, zum Schluss einen gewissen Harold, der hat ihn ebenfalls sehr enttäuschte. Es war ein Gang hin zu Enttäuschung und Resignation.

"Der Vater hat ihn unterstützt - auch als Fürsprecher bei möglichen Geldgebern"

Dann lastet auf Klaus der Fluch des Erstgeborenen.
Dabei war Klaus in seiner Jugend sogar einer der Lieblinge des Vaters, zusammen mit Erika und Elisabeth. Es gab noch drei weitere Geschwister! Thomas Mann spricht einmal davon, dass er verliebt sei in Klaus und Erika. Als Schriftsteller hatte Klaus kaum eine Chance. Sein jüngerer Bruder Golo hingegen konnte sich als Historiker hervortun und hat es zu großer Anerkennung gebracht. Er versuchte erst gar nicht, als Romanschriftsteller zu reüssieren.

Klaus war aber immer abhängig von den Eltern, speziell dem Vater.
Er hat oft die Hilfe des Vaters eingefordert, nicht nur finanziell durch den monatlichen Scheck, sondern auch bei verschiedenen Projekten. Zum Beispiel hat er als Herausgeber der Zeitschrift "Decision" seinen Vater massiv eingespannt. Und der Vater hat ihn unterstützt, finanziell und auch als Fürsprecher bei möglichen Geldgebern. Er wusste, wie sehr Klaus an diesem Projekt hing, und natürlich wusste er auch um dessen Selbstmordgefährdung.

Klaus war eigentlich eine tragische Existenz.
Daran hatte er allerdings durch seinen fürchterlichen Drogenkonsum auch selbst Schuld. Wegen der Drogen hat ihn auch ein Freund, mit dem er etwas hätte aufbauen können, verlassen: Thomas Curtiss. Mit ihm wäre vielleicht eine ernsthafte Verbindung möglich gewesen.

Klaus Mann: Kaum 20 geworden, ging er mit Erika auf Weltreise 

Wenn man Ihr Buch liest, fällt auf, dass die Familie Mann ein Leben auf Reisen geführt hat.
Bei Thomas Mann war es bedingt durch seine Vortragsreisen. Er war mitunter monatelang unterwegs, ohne zwischendurch nach Hause zu fahren. Bei Klaus war es seine angeborene Unruhe, er selbst spricht davon, dass es keine Ruhe gebe "bis zum Schluss". Er fragt sich einmal: Warum habe ich die Idylle zu Hause verlassen - er konnte nicht anders. Kaum 20 geworden, ging er mit Erika auf Weltreise, und die beiden finanzierten das unbekümmert auf Pump. Am Ende beglich der Vater die Schulden. Er hatte gerade den Nobelpreis erhalten.

Klaus scheint mir, vor allem in jüngeren Jahren in München, ein ziemlich verwöhnter Bengel gewesen zu sein.
Das sehe ich genauso. Thomas Mann schreibt in einem Brief an Hermann Hesse einmal über Klaus: Klaus sei in jungen Jahren ein recht übermütiger Prinz gewesen, der viele herausfordernde Dinge beging. Das ist ein höfliches Wort für das, was Sie gesagt haben.

Er war ein junger Lümmel, aber später wird er immer mehr zur tragischen Figur.
Es gibt ein bezeichnendes Urteil von einer Pädagogin. 1922 fuhren Katia Mann und der 16-jährige Klaus zu einem Vorstellungsgespräch nach Salem. Klaus wurde in der renommierten Schule nicht aufgenommen. In ihrem pädagogischen Gutachten schrieb die stellvertretende Leiterin über Klaus: Er sei ein sehr begabter Junge, bei dem aber nicht sicher sei, wohin ihn die Begabung führen werde. Er mache den Eindruck eines selbstgefälligen Jungen, der blasiert über Dinge des Lebens spreche. Nun, auch Klaus wurde älter und reifer. Später, speziell in seiner zweiten Autobiografie "Der Wendepunkt", schildert er sein Verhältnis zu den Eltern. Das ist sehr liebevoll und rührend dargestellt. Zum Beispiel erzählt er über die Zeit vor 1933 in Deutschland, dass er immer wieder, wenn er in irgendeinem Hotelzimmer war, an seine Eltern dachte und sich vorstellte, wie sie unter der Hängelampe am Tisch säßen und über die Kinder redeten. Er bekennt, dass diese Vorstellung ihn immer wieder zu Tränen rühre. Auf der gleichen Linie liegt eine andere geschilderte Szene: Er erinnert sich, wie er einmal das Haus verließ, um eine seiner vielen Reisen anzutreten - als er zurückschaute, sah er seinen Vater am Fenster im ersten Stock stehen, der erst überrascht war, dann ihm winkte und zurief: "Viel Glück, mein Sohn! Und komm heim, wenn du elend bist."

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"Es liegt nur eine Auswahl der Briefe gedruckt vor"

Was er tat.
Klaus war auch der verlorene Sohn, der immer nach Hause zurückgekehrt ist. Er hatte nur einmal für ganz kurze Zeit eine Wohnung, sonst hat er in Hotelzimmern gelebt - oder eben bei seinen Eltern, die ihm Schutz boten. Wenn man die Tagebücher und die Autobiografie liest, kann man nicht anders als mitzufühlen und zu denken: Tragisch, tragisch.

Sie haben für Ihr Buch während der Pandemie viel in digitalen Archiven recherchieren können.
Das war unerlässlich. Es liegt nur eine Auswahl der Briefe gedruckt vor. Die Briefe Thomas Manns an Klaus sind alle gedruckt, aber Klaus hat viele Briefe an seine Mutter geschrieben, die nicht veröffentlicht, aber digital einzusehen sind. Die waren sehr aufschlussreich.

Thomas Manns Nachlass liegt in Zürich, Klaus Manns hingegen in München.
Ja, der gesamte Nachlass von Klaus Mann, mit Fotos und Briefen, liegt in der Monacensia in München. Er ist 1949 gestorben, also vor mehr als 70 Jahren, deshalb kann man jetzt rechtefrei aus seinen Briefen zitieren. Für einen Brief von Erika Mann, deren Tod nicht so lange zurückliegt, musste ich für ein Zitat die Einwilligung von Frido Mann, Thomas Manns Enkel, einholen. Er hat das großzügig sofort erlaubt.

"Thomas Mann spricht im Tagebuch selbst von einem Ausbruch gegen Klaus"

Sie erwähnen in Ihrem Buch auch Anlässe für große Verstimmungen zwischen Klaus und Thomas Mann. Worum ging es dabei?
Die Familie Mann ging 1933 ins Exil, zunächst in die Schweiz, 1938 nach Amerika. Wegen unterschiedlicher politischer Einstellungen gab es immer wieder einmal Streit, so zum Beispiel 1942, als man sich nicht einig war, ob die USA in den Krieg gegen Nazideutschland eintreten solle oder nicht. Klaus war dagegen, obwohl er sich für die US-Armee beworben hatte, Thomas Mann dafür, weil er nur darin den Garant für einen Sieg sah. Die Sache eskalierte und an einem Abend kam es zur Katastrophe. Thomas Mann spricht im Tagebuch selbst von einem Ausbruch gegen Klaus. Klaus verließ das Zimmer und Thomas Mann nahm die Sache so mit, dass er sich zwei Tage lang krank fühlte und das Bett hütete. Danach, so erzählt es Golo Mann, versöhnten sich die beiden Herren aber wieder.


Heinz J. Armbrust: "Des Zauberers Schatten. Klaus Mann und Thomas Mann in ihren Tagebüchern und Briefen." (Allittera-Verlag, 268 Seiten, 19,90 Euro)

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