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Güter, Pachthöfe
und Sommersitze
zwischen Stadt und Land
Niedersachsen
Für die Menschen
Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit
zwischen Stadt und Land
bearbeitet von Fred Kaspar und Volker Gläntzer
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 43
Arbeitsheft der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen 14
Herausgeber:
Stefan Winghart (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege)
Markus Harzenetter (LWL-Denkmalpflege, Landschaftsverband Westfalen-Lippe)
Redaktion der Reihen:
Dietmar Vonend, Jost Schäfer
Wissenschaftliche Konzeption:
Fred Kaspar, Volker Gläntzer
Textredaktion:
Dietmar Vonend, Jost Schäfer
Gestaltung, Bildredaktion und Satz:
Petra Gotting
Gesamtredaktion:
Dietmar Vonend, Jost Schäfer
Titelbild: Petra Gotting
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 43
Arbeitsheft der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen 14
© 2014 Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, LWL-Denkmalpflege, Landschaftsverband
Westfalen-Lippe
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Herausgeber
Druck: Quedlinburg Druck GmbH, Quedlinburg
Vertrieb: CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln
ISBN 978-3-8271-8043-8
Inhalt
Vorwort 6
Fred Kaspar
Einleitung 9
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 42
Nicolas Rügge 42
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Sonja Michaels 51
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Ein Beitrag zur Typologisierung
Thomas Spohn 64
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
Vorbilder ländlichen und kleinstädtischen Bauens?
Wolfgang Dörfler 88
Bockei und Mulmshorn
Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg/Wümme
Nils Kagel 105
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
unter besonderer Berücksichtigung bauhistorischer Aspekte
Heinz Riepshoff 127
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
Heinrich Stiewe 140
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Beispiele des 16. bis 18. Jahrhunderts aus Ostwestfalen und Lippe
Fred Kaspar / Peter Barthold 161
Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde
Castrop-Rauxel-Habinghorst, Vördestraße 10 (heute Hafenstraße 10)
Fred Kaspar 168
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
Ein Gut, nur kurz im Interesse der Familie Droste zu Vischering
Dietrich Maschmeyer 190
Der Siebenmeierhof in Magelsen
Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
Bernd Adam 210
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors
Friedrich Karl von Hardenberg
Fred Kaspar / Peter Barthold 224
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
(Ennigerloh-Westkirchen, Kr. Warendorf)
Inhalt
Landgüter von Bürgern und Beamten, Lebens- und Wirtschaftsformen 239
Fred Kaspar 239
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Was macht der Städter auf dem Land?
Carolin Sophie Prinzhorn 283
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
Axel Böcker / Peter Barthold / Fred Kaspar 305
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
Fred Kaspar / Peter Barthold 329
Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen
aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
Die Vasbach bei Kirchhundem
Aspekte der Baugeschichte
Josef Georg Pollmann 351
Peter Barthold 360
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
Fred Kaspar 380
Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren
Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn)
Fred Kaspar 388
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
Fred Kaspar / Peter Barthold 403
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
Fred Kaspar 414
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774. Haus Lohfeld
(ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
Laurenz Sandmann 430
Wohnen in der Feldmark
Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780
Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf)
Orts- und Objektregister
435
6
Vorwort
Seit nunmehr 25 Jahren treffen sich jährlich Hausforscher aus Nordwestdeutschland zu einer Tagung
und pflegen hierbei fachlichen Austausch, der vom
kleinen Einzelbefund bis zu übergreifenden Fragen zur
Kultur des ländlichen Raumes reicht. Bei jährlich
wechselnder Themenstellung werden Forschungsergebnisse zusammengetragen, Thesen diskutiert, Meinungen ausgetauscht und neue Impulse zur Klärung
der vielen offenen oder bislang nicht beachteten
Fragen gegeben.1 Nur informell zum „Arbeitskreis für
ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland"
zusammengeschlossen, ist das Treffen dieser Arbeits-
gruppe damit zu einem der zentralen Ereignisse für
alle geworden, die sich mit historischen Bauten im
ländlichen Raum beschäftigen. Die Arbeitsgruppe
ging 1990 aus der Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V. (IGB) hervor und gilt seit 1993 zugleich als
eine Regionalgruppe des mittlerweile über Deutschland hinaus tätigen Arbeitskreises für Hausforschung
e.V.
Denkmalschutz und Denkmalpflege sind auf Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen, benötigen aber
auch stets aktualisiertes Fachwissen. Entsprechend
ihrer Bedeutung für die Forschung zur ländlichen Baukultur erfährt die Arbeitsgruppe seit ihrem Entstehen
große Unterstützung durch Mitarbeiter der Landesämter für Denkmalpflege in Niedersachsen und Westfalen. Neben einer Vielzahl von Aufsätzen zum ländlichen Bauen und Wohnen, die in Sammelwerken, Zeitschriften oderJahrbüchern erschienen sind, haben sieben der Jahrestagungen inzwischen zu eigenständigen Publikationen geführt, die thematisch zentriert zu
grundlegenden Werken und im denkmalpflegerischen
Alltag wichtigen Handbüchern wurden. Entsprechend
der Initiative der wechselnden Ausrichter und Organisatoren der Tagungen sind diese in verschiedenen
Publikationsreihen erschienen, davon einer von ihnen
auch in der Schriftenreihe Denkmalpflege und Forschung in Westfalen der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen.
vorgestellt werden. Eine Kooperation der beiden hier
tätigen Landesämter für Denkmalpflege bot sich an.
Sie begann bei der Unterstützung in der Vorbereitung
der Tagung und mündete in der gemeinsamen Herausgabe des hier vorgelegten Bandes. Die Tagung
wurde hervorragend von Elisabeth Sieve beim Landkreis Osnabrück vorbereitet. Ihr ist herzlich zu danken.
Der 23. Jahrestagung der nordwestdeutschen Hausforscher im März 2011 wurden von ihren Initiatoren
klug gewählte Fragen als Leitlinie der Betrachtungen
und Diskussionen gestellt. Klug deswegen, weil das
Thema vor allem Fragen aufwarf, aber kaum schnelle
und klare Antworten ermöglichte und damit der Forschung neue Impulse geben konnte. Wie nicht nur die
einzelnen Vorträge deutlich gemacht haben, hat dieser Ansatz nicht nur durch neue gewählte Perspektiven auf den historischen Baubestand auch Erfolge
gezeitigt, sondern auch zu vielfältigen Diskussionen
im Plenum geführt.2 Vieles hiervon ist in die durch die
Referenten ausgearbeiteten und im Folgenden abgedruckten Aufsätze geflossen.
In den Blick genommen werden sollten von den Tagungsteilnehmern insbesondere größere landwirtschaftliche Betriebe, die umgangssprachlich gemeinhin als „Güter" bezeichnet werden. Im Vorfeld der
Tagung hatte man als sozialen Rahmen der zu
betrachtenden baulichen Phänomene zunächst den
Titel „Bauen und Bauten des niederen Adels" verwendet. Schon im Laufe der weiteren Vorbereitung weitete sich allerdings die Fragestellung, da neben „Bauten
des Kleinadels" nun auch Güter von Städtern auf dem
Lande bzw. Wohn- und Wirtschaftsbauten auf adeligen und staatlichen Gütern in den Blick gerieten, sodass die Tagung schließlich unter dem Titel „Adeliges
und bürgerliches Wohnen auf dem Lande" durchgeführt wurde. Im Aufruf zur Teilnahme an der Veranstaltung wurde daher formuliert, man wolle als Ziel
der Tagung „kein Themenfeld eingrenzen, sondern
Grenzen überschreiten, Übergänge ermöglichen,
Beziehungen erkennen [...] an der Nahtstelle zwi-
Als Ort der Tagung wählte man auf Einladung der
unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises
schen bäuerlicher und nichtbäuerlicher Oberschicht,
ländlichem Adel und städtischem Patriziat".3
ren und kleineren Landgütern der Burgmänner und
Beamten. Der Landkreis Osnabrück im Grenzbereich
Die Notwendigkeit, die beobachteten baulichen Phänomene unter einem Sozialschichten übergreifenden
Blickwinkel zu betrachten, war eines der Diskussionsergebnisse der Tagung. Sie floss in die von den Refe-
Osnabrück Bad Iburg, ehemals Residenz der Bischöfe
von Osnabrück und umgeben von zahlreichen größe-
von Niedersachen und Westfalen erwies sich als idea-
le Tagungsregion, konnten doch auf dem Exkursions-
tag eindrückliche Beispiele zum Thema sowohl im
Osnabrücker Land wie auch im anschließenden Müns-
terland aufgesucht und den etwa 100 Teilnehmern
renten danach ausgearbeiteten und erweiterten
Aufsätze ein. Verbunden mit weiteren Einzelbeiträgen, die zumeist aus der Alltagsarbeit der Denkmalpflege bei anstehenden Baumaßnahmen zurückge-
7
hen, ist der hier vorgelegte Aufsatzband entstanden,
der sich mit einer bislang kaum beachteten Frage
beschäftigt: Ist das im alltäglichen Umgang mit historischen Phänomenen angewandte Schichtenmodell
der vorindustriellen Welt für Bauern auf dem Land,
Städter in der Stadt und Adelige zutreffend? Denkmalpflegerischem Denken ureigen und für Historiker
methodisch spannend ist hierbei die Perspektive, die
Frage insbesondere mithilfe überlieferter baulicher
Quellen zu beantworten. Baudenkmale sind wesentliche, allerdings immer noch sowohl von der Gesellschaft als auch der Wissenschaft vielfach unterschätzte Geschichtsquellen. Der Band erhielt schließlich den auf den ersten Blick sicherlich etwas sperrigen
Titel „Güter, Pachthöfe und Sommersitze - Wohnen,
Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land."
Die Bearbeitung des Bandes und die Vorbereitung der
Aufsätze zur Publikation übernahmen Fred Kaspar
schaftsformen aufbauen. Die Norddeutsche Tiefebene
mit den südlich anschließenden Mittelgebirgen westlich und östlich des zentralen Flusslaufes der Weser ist
wesentlicher Bestandteil von Nordwestdeutschland.
So wird die Publikation von den beiden hier als Fachämter zuständigen Einrichtungen herausgegeben.
Wie fast immer führt der genaue Blick auf die Denkmäler zu einer differenzierteren Kenntnis und zu einer
Infragestellung - oder zumindest Relativierung -
gemeinhin als sicher geltender Kenntnisse. So wurden
und werden sowohl Westfalen wie auch Nieder-
sachsen oftmals als „Bauernland" wahrgenommen,
während die weiter östlich anschließenden Landschaften als „Gutsland" gesehen werden, eine Vergröberung, die der historischen Wirklichkeit keineswegs immer entspricht.
und Volker Gläntzer, die beide ausgewiesene Kenner
der Materie und langjährig auch an der Forschung
Dr. Stefan Winghart
mit den Beiträgen ausgebreitet wird. So werden in
Leiter des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege
30 Güter, adelige Sitze und große Bauernhöfe ausführlicher behandelt, darunter allein 20 Längsdielenhäuser in bäuerlichem, adeligem und bürgerlichem
Dr. Markus Harzenetter
Landeskonservator
beteiligt sind. Bemerkenswert ist die Materialfülle, die
den 23 Beiträgen neben vielen Vergleichsbauten-über
Besitz. In vielen Beiträgen wurden zudem archivalische
Quellen neu ausgewertet. Schon diese Dokumentationsleistung bislang zumeist unbekannter Bauten
stellt einen entscheidenden bleibenden Wert der
Publikation für zukünftige Forschungen dar und
wurde deshalb durch ein Register erschlossen.
Es gelang, jenseits von ehemaligen Territorialgrenzen
und heutigen Verwaltungseinheiten bauliche Erschei-
nungen als Ausdruck wesentlicher wirtschaftlicher
Strukturen in einem zusammengehörenden Kulturraum darzustellen. Dieser definiert sich durch Lebens-
und Wirtschaftsweisen, die auf vergleichbaren Wirt-
Präsident
Leiter der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur
in Westfalen
1 Zur Geschichte Wolfgang Dörfler/Thomas Spohn/ Heinrich
Stiewe, 25. Treffen des Arbeitskreises für ländliche Hausfor-
schung in Nordwestdeutschland. Martfeld 2013.
2 Dies arbeitete auch ein von Dietrich Maschmeier verfasster
Bericht über die Ergebnisse der Tagung heraus: Bauhäuser
und Steinwerke. Ländliche Adelsbauten im Visier der Hausforscher, in: Der Holznagel, Heft 2, 2011, S. 18-26.
3 Hier zitiert nach Dörfler/Spohn/Stiewe 2013 (wie Anm. 1),
S. 78.
9
Einleitung
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
Fred Kaspar
Zur Forschungsgeschichte und zu den
Fragestellungen
Unter dem Begriff „Güter" werden im Folgenden alle
größeren landwirtschaftlichen Betriebe verstanden,
die nicht von Bauern in eigener Regie betrieben wurden. Sie sind in Nordwestdeutschland bislang erstaunlicherweise kaum zum Gegenstand historischer Unter-
suchungen geworden. Das gilt für die Agrar- und
Wirtschaftsgeschichte, noch mehr aber für die bei
dieser Tagung im Zentrum stehende Bau- und Kultur-
geschichte. Neben den Wirtschaftsbetrieben der
Klöster und der Sitze von Adeligen (die Güter im
engeren Sinne) betrifft dies insbesondere die landwirt-
schaftlichen Betriebe, die sich in der Hand von
Bewohnern der Städte befanden. Nur landesherrliche
Wirtschaftsbetriebe (die „Domänen")1 bzw. staatliche
Gutsbetriebe2 sind im letzten Jahrzehnt vereinzelt in
den Blick der Forschung geraten.3
Diese bislang weitgehende Ausblendung des Themas
betrifft den gesamten nordwestdeutschen Raum.
Wenn, dann wurden große landwirtschaftliche Betriebe eher als regionale Sonderheit bewertet,4 wohl insbesondere weil in diesem Kulturraum das Land ge-
meinhin als Land mit bäuerlicher Kultur, kurz als
„Bauernland" betrachtet wird.5 Eine systematische
Erfassung oder Übersicht der vorhandenen Güter und
Adelssitze unterblieb mit Ausnahme ihrer geschichtlichen Darstellung für einzelne Regionen.6 Hinzuweisen
ist nur auf vereinzelte Studien, wie die zu den Adelsgütern und Domänen im Lande Lippe, von den Autoren selber im Untertitel bezeichnenderweise als „An-
merkungen zu einem brachliegenden Forschungsfeld" betitelt.7
Vor diesem Hintergrund mussten sowohl bei Über-
sicht der in diesem Band vorgelegten zahlreichen Beiträge zu einzelnen Betrieben, wie auch bei den Überblicksdarstellungen zu einzelnen Fragestellungen an
vielen Stellen die bislang nur geringen Grundlagenkenntnisse zum Thema deutlich werden. Es konnte
auch kaum auf methodische Vorgaben zurückgegriffen werden.
Wie schwierig sich diese fachlichen Traditionen teil-
weise für die heutige Forschung erweisen, wurde
durch die gewählte Fragestellung immer wieder er-
sichtlich, denn sie erwies sich konträr zu vielen bishe-
rigen Argumentationssträngen der Forschung und
den Darstellungen in der vorhandenen Literatur: Einmal mehr wird deutlich, dass es bei der Konzeptio-
nierung hausforscherischer Studien nicht nur nützlich,
sondern unumgänglich ist, die zu wählenden Betrachtungsebenen zu definieren und schärfer voneinander
zu scheiden. Form, Gestaltung und Funktion von Ge-
bäuden sind differenziert zu betrachten. Das hierzu
von Joachim Hähnel und Konrad Bedal ab 1969 entwickelte Modell vier getrennter Betrachtungsebenen8
ist noch immer ein guter Wegweiser für die Forscher
in das Dickicht des für den Einzelnen unüberblickbaren Baubestandes, der damit zusammenhängenden
kulturgeschichtlichen Fragen und schon vorliegenden
Bestandserhebungen und Interpretationen. Allerdings
dürfte es nicht ausreichend sein, dieses Modell nur als
Legitimation zu zitieren, sondern es muss auch konkreten Eingang in die Arbeitsweisen finden.
Forschung zu bzw. über die Vielfalt historischer Realitäten ist gezwungen, festgestellte Phänomene syste-
matisch zu ordnen, hierzu auch zu typisieren und
damit notgedrungen auch zu vereinfachen. Nach wie
vor wird vor diesem Hintergrund für den Bereich der
Haus- und Bauforschung vor allem versucht, Bauten
und baugeschichtliche Befunde durch Heraus-
arbeitung von „Bautypen" zu durchdringen, vielfach
definiert in erster Linie auf der Grundlage einer bestimmten Raumstruktur, oft verbunden mit Formen
der äußerlichen Gestaltung. Allerdings unterbleibt
hierbei zumeist eine - zumindest ergänzend durchgeführte - Analyse der Nutzungs- und Sozialgeschichte
der untersuchten Bauten. Diese Beschränkung dürfte
nicht zuletzt auf den höheren Arbeitsaufwand bei
Verfolgung solcher Fragestellungen zurückzuführen
sein. Funktionale Aufgaben der untersuchten Bauten
sind in der Regel nicht allein aus der architektonischen
Form sicher zu erkennen, sondern erschließen sich
erst vor dem Hintergrund detaillierter Kenntnisse zur
Nutzung. Die ursprünglich beabsichtigten Nutzungen
können aber nur selten eindeutig aus dem historischen Baubestand abgelesen werden und werden
daher vielfach nur über Indizien im Groben erschlossen. Im verstärkten Maße gilt dies für spätere, einem
Objekt zugewachsene Nutzungen.
Vor diesem Hintergrund erwies sich selbst die Analyse
einer Geschichte der Besitzverhältnisse bei den
Gütern vielfach als nicht ausreichend, da diese nicht
mit einer Nutzungsgeschichte kongruent gewesen
sein muss. Besitz ist vor dem 19. Jahrhundert nicht
gleich Besitz, da unterschiedliche Rechtsformen zu
unterscheiden sind. Dennoch wurde und wird in der
10
Einleitung
Regel in baugeschichtlichen Untersuchungen im Ver-
hältnis zwischen Bauherr bzw. Besitzer und einem
Gebäude nicht zwischen freiem Besitz, Pacht, Lehen
und anderen Rechtsformen wie dem Meierrecht
unterschieden, zumal alle Formen auch in einem
Besitzkomplex nebeneinander bestehen konnten,
insbesondere aus der Tradition der Bauernhausforschung erwachsen sein, die den Hofbesitzer mit dem
Hofbewohner gleichsetzte. Ob der Besitzer eines Her-
ren- oder Landhauses dieses aber auch selber be-
aber jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf die
Funktion bestehender Bauten hatten. Um hier zu größerer Sicherheit in der Interpretation und zu differen-
wohnte, erschließt sich allerdings nur aus einer eingehenderen Analyse seiner Lebens-, Besitz- und Familiengeschichte. Vereinzelt ist zwar von der Forschung
eine solche Perspektive behandelt worden, doch blieb
es die Ausnahme: Noch immer ein gutes, aber selte-
gänglich, wozu insbesondere die Auswertung der
Angermann schon 1966 zu Georg von Holle vorgelegt
hat.9 Andere Beispiele behandelte Irmintraut Richarz,
zierteren Erkenntnissen zu kommen, ist also die Bearbeitung anderer Quellen als die Bauten selber unum-
archivalischen Überlieferung gehört.
Wie aber nicht zuletzt bei dem hier anstehenden The-
menkomplex in manchen der vorgelegten Untersuchungen deutlich wird, müssen in der Gestalt ver-
gleichbare oder vergleichbar wirkende Bauten keines-
falls gleichen Zwecken gedient haben, auch wenn
sich ein solcher Zirkelschluss immer wieder in die
Interpretations-Überlegungen einschleicht. Auch wird
in manchen der Untersuchungen deutlich, dass es
unzutreffend und für die Bewertung nicht selten auch
irreführend ist, den Besitzer eines Gebäudes mit seinem Nutzer gleichzusetzen. Dieses Vorgehen dürfte
nes Beispiel ist die Untersuchung, die Gertrud
etwa die Besitzverhältnisse und Bauentwicklungen
der Güter in der Hand des Familienverbandes von
Münchhausen während des 16. und 17. Jahrhunderts.'0 Bei eingehender Betrachtung besaß ein sol-
cher Eigentümer zumeist mehrere Wohnungen, deren
Nutzungen im Lebens- und Jahreslauf und im familiären Gefüge sich nur aus der Gesamtkenntnis seiner
Lebensverhältnisse erkennen lässt. Plakativ die folgenden Ausführungen zusammengefasst, wird es Leitlinie
zukünftiger Forschungen sein müssen, klarer zwischen Adelsbesitz und Adelssitz, zwischen Gutsherr,
Gut und Betreiber zu unterscheiden.
Der umgräftete Hof Haus Rüschhaus bei Münster-Nienberge wurde zwischen 1745 und 1748 durch den Architekten Johann
Conrad Schlaun nach eigenen Plänen vollständig erneuert. Als Hauptgebäude ließ er hierbei - wie auf solchen Pachthöfen
üblich - ein traditionelles Längsdielenhaus errichten. Dieses wurde allerdings mit massiven Umfassungswänden versehen, die
ebenso wie die flankierenden Wirtschaftsgebäude in ihrer Gestaltung Idealen barocker Architektur folgen. Das Gebäude dien-
te dem landwirtschaftlichen Betrieb der hier dauernd lebenden Pächterfamilie, ist allerdings durch ein groß dimensioniertes
Kammerfach erweitert, das dem in der Stadt Münster lebenden Besitzer und Bauherren als Sommerwohnung zur Verfügung
stand. (Foto Hartwig Dülberg 2009).
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
In den folgenden Beispielen wird das Baugeschehen
auf solchen ländlichen Betrieben behandelt, die nicht
als „normale" Bauernhöfe gelten; Damit ist die These
in den Raum gestellt, dass die Bauherren dieser Bauten nicht zu den Bauern zu rechnen sind. Daher ist
danach zu fragen, welche weiteren Sozialgruppen auf
dem Lande auch noch wirtschaftlich handelten und
landwirtschaftliche Bauten errichteten. Die einzelnen
Beiträge des Sammelbandes behandeln ein breites
gesellschaftliches Spektrum, sowohl was die Besitzer
als auch was die Nutzer der betrachteten Bauten
betrifft. Ebenso vielfältig ist das Spektrum unter-
schiedlicher Nutzungen dieser Bauten. Die Beiträge
stellen Bürger, Beamte sowie in der Stadt oder auf
dem Land lebende Adelige, aber auch den ritter-
schaftlichen, höheren Adel oder adelige bzw. bürgerliche Stiftsdamen als Betreiber der landwirtschaftli-
chen Betriebe in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen.
Die einzelnen Beiträge des Bandes wurden in zwei
großen Gruppen der adeligen und bürgerlichen Güter
unterteilt. Innerhalb dieser beiden Betreibergruppen
wurden die einzelnen Beiträge soweit möglich so
geordnet, dass eine chronologische Entwicklung der
baulichen Zeugnisse und der wirtschaftlichen Verhältnisse erkennbar wird. Hierdurch sollte es dem
Leser ermöglicht werden, durch Vergleiche Entwicklungslinien erarbeiten zu können.
Diese sicherlich plakative Unterteilung erschien sinn-
voll, um die angesprochenen Fragestellungen und vor
diesem Hintergrund entwickelten neuen Thesen und
Ergebnisse deutlicher herausarbeiten zu können: Auf
der einen Seite stehen die Güter im engeren Sinne,
landwirtschaftliche Betriebe der Adeligen im An-
schluss an ihre Burgen und Schlösser und auf Vorwerken sowie die landwirtschaftlichen Betriebe der
Klöster. Auf der anderen Seite gab es aber auch eine
erstaunlich große Zahl von landwirtschaftlichen
Betrieben, die von in der Stadt Lebenden unterhalten
wurden. Wenn sich damit eine bislang kaum in den
Blick geratene Gruppe von städtischen, fern ihrer
Betriebe lebenden „Unternehmern" abzeichnet, stellt
sich zugleich auch die Frage, was die Motive für ihre
Investitionen waren und wie und von wem sie ihre
landwirtschaftlichen Betriebe bewirtschaften ließen.
Um Vergleichsmöglichkeiten auch unter einer regionalen Perspektive aufzuzeigen, folgt hier eine kurze
Übersicht, die die behandelten Objekte jeweils den
regionalen Oberzentren zuordnet und zugleich auf
funktionale Vergleichsmöglichkeiten hinweist.
Der Umraum der Stadt Münster in Westfalen (und als
Unterzentrum auch Warendorf) als Mittelpunkt der
reichen Agrarlandschaft des Münsterlandes bildet
einen besonderen Schwerpunkt.
Auf kleinadeligen Sitzen Torhäuser mit Rentmeisterwohnungen (Visbeck 1674/75 und Dieck 1745/1760)
oder Bauhäuser (16. Jahrhundert Haus Vörde).
Auf bürgerlichen Landgütern große Längsdielenhäuser mit unterschiedlichen Wohnteilen (um 1590 Haus
Milte, 1595 Haus Westerhaus, um 1765 Gut Werse,
1774 Haus Lohfeld, um 1785 Gut Tönneburg) oder
dort stehende Sommerhäuser (insbesondere 18. Jahrhundert Lütke Rumphorst).
Wohnhäuser nicht verheirateter Schwestern der adeligen und bürgerlichen Gutsbesitzer (Kurienhäuser in
verschiedenen Damenstiften).
Der Umraum der Stadt Minden: Sechs Freihöfe des
16. und 17. Jahrhunderts mit herrschaftlichen Wohnungen und ihrer späteren Entwicklung zu Bauernhöfen sowie vier bürgerliche Güter des 18. und 19.
Jahrhunderts mit Sommerwohnungen.
Der Umraum der Stadt Osnabrück: Dargestellt werden exemplarisch die rechtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des in die Landesherrschaft eingebundenen Adels sowie der Zusammenhang zwischen
städtischen und ländlichen Steinwerken.
Der Umraum der Stadt Paderborn: Dargestellt werden
Güter der landesherrlichen Beamtenschaft (1577 Hof
Valepage, um 1715 Gut Nachtigall).
Der Umraum der lippischen Städte Detmold, Lemgo,
Blomberg und Salzuflen: Dargestellt werden Landgüter des Dienstadels. Große Längsdielenhäuser des 16.
bis 18. Jahrhunderts mit unterschiedlichen Wohnteilen (1555 Ahmsen, 1561 Dahlhausen, 1660 Sylbach,
171 5 Nassengrund).
Sauerland: Ein Gutsbetrieb bei Kirchhundem, bewohnt von einer landesherrlichen Beamtenfamilie
(17. bis 19. Jahrhundert).
Der Umraum der Stadt Hannover: Dargestellt werden
verschiedene Bauten, die ein Repräsentant adeliger
Lebensweise sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts für
eigene Zwecke in Stadt und Land errichten ließ.
Der Umraum der Städte Hamburg, Bremen und
Verden: Dargestellt wird ein landesherrliches Amtsvor-
werk (Moisburg), mehrere adelige Güter (um 1560
Mulmshorn, 18. Jahrhundert Koppel, 1783 Bockei)
und ein bürgerliches Gut (1612/13 Siebenmeier
Magelsen), jeweils mit ihren Längsdielenhäusern.
Exkurs: „Haus Rüschhaus" bei Münster
und das „herrschaftliche Hallenhaus"
Erneut wurden bei der hier dokumentierten Tagung
mehr oder weniger unausgesprochen die „Hallen-
häuser" als ein angebliches verbindendes Element der
Lebensformen verschiedener Sozialgruppen in den
Blick genommen. Hierbei stand allerdings weniger der
Wirtschaftsbereich dieser Bauten im Zentrum des
Interesses, sondern das, was sich dort darüber hinaus
an Räumen und Funktionsbereichen findet. Immer
wieder wird in der Literatur darauf hingewiesen, und
auch auf dieser Tagung war wieder zu hören, dass das
Hallenhaus eine prägende, über alle Sozialschichten
hinweg genutzte Bauform gewesen sei. Diese Haus-
form sei daher eines der Elemente, an dem sich die
11
12
Einleitung
ehemals schichtenübergreifenden Lebensformen aufzeigen ließen. Diese These wird insbesondere gern mit
Aussagen belegt, dass im Spätmittelalter selbst der
niedere Adel (noch) in solchen Bauten gelebt habe
und darüber hinaus Hallenhäuser noch bis in das 18.
Jahrhundert auch von „der Beamtenschicht'' genutzt
worden seien. Schon 1912 hatte Werner Lindner
„nichtbäuerliche Hallenhäuser" erkannt und für diese
den Begriff des „gesteigerten Bauernhauses" gebraucht.’1 Bei erster Beobachtung baulicher Erschei-
benden Person, die man dort zu den führenden
Schichten zählte. Das Gut wurde von ihm verpachtet,
wobei der Pächter in „seinem" Bauernhaus eine nur
nungen scheinen diese Thesen auch naheliegend und
temporär genutzte Sommerwohnung für den
Vorstellungen die historischen Zustände ausreichend
erklären oder ob sie nicht eher den Blick auf die komplexe Wirklichkeit verstellen. Diese seit Langem kontrovers diskutierte Fragestellung mit weiteren Quellen
und Grundlagen weiter zu präzisieren und zu verfolgen, war wesentliches Anliegen der Tagung.
schichtlicher, kunstgeschichtlicher und hauskundlicher Forschung auf den Punkt zu bringen, denn bei
den Argumentationen der vielfachen, seit über 100
Jahren zu diesem .Baukomplex vorgelegten Betrachtungen und Untersuchungen wurde an entscheiden-
richtig. Dennoch sind nach wie vor Zweifel angebracht, ob die im Detail sehr verallgemeinernden
Eine in diesem Zusammenhang seit nunmehr 100
Jahren immer wieder gern bemühte Inkunabel für das
Thema des herrschaftlichen Hallenhauses ist das
Hauptgebäude auf dem Gräftenhof „Haus Rüsch-
(r
haus" nahe von Münster, in den Jahren 1745-1748
für den „Architekten" Johann Conrad Schlaun (16951773) nach seinen eigenen Planungen erneuert und
durch ihn als eigene Besitzung genutzt. Vor dem
Hintergrund der Ergebnisse der im Folgenden dokumentierten Beiträge handelt es sich bei Haus Rüschhaus um ein Landgut im Besitz einer in der Stadt le-
Verpächter vorhielt.
Dieses allseits bekannte Beispiel ist daher bestens dazu geeignet, ein bis heute alltägliches Problem bauge-
den Punkten der damit umrissenen Betrachtungsebe-
nen stets unscharf und damit letztlich mit weit über
das Ziel reichenden Folgen argumentiert: Von einem
Forscher geäußerte Vermutungen werden später von
anderen als gegeben und bewiesen akzeptiert und
nicht mehr ausreichend kritisch überprüft. Durch wiederholtes Zitieren wird Vermutetes allmählich zur
Gewissheit, sodass das entsprechende Objekt später
für viele und zum Teil auch gegensätzliche Argumentationen herhalten muss.
Haus Rüschhaus wurde wohl erstmals 1897 als historisches Gebäude beschrieben. Hierbei reichte aller-
dings noch die Charakterisierung, dass es sich um
einen Ziegelrohbau von 1745 handele und dort die
Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff gelebt
habe.12 1900 wurde anhand dieses Gebäudes erstmals darauf hingewiesen, dass auch Herrenhäuser
dem „Stile des ländlichen Wohnhauses" gefolgt
seien. Schlaun „errichtete den jetzigen Bau, wobei er
sich die Aufgabe stellte, die Form des altwestfälischen
Bauernhauses [siel] beizubehalten und dabei doch
einerseits den Renaissancestil zur Anwendung zu
bringen, andererseits genügende Wohnräume für
Auf der Schlossanlage Sondermühlen bei Melle (Lkr. Osna-
brück) wurde 1576 (d) an der Innenseite der massiven Um-
fassungsmauer im Auftrag von Hermann von Nehem und
seiner Frau Margarethe von Vincke - der Erbin des Besitzes -
ein großformatiger Längsdielenbau mit unterkellertem
Kammerfach errichtet. Die ursprüngliche Nutzung des Ge-
bäudes ist ungeklärt, zumal der Wohnsitz der Bauherrenschaft nicht bekannt ist. Bislang wurde das Gebäude vielfach
als Beleg gewertet, dass Herrenhäuser noch im 16. Jahrhundert den großen Bauernhäusern glichen. Die Gestalt lässt
allerdings nach heutiger Kenntnis eher vermuten, dass es der
Wohnsitz eines Pächters oder eines Rentmeisters gewesen
ist. (Fotos Volker Gläntzer 2012).
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
einen herrschaftlichen Haushalt zu schaffen".13 Diese
Aussage übernahm 1906 Wilhelm Peßler.14 1909
schloss Heinrich Hartmann im Zuge der „Wiederentdeckung" der heimischen Barockarchitektur seine Dis-
sertation ab, die sich erstmals mit dem Werk von
Johann Conrad Schlaun beschäftigte und 1910 in
erweiterter Form publiziert wurde.15 Haus Rüschhaus
wurde hierbei mit einem kürzeren Kapitel bedacht,
wobei er meinte, dass das Hauptgebäude und die
zwei Nebengebäude „mit dem Charakter des westfälischen Bauernhauses Schlaunsche Barockelemente"
vereinigen würden. Für ihn war die Anlage ein Zeugnis dafür, dass es Schlaun verstanden hatte, „sich in
seinen Bauten trefflich dem Charakter der Gegend
anzupassen."16 Die Nutzung der in seinen speziellen
funktionalen Elementen nicht weiter untersuchten
Hausform wird also vor allem als ein gestalterisches
Element verstanden. Hier schloss sich 1912 Werner
Lindner an, der als Erster das Haupthaus des Gutes
ausführlicher dokumentierte. Er bezeichnete es „allen
Feinden des Sachsenhauses zum Trotz als die schöpferische Tat eines Mannes" [d.h. des Architekten Johann
Conrad Schlaun], „der sich in ihm als ein Kind seiner
Zeit erwies und doch seine Ehrerbietung vor der Überlieferung bezeugte".17 Der von ihm eingenommene
Blick auf die Anlage als Zeugnis traditionsbewussten
Handelns und einer eigenwilligen Entscheidung einer
Persönlichkeit wurde fortan prägend und nicht mehr
infrage gestellt. Hierauf aufbauend setzte sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte allgemein die Vorstellung
durch, dass es sich bei Haus Rüschhaus um ein „ganz
ungewöhnliches und ganz persönliches"18, zudem
künstlerisch eigenständiges Beispiel eines Landhauses
handeln würde. Noch jüngst ist diese These auch von
der Hausforschung zur Grundlage allgemeinerer
Überlegungen gemacht worden.19
Schon 1936 meinte man fern der Kenntnis über die
Umstände, die zur Errichtung des Hauses geführt hat-
ten, es zusammenfassend als „eine in Deutschland
einzigartige Erscheinung" werten zu können.20Später
folgende Wertungen und Bewertungen waren noch
freier: So wurde behauptet, es sei ein ikonografisches
Ziel des Bauherren gewesen, „ein deftiges Bauernhaus" zu schaffen21 oder es wäre dem Bauherren
Schlaun darum gegangen, „in der schlichten Würde
des Rüschhauses" noch einen Hauch seines Elternhauses wach werden zu lassen.22 Ferner wurde in Ver-
kennung der Traditionen münsterscher Landhäuser
proklamiert: „Haus Rüschhaus ist der wohl außergewöhnlichste Bauernhof der Barockzeit."23 Der archi-
tektonischen Formengeschichte verhaftet ist es aber
auch, Haus Rüschhaus als sich „rustikal gebenden
Sproß der palladianischen" Villa zu sehen und zu meinen, sich im 18. Jahrhundert als Angehöriger höherer
gesellschaftlicher Kreise ein Bauernhaus zu errichten,
falle „aus allen Gewohnheiten völlig heraus."24
Ebenfalls schlicht eine Fehldeutung des Objektes ist
die Meinung, die sorgfältigen Architekturgestaltungen von Schlaun „nobilitieren den Bauernhof, ohne
dass die Grenzen der Schicklichkeit zu einer adeligen
,maison de plaisance' überschritten würden [...]. „Die
Tradition des seit Jahrhunderten existierenden Gräf-
tenhofes fortzuführen, aber sicher auch die Erinnerung an das Bauernhaus seiner Eltern, waren Motive
für diese Wohnform, die Schlaun jedoch auf der
Gartenseite mit der Bequemlichkeit französischer
Wohnkultur verbindet."25 Zuletzt wurde das Haus
1995 in Zusammenfassung der bisherigen Forschung
als „eigenwillig von der für das 18. Jahrhundert typischen Form eines Landhauses" abweichend beschrieben.26 Zwar sei vermutet worden, Schlaun habe diese
architektonische Form als Sentiment gegenüber seiner
Herkunft oder aus Verbindung mit den Bauern gewählt. Dies sei aber ebenso wie die typologische
Verbindung mit dem sogenannten Bauhaus abzulehnen, einer angeblichen Sonderform des Bauernhauses, die vom niederen landständischen Adel entwickelt worden sei. Vielmehr sei Hansmann zu folgen,
der im Rüschhaus „einen sich rustikal gebenden
Sproß der palladianen Villa" sehe und versucht habe,
den Entwurf von Schlaun von der 1570 errichteten
Villa Barbaro in Maser abzuleiten.27
In der Raumstruktur und der äußeren Gestaltung von
Haus Rüschhaus konnten die Interpreten offensicht-
lich weder lokale Traditionen noch heimische Vorbilder sehen. In eklatanter Weise wird damit deutlich,
wie weit sich die architektonische, von der Kunstgeschichte dominierte Forschung sowohl von Untersuchungen entfernt hatte, die sich mit historischen
Zusammenhängen in der Region und ihrer Wirt-
schaftsgeschichte beschäftigten, aber auch von solchen, die sich der Bauforschung oder der volkskundlichen Hausforschung widmeten. Nur so konnten über
Jahrzehnte teils atemberaubende, über weite Räume
hinweg und mit großen Zeitsprüngen behaftete Thesen entwickelt werden, während man es versäumte,
sich eingehender mit den regional- und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen der Anlage zu
beschäftigen. Dies erscheint umso sträflicher, als hierzu durchaus schon Teiluntersuchungen vorgelegt worden waren, die allerdings anderen Fachbereichen ver-
bunden und daher offenbar in diesem Zusammen-
hang unbeachtet geblieben waren.
Vor dem Hintergrund der in den verschiedenen Aufsätzen ausgeführten Kenntnisse zu ländlichen, verpachteten oder in Eigenwirtschaft betriebenen, aber
in der Hand von in der Stadt Lebenden befindlichen
Gütern erscheinen die vorgestellten Thesen zur architekturgeschichtlichen Bedeutung von Haus Rüschhaus
fragwürdig. Es ist gerade nicht erstaunlich, dass Haus
Rüschhaus die Gestalt eines Bauernhofes erhielt, da
es ja ein vollwertiger „Bauern"-Hof sein sollte und
von einem Bauern (als Pächter) bewirtschaftet wurde.
Zwar ist die Bedeutung des Gutes in seiner doppelten
13
14
Einleitung
Bedeutung als landwirtschaftlicher Betrieb wie als
Sommersitz der Besitzer schon seit Langem wahrgenommen und auch immer wieder angesprochen wor-
den, doch wurde es trotzdem stets vor allem unter
formalen und architekturgeschichtlichen Perspektiven
(etwa als Beispiel einer „Villa") diskutiert. Die spezielle Aufgabe und die damit zusammenhängende komplexe Nutzung eines solchen Gutes und seiner Bauten
durch den Besitzer und damit auch das Verhältnis zwi-
schen dem Verpächter und dem Pächter blieb in der
Diskussion hingegen weitgehend unberücksichtigt.
Nur so konnte das Haupthaus von Haus Rüschhaus zu
einem Wohngebäude der „Beamtenaristokratie" oder
J. C. Schlaun sogar zu einem Bauherrn bürgerlicher
Herkunft werden.28 Letzteres ist nach seit Langem
publizierter Forschung faktisch falsch, da er gerade
nicht dem Bürgertum, sondern einem speziellen
sozialen Milieu entstammte, das zwischen ländlichen
Amtmännern und bäuerlicher Oberschicht angesiedelt war. Er entstammte damit gerade der sozialen
Gruppe, die in der Bewirtschaftung von größeren
Pachtgütern erfahren war.29
Warum wurde hier so ausführlich auf die Forschungs-
geschichte und die Interpretationsebenen dieses allseits für bekannt gehaltenen und in seiner Ikonografie
als entschlüsselt geltenden Objektes eingegangen? Es
geht nicht darum, die unbestreitbar vorhandene Einzigartigkeit von Haus Rüschhaus infrage zu stellen.
Aber vieles, was die Architektur- und Kunstgeschichte
für Haus Rüschhaus herausgearbeitet hat, erweist sich
vor dem Hintergrund der im Folgenden dokumentier-
ten Entwicklungen und noch immer erhaltener Vergleichsbauten als weit über das Ziel hinausgegangen.
Die Beiträge des vorgelegten Bandes eröffnen viel-
mehr neue Wege, um die Bedeutung von Haus Rüschhaus noch deutlicher zu erkennen und herauszuarbei-
ten. Es geht auch nicht darum, sich von den vielfältigen vorgelegten, teils auch originellen, Deutungen zu
distanzieren oder deren Autoren zu diskreditieren.
Vielmehr sollte verdeutlicht werden, dass die vielfältigen Deutungen des Gutes vor einem nur für allge-
mein gültig und auch für ausreichend gehaltenen
Erfahrungshintergrund geschahen. Kenntnisse der
regionalen Traditionen, in denen das Projekt des Bauherren stand, wurden hierbei allerdings weder gefordert noch erarbeitet.
Bei aller Besonderheit im Reichtum seiner Gestaltung
steht der von J. C. Schlaun entwickelte Neubau von
Haus Rüschhaus völlig in einer seit Jahrhunderten
nicht nur im Umkreis der Stadt Münster geübten
Tradition. Vergleichbare Objekte sind nicht nur schon
wesentlich früher in einem jeweils der damaligen Zeit
Das Haupthaus auf dem Gräftenhof Haus Wallbaum bei Senden-Ottmarsbocholt (Kr. Coesfeld) südwestlich von Münster ist
seit Langem der Forschung bekannt als ein Längsdielenhaus herrschaftlichen Zuschnitts, das sich in Hand einer in der Stadt
lebenden Kaufmannsfamilie befand. Das wohl um 1600 errichtete Gebäude ist nicht mehr erhalten, allerdings durch eine
rekonstruierende Zeichnung aus der Zeit um 1950 von Gerhard Eitzen überliefert. Danach dürfte es sich um ein Pächterwohnhaus mit integrierter herrschaftlicher Sommerwohnung gehandelt haben (nach Josef Schepers, Haus und Hof westfäli-
scher Bauern. Münster 1960, Abb. 31).
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
entsprechendem Geschmack errichtet worden, son-
dern auch noch wesentlich später. Das Besondere von
Haus Rüschhaus ist daher weder' die Entscheidung,
das Landgut mit Sommerwohnung als Gräftenhof zu
gestalten, noch das Konzept, das Hauptgebäude des
landwirtschaftlichen Betriebes als ein Längsdielenhaus
(als „Bauernhaus" bzw. als „Hallenhaus") auszuführen, sondern die Konsequenz, mit der diese höchst
traditionellen, allseits bekannten und geübten Formen in eine „moderne" oder „zeitgenössische" Gestaltung gebracht und mit der damit das überlieferte
Konzept zeitgemäß interpretiert wurde. Damit bleibt
die Frage, ob die Wahl für diese - schon zuvor auf
dem Gut bestehende - Architekturform nicht auch
auf eine ständische Vorstellung von Angemessenheit
zurückgeht.
Haus Rüschhaus steht also durchaus exemplarisch für
das, was auch eine wesentliche Essenz der verschiede-
nen hier im Folgenden dokumentierten Studien ist.
Diese Untersuchungen decken große Teile des weiten
Kulturraumes ab, der heute abstrakt als „Nordwestdeutschland" als Teil von Niederdeutschland bezeichnet wird. Er wird allzu oft nicht in seiner Gesamtheit
betrachtet, da er sich über die heutigen Bundesländer
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen erstreckt.
Eigentümer, Besitzer, Betreiber und Bewohner
Ein Ergebnis der Einzeluntersuchungen ist, dass es
wenig hilfreich ist, jeden Besitzer eines Gutes auch als
dessen Bewohner oder sogar als dessen Leiter zu
betrachten. In verschiedenen Beiträgen wurden auf
der Grundlage umfangreicher Quellenstudien tiefere
Einblicke in die oft komplexen familiengeschichtlichen
Zusammenhänge erarbeitet.30 Hierbei konnte verdeut-
licht werden, dass zur Ausstattung vieler Adelsfamilien mehrere Wohnungen gehörten. Wenig anders
verhielt es sich aber auch in den Familien der bürgerlichen Oberschicht und des Beamtentums. Mit stetig
neuen Gewichtungen (abhängig von den Zufälligkeiten unterworfenen demografischen Faktoren, wie
den geschlossenen Ehen und den daraus erwachsenen Kindern oder den erreichten Lebensaltern sowie
den zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen
Grundlagen) konnte diese Mehrzahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen als Haupt- und Nebenwohnung, Stadtwohnung, Sommerwohnung, Witwensitz oder als Wohnung für unverheiratete Mitglieder oder für einen anderen Zweig der Familie
genutzt werden. In diesem Spektrum kommt den
Landgütern ungeachtet ihrer meist großen ökonomischen Bedeutung für die Familie in der Regel eine
eher untergeordnete Bedeutung zu, da man sie zumeist nicht als Dauerwohnung wählte, sondern vor
allem als Sommerwohnung nutzte.
Besitzer und Nutzer der Güter
Ende des 18. Jahrhunderts gab es allein in Branden-
burg-Preußen etwa 700 staatliche Domänenämter,
die etwa 4,5 % der gesamten landwirtschaftlichen
Nutzflächen bewirtschafteten. Ihre Verteilung in den
einzelnen Ländern war allerdings sehr unterschiedlich:
Nur in Ostpreußen standen über 50 % der Bauern
unter königlicher Domänenherrschaft.31 Zur Bezahlung von Staatsschulden wurden in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts allerdings Teile der staatlichen
Domänen verkauft, sodass um 1850 die Zahl trotz der
umfangreichen Neuzugänge in einigen Provinzen aufgrund der Säkularisation auf insgesamt nur noch 849
Güter zurückgegangen war, die 1,2 % der gesamten
Nutzfläche bewirtschafteten. Die Eingliederung der
neuen Provinzen nach dem Krieg von 1866 brachte
dann allerdings noch einmal einen Zuwachs von 301
Gütern.32
Neben diesem großen Bestand an staatlichen Gütern
stand die noch weitaus größere Zahl von Gütern des
regionalen Adels, der kirchlichen Einrichtungen und
des Bürgertums. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund
der in den einzelnen Aufsätzen vorgestellten und darüber hinaus hier angesprochenen Beispiele zeichnet
sich damit ab, dass Umfang, Zahl und Bedeutung von
Gütern als einer landwirtschaftlichen Betriebsform für
Nordwestdeutschland bislang wohl unterschätzt
wurde. Für die Regionen, für die nun detailliertere
Studien vorliegen, wurde als Ergebnis nahezu regelhaft auf die erstaunlich hohe Zahl solcher landwirtschaftlichen Betriebe hingewiesen.33 Weiterhin wurde
festgestellt, dass sich die Zahl der Güter insbesondere
im Laufe des 16. Jahrhunderts stark vermehrt habe.34
Auch wenn bislang vielfach der Zeitpunkt nicht
bekannt ist, zu dem die einzelnen Güter angelegt
wurden, so können die im Folgenden vorgelegten
Untersuchungen doch belegen, dass es zu allen Zeiten
zur Neuanlage solcher Güter kam.35 Als Schwerpunkt
zeichnet sich auch in den folgenden Untersuchungen
das Jahrhundert zwischen 1550 und 1650 ab. Aufschlussreich sind die verschiedentlich angesprochenen
rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Vorgänge,
die zur Schaffung dieser Betriebe geführt haben,35
wobei sie insbesondere als Ausdruck einer Ökonomisierung der landwirtschaftlichen Produktion gesehen
werden können. So sprach schon Richarz 1971 in die-
sem Zusammenhang von „Adelskapitalisten".37
Ebenso wurden aber auch immer wieder solche Güter
aufgelöst, etwa wenn sich - wie bei Domänenbe-
trieben - die Vorstellungen über staatliche Ökonomie
änderten oder - wie bei Gütern in der Hand von
Bürgern -, da der Verkauf der zugehörigen Flächen
wegen ihrer besonderen Rechtsqualität als freier
Besitz jederzeit möglich war. So war es üblich, im Zu-
ge von Erbauseinandersetzungen die Ländereien
unter verschiedenen Erben aufzuteilen. In anderen
Fällen interessierten sich aus unterschiedlichen Gründen spätere Eigentümer nicht mehr für ihre Güter mit
ländlichen Sommerwohnungen, sodass man sie etwa
15
16
Einleitung
zu Ausflugsgasthäusern umnutzte oder aufteilte und
zu Bauernhöfen wandelte.38 Dennoch sind manche
dieser Landsitze noch bis in das 20. Jahrhundert in
ihrer traditionellen Weise weiter genutzt worden.39
Auch den Auswirkungen, die die Auflösung solcher
Betriebe für die Gutsanlagen und die einzelnen dort
stehenden Bauten, aber auch für die Ortschaften mit
sich brachten, wird verschiedentlich nachgegangen.40
Betreiber der Güter
Die Frage nach den Besitzern und Trägern dieser
Betriebe bildet nur den notwendigen Hintergrund für
die im Folgenden im Mittelpunkt stehenden bau-,
funktions- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen.
Auf allen Höfen größerer landwirtschaftlicher Betriebe
gab es neben den Hauptgebäuden und verschiedenen, speziellen Zwecken der Landwirtschaft dienenden Bauten (wie Scheunen, Ställen und Speichern)
regelmäßig Bedarf zur baulichen Unterbringung weiterer spezifischer Funktionen und Aufgabenbereiche.
Hier ist zunächst einmal an die Bedürfnisse der auf
dem Betrieb lebenden Menschen zu denken. Sie
gehörten unterschiedlichen Sozialgruppen an, hatten
verschiedene Aufgaben innerhalb des Betriebes und
unterschiedliche Lebensweisen. Zu ihrer Befriedigung
benötigte man teilweise eine größere Zahl sozial differenzierter Wohn- und Wirtschaftsbereiche. Die hier-
zu für notwendig gehaltenen Räume konnten je nach
regional bzw. sozial als verbindlich geltenden Traditionen und individueller Entwicklung der Anlage und
Größe des Betriebes, aber auch seiner speziellen wirtschaftlichen Ausrichtung - auch unabhängig von dem
Besitz am Boden oder bestehenden rechtlichen
1566 zu einem braunschweig-lüneburgischen Vor-
werk mit Sitz eines Amtsmannes. Diesem wurden seit
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert die umfangreichen Wirtschaftsbetriebe auf eigene Rechnung ver-
pachtet. Hierzu gehörte ein vielfältiger Gebäudebestand, wozu im 17. Jahrhundert neben dem herrschaftlichen Schloss und dem üblichen „Vorwerk" einem Zweiständer-Längsdielenhaus von 22 Fach mit
Wohnräumen für das Personal - auch weitere Längs-
dielenhäuser zur Lagerung von Erntegut und zur
Unterbringung von weiterem Vieh gehörte. Im Laufe
des 18. und 19. Jahrhunderts wurde zur Erhöhung
der Erträge der staatliche Gutsbetrieb ständig modernisiert, durch Erschließung weiterer Landflächen ausgebaut sowie der Baubestand weitgehend erneuert.
Ab 1859 wurde der Domänenbetrieb verpachtet und
1928 schließlich aufgelöst. Danach sind die Bauten
vielfältigen neuen Nutzungen zugeführt oder abgebrochen worden.
Rentmeister
Rentmeister, Amtmänner, Hofmeister und Conduktoren führten die Hof- und Wirtschaftsbetriebe der
Domänen, der adeligen Güter und die Landwirt-
schaften der Klöster auf eigene oder fremde Rech-
nung. Entsprechende Funktionsträger sind schon seit
dem Spätmittelalter bekannt.4' Sie mussten nicht nur
in der Lage sein, einen größeren landwirtschaftlichen
Betrieb mit Personal zu leiten, Entscheidungen über
Nutzung des Bodens oder die mögliche zu versorgende Menge und die Weiterzüchtung des Viehs zu treffen, sondern beschäftigten sich auch mit der Weiter-
verarbeitung der erwirtschafteten landwirtschaftli-
Aufgaben in den Mittelpunkt der Betrachtungen
chen Produkte. Schon seit der frühen Neuzeit gehörte zu den Gütern häufig der Betrieb einer Bierbrauerei
(hierzu im Folgenden viele Beispiele), die seit dem 17.
Jahrhundert dann zunehmend durch die Brennerei
von Branntwein ersetzt wurde.42 Entsprechend ver-
zugeordnet werden. Manche der hier im Laufe der
Käse bzw. Fleisch zu Wurst und Räucherwaren. Nach-
Strukturen - unterschiedlich kombiniert werden. Die
in Raum und Zeit zu beobachtende Vielfalt hierbei
gefundener baulicher Lösungen wird allerdings nur
dann deutlich, wenn ihre jeweiligen Funktionen bzw.
gestellt und den vorkommenden baulichen Lösungen
edelten Güter mit Viehhaltung Milch zu Butter und
Zeit regional, sozial und bautechnisch unterschiedlich
dem diese Personengruppe zunächst verschiedene
gefundenen Lösungen werden in den einzelnen
Beiträgen behandelt.
Exemplarisch gelang es Nils Kagel, die Geschichte des
„Amtsvorwerks" bzw. der Domäne Moisburg südlich
von Hamburg-Harburg als landwirtschaftlicher Großbetrieb in seinen unterschiedlichen Facetten zwischen
dem 14. und dem 20. Jahrhundert aufzuhellen. Es
war hier möglich, bauliche Entwicklung und Wandel
vor dem Hintergrund der Entstehung, immer wieder
geänderter besitzrechtlicher und wirtschaftlicher
Bedingungen bis zur Auflösung mit Nachnutzungen
zu verfolgen und die Wechselbeziehungen zwischen
Landwirtschaft, Wohnen und Verwaltungsgeschichte
aufzuzeigen: Zunächst meist in der Hand verschiedener Landes- oder Pfandherren bzw. von die Herrschaft
vertretenden Vögten bewohnt, wurde Moisburg nach
Bezeichnungen trug (insbesondere Hofmeister, Schreiber oder Fruchtschreiber), setzte sich im 18. Jahrhun-
dert hierfür allgemein der schon kurz nach 1500
nachweisbare Titel Rentmeister durch43 (bei anderem
Arbeitsschwerpunkt teilweise aber auch Förster).44
Neuere Studien zur Verwaltungselite in den nordwestdeutschen Territorien legen es nahe, dass diese in aller
Regel nicht adeligen Personen zumindest eine juristische Grundausbildung aufwiesen bzw. Familien ent-
stammten, die über lange Zeit auch Richter oder
Rechtsanwälte stellten, also zur unteren Verwaltungselite gehörten.45 Allein das Fürstbistum Münster be-
schäftigte zwölf bürgerliche Amtsrentmeister, die
jeweils ihrem adeligen Amtsdrosten zuarbeiteten.46
Sie machten etwa 8 % aller Beschäftigten in der weltlichen Verwaltung des Bistums aus.47
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
Zwischen verschiedenen Ausprägungen des Berufs-
bildes ist zu unterscheiden: Zum einen gab es die
Rentmeister, die größere Eigent'umskomplexe (wie
landesherrliche Ämter) verwalteten,48 zum anderen
aber auch solche, die nur einem einzelnen größeren
landwirtschaftlichen Betrieb vorstanden.49 Ebenso wie
in den landesherrlichen Verwaltungen konnte es bei
größeren Adelsbesitzungen auch zu komplexeren Verwaltungsstrukturen kommen: Einem Oberrentmeister
Adeligen und Bürgern das Amt des Rentmeisters auch
von einem in der Nähe wohnenden Geistlichen (insbesondere Vikaren) bzw. fast regelmäßig von dem - falls
vorhandenen - Hausgeistlichen übernommen, da diese ebenfalls zu dem Kreis studierter Personen auf dem
Land gehörten.53 Zudem mussten Rentmeister ebenso
wie Pächter in der Regel auch eigenes Vermögen
nachweisen und vor Vertragsbeginn eine Kaution zur
Verfügung stellen, damit die Verpächter darauf bei
konnten hier auch mehrere örtliche Rentmeister
unterstellt sein.50 War dem Rentmeister auch die
Verwaltung der grundherrlichen Einkünfte übertra-
Veruntreuung der verwalteten Einnahmen zurückgreifen konnten.54
hend geschlossener Kreis speziell durch Erfahrung
gebildeter Männer und damit ein besonderer Berufsstand erkennbar wird. Nur zu wenigen dieser offen-
nicht auf dem Gut oder Hof - Lebenden erworben
gen, trug er in der Regel die Bezeichnung Amtmann.5'
In den Quellen tauchen bei den Rentmeistern häufig
die gleichen Familiennamen auf, sodass ein weitge-
sichtlich mit speziellen Kenntnissen versehenen Rentmeister-Dynastien liegen bislang familiengeschichtliche Untersuchungen vor.52 Nicht selten wurde bei den
kleineren (nicht staatlichen) Gütern in der Hand von
Pächter
Landwirtschaftliche Güter und freie Höfe wurden in
der Regel von nicht auf dem Lande - zumindest aber
und von diesen Eigentümern zur Bewirtschaftung verpachtet. Als weitere Gruppe der Betreiber sind daher
die Pächter zu nennen, die landwirtschaftliche Betriebe anpachteten und auf eigenes wirtschaftliches
Risiko betrieben.55 Während diese Wirtschaftsform bei
den Gütern in städtischem Besitz schon während des
Haus Engelrading bei Borken (Kr. Borken) war ein umfangreicher adeliger Besitz, der allerdings durch Erbschaft schon seit
1638 nicht mehr von einer Herrschaft bewohnt, sondern verpachtet wurde. Nachdem durch ausbleibende Bauunterhaltung
das alte Schloss um 1700 schließlich für den Pächter unbewohnbar geworden war, errichteten die Herren von Landsberg-
Velen für einen neuen Pächter auf der Vorburg 1704-1707 ein Pächterwohnhaus. Es ist zwar nur ein eingeschossiger
Fachwerkbau, doch unterscheidet er sich durch das Vollwalmdach und das Fehlen von Räumen für die Landwirtschaft deut-
lich von einem bäuerlichen Haus und entspricht damit dem Anspruch eines kleinen landwirtschaftlichen Unternehmers. Die
zentrale Bedeutung des Hauses wird durch den aufgesetzten Glockenturm unterstrichen, mit dem die Arbeitszeiten signalisiert werden konnten. (Foto Fred Kaspar 2011).
17
18
Einleitung
Das Gutshaus in Blankenau bei Beverungen (Kr. Höxter). Nachdem die Fürstabtei Corvey ihr Vorwerk und Amt Blankenau aus
über 200 Jahre währender Pfandschaft hatte lösen können, wurde dieser Besitzkomplex ab 1703 als Gutsbetrieb verpachtet.
Für die neue Einrichtung ließ man 1707 bis 1710 ein neues Gutshaus herrschaftlichen Zuschnitts errichten. Es erhielt mit einer
Grundfläche von 15 x 45 m enorme Abmessungen, da das Gebäude vielen unterschiedlichen Zwecken dienen sollte: Während
im Westen (rechts auf dem Bild) als „Conductorenhaus" eine Wohnung mit Wirtschaftsbereich für den Gutspächter geschaf-
fen wurde, ist der östliche Teil als „Amtshaus" im Untergeschoss als Kornbrennerei und Bierbrauerei und darüber mit
Verwaltungsräumen und einer herrschaftlichen Wohnung eingerichtet worden, die dem Abt des Klosters als Sommerwohnung zur Verfügung stand. Über dem gesamten Gebäude entstanden zudem ausgedehnte Lagermöglichkeiten für Getreide.
(Foto Fred Kaspar 2011)
Spätmittelalters üblich war, wuchs die Zahl der landwirtschaftlichen Pächter insbesondere seit dem 17.
Jahrhundert ständig an (von durch Umwandlung von
bislang durch Rentmeister geführten Eigenbetriebe zu
Pachtbetrieben). Auch die Pächter rekrutierten sich
Gruppe der Pächter: Schon im Jahre seines Regierungsbeginns 1713 ließ König Friedrich Wilhelm I.
(1688-1740) alle königlichen Domänen und Forsten in
Familien.56 Gerade die seit dem 17. Jahrhundert zumeist als Conduktoren bezeichneten Pächter konnten
nur auf der Grundlage eigener Kapitalien handeln, da
sie bei Pachtantritt in der Regel große Kautionen zu
leisten hatten. Darüber hinaus fiel oft auch die jährlich
für den Betrieb an den Verpächter zu leistende Pacht
an, bevor die Ernte, das aufgezogene Vieh oder ande-
Generalpacht auch für die staatlichen Domänen der
westlichen preußischen Provinzen Nordwestdeutschlands (Minden-Ravensberg, Kleve und Mark) eingeführt.58 Fortan wurden die Ämter mit ihrer Verwaltung
der grundherrlichen Einkünfte zusammen mit den
Domänen und den dort eingesetzten Dienstpflichten
Missernten waren für sie ein weiteres wirtschaftliches
Risiko. Gerade Mitglieder dieser Gruppe erwiesen sich
te wie auch der Organisation und den wirtschaftli-
aus einer kleinen Gruppe hierauf spezialisierter
re Erträge zu Geld gemacht werden konnten.
aber als ein wesentlicher Motor für die Modernisierung der Landwirtschaft im Laufe des 18. und 19.
Jahrhunderts.57
Zunahme der Pachtbetriebe in der Neuzeit
Im Zuge der Ausbildung merkantilistischer Vorstellun-
gen setzte Preußen besonders konsequent auf die
den preußischen Landen zum unveräußerlichen
Staatseigentum zusammenfassen und führte 1717
deren „Generalverpachtung" ein. 1722 wurde die
verpachtet. Damit war der Staat sowohl von der
Verwaltung der grundherrlichen Rechte und Einkünf-
chen Risiken der landwirtschaftlichen Betriebe entlastet und konnte fortan mit festen Einnahmen kalkulieren. Für die Pächter war wirtschaftlich insbesondere
die Nutzung der von der Bevölkerung zu leistenden
Dienste interessant, da damit die Domänengüter ge-
winnbringend bewirtschaftet werden konnten.
„Generalpächter" konnten nur Bürgerliche werden,
während der Adel davon ausgeschlossen war. Gene-
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
ralpächter konnten allerdings Teile der angepachteten
großen Güterkomplexe als „Vorwerke" auch an
Afterpächter vergeben.59
Auch wenn die Entwicklung in den zahlreichen anderen Territorien jeweils differenziert verlief, entsprach
dieser preußische Weg allgemeinen Tendenzen: Ab
1721 ließ auch der Fürstbischof von Paderborn alle
seine zu den „Tafelländereien" gehörenden Ökonomien öffentlich verpachten. Hierbei handelte es sich
um mehr als 15 Domänen und Vorwerke.60 Auch in
der Grafschaft Lippe wurden seit dem 18. Jahrhun-
dert zunehmend die landesherrlichen „Meiereien"
verpachtet.6'
Im Kurfürstentum Hannover entwickelte sich auf-
grund regionalspezifischer Bedingungen seit dem 17.
Jahrhundert ein eigenes Staatspatriziat. Diese neue
sich aus dem Bürgertum rekrutierende und neben
dem sich weitgehend abgrenzenden Adel bestehende
Schicht sicherte die Zukunft ihrer Familien durch den
Erwerb von Grund und Boden, der fortan durch
Pächter, seit dem 18. Jahrhundert aber auch - als
gegenläufige Entwicklung - wieder unter der Leitung
von Rentmeistern selber bewirtschaftet wurde. Da-
neben wurden von ihnen die zahlreichen landesherrlichen/staatlichen Domänen zur Pacht übernommen.62
Trotz jeweils anderer gesellschaftlicher und rechtlicher
Grundlagen verliefen in anderen deutschen Land-
schaften die Entwicklungen vergleichbar.63 So übernahmen etwa auch in Kursachsen im Laufe des 18.
Jahrhunderts zunehmend Bürgerliche die großen
landwirtschaftlichen Betriebe der Rittergüter.64 Staatliche Beamte, aber auch Studierte und Kaufleute wur-
den zur größten Gruppe von Ankäufern landwirt-
schaftlicher Betriebe aus der Hand der Landesherrschaft und des Adels.65
Von Generalpächtern oder Amtspächtern sind diejenigen Pächter zu unterscheiden, denen nicht die grund-
herrlichen Einnahmen übertragen wurden, oft allerdings die von der Bevölkerung zu leistenden Dienste.
In dieser Weise wurden kleinere adelige Güter, Höfe
und klösterliche Besitzungen verpachtet, nachdem
auch ihre Eigentümer und Besitzer seit dem späten
17. Jahrhundert allmählich die Eigenbewirtschaftung
aufgaben. Der damit verbundene wirtschaftliche und
soziale Aufstieg der Berufsgruppe der (Zeit-)Pächter in
Nordwestdeutschland in der Neuzeit soll anhand eini-
Werner Adolf Freiherr von Spiegel (1754 Seggerde-1828 Helmstedt) lebte auf seinem Gutsbetrieb Seggerde bei Oebisfelde
(Kr. Börde) und in seinem Kurienhaus in Hildesheim, verfügte über einen umfangreichen Grundbesitz, der sich über viele
Gutsbetriebe zwischen der Magdeburger Börde und dem Sauerland verteilte. Er versuchte durch Neuordnung der Verwaltung,
Ausbau der Gutsbetriebe und neue Pachtverträge die Erträge aus seinen Besitzungen zu steigern. In diesem Zusammenhang
ließ er nach 1810 auch die weitgehend verfallenen Bauten auf dem Gut Burg Bühne bei Borgentreich (Kr. Höxter) erneuern.
1820 bis 1824 wurden alle Bauten des Gutsbetriebes um einen rechteckigen weiten Hofplatz neu errichtet. Vor dem Kopf
dieses Platzes entstand hierbei - die Zufahrt flankierend - nördlich ein großformatiges Pächterwohnhaus herrschaftlichen
Zuschnitts und südlich der Zufahrt in der gleichen Gestalt ein sogenanntes Fruchthaus (2013 nach Einsturz abgebrochen).
Neben Wächterwohnung und Brauerei sowie Gesindestube nahm es vor allem Lagerböden auf. Am linken Bildrand ist die
zur gleichen Zeit errichtete große Bansenscheune zu sehen. (Foto Christoph Heuter 2010).
19
20
Einleitung
ger Beispiele beleuchtet werden: Das aus einem Gut
und einer Verwaltung grundherrlicher Einkünfte bestehende „Amt Blankenau" bei Beverungen an der
Weser (Kr. Höxter) ließ der Corveyer Abt ab 1703 als
Conduktion verpachten.66 Als Pächter wurde nicht nur
eine in der Führung des großen Betriebes befähigte
und für die wirtschaftliche Grundlage des Klosters
entscheidenden Pachtgüter während des 18. Jahrhunderts entspricht allgemeinen wirtschaftlichen
Entwicklungen dieser Zeit in der Region. Voraussetzung hierfür war die Lösung der Ländereien aus
auch über ein umfangreiches Eigenkapital verfügen.67
Der Pächter hatte - wie später auch seine Nachfolger
Entwicklung beförderten alle, die Zugriff auf den
Vertrauensperson benötigt, sondern diese musste
- bei der Übernahme nicht nur eine Kaution zu stellen, sondern musste nahezu das gesamte in dem
Amtshof vorhandene bewegliche Inventar übernehmen und bezahlen. Erster Pächter wurde Ferdinand
Henrich Mertens, bisher kaiserlicher Postmeister zu
Höxter.58 Er erhielt für seinen Wirtschaftsbetrieb wie
üblich das Recht, umfangreiche Hand- und Spanndienste zu nutzen69 und zur Verbesserung seiner
Einkünfte darüber hinaus das Recht der Branntweinbrennerei und des Bierbrauens. Hiermit verbunden
war auch das Monopol zum Handel mit diesen
Produkten und zur Betreibung von Krügen in mehreren Dörfern. Allerdings erwies sich der erste Pächter
dem erkennbar umfangreichen Aufgabenspektrum
einer Conduktion nicht gewachsen. Er kam bald in
erheblichen Zahlungsrückstand und verließ Blankenau
noch vor Ende der Pachtzeit im Winter 1708/09. Erst
der nächste Pächter sollte wirtschaftlich erfolgreich
sein. Insbesondere die Weiterverarbeitung von Getreide wurde als Grundlage einer Ertragssteigerung
des Gutsbetriebes systematisch ausgebaut. Damit
konnte der wirtschaftliche Erfolg der Pachtung gesteigert werden, sodass in den nächsten Jahrzehnten
auch stetig die an Corvey abzuführende Pacht über
das Maß der Geldentwertung hinaus angehoben werden konnte: Betrug sie 1703 zunächst 450 Rthl. jährlich, so stieg sie bis 1760/69 auf 1400 Rthl. und 1796
dann bis auf 1650 Rthl. an. Die Einnahmen aus dem
verpachteten Gut und aus den Erträgen des Amtes
Blankenau bildeten im Haushalt der Abtei Corvey
einen wesentlichen Einnahmeposten.70 Schon im
Jahre 1720 zum Beispiel betrugen die Reineinnahmen
des Amtes 4038 Rthl., wobei nach Abzug aller Unkosten (insbesondere Löhne für die etwa 20 auf Blan-
kenau arbeitenden Personen) immerhin noch 3033
Rthl. nach Corvey überwiesen werden konnten.7' Das
Amt Blankenau hatte damit im 18. Jahrhundert eine
ähnliche Wirtschaftskraft wie die Ökonomie, die
unmittelbar dem Kloster Corvey angeschlossen war.72
Die ebenfalls zur Abtei Corvey gehörende Thonenburg nördlich von Höxter hatte man nach Lösung aus
der Pfandschaft schon ab 1679 verpachtet. Die Pacht-
summe, die die bürgerlichen Pächter zu entrichten
hatten,73 betrug ab 1679 während des ganzen 18.
Jahrhunderts jährlich 500 Rthl. und wurde danach auf
1300 Rthl. erhöht.74
Der hier beispielhaft dargestellte Ausbau von Corveyer Besitzungen und Vorwerken zu ertragreichen
Pfandschaften oder Lehen, um sie dann gegen feste
Einkommen als Gutsbetriebe zu verpachten. Diese
Besitz von Grund und Boden hatten. Hierbei entstanden in vielen der Dörfer des Wesertales zwischen dem
16. und 18. Jahrhundert vielfach neue, aber zumindest vergrößerte Gutsanlagen. Sie ersetzten kleinere
in Eigenwirtschaft betriebene Adelssitze und eingezo-
gene Höfe. Nicht nur das Bild der bewirtschafteten
Landflächen veränderte sich hierbei einschneidend,
sondern die Ortsbilder wurden durch Anlage großer
Wirtschaftshöfe mit ihren umfangreichen Wirtschaftsgebäuden und neuen Gutshäusern nachhaltig geprägt.
Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr
die Gruppe der zur Leitung größerer landwirtschaftlicher Betriebe geeigneten Rentmeister und Pächter
noch einmal eine erhebliche Stärkung ihrer Stellung
im Gefüge der landwirtschaftlichen Produktion: Im
späteren 18. Jahrhundert gingen in den katholischen
Regionen auch Klöster75 zunehmend dazu über, ihre
landwirtschaftlichen Betriebe nicht mehr in eigener
Regie (unter Leitung eines Rentmeisters) zu bewirtschaften, sondern gegen feste Pachtzahlungen an
landwirtschaftliche Unternehmer zu verpachten: Im
Zuge der Umwandlung der Abtei Corvey zum Domstift wurde ab 1796 auch die bislang dort bestehende
umfangreiche Klosterökonomie mit 900 Morgen
Acker- und. Gartenland verpachtet. In der Wahl des
Pächters wird deutlich, dass wegen der Größe des
Betriebes nur wenige „Unternehmer" infrage kamen
und daher diese auch aus fernen Landschaften stammen konnten. Als erste Pächter wurden der in Corvey
lebende Amtsrat Anton Rubach zusammen mit dem
Stifts-Hildesheimischen Amtsrat Heinrich Christoph
Kerl auf zwölf Jahre für 6400 Rthl. jährlich angenommen. 1806 kam es zu einer Neuverpachtung. Nachdem man den Betrieb zunächst interimsweise dem
Ökonom Plather aus Johannisberg im Rheingau übertragen hatte, trat 1807 der Kammerrat Barthels die
Pacht für 7995 Rthl. jährlich an.76 Die Ökonomie des
Klosters Gehrden bei Brakei (Kr. Höxter) wurde unter
der Regierung der seit 1797 neu eingesetzten Äbtissin
Maria Victoria von Burchard ab 1798 erstmals auf
zwölf Jahre für jährlich 1907 Rthl. verpachtet.77
Im frühen 19. Jahrhundert nahm durch die Säkularisation der meisten Klöster und Stifte die Zahl und die
Größe staatlicher Domänen in Westfalen schlagartig
zu (in anderen Territorien verliefen diese Entwicklungen aufgrund staatlicher und konfessioneller Bedingungen teilweise auch sehr anders). In der Regel wurden nun diese zu den ehemaligen Klöstern gehören-
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
den „Ökonomien" als staatliche Domänen sofort verpachtet. Da in Preußen der Adel von den Domänenpachtungen ausgeschlossen war,78 kamen insbeson-
dere Mitglieder der in der Führung eines solchen
Großbetriebes erfahrenen Familien zum Zuge.
Als Beispiel für die Entwicklung dieser neuen Güter
sollen die Klöster des ehemaligen Bistums Paderborn
vorgestellt werden, das 1802 an das Königreich
Preußen fiel. Im Frühjahr 1803 hatte man fast alle
Klöster aufgelöst und deren Einkünfte der neu eingerichteten Kriegs- und Domänenkammer in Münster
übertragen. Die neuen Behörden wählten die zukünf-
tigen Pächter der ehemaligen Klosterbetriebe mit
Bedacht aus. So führte etwa der Kriegs- und Domänenrat von Beughem 1803 bei der Ausschreibung des
Klosteramtes Dalheim aus: Die Pacht muß ein Mann
übernehmen, dessen umfassende ökonomische Einsicht im Lande bekannt ist, der Erfahrung mit Lokalkenntnis verbindet, ein Vermögen von 20-30000 Rthl
zu seiner Disposition hat und gleich beim Antritt des
Amtes mit einem veredelten Viehstand aufziehen
kann79 1815 schrieb Freiherr von Vincke, Präsident
der Provinz Westfalen, rückwirkend: Man hatte die
Absicht, das Amt Dalheim zum Muster einer verbesserten Landwirthschaft zu erheben und dadurch auf
diesen im Fürstenthum Paderborn noch so sehr vernachlässigten Zweig der Landes-Cultur vortheilhaft zu
wirken80
Schwierig war es, die benötigte Zahl geeigneter Pächter in der Region selber zu finden. Daher nahm man
vielfach Personen aus den östlich anschließenden
preußischen Provinzen.81 Ab 1804 verpachtete man
das Domänenamt Dalheim auf zwölf Jahre an den aus
dem Magdeburgischen stammenden Oberamtmann
Gottfried Nordmann82 für jährlich etwa 7000 Rthl.
Nordmann pachtete zusätzlich sogar noch in der
Nachbarschaft drei weitere Güter des Grafen von
Westfalen an.83 Der Staat verpflichtete sich hierbei, die
alten Klostergebäude für etwa 10000 Rthl. entsprechend den neuen Zwecken umzubauen sowie ein
neues Vorwerk zu errichten.84 Nachfolger wurde 1816
Simon Müller aus Lemgo, der hierbei neben vielem
Unmittelbar neben der neuen Gutsanlage Burg Bühne hatte Freiherr von Spiegel schon 1813/14 als Ersatz eines baufälligen
Hauses ein neues Wohnhaus für seinen Förster errichten lassen. Er vertrat den auf dem Gut Dalheim bei Warburg lebenden
Oberrentmeister im Namen des weit entfernt lebenden Gutsherren vor Ort. (Foto Fred Kaspar 2012).
21
22
Einleitung
anderen allein fast 3000 Morgen Ackerland, 146
Milchkühe sowie 2600 Schafe übernahm. Das „Klosteramt Hardehausen" wurde ab 1804 auf sechs Jahre
dem bisherigen Klosteradministrator Wahnschaffe85
als Generalpächter für eine Zahlung von 12365 Rthl.
übertragen.86 Er hatte zuvor als Hofkammerrat in
Peckelsheim zur Beamtenschaft des aufgelösten
Fürstbistums Paderborn gehört und sich auch schon
als Administrator des aufzulösenden Klosters Hardehausen beworben.87 Ihm folgte 1810 als Pächter Herr
von Ruxleben, der das Gut ab 1815 an einen sogenannten Afterpächter gab. Die Wirtschaft des aufge-
lösten Klosters Böddeken wurde ab 1804 auf vier
Jahre für jährlich 1783 Rthl. und einer Kaution von
2000 Rthl. an Herrn Gunst aus Paderborn verpachtet.
Der Staat ließ das Kloster auf seine Kosten von etwa
8500 Rthl. für die Zwecke der neuen Ökonomie umbauen. Gunst war Sohn des in Schloss Neuhaus täti-
gen Landvogtes Gunst und hatte zuvor in Zeitpacht
ein Gut der Familie von Metternich bewirtschaftet. Er
wurde von allen Seiten als ein solider, verständiger
und für die Aufgabe brauchbarer Mann beschrieben,
der sich in der Thaerschen Schule gebildet hat und mit
dem Geiste der neueren Erfahrungs-Ökonomiekunde
gruppe der Rentmeister, Pächter und Baumeister in
den Blick zu nehmen. Hierzu liegen allerdings bislang
kaum Untersuchungen vor.
Mit dem Ziel, auf diese Thematik hinzuweisen, seien
daher neben Beispielen aus den folgenden Einzeluntersuchungen auch weitere, dem Autor bekannt
gewordene Belege (insbesondere aus dem Münster-
land) aufgeführt - allerdings, ohne den Anspruch,
damit für Nordwestdeutschland allgemein Gültiges
erarbeitet zu haben: Zunächst waren Güter eher selten, die zwar in Eigenwirtschaft durch die nicht oder
nur zeitweilig anwesenden Inhaber betrieben wurden
und daher einen angestellten Rentmeister aufwiesen.
Üblich war zunächst eine direkte Leitung durch die
Besitzer unter Hilfe von Baumeistern. Seit der Neuzeit
stieg ihre Zahl als erste Stufe einer Professionalisierung der Betriebsführung aber stetig an, insbesondere weil es zur Konzentration solcher Betriebe inner-
halb der besitzenden Familien kam. Hierzu trugen
neben Verschuldung einzelner Familien und folgendem Verkauf ihrer Güter auch das durch die Heiratspolitik in geschlossenen Kreisen bedingte Aussterben
von Familien und der folgende Erbgang an Verwandte
bei.90 Die ererbten oder angekauften Güter dienten in
der Regel nicht mehr herrschaftlichen Haushalten.91
immer fortschreitet. 1809 erneuerte er die Pacht auf
zwölf Jahre unter der nunmehrigen französischen
Verwaltung für jährlich 1830 Thl.88 Das Klostergut
Marienmünster wurde 1804 an Herrn von Röder verpachtet, der zuvor als Administrator des Paderborner
Klosters Abdinghof tätig gewesen war. Nachdem ein
Teil der Ländereien verkauft worden war, erwarb von
Röder 1817 den übrigen Bestand (ohne die Forsten)
für 27 000 Thl. zu freiem Eigentum.89
terhin und bis heute ihre Bezeichnung „Haus X"
Bedeutung der landwirtschaftlichen Betriebe
für ihre Eigentümer
schon im 18. Jahrhundert kein Bedarf mehr für die
Schaffung eines neuen zeitgemäßen Herrenhauses.
lich, konnten in der Regel aber nicht beantwortet
hunderte und bis ins 20. Jahrhundert - unterhalten,
um sie bei Bedarf als Nebenwohnsitz (etwa für jüngere Geschwister der Herrschaft oder als Altenteil) oder
Die Aufgabe der Güter und der einzelnen dort errichteten Bauten ist allerdings nicht durch eine Analyse
der überlieferten Bauten selber zu erschließen. Die für
die Interpretation der Bauten als geschichtliche Quelle
zentralen Forschungsaufgaben werden zwar bei vielen der im Folgenden beschriebenen Beispiele deutwerden. Nicolaus Rügge weist daher in seinem einleitenden Beitrag zum ritterschaftlichen Adel im Hochstift Osnabrück auch darauf hin, dass bislang zu we-
nig auf die wirtschaftsgeschichtlichen Zusammen-
hänge geachtet worden ist. Ergänzt sei hier, dass bei
der Frage nach der Nutzung eines Gebäudes auch klarer zwischen Besitzer, Nutzer und Bewohner unterschieden werden muss. Um zu fundierteren Begründungen und tiefergehenden Interpretationen zu kommen, ist aber sicherlich noch nicht einmal eine Analyse des wirtschaftlichen Zwecks und der wirtschaftli-
chen Organisation des betreffenden Hofes ausreichend. Vielmehr ist im Falle der diskutierten „herrschaftlichen Hallenhäuser" insbesondere die Berufs-
Im 18. Jahrhundert dürfte im Münsterland schon
mehr als die Hälfte der ehemals adeligen Häuser diese
Entwicklung genommen haben, auch wenn sie wei-
behielten und als „Wasserschlösser" im Bewusstsein
blieben. Gerade der in dieser Landschaft noch immer
erhaltene reiche Bestand an älteren kleineren Herrenhäusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert dokumentiert diese Entwicklung deutlich: Auf vielen Sitzen war
Die vorhandenen Herrenhäuser (in der Regel zweigeschossige Steinbauten unter Satteldach mit einer oder
zwei Querwänden) verloren vielmehr ihre ursprüngliche Funktion, wurden aber vielfach noch über mehrere Generationen - teilweise sogar über mehrere Jahr-
auch als gelegentliche Unterkunft bei einer Durchreise
bzw. häufig auch zur Unterkunft bei Ausübung der
herrschaftlichen Jagdrechte92 (als „Jagdhaus")93 nutzen zu können. Vielfach wurden sie auch den nun die
Herrschaft vertretenden Rentmeistern oder später
auch diese ablösenden Pächtern der Gutswirtschaft
zur Bewohnung überlassen.94 Das große herrschaftliche Anwesen Haus Geist bei Oelde (Kr. Warendorf)
hatte Bertram von Loe (1542-161 1) ererbt, der allerdings mit seiner Frau auf einem anderen Besitz lebte
(zunächst auf Schloss Holte bei Dinslaken, ab 1585
auf Schloss Horst bei Gelsenkirchen) und daher nur
selten sein Haus Geist besuchte. Das dortige Gut
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
wurde daher schon 1578 von einem Rentmeister ver-
waltet. Er wurde auch als Droste bezeichnet und
scheint im leerstehenden Herrenhaus gelebt zu
haben. Mit ihm lebten dort sein Knecht, ein Herr
Jürgen, der Schreiber, der Kellner, der Hoppener (Bier-
Jahrhundert war dies der Lebensmittelpunkt, während man das Herrenhaus nur während der Sommermonate besuchte und die dortige Gutswirtschaft verpachtet hatte.103 Damit entsprachen dieser Lebenszyklus und die Wirtschaftsformen dem, was die übrigen
brauer), ein Küchenjunge, ein Pförtner, zwei Hausknechte, die Kammermagd, ein Student und ein Fin-
Wohlhabenden in den Städten schon seit Langem
Schulte (also der die Landwirtschaft leitende Baumeister), ein Futterknecht, ein Kuhhirt, ein Schweinehirt, ein behinderter Junge, die Wiersche (Köchin)
Das Längsdielenhaus als Leitmotiv
der Hausforschung?
Entsprechend der übergeordneten hauskundlichen
Fragestellungen steht im Mittelpunkt der meisten im
Folgenden vorgelegten Monografien über einzelne
delkind. Im Kohuise auf der Vorburg lebten der
und zwei Mägde.95
Vor diesem ständig weitergeführten Prozess der Kon-
zentration überlebte nur ein Teil der alten Herrenhäuser nach dem Verlust ihrer herrschaftlichen Bewohner die folgenden Jahrhunderte.96 Mancher der
Bauten blieb leerstehend erhalten oder wurde in
Teilen von Angestellten bewohnt. Dieses Schicksal traf
viele der noch heute erhaltenen älteren Bauten.97
Schon im 18. Jahrhundert waren manche der Herren-
häuser wegen ihres langen Leerstandes so baufällig,
dass sie einstürzten oder vor ihrem Einsturz abgebrochen und seitdem allein die der Wirtschaft dienende
Vorburg unterhalten wurden. Dort wohnte der Rentmeister oder Pächter nun in einem Teil des zumeist
älteren Bauhauses oder man errichtete ihm in manchen Fällen daneben ein einfaches neues Haus.98'
Unterstützt wurde dieser Prozess der Betriebskonzen-
tration auch durch die Tendenz insbesondere der
Adelsfamilien, größere Besitzkomplexe zu bilden und
diese seit dem 17. Jahrhundert in Familienstiftungen
(Fideikommisse) als unteilbaren Besitz rechtlich abzusichern.99 Im Ergebnis besaßen einzelne Adelsfamilien
im Münsterland im 18. Jahrhundert mehr als zehn sol-
cher Güter, jeweils mit herrschaftlichen Wohnmöglichkeiten, zu deren Bewirtschaftung-wenn nicht der
Weg der Verpachtung gewählt worden war - sie nun
auch mehrere Rentmeister beschäftigten.'00 Darüber
hinaus ließen die Familien zunehmend Kurienhäuser
insbesondere für ihre weiblichen unverheirateten Mitglieder innerhalb der Stiftsanlagen errichten.101 Das
Ideal von der Vorstellung eines adeligen Familienverbandes mit zahlreichen zugehörigen Bauten dokumentiert das Testament Heinrichs II. von Droste zu
Haus Hülshoff (1597-1666), in dem er die Versorgung
seiner insgesamt zwölf Kinder regelte. Danach wurde
sein ältester Sohn Universalerbe der gesamten Familiengüter, wobei er aber jeder seiner sieben unver-
heirateten Schwestern ein völlig eingerichtetes
Stiftshaus sowie 600 Rthl. garantieren musste und
diese alternativ auch das Recht erhielten, unentgelt-
lich auf dem Stammsitz der Familie mit einer Magd zu
leben. Auch die unverheirateten Brüder des Universal-
erben hatten Anspruch auf Bereitstellung eines
Stiftssitzes und Auszahlung von 2000 Rthl..102 Neben
dem ländlichen Herrenhaus als Stammsitz der Familie
unterhielt man auch ein Haus in der Stadt. Im 18.
vorgelebt hatten.
Betriebe mehr oder weniger ausgesprochen die Frage
nach der Bedeutung und Aufgabe der jeweils dort
vorhandenen „Hallenhäuser". Formenvielfalt und Entwicklung des Hallenhauses gehörten seit vielen Jahr-
zehnten zur zentralen Thematik der Haus- und
Bauforschung in Nord- und Westdeutschland.104 Eine
der in einem großen Teil der folgenden Untersuchungen angesprochenen Fragen dreht sich um das The-
ma, ob das Hallenhaus als Bauernhaus bezeichnet
werden muss bzw. welche Bedeutung diese Bauform
für andere Sozialgruppen gehabt hat: Gab es „adelige" oder „herrschaftliche" Hallenhäuser?
Es ist zur fachwissenschaftlichen Konvention geworden, mit dem Begriff des Hallenhauses nicht nur eine
Baustruktur (Gerüstbau als Zwei-, Drei- oder Vierständerbau) mit charakteristischer Raumstruktur (Längs-
diele) zu umschreiben, sondern dieses mit Wirt-
schafts- und Lebensformen zu verbinden, sodass der
Begriff'ohne klare Abgrenzungen auch eine funkti-
onsstrukturelle Bedeutungsebene aufweist.105 Insbesondere wird in der Regel eine enge Beziehung zwischen „Hallenhaus" und „Bauernhaus" gesehen, sodass von einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude ausgegangen wird.
Gemeinhin werden Längsdielenhäuser, an deren Wirtschaftsdiele sich eine Herdküche und Wohnräume (in
unterschiedlichen Formen) anschließen, als Hallenhaus bezeichnet und als Bauernhaus verstanden. Die
vorgelegten Beiträge weisen allerdings nach, dass
entsprechende Raumstrukturen mit ganz unterschiedlichen Funktions- und Sozialstrukturen gefüllt werden
konnten. Ist vor diesem Hintergrund ein (adeliges)
Bauhaus mit anschließendem Kammerfach (als Wohnbereich des Bauschulten oder des Rentmeisters) ein
Bauernhaus, nur weil dieses vergleichbare Raumstrukturen aufweist? Vergleichbare Raumstrukturen weist
aber auch ein Pächterwohnhaus mit Kammerfach auf,
das hier allerdings nicht dem Bauern, sondern dem
Aufenthalt der Verpächter dient und daher bestens
ausgestattet sein kann.
So lange die damit komplexe Definition des „Bautyps" Hallenhaus weder klar benannt noch in ihrer
Tragweite ausreichend geklärt ist, scheint es in dem
hier bestehenden baulichen Kontext angebracht,
23
24
Einleitung
stattdessen den neutraleren und „nur" bau- und
raumstrukturell gemeinten Begriff „Längsdielenhaus"
zu gebrauchen. Die Frage nach der Nutzung der
Raumstruktur der festgestellten verschiedenen Ausprägungen des Längsdielenhauses führt zwar zu differenzierteren Ergebnissen, ist allerdings vielfach nur
schwierig zu beantworten, denn hierzu sagen die
überlieferten Bauten selber in der Regel nur wenig.
Solche Studien sind nur unter der Bedingung guter
archivalischer Überlieferungen möglich und in der
Durchführung vielfach sehr aufwändig. So bleibt es
Je nach Fokussierung der Untersuchungen auf Konstruktion/Bautechnik oder auf Fragen zur Raumstruktur bzw. Sozialstruktur der Längsdielenhäuser ergeben sich abweichende Ergebnisse. Die folgenden Einzelbeiträge bringen viele Belege dafür, welch breites
Spektrum unterschiedlicher Lösungen im Längsdie-
bei Vermutungen aufgrund von Vergleichen oder oft
nur scheinbar lesbarer Indizien. Einem großen
Herdfeuer ist es allerdings nur schwerlich anzusehen,
ob es als Herdstelle eines Haushaltes, nur oder auch
als Braustelle bzw. nur oder auch als Herdstelle der
Leuteküche diente.
Auffallend ist die Vergleichbarkeit der Abmessungen
vieler der bislang nachweisbaren, als Pächterwohn-
häuser mit integrierter herrschaftlicher Wohnmöglichkeit errichteten Längsdielenhäuser. Regelmäßig
handelt es sich um Bauten mit einer Breite von über
14 m und einer Länge von mehr als 30 m, wobei diese
Bauten in ihren Maßen deutlich die Abmessungen der
meisten Haupthäuser überschreiten, wie sie sich auf
Bauernhöfen finden:
lenhaus zwischen Raumstrukturen und Funktions-
strukturen nachzuweisen sind. Sie könnten daher eine
bislang ausgebliebene, aber notwendige Diskussion
um den Gehalt des Begriffes „Hallenhaus" anregen.
Ehe der Frage nach der Ausgestaltung der Wohnbereiche in und an den Längsdielenhäusern weiter nach-
gegangen wird, sind einige Bemerkungen zu den
Wirtschaftsbereichen dieser Bauten notwendig, da
sich in ihnen die wirtschaftlichen Grundlagen der Güter spiegeln. Diese getrennte Betrachtung der beiden
prägenden Raum- und Funktionselemente eines
Wohn- und Wirtschaftsgebäudes in der Form eines
Längsdielenhauses ist nicht nur den methodisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten geschuldet, sondern
entspricht durchaus auch der historischen Realität.108
In vielen der dargestellten Beispiele wurden Belege
beigebracht, dass die Stallungen beidseitig der mittleren Längsdiele der Unterbringung von Kühen dienten.109 Dieser Feststellung entsprechend lässt sich
schon seit dem späteren 15. Jahrhundert der Begriff
1555
Grafschaft Lippe
Hof von Exterde
32,80 x 14,60 m
16 Fach (Diele 8, Küche 4, Kammer 4 Fache)
Um 1560
Stift Verden
Gut Mulmshorn
43,7 m lang, Breite nicht genannt
1561/1563
Grafschaft Lippe
Gut Dahlhausen
34,50 x 14,30 m
15 Fach (Diele 10, Wohnen 4 Fach, seitlicher Raum)
Um 1590
Umkreis Münster
Haus Milte
30,90 x 14,20 m
15 Fach (Diele 8, Küche 3, Kammerfach 3 Fach)
1594
Umkreis Münster
Haus Westerhaus
32 x 10,90 m106
1613
Grafschaft Hoya
Siebenmeierhof Magelsen
37,50 m lang
1686
30 x 14,10 m massiv
Grafschaft Ravenberg
Bielefeld, Gut Brothagen107 Stall 10, Küche 2, Kammer 5 Fach
1727
Stift Verden
1783
11 Fach (Vorschauer,.Diele 9 und Kammer 2 Fache)
11 Gebinde
30/35 m x 13 m
Gut Koppel
Diele 5 Fach und Vorschauer, Flett mit T-Haus
Stift Bremen
Gut Bockei
43 x 15 m
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
Das Gut in Langreder bei Barsinghausen (Lkr. Hannover) gehörte zum Besitz der Familie von Klenke, die ihren Hauptsitz aller-
dings auf der Hämelschenburg zwischen Bad Pyrmont und Hameln hatte. Das Gutshaus ist in der Mitte des 18. Jahrhunderts
als so genanntes T-Haus errichtet worden und dürfte durch einen Pächter genutzt worden sein. An dessen zweigeschossiges
Wohnhaus schließt sich ein traditionelles Viehhaus in der Form eines Längsdielenhauses an, das heute ebenfalls zu Wohnungen ausgebaut worden ist. (Foto Fred Kaspar 2009)r
„Kuhhaus" (oder auch „Rinderhaus") für viele der
großen Bauhäuser landwirtschaftlicher Gebäude auf
adeligen Gütern Nordwestdeutschlands nachweisen.110 Hintergrund für diese Ausrichtung der Wirt-
schaftsteile dürfte insbesondere die Ochsenmast als
Grundlage des lukrativen Viehhandels gewesen sein,
der dazu diente, die Großstädte des europäischen
Binnenlandes mit Fleisch zu versorgen.’11 Andere
Betriebe hatten ihre wirtschaftliche Grundlage in der
Milchwirtschaft und unterhielten große Kuhherden.
Nicht zu unterschätzen ist, dass diese - im Unterschied zu den vielfach mehr auf die Versorgung des
Nahmarktes mit Lebensmitteln oder sogar nur auf die
Eigenversorgung ausgerichteten kleineren Bauernhöfen - auf den Verkauf landwirtschaftlicher Produk-
te orientierten Güter den sich ändernden Märkten
immer wieder angepasst werden mussten. Seit dem
17. Jahrhundert nahm in Nordwestdeutschland der
Getreideanbau auf Kosten der Hornviehhaltung zu,
der zuvor nur in bestimmten Regionen wie etwa dem
Weserbergland dominant gewesen war. Dies musste
weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaftsräume der Längsdielenhäuser haben. Der Getreideanbau
brachte auch weitere Gewerbezweige der Weiterverarbeitung oder Veredelung auf die Großbetriebe und
Güter, zu denen insbesondere Branntweinbrennereien
und die Brauereien, aber auch Mühlen oder Stärkefabriken gehörten.
Längsdielenhäuser ohne Wohnteil
Es gibt Längsdielenhäuser, die nur als Wirtschafts-
gebäude dienten. Sie werden zumeist - entsprechend
den Nennungen in historischen Quellen - als Bauhaus
oder Viehhaus/Kuhhaus oder auch als Vorwerk bezeichnet. Es kann sich hierbei sowohl um Bauten mit
Zwei-, Drei- oder Vierständergerüsten handeln, um
Fachwerkbauten oder solche mit massiven Umfassungswänden. Allerdings wurden Längsdielenhäuser
in Vierständerbauweise mit massiven Umfassungswänden keineswegs nur als Bauhäuser der herrschaftlichen Wasserburgen oder auf den Wirtschaftshöfen
der Klöster und Stifte errichtet. Offenbar sind die mas-
siven Umfassungswände nur eine Form soliderer Bauweise gewesen, sodass sowohl Bauhäuser auf adeli-
gen Sitzen aus Stein wie aus Fachwerk als auch
Längsdielenhäuser auf Pachthöfen beider Techniken
bekannt sind.
Unabhängig von ihrer Konstruktion und Bautechnik
können diese Bauten ausschließlich zur Unterbringung von Vieh konzipiert sein - dann in der Regel mit
einer Durchfahrts-, Durchgangs- oder Sackdiele -112
oder aber (zusätzlich) auch noch andere Funktionen
und weitere Wirtschaftsräume aufgenommen haben.
Insbesondere sind hier Back- oder Brau- und Brennräume zu nennen, sodass es sich in diesen Fällen um
Längsdielenhäuser mit einem mehr oder weniger etwa durch eine Scherwand - abgetrennten rückwär-
25
26
Einleitung
tigen Bereich handelt. Bauten mit entsprechender
der Herrschaft bewohnt werden sollte, ist allerdings
aufweisen, etwa für das Hofgesinde oder für den
Heinz Riepshoff untersuchte mit dem Gut Koppel
einen weiteren Betrieb im Kreis Verden. Es hat eine
Raumstruktur können zusätzlich aber auch noch Aufenthalts- und Schlafräume für beschäftigtes Personal
eher unwahrscheinlich.
Kuh- bzw. Pferdeknecht oder den Schäfer. Das Spektrum entsprechender Unterkünfte im Längsdielenhaus
reicht von einem vorderen seitlichen Einbau (als Stubeneinbau oder als Vorschauer) bis zu einem Kammerfach mit oder ohne Küche.
Es ist zweifelhaft und bedarf weiterer Diskussionen,
wesentlich ältere Geschichte als adeliger Besitz und
sollte. Sie unterscheiden sich in Baustruktur und
Erbin geheiratet, dürfte das Gut als Droste zu Ottersberg allerdings nicht dauernd bewohnt haben.
Obwohl ein Beispiel aus einer ganz anderen Region,
dokumentiert Georg Pollma.nn 'in seinem Beitrag mit
dem Gut Vasbach bei Kirchhundem (Kr. Olpe) im südlichen Westfalen vergleichbare Entwicklungen. Dieses
ob man Bauhäuser als eigenen Bautyp bezeichnen
Raumstruktur nicht von den Wirtschaftsbereichen der
Bauernhäuser mit Längsdielen. Die Unterschiede zwischen diesen Varianten des Längsdielenhauses liegen
vor allem in der Funktions- und Sozialstruktur. Diese
raumstrukturellen und funktionalen Unterschiede
zwischen Bauhäusern und Bauernhäusern beschränken sich zudem weitgehend auf den hinteren Bereich
der Bauten, in dem vom Dielentor entgegengesetzten
Ende. Die Längsdielen der Bauhäuser reichen entweder bis zum rückwärtigen Giebel oder an ihre Diele
schließt sich eine große Küche an, die vielfach als
Brauküche bezeichnet wird, aber auch oder zugleich
als Leuteküche oder anderen wirtschaftlichen Zwecken gedient haben kann. Hierin gleichen sie im
Raumgefüge den Bauernhäusern ohne Kammerfach.
Längsdielenhäuser mit
zweigeschossigen Wohnbereichen/-häusern
Bauten dieser Ausprägung wurden in verschiedenen
Ausführungen (vielfach daher als L- oder T-Häuser
bezeichnet) über mehr als zwei Jahrhunderte errichtet. Beispiele hierzu bringen die verschiedenen Beiträge seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.113
Bislang allerdings nur spröde Hinweise sprechen
dafür, dass insbesondere diese Bauform dazu diente,
eine kontinuierlich nutzbare herrschaftliche Wohnung
zu schaffen.
Wolfgang Dörfler dokumentierte die Geschichte zweier Güter südlich von Bremen und der dort errichteten
Längsdielenhäuser. Das Gut Mulmshorn im Stift
Verden wurde um 1560 für Johann von Holle, einen
Bruder des Verdener Bischofs, angelegt. Zentrum wur-
de ein großes, in späteren Quellen als Vorwerk be-
zeichnetes Längsdielenhaus mit Kuhställen in den Sei-
tenschiffen, an das sich ein zweigeschossiger, als
Querhaus bezeichneter Wohnteil für den Gutsherrn
anschloss. Später wurde das Gut zumeist als landes-
herrliches Vorwerk genutzt, wobei hier zeitweilig
auch ein Landrat lebte. 1780 wurde das Gut aufgelöst
und später hat man auch die Bauten abgebrochen.
Das Gut Bockei im Stift Bremen wurde um 1650
durch den adeligen Otto von Düring eingerichtet.
Zentraler Bau ist ein im Kern noch erhaltenes, 1783
erneuertes Längsdielenhaus mit Kuhställen in den
Seitenschiffen. Dass das neu errichtete Haus auch von
erhielt 1578 ein neues Längsdielenhaus. Dieses wurde
1727 durch den noch bestehenden Bau mit Kuh-
ställen seitlich der Diele ersetzt. Der angeschlossene,
zu nicht bekannter Zeit errichtete zweigeschossige
Wohnteil wich 1765 aus nicht bekannten Gründen
einem ebensolchen Neubau. Dessen Bauherr hatte die
befand sich über Jahrhunderte im Eigentum einer
Beamtenfamilie im kurkölnischen Dienst und wurde
auch Ausgangspunkt verschiedener wirtschaftlicher
Aktivitäten (Mühle, Stahlhandel). Zentral ist das ab
1664 in mehreren Phasen bis 1835 erneuerte Gutshaus, ein Längsdielenhaus in Sauerländer Gestalt mit
großformatigem und zweigeschossigem Kammer-
fach.
Längsdielenhäuser mit
eingeschossigen Wohnenden
Solche Bauten sind seit dem 16. Jahrhundert im Bau-
bestand nachweisbar, in der Regel in der Form eines
Längsdielenhauses mit einem unterkellerten Kammerfach. Diese Wohnteile scheinen im Zusammenhang
mit Pachtgütern eher Belege für eine nur zum temporären Aufenthalt vorgesehene herrschaftliche Wohnung zu sein. Hierfür spricht, dass diese Bauten oder
Baugruppen in der Regel nur eine Küche aufweisen,
also in ihnen kein abgeschlossener herrschaftlicher
Haushalt bestand. Die kontinuierlich in dem Haus
lebenden Pächter, Rentmeister oder Verwalter mussten also die Herrschaft bei ihrer Anwesenheit versorgen. Hierauf gehen mehrere Beiträge mit exemplarischen Untersuchungen ausführlicher ein: Haus Westerhaus bei Rinkerode wurde um 1590/95 für den in
Münster lebenden Pfennigmeister Martin Schnell, Leiter der landesherrlichen Finanzbehörde, ausgebaut. In
dem Beitrag von Axel Böcker u. a. wird der Aufbau
des Gutes aus einem hier zuvor bestehenden Gehöft,
seine bauliche Struktur, die zugehörigen Ländereien
und die weitere Entwicklung einschließlich der späteren Wandlung zum Pachtgut und schließlich zu einem
„normalen" Bauernhof nachgezeichnet. Einzigartig
ist das 1594/95 (d) an das alte Bauernhaus von 1554
(d) - ein Vierständer-Längsdielenhaus - angefügte,
besonders weitläufige Kammerfach mit seinen in Renaissanceformen geschmückten Steinfronten.
Haus Milte bei Telgte wurde ebenfalls um 1590/95 für
die in Münster lebende Beamtenfamilie von der Wyck
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
als Pachtgut mit Sommerwohnung errichtet und blieb
In einem weiteren Beitrag stellen Fred Kaspar und
Pächter zu geben und auch deren Wohnbedingungen
ter am Stift St. Martini lebenden Geistlichen angelegte Gut Werse am Rande von Münster vor. Dabei nutzte man als Längsdielenhaus eine alte Schafscheune
weiter (sicherlich ein Hinweis darauf, dass das Gut
von ihren Erben noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in dieser Weise genutzt. Die gute Quellenlage ermöglicht es Fred Kaspar und Peter Barthold,
Einblicke in das Verhältnis zwischen Verpächter und
zu analysieren. Zentral auf der umgräfteten Hofanlage ist das bis heute erhaltene Längsdielenhaus,
eines der größten überlieferten Längsdielenhäuser im
Münsterland. Das Kammerfach blieb der Nutzung
durch die Herrschaft vorbehalten und wurde 1832
großzügig erneuert. Eine weitere herrschaftliche
Wohnmöglichkeit bestand in dem ebenfalls noch erhaltenen massiven Torhaus von 1599, das 1902 zu
einem Sommer-Landhaus erweitert wurde.
Haus Lohfeld, ein weiterer Pachthof nahe der Stadt
Telgte im Münsterland, diente wohl über mehrere
Jahrhunderte verschiedenen in umliegenden Städten
lebenden Familien als Sommerwohnung, wozu man
sich im Kammerfach des Bauernhauses Wohnräume,
Stallungen im Nebengebäude und einen Garten vorbehielt. Dank einer außergewöhnlich guten Quellen-
lage kann Fred Kaspar nicht nur die Nutzungs-
geschichte und die rechtlichen Bedingungen seit der
Mitte des 18. Jahrhunderts detailliert nachzeichnen,
sondern auch die bauliche Weiterentwicklung mit der
Erneuerung der Sommerwohnung 1774 (d) und 'des
Bauernhauses 1827.
Peter Barthold das erst um 1760 durch einen in Müns-
nicht zum Aufbau einer umfangreichen Landwirt-
schaft gegründet wurde) und fügte ein kleines
Pächterwohnhaus an. Daran schloss sich ein unterkel-
lerter Gartensaal mit massiven Umfassungswänden
an. Er tritt als seitlicher Flügelbau aus dem ländlichen
Gebäude hervor.
Peter Barthold beleuchtet das Thema exemplarisch
mit einer anderen Quelle: Aufgrund umfangreicher
archivalischer Recherchen kann er für den Umkreis der
ehemaligen Hauptstadt des Fürstbistums Minden an
der Weser mehrere Dutzend Landgüter nachweisen,
die im Laufe des 16. bis 19. Jahrhunderts neu angelegt wurden. Nur die wenigsten dieser Anlagen sind
heute erhalten oder auch nur noch im Bewusstsein
der Bevölkerung vorhanden. Diese Güter befanden
sich in der Regel in der Hand von Adeligen, Beamten
und Bürgern, die in Minden oder dem nahen Amtsort
Hausberge lebten und ihre Besitzungen in der Regel
durch Verwalter oder Pächter führen ließen. Be-
merkenswert ist die große Zahl der „Freihöfe", die im
Laufe des 16. und frühen 17. Jahrhunderts aufgrund
von landesherrlichen Privilegien durch Aufkauf beste-
Außerhalb der umgräfteten Anlage von Haus Vornholz in Ostenfelde bei Ennigerloh (Kr. Warendorf) ließ Freiherr Hermann
Adolf von Nagel-Vornholz Ende des 18. Jahrhunderts ein Haus für seinen Oberrentmeister errichten, der von hier aus die über
15 verschiedenen zum Besitz gehörenden Gutsbetriebe verwaltete. Das Haus erhielt mit seinen massiven Umfassungswänden,
dem hohem Kellersockel und dem Mansarddach den Charakter eines kleinen Herrenhauses (Foto Fred Kaspar 2012).
27
28
Einleitung
hender Bauernhöfe oder Erschließung bislang nicht
genutzter Flächen angelegt wurden. Sie hatten in
ihrer besonderen Funktion oft keine lange Existenz
und wurden später zu „normalen" Bauernhöfen. Eine
weitere Gruppe von Gütern entstand nach der Mitte
des 18. Jahrhunderts durch systematischen Landaufkauf, der insbesondere durch die Aufteilung der städ-
von Paderborn auf einem freien und umgräfteten Hof
als Längsdielenhaus mit einer großen unterkellerten
Saalkammer hinter der Herdküche errichten. Auf dem
Gut Sylbach bei Bad Salzuflen (Kr. Lippe) wurde 1660
im Auftrag von Rabe von Wrede ein neues Haupthaus
als Längsdielenhaus errichtet. Allerdings ist dessen
Vielfach ist nachweisbar, dass die Besitzer ihre Güter
zeitweilig bewohnten, in der Regel wohl als Sommerhaus. Zumeist blieben Längsdielenhäuser mit unter-
kannt. 1715/16 verlagerte Johann Philipp von Donop
seinen in der Stadt Blomberg (Kr. Lippe) liegenden
Burgmannshof auf ein neu arrondiertes Gelände vor
der Stadt. Er ließ sich auf diesem neuen Gut Nässen-
tischen Gemeinheiten möglich geworden war.
Wohnteil nicht mehr erhalten und auch in seiner
Bedeutung als Wohnung für die Herrschaft unbe-
schiedlich ausgeprägten Wohnteilen die Hauptgebäude der Güter, während separate Wohngebäude
grund ein Gutshaus errichten, das in traditioneller
offensichtlich nur dann entstanden, wenn die Besitzer
das Gut als dauerhaften Wohnsitz einrichteten.
Dietrich Maschmeier untersucht den Siebenmeierhof
Magelsen (Kr. Nienburg) an der Unterweser. Der ehemalige Haupthof des Stiftes Bücken wurde 1588 privatisiert und zum freien Gut. Die neuen Eigentümer
bauten den Hof in den folgenden Jahrhunderten zu
einem großen und gebäudereichen landwirtschaftlichen Betrieb aus, dessen Hauptgebäude aber bis in
Weise als Längsdielenhaus mit angebautem Kammer-
erhaltene, 1613 fertiggestellte Längsdielenhaus von
über 37 m Länge blieb. Es scheint den Inhabern des
Hofes auch als Dauerwohnung gedient zu haben.
Fünf weitere Beispiele dieser Bauweise aus Ostwestfalen-Lippe stellt Heinrich Stiewe im Vergleich vor:
Alle diese Bauten wurden entsprechend regionaler
Tradition als Längsdielenhäuser mit einem Vierständergerüst errichtet, wobei drei dieser Bauten noch aus
Seit dem 18. Jahrhundert entwickelte man die überkommene Bauform der Längsdielenhäuser zuneh-
die Mitte des 19. Jahrhunderts das im Kern noch
dem 16. Jahrhunderts stammen: Das heute nicht
mehr erhaltene, 1555 errichtete Haupthaus vom Gut
Ahmsen bei Bad Salzuflen (Kr. Lippe) hatte hinter der
abgetrennten Flettküche mit hohen Luchten einen
bemerkenswerten Wohnteil, der offenbar aus zwei
übereinander befindlichen Saalkammern bestand.
Bauherr des Hauses war Johann von Exterde, Spross
einer an mehreren Orten und auch in den umliegenden Städten in der Grafschaft Lippe begüterten, ur-
sprünglich aus der Stadt Detmold stammenden
Familie. Die konkrete Nutzung des Hauses auf dem
Corveyer Lehnsgut durch die Familie ist bislang unklar.
Auch das 1561/63 (d) errichtete Haupthaus auf dem
Gut Dahlhausen bei Leopoldshöhe (Kr. Lippe) war ein
Lehen im selben Familienverband. Hier erhielt das
große Längsdielenhaus kein Kammerfach, sondern
wies am Ende nur eine sehr große und hohe Küche
und in einem der Seitenschiffe davor einen größeren
abgetrennten Raum auf. Stiewe vermutet, das Gebäude sei trotz des reduzierten Raumprogramms dennoch nicht nur als Wirtschaftsgebäude errichtet wor-
den, sondern auch mit einem herrschaftlichen
Wohnbereich. Das heute im Freilichtmuseum Detmold
stehende Haupthaus vom Valepagenhof bei Delbrück
(Kr. Paderborn) ließ sich 1577 der Richter und Gograf
Jost Valepage als örtlicher Vertreter des Fürstbischofs
fach ausgeführt wurde. Das Haus wurde um 1750
erheblich vergrößert, wobei der Wirtschaftsteil verlängert und das Kammerfach ein Obergeschoss erhielt,
sodass der Wohnteil fortan als selbstständiges Wohn-
haus wirkte. 1755 (d) wurde zudem daneben ein
großformatiger Speicher errichtet, der wohl auch eine
Kornbrennerei aufnahm.
Vielfalt baulicher Lösungen
mend weiter bzw. ersetzte sie auch durch andere
Bauformen mit abweichender Gestalt und Raumstrukturen. So stellt Fred Kaspar das Gut Nachtigall
bei Paderborn vor, auf dem man 1715 für einen
Hofbeamten des Fürstbischofs ein traufenständiges
Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit einer mittleren
Durchgangsdiele errichtete. Hiermit versuchte man
offensichtlich, das Raum- und Funktionskonzept des
überlieferten Längsdielenhauses in der Gestalt mit
den Ideen barocker Architektur in Einklang zu bringen. Das Haus scheint nicht für einen dauerhaften
Aufenthalt der Eigentümer vorgesehen gewesen zu
sein und diente wohl eher als ihr Landsitz.
Um 1785 ließ der Regimentskommandeur Franz Xaver von Tönnemann nördlich von Warendorf einen
neuen Landsitz mit der Bezeichnung „Tönneburg"
anlegen. Laurenz Sandmann dokumentiert die Geschichte des schon seit Langem nicht mehr erhaltenen
Gutes und konnte nachweisen, dass das dortige, nur
im Sommer zeitweilig von der Herrschaft bewohnte
Hauptgebäude ein eingeschossiger Backsteinbau mit
Wohn- und Wirtschaftsräumen war.
Verbunden mit der Geschichte der Güter ist ihr steti-
ger funktionaler Wandel, wozu auch ihre spätere
Auflösung gehören konnte. Insbesondere im Laufe
des 17. und 18. Jahrhunderts wandelte man viele klei-
ne Adelssitze - inzwischen durch Heirat oder Erbschaft in die Hand anderswo lebender Adelsfamilien
gelangt - in landwirtschaftliche Betriebe um, die
unter der Regie eines Rentmeisters liefen oder verpachtet wurden. Blieben die alten Herrenhäuser hierbei überhaupt erhalten, dienten sie fortan vielfach als
Güter, Pachthöfe und Sommersitze 29
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
nur noch selten von der Herrschaft genutzte Jagdhäuser, wobei dem Pächter oder Verwalter eine neue
standesgemäße Wohnung zur Verfügung gestellt
werden musste.114 Hierzu konnte etwa das alte
Bauhaus eines Adelssitzes ausgebaut werden. Diese
Entwicklung dokumentiert der Beitrag von Fred
Kaspar und Peter Barthold über das Haus Vörde bei
Castrop-Rauxel im nördlichen Ruhrgebiet. Dieser adelige Sitz hatte wohl nur bis 1632 einen herrschaftlichen Haushalt und wurde seitdem verpachtet. Die
Ländereien sind dann seit 1897 nach und nach zur
Ausweitung von Fabriken aufgegeben worden.
Nicht immer wurden die Wohnungen der Pächter
oder Rentmeister zusammen mit einem Längsdielenhaus, dem großen Wirtschaftsgebäude oder Vorwerk
errichtet, sondern entstanden auch an anderer Stelle
eines Betriebes. Dies geschah insbesondere bei den
Gütern, deren herrschaftlicher Wohnsitz erhalten
blieb (ganz gleich ob weiterhin in Gebrauch, als
Nebenwohnung oderJagdhaus). Hierzu werden zwei
Beispiele eingehender vorgestellt: Um 1676 begann
der Droste zu Vischering das ererbte und wohl verfallene Haus Visbeck bei Dülmen westlich von Münster
großzügig zu einem neuen Familiensitz auszubauen.
Hierbei entstand als erster Bauabschnitt die Hälfte
einer neuen weitläufigen Vorburg, die neben Pferdeställen und einer Brauküche insbesondere eine kleine,
aber anspruchsvoll ausgestattete Wohnung für den
Rentmeister aufnahm. Da allerdings schon wenig später um 1680 die Familie ihr Interesse an dem Gut ver-
lor, blieb es bei dieser Baumaßnahme, wobei der
Betrieb noch bis Ende des 18. Jahrhunderts von Rent-
meistern geführt und danach verpachtet wurde.
Nach den Untersuchungen von Fred Kaspar und Peter
Barthold hatte Haus Dieck südlich von Warendorf im
Münsterland während des 17. Jahrhunderts keinen
herrschaftlichen Wohnsitz, sondern wurde als Gut
von einem Rentmeister oder Pächter bewirtschaftet,
aber um 1740 aufgrund erbrechtlicher Bedingungen
wieder zum Wohnsitz der Eigentümer. Hierzu errichtete man ein kleines zweigeschossiges und umgräfte-
tes Wohnhaus und ein als Wirtschaftsgebäude
genutztes Torhaus. Als man das Gut aufgrund der
weiteren Familiengeschichte schon wenig später wie-
der verpachtete, ist 1760/61 für den die Herrschaft
vor Ort vertretenden Rentmeister eine als Jägerwoh-
Das adelige, erst im 17. Jahrhundert gegründete Gut Espenlake bei Delbrück (Kr. Paderborn) wurde 1809 in einer
Versteigerung von der Kaufmannswitwe Wilhelmine Ferrary erworben. Sie führte das Handelshaus ihres Mannes in Paderborn
fort. Da sie das Gut daher nicht dauerhaft bewohnte, sondern wohl als Sommersitz für sich und ihre Kinder benutzte, wurde
der landwirtschaftliche Betrieb wie schon zuvor durch einen Pächter verwaltet. Witwe Ferrary ließ sich ein schon von den
Vorgängern errichtetes kleines eingeschossiges Wohnhaus zu einem zweigeschossigen Sommerhaus ausbauen und es zudem
mit einem Park umgeben (Foto Fred Kaspar 2013).
30
Einleitung
nung bezeichnete Unterkunft als Anbau an das
Torhaus gebaut worden. Sie wurde entsprechend
neuer Vorstellungen von Gestalt und Raumstrukturen
als Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit Querdiele
errichtet. Als die nächste Generation das Gut wieder
neben dem Stadthof in Münster als sommerlichen
Wohnsitz wählte, errichtete man ab 1771 ein neues
Herrenhaus (und wenig später auch eine Stiftsdamenkurie in Freckenhorst für eine Tochter aus der Familie).
Die Vielfalt der angesprochenen Möglichkeiten der
führenden ländlichen und städtischen Schichten,
einen Wohnsitz nach individuellen Bedürfnissen auszuwählen und zu gestalten, wird nur dann deutlich,
wenn neben den bekannten Phänomenen des
Stadthofes oder Stadthauses auch die hier im
Mittelpunkt stehenden Landgüter, Herrensitze und
Stiftskurien sowie die weiteren möglichen Wohnorte
und Wohnformen gemeinsam betrachtet werden.
Dies erhellen die Beiträge mehrerer Autoren: Thomas
Spohn gibt einen Überblick über die Bau- und Wohn-
strukturen der Stiftskurien in den aus Stiften und
Klöstern entwickelten Damenstiften. In diesen Kurienhäusern konnten Damen des niederen und höheren
Adels individuell wohnen und ihnen auch unverheira-
tet ein standesgemäßes Leben ermöglicht werden.
Diese Lebensform wurde in der Neuzeit in einzelnen
Stiften auch Damen aus Kreisen der Beamten und
Bürger möglich. Bauliche Beispiele sind in Westfalen
zwar seit dem späten 15. Jahrhundert nachweisbar,
doch stammt der Großteil der überlieferten Gebäude
aus dem Zeitraum zwischen dem ausgehenden 17.
und dem frühen 19. Jahrhundert. Errichtet zumeist
auf Kosten der Stiftsdame bzw. ihrer Familie handelt
es sich vielfach um reine Wohnhäuser, die Vorstellungen barocker Architektur (und nicht selten dem
Vorbild größerer Herrenhäuser) folgen und in denen
zumeist eine zweite Stiftsdame zur Untermiete lebte.
Kurienhäuser konnten aber auch als traditionelle
Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet sein. Nicht
zuletzt diese bislang kaum beachteten Bauten dürften
prägend für die Weiterentwicklung neuzeitlicher
Wohnbauten geworden sein.
Eine wiederum andere Perspektive auf die mögliche
Vielfalt adeliger Wohnformen bietet Bernd Adam mit
seinem Beitrag. Er behandelt die Bauten, die sich der
Oberhofbau- und Gartendirektor Friedrich Karl von
Hardenberg als die für das staatliche Bauwesen im
Königreich Hannover über zwei Jahrzehnte bis 1763
zentrale Person sich für seine eigenen Zwecke errichten ließ. Sie dürften in besonderer Weise seine Vorstellungen und Visionen dokumentieren. Neben einer
Fülle möglicher Wohnorte gehörte hierzu ein weites
Bauprogramm anderer Bauaufgaben: Es umfasste
Stadtpalais, Landhaus, Gartenhäuser, mehrere Guts-
betriebe mit neuen Wirtschaftsbauten, Brau- und
Brennerei und zugehörigem Vorwerk.
Auch das Wohnen im auf dem Landgut vorhandenen
Speichern ist in dem angesprochenen Kontext relevant. Entgegen ihrer formalen Vergleichbarkeit sind
Speicher in unterschiedlichster Weise genutzt worden. Die Hausforschung hat sich seit Langem mit dieser Bauform auseinandergesetzt und konnte belegen,
dass man sie zu ganz unterschiedlichen Aufgaben
errichtete und nutzte.115 Als Bauherren wurden Bürger
bzw. Klerus116, Bauern117 oder der Adel118 nachgewie-
sen. Die Errichtung und die dabei gewählte Gestalt
dieser Bauten kann als Zeichen nur eines sozialen
Anspruchs der Bauherren gemeint sein. Speicher
dienten den Bauherren aber auch zum Lagern von
Getreide, als Altenteil, zur Versammlung, aber auch
als Sommerhaus der Städter. Gerade für Bauten in
letzterer Aufgabe scheint zwischen dem 15. und 18.
Jahrhundert allgemein der Begriff „Borg" üblich
gewesen zu sein. Die Geschichte eines solchen noch
bis heute als „Borg" bezeichneten umgräfteten
Wohngebäudes auf dem Gut Hof Lütke Rumphorst
bei Telgte (Kr. Warendorf) und dessen Nutzung als
Sommerhaus hat Fred Kaspar auf der Grundlage eines
einzigartigen archivalischen Quellenbestandes minuti-
ös nachzeichnen können. In einem weiteren Beitrag
von Fred Kaspar über „Bauernhöfe mit Zweit- und
Drittwohnungen" konnte anhand vieler konkreter
Beispiele aus dem Münsterland die Nutzung großer,
möglichweise umgräfteter und vielfach aus Stein
errichteter, in der Regel als Borg bezeichneter Speicher als Sommerhaus von Münsteranern seit dem
Spätmittelalter nachgewiesen werden.
Hingegen schließt Carolin Sophie Prinzhorn in ihrem
Beitrag über die Steinspeicher in Stadt und Land
Osnabrück, gerade diese Nutzung der ländlichen
Speicher insbesondere aufgrund von Baubefunden
aus, auch wenn sicherlich die in der Regel dort vorhandenen, aber ungenutzten Kamine nicht gegen
eine geplante Nutzung als Sommerwohnung sprechen. Die im Umkreis der Stadt Osnabrück auf dem
Land vorhandenen Steinspeicher werden in Gestalt,
Geschichte und Hinweisen zur Nutzung vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren erhellten Geschich-
te des großen Bestandes von Steinwerken des
Hochmittelalters in der Stadt Osnabrück analysiert. Im
Ergebnis will Prinzhorn die bemerkenswerten städtischen Steinwerke des 13. Jahrhunderts als Zeugnis
gesellschaftlicher Entwicklungen in der zu dieser Zeit
noch nicht durch Befestigung gesicherten Stadt
sehen, wobei deren Bauherren zwischen Bürgertum
und Adel standen. Die ländlichen Steinwerke seien
hingegen erst mehrere Jahrhunderte später zum
Schutz der Bauern entstanden und spiegeln insbesondere in ihrer Form die alten Vorbilder.
Vergleichbar differenziert, vielfältig, aber auch verwirrend sind die Ergebnisse, die bislang zur Bedeutung
von Torhäusern auf umgräfteten ländlichen Anwesen
vorgelegt wurden. Auch sie hatten offensichtlich viel-
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
fach besser ausgestattete und (auch) zum Bewohnen
geeignete Räume, wobei für deren Bewohner schon
verschiedene Interpretationen vorliegen.119 Hierzu gab
nen blieben. Sie bewohnten auf kleineren Gütern in
der Regel Räume am Ende des Hauptgebäudes und
führten demnach ein den Bauern vergleichbares Le-
Beiträge, sodass auf diese Bauform und ihre Nutzung
in diesem Rahmen nicht weiter eingegangen werden
Ein wichtiges Ergebnis dieser beschriebenen Beobach-
es auf der hier dokumentierten Tagung keine
soll.120
Bauliche Realität jenseits von Längsdielenhaus
und Herrenhaus, von Bauer und Adel
Schon seit dem 16. Jahrhundert wurden über den
Impuls zur Professionalisierung der Landwirtschaft
hinaus insbesondere die adeligen Güter zur Ertragsund damit Gewinnsteigerung zunehmend als agrarische Produktionsbetriebe um- und ausgestaltet.121
Ausdruck hiervon dürfte die große Zahl von Neubauten der als Bauhäuser bezeichneten Wirtschaftsgebäude sein, die zwischen der Mitte des 16. Jahr-
hunderts und dem frühen 17. Jahrhundert in der
Form von großformatigen Längsdielenhäusern errichtet wurden. Diese Betriebe wurden offensichtlich vor-
bildgebend für die bürgerlichen Landgüter, aber auch
für die größeren Höfe der Bauern. Als eindringliches
Beispiel des Aufbaus eines solchen Betriebes von einer
aus dem aufgestiegenen und später nobilitierten
Bürgertum kann das in den Jahren um 1600 aus
einem älteren Hof neu ausgebaute Gut Haus
Brückhausen bei Everswinkel (Kr. Warendorf) gelten.
Es wurde von Caspar Höfflinger, seit 1591 Landrentmeister des Bistums Münster, angelegt und mit neuen
Bauten versehen. Die besondere imposante Gestalt
des 1601 fertig gestellten Herrenhauses - das im
Erdgeschoss als Sommerhaus der in Münster lebenden Familie dienen sollte - geht insbesondere darauf
zurück, dass der Bau vor allem als riesiges Kornlagerhaus diente, die Erträge des Gutes also als Spekulationsgut dem Markt zugeführt werden sollten. Die
weitläufigen Lagerböden sind einschließlich der
gesamten weiteren Einrichtung noch erhalten, ebenfalls das wenige Jahre später 1605 (d) neben diesem
Neubau errichtete große Bauhaus zur Viehhaltung
aus Fachwerk. Das Gut scheint zu dieser Zeit von
einem Rentmeister geführt worden zu sein; wo er
lebte, ist allerdings nicht bekannt.
Im Unterschied zu den Rentmeistern mussten Pächter
auf ihre eigene Rechnung Überschüsse und damit
Umsätze produzieren, um die den Hofbesitzern inte-
ressierende und in der Regel unabhängig vom konkre-
ten jährlichen Ertrag festgesetzte Pacht zu erwirtschaften. In der Regel wurden ihnen die Güter auf
längere Zeit verpachtet, damit ihnen ein konzeptvolles
Wirtschaften auf den Höfen möglich war. Zwischen
dem 17. und 19. Jahrhundert sind vielfach Pachtver-
träge mit einer Laufzeit über 12 Jahre nachweisbar.122
Die Pächter nahmen in der Regel bei ihrer Übernahme
des Hofes dessen Namen an, zumal sie bei erfolgrei-
chem Wirtschaften dort oft über mehrere Generatio-
ben.
tungen ist, dass es schon spätestens seit dem Spätmittelalter eine besondere Personengruppe gab, die
sich auf die Pachtung solcher Gutshöfe spezialisiert
hatte. Es war eine kleine, aber professionell arbeitende Schicht von Landwirten, die vergleichbar professionell arbeiteten wie die Rentmeister, Amtmänner, Hof-
meister oder Conduktoren, die die Hof- und Wirt-
schaftsbetriebe der Güter, adeligen Anwesen und die
Landwirtschaften der Klöster auf eigene oder fremde
Rechnung führten.
Diese professionellen Landwirte dürften ebenso wie
die schon in den Blick der Forschung geratenen Lehrer
und Pfarrer123 zu den entscheidenden und innovativen, kulturtragenden Gesellschaftsschichten auf dem
Lande gehört haben. Für viele Entwicklungen in der
Landwirtschaft dürfte es erhellend sein, diese zwischen Stadt und Land lebende Gruppe näher zu
betrachten. Ebenso wie es bisher schon insbesondere
für die Schulhäuser124 und die Pfarrhäuser125 diskutiert
worden ist, dürften sich hierbei auch die Wohnungen
und Betriebe der Pächter und Rentmeister als eine für
die Landwirtschaft und die ländliche Wohnkultur prägende Kraft erweisen.
Auf dem Lande gab es nicht nur den Bauernhof und
den Adelssitz. Selbst in einer ständisch gebundenen
Gesellschaft war jenseits rechtlicher Strukturen die
Realität der bestehenden Lebens- und Wirtschaftsformen vielfältig und von Zwischenformen geprägt. In
den letzten Jahrzehnten hat sich die Hausforschung
intensiv darum bemüht, die bäuerliche Welt differen-
zierter zu sehen, was auch das Bild des Bauernhauses
stetig vielfältiger werden ließ. Die Forschung zur
„Herrenarchitektur" hat sich allerdings bislang nicht
in der gleichen Weise weiterentwickelt. Noch immerwie es etwa Sonja Michaels beispielhaft in ihrem Beitrag herausgearbeitet hat - sind die kleinen Häuser
des niederen Adels kaum in den Blick genommen.
Die in diesem Band zusammengestellten Beiträge
gehen insbesondere der Frage nach, welche weitere
Formen von Wirtschaftsbetrieben und Wohnanlagen
es auf dem Lande neben den bislang durch die Forschung fokussierten „Typen" Bauernhof und Adelsgut gab und welche charakteristischen baulichen
Zeugnisse hiervon erhalten sind.
Eine besondere Perspektive legen viele Beiträge auf
die Architektur, die Städter auf dem Lande errichteten. Zunächst ist hier auf die Sommer- und Landhäuser der städtischen Oberschicht hinzuweisen.
Schon 1982 stellte Meckseper zu solchen städtischen
Sommerhäusern auf dem Lande fest: „Der ganze
Themenkreis bedürfe über die wenigen ortsmonogra-
31
32
Einleitung
Der ehemalige Schulzenhof Affhüppe östlich vor der Stadt Warendorf kam durch Heirat der Erbin um 1850 an den Kaufmann
Anton Scheffer-Boichorst. Da das Ehepaar in der Stadt Warendorf lebte, ließ es um 1860 an Stelle des alten Bauernhauses
einen eingeschossigen Backsteinbau errichten, den es als Sommerwohnhaus nutzte. 1900/02 wurde das kleine Haus als dau-
ernder Wohnsitz seines Schwiegersohnes Landrat Maximilian Gerbaulet wesentlich erweitert (Foto Arnulf Brückner 2000).
phischen Darstellungen hinaus einer zusammenfassenden Bearbeitung."126 In den seitdem verflossenen
30 Jahren ist allerdings keine grundlegend neue Literatur zu dem Thema erschienen. Durch die Zentrierung des Blicks der Forschung auf entsprechende
Bauten ergeben sich allerdings nun hier viele neue
Impulse für weitere Fragestellungen. Hier ist insbesondere an landwirtschaftliche Betriebe in der Hand städ-
schaft und-städtische Kultur gemeinhin als kaum ver-
einbar gesehen wurden und werden und in der
Hausforschung vor allem unter dem heute als überholt geltenden Thema der Ackerbürgerstadt und des
„Ackerbürgerhauses" in den Blick geriet. Solange der
Blick der in der Stadt lebenden Forscher auf das Land
sich vor allem auf den polaren Blick „Bauer oder
Adel" beschränkte, musste auch versucht werden, die
tischer Bevölkerungskreise zu denken. Auch zu diesen
von den hier angesprochenen Themen zeugenden
keine systematischen Forschungen vor,127 nicht
Adelssitz zuzuordnen, um den bisherigen Forschungs-
besonderen Stadt-Land-Beziehungen lagen bislang
zuletzt, da in Nordwestdeutschland bislang die Wohnund Lebensverhältnisse des landsässigen Adels im
Mittelpunkt standen. Dies betraf insbesondere ihre
Häuser in den Städten,128 während erst im letzten
Jahrzehnt die Perspektive wechselte und das Leben
des Adels auf seinen Landsitzen wieder verstärkt in
den Blick geriet.129 Die bislang bekannten Belege für
Landhäuser anderer städtischer Sozialgruppen sind
daher eher zufällige Beispiele, dokumentieren aber
die breite Nutzung ähnlicher und in langer Tradition
entwickelter Regelungen.
Die Perspektive eines Stadt-Land-Bezuges litt auch
darunter, dass in einer langen Tradition Landwirt-
Bauten einer der beiden „Pole" Bauernhof bzw.
thesen zu entsprechen. Während sich die Kunstge-
schichte lange Zeit vor allem für Schlösser und
Herrenhäuser interessierte, hatte die volkskundliche
Hausforschung vorrangig die Bauernhäuser im Blick
und in den letzten Jahrzehnten vor allem das Bürgerhaus. So wurden z. B. auch „herrschaftliche Hallenhäuser" lange Zeit nicht oder nur kaum wahrgenommen.
Eine weitere seit Langem geübte Traditionslinie der
Forschung verfolgte allerdings eine hiervon ganz
abweichende Perspektive: Ausgehend von der
Kulturkritik der Zeit um 1900 und der wachsenden
Bestrebungen der landschaftlichen Heimatpflege
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
wurde hier versucht, das Leben der Bauern in den
Mittelpunkt der Kulturgeschichte zu stellen. Insbe-
sondere die in volkskundliche Fragestellungen eingebundene Hausforschung sollte zu einem starken Protagonisten dieser noch bis vor einer Generation sehr
lebendigen Forschungsrichtung werden. Allerdings
blieben diese beiden Fragestellungen gegensätzlich.
Je nachdem, aus welcher Perspektive heraus gearbeitet wurde, galten die Ergebnisse der anderen als nicht
zutreffend. Seit 1912 wurde ausgehend von der These, dass das „Hallenhaus" für alle Schichten auf dem
Lande in Nordwestdeutschland prägend gewesen sei,
auch von einem „gesteigerten Bauernhaus" gespro-
chen. Lindner verstand hierunter Häuser wie das
schon anfangs besprochene „Haus Rüschhaus", also
Hallenhäuser, die sich durch eine besonders aufwän-
dige Ausgestaltung auszeichneten und sich in der
Hand der adeligen oder bürgerlichen Oberschicht
befanden.130 Allerdings verneinte Mummenhoff 1961
in einem bis heute grundlegenden Überblick über die
westfälischen Adelssitze die These, dass diese in der
Form von Bauernhöfen errichtet worden seien, sah
aber in den Bauhäusern der kleinen Burgen und
Schlösser eine Übernahme des Bauernhauses.131
Roswitha Poppe stellte „das Vierständerhallenhaus"
des 16. Jahrhunderts auf Gut Sondermühlen bei Melle
(Kr. Osnabrück) nach 1970 in den Mittelpunkt mehrerer Publikationen und prägte hierbei mit ihren weitgehenden Vermutungen zur Funktion und Bedeutung
des Gebäudes die weitere Forschung nachhaltig,
zumal sie versuchte, die Thematik mit aktuellen ge-
sellschaftlichen Fragestellungen zu verbinden.132Trotz'
ihrer aus heutiger Sicht sozialromantischen Thesen
blieb sie bis heute ohne kritischen Widerspruch:133 „In
dem alten Herrenhaus auf Sondermühlen blieb ein
Bau erhalten, der für uns, am Zusammenleben der
verschiedenen Gesellschaftsschichten so interessierte
Menschen, sehr aufschlussreich ist. In der Wasserburg
Sondermühlen haben der Patron, seine Familie, das
Gesinde und das Vieh unter einem großen, bergenden Dach zusammengelebt. Erst im aufkommenden
Absolutismus [...] wurde die alte patriarchalische
Ordnung aufgelöst."134 Poppe versuchte, auch bislang
geltende, insbesondere auf den Münsteraner Hausforscher Josef Schepers zurückgehende Thesen zu
revidieren. Dies geschah allerdings, in dem sie selber
neue Thesen aufstellte: „Die Vorstellung, dass das
Bauernhaus seine Anregung von den kleinen Ackerbürgerstädten der Oberweser direkt übernahm, wird
dann etwas fragwürdig. Die frühe Entwicklung des
Fachwerkkammerfaches hinter dem Flett im Osnabrücker Raum macht die gebende Rolle der bäuerlichen
Adelshöfe nach Kenntnis von Alt-Sondermühlen
besonders naheliegend."135
Stefan Baumeier stellte 1988 weitere solcher Hallenhäuser in einer breiter angelegten Untersuchung in
den Mittelpunkt und bezeichnete die von ihm festgestellte Bauform als „Hallenhäuser der Beamtenaristo-
kratie."136 Mit diesem Begriff prägte er die weitere
Forschung bis heute nachhaltig, wobei sich mit dieser
griffigen Formulierung der Bautyp des Hallenhauses
so eng mit einer Sozialgruppe verband, dass es fortan
nicht mehr fraglich schien, dass diese Beamten nicht
nur Besitzer, sondern auch Bewohner der Häuser
waren. So wurde seine Beschreibung entsprechender
Bauten in der folgenden Rezeption bald zu einem
eigenen Bautyp, dessen Existenz im historischen
Baubestand nicht mehr verifiziert oder bewiesen wer-
Haus Scheventorf bei Bad Iburg (Lkr. Osnabrück) wurde als kleiner umgräfteter Herrensitz in der zweiten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts baulich erneuert. Seit 1664 gehörte das Gut zur Ökonomie des bischöflichen Schlosses Iburg, sodass das Gut fort-
an nur noch von Pächtern oder Verwaltern bewohnt und kaum noch modernisiert worden ist (Foto Fred Kaspar 2011).
33
34
Einleitung
den musste, sondern zur Grundlage weiterer Analy-
sen wurde.'37 Baumeier ging von der These aus, dass
Hallenhäuser bis in die frühe Neuzeit eine schichten-
übergreifende Bauform gewesen seien, wobei nach
ihm das Haus des Bauern wohl letztlich als Mitte der
Entwicklung zu sehen sei: „Ein beachtlicher Teil des
kleinen westfälischen Dienstadels bewohnte noch im
16. und 17. Jahrhundert, wahrscheinlich auch im 18.
Jahrhundert, auf dem Lande Häuser, die sich von
denen der Großbauern wie Schulte und Meier äußerlich nur unwesentlich unterschieden. Manches noch
vorhandene sogenannte Bauhaus, manches großzügige Bauernhaus auf der Stelle eines Festen Hauses wird
heute als Wirtschaftsgebäude der Burg oder Nachfolgebau des Herrensitzes interpretiert, dürfte in Wahr-
heit aber das ursprüngliche Herrenhaus gewesen
sein."138
Diese Thesen wurden allerdings nicht von allen
geteilt: Andreas Eiynck beschäftigte sich im gleichen
Jahr wie Baumeier mit der Frage, in welchem Maße
Verbindungen der Lebensformen zwischen den ver-
schiedenen auf dem Lande lebenden Schichten
bestanden, kam hierbei aber zu dem Schluss, dass die
Bauten auf den landwirtschaftlichen Betrieben der
ten, sondern als durch Adelige oder andere „Herren"
bewohnt zu begreifen, blieb allerdings ebenso wie in
der Literatur zum Thema auch in den einzelnen
Beiträgen dieses Bandes weitgehend außerhalb der
Diskussion. Bislang kann kaum eines der in den Beiträgen dokumentierten Beispiele solcher „herrschaftlichen Hallenhäuser" eindeutig als eine dauerhafte
herrschaftliche oder adelige Hauptwohnung belegt
werden.144 Der Nachweis, dass ein Bau sich in herr-
schaftlichem Besitz befand, dürfte hierzu ebenso
wenig ausreichend sein wie der Nachweis, dass das
Hallenhaus zeitweilig oder unter bestimmten Bedingungen auch von der Herrschaft bewohnt worden ist.
Ebenso wenig ausreichend ist der Nachweis, dass die
Herrschaft auf dem entsprechenden Hof lebte, denn
hier gab es in der Regel verschiedene bewohnbare
Gebäude.
Es wird deutlich, dass die damit in den Blick genom-
menen Phänomene baulich, sozial und funktional
weitaus komplexer sind, als bislang angenommen
und eigener Betrachtungen wert sind. Den Blick der
Forschung schärfend dürfte es sein, den Begriff des
Hallenhauses stärker vom Wirtschaftsteil her zu sehen
bäuerlichen Oberschicht und des Kleinadels deutlich
erkennbare Unterschiede aufwiesen, insbesondere da
in einem Adelshaus Stallteile grundsätzlich nicht vorhanden gewesen seien.139 Als Verbindung dieser
Thesen versucht Sonja Michels in ihrem hier vorgelegten Beitrag, den Bautyp eines „herrschaftlichen Hal-
und die Möglichkeiten des Wohnens als einen vielfältig differenzierten und zusätzlich angefügten Bauteil
In weiterer Auseinandersetzung mit diesen Fragen
Nebenwohnung ist. Die damit aufgeworfenen Fragen
lenhauses ohne Stallteil" zu definieren.140
versuchte Helmut Ottenjann 2004 die Perspektive auf
diesen „Bautyp" wieder in den Blickwinkel von Roswitha Poppe zu rücken. Er schlug vor, die Lebensformen
des Adels in den Mittelpunkt weiterer Betrachtungen
zu stellen und vertrat nun die These, die großen bäuerlichen Hallenhäuser des Spätmittelalters seien eine
Übernahme von Bauformen aus der Lebenswelt des
niederen Adels. Hintergrund dieser Thesen war seine
Beobachtung, dass sich Wohnen und Wirtschaften
beider gesellschaftlicher Gruppen noch bis um 1600
in vergleichbaren Hausformen abgespielt hätten.141
Diesen Überlegungen folgte 2008 Hermann Kaiser,142
allerdings mit Relativierung bisheriger Thesen, in dem
er ausführt: „Die Notwendigkeit des Bewohnens des
ehemaligen Bauernhauses beschränkte sich mithin
wohl weitgehend auf das Ziel, das steuerlich belastete Bauerngut zum steuerfreien Adelssitz umgewandelt zu bekommen. Ein solcher Adelssitz aber konnte
dann innerhalb des Familienvermögens eines Geschlechtes u. a. auch als Leibzucht dienen, als Sitz
einer Witwe oder eines alleinstehenden Familienmitgliedes .,."143
Ob es zutreffend ist, einen Teil der überlieferten
Längsdielenhäuser nicht nur als Besitz hoher Schich-
zu begreifen. Es sollte daher - um auf das zentrale
Thema der Tagung zurückzukommen - vom Längsdie-
lenhaus ohne oder mit Wohnung gesprochen wer-
den, wobei eine der vielen Möglichkeiten das
Längsdielenhaus mit herrschaftlicher Haupt- oder
sind nur zu beantworten bei eingehender Klärung
verschiedener auf die Ausgestaltung des Hauses einwirkender Umstände. Notwendig ist die Klärung:
1. der gesamten zur Bauzeit eines Längsdielenhauses
vorhandenen Bausubstanz auf dem Anwesen;
2. der Frage nach der Anzahl der gesamten Wohnungen und Wohnbereiche im Hauptgebäude (Längsdielenhaus) bzw. in dem Wirtschaftsbetrieb;
3. möglichst aller dem Bauherren zur Bauzeit zur Verfügung stehenden Wohnmöglichkeiten. D. h., besaß
dieser mehrere Wirtschaftseinheiten und welche
Funktionen hatten diese, z. B. als Altenteil, NebenwohnsitzA/orwerk, Pachtgut, Versorgung von Geschwistern. Im Laufe der Zeit kann sich das Gewicht
zwischen den unterschiedlichen Wohnbereichen auch
kontinuierlich wieder verändert haben. Darüber hinaus konnte der Besitzer auch über weitere Nutzungs-
ansprüche an Bauten verfügen, die z. B. mit einem
ausgeübten Amt oder einer übernommenen Funktion
Zusammenhängen (etwa als Droste, Vogt, Richter
oder Verwalter); welche und wie viele Sozialeinheiten
waren zu einer bestimmten Zeit auf dem Wirtschafts-
betrieb unterzubringen?
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
Anmerkungen
im Herzogtum Bremen. Stade 1938; Ritterschaft im Herzog-
1 Von lateinisch dominium („Herrschaftsbereich"). Der Be-
tum Bremen (Hg.), Die Güter der Ritterschaft im Herzogtum
griff setzte sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts durch und
Bremen. Stade 2001; Ingeborg Leister, Rittersitz und adeliges
ersetzte die älteren, in verschiedenen Regionen weiterhin ge-
Gut in Holstein und Schleswig. Remagen 1952; Deert
nutzten Bezeichnungen Vorwerk oder Meierei. In anderen
Landschaften wurden solche Betriebe auch als Kammergut
Petersberg 2014.
bezeichnet, da ihre Erträge in den Haushalt der Landesver-
7 Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich Stiewe, Adelsgüter
waltung flössen. In Preußen bestand diese begriffliche Unter-
kel „Domäne" im Lexikon des Mittelalters, Band 3. München
und Domänen in Lippe. Anmerkungen zu einem brachliegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen 73. Detmold 2004, S. 13-107.
1986, Spalte 1175.
8 1969 hatte Joachim Hähnel vorgeschlagen, den seit Lan-
2 Einen Forschungsüberblick geben folgende Publikationen:
Der Sammelband von Heinrich Kaak und Martina Schatt-
gem gebräuchlichen Begriff der „Gefügeforschung" in die
drei zu unterscheidenden Betrachtungsebenen Baugefüge,
kowsky (Hg.), Herrschaftliche Machtentfaltung über adligen
Raumgefüge und Funktionsgefüge zu differenzieren. Darauf
scheidung allerdings nicht. Zur Begriffsgeschichte siehe Arti-
Lafreuz, Gutshöfe und Herrenhäuser in Schleswig-Holstein.
und fürstlichen Grundbesitz in der Frühen Neuzeit. Köln
aufbauend schlug Konrad Bedal 1976 vor, in Abgrenzung
2003; Kurt Andermann, Adelige Landwirtschaft in der frü-
zur bisherigen Gefügeforschung den Begriff „Gefüge"
durch den allgemeineren der „Struktur" zu ersetzen und
hen Neuzeit - Zur Bedeutung des Eigenbaus beim ritterschaftlichen Adel, in: Kurt Andermann und Sönke Lorenz
(Hg.), Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger
Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert.
führte zugleich als vierte Betrachtungsebene die der Sozialstruktur ein. Es werden Bau-, Raum-, Funktions- und Sozial-
Ostfildern 2005, S. 57-71.
struktur eines Hauses unterschieden. Diese Betrachtungsebenen bilden nach Bedal keine Hierarchie, sondern bedin-
3 Für den niedersächsischen Raum wird der Forschungsstand
gen und beeinflussen sich in jeder Richtung gegenseitig. Da
zusammengefasst bei Susanne Rappe-Weber, Neuerungen in
sich dieses Beschreibungs-Modell als tragfähig erwies und
der Gutswirtschaft um 1700. Zwei niedersächsische Ritter-
zur klareren Darstellung untersuchter Bauten beitrug, galt es
güter im Vergleich, in: Jochen Ebert/Cindy Baierl/Ilke Marschall (Hg.), Landwirtschaftliche Großbetriebe und Landschaft im Wandel. Bielefeld 2005, S. 104-119. Für den hes-
wie bei jeder Arbeit, die sich der „historischen Hausfor-
sischen Raum wird der Forschungsstand zusammengefasst
thodischen Einleitung vorangestellt, doch kaum mehr weiter
bei Jochen Ebert, Frankenhausen im regionalen Wirtschafts-
und Sozialgefüge, in: Ebert/Baierl/Marschall 2005 (wie zuvor), S. 19-49.
4 Wolfgang Rüther, Hausbau zwischen Landes- und Wirtschaftsgeschichte. Die Bauernhäuser der Krummhörn vom
16. bis zum 20. Jahrhundert. (Diss.) Münster 1999.
5 Nicht selten lässt sich vor diesem Hintergrund in der ortsgeschichtlichen Literatur der hier betrachteten Landschaften
eine eklatante Missachtung der Güter und adeligen Wirtschaften beobachten. Dort wird dann der Eindruck erweckt,
die dörfliche Wirtschaft sei „eigentlich" nur von den Bauern
getragen worden, obwohl sich vielfach weniger als 50 % der
bewirtschafteten Flächen in ihrer Hand befunden hatten.
schnell als allgemein verbindlich und wird bis heute so gut
schung" verpflichtet fühlt, fast gebetsmühlenartig jeder me-
auf seine Tragfähigkeit hin befragt bzw. vor dem Hintergrund der in den letzten zwei Jahrzehnten immensen neuen
Forschungsergebnisse nach Notwendigkeit einer Modifika-
tion gefragt. Das Modell wurde später durch verschiedene
Forschungsansätze, die über das einzelne Bauwerk hinausse-
hen, um die zusätzliche Betrachtungsebene der Hausstätte
weiterentwickelt. Vgl. Konrad Bedal, Gefüge und StrukturZu Standort und Arbeitsweise volkskundlicher Hausfor-
schung, in: Zeitschrift für Volkskunde 72. Münster - Bonn
1976, 161-176; Joachim Hähnel, Zur Methodik der haus-
kundlichen Gefügeforschung, in: Rheinisch-westfälische
Zeitschrift für Volkskunde 16. Münster - Bonn 1969, 51-69;
Fred Kaspar, Hausforschung im Kontext. Gefüge und Struk-
6 Hierzu liegen mehrere jeweils eine historische Landschaft
erfassende Studien vor, die nicht selten auch Hinweise auf
tur jenseits des Bauwerks, in: Kilian Kreilinger/Georg Walde-
die auf den Gütern stehenden Bauten erhalten. Zu nennen
Bedal zum 60. Geburtstag). Petersberg 2004, S. 73-85.
insbesondere Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Emslandes. Münster 1962; Friedrich Ernst Hunsche, Rittersitze, adelige Häuser, Familien und Vasallen der ehemaligen Obergraf-
schaft Lingen, Amt Bevergern und weitere Tecklenburger
Lehensträger. 2 Bände. Tecklenburg 1988 und 1989; Rudolf
vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück. Os-
nabrück 1930; Gustav Stölting/Börries von Münchhausen,
Die Rittergüter der Fürstentümer Calenberg, Göttingen und
Grubenhagen. Osnabrück 1912. - Victor Jürgen von der
Osten, Die Rittergüter der Calenberg-Grubenhagenschen
Landschaft. Hannover 1966; Thorsten Neubert-Preine, Die
Rittergüter der Hoya-Diepholz'schen Landschaft. Nienburg
2006; Arthur von Düring, Ehemalige und jetzige Adelssitze
mer (Hg.), Alles unter einem Dach (= Festschrift für Konrad
9 Gertrud Angermann, Der Oberst Georg von Holle 15141576. Ein Beitrag zur Geschichte des 16. Jahrhunderts
(= Mindener Beiträge 12). Minden 1966, hier insbesondere
das Kapitel zu Besitz, Bauten und Lebensverhältnissen
S. 225-248. Er besaß zu Eigen als Hauptwohnsitz das Haus
Himmelreich bei Minden, daneben aber auch das Haus
Marek bei Tecklenburg (beide Bauten ließ er neu errichten)
und den elterlichen Burgmannshof zu Lübbecke. Zu Pfand
hatte er das Amt Grohnde an der Weser, dessen Herrenhaus
er ebenfalls erweiterte und das später durch das Amt Forst
abgelöst wurde. 1566 bis 1575 hatte er auch das
Tecklenburger Lehen Haus Velpe. Zu den verschiedenen
Herrenhäusern gehörten jeweils auch Stadthäuser, unter
35
36
Einleitung
anderem in Osnabrück und Minden, die ebenfalls für ihn
1954, S. 26.
und sein Umfeld eingerichtet bereitstanden.
10 Irmintraut Richarz, Herrschaftliche Haushalte in vorindus-
22 Elisabeth Korn, Woher stammte Johann Conrad
trieller Zeit im Weserraum. Berlin 1971, hier S. 25-45, 65-85
(= Schlaunstudie I). Münster 1973, S. 278-300, S. 294.
und 100-103.
23 Wilfried Hansmann, Die Wohnhäuser Johann Conrad
11 Er hat sich hierbei aber auch skeptisch zu der These geäu-
Schlauns, in: Klaus Bußmann (u.a.), Johann Conrad Schlaun
ßert, dass diese Vierständerbauten zu herrschaftlichem
1695-1773. Stuttgart 1995, S. 501-516, hier S. 510.
Wohnen genutzt worden seien. Darauf wurde allerdings
24 Werner Hager, Schlaun, Versuch eines Umrisses, in:
Bußmann 1973 (wie Anm. 22), S. 13-44, hier S. 40. Dieser
Überlegung folgte auch Hansmann 1995 (wie Anm. 23), S.
später nicht mehr geachtet. Werner Lindner, Die bäuerliche
Wohnkultur in der Provinz Westfalen und ihren nördlichen
Schlaun?, in: Klaus Bußmann (Hg.), Johann Conrad Schlaun
Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Bauernstandes.
510 und Holger Schulten, Haus Rüschhaus, in: Bußmann
1995 (wie Anm. 23), S. 517-522, hier S. 520.
Berlin 1912, S. 635-840, hier S. 780-795 sowie Abb. 327 f.
25 Bußmann 1993 (wie Anm. 18), S. 495.
12 Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmale des Kreises
26 Schulten 1995 (wie Anm. 24), S. 517.
Münster-Land. Münster 1897, S. 121 und 123 sowie Tafel
27 Schulten 1995 (wie Anm. 24), S. 520-521.
75.
28 Dies wohl nur deswegen, weil er zu dieser Zeit in der
13 Joseph Vaders, Haus Rüschhaus und Haus Hülshoff bei
Stadt lebte (Michels 2010 [wie Anm. 19], S. 63 und 64).
Münster, in: Niedersachsen. Illustrierte Halbmonatsschrift für
29 S. hierzu die Beschreibung seines Elternhauses bei Korn
Geschichte, Landes- und Volkskunde, Sprache, Kunst und
1973 (wie Anm. 22), hier insbesondere S. 280-290. Schon S.
Literatur Niedersachsens, Band V. Bremen 1900, S. 165-167,
294 wurde von ihr angedeutet, dass Schlaun beim Neubau
hier S. 165. Professor Dr. Joseph Vaders gehörte zu den
Begründern des Baumberge-Vereins e. V. von 1896 (einem
von Haus Rüschhaus auch durch die Erfahrung seines
Grenzgebieten, in: Engelbert von Kerckerinck zur Borg (Hg.),
Elternhauses Anregungen gefunden haben könnte.
touristischenWanderverein), dem er von 1898 bis 1931 auch
30 Insbesondere ist hier auf die Beiträge von Axel Böcker
vorstand.
u. a. zum Haus Westerhaus, Fred Kaspar zu Bauernhöfen mit
14 Willi Peßler, Das altsächsische Bauernhaus in seiner geo-
Zweit- und Drittwohnungen sowie zur „Borg" auf dem Hof
Lütke Rumphorst und dem Haus Lohfeld sowie auf den
graphischen Verbreitung. Braunschweig 1906, S. 89.
15 Heinrich Hartmann, Johann Conrad Schlaun. Münster
Beitrag von Fred Kaspar und Peter Barthold zum Haus Milte
1909.
zu verweisen.
16 Heinrich Hartmann, Johann Conrad Schlaun. Ein Beitrag
zur Geschichte der westfälischen Architektur des 18. Jahr-
31 Hans Heinrich Müller, Domänen und Domänenpächter in
hunderts. Münster 1910, S. 55-58, hier S. 56 und 58.
Wirtschaftsgeschichte IV, 1965, S. 152-161, hier S. 152.
Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für
17 Lindner 1912 (wie Anm. 11), S. 780. Er hatte hierzu eine
32 Hans-Heinrich Müller, Domänenpächter im 19. Jahrhun-
detaillierte Bauaufnahme durch den bedeutenden in
dert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1989, S. 123-
Münster ansässigen Architekten Alfred Hensen (1869-1931)
130.
erstellen lassen. Vgl. Karl Eugen Mummenhoff, Bemerkungen zu Bauten Alfred Hensens in Münster, in: Westfalen 56.
33 S. hierzu für das Fürstbistum Osnabrück den Beitrag von
Nicolas Rügge, für das nördliche Niedersachsen die Beiträge
Münster 1978, S. 193-212; Otto Sarrazin, Regierungsbau-
von Dörfler und Riepshoff, für Westfalen den Beitrag von
Münster 1978, S. 189-192.
18 Klaus Bußmann, Architektur der Neuzeit, in: Franz-Josef
34 Rügge stellt fest, dass im Bistum Osnabrück etwa 30 %
meister Alfred Hensen (1869-1931), in: Westfalen 56.
Fred Kaspar und für Lippe den Beitrag von Heinrich Stiewe.
Jacobi (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Band III. Münster
der Güter Neugründungen des 16. Jahrhunderts seien, die
entweder durch den Adel als Rittersitze oder aber durch
1993, S. 463-522, hier S. 494-496.
Bürger angelegt wurden.
19 Hubertus Michels, Hallenhaus goes baroque. Johann
Conrad Schlaun und das Rüschhaus bei Münster, in: Jan
beiträgen behandelten Beispielen: Um 1550 Gut Dahlhausen
Carstensen (Hg.), Menschen - Ideen - Migrationen. Neue
Blicke auf Baukultur im Rheinland und in Westfalen - Lippe.
Essen 2010, S. 62-73.
20 Dies sei der Fall, da Schlaun hier „zwei Gedanken in
genialer Weise in die Wirklichkeit umgesetzt habe: Erstens
die Verbindung eines bäuerlichen Bedürfnissen entsprechenden Hauses mit einer auch städtischen Ansprüchen entspre-
chenden Wohnung, zweitens die Durchdringung der bäuer-
lichen Bauart des Niedersachsenhauses mit barocken
Stilelementen" (Karl Schulte-Kemminghausen, Haus Rüsch-
haus, in: Westfalen Bd. 21. Münster 1936, S. 200 ff., hier
S. 200 f.).
21 Theodor Rensing, Johann Conrad Schlaun. München
35 Belegt ist der Zeitpunkt bei folgenden in den Einzel-
bei Leopoldshöhe (Beitrag Stiewe); vor 1563 Duxscher
Freihof in Minden-Aminghausen (Beitrag Barthold); um 1560
Gut Mulmshorn südlich von Bremen (Beitrag Dörfler); 1570
der Freihof Kriete in Porta Westfalica-Lohfeld (Beitrag
Barthold), vor 1576 der Cammerhof in Bückeburg-Cammer
(Beitrag Barthold); 1579 das Wentrupsche Hofgut in HilleRothenuffeln (Beitrag Barthold); um 1583 der Freihof Bark-
hausen in Minden-Aminghausen (Beitrag Barthold); um
1590 Gut Haus Milte bei Telgte (Beitrag Kaspar); um 1590
Gut Haus Westerhaus bei Rinkeorde (Beitrag Böcker u. a.);
1626 der Freihof in Hille-Eickhorst (Beitrag Barthoid); um
1640 Gut Bockei südlich von Bremen (Beitrag Dörfler); um
1680 Gut Nachtigall bei Paderborn (Beitrag Kaspar); um
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
1715 Gut Nassengrund bei Blomberg (Beitrag Stiewe); um
Bernd Walter, Die Beamtenschaft in Münster zwischen stän-
1764 Gut Haus Werse bei Münster (Beitrag Kaspar/
discher und bürgerlicher Gesellschaft. Eine personenge-
Barthold); 1778 Gut Tietzels Denkmal bei Minden (Beitrag
schichtliche Studie zur staatlichen und kommunalen
Barthold); um 1780 Gut Tönneburg bei Warendorf (Beitrag
Beamtenschaft in Westfalen (1800-1859). Münster 1987. -
Sandmann); um 1820 Gut Rodenbeck bei Minden (Beitrag
van den Heuvel 1984 (wie Anm. 43); Thomas Klingebiel, Ein
Barthold); 1827 Gut Kuhlenkamp bei Minden (Beitrag
im Nordwesten Westfalens zu Beginn der Neuzeit. Münster
Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit.
Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum
Wolfenbüttel. Hannover 2002 (im Anhang einer Zusammenstellung aller Amtsträger der Zeit zwischen 1630 und 1806
1995, S. 79 f.
mit ausführlichen Hinweisen auf ihre Lebensläufe und sozia-
37 Richarz 1971 (wie Anm. 10), S. 28 und 58-66. Sie behan-
len Verflechtungen).
delte insbesondere Statius von Münchhausen, der verschie-
46 Eine vollständige Liste der Wolbecker Amtsrentmeister ab
Barthold); 1846 Gut Masch bei Minden (Beitrag Barthold).
36 Zur Geschichte der Gutsgründungen im Raum MindenRavensberg und Lippe auch Gertrud Angermann, Volksleben
dene Güter und Schlösser erwarb und von dort einen
schwunghaften Getreidehandel unterhielt, daneben aber
auch Bergwerke im Harz und Verarbeitungsbetriebe wie
einen Hochofen sowie Drahtrollen und Hämmer bei
1404 bei Wolf Lammers, Gutsherrschaft und Bauernbefreiung in Angelmodde. Münster 1999, S. 46. Ausführlicher
teilweise bei Wilhelm Kohl, Bistum Münster, Die Diözese
(= Germania Sacra, NF 37,4). Berlin 2004, S 263-266.
Wernigerode betrieb. 1618 ging er mit seinem Imperium in
47 Thomas Kleinknecht, Die münstersche Stiftung Sieverdes
Konkurs.
von 1768, in: Franz-Josef Jacobi (u. a.) (Hg.), Stiftungen und
38 So geschah es etwa schon um 1780 mit Haus Wienburg
Armenfürsorge in Münster vor 1800. Münster 1996, S. 338-
oder ab etwa 1870 mit Haus Werse, beide am Rand der
399, hier S. 365-366 und Stammtafel im Umschlag..
Stadt Münster (Beiträge Kaspar/Barthold). Nach einer kurzen
48 Z. B. die über drei Generationen die Grafschaft Rietberg
ersten Phase im späten 18. Jahrhundert folgten in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Gut Tönneburg bei
Warendorf (Beitrag Sandmann) und Gut Nachtigall bei
führende Beamtenfamilie Reincking (Matthias Ester, Der
gräflich-rietbergische Kammerrat und Rentmeister Ludwig
Reinking [1744-1811]). Zur Sozialgeschichte der Beamten-
Paderborn (Beitrag Kaspar).
schaft in einem westfälischen Kleinstaat am Ende des Alten
39 Hier sind etwa zu nennen das Gut Vasbach bei Kirchhun-
Reiches, in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung Bd.
dem (Beitrag Pollmann), Gut Haus Werse bei Münster und
45. Münster 1987, S. 193-225).
das Gut Haus Milte bei Telgte (Beiträge Kaspar/Barthold), fer-
49 Der Rentmeister Gerhard Zumbusch handelte über
ner das Gut Lütke Rumphorst bei Telgte und das Gut Haus
Jahrzehnte im Namen des Johann Heinrich von Ascheberg
Lohfeld bei Warendorf (Beitrag Kaspar).
auf dem Haus Ichterloh (Ascheberg, Kr. Coesfeld), hatte aber
40 Hier ist z. B. auf das 1780 aufgelöste Mulmshorn südlich
auch die beiden Güter Dentrup und Brügge seiner Herrschaft
von Bremen (Beitrag Dörfler), die Geschichte von Haus Wes-
angepachtet und bewirtschaftete diese auf eigene Rechnung in Nebentätigkeit. Zeitweilig beschäftigte er auch
terhaus (Beitrag Böcker u. a.) und das 1932 aufgelöste Gut
Koppel (Beitrag Riepshoff) hinzuweisen.
41 Sie dürften aus dem Villicus bzw. Meier als Leiter des
Herrenhofes hervorgegangen sein. Hierzu weiterführend:
Leopold Schütte, Der Villicus im spätmittelalterlichen Westfalen, in: Hans Patze (Hg.), Die Grundherrschaft im späten
Mittelalter, Band 1. Sigmaringen 1983, S. 243-368.
42 Hiermit verbunden war daher auch der Hopfenbau,
Mühlen und Mälzerei bzw. die Nutzung von großen Holzmengen als Brennmittel.
43 Christine van den Heuvel, Beamtenschaft und Territorialstaat. Behördenentwicklung und Sozialstruktur der
Beamtenschaft im Hochstift Osnabrück 1550-1800. Osnabrück 1984, S. 228.
44 Rolle, Aufgabe und soziale Stellung der Rentmeister
wurde bislang ausführlich nur für die Burg Dinklage der
Familie von Galen untersucht. Vgl. Sonja Michaels, Leben auf
einem Adelssitz im Niederstift Münster. Bauen, Wohnen,
Arbeiten und Haushalten auf Burg Dinklage zwischen dem
16. und 19. Jahrhundert. Cloppenburg 2008, S. 236-254f.
45 Clemens Steinbickler, Das Beamtentum in den geistigen
Fürstentümern Nordwestdeutschlands im Zeitraum von
1430-1740, in: Günther Franz (Hg.), Beamtentum und Pfarrerstand 1400-1800. Limburg 1972, S. 121-148, hier 123 ff.;
einen Schreiber als Mitarbeiter auf der Rentei (Peter Theißen,
Ichterloh - Der Anfang vom Ende, in: Geschichtsblätter Kreis
Coesfeld Bd. 13. Coesfeld 1988, S. 21-53, hier S. 28-29).
50 Eine solche Struktur bestand beispielsweise im 18. Jahr-
hundert bei dem Familienverband von Spiegel, wobei der
Oberrentmeister auf dem Gut Übelngönne bei Warburg
lebte, während auf den Gütern in Bühne und Daseburg und
an anderen Orten örtliche Rentmeister für die Verwaltung
der grundherrlichen Einkünfte zuständig waren. Daneben
gab es zudem auch noch Pächter als Betreiber der verschiedenen Gutsbetriebe.
51 Hierzu die instruktive Publikation eines Anstellungsvertrages für den Amtmann des Stiftes Langenhorst aus dem
Jahre 1626 (Wilhelm Eiling, Zur Geschichte des Stiftes Lan-
genhorst, Ochtrup 2012, S. 105-106) sowie die Liste aller
dort nachweisbaren Amtmänner (ebd., S. 1-2).
52 Vgl. etwa Wilhelm Rave, Die Geschichte des westfälischen Geschlechtes Rave. Münster 1948; ders., Geschichte
des westfälischen Geschlechtes Rave. Ergänzungsband.
Münster 1958. Zu der weitverbreiteten Familie Harsewinckel,
die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Amtsrentmeister
zum Reckenberg in Wiedenbrück stellten, s. Franz Flaskamp,
Florenz Karl-Joseph Harsewinckel in: A. Bömer/O. Leunen-
37
38
Einleitung
schloß/J. Bauermann (Hg.), Westfälische Lebensbilder. Müns-
ter 1934, S. 373-379. Zur Familie der Rentmeister, Juristen
und Gelehrten aus der Familie Schücking s. Clemens Stein-
Zur Geschichte der Meierei Biesterfeld, in: Lippische
Mitteilungen 73. Detmold 2004, S. 173-186.
Schumacher, die ab 1712 in Cloppenburg arbeiteten s.
57 Hierzu die Ausführungen über die Bedeutung der Konduktoren für die Entwicklung der Landwirtschaft in Lippe bei
Linde/Rügge/Stiewe 2004 (wie Anm. 7), S. 46-50.
58 Bernd-Wilhelm Linnemeier, Die landesherrliche Domänenwirtschaft und die Amtshäuser des Fürstentums Minden.
Kleinknecht 1996 (wie Anm. 47), hier S. 365. - Stammfolge
Untersuchungen zu ihrer Struktur und äußeren Beschaffen-
der Meyer zu Pavenstedt in: Beiträge zur westfälischen Fami-
heit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Mindener
lienforschung 57/58. Münster 1999/2000, S. 596. - Wilhelm
Mitteilungen, Bd. 64. Minden 1992 S. 49-80.
Schulte, Die Geisbergs. Charakterköpfe aus einer Stromberger und Gelder Rentmeisterfamilie, in: Heimatkalender
1961 für den Kreis Beckum. Beckum 1961, S. 49-54 (das
59 Zur Entwicklung der Domänenpachtungen als Teil der
Staatsökonomie zwischen dem frühen 18. Jahrhundert und
umfangreiche Archiv der Familie Geisberg befindet sich
inzwischen als Depositum in der Verwaltung vom Landes-
60 LA NW, Abt. Münster, Fürstbistum Paderborn, Hof-
bicker, Die Ahnenbildersammlung L. Schückings in Sassen-
berg, in: Westfalen 42. Münster 1964, S. 401 ff. Zu den
Rentmeistern aus der aus Münster stammenden Familie
1945 vgl. Müller 1965 (wie Anm. 31).
kammer, Akten 1935 und 1936 (im Bestand der Hofkammer
archiv NW, Abt. Münster). - Josef Rohrbach, Eine Dringen-
auch zahlreiche weitere Akten zu den einzelnen Pachtbe-
berger Rentmeisterfamilie im 17. Jahrhundert, in: Heimatborn (= Beilage zum westfälischen Volksblatt) 16/1936, Nr.
trieben).
3, S. 10ff.; Der Konduktor Leopold Westhoff und seine
Konzepte und kleine Reste: Das sogenannte Schloss und die
Familie, in: Roland Linde, Das Rittergut Gröpperhof. Münster
Domäne Oesterholz, in: Heinz Wiemann (Hg.), Geschichte
- Norderstedt 2005, S 173-183; Martin Rudolph, Die
ihres Sippenkreises. Göttingen 1957. Zur Familie Corfey s.
der Dörfer Schlangen, Kohlstädt, Oesterholz und Haustenbeck, Bd. II. Bielefeld 2011, S. 678-755, hier besonders S.
686-689.
Gerd Dethlefs, Zwischen Reformation und Säkularisierung,
62 Joachim Lampe, Aristokratie, Hofadel und Staatpatriziat
in: Hans Galen und Helmut Ottenjann (Hg.), Westfalen in
Niedersachsen. Cloppenburg 1993, S. 47-84, hier S. 73. Zu
den zahlreichen Mitgliedern der im Bistum Osnabrück tätigen Rentmeisterfamilie Schmidtmann s. van den Heuvel
1984 (wie Anm. 43), S. 231-233 (dort auch weitere Belege
für die zu diesen Kreisen gehörenden Familien Schorlemer,
in Kurhannover, Band 1. Göttingen 1963, hier insbesondere
S. 330-340.
Judenherzogs. Zur Geschichte einer Pyrmonter Familie und
Corfey und Harsewinckel).
53 Vikare sind z. B. als Rentmeister der Familie von Merveldt
in Wolbeck und Westerwinkel oder der Herren von der Recke
zu Drensteinfurt belegt. Der Vikar Sundern war in der Mitte
des 18. Jahrhunderts Rentmeister des Hauses Küchen bei
61 Exemplarisch hierzu Fred Kaspar/Peter Barthold, Große
63 In Herzogtum Schleswig verlief die Entwicklung im Detail
anders: Nachdem man auch hier seit dem späten 17. Jahrhundert zur Verpachtung der Staatsdomänen übergegangen
war, wurden diese „Vorwerke" ab 1761 nach und nach auf-
gelöst und parzelliert (Carsten Parskrog Rasmussen,
Domänenwirtschaft im Herzogtum Schleswig von 1530 bis
1770, in: Ebert/Baierl/Marschall 2005 [wie Anm. 3], S. 81103).
64 Während am Anfang des 18. Jahrhunderts nur 14% die-
haft Michaels 2008 (wie Anm. 44), S. 242-254.
ser etwa 190 Güter in bürgerlicher Hand waren, stieg ihr
Anteil bis zum späten 18. Jahrhundert auf 34 %. Vgl. hierzu: Axel Flügel, Bürgerliche Rittergüter. Göttingen 2000,
54 Van den Heuvel 1984 (wie Anm. 43), S. 229.
S. 107-119.
55 Hier sei auf die ausführlichen Untersuchungen zu der in
65 Flügel 2000 (wie Anm. 64), S. 144-150.
Ahlen für die Herren von Mallinckrodt. Zur Rolle der Hausgeistlichen als Rentmeister der Familie von Galen s. beispiel-
gewiesen: Bernd-Wilhelm Linnemeier, Beiträge zur Geschich-
66 Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung erster Ergebnisse einer augenblicklich laufenden baugeschichtlichen
te von Flecken und Kirchspiel Schlüsselburg. Stolzenau 1986,
Untersuchung des gesamten Gutes und seiner Geschichte
S. 365-397 (Gut Neuhof); Bernd-Wilhelm Linnemeier, Das
durch Fred Kaspar und Peter Barthold als Grundlage bei der
der Landwirtschaft tätigen „Unternehmerfamilie" Voigt hin-
Amt Ricklingen und die Familie Voigt. Garbsen 1993.
56 Zu dieser sozialen Gruppe liegen allerdings ebenso wie
Beratung durch die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und
Baukultur im Zuge der angelaufenen Sanierungsarbeiten.
Nach Abschluss der Arbeiten wird hierzu eine umfangreiche
für die Rentmeister nur wenige Untersuchungen vor. Eine
Ausnahme bildet die ausführliche Untersuchung über die
Pächter auf der hessischen Domäne Frankenhausen bei
Dokumentation vorgelegt.
67 Neben dem als Amtmann bezeichneten und mit vielen
Kassel und ihre familiengeschichtlichen Verflechtungen. Vgl.
Rechten ausgestatteten Pächter von Blankenau wurden wei-
Jochen Ebert, Soziale Räume. Das Kabinettgut Frankenhausen im lokalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialgefüge
(18. Jahrhundert), in: Ebert/Baierl/Marschall 2005 (wie Anm.
tere Corveyer Rechte vor Ort auch durch den Corveyer Förs-
ter vertreten. Dieser war insbesondere für die Verwaltung
der großen Waldgebiete und der daran haftenden Nut-
3), S. 19-49. Hinweise zur sozialen Einbindung der Pächter
auch für die Meierei Schieder bei Walter Schmidt, Schieden
zungsrechte zuständig und wurde auch als Vogt bezeichnet.
Die Geschichte eines lippischen Dorfes. Schieder 1964, S.
296-303 sowie für die Meierei Biesterfeld bei Willy Gerking,
MS, Fürstabtei Corvey, Akten 1118.
69 Aus dem Dorf Blankenau waren zehn Tage Spann- und
68 Pachtvertrag vom 02.11.1703 in Landesarchiv NW, Abt.
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
292 Tage Handdienste zu nutzen. Weitere vergleichbare
Rechte erhielt er auch in den Dörfern Godelheim und Ja-
[wie Anm. 80], S. 175 und 180).
cobsberg sowie in Beverungen.
82 Er besaß auch das Gut Engeln bei Straßfurt in SachsenAnhalt.
70 Die Gesamteinnahmen der Abtei Corvey wurden für die
83 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 91.
Zeit um 1790 mit etwa 25 000 Rthl. berechnet (Georg
84 Diese Maßnahmen wurden allerdings nicht ausgeführt,
Föllinger, Corvey - Von der Reichsabtei zum Fürstbistum.
München 1978, S. 140).
was 1813 als einer der Gründe für das wirtschaftliche
71 Abrechnung für das Jahr 1720/21 in Landesarchiv NW,
Abt. MS, Fürstabtei Corvey, Akten 1122.
Scheitern des Pächters genannt wurde (Pieper 2000 [wie
Anm. 80], S. 177).
85 Er dürfte der Familie Wahnschaffe entstammen, die von
72 Diese wurde ab 1796 für jährlich 6400 Rthl. verpachtet
1751 bis 1861 Pächter der großen Staats-Domäne Wefer-
und ab 1806 für 7995 Rthl. jährlich. Hierzu: Fred Kaspar,
Corvey wird zum Bistum erhoben und lässt deswegen ein
Casino-Hotel errichten! Das „Dreizehnlindenhaus" vor Cor-
dingen im Bördekreis war (danach wurde die Domäne an die
vey, in: Westfalen 89. Münster 2011, S. 203-228, hier S.
87 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 43.
204-205.
88 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 69 und 81-82.
73 Erster Pächter war Hans Anton Korte, gnt. Sauer aus
89 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 81.
Lüchtringen. Ihm folgte von 1703 bis 1709 der Obristwacht-
90 Hierzu viele Beispiele bei Dethlefs 1993 (wie Anm. 52), S.
meister zu Pferde Herbolt Linneberg. Seine Witwe blieb noch
67-72.
bis 1758 Pächterin. Ihr folgten zunächst der Landwirt Lappe
und von 1765 bis nach 1800 der Amtsrat Schäfer.
91 Dieser Prozess setzte schon im 16. Jahrhundert ein. So
74 Fritz Sagebiel, Aus der Geschichte der Tonenburg bei
noch als Nebensitz der eingeheirateten Familie von
Herren von Spiegel zum Desenberg auf Seggerde verkauft).
86 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 65.
diente z. B. das Haus Büling bei Bocholt schon ab 1 573 nur
Höxter-Albaxen, in: Fritz K. Sagebiel, Zwei Burgen im Bereich
Hambrock.
der Stadt Höxter. Höxter, o. J. [um 1980], S. 41-79, hier S.
75-76.
92 Zur Bedeutung der Jagd als herrschaftliches Statussymbol
aber auch für den herrschaftlichen Haushalt s. Michaels
75 Zur Entwicklung der wirtschaftlichen Grundlage des
evangelischen Klosters Loccum in Hannover mit zwei in
2008 (wie Anm. 44), S. 409-424.
Eigenwirtschaft betriebenen Klosterhöfen und vier verpach-
Zahl von ererbten Herrenhäusern im ganzen Münsterland.
teten Vorwerken s. Christian Eggers, Grundherrschaft als
Unternehmen. Die Wirtschaft des Klosters Loccum im 17.
Das ihm auch gehörende Haus Bevern bei Ostbevern (Kr.
Warendorf) stand seit der Mitte des 18. Jahrhunderts leer.
und 18. Jahrhundert, in: Carl-Hans Hauptmeyer (Hg.),
Am 23. August 1814 teilte er seinem dortigen Rentmeister
Hannover und sein Umland in der frühen Neuzeit (= Hanno-
mit, dass er für etwa acht Tage mit seinem Sohn, einem
versche Schriften Band 8). Bielefeld 1994, S. 17-46.
76 Kaspar 2011 (wie Anm. 72), S. 203-204.
93 Der Erbdroste Droste zu Vischering besaß eine größere
Bediensteten und einem Reitknecht sowie etwa fünf Pferden
77 Das Kloster besaß 1803 neben der eigenen Landwirt-
zur dortigen Jagd kommen würde und gab Anweisungen,
welche der Räume in dem alten Herrenhaus für den Aufent-
schaft folgende Einnahmen aus Heuer- und Pachtgefällen in
halt herzurichten seien (Helmut Richtering, Haus Bevern, in:
den umliegenden Dörfern: Insgesamt 2041 Scheffel Roggen,
Franz Meyer [Hg.], Geschichte der Gemeinde Ostbevern.
Ostbevern 2000, S. 392-422, hier S. 411).
345 Scheffel Gerste und 2252 Scheffel Hafer, ferner 312
Hühner und 6191 Eier. Ferner kamen Einnahmen aus dem
Zehnten, von zwei Mühlen, dem Besitz an der Saline Salzkotten sowie den Waldungen in Gehrden und Dahlhausen.
94 Hierzu zahlreiche Beispiele bei Karl-Eugen Mummenhoff,
Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von 1450 bis
1650. Münster 1961. Die komplexe und stetigem Wandel
1822 wird der Amtmann Frankenberg als Pächter genannt
(Diether Pöppel, Gehrden. Benediktinerkloster - Schloß Kirche - „Stadt" im Wandel der Jahrhunderte. Paderborn
che Entwicklung vor dem Hintergrund der Familienge-
1988, S. 85 und 178-181; Wilhelm Richter, Preußen und die
anschaulich dargestellt bei: Thomas Spohn, „Ich habe einen
Paderborner Klöster und Stifter 1802-1806. Paderborn
unterworfene Nutzung eines solchen Gutes und seine bauli-
schichte (Altenteil, Pachtgut, Wohnsitz und Sommersitz) ist
Pfächtiger auf meinem Rittersitz". Zur Bau-, Wohn-,
1905, S. 128).
Wirtschafts- und Lebensweise auf dem kleinen Adelssitz
78 Rudolph Stadelmann, Preußens Könige in ihrer Tätigkeit
Haus Steinhausen zwischen 1628 und 1712, in: Beiträge zur
für die Landeskultur, Teil IV. Leipzig 1887, Urkunde Nr. 160.
Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Band
79 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 91.
81/82. Dortmund 1990/91, S. 57-96.
80 Roland Pieper, Dalheim. Pfarrort, Kloster - Staatsdomäne. Münster 2000, S. 175.
95 Siegfried Schmieder, Oelde, die Stadt, in der wir leben -
81 Dalheim wurde 1803 zunächst übergangsweise von dem
Ökonomen Steltzer, Verwalter des Vorwerks Giebichenstein
96 Dies gilt etwa für das Haus Romberg bei Ascheberg (Kr.
bei Halle und danach von dem Ökonomen Schwiete, Admi-
erfolgte durch den Autor. Publikation dazu in Arbeit.
nistrator des Klosters St. Michaelis in Hildesheim, verwaltet.
Ab 1827 wurde Dalheim an Otto Engelbrecht verpachtet,
zuvor Pächter des Gutes Dieskau bei Halle/Saale (Pieper 2000
Beiträge zur Stadtgeschichte. Oelde 1987, S. 815-816.
Coesfeld). Eine baugeschichtliche Untersuchung der Anlage
97 So verlor etwa Haus Alst (Horstmar, Kr. Steinfurt) seinen
Haushalt schon um 1670, nur etwa 40 Jahre nach dem
Neubau des Herrenhauses. Haus Klein Schönebeck (Dülmen,
39
40
Einleitung
Kr. Coesfeld) und Haus Bevern (Ostbevern, Kr. Warendorf)
standen seit dem frühen 18. Jahrhundert zumeist leer.
Bockei (Beitrag Dörfler).
98 Die erste Entwicklung dokumentiert der Beitrag zum
Haus Vörde bei Castrop-Rauxel, die zweite das um 1709
von Kaspar „Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen".
errichtete, heute als Haus Engelrading bezeichnete Gebäude
handel und Rinderhaltung im nordwesteuropäischen Küs-
bei Borken (Kr. Borken). Eine baugeschichtliche Untersuchung dieser Anlage erfolgte durch Fred Kaspar und Peter
Barthold. Publikation dazu in Arbeit.
tengebiet vom 15. bis zu 19. Jahrhundert. Stuttgart 1966.
Jens-Peter Rachau, Der Rinder- und Ochsenhandel an der
99 Vgl. hierzu zusammenfassend Markus Weidner, Landadel
Husum 2011.
in Münster 1600-1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürstenhof. Münster 2000, S. 414-418.
112 Hier wird nicht auf die ebenfalls vielfach in der Form von
100 Hier sind etwa die Familien Droste zu Vischering, von
Landsberg, von Plettenberg oder von Galen zu nennen.
Allein im Archiv von Haus Galen werden heute die Bestände
von etwa 25 Gütern verwahrt. Bedeutende Archivbestände
von vielen kleineren erworbenen Gütern befinden sich dar-
110 Vgl. hierzu die Zusammenstellung der Belege im Beitrag
111 Hierzu insbesondere Heinz Wiese/Johann Bölts, Rinder-
westlichen Nordseeküste im 18. und 19. Jahrhundert.
Längsdielenhäuser errichteten Zehntscheunen eingegangen.
113 Um 1570 Mulmshorn (Beitrag Dörfler); vor 1576 Cammerhof in Bückeburg-Cammer (Beitrag Barthold); um 1660
Vasbach (Beitrag Pollmann); 1727 Koppel - mit Besprechung
weiterer Beispiele in der Region (Beitrag Riepshoff); 1765
Koppel (Beitrag Riepshoff); um 1750 Nassengrund - durch
Umbau (Beitrag Stiewe); 1774 Lohfeld bei Warendorf
über hinaus auch in den Archiven von Haus Stapel bei
Havixbeck (Kr. Coesfeld) sowie von Haus Surenburg bei
(Beitrag Kaspar); um 1780 Tönneburg bei Warendorf (Bei-
Riesenbeck (Kr. Steinfurt).
trag Sandmann); 16. Jahrhundert Raum Minden (Beitrag
101 Vgl. hierzu den Beitrag von Thomas Spohn in diesem
Barthold); Weitere Belege auch im Beitrag von Michaels.
Band.
114 Hierzu ausführlich der Beitrag von Kaspar zu „Bauern-
102 J. Holsenbürger, Die Herren von Deckenbrock und ihre
höfe mit Zweit- und Drittwohnungen".
Besitzungen 1570-1798. Münster 1869, S. 173-174.
115 Zu diesem schon sehr lange von der Haus- und Baufor-
103 Auch dies zeigt die Geschichte der Familie von DrosteHülshoff. Hierzu Holsenbürger 1869 (wie Anm. 102), S. 221.
schung verfolgten Thema besteht eine umfangreiche Literatur. Einen Überblick über den Stand der Forschung bieten
104 Hier kann nicht die umfangreiche Literatur zur Ge-
insbesondere: Alfons Eggert/Josef Schepers, Spieker, Bauern-
schichte dieses Themas und die verschiedenen entwickelten
burgen, Kemnaden. Bäuerliche Speicherbauten im Münster-
Thesen ausgebreitet werden.
land. Münster 1985; Andreas Eiynck, Steinspeicher und
Gräftenhöfe. Aspekte der Bau- und Wohnkultur der groß-
105 Diese unklare Definition der Betrachtungsebenen ist
schon seit Langem bekannt (Konrad Bedal, Historische Haus-
bäuerlichen Führungsschicht des Münsterlandes, in: Günter
forschung. Eine Einführung in Arbeitsweise, Begriffe und
Literatur. Münster 1978, 8. 1 10-120, 181) und noch jüngst
wurde erneut auf die unklare Definitionsgrundlage des
Begriffes „Hallenhaus" hingewiesen (Lutz Volmer/W. Haio
Wiegelmann/Fred Kaspar (Hg.), Beiträge zum städtischen
Zimmermann, Glossar zum prähistorischen und historischen
Holzbau. Wilhelmshaven 2012, 8. 25, 30-31, 95-96 und
108-111).
106 Deutlich abweichend hiervon ist etwa die geringere
Breite des Kerngebäudes von 1554/55 (d), das auf dem Um-
Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland. Münster
1988, S. 306-374; Christoph Dautermann, Kirchhöfe und
Kirchhofspeicher in Nordwestdeutschland, in: Wiegelmann/
Kaspar 1988 (wie zuvor), S. 283-306.
116 Michael Scheftel, Holz und Steinbau am Beispiel der
Lusthäuser des Klerus und der vermögenden Bürgerschaft im
späten Mittelalter und der frühen Neuzeit in Lübeck, in:
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des
bau eines älteren, daher wohl zuvor als Bauernhaus genutz-
Mittelalters und der Neuzeit 24. Paderborn 2012, S. 209-
ten Längsdielen-Vierständerhauses zurückgeht.
217.
107 Lutz Vollmer, Bleibendes Erbe?, in: Bärbel Sunderbrink
(Hg.), Der Schlosshof. Gutshof - Gasthaus - Jüdisches Lager.
Bielefeld 2012, 8. 63-75, hier 8. 63.
108 So ist insbesondere von vielen Pfarrhäusern bekannt,
dass die Baupflicht von Wohnteil und Wirtschaftsteil jeweils
bei unterschiedlichen Parteien lag. Hierzu Thomas Spohn
(Hg.), Pfarrhäuser in Nordwestdeutschland. Münster 2000,
8. 12-17. Die Thematik der differenzierten Bau- und Ent-
wicklungsgeschichte, des Wachsens vieler Bauernhäuser
oder Längsdielenhäuser als Prozess stand im Frühjahr 2013
im Mittelpunkt der 25. Jahrestagung des „Arbeitskreises für
ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland" mit dem
117 Eiynck 1988 (wie Anm. 115); Heinrich Stiewe, „Bauernburgen". Spätmittelalterliche Steinspeicher in Lippe und Ost-
westfalen, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und
Landeskunde 71. Detmold 2002, S. 169-222; Heinz Rieps-
hoff, Speicher und Backhäuser in der Grafschaft Hoya,
Lilienthal o. J.
118 Spohn 1990 (wie Anm. 94).
119 Mummenhoff 1961 (wie Anm. 94), S. 27-28; Heinrich
Stiewe: Zwei Torhäuser des 16. Jahrhunderts auf Gräftenhöfen des Münsterlandes. Zur Rekonstruktion und Funktion
großbürgerlicher Repräsentationsbauten, in: Hausbau im
Mittelalter, Bd. III. Sobernheim 1988, S. 105-142.
120 Der Bestand ist für das Münsterland durch den Autor
Thema „Hausbau in Etappen - Bauphasen des niederdeutschen Hallenhauses". Die Publikation der Vorträge wird von
erfasst und in vielen Fällen auch archivalisch und bauhisto-
Thomas Spohn für 2014 vorbereitet.
109 Z. B. um 1560 Mulmshorn (Beitrag Dörfler) und 1783
Publikation in Vorbereitung.
risch untersucht worden. Zu den Ergebnissen ist eine eigene
Güter, Pachthöfe und Sommersitze
Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land
121 Dieser Prozess ist z. B. für das Haus Hameren bei Biller-
beck (Kr. Coesfeld) dokumentiert, das seit dem Spätmittel-
alter bis in das spätere 16. Jahrhundert durch kontinuierli-
chen Zuerwerb von benachbarten Höfen und Hufen zu
einem arrondierten landwirtschaftlichen Großbetrieb mit
einer Fläche von 750 Morgen Acker- und Weideland und
burg 2008, S. 127-147, hier S. 140-142, referiert ihre Thesen. Vgl. den Beitrag von Michaels in diesem Band. Zur Forschungsgeschichte s. den Beitrag von Kaspar, Bauernhöfe
mit Zweit- und Drittwohnungen.
134 Poppe 1976 (wie Anm. 132), S. 106.
135 Poppe 1976 (wie Anm. 132), S. 107.
100 Morgen Wald ausgebaut wurde. Hier auch Hinweise auf
136 Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie.
andere vergleichbare Anlagen (Peter llisch, Haus Hameren
um 1500, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld, Bd. 7.
Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück,
Coesfeld 1982, S. 7-19).
in: Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung. Schriften
des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold - Landesmu-
122 Individuelle Lösungen kamen natürlich immer vor: Bei
seum für Volkskunde. Bd. 3. Detmold 1988, S. 57-90, hier S.
Haus Lohfeld betrug die Pacht zehn Jahre und wurde 1772
89.
in eine Erbpacht für zwei Generationen umgewandelt.
137 Hierzu z. B. die Beiträge von Heinrich Stiewe und Sonja
123 Z. B. Martin Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische
Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte. Stuttgart 1984;
Michaels. 1994 erschien eine eingehende Untersuchung zu
zwei Rentmeisterhäusern des 17. Jahrhunderts im Weser-
Spohn 2000 (wie Anm. 108).
bergland, die diese als „Hallenhäuser der Beamtenaristokra-
124 Volker Wehrmann (Hg.), Die Schule in Lippe von 1800 -
tie" werteten (Joachim Kleinemanns, Das Haus des Distribu-
1945 in Bildern, Dokumenten und grafischen Darstellungen.
tors Ludovici aus Neuenheerse, in: Beiträge zur Volkskunde
Detmold 1980; Thomas Spohn: Schulhausentwürfe aus der
und Hausforschung 6. Detmold 1994, S. 133-158. Ein jüngs-
1. Hälfte des 19. Jahrhunderts im ehemaligen Herzogtum
Westfalen, in: Westfalen 76. Münster 1998, S. 52-75.
tes Beispiel hierzu sind die Ausführungen zu einem Guts-
125 Spohn 2000 (wie Anm. 108).
ten „gehobenen Hallenhäusern" gleichgesetzt und der
126 Cord Meckseper: Kleine Kunstgeschichte der deutschen
Schluss gezogen: „Mit Recht ist diesen Gebäuden auch das
Stadt im Mittelalter, Darmstadt 1982, S. 136.
127 Der unter dem Einfluss der Zentralitätsdiskussion in der
Haus Rüschhaus in Münster-Nienberge als vielleicht bekann-
und Sommerhaus bei Bielefeld. Es wird mit anderen bekann-
testes Beispiel eines Hallenhauses der „Beamtenaristokratie"
Kulturgeografie über lange Jahre gepflegte Schwerpunkt
„Stadt-Land-Beziehungen" der kulturgeschichtlichen For-
zur Seite gestellt worden" (Vollmer 2012 [wie Anm. 107], S.
schung hat das Thema bürgerliche Güter auf dem Land bzw.
138 Baumeier 1988 (wie Anm. 136), S. 89.
die Sozialschicht der Pächter, Rentmeister und Verwalter
139 Eiynck 1988 (wie Anm. 115), S. 318-321.
kaum in den Blick genommen. Der geringe Forschungsstand
140 Diese Thesen erstmals bei Michaels 2008 (wie Anm. 44),
zu dieser Thematik findet sich gut zusammengestellt bei:
S. 223-227. Grundlage ist für sie, dass diese reinen Wohn-
Wolfgang Schmid, „Am Brunnen vor dem Tore ..." Zur
Freizeitgestaltung der Stadtbevölkerung im 15./16.
Jahrhundert, in: Peter Johanek (Hg.), Die Stadt und ihr Rand.
Köln 2008, S. 19-145, hier insbesondere S. 97-116. Dieser
Sammelband thematisiert das Thema der Landsitze der städ-
75).
gebäude ebenfalls dreischiffige Gerüste hätten. Abgesehen
davon, dass hierzu ausführliche Dokumentationen der ange-
führten Bauten nicht vorliegen, steht sie damit allerdings im
deutlichen Kontrast zu einer langen Forschungslinie, die
gerade das Hallenhaus als ein Wirtschaftsgebäude definier-
tischen Bevölkerung auch in den weiteren Beiträgen nicht
weiter.
te, das auch andere weitere Funktionen unter seinem Dach
aufnehmen konnte.
128 Vgl. hierzu auch die verschiedenen Beiträge in den
141 Helmut Ottenjann, Identitätskultur des „Bauern-
Sammelband: Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der
Frühen Neuzeit. Marburg 1996.
Volkes". Entfaltung und Ende in der Weser-Ems-Region, in:
Frühe Neuzeit (=Festschrift für Ernst Hinrichs). Bielefeld
129 Heike Düselder (Hg.), Adel auf dem Lande. Kultur und
Herrschaft des Adels zwischen Weser und Ems 16. bis 18.
2004, S. 93-126.
Jahrhundert. Cloppenburg 2004.
den von ihm auf der hier dokumentierten Tagung noch einmal vorgetragen.
130 Lindner 1912 (wie Anm. 11), S. 780.
131 Mummenhoff 1961 (wie Anm. 94), S. 27-28.
132 Roswitha Poppe, Das Wirtschaftsgebäude auf Sondermühlen, ein Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert, in: Osna-
brücker Mitteilungen, Bd. 81. Osnabrück 1974, S. 186-191
und Tafel I bis IV. Dieser Aufsatz erschien in erweiterter Form
unter dem Titel: Das alte Herrenhaus auf der Wasserburg
Sondermühlen, in: Niedersächsische Denkmalpflege 8. Hildesheim 1976, S. 99-107 und Abb. 16-19.
133 Noch Hermann Kaiser, Adel und Wohnen auf dem Land.
Einflüsse ständisch geprägter Sozialstrukturen auf Bauweise
und Wohnverhalten in Nordwestdeutschland, in: Probleme
der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 32. Olden-
142 Kaiser 2008 (wie Anm. 133). Diese Überlegungen wur-
143 Kaiser 2008 (wie Anm. 133), S. 140.
144 Insbesondere Sonja Michaels spricht in ihrem Beitrag
diese Problematik vor dem Hintergrund an, indem sie auch
andere Bauformen als Wohnungen des niederen Adels einbezog. Auch in weiteren Beiträgen wurden Belege gebracht:
Das 1783 errichtete Hallenhaus auf dem Gut Bockei (Beitrag
Dörfler) und auch das 1765 an das Hallenhaus angebaute
Haus auf dem Gut Koppel (Beitrag Riepshoff) wurde nicht
von der Herrschaft, sondern von Verwaltern bewohnt. Auch
Dörfler stellt in seinem Beitrag abschließend die Frage, ob
Hallenhäuser eine Raumstruktur für adeliges Leben gewesen
seien.
41
42
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Nicolas Rügge
Zur Forschungsgeschichte und Quellenlage
Wer Rudolf vom Bruchs großes Werk „Die Rittersitze
des Fürstentums Osnabrück" zur Hand nimmt, könnte meinen, das Thema sei gründlich erforscht. In der
Tat verzeichnet der beeindruckende, inzwischen über
80 Jahre alte Band sämtliche adligen Wohnsitze auf
dem Gebiet des früheren Hochstifts. Besonders war
der Verfasser um vollständige Besitzerfolgen und um
Nachrichten zur Baugeschichte bemüht, davon zeu-
gen auch gezeichnete Lagepläne und zahlreiche
hochwertige Fotos. Dem historischen Überblick dient
eine zusammenfassende Einleitung, die viele Aspekte
in allerdings knapper Form anspricht. Statt eines - in
einem heimatgeschichtlichen Buch aus dieser Zeit
auch kaum zu erwartenden - Anmerkungsapparates
sind im Anhang erfreulicherweise die benutzten
Quellen summarisch, aber präzise genannt.1
Bei näherem Hinsehen werden aber auch die Grenzen
deutlich. Das auf die einzelnen „Rittersitze" fokussierte Buch eignet sich vorzüglich als Nachschlagewerk,
kann aber eine übergreifende Darstellung nicht ersetzen, zumal neben der Besitz- und Baugeschichte die
Informationen über den zugehörigen Grundbesitz
und überhaupt die gutswirtschaftlichen Aspekte stark
zurücktreten. Trotz seiner anregenden Materialfülle
hat „der vom Bruch" eine intensive wissenschaftliche
Beschäftigung mit dem Thema bisher nur in begrenztem Maß ausgelöst - dazu zählen nicht zuletzt jüngere baugeschichtliche Fallstudien zu einzelnen Adelsgütern.2
Umfassende Guts- und neuere Familiengeschichten
liegen aber nicht vor. Auch auf eine moderne Landesgeschichte des Hochstifts Osnabrück kann die Adels-
forschung leider nicht zurückgreifen. Bis zum frühen
17. Jahrhundert ist die Darstellung des Altmeisters der
Osnabrücker Landesgeschichte, Johann Carl Bertram
Stüve (+ 1872), immer noch maßgeblich.3 Für die
Beschäftigung mit dem frühneuzeitlichen Osnabrücker Adel ist inzwischen Christian Hoffmanns breit
angelegte Dissertation grundlegend, die am Beispiel
der führenden Familie von Bar den politischen, konfessionellen und lebensweltlichen Wandel im Hochstift zwischen Reformation und Westfälischem Frie-
den untersucht.4 Zeitlich anschließende Studien befas-
sen sich mit der Standesidentität des Osnabrücker
Adels im 18. Jahrhundert und jüngst aus der Perspektive einer „neueren" Politik- und Kulturgeschichte mit
Organisation, Verfahren und Selbstdarstellung der
Ritterschaft im Vergleich mit benachbarten Territorien.5 Ebenfalls kürzlich erschienen ist eine Untersuchung über das Gut Gesmold um 1800 und die
schweren Konflikte seiner Besitzer sowohl mit dem
Landesherrn als auch mit den bäuerlichen Untertanen.6 Darüber hinaus zeichnet sich für Nordwestdeutschland ein kulturgeschichtlicher Forschungsschwerpunkt ab, dessen Netzwerk von Cloppenburg
über Osnabrück und Münster bis in die niederländischen Grenzgebiete reicht.7 Gleichwohl ist die Ge-
schichte, zumal die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
des frühneuzeitlichen Osnabrücker Adels in großen
Teilen noch ungeschrieben.
Einem Mangel an Quellen sind die gravierenden Forschungsdefizite sicher nicht geschuldet, eher vielleicht
einem Übermaß, das die Beschränkung auf engere
Fragestellungen nahelegt. Allein 22 Gutsarchive aus
dem Osnabrücker Land sind im Niedersächsischen
Landesarchiv - Staatsarchiv Osnabrück - zugänglich,
ebenso das Archiv der Ritterschaft und die Bestände
aus fürstbischöflicher Zeit mit ihren zahlreichen
Adelsbetreffen.8
Der Stiftsadel und seine politische Rolle als
Ritterschaft
Schon im Mittelalter war der Adel im Osnabrücker
Land ausgesprochen präsent. Von den insgesamt
ziemlich genau 100 ländlichen „Rittersitzen"9 lassen
sich rund 60 bis vor die Epochengrenze um 1500
zurückführen, davon mindestens 20 in sehr langer meist auch familiärer - Tradition. Zu dieser ältesten
1 Haus Schelenburg (Amt Iburg), Südansicht, mit gotischem
Wohnturm (um 1200?) und Renaissance-Palas (Jörg Unkair
1532). Aufnahme um 1900.
„Burgen"-Schicht zählen etwa Barenaue (Bar), Ippenburg und Hünnefeld (von dem Bussche), Schelenburg
(Scheie, Abb. 1) und Gesmold (seit 1664 Frhr. von
Hammerstein).
43
Die genannten Güter sind mindestens so alt wie die
bischöfliche Landesherrschaft, die sich im späteren
Mittelalter (bis Ende des 14. Jahrhunderts) bildete. In
dieser Zeit entstanden auch die Stiftsburgen, auf
denen der Bischof residierte. Sein weltliches Herrschaftsgebiet, das sogenannte Hochstift, ist weitgehend identisch mit dem 1972 gebildeten Landkreis
Osnabrück, hinzu kam noch die Exklave Amt
vertreten waren. Diese Liste kann als Anfangspunkt
einer Matrikel der „landtagsfähigen Güter" gelten,
denn seitdem bildete sich die Gewohnheit (und
schließlich das Recht) heraus, dass genau die Besitzer
dieser Güter zu den Landtagen geladen wurden.17 Sie
bildeten die „Ritterschaft", den politisch berechtigten
Kern des Adels, der bei den Regierungsgeschäften
mitbestimmen durfte. Über zwei Drittel der Güter ver-
Reckenberg rund um das Städtchen Wiedenbrück.
Das Hochstift entwickelte sich zu einem typischen
geistlichen Fürstentum mit landständischer Verfassung: mit einem gewählten Bischof als Landesherrn
fügten über dieses wichtige Privileg, der Großteil der
Stelle die Ritterschaft und drittens die Städte, dominiert von der nahezu autonomen Hauptstadt Osna-
Landesfürsten deutlich stärkte: Sie konnten über die
Konfession ihrer Untertanen entscheiden und damit
zugleich ihre Landeshoheit festigen und ausbauen.
Bischof Johann von Hoya war als geistlicher Landes-
und mit Ständen, die das „Land" vertraten. Dies
waren an erster Stelle das Domkapitel, an zweiter
brück.10
Der zweite Stand, die Ritterschaft, ist unmittelbar aus
dem Prozess der Territorialbildung hervorgegangen,
nämlich aus den sogenannten Ministerialen, dem ursprünglich unfreien Dienstadel, der teils schon früh in
den Städten lebte,11 hauptsächlich aber die bischöflichen Stiftsburgen bewohnte und bewachte.12 Für ihre
Dienste erhielten die Ministerialen bzw. adligen Burgmannen im Gegenzug häufig Land und Leute in der
Umgebung als Lehen, das heißt an abhängige Bauern
ausgegebene Höfe. Aus diesen Lehngütern konnten
im Lauf der Zeit weitere Adelsgüter entstehen, indem
die adligen Grundherren einen oder mehrere dieser
Höfe einzogen und daraus „Rittersitze" mit eigener
Landausstattung schufen. Gleich ob es sich um ein
erstes Familiengut handelte oder ein zusätzliches als
AltersVWitwensitz oder für eine Nebenlinie - entscheidend war, den neuen Besitzkomplex vom Landesherrn privilegieren zu lassen. Solch ein adlig-freies
Gut genoss dann die typischen Vorrechte: Steuerfreiheit und gerichtliche Exemtion, oft auch Jurisdiktionsbefugnisse von der Holzgrafschaft bis zur - im
Osnabrückischen nur ganz vereinzelt prätendierten Strafgerichtsbarkeit.13 In aller Regel gehörten dazu
Jagd- und Fischereirechte, Kirchenstühle und ein
Erbbegräbnis, teils auch das Patronat der Pfarrkirche
oder einer eigenen Kapelle.
Ständisch war der Osnabrücker Adel am Ausgang des
Mittelalters schon weitgehend konsolidiert, aber noch
nicht korporativ.14 Er bildete zwar einen einigermaßen
homogenen „Stand" mit klaren (Heirats-)Grenzen
nach oben und zunehmend auch nach unten (die
Grauzone des städtischen Patriziats löste sich zusehends auf), aber die politische Mitwirkung war noch
nicht „der" Ritterschaft als Gesamt-,,Körperschaft"15
verbrieft. Eben dies geschah im Lauf des 16. Jahrhunderts: Nach dem Vorbild der Reichstage organisierten
sich nun territoriale Landtage, deren Zutrittsrechte zu
regeln waren.16 Im Jahr 1556 ließ der Osnabrücker
Bischof Johann von Hoya aufzeichnen, welche Adligen damals erschienen und welche Güter dadurch
anderen war entweder in bürgerlicher Hand oder
Nebenbesitz eines adligen landtagsfähigen Gutes.18
Der Beginn dieses Prozesses fällt in die Zeit unmittelbar nach Abschluss des Augsburger Religionsfriedens,
der die turbulente Reformationszeit beendete und die
herr (seit 1566 auch in Münster und seit 1568 in
Paderborn) in einer schwächeren Position als die
dynastisch verankerten weltlichen Reichsfürsten.
Auch angesichts einer enormen Schuldenlast musste
er sich in besonderem Maß auf den einheimischen
Adel stützen, den er zugleich in eine stärker rechtlich
definierte territorialstaatliche Abhängigkeit zu bringen suchte (Amtsordnung für die Drosten und ihr
Hilfspersonal 1556). Groß waren die Durchsetzungs-
schwierigkeiten des Bischofs, zumal er keine Konfessionalisierung unternahm; doch kennzeichnet
seine gut 20-jährige Osnabrücker Regierungszeit
(1553-1574t) das Bestreben einer „administrativen
Durchdringung"19 des Landes, das gerade die letzten
größeren Fehden erlebte.20
Genau in diesen Jahren (1561) wird auch der Endpunkt der ständischen Differenzierung greifbar: Im
bischöflichen Lehnsbuch sind die adligen Vasallen
erstmals von den städtischen Patriziern und Bürgern
getrennt aufgeführt.21 Das städtische Patriziat musste,
wollte es nicht im Bürgertum aufgehen, den Sprung
in den Landadel wagen - wie die Familie von Leden,
die ihren Schwerpunkt vom Osnabrücker „Ledenhof"
auf ihre „Ledenburg" bei Bissendorf verlagerte, allerdings wie die meisten Patrizierfamilien Osnabrücks
während der Umbruchphase ausstarb.
Seit dem 17. Jahrhundert nahm innerhalb der ausgebildeten Formen die ständische Abschließung weiter
zu. Von auswärtigen Beitrittskandidaten forderte die
Osnabrücker Ritterschaft seit 1651/56 die Aufschwörung mit Ahnenprobe, seit 1710 auch vom eigenen
Nachwuchs (Abb. 2).22
Aus dem ersten Landstand sah sich der osnabrücki-
sche Adel gleichwohl weitgehend verdrängt - das
Domkapitel wandte sich nämlich nach einer Zeit der
„Mischformen" seit den 1590er-Jahren wieder deutlich dem alten Glauben zu. Schon in der Reforma-
tionszeit waren einzelne Adelsfamilien wie die Scheies
dezidiert zum Protestantismus übergetreten, überwie-
44
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Aufschwörungstafel des Christian August Clamor von dem Bussche-Hünnefeld, 18. Jahrhundert.
gend ist ein allmählicher Übergang zum neuen Bekenntnis festzustellen, während eine Minderheit von
etwa einem Drittel dauerhaft katholisch blieb oder
während der Gegenreformation zum Katholizismus
tenden Agrarkonjunktur im 16. Jahrhundert zu tun
Dafür eröffneten sich neue Möglichkeiten der Partizipation. Der Westfälische Frieden und seine Ausführungsbestimmungen für Osnabrück 1648/51 schrieben die Bikonfessionalität des Hochstifts fest, als Lan-
Dass mehrere Güter von Stadtbürgern gegründet
wurden, belegt das Interesse an einträglicher Geld-
zurückkehrte.23
desherren wechselten sich künftig ein gewählter
katholischer und ein evangelischer Bischof aus dem
Haus Braunschweig-Lüneburg ab. In der Folge richteten sich führende protestantische Adelsfamilien zunehmend auf den welfischen Schutzherrn aus.24 Vor
allem deren Regierungsperioden, zumal bei lange
auswärtig residierenden Landesherren (1680-1698,
1764-1802), waren für die Ritterschaft vorteilhafte
Zeiten. Im späten 18. Jahrhundert konzentrierten sich
sämtliche Regierungsfunktionen bei dem bekannten
Juristen und Publizisten Justus Möser, gleichzeitig
Syndikus der Ritterschaft und bedeutender Kreditgeber des vielfach hoch verschuldeten protestantischen Stiftsadels.25
Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Adels
und seiner Güter
Das hohe Alter vieler Adelsgüter im Hochstift
Osnabrück darf nicht den Blick dafür verstellen, dass
rund 30 % der dortigen „Rittersitze" nach 1500 neu
entstanden sind - ein Boom, der sicher mit der anhal-
hat, die verbunden mit starkem Bevölkerungswachstum zur sogenannten Preisrevolution beitrug.26 Das
16. Jahrhundert wurde für den Stiftsadel zur Konsolidierungs- und zugleich zur Expansionsphase.
anlage. Die Adelsfamilien achteten zusätzlich darauf,
auch den neuen Gütern die Landtagsfähigkeit zuerkennen zu lassen. Für sie verbanden sich ökonomische und politische Vorteile mit der Möglichkeit, auf
diese Weise den sich wandelnden Anforderungen an
einen standesgemäßen Lebensstil zu genügen (ländlicher Gutsbezirk, „Schlossgesessenheit"27). Die Anfänge waren allerdings meist bescheiden, die jüngeren
Güter entstanden aus nur wenigen Höfen, manchmal
aus einem einzigen Meierhof oder sogar nur einem
Teil davon. Mühsam waren oft die Versuche, die
Gütchen durch Einziehung oder Ankauf weiterer Höfe
allmählich zu vergrößern.28
Trotz der beträchtlichen ökonomischen Unterschiede
spielte für die Osnabrücker Ritterschaft intern das
„Ideal der ständischen Gleichheit"29 eine vergleichs-
weise große Rolle. Die Ahnenprobe grenzte nach
außen ab und sorgte für Exklusivität, förderte aber
nach innen das Bewusstsein, dass alle insofern gleich
waren, als sie sich denselben Zugangsregeln unter-
werfen mussten. Die Osnabrücker Ritterschaft saß
und stimmte rein nach Anciennität, also nach der
Dauer der Zugehörigkeit, alles andere spielte für den
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Rang und die Reihenfolge der Wortbeiträge keine
Rolle, Beschlüsse wurden nach Mehrheit gefällt. Und
eher sah man über zweifelhafte Punkte in der
Abstammung eines Beitrittskandidaten großzügig
hinweg, als eine interne Hierarchie zuzulassen: Selbst
den geborenen „Erblanddrosten", den seit dem Mittelalter die Familie von Bar stellte, zwang man unter
großen Zerwürfnissen dazu, die Ahnenprobe zu leisten und den Vorsitz im Gremium abzugeben.
Nach außen bestand man aber auch hier auf „Distinktion", wie ein aktuell viel verwendeter Begriff lautet:
legte Wert auf die „feinen Unterschiede", wie sie sich
in der Lebensführung, also den Gebäuden, der Kleidung, dem Konsumverhalten usw. möglichst sichtbar
manifestierten. 1649 entschuldigte Jobst Heinrich
Vincke gegenüber dem Landesherrn sein Fortbleiben
vom Landtag: „Es fehle ihm an einer adligen Ausrüstung, um vor seinen Standesgenossen ohne Schande
bestehen zu können", er sei verarmt und „besitze
kein festes Haus wie andere Ritter; infolgedessen sei
er mehrfach völlig ausgeplündert und etliche Male mit
So vermittelte das Haus Gesmold, in der Hand der
streitbaren und auf weitreichende Herrschaftsrechte
bedachten Freiherren von Hammerstein, noch im
18. Jahrhundert „den Eindruck einer wehrhaften
Trutzburg".31
Dementsprechend ließen sich Charakteristika der
Osnabrücker Ritterschaft auch aus dem Gebäude-
bestand ermitteln: Spiegeln die Herrenhäuser eher die
korporative Gemeinschaft oder individuell-familiäres
Rangstreben wieder? Den vielen bekannten Informationen über einzelne Adelssitze zum Trotz ist die Ge-
wichtung dieser Elemente aber noch kaum im Zusammenhang erforscht.32 Auch ob die soziale Ungleich-
heit innerhalb des Osnabrücker Adels im Lauf der
Weib und Kind weggeschleppt worden".30 Der
„Rittersitz" musste eben bestimmten Ansprüchen
genügen, die Gräftenanlage behielt man auch später
noch bei, als der Befestigungscharakter wirklich keine
Rolle mehr spielte (Abb. 3 und 4); überkommene
Türme, die auf das Alter des Geschlechts verwiesen,
wurden bei Umbauten gelegentlich stehen gelassen
und in zeitgemäß-repräsentative Anlagen integriert.
3 und 4 Haus Langelage (Amt Hunteburg), altes Herrenhaus von 1575(d) / 1724(d) und Fachwerkstall von 1753 bzw. neues
Herrenhaus von 1724, jeweils mit Gräfte. Aufnahmen vor 1930.
45
46
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
5 Plan des Hauses Hünnefeld (Amt Wittlage, Gründung wohl schon im 13. Jahrhundert) mit größeren zusammenhängenden
Acker-, Wald- und Wiesenflächen, Mitte 18. Jahrhundert.
6 Plan des Hauses Meppenburg (Amt Fürstenau, Gründung im 15. Jahrhundert), mit Parzellen in Streulage, 1805.
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Frühen Neuzeit eher zu- oder abnahm, muss hier
offen bleiben - dazu fehlt es an systematischen
Untersuchungen über das Konnubium, über die
Ausgrenzung oder Integration bürgerlicher Aufsteiger
und Nobilitierter auf der einen Seite und abgestiegener, „verbauerter" Adliger auf der anderen.33
Erst recht terra incognita ist die „adlige Ökonomie",
sind die Grundlagen und Details der Gutswirtschaft
sowie die Einkommensverhältnisse. Bekannt ist der
grundsätzliche Charakter der Grundherrschaft in
Westfalen mit dem Meierrecht, der moderaten überwiegend fixierten Abgabenlast und meist relativ wenigen Diensten. Offensichtlich ist außerdem die bereits
angesprochene große Ungleichheit der Besitzverteilung unter den Adligen im Osnabrücker Land (Abb. 5
und 6).
Die Spannbreite erklärt sich teilweise aus der
Entstehungszeit vieler Güter in der Expansionsphase
des 16. Jahrhunderts, als deutlich steigende Agrarpreise Investitionen in Land attraktiv machten, jedoch
nur kleine Einheiten bäuerlichen Besitzes verfügbar
waren. Dementsprechend bescheiden fiel die Ausstattung mit eigenem Land („Hofesaat") aus, und in
manchen Fällen scheint es bis zu den Gemeinheitsteilungen des 19. Jahrhunderts dabeigeblieben zu
sein. So war zum Beispiel um die Mitte des 15. Jahrhunderts aus dem Meierhof zu Heeke die „Meppenburg" der Adelsfamilie von Meppen geworden. Bei
der Gutsgründung wurde also sicher ein bäuerlicher
Gebäudebestand vorgefunden, sodass dieser Akt
nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine bauliche
Seite hatte, die aber gerade bei kleineren Gütern
heute nur im Ausnahmefall noch rekonstruierbar sein
dürfte.34
Auch anhand archivalischer Quellen wird nicht in jedem Fall zu klären sein, was es im 16. oder 17. Jahrhundert konkret bedeutete, wenn ein Adliger vormals
bäuerlichen Grundbesitz in eigene Bewirtschaftung
nahm. Wurde die Hofesaat schon damals stückweise
verpachtet, wie es im Osnabrücker Land allgemein
üblich gewesen sein soll35, oder ist mindestens bis
Anfang des 19. Jahrhunderts mit unterschiedlichen
Organisationsformen zu rechnen?36 Welche Rolle
spielten die grundherrlichen Naturalabgaben und
Dienste, wie weit waren sie tatsächlich schon monetarisiert? Dass großflächige Verpachtung und geringe
Eigenwirtschaft gleichwohl mit einer nicht unerheblichen Dienstbelastung einhergehen konnten, zeigen
jüngst publizierte Beobachtungen zur Gesmolder
Grundherrschaft: Hier nahmen die auch in umliegenden Territorien begüterten Freiherren von Hammerstein die Spanndienstpflicht „vor allem auch für lange
Transportfuhren zwischen den einzelnen Gütern [...]
in Anspruch".37 Auf den kaum erforschten, aber wichtigen Aspekt der Besitzkomplexe inner- und außerhalb des Hochstifts sei an dieser Stelle nur hingewiesen.
7 Haus Sondermühlen (Amt Gronenberg), ehemalige Mühle. Aufnahme vor 1930.
47
48
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Haus Wegemühlen (Amt Fürstenau), mit Schafstall (vorn), Fischteichen und Bleiche (links), Ziegelei (hinten) und Mühle
(rechts). Der damalige bürgerliche Besitzer braute sogar für die Anwohner, 1689.
Weniger als die Eigenbetriebe bildeten die abhängigen Höfe den eigentlichen „Reichtum der Güter",38
doch war auch deren Zahl sehr unterschiedlich. Von
ihrem guts- und grundherrlichen Besitz allein konnten
also viele Adlige nicht standesgemäß leben, sie mussten in Politik und Verwaltung, am Hof, in diplomatischen und militärischen Diensten ein zusätzliches Aus-
kommen suchen; begrenzt blieb immerhin die Zahl
der Erben, indem viele nachgeborene Söhne-je nach
Konfession - jung auf dem Schlachtfeld endeten oder
in den geistlichen Stand traten.39 In gewissem Umfang
boten die Gutsbetriebe selbst Gelegenheit zum
Nebenerwerb, wobei die große Zahl der (Wasser-)
Mühlen - auch in den Namen der Häuser - besonders
auffällig ist (Abb. 7 und 8).40
Bei dieser Ausgangslage ist es kein Wunder, dass die
adlige Lebensweise nicht selten in eine hohe Verschuldung führte. Zwangsversteigerungen und Ver-
käufe kamen häufiger vor, bei manchen Gütern extrem oft, während andere eine verblüffende Besitzkontinuität aufweisen. Manchen verschuldeten Gutsbesitzer rettete wohl die Lehnsqualität vor dem Konkurs; die Osnabrücker Lehen waren übrigens sogenannte Weiber- oder Kunkellehen (beim Fehlen von
Söhnen an die Töchter vererbbar), was ebenfalls dazu
beitrug, den Besitz in der engeren Familie zu halten.41
Dass heute noch bemerkenswert viele Adelsgüter im
Osnabrücker Land existieren, dürfte darüber hinaus
wesentlich ein Ergebnis der Agrarkonjunkturen und
-reformen des 19. Jahrhunderts sein, die auch dem
Osnabrücker Adel dabei halfen, unter veränderten
politischen Bedingungen konkurrenz- und zukunftsfähig zu bleiben.42
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Anmerkungen
1 Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osna-
brück. Osnabrück 1930, ND ebd. 1965 und 2004, darin S. 3-
in Noordwest-Duitsland en de Nederlanden van de 15e tot
de 20e eeuw, hg. von Maarten van Driel u.a. Paderborn
2010.
12 zum Adel und zu den Gütern, S. 12-15 zu den Erbäm-
8 Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Staats-
tern, S. 471-489 Literatur- und Quellenverzeichnis.
3 [Johann] C[arl Bertram] Stüve, Geschichte des Hochstifts
archivs in Osnabrück, bearb. von Theodor Penners u. a.
Göttingen 1978, S. 344-382. Sonst hervorzuheben sind der
Hauptbestand der fürstbischöflichen Regierung Rep 100
(siehe ebd., S. 42-48) und die Reichskammergerichtsakten
Rep 900 (Findbuch gedruckt, bearb. von Hans-Heinrich
Ebeling, Osnabrück 1986). Die Findmittel sind teilweise im
Internet recherchierbar: URL: http://www.aidaonline.nieder-
Osnabrück, 3 Bde. Osnabrück 1853, Jena 1872/82. Einschlä-
sachsen.de (Seitenabruf 30.12.2011).
gig ist vor allem der zweite Band (1508 bis 1623) mit seinen
9 Diese Größenordnung ist realistisch, wenn man von den
ausführlichen Exkursen. Dagegen ist der dritte Band (1624
gängigen Zahlen (vom Bruch [wie Anm. 1] behandelt 129
„Rittersitze", Düselder (wie Anm. 7), S. 15, nennt „rund 140
2 Sonja Michaels, Haus Sögeln. Ein Beitrag zur Erforschung
der Rittersitze im Fürstentum Osnabrück. Osnabrück 2001.
Carolin Sophie Prinzhorn/Monique Suck, Gut Bruche. Ein
Beitrag zur Erforschung der Rittersitze im Fürstentum Osnabrück. Osnabrück 2005.
bis 1647) aus dem Nachlass herausgegeben und sehr chro-
nikalisch gehalten, er war vom Verfasser nur bis 1633 für
den Druck überarbeitet; Abdruck auch in: Mittheilungen des
adelige Güter") die landesherrlichen Stiftsburgen, Burg-
Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 12.
Wegen des Wechsels zwischen adligem, landesherrlichem,
Osnabrück 1882, S. 1-335. Zum (geistlichen) Bistum: Chris-
geistlichem und bürgerlichem Besitz könnte eine exakte Zahl
tian Hoffmann, Das Bistum Osnabrück, Bd. 2: Von der Refor-
mation zur Säkularisation. Kehl o.J. [2002/03], - Zur Verfas-
sungs- und Verwaltungsgeschichte: Christine van den Heu-
vel, Beamtenschaft und Territorialstaat. Behördenentwick-
mannshöfe, Stadthöfe und geistlichen Kommenden abzieht.
nur für einen bestimmten Zeitpunkt angegeben werden.
10 Christian Hoffmann, Osnabrück, Hochstift, in: Handbuch
der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte.
Band I: 1500-1806, hg. von Brage Bei der Wieden. Hannover
lung und Sozialstruktur der Beamtenschaft im Hochstift
2004, S. 61-70 und S. 255-258.
Steinert, Die alternative Sukzession im Hochstift Osnabrück.
11 Die adligen Stadthöfe, die auch in der Frühen Neuzeit
eine Rolle spielten, werden hier nicht weiter behandelt. S.
vom Bruch (wie Anm. 1), S. 404 ff., 414 ff. Zum Schlossbau
Osnabrück 1550-1800. Osnabrück 1984. - Mark Alexander
Bischofswechsel und das Herrschaftsrecht des Haüses
Braunschweig-Lüneburg in Osnabrück 1648-1802. Osnabrück 2003.
4 Christian Hoffmann, Ritterschaftlicher Adel im geistlichen
Fürstentum. Die Familie von Bar und das Hochstift Osnabrück: Landständewesen, Kirche und Fürstenhof als Komponenten der adeligen Lebenswelt im Zeitalter der Reformation
und Konfessionalisierung 1500-1651. Osnabrück 1996.
5 Ronald G. Asch, „Wie die Fledermäuse?" Die Osnabrücker
Ritterschaft im 18. Jahrhundert, in: Niedersächsisches Jahr-
buch für Landesgeschichte 75. Hannover 2003, S. 161-184.
- Elizabeth Harding, Landtag und Adligkeit. Ständische
Repräsentationspraxis der Ritterschaften von Osnabrück,
Münster und Ravensberg 1650 bis 1800. Münster 2011.
6 Gerd van den Heuvel, Adlige Herrschaft, bäuerlicher Widerstand und territorialstaatliche Souveränität. Die „Hochund Freiheit Gesmold" (Hochstift Osnabrück) im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Hannover 2011.
7 Christoph Reinders-Düselder, Adelige Lebenswelten in
Nordwestdeutschland, in: Frühe Neuzeit. Festschrift für Ernst
Hinrichs, hg. von Karl-Heinz Ziessow u.a. Bielefeld 2004, S.
49-71. - Adel auf dem Lande. Kultur und Herrschaft des
Adels zwischen Weser und Ems. 16. bis 18. Jahrhundert, hg.
von Heike Düselder. Cloppenburg 2004. - Adel und Umwelt.
Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit, hg. von
Heike Düselder u.a. Köln 2008, darin bes. dies., Kultur und
Ernst Augusts L, der einzelne noch rein stadtgesessene
Adlige wie die Neustädter Familie von Glane an der Ritterstraße ihres Wohnsitzes beraubte: Ansgar Westermeyer, Das
Osnabrücker Schloß. Planung und Bau im Zeitraum von
1668-1698, in: Das Osnabrücker Schloß. Stadtresidenz, Villa,
Verwaltungssitz, hg. von Franz-Joachim Verspohl. Bramsche
1991, S. 55-96, hier 57 ff.
12 Hinzu kamen einzelne „überlebende" (edel-) freie
Familien, die schon über eigene Landsitze verfügen konnten.
13 Nur Gesmold (dazu Gerd van den Heuvel [wie Anm. 6])
und Wulften. Insofern war die Landesherrschaft des Osnabrücker Bischofs stärker und homogener als etwa die seines
Münsteraner Nachbarn.
14 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 56-60.
15 Eine solche gab es zwar schon (Siegel seit Mitte 13. Jh.
bezeugt), sie blieb aber noch lange Zeit „anachronistisch"
strukturiert (Hoffmann [wie Anm. 4], S. 57).
16 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 28 ff.
17 Zunächst noch mit Ausnahmen (Stüve [wie Anm. 3], Bd.
2, S. 703); Liste 1575 gefestigt (vom Bruch [wie Anm. 1], S.
6); „Rechtsprinzip" 1592 (Hoffmann [wie Anm. 4], S. 336).
Zusammengefasst bei Hoffmann (wie Anm. 10), S. 64 f.
18 1575 gehörten dazu 74 Sitze einschließlich der zehn
Quakenbrücker Burgmannshöfe, 1802 zählte man 82 (vom
Bruch [wie Anm. 1], S. 6 f.).
Herrschaft des Adels in der Frühen Neuzeit, S. 15-178. Adel verbindet. Elitenbildung und Standeskultur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden vom 15. bis 20.
20 Heinrich Detmer, Artikel „Johann, Graf von Hoya", in:
Jahrhundert = Adel verbindt. Elitevorming en standscultuur
URL:http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Johann
19 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 336.
Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 14 (1881), S. 246-250,
49
50
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
_IV._(1._Artikel)&oldid=1694683 (Seitenabruf 03.12.2011).
- Stüve (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 168-170, 178-182, 336 ff. -
zur Geschichte der Stadt Osnabrück und ihres Umlandes
Vgl. auch Heinrich Rehker, Die landesherrlichen Verwal-
43). Mainz 1979, S. 144-154, bes. 144-146. - Hoffmann
tungsbehörden im Bistum Osnabrück vom Regierungsantritt
(wie Anm. 4), S. 202 f.
Johanns IV. von Hoya bis zum Tode Franz Wilhelms. (1553-
33 Auch dazu könnte vom Bruch (wie Anm. 1) als Fund-
1661.), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und
grube dienen.
Landeskunde von Osnabrück 30. Osnabrück 1905, S. 1 - 92.
- Christine van den Heuvel (wie Anm. 3), S. 55 ff.
34 Siehe in diesem Band besonders die Beiträge von Sonja
Michaels, Heinrich Stiewe und Hermann Kaiser.
21 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 88.
35 Zur gängigen Vorstellung s. vom Bruch (wie Anm. 1),
22 Ebd., S. 326-331. - Harding (wie Anm. 5), S. 181-186. -
S. 11 (geringe Eigenwirtschaft, die an Heuerlinge verpachtet
Allgemein und vergleichend zur Ahnenprobe ebd., S. 139 ff.
wurde, frühzeitige Umwandlung der Naturalabgaben und
- Düselder (wie Anm. 7), S. 80 ff. - Vgl. jetzt auch Elizabeth
Dienste in Geldrenten).
Harding/Michael Hecht (Hg.), Die Ahnenprobe in der
Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation.
36 Selbst im 19. Jahrhundert blieb eine gewisse Vielfalt der
Münster 2011.
(= Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd.
Formen von Eigenwirtschaft und Verpachtung erhalten:
Ulrike Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich
23 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 240 ff.; ders. (wie Anm. 10),
Hannover 1814-1866. Hannover 2001, S. 95-97. 1850
S. 65, 257f. Eine Momentaufnahme bietet [Hermann]
erläuterte der Gutsbesitzer Ludwig v. Scheie die Wirtschaft
Rothert, Das Glaubensbekenntnis der Osnabrücker Ritter-
auf seinem Nebenbesitz Haus Ledenburg, die genau dem
schaft im Jahre 1625, in: Mitteilungen des Vereins für
gängigen Bild entsprach: Die Länderei bestand aus
Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 46. Osnabrück
Streubesitz, der an Heuerlinge und Erbpächter ausgetan war,
1924, S. 142-150.
was von Scheie als „die hier, besonders seit Anfang des
Mentalität müsste aber in der Breite noch untersucht wer-
den.
Bewirtschaftung bezeichnete (ebd., S. 137-139, zit. 137).
Zur großen Bandbreite von Bewirtschaftungsformen im früh-
25 Christine van den Heuvel, Amt und Kredit: Justus Möser
neuzeitlichen Lippe vgl. Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich
24 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 339-342 (Ausblick). Die
als Kreditgeber des Osnabrücker Adels, in: Jürgen Schlumbohm (Hg.), Soziale Praxis des Kredits. 16.-20. Jahrhundert.
Hannover 2007, S. 81-97.
26 Zur wirtschaftlichen und grundherrschaftlichen Konsolidierung von Bar'schen Gütern s. Hoffmann (wie Anm. 4), S.
Jahrhunderts [I], in der Provinz üblich gewordene"
Stiewe, Adelsgüter und Domänen in Lippe. Anmerkungen
und Fragen zu einem brach liegenden Forschungsfeld, in:
Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 73.
Detmold 2004, S. 13-107, hier 37 f.
37 Gerd van den Heuvel (wie Anm. 6), S. 80.
88 ff.
38 Vom Bruch (wie Anm. 1), S. 11.
27 Brage Bei der Wieden, Adlige Herrschaftsansprüche im
mittleren Niedersachsen, in: Heinrich Kaak/Martina Schatt-
40 Auf Sögeln beispielsweise war mindestens seit 1536 eine
kowsky(Hg.), Herrschaft. Machtentfaltung über adligen und
fürstlichen Grundbesitz in der Frühen Neuzeit. Köln 2003, S.
27-48, hier 37 f.
28 Farbige Impressionen dazu bei Stüve (wie Anm. 3), Bd. 2,
S. 701-723, bes. S. 713-715. Zur Bedeutung der Landtagsfähigkeit s. Düselder (wie Anm. 7), S. 17.
29 Harding (wie Anm. 5), auch zum Folgenden; hier zit. S.
266.
30 Zit. nach vom Bruch (wie Anm. 1), S. 237 (auf Vinkenburg
im Amt Hunteburg).
31 Gerd van den Heuvel (wie Anm. 6), S. 43. Zum Prestige-
39 So schon ebd., S. 11.
Korn- und Bokemühle vorhanden, die vermutlich auch den
Wasserstand der Gräben regulierte (Michaels [wie Anm. 2],
S. 44-47, 150).
41 Ulrike Hindersmann, Rechtsnorm und Rechtspraxis der
Kunkellehen im Fürstentum Osnabrück, in: Generationenge-
rechtigkeit? Normen und Praxis im Erb- und Ehegüterrecht
1500-1850, hg. von Stefan Brakensiek u.a. (= Zeitschrift für
Historische Forschung, Beiheft 37). Berlin 2006, S. 95-113.
So erklärt sich auch zum Teil der häufige Namenswechsel
(dagegen vom Bruch [wie Anm. 1], S. 11 f., auf die Verer-
wert der Gebäude s. Düselder (wie Anm. 7), S. 29-45.
bung in männlicher Linie fixiert).
42 Hindersmann (wie Anm. 36).
32 Überblicke über die bauliche Entwicklung bieten: vom
Bruch (wie Anm. 1), S. 7-10. - Roswitha Poppe, Burg- und
Bildnachweis
Schloßtypen des Osnabrücker Landes. Osnabrück 1953, bes.
S. 14-21. - E[dgar] F[elix] Warnecke, Adelssitze des
Osnabrücker Landes, in: Das Osnabrücker Land II: Beiträge
Niedersächsisches Landesarchiv - Staatsarchiv Osnabrück:
1-4 (R. vom Bruch), 5-7 (R. vom Bruch), 8.
51
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Ein Beitrag zur Typologisierung1
Sonja Michaels
Ausgehend von den Überlegungen von Karl Eugen
Mummenhoff, die dieser in Hinsicht auf die
Herrenhäuser des Adels bis 1650 für das Oberstift
Münster entwickelte,2 gilt es zu überprüfen, ob sie
heute noch gültig sind und sich diese Typologie auch
auf angrenzende Landschaften (insbesondere das
Niederstift Münster, aber auch das Fürstbistum Osnabrück) übertragen lässt.3 Auch wenn die Aufstellung
einer Typologie grundsätzlich die Gefahr einer un-
sachgemäßen Verallgemeinerung und unrealistischen
Normierung mit sich bringen kann, so ist es doch
möglich, große Datenmengen zu bearbeiten, um auf
diese Weise Denkmodelle zu entwickeln.
Bei einer Betrachtung sind neben dem Zeitraum noch
folgende Elemente im Blick zu halten: Bau-, Raumund Funktionsstruktur. Generell ist, was das verwendete Baumaterial angeht, zwischen einem westlichen
und einem östlichen Raum innerhalb des Niederstiftes
zu trennen: Im Kontrast zum Oberstift Münster und
auch zum Hochstift Osnabrück4 überwog im östlichen
Niederstift, dem Oldenburger Münsterland (heutige
Landkreise Cloppenburg und Vechta), die Fachwerkkonstruktion. Massivbauten traten erst seit der zwei-
ten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf, allerdings mit
einem räumlichen Schwerpunkt im westlichen Bereich
des Niederstiftes,5 der womöglich unter Einfluss der
angrenzenden Niederlande6 bzw. des Oberstiftes
Münster7 zustande kam.
Dagegen bildete im Oldenburger Münsterland der
Zeitraum bis 1650 den Schwerpunkt einer Baukonjunktur, in der die meisten der erhaltenen Herrenhäuser entstanden.8 Dies erscheint umso verständlicher, da in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im
Amt Vechta keinerlei schwere Kriegsauseinandersetzungen stattfanden.9 Im Zuge der Gegenreformation
übernahm der katholische Adel (vorwiegend aus dem
Oberstift Münster) durch Kauf, Erbschaft oder Heirat
zu einem Großteil diese Güter, die nun eher als
Nebenwohnsitz sporadisch genutzt wurden, da die
neuen Eigentümer ihren Stammsitz oft in anderen
Regionen besaßen. Sie hatten keinen Anlass, sich
neue, komfortablere Bauten errichten zu lassen, in
denen sie doch nicht wohnen würden. Dies alles wirkte sich konservierend auf den Altbestand aus.
Hinsichtlich der adeligen Herrenhäuser aus Fachwerk
kann man zwei Grundbauweisen unterscheiden, wovon eine wiederum in zwei Untergruppen zu teilen ist:
Es gibt Herrenhäuser „bäuerlichen Typs"10 (oder auch:
„herrschaftliche Hallenhäuser")11 und „adelige Wohnhäuser in Stockwerkbauweise".12 Die herrschaftlichen
Hallenhäuser lassen sich weiterhin gliedern in Gebäu-
de mit und ohne Stallteil. Alle drei Formen sind mit
Einschränkung im Niederstift Münster nachweisbar.13
Es ergeben sich verschiedene Fragestellungen: Was ist
bei den beiden Hauptformen identisch und wodurch
unterscheiden sie sich? Welche Form hatten diese
Adelsbauten, die in Fachwerkbauweise errichtet wurden? Wie war die innere Struktur der Häuser aufgebaut? Wo waren diese Haustypen verbreitet? Welche
Personengruppen ließen diese erbauen? Welche
Grundrissform ist insbesondere im Oldenburger
Münsterland und darüber hinaus festzustellen?
Auf den ersten Blick erscheinen die Gruppen gleichförmig - sie lassen sich sehr leicht verwechseln. Zumeist findet sich diese Herrenhausarchitektur auf den
bescheidenen Adelsgütern - allerdings nicht zwingend auf der einfachen Form eines Gräftenhofes, son-
dern durchaus auch auf den aufwändigeren Zweiinselanlagen.14 Zudem gehören sie derselben Zeitstufe
mit einem Verbreitungsschwerpunkt zwischen dem
späten 16. und dem frühen 17. Jahrhundert an. Augenfällige Unterschiede ergeben sich dagegen durch
die Bauweise sowie die innere Raumaufteilung. Bei
den herrschaftlichen Hallenhäusern handelt es sich
grundsätzlich um Zwei- oder Vierständerbauten. Der
andere Haupttyp ist hingegen als Wandständerbau
mit bis zu zwei Stockwerken ausgebildet und übernahm als die „fortschrittlichere" Erscheinungsform
grundsätzlich nur eine reine Wohnfunktion15, wobei
die Erschließung von der Traufe her erfolgte.16
Die Form „herrschaftliches Hallenhaus" gibt es in
zwei Varianten: zum einen - wie sein bäuerliches
Gegenstück - „altertümlich" mit Stallteil und einer
Erschließung von der Giebelseite mittels eines großen
Tores und zum anderen als derselbe Typus, jedoch
„moderner" ohne Stallteil. Herrschaftliche Hallen-
häuser sind meistens von den Größenabmessungen
betrachtet sehr eindrucksvoll, wobei die Form mit
Stallteil innen wie ein niederdeutsches Hallenhaus mit
Längsdiele, Flettküche, Viehställen in den Seitenschiffen und (oft unterkellertem) und repräsentativ ausge-
staltetem Kammerfach aufgebaut ist. Manchmal
wurde das Kammerfachteil über einem hohen, meist
älteren Bruchsteinmauerwerk-Keller errichtet. Es
bestand jedoch - im Gegensatz zu seinem bäuerlichen Pendant - eine strikte Trennung zwischen
Viehstall und Küche mit Kammerfach.17 Bei der zwei-
ten Variante fehlt der Stallteil völlig. Diese reinen
Wohnhäuser verfügen über dreischiffige Gerüste, die
das Gebäude im Inneren gliedern.
52
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
und Hülsede). Häufig wurden diese einfachen Herrenhäuser mit Pächterhäusern verwechselt, übersehen,
unterschätzt und in der Vergangenheit infolgedessen
oft unbeobachtet abgebrochen.19 Insbesondere die in
älterer Literatur genannte Formulierung, dass auf dem
alten Burgplatz „nur" noch ein „einfaches" Pächter-
haus bzw. Bauernhaus steht,20 ist vorsichtig zu bewerten, denn es kann sich tatsächlich um ein Herrenhaus
handeln. Ein bekanntes Beispiel ist das „Wirtschaftsgebäude" des Hauses Sondermühlen bei Osnabrück,
welches Roswitha Poppe (1974) als ehemaliges
Herrenhaus identifizierte.21 In Einzelfällen übersah
man sogar Herrenhäuser, die innerhalb eines Wirt-
1 Landkreis Vechta, Bakum, Haus Harme. Herrenhaus (Innen-
ansicht), 1990er Jahre.
schaftshofes „aufgingen" und überbaut wurden,
optisch nicht weiter auffielen und deshalb zunächst
unerkannt blieben (wie wohl das Gesindehaus auf
Haus Füchtel bei Vechta).
Es ist zu vermuten, dass der Typus „herrschaftliches
Hallenhaus" in seinen beiden Ausprägungen auch im
Oldenburger Münsterland einstmals üblich war.
Allerdings wurde ein Großteil der alten Herrenhäuser
niedergelegt, sodass eine Prüfung der These schwierig
ist. Nur ein einziges bekanntes Beispiel für den Typus
„herrschaftliches Hallenhaus mit Stallteil" blieb in der
Region Oldenburger Münsterland erhalten, wenn
auch nur rudimentär als entkerntes Fachwerkgerüst
mit zehn Gebinden Länge: Haus Harme Vechta.22
(Abb. 1) Im westlichen Bereich des Niederstiftes
Münster wurde noch um 1812 ein vergleichsweise
2 Landkreis Vechta, Stadt Vechta, Haus Füchtel. Herrenhaus
(Giebelansicht), 2011.
„altertümliches" Haus für eine Adelsfamilie errichtet:
Haus Hamm (bei Haselünne).23 Im benachbarten
Hochstift Osnabrück gibt bzw. gab es noch mehrere
Beispiele: Limbergen (1609)24 und möglicherweise das
schon erwähnte Haus Sondermühlen (1575[d]).25 Und
auch in anderen Regionen innerhalb des Verbrei-
tungsgebietes des niederdeutschen Hallenhauses26
sind vergleichbare Bauten des Adels nachweisbar, so
in Lippe,27 im westfälischen Münsterland28 und im
Elbe-Weser-Dreieck.29 Damit fand dieser Typus eines
einfachen Herrenhauses offenbar in ganz Nordwest-
deutschland Verbreitung30 - entsprechend dem
Verbreitungsgebiet des niederdeutschen Hallen-
hauses. Infolgedessen fehlt dieser Typus selbstver-
ständlich in Ostfriesland und im Jeverland. Hinsichtlich
der Bauherren zeigt sich, dass nicht nur einzelne
Adelsfamilien diese Hausform wählten, sondern auch
gehobene, bürgerliche31 Schichten sowie der „Beamtenadel" darauf zurückgriffen.32 Dazu findet sich auch
3 Landkreis Vechta, Stadt Vechta, Haus Füchtel. Herrenhaus
(wasserseitige Traufe), 2011.
auf den großen Schultenhöfen diese spezifische
Anlageform:33 Der Kleinadel fungierte möglicherweise
als Vorbild für die ihm direkt untergeordneten
Sozialschichten.34
Bei beiden Adelshaustypen ist vorstellbar, dass sich im
Dachgeschoss ein repräsentativer Raum befand,'8 so
wie es auch auf anderen, zeitgleichen, jedoch größeren, in Massivbauweise errichteten Schlössern durchaus üblich war (z. B. im Weserraum Hämelschenburg
Auch ein „herrschaftliches Hallenhaus ohne Stallteil"
lässt sich noch heute im Niederstift mehrfach nachweisen. Es sind dies die Häuser Füchtel (um 1630)35
(Abb. 2 + 3), Campe (16. Jahrhundert)36, vermutlich
auch Spyk37 (wohl 16. Jahrhundert) sowie im Hochstift
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Osnabrück Haus Rothenburg (bei Bramsche), welches
einst als Witwensitz diente.38 Insbesondere die Giebel-
seiten der Herrenhäuser zu Füchtel und Campe weisen sehr starke Ähnlichkeit mit dem Nordgiebel des
Bauhauses der Dietrichsburg/ Dinklage auf. (Abb. 4
und 5) Demnach kann festgestellt werden, dass im
17. Jahrhundert eine ganz bestimmte „adlige"
Bauweise mit einem festgelegten Raumprogramm im
gesamten Niederstift Münster Verwendung fand, welcher für verschiedene Bauaufgaben in unterschiedlichen Bauausführungen genutzt wurde.39
Auch wenn bis zum frühen 17. Jahrhundert ein relativ einheitliches Bauschema „für die meisten sozialen
Schichten" verbindlich war, welches erst nach dem
Ende des Dreißigjährigen Krieges aufgegeben wur-
4 Landkreis Emsland, Sögel, Haus Campe: Blick auf das Herrenhaus, 1990er Jahre.
de,40 so ist es doch überraschend, dass einige Familien
des Landadels mit niederdeutschen Hallenhäusern als
Wohnhaus vorliebnahmen und (teilweise jedenfalls)
mit ihrem Vieh unter einem Dach lebten. Dies ist nur
unter Vorbehalt, abgesehen von wirtschaftlichen
Zwängen, mit dem Verweis auf das Vorbild des ökonomisch-sparsamen „ganzen" Hauses erklärbar und
gilt vermutlich auch nur für einzelne „Adelsland-
schaften".41
Eine Frage bleibt ebenfalls offen: Wohnten die Adeligen tatsächlich stets dort in diesen relativ „einfachen" Bauten? Denn immerhin kann ja dort auch hur
ein Verwalter gewohnt haben oder das Gesinde war
dort untergebracht.42 Vielleicht diente die äußerliche
„Unauffälligkeit" der „einfachen" Adelsbauten aber
auch als Schutz vor Übergriffen in unruhigen Zeiten.
Denkbar ist zudem, dass die Anwesenheit der Herr-
5 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Bauhaus der Dietrichsburg (nördliche Giebelseite), 1990er Jahre.
schaft durch architektonische Formen nur vorge-
täuscht wurde, um weiterhin die Steuerfreiheit adliger
Güter in Anspruch nehmen zu können. Es konnte
nachgewiesen werden, dass die adelige Herrschaft
(als alternative Wohnmöglichkeit) durchaus auf der
Vorburg Räume für sich vorhielt, wenn der Adelssitz
nicht dauerhaft von ihnen bewohnt wurde oder verpachtet war: Es gab temporäre Wohnungen, auch als
Sommersitz in einem Wohnturm,43 im Obergeschoss
eines Torhauses44 oder in einem Wirtschaftsgebäude
auf der Vorburg.45 Entsprechend sind dahingehend
detaillierte, archivalische Untersuchungen dringend
notwendig, um in dieser Frage zu einer gesicherten
Antwort zu gelangen. Bei einer Untersuchung eines
Herrensitzes sollte daher in jedem Fall neben der Bauauch die Besitzergeschichte untersucht werden: Gab
es ein zeitgleiches Herrenhaus?46 Wer ließ das Adelshaus errichten und wer nutzte das Anwesen letztend-
lich?47 Der Bauherr muss nicht gleichzeitig der
Bewohner sein, da Adelige meist über mehrere
Wohnstätten verfügten.48 Die detaillierte Klärung der
Bauherren und der vorgesehenen Nutzung ist notwendig, da sich am Bestand selbst entsprechende
Aufschlüsse kaum von selbst ergeben.
6 Landkreis Vechta, Haus Welpe. Herrenhaus, 1990er Jahre.
53
54
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Die zweite Hauptgruppe, die reinen Wohnhäuser in
Wandständerbauweise, ist kleiner dimensioniert und
zeichnet sich im Gegensatz zum anderen Typus durch
ein relativ schmales (bis zu fünf Gefache breites), oft
engmaschiges, meist eingeschossiges Fachwerk mit
7 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus der Herbordsburg (Osttraufe), 1990er Jahre.
Backsteinausmauerung in Stockwerkverzimmerung
aus. Manchmal verfügen die Bauten über einen hohen, größtenteils älteren Keller aus Bruchsteinmauerwerk. Häufig erfolgte eine Erweiterung dieser schmalen Häuser: Das Welper Herrenhaus wurde genauso
wie die Herbortsburg zu Dinklage nachträglich um
zwei Gefache verbreitert, wie an der Giebelseite gut
zu erkennen ist. (Abb. 6 und 7) Einige Bauten sind
aufwändiger mit zwei Stockwerken aufgeführt. Der
Giebel kragte zumeist mehrfach vor, die Erschließung
erfolgte von der Traufe aus. Damit ähnelt dieser
Bautypus den Adelsbauten in der Stadt.49 Das Herrenhaus auf der Herbordsburg in Dinklage (1622[i]) kann
8 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus und Bauhaus
der Herbordsburg (Westseite), 1990er Jahre.
so als ein sehr charakteristisches Beispiel, quasi als
„Prototyp", für ein kleines, bescheidenes Herrenhaus
auf einem Adelssitz des frühen 17. Jahrhunderts gelten. (Abb. 8 und 9)
Die einfache einstöckige Form reiner Wohnhäuser ist
im Niederstift Münster (soweit erkennbar) mehrfach
erhalten geblieben: das schon erwähnte Haus Welpe
(1645[i])50, Bakum (um 1670)51 (Abb. 10 und 11) und
Groß-Arkenstede (1684[i])52 sowie Esche (Grafschaft
Bentheim).53 Im westfälischen Münsterland54 war der
Typus ebenso verbreitet wie im Bereich Osnabrück55
und Lippe.56 Die zweistöckige Form entspricht diesem
Typus: Das Ledebursche Haus zu Dinklage (1565[d]),
Hopen, (1570[i])S7 (Abb. 12) und womöglich auch
Ihorst58 und Lotten.59 Ebenso finden sich auch hierfür
Beispiele im Hochstift Osnabrück60, in Westfalen61 und
in Lippe.62
Es entsteht der Eindruck, dass ein räumlicher Schwer-
punkt der Herrenhäuser in Fachwerkbauweise des
Landadels in Lippe bzw. im Niederstift Münster liegt.
(Abb. 13: Tabelle) Dies muss jedoch keinesfalls der
historischen Realität entsprechen, da sich der Ein-
9 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus der Herbordsburg (nördlicher Giebel), 1990er Jahre.
12 Landkreis Vechta, Lohne, Haus Hopen. Herrenhaus,
1930er Jahre.
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
10 Landkreis Vechta, Bakum, Haus Bakum. Herrenhaus (Schauseite), um 1910.
55
56
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Herrenhäuser in Fachwerkbauweise des Landadels in Nordwestdeutschland
(Niederstift Münster, Oberstift Münster, Lippe, Hochstift Osnabrück und ElbeWeser-Dreieck)
Zusammengestellt von Sonja Michaels
Datierung
Herrenhaus
um 1530
Hoetmar
1555(i)
1560(d)
Ahmsen
Althaus
1564(d)
Dietrichsburg:
Ledebursche Haus
Hopen
Langelage, altes
Herrenhaus
1570(i)1
1575(d), 1724(d): Umbau
des Steilgiebels in einen
Walm gleichzeitig mit dem
Bau eines neuen
Herrenhauses2
1575(d), Kellerdecke im
Wohnbereich; 1576(d)
Diele; 1619(d)
Dielenverlängerung;
1763(d), 1815(d)
Dielenein- und umbauten;
1815(d) Wohnteilumbau3
um 1575
1580(i)
Gemeinde,
Zugehörigkeit
Warendorf, Oberstift
Münster
Bad Salzuflen, Lippe
Nordwalde, Oberstift
Münster
Dinklage, Niederstift
Münster
Lohne, Niederstift Münster
Bohmte, Osnabrück
Sondermühlen
Melle, Osnabrück
Milte
Aussei
Telgte, Oberstift Münster
Rheda-Wiedenbrück,
Osnabrück
Senden, Oberstift Münster
Sögel, Niederstift Münster
Lingen, Niederstift
Münster
Melle, Osnabrück
Bramsche, Osnabrück
Bentheim, Niederstift
Münster
Haselünne, Niederstift
Münster
um 1670
16. Jahrhundert
16. Jahrhundert (?)
Wallbaum
Campe
Spyk
Datierung (?)
Datierung (?)
Datierung (?)
Auburg
Rothenburg
Esche (?)
Datierung (?)
Lotten (?)
1 Freundlicher Hinweis von Herrn Dr. Gläntzer (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege,
Hannover).
2 Die Auskünfte gaben dankenswerterweise Frau Sieve (Untere Denkmalschutzbehörde, Landkreis
Osnabrück) und Herr Dr. Gläntzer (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover). Die
Dendroproben wertete Herr Erhard Preßler (Gersten) aus.
3 Die Bohrungen nahm Herr Dipl.-Ing. Joachim Gomolka vor, während Frau Barbara Leuschner (Firma
Delag, Göttingen) diese mit der wissenschaftlichen Beratung von Herrn Dr. Hanns Hubert Leuschner
(Universität Göttingen) auswertete. Freundliche Mitteilungen von Herrn Joachim Gomolka
(Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover).
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Datierung (?)
Bosfeld
Datierung (?)
16. Jahrhundert (?)
1691+/-6(d)
Vorhelm
Ihorst
16. Jahrhundert
16./17. Jahrhundert
Da(h)lhausen
Harme
um 1600
,,1609“(a)
1622(i)
Domäne Schieder
Limbergen
Herbortsburg
,,1630“(a)
Füchtel
1645(i)
Welpe
1659/60(d)
vor 1660
1660
1665
um 1670
Oelentrup
Gröpperhof
Sylbach
Papenhausen
Bakum
1671
Oldenburg
Umbau 1780(d)4 5
1684(i)__
17. Jahrhundert
Groß-Arkenstede
Schwegerhoff, altes
Herrenhaus
Bödding
Datierung(?)
Datierung(?)
zwischen 1677 und 1750
vor 1709
vor 1710
Mundeinburg (?)
Vallentrup
Brüning (?)
Büling
Venne
18. Jahrhundert antequam
18. Jahrhundert
Nassengrund
Schwalenberg
Hamm
um 1696(i)b
1812
Rheda-Wiedenbrück,
Oberstift Münster
Ahlen, Oberstift Münster
Holdorf, Niederstift
Münster
Bad Salzuflen, Lippe
Vechta-Bakum, Niederstift
Münster
Schwalenberg, Lippe
Bramsche, Osnabrück
Dinklage, Niederstift
Münster
Vechta, Niederstift
Münster
Vechta, Niederstift
Münster
Lemgo, Lippe
Blomberg, Lippe
Bad Salzuflen, Lippe
Bad Salzuflen, Lippe
Vechta-Bakum, Niederstift
Münster
Cuxhaven, Elbe-WeserDreieck
Essen, Niederstift Münster
Ostercappeln, Osnabrück
Altenberge, Oberstift
Münster
Menslage, Osnabrück
Lemgo, Lippe
Ankum, Osnabrück
Bocholt, Oberstift Münster
Drensteinfurt, Oberstift
Münster
Blomberg, Lippe
Schwalenberg, Lippe
Haselünne, Niederstift
Münster
Die in kursiv gesetzten Bauten sind nicht mehr vorhanden.
4 Freundliche Mitteilungen von Herrn Dr. Gläntzer (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege,
Hannover).
5 Nach Auskunft des Privateigentümers rührt diese Datierung vom Sandsteinkamin des alten
Herrenhauses, der 1818 in das neue (backsteinerne) Wohnhaus wieder eingebaut wurde.
12, 13 Tabelle: Herrenhäuser in Fachwerkbauweise des Landadels in Nordwestdeutschland (Niederstift Münster, Oberstift
Münster, Lippe, Hochstift Osnabrück und Elbe-Weser-Dreieck).
57
58
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
druck durch die Erhaltungs- bzw. Forschungslage verfälschen kann. Sicher ist hingegen, dass der landsässi-
ge Adel im Oberstift Münster diese Bauten nicht
bevorzugt errichten ließ und wenn, dann eher sehr
früh im 16. Jahrhundert. Zeitlich kann für die beiden
Hauptverbreitungsgebiete (Niederstift Münster und
Lippe) festgestellt werden, dass ein Schwerpunkt
ebenfalls im 16. und noch im 17. Jahrhundert liegt.
Gegen Ende dieses Zeitraumes kam die beschriebene
Bauweise mit dem Raumprogramm für eher unterge-
ordnete Bauaufgaben (wie Witwen- oder Neben-
wohnsitze) zum Einsatz. In Einzelfällen griff der land-
sässige Adel sogar noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Form „niederdeutsches Hallenhaus"
14 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus der Dietrichsburg, 1960er Jahre (?).
zurück. Strukturell betrachtet lässt sich nicht die
grundsätzliche These halten, dass einfache Bauten
älter einzuschätzen sind, denn auch für die überaus
aufwändigen, zweistöckigen, reinen Wohnbauten
gibt es sehr frühe Beispiele (Haus Aussei bei RhedaWiedenbrück und das Ledebursche Haus auf der
Dietrichsburg zu Dinklage). (Abb. 14 und 15) Parallel
dazu ließ der landsässige Adel jedoch auch relativ
„einfache" Herrenhäuser erbauen (wie Haus
Sondermühlen).
Bezüglich der inneren Aufteilung der Herrenhäuser im
16./17. Jahrhundert innerhalb des Niederstiftes Müns-
ter ist festzuhalten, dass hier auch der im Oberstift
vorkommende Grundrisstyp „Zweiraumhaus" Verbreitung fand. Das abgebrochene Herrenhaus zu
Bakum lässt sich neben Haus Welpe als charakteristisches Zweiraumhaus anführen.63 Im letzteren teilte ein
15 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Blick auf das Bauhaus
der Dietrichsburg (östliche Traufe). Rechts ist die Traufe des
Herrenhauses zu erkennen, 1930er Jahre.
Kaminblock das Haus in vier zu fünf Fache auf; am
Nordgiebel lag der kleinere Raum, womöglich die
Küche64, dahinter der größere Saal.65
Einen Fortschritt stellt die erweiterte Raumflucht dar,
die ich mit dem Begriff „Dreiraumhaus" umschreiben
möchte. Häuser in der kennzeichnenden Dreiteilung,
die im Übrigen von Mummenhoff im Oberstift
Münster nicht beobachtet wurde, ließ jedoch nicht
nur der Adel im Niederstift Münster errichten, son-
dern diese waren auch im Weserraum und ebenso in
Ostfriesland und im Jeverland „verbindlich".66 Dieses
Grundrissmuster war demnach bei den Wohnbauten
des Adels in ganz Nordwestdeutschland verbreitet, da
sich die Grundrisse und damit die Bedürfnisse des
Adels im 16. bzw. 17. Jahrhundert offenbar sehr glichen. Beide „Raumtypen" bzw. Raumprogramme
kamen gleichzeitig nebeneinander vor, wie die beiden
zeitgleich entstandenen Herrenhäuser auf der Dietrichsburg zu Dinklage (Ledebursches Haus und Steinhaus) eindrucksvoll belegen. (Abb. 16 bis 18).
Daraus ist zu folgern, dass auch im Oldenburger
Münsterland unterschiedliche Herrenhaus-Typen ver-
16 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. „Steinhaus" (Brau- und
Backhaus) der Dietrichsburg. Rechts ist ein Teil des Pferde-
stalles erkennbar (mit Galerie, vermutlich aus dem 18. Jahrhundert), 1990er Jahre.
breitet waren, welche in großen Teilen Westfalens
(Kernmünsterland und östliche Bereiche) ebenfalls
Verbreitung fanden. Sie können mit Gegensatzpaaren
näher charakterisiert werden: aufwändig-repräsenta-
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
tiv versus bescheiden-landwirtschaftlich orientiert,
finanzstark versus arm sowie Konstanz versus Wandel. Die unterschiedlichen Bauweisen und Raummuster traten parallel nebeneinander auf, woraus das ausdifferenzierte Wohnen des Adels ersichtlich wird. Neben der Hausgröße und der damit einhergehenden
Anzahl der Räume ergaben sich auch Unterschiede in
der Ausstattung des Inneren der Gebäude. Dies korrespondierte mit den graduellen Abstufungen innerhalb der Sozialschicht „(Klein-)Adel", der sich somit
keineswegs als eine homogene Sozialschicht darstellt.
Es ist demnach durchaus damit zu rechnen, dass der
landsässige Adel bereits im 16./17. Jahrhundert stark
in sich strukturiert war,67 sodass man nicht von „dem"
Kleinadel schlechthin reden kann. Diese interne, ausdifferenzierte Schichtung ist besonders an den ländlichen Adelssitzen und der damit einhergehenden verfeinerten Wohnweise erkennbar, die mit der jeweiligen Wirtschafts- und Finanzkraft der adeligen Familie
korrespondierte.
Ausblick auf zukünftige Aufgaben
Für die Zukunft erscheint eine Untersuchung der vermeintlich „unbedeutenden", sich wenig spektakulär
darstellenden Herrenhäuser drängend. Vielerorts ist es
schon zu spät, da bereits vieles unwiederbringlich und
oftmals undokumentiert zerstört wurde. Nur durch
detaillierte Analysen können vergleichbare und damit
wichtige, grundlegende Ergebnisse erlangt werden,
um die nordwestdeutsche Adelsarchitektur in einen
größeren Rahmen einordnen zu können. Zunächst
müsste jedoch die Terminologie geklärt und verein-
17 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. „Steinhaus" (Brau- und
Backhaus) mit in die Gräfte vorspringenden „Turm" der
Dietrichsburg, 1990er Jahre.
heitlicht werden, um Burg, Schloss, festes Haus,
Herrenhaus usw. sauber voneinander abgrenzen zu
können. Die unter Kunsthistorikern gebräuchliche
Abgrenzung, nämlich die Frage nach dem Bauherrn,
(Schloss = landesherrliche Residenz und Herren- bzw.
Gutshaus = Wohn- und Verwaltungssitz eines Landadeligen) dürfte zu kurz greifen. Grundriss und Bau-
struktur müssen bei einer Begriffsfindung Berücksichtigung finden.
Auch sollte die Erforschung der niederdeutschen
Hallenhäuser im Bereich des heutigen Oldenburger
Münsterlandes forciert werden, denn erst vor dem
Hintergrund der einheimischen zeittypischen Baukultur lässt sich die regionale Adelsarchitektur ange-
messen beurteilen. Darüber hinaus sind weitere
Studien über die „einfache", bescheidene Herrenhausarchitektur außerhalb der „Hallenhausland-
schaft" wünschenswert und sinnvoll.
18 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Grundriss (Erdgeschoss)
des Westflügels der Dietrichsburg.
59
60
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
1 Dieser Aufsatz ist aus meiner Dissertation (Leben auf einem
Kulturräumliche Bemerkungen zur städtischen und ländlichen Profanarchitektur, in: Westfalen in Niedersachsen.
Adelssitz im Niederstift Münster. Bauen, Wohnen, Arbeiten
Kulturelle Verflechtungen: Münster - Osnabrück - Emsland -
und Haushalten auf Burg Dinklage zwischen dem 16. und
Oldenburger Münsterland. Cloppenburg 1993, S. 330-340,
19. Jahrhundert [= Quellen und Studien zur Regionalgeschichte Niedersachsens, Bd. 11], Cloppenburg 2008 [dort
hier S. 331.
7 Die Besitzer der niederstiftischen Adelsgüter kamen nach
mit weiteren Abbildungen]) eine knappe Zusammenfassung
der Gegenreformation vorwiegend aus dem Oberstift
des Kapitels „Die Bauten und die Parkanlage auf der Burg
Münster. Dazu s. a. Eckart Wagner, Schlösser und Herren-
Dinklage, Einordnung und Bedeutung des erhaltenen
sitze im Emsland, in: Baudenkmale. Kulturführer des
Gebäudebestandes". Für diesen Band erfuhr der Beitrag eine
Landkreises Emsland. Meppen 1993, S. 35-47, hier S. 35-37.
Überarbeitung. Für kritische Durchsicht danke ich Herrn Dr.
8 Ähnlich Konrad Bedal, Zeitmarken in der traditionellen
Fred Kaspar.
Baukultur. Ein gewagter Versuch anhand Nord- und süd-
2 Karl Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift
deutscher Beispiele, in: Wandel der Alltagskultur seit dem
Münster von 1450 bis 1650 (= Mitteilungen des Vereins für
Geschichte und Altertumskunde Westfalens. 15. Sonderheft
Mittelalter. Phasen - Epochen - Zäsuren (= Beiträge zur
Volkskultur in Nordwestdeutschland. Heft 55). Münster
1987, S. 139-159, hier S. 150, der dies als „Bauboom zwi-
der Zeitschrift Westfalen). Münster 1961.
3 Dies regten an: Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie. Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu
Wiedenbrück, in: Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums
schen 1560 und 1620" herausstellt.
9 Wilhelm Kohl, Die Ämter Vechta und Cloppenburg vom
Mittelalter bis zum Jahre 1803, in: Geschichte des Landes
Oldenburg. Ein Handbuch (= Oldenburgische Monogra-
Detmold - Landesmuseum für Volkskunde. Bd. 3). Detmold
phien). Oldenburg 1987, S. 228-269, hier S. 249.
1988, S. 57-90, hier S. 89, und Uwe Meiners, Ländliche
Adelssitze und Herrenhausarchitektur, in: Adelige Lebenswelten. Aspekte eines Forschungsprojektes (= Kleine
10 Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 28 (Fußnote 142).
Schriften Nr. 3). Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung.
Cloppenburg 2001, S. 9-11, hier S. 11.
4 Bzgl. des Hochstiftes Osnabrück scheint der Natur- bzw.
Bruchstein zu dominieren. Allerdings kann auch hier der
Eindruck - bedingt durch die Quellenlage - verunklart sein,
da Herrenhäuser des 16./17. Jahrhunderts dort rar sind.
Schaut man sich jedoch eine Auswahl von RenaissanceAnlagen im Hochstift Osnabrück an, dann bestätigt sich der
Eindruck: altes Herrenhaus zu Osthoff (abgebrochen),
Ledenburg (zwischen 1618 und 1627), Hünnefeld (16101614, barockisiert), Schelenburg (1490-1532) und Königsbrück. Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums
Osnabrück, Osnabrück 2 0 046, S. 97 (Abb. 83), 119, 144,
211. Zu Königsbrück vgl. Roswitha Poppe, Zur Baugeschichte von Haus Königsbrück. Untersuchungen zur
Instandsetzung der Wasserburg, in: Osnabrücker Mitteilungen (= Mitteilungen des Vereins für Geschichte und
Landeskunde von Osnabrück) Bd. 84. Osnabrück 1978, S.
208-216.
5 Im heutigen Landkreis Emsland: die Herrenhäuser zu Dan-
kern, nach 1680; Groß-Landegge, um 1695; Herzford, nach
1720; Altenkamp, 1729 und Düneburg, um 1753.
6 Vgl. Andreas Eiynck, Einflüsse der Bau- und Wohnkultur
niederländischer Städte auf Nordwestdeutschland, in:
Ausbreitung bürgerlicher Kultur in den Niederlanden und
Nordwestdeutschland (= Beiträge zur Volkskultur in
Nordwestdeutschland. Heft 74). Münster 1991. S. 213-226,
hier S. 214 und 216, wonach seit dem frühen 17. Jahrhundert der kulturelle Einfluss der nördlichen (protestantischen) Niederlande auf die deutschen protestantischen
Regionen dominierte. Im Niederstift ließen Bürger Massivbauten erst seit etwa 1800 errichten. Andreas Eiynck, Das
Bürger- und Bauernhaus zwischen Weser und Ems.
11 Heinrich Stiewe umschreibt so treffend entsprechende
Bauten. Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich Stiewe, Adels-
güter und Domänen in Lippe. Anmerkungen und Fragen zu
einem brach liegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mit-
teilungen aus Geschichte und Landeskunde. Bd. 73.
Detmold 2004, S. 13-107, hier S. 60.
12 Vergleichbares beschreibt auch Stiewe, jedoch nur als
Wohnhaus für Pächter der Domänen. Linde/Rügge/Stiewe
(wie Anm. 11), S. 66. Die im Folgenden behandelten Häuser
wurden jedoch auf adeligen Gütern errichtet und nicht wie
in Lippe auf Domänen, die im Niederstift unbekannt waren.
13 So weist Haus Harme Knaggen an einer seiner Traufen
auf, was eigentlich auf einen Wandständerbau hinweist. Zudem konnten die Herrenhäuser zu Campe, Spyk und Füchtel
nicht eingehend untersucht werden.
14 Vgl. zu den beiden Formen ausführlich Mummenhoff
(wie Anm. 2), S. 8-11.
15 Das Haus Gartlage/ Osnabrück scheint eine Ausnahme zu
sein, da das zweigeschossige Wohnhaus mit einem Stallteil
aus dem 16. Jahrhundert ausgestattet war. Georg Dehio,
Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bremen -
Niedersachsen. München 1992, S. 1067.
16 Ebenso Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 66.
17 So auch bei Bauten des „Beamtenadels". Baumeier (wie
Anm. 3), S. 69. - Andreas Eiynck, Steinspeicher und Gräftenhöfe. Aspekte der Bau- und Wohnkultur der großbäuerlichen Führungsschicht des Münsterlandes, in: Beiträge zum
städtischen Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland (-
Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Heft 58).
Münster 1988. S. 307-374, hier S. 318, geht jedoch davon
aus, dass die Trennung zwischen Flett und Diele nicht ausschlaggebend gewesen sei, sondern die Anzahl und Art der
Räume.
18 Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 60-61.
19 Zum Beispiel im heutigen Landkreis Vechta: Bakum,
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Blankenfort, Lohe, Lutten, Norberding, Querlenburg, Strohe,
25 Siehe hier Tabelle (Abb. 13) sowie Michaels (wie Anm. 1),
Südholz-Quernheim, usw.).
S. 224 (Fußnote 1957).
20 Vgl. Bruch (wie Anm. 4), S. 352, 353 und dort weitere
26 Vgl. Karte bei Josef Schepers, Haus und Hof westfälischer
Belege.
Bauern. Münster 19947, S. 148, Abb. 101.
21 Roswitha Poppe, Das Wirtschaftsgebäude auf Sondermühlen, ein Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert, in: Osna-
27 Siehe Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 60-63. Vgl.
brücker Mitteilungen (= Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück), Bd. 81. Osnabrück 1974, S. 186-191 (Tafel 1 - 5). Sie verweist darauf,
dass das Gebäude zu Haus Sondermühlen, welches zuvor
364 (Taf. 181) und zu Ahmsen auch Fred Kaspar, Fachwerk-
immer als Wirtschaftsgebäude interpretiert wurde, tatsächlich jedoch als das ehemalige Herrenhaus identifiziert wurde,
obwohl es im Inneren Viehställe aufweist. Allerdings bleibt
zur Domäne Da(h)lhausen auch Schepers (wie Anm. 26), S.
bauten des 14. bis 16. Jahrhunderts in Westfalen. (= Bei-
träge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Bd. 52).
Münster 1986, S. 43 und 45 (Abb. 2).
28 Zu Haus Milte (um 1590) s. Kaspar, (wie Anm. 27), S.
220, Haus Bödding (17. Jahrhundert), Schepers (wie Anm.
26), S. 103 sowie Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 126, 219
undeutlich, wie und warum sie zu diesem Schluss gelangt.
Der Erker, der sich an dem betreffenden Gebäude befindet,
Westfalen (um 1670[a]) sowie Haus Bosfeld/ Rheda (Exklave
weist dieses nicht zwangsläufig als Wohnhaus einer adeligen
des Hochstifts Osnabrück). Schepers (wie Anm. 26), S. 334
Familie aus. Denn auch an der Burg Dinklage („Ledebursches
(Taf. 153, Fig. A). Dort auch zu Haus Wallbaum (1994): S. 62
Haus") ist dieses Bauelement keineswegs ein Indikator für
(Abb. 31). Vgl. dazu auch Eiynck (wie Anm. 17), S. 319-320.
herrschaftliches Wohnen - im Gegenteil: Er ist im Bereich der
29 Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 60 mit Verweis auf
Küche angeordnet. Ein Erker zielte vorwiegend ab auf
ein Gebäude im Raum Cuxhaven (Altluneberg: „Haus
Außenwirkung, zumal der Ausbau auch noch nachträglich
erfolgte. Und wie will man letztendlich nachvollziehen, ob
nicht nun tatsächlich doch ein herrschaftliches Wohnhaus
schon im 16. Jahrhundert eingerichtet war, wenn entsprechende Kataster- bzw. Lagepläne aus der fraglichen Zeit ggf.
fehlen? Ebenso stellt Thorsten Albrecht (Die Hämelschenburg. Ein Beispiel adliger Schloßbaukunst des späten 16. und
frühen 17. Jahrhunderts im Weserraum [= Materialien zur
und 287. Hinzufügen lassen sich noch Haus Wallbaum/
Oldenburg" von 1671) publiziert von Hermann Claussen/
Lina Delfs, Das Oldenburger Haus. Adliger Wohnhof der v.
Oldenburg in Altluneberg. Altluneberg 1988. Vgl. auch
Dehio, (wie Anm. 15), S. 130 („um 1600").
30 Ähnlich Linde/ Rügge/ Stiewe (wie Anm. 11), S. 60.
31 Steinhof bei Lieme von 1589, Detering bei Lockhausen
von 1555 (d), Mühlenhof bei Kachtenhausen von 1666, und
Niederbarkhausen (1607). Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm.
Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland.
11), S. 63.
Bd. 13], Marburg 1995, S. 86) ein Wirtschaftsgebäude der
32 Domhof in Rheda, 1616 und Schönhof in Wiedenbrück,
Hämelschenburg vor, das zwar Wohnräume enthielt, diese
1718-1720. Beide zählten zur Exklave des Hochstifts
jedoch nicht von der Schlossherrschaft persönlich genutzt
Osnabrück. Der Schönhof befindet sich heute im Freilichtmu-
wurden. Der Autor führt neben der wenig repräsentativen
seum Detmold (Baumeier [wie Anm. 3], S. 58, 81, 84 und
Ausstattung auch den Zugang durch den Stall an. Allerdings
89).
vertritt auch er die Auffassung, dass Haus Sondermühlen
33 Ausführlich dazu Eiynck (wie Anm. 17, S. 314-321.
und der Domhof zu Rheda (Baumeier [wie Anm. 3], S. 89) als
34 So auch Baumeier (wie Anm. 3), S. 81 und 89.
Adelshäuser in Fachwerk zu verstehen sind, da eine Wand
35 Vgl. Michaels (wie Anm. 1), S. 225.
den Wohn- von dem Stallbereich abtrennte. Eiynck (wie
Anm. 17, S. 320) stellt wiederum heraus, dass Stallteile im
adligen Herrenhaus fehlen und Viehställe stattdessen in
einem eigenen Gebäude untergebracht waren. Ebenso
schon Heinrich Ottenjann, Zu unseren Monatsbildern, in:
Heimatkalender für das Oldenburger Münsterland. Vechta
führer des Landkreises Emsland. Meppen 1993, S. 274-276,
hier S. 275-276.
1958, S. 30-31, hier S. 30.
Landkreises Emsland. Meppen 1993, S.103-104, hier S. 103.
22 Michaels (wie Anm. 1), S. 223-224.
23 Den hinteren Teil des Gebäudes legte man höher an, da
hier die herrschaftlichen Zimmer untergebracht waren.
Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Emslandes. Osnabrück
19885, S. 102.
24 Das Kammerfach lag erhöht auf einem Keller. Das
36 Vgl. Bruch (wie Anm. 23), S. 26; Dehio (wie Anm. 15), S.
1248 und Eckart Wagner, Campe, in: Baudenkmale. Kultur-
37 Bruch (wie Anm. 23), S. 154; Dehio (wie Anm. 1 5), S. 249
und EckartWagner, Spyk, in: Baudenkmale. Kulturführer des
38 Das Herrenhaus stellt sich heute in Form eines Doppel-
heuerhauses unbekannter Zeitstellung mit großem Kamin-
block dar. Vgl. Bruch (wie Anm. 4), S. 288 sowie zuletzt
Sonja Michaels, Haus Sögeln. Ein Beitrag zur Erforschung der
Rittersitze im Fürstentum Osnabrück (= Kultur im Osnabrü-
von Schwietering auf Gut Limbergen, in: Mitteilungen des
cker Land. Schriften zur Kulturgeschichte des Osnabrücker
Landes Bd. 13). Osnabrück 2001, S. 53-54.
39 Ähnlich auch Meiners (wie Anm. 3), S. 11.
Vereins für Geschichte und Altertumskunde des Hasegaues.
40 Bedal (wie Anm. 8), S. 1 50.
Gebäude brannte um 1900 ab. Vgl. Wilhelm Hardebeck, Die
Heft 16. Lingen 1909. Reprint: Kultur im Osnabrücker Land.
(= Schriften zur Kulturgeschichte des Osnabrücker Landes.
Bd. 2). Osnabrück 1993, S. 33-39, hier S. 35 und Bruch (wie
Anm. 4), S. 337.
41 Eiynck (wie Anm. 17), S. 320 konnte bei den von ihm
untersuchten Bauten aus dem Besitz des Kleinadels keine
Hauptgebäude beibringen, die einen Stallteil aufweisen.
Entsprechend kam er zu dem Schluss, dass ein Stallteil in
61
62
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
dem Wohnhaus eines Adelshauses grundsätzlich nicht vor-
der Kleinen Mühlenstraße) zu Quakenbrück und die
handen ist und sich so z. B. grundsätzlich von einem Schultenhof unterscheidet.
Mundelnburg/Wasserhausen bei Quakenbrück. Carl Heinrich
42 So Andreas Eiynck, Häuser, Speicher, Gaden. Städtische
stifts Münster und der angrenzenden Grafschaften Diepholz,
Bauweisen und Wohnformen in Steinfurt und im nordwest-
lichen Münsterland vor 1650 (= Denkmalpflege und
Wildeshausen. Ein Beitrag zur Geschichte und Verfassung
Westphalens etc. 3 Bände (1840, 1841 und 1852). Nach-
Forschung in Westfalen. Bd. 19). Bonn 1991, S. 109. Er stellt
druck. Vechta 1967, S. 388-389 sowie Franz Ostendorf, Die
das Bauhaus von 1620 des Merveldtschen Hofes in Horstmar
Besiedlung Dinklages und seiner Bauernschaften, in: Mit-
Nieberding (1840-1852), Geschichte des ehemaligen Nieder-
(Kr. Steinfurt) vor, welches neben dem Stall auch ein
teilungen des Heimatvereins Dinklage. Hefte zur Geschichte,
Wohnteil aufwies. Dies diente für das Gesinde, da ein separates Wohnhaus für die Herrschaft existierte.
Natur- und Heimatkunde der Gemeinde' Dinklage. Dinklage
1953, S. 9 - 30, hier S. 11. Darüber hinaus besaß die Familie
43 Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 293 zum Haus Wedderen.
v. Voß (bzw. ein Zweig davon) seit 1527 durch Heirat auch
Vgl. auch Eiynck (wie Anm. 17), S. 312-313 und 330-332
(Haus Runde, Haus Rumphorst) sowie Thomas Spohn, Ich
das Haus Bakum/Vechta. Franz-Josef Tegenkamp, Das Gut
habe einen Pfächtiger auf meinem Rittersitz. Zur Bau-,
Wohn-, Wirtschafts- und Lebensweise auf dem kleinen
Adelssitz Haus Steinhausen zwischen 1628 und 1712, in:
Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft
Mark. Bd. 81/82 (1990/91), S. 57-96, hier S. 75 zu Haus
burger Münsterland. Vechta 1986, S. 79-90, hier S. 86.
Bakum und seine Entstehung, in: Jahrbuch für das Olden-
49 Vgl. beispielsweise Volker Gläntzer, Aspekte zur Geschichte des Quakenbrücker Wohnhauses, in: Quakenbrück.
Von der Grenzfestung zum Gewerbezentrum (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen. Bd. 25).
Steinhausen, wobei hier noch ein weiteres Wohnhaus exi-
Quakenbrück 1985, S. 255-297, hier S. 286 für die Stadt
stierte. Zu Rumphorst und Runde auch Mummenhoff (wie
Anm. 2), S. 253-254.
Quakenbrück.
44 Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 28, 126 und 308 (Bödding
51 Das Gebäude wurde in den 1970er Jahren abgebrochen.
und Drostenhof Wolbeck); Eiynck (wie Anm. 17), S. 312
(Büling, Byinck und Milte) und Linde/Rügge/Stiewe (wie
Kurt Asche, Das Bürgerhaus in Oldenburg (= Das deutsche
Anm. 11), S. 54 (Braunenbruch/Lippe).
das Anwesen irrigerweise als „Burgmannshof". Vgl. Micha-
45 Neben einem Gutshaus gab es auf der Burg Steinhausen
els (wie Anm. 1), S. 227.
einen Turm, der um 1700 bewohnt wurde. Spohn (wie Anm.
52 Vgl? Gudrun Kuhlmann, Burg, Haus, Gut Vehr bei Qua-
50 Vgl. Michaels (wie Anm. 1), S. 227.
Bürgerhaus. Bd. XXXI). Tübingen 1982, S. 129 bezeichnet
43), S. 75. Die Vorburg des Hauses Rodenberg/Grafschaft
kenbrück. Unveröffentlichtes Manuskript. Ohne Ort und
Mark war wohnlich ausgebaut. Thomas Spohn, Ein schöner
Jahr, S. 5-6; Günther Müller, 293 Burgen und Schlösser im
und lustig gelegener Rittersitz. Zur Baugeschichte von Haus
Raum Oldenburg-Ostfriesland. Oldenburg 19803, S. 21-22;
Hermann Kaiser, Die Geschichte des Hauses Arkenstede, in:
Rodenberg in Aplerbeck, in: Beiträge zur Geschichte
Dortmunds und der Grafschaft Mark. Bd. 85/86 (1994/95),
Adelige Lebenswelten. Aspekte eines Forschungsprojektes (-
S. 143-181, hier S. 159-160 und S. 166-167. Mit Einschrän-
Kleine Schriften Nr. 3). Cloppenburg 2001, S. 20-21; Asche
kung gilt dies auch für die Vorburg zu Sögeln/Hochstift
(wie Anm. 51), S. 130 und Michaels (wie Anm. 1), S. 227.
Osnabrück, da dort neben einer Herdstelle auch Bemalun-
53 Bruch (wie Anm. 23), S. 195.
gen aufgefunden wurden. Sonja Michaels, Die ehemalige
Burg Sögeln, Stadt Bramsche, Landkreis Osnabrück, in:
Burgen und Befestigungen (= Schriften zur Archäologie des
Osnabrücker Landes Bd. II. Zugleich auch: Kulturregion
54 Haus Büling (vor 1709), vielleicht auch Byinck (Grundriss
Osnabrück Bd. 15). Bramsche 2000, S. 245-248, hier S. 248
und dies, (wie Anm. 38), S. 42.
46 So ist beispielsweise Eiynck (wie Anm. 17), S. 320 und
Fußnote 61 vorzuwerfen, dass er bei der Betrachtung des
16./17. Jahrhunderts einen Katasterplan aus dem 18. Jahr-
hundert heranzieht. Dadurch wird nicht erklärbar, ob ein
Bauhaus ggf. schon in der frühen Zeit existierte.
47 Werner Dobelmann, Voßhamm. Ein untergegangener
Adelssitz in Nortrup, in: Heimatjahrbuch Osnabrücker Land
1980, S. 74-77, hier S. 76 führt bzgl. des Gutes Voßhamm
(ungenannte) Quellen an, wonach Johann v. Voß gegen
Ende des 16. Jahrhunderts das Erbe zur Hamme zum Sitz
gemachet und darauf gewöhnet habe.
eines langen schmalen Herrenhauses), Geistbeck(?),
Sentmaring(?) und Haus Venne (vor 1710). Mummenhoff
(wie Anm. 2), S. 138, 149, 169, 263, 275 und Abb. 34.
55 Möglicherweise sind die Häuser Brüning (zwischen 1677
und 1750 entstanden) und Mundeinburg in Wasserhausen-
Menslage (im 20. Jahrhundert abgebrochen) Beispiele für
diesen Typus, s. Bruch (wie Anm. 4), S. 337-338 (Abb. 303)
und S. 367.
56 Schwalenberg (18. Jahrhundert; abgebrochen) ist unsicher, da nicht klar ist, ob der Bau ein- oder zweistöckig war.
Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 67.
57 Das Erdgeschoss ist in Ziegelmauerwerk, das Obergeschoss hingegen in Fachwerk aufgeführt. An den Knaggen
befindet sich die Datierung „15 + 70". Freundliche Hinweise
von Dr. Volker Gläntzer, Hannover. - S. a. Akten des Kreis-
amtes Vechta (Bauamt, Denkmalpflege); Müller (wie Anm.
48 Voßhamm ist ein Beispiel für die „Nähe" zwischen
52), S. 49 und Dehio (wie Anm. 15), S. 864.
58 Das Gebäude ist wohl im Kern aus dem 16. Jahrhundert.
die Familie v. Voß mehrere Güter: seit 1556 (Voß-)Diek/
Müller (wie Anm. 52), S. 53-54 und Dehio (wie Anm. 15), S.
Bauern und Adel hinsichtlich der Wohnweise. Auch besaß
Langwege, einen Burgmannshof sowie ein weiteres Haus (in
746. - Keller- und Erdgeschoss sind massiv, während das
Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Obergeschoss in Fachwerk aufgeführt ist. Die Deckenbalken
Raum u. a. durch eine Deckenbalkenbemalung verändert.
des Kellers ergaben einen Entstehungszeitraum von 1691+/-
Möglicherweise handelt es sich um die ehemalige Küche, da
6(d) sowie eine Umbauphase von 1780(d). Freundliche
nach mündlicher Auskunft in demselben Raum während
Hinweise von Dr. Volker Gläntzer, Hannover.
Umbauarbeiten im 20. Jahrhundert an der östlichen
59 Das Gebäude ist abgebrochen worden und befand sich in
Längsseite ein Zwischenboden mit Bretterverschlag gefun-
der Nähe von Haselünne. Bruch (wie Anm. 23), S. 105.
60 Das alte Herrenhaus Langelage, ein verputzter Fachwerk-
den wurde. Dieser soll eine Schlafmöglichkeit für einen
Knecht gewesen sein und lässt sich damit mit dem in der
bau, der auf 1575 (d) datiert werden kann und noch heute
Küche der Dietrichsburg vergleichen. S. Michaels (wie Anm.
auf der Vorburg erhalten geblieben ist. S. hier Tabelle (Abb.
1), S. 229.
13) sowie Michaels (wie Anm. 1), Vgl. 229. Das alte Herrenhaus zu Auburg (Erdgeschoss massiv, aber mit aufgesetztem
65 Heutzutage ist rechts und links vom Kaminblock jeweils
eine Tür vorhanden, die westliche Tür ist vermutlich noch aus
Fachwerk-Obergeschoss) kann ebenfalls zu diesem Typus
der Erbauungszeit. Bemerkenswerterweise haben sich die
gerechnet werden. Bruch (wie Anm. 4), S. 184-185 und
Abb. 158. Bei dem alten, abgebrochenen Herrenhaus zu
Funktionen der beiden Räume heutzutage just umgekehrt,
denn in dem ursprünglichen Saal befindet sich heute die
Schwegerhoff handelt es sich um einen zweistöckigen Ge-
Küche. S. Michaels (wie Anm. 1), S. 229.
schossbau. Vgl. auch historisches Foto bei Bruch (wie Anm.
4), S. 259 und Abb. 227.
66 Beispiele in Ostfriesland und im Jeverland: Eberhard Pühl,
Backsteinbauten des 15. bis 17. Jahrhunderts in Ostfriesland
61 Haus Althaus (zweistöckig, 1560 [d]) und Haus Hoetmar
und Jeverland. Bürgerliche Profanbauten der Formsynthese
(um 1530, zweistöckig; abgebrochen). Vgl. zu Haus Althaus
Spätgotik/Renaissance. Oldenburg 1979, S. 95-96. Für
Holstein: Uwe Albrecht, Burgenlandschaften. Schleswig-
auch Eiynck (wie Anm. 17), S. 320-321 (Abb. 19-21).
62 Domäne Schieber (um 1600, abgebrochen), Oelentrup
(1659/60[d]) und Papenhausen (1665). Linde/Rügge/Stiewe
(wie Anm. 11), S. 66-67.
Mitteleuropa. Bd. II. Stuttgart 1999, S. 114-117 (Abb. 33).
67 Ähnlich auch schon Eiynck (wie Anm. 17), S. 320-321. -
63 Asche (wie Anm. 51), S. 130 meint allerdings, dass drei
Vgl. Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herr-
Querwände das Erdgeschoss zu Bakum teilten. Dies ist mei-
schaftsstand zur regionalen Elite (= Kritische Studien zur
nes Erachtens nicht richtig, da so die beiden kleineren
Außenräume unbeheizbar wären, da nur ein Kaminblock
ursprünglich vorhanden war. Zudem weist Welpe (1645 [i])
eine frappierende Ähnlichkeit mit Bakum (um 1670) auf. -
Holstein. Späte Burgen und erste Herrenhäuser, in: Burgen in
Geschichtswissenschaft Bd. 35). Göttingen 1979, S. 56 (Tab.
8 a und b) für das 18. Jahrhundert (Adelsfamilien des Münsterlandes).
Vermutlich zählen auch die Herbordsburg und das Steinhaus
Bildnachweise
der Dietrichsburg zu Dinklage dazu. Hier sind die Grundrisse
Sonja Michaels: 1, 4-9, 13, 16-18;
aus der Erbauungszeit jedoch nicht geklärt. Eine räumliche
Bernd Ammerich, Untere Denkmalschutzbehörde, Vechta:
Aufteilung mittels eines großen Kaminblockes zwischen
2, 3;
ebenerdiger Küche und Diele sowie einem erhöht liegenden
Heimatverein Bakum, Bakum: 10, 11 (Die Abbildungen
stellte der Heimatverein über die Herren Grafe und
Wohnteil ist bei der Herbordsburg möglich, s. Michaels (wie
Anm. 1), S. 229.
Ammerich freundlicherweise zur Verfügung);
64 Noch heute liegt im Raum hinter dem Nordgiebel ein gro-
Historisches Photoalbum, Privatbesitz: 12, 15;
ßer Rauchabzug, der in dieser Form erst nach 1899 entstan-
Historische Postkarte, Privatbesitz: 14.
den sein kann. In derselben Zeit wurde sicherlich der ganze
63
64
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
Vorbilder ländlichen und kleinstädtischen Bauens?1
Thomas Spohn
In Westfalen-Lippe bestanden zum Zeitpunkt der
Säkularisation, d. h. zum Zeitpunkt ihrer Auflösung im
frühen 19. Jahrhundert, 27 Damenstifte.2 Einige von
ihnen waren im Mittelalter bereits als Stifte für Damen
des Hochadels gegründet worden, während die
1739 zur Stadt erhoben. Zumeist jedoch sind die einstigen Damenstifte erst nach der Säkularisation und im
Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung in
(vor-)städtischen Agglomorationen aufgegangen.
Nicht wenige - wie z. B. Flaesheim, Hohenholte,
Mehrzahl erst im Gefolge der Reformation aus klösterlichen Frauenkonventen zu Stiften für Damen des
niederen Adels umgewandelt wurde.3 Nur in wenigen
Fällen bzw. aufgrund späterer Entwicklungen standen
Leeden, Levern, Neuenheerse, Quernheim - haben
jedoch bis heute ihren ländlichen Charakter bewahrt.
Überwiegend sind die adeligen Damenstifte daher für
die vorindustrielle Zeit als Bauaufgabe primär dem
Bürgertums offen.
Die Gründung einiger Stifte war so eng mit der Entstehung der Städte verknüpft, dass sie - wie etwa das
Auch die Bauaufgabe der Damenstifte ist daher in die
Diskussion um die wechselseitige Beeinflussung adeliger und nicht adeliger Bauformen im ländlichen Bereich einzubeziehen. Dies gilt jedoch erst für das späte
17. und das 18. Jahrhundert, als auch in den Damen-
Stifte auch Damen des Beamtenadels und des
reichsunmittelbare Stift Herford oder die Stifte in
Geseke und Vreden - einen der städtischen Siedlungskerne bildeten. Einige Stifte sind in den schon beste-
henden Städten entstanden bzw. gelangten durch
räumliche Verlagerung aus der Feldmark in den
ländlichen Raum zuzuordnen.
stiften mit den einzelnen Wohnhäusern, den soge-
blieb die Zahl städtischer Stifte insgesamt gering,
wenngleich auch die ursprünglich allein liegenden
nannten Stiftskurien, ein eigenständiger Bautyp fassbar wird. Freilich steht einer möglichen Diffusion dieses Bautyps in das ländlich/dörflich/kleinstädtische
Umfeld nicht nur - wie bei allen Bauten des Adels die besondere Lebensform der Bewohnerinnen entge-
dem Stift Herdecke angelagerte Siedlung im Jahr
meinheit unzugänglichen Stiftsbezirk.
Stadtkern, wie etwa St. Walburgis in Soest. Dennoch
Klöster bzw. späteren Stifte allmählich weitere Siedlungstätigkeit nach sich zogen. So wurde etwa die
gen, sondern auch die Lage der Häuser in einem
rechtlich und baulich geschlossenen, für die Allge-
Die Abkehr vom gemeinschaftlichen Leben
Die Abgeschlossenheit der Lebenswelt ist beiden
Einrichtungen eigen, in denen ledige Frauen in geistlicher Gemeinschaft Zusammenleben: Unterschiede
zwischen Klöstern und Stiften, soweit sie für das
Thema der Lebensführung von Belang sind, resultieren in erster Linie aus den weniger strengen Gelübden
der Stifte. Anders als in klösterlichen Gemeinschaften
schwören Stiftsfräulein zum einen keine ,ewige
Keuschheit', d. h. sie können aus dem Stift wieder
austreten und z. B. heiraten, aber auch phasenweise
außerhalb des Stifts leben.4 Zum anderen geloben sie
auch nicht, in Armut zu leben, d. h. sie können privates Vermögen und damit z. B. auch Immobilien besitzen.
Beides ist für die Lebens- und Wohnverhältnisse im
Stift von zentraler Bedeutung, denn das anfänglich
gemeinschaftliche Leben der Nonnen wie der Stiftsdamen in gemeinschaftlichen Räumen und Gebäuden
mit dem gemeinschaftlichen Verzehr der eingehenden Naturalien lockert sich im Rückzug der einzelnen
Stiftsdamen in individualisierte Räumlichkeiten mit
individueller Haushaltsführung. Dieser allmähliche
1 Leeden (Tecklenburg, Kreis Steinfurt). Undatierter Lageplan
mit Aufteilung in fünf ,Häuser'. Umzeichnung.
Prozess lässt sich an einer Reihe von Beispielen ideal-
typisch darlegen.5
65
2 Freckenhorst (Warendorf, Kreis Warendorf). Süd- und Westflügel des romanischen Kreuzgangs, später überbaut von einzelnen ,Häusern', um 1900.
Am Ausgangspunkt steht die klösterliche Anlage, die
alle Einrichtungen des gemeinschaftlichen Lebens um
das zumeist geschlossene Quadrum des Kreuzgangs
gruppiert. Eine solche vierflügelige Anlage war z. B.
im seit 1648 konfessionell gemischten6 Stift Leeden7
bis zur Säkularisation erhalten - zumindest in den
Umrisslinien des Lageplans weitgehend unverändert,
nicht jedoch in der Nutzung. Vielmehr waren die
schon 1584 aufscheinenden privaten Lebensbereiche
der Damen einschließlich der ,Abtei' gemäß eines
undatierten Plans (Abb. 1) als fünf ,Häuser' wie Tortenstücke in das Quadrum eingeschnitten, oder, wie
es 1815 heißt, sie hängen in Flügeln zusammen und
bilden Im Quarre gemeinsam ein Ganzes ... (so) dass
... ein Teil ohne den anderen nicht füglich abgebrochen werden kann.8
Unklar ist über Jahrhunderte, was genau der Begriff
,Haus' meint - uneindeutig hinsichtlich sowohl der
baulichen Erscheinung als auch der Funktion. Der
Prozess der Herausbildung tatsächlicher Häuser mit
vier Wänden und einem eigenen Dach als ausschließlichem Lebensmittelpunkt der Damen ist langwierig
und oft widersprüchlich. Lange Übergangszeiten
signalisiert die Äbtissin von Borghorst,9 als sie 1546
gestattet, das die Jungfern, so lange der Krieg währ-
te, in ihren eigenen Häusern schlafen könnten,
danach aber sollen sie wieder nach alter Gewohnheit
die Nächte im Stifts-Dormitorium zubringen.10
Die allmähliche Aufteilung wird auch deutlich für
Freckenhorst.11 Noch Fotografien zeigen die Überformung einst gemeinschaftlich genutzter Baulichkeiten
durch einzelne, heute nicht mehr erhaltene ,Häuser',
3a Lippstadt (Kreis Soest), Im Stift 4. Kurie des 18. Jahrhun-
derts mit Überbauung des alten Kreuzgangs. Ansicht 2009
mit dem im Putz stichbogig erkennbaren Kreuzgang links
unten; links die Abtei, im Hintergrund die Ruine der
Stiftskirche.
von denen manche noch dem 16. Jahrhundert entstammen können (Abb. 2): Das Quadrum ist überwuchert; einzelne seiner Teile sind als Rudimente in nun
echte Häuser integriert. Solche Überbauungen finden
sich vielfach auch anderswo, sowohl im erhaltenen
Baubestand als auch in Plänen untergegangener Gebäude. Besonders deutlich erkennbar werden jeweils
Reste der ehemaligen, zumeist gotischen Kreuzgänge,
wie in Lippstadt (Abb. 3).12
66
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
3b Lippstadt (Kreis Soest), Im Stift 4. Kurie des 18. Jahrhunderts mit Überbauung des alten Kreuzgangs. Grundrisse von Erd-
(unten) und Obergeschoss (oben) im Zustand 1853 mit dem deutlich erkennbaren massiven Mauerwerk des einstigen
Kreuzgangs.
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
4 Metelen (Kreis Steinfurt). Lageplan aus der Zeit um 1830. Die Zugänge zu den Häusern vom Kreuzgang „Fräulein Kirchhoff"
aus sind durch die Türen angedeutet.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Den Übergang zu Privatgebäuden zeigt sehr deutlich
ein einzelner Plan des Stiftsbezirks von Metelen (Abb.
4),13 wo - seit unbekannter Zeit - ein Teil der Damenhäuser den Kreuzgang so rahmte, dass dieser wie ein
gemeinschaftlich erschließender Laubengang funktionierte. Für das Stift Hohenholte14 wird eine ähnliche
Entwicklung erkennbar durch die Abfolge dreier Pläne. Der früheste, undatiert aber jedenfalls vor 1700
entstanden (Abb. 5a), zeigt den noch mittelalterlichen
Zustand mit Abtei (1), Kirche (2) und Kreuzgang (3)
sowie einige große Wirtschaftsgebäude; der Plan von
1731 (Abb. 5b) lässt nur noch Kirche und Abtei erken-
nen, während der Kreuzgang mit allen Gemein-
schaftsräumen abgebrochen ist; ein Plan der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich zeigt ihren
Ersatz durch gereihte Einzelhäuser, die den Stiftsbezirk rahmen (Abb. 5c).
Die ältesten erhaltenen Einzelgebäude
Der Bestand an tatsächlich weitgehend separaten
Häusern15 reicht mit dem heute so bezeichneten
Äbtissinnenhaus in Leeden bis 1489(d) zurück (Abb.
6). Während die Gefüge der Umfassungswände des
zweistöckigen Fachwerkbaus recht klar rekonstruierbar sind, ist über die originalen Innenstrukturen und
Nutzungen derzeit kaum etwas bekannt. Seine
behagliche Wohnausstattung mit z. B. Wandkaminen
und Stuckdecken erhielt das Gebäude jedenfalls erst
in den 1720er-Jahren und in den Schriftqueilen wird
es mit der Bezeichnung Comtessenhaus sogar erst
nach der Aufhebung des Stifts fassbar, als dort die
letzte Vizeäbtissin bis 1851 ihren Lebensabend verbrachte.16
Das nächst ältere Einzelgebäude ist der westliche,
linke Teil des ,Alten Äbtissinnenhauses' im Stift Gevelsberg (Abb. 7).17 1547 wurde als Anbau eines ver-
schwundenen Baukörpers ein quadratischer Fach-
werkbau errichtet, der im Erdgeschoss nur einen großen Saal und im Obergeschoss zwei Räume enthielt,
also zumindest für sich allein kein Wohnhaus gewesen sein kann. Bestandteil eines Wohnhauses wurde
der Bau von 1547 spätestens 1685, als anstelle des
Vorgängerbaus ein zweiter Fachwerkbau mit weit differenzierterem Grundriss angefügt wurde.
Jedoch erst mit einer Bauzeit nach 1670 setzt der
Bestand an erhaltenen Kuriengebäuden westfälischer
Damenstifte in größerer Zahl ein; in der Mehrzahl entstammen sie dem 18. und davon beachtlich viele erst
dem ausgehenden 18. Jahrhundert, also den Jahren
vor der Auflösung der Stifte.
5 Hohenholte (Havixbeck, Kreis Coesfeld). (Oben) Lageplan
(undatiert); (Mitte) Abtei und alte Kirche 1731, Grundriss
und Seitenansicht von Osten; (unten) Lageplan, 18. Jahrhundert (undatiert; Ausschnitt).
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
6 Leeden (Tecklenburg, Kreis Steinfurt), Stift 19. So genanntes Äbtissinnenhaus von 1489(d). Südliche Traufwand und östliche Giebelwand (oben) in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, Erdgeschossgrundriss im Bestand (unten). 2002/2003.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
7 Gevelsberg (Kreis Ennepe-Ruhr), Im Stift 9. So genanntes Altes Äbtissinnenhaus von 1547(d) und 1685(d). Südliche
Traufwand (oben) und Grundrisse von Erd- (Mitte) und Obergeschoss (unten) in Rekonstruktion des jeweils ursprünglichen
Zustands, 1987/1996.
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
8 Elsey (Hagen), Im Stift 35, 33, 31. Drei Stiftskurien des 17. und 18. Jahrhunderts in Massivbauweise (ganz links von 1789(i)),
aufgereiht auf der hochwasserfreien Terrasse zwischen Stiftskirche und Lenne, Ansicht 2009.
Die barocken Palais des ausgehenden
17. und 18. Jahrhunderts
Am auffallendsten sind als größte Gruppe die Kurien
in der Art barocker Adelspalais, wie etwa im Stift Elsey
gereiht (Abb. 8).18 Inmitten weitläufiger Gärten mehr
oder minder locker im Gelände des Stifts gestreut,
handelt es sich um reine Wohnhäuser von oftmals
zwei Vollgeschossen mit bevorzugt massiven, jedoch
häufig auch fachwerkenen Umfassungswänden.
Angestrebt wurde die axiale Gliederung der Schau-
wand in fünf oder gar sieben Achsen mit dem
Eingang in der Mittelachse über einer Freitreppe, bisweilen betont mit einem Dreiecksgiebel, und bedeckt
von einem Dach ä la Mansard. Die Grundrisse solcher
Kurien zeichnen sich besonders dadurch aus, dass
landwirtschaftliche Nutzräume fehlen (diese sind in
separaten Nebengebäuden untergebracht) und dass
sie in Erd- und Obergeschoss weitgehend identisch
sind; beide Stockwerke sind auch annähernd gleich
hoch. Dies hat seine Ursache darin, dass jedes Haus
zumeist von zwei Damen bewohnt wurde:19 Das
Erdgeschoss von der das Haus besitzenden und den
Haushalt führenden Dame, der sogenannten
Kostmöhne, und das Obergeschoss von einer oft
ärmeren und zumeist jüngeren Dame, der sogenann-
ten Kostjungfer.20
In der Kurie von 1799 in Levern (Abb. 9)21 vermittelt
ein kurzer Längsflur vom großen, zentralen Erschließungsraum (I) mit Treppe nach links zu den untergeordneten (Hauswirtschafts-) Räumen (lll-VI) mit einer
erstaunlich kleinen Küche. Der größte Wohnraum (VII)
wird von drei Fenstern belichtet und durch einen
Wandkamin beheizt - im Erdgeschoss rechts, im obe-
ren Stockwerk am anderen Schornstein links. Auffallend ist, dass ein solcher hervorgehobener Raum
verschiedentlich selbst bei noch bescheideneren
Gebäuden, wie etwa in der sogenannten Dechanei
von 1778 in Cappel (Abb. 10),22 unmittelbar hinter
dem Erschließungsraum mittig im Haus liegt, also an
einer Stelle, wo man im bürgerlichen Bereich eher die
Küche unterbringt. Der Raum erinnert so eher an
einen Saal und dementsprechend aufwändig kann er
auch ausgestattet sein.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
9 Levern (Stemwede, Kreis Minden-Lübbecke). Im alten Stift 7. Kurie von 1799. Ansicht der östlichen Traufwand (oben) und
Erdgeschossgrundriss (unten) in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, 2002.
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
10a Cappel (Lippstadt; Kreis Soest), Cappeler Stiftsallee 10. So genannte Dechanei von 1778. Ansicht (oben),
Erdgeschossgrundriss (unten).
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
10b Cappel (Lippstadt, Kreis Soest). Cappeler Stiftsallee 10. So genannte Dechanei von 1778. Längsschnitt in Rekonstruktion
des ursprünglichen Zustands.
Allerdings ist heute - 200 Jahre nach Auflösung der
Stifte - die historische Ausstattung kaum mehr vorhanden, - hier ein Treppenhaus, dort ein Saal (Abb.
11), bisweilen ein oder mehrere Wandkamine. Noch
zerstreuter ist natürlich die mobile Ausstattung, von
der nur noch umfangreiche Auflistungen in Dutzenden von Sterbefallinventaren und Testamenten künden.23
Als Beispiel sei in Auszügen der Hausrat benannt, der
sich 1680 nach dem Tod der Stiftsdame Margarete
Cornelia von Merveldt in ihrer Stiftskurie befunden
hat, welche sie im Jahr 1668 im Stift Borghorst hat
errichten lassen (Abb. 12); ihr Wappen befindet sich
am prächtigsten der vielen einst vorhandenen Wandkamine. In der Küche befanden sich nach dem Sterbe-
fallinventar an Mobiliar u. a. Stühle groß und kleine
20 neun Stücke durcheinander, 1 Schapp mit 2 Türen,
in der Bettstätte daselbsten ein drlllbüren Unterbett,
11 Metelen (Kreis Steinfurt). Stiftsstraße 12. Abtei von
1720(i). Blick in das Kaminzimmer im Erdgeschoss, 1981.
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
eines mit Linnenbüren nebst weiterem Bettwerk,
wohl für die Köchin oder Küchenmagd. Am Bohsemp
hangend, d. h. in der Herdstelle selbst, haben sich
befunden ein Eisenbratwerk und dazu gehörige zwei
Bratspieße, 2 Füße und 1 Pfanne, 2 eiserne Brandruten, 3 große Hähle und 4 lange Hähle sowie weiteres
Gerät zum Betrieb der offenen Feuerstelle. Ferner
befanden sich in der Küche am Balken hangend ... 12
Seiten Speck, 10 Schinken, 6 halbe Schweinsköpfe,
an Rindfleisch 30 Stücke, Mettwürste, 20 neue Stücke
Fleischwürste. Obgleich die übrigen Räume, die das
Inventar von 1680 nennt, derzeit den heute bestehen-
den Räumen noch nicht mit Sicherheit zuzuordnen
sind, seien sie - auszugsweise auch mit den darin vor-
gefundenen Gegenständen - aufgeführt. Im hohen
Kam merken neben der Küchen stand u. a. eine Bett-
stätte und in der Speisekammer befunden ein alter
kupferner Kessel. Im großen Saal befand sich em
überwiegend als alt bezeichneter Hausrat vom Kochgerät bis zum Bettzeug. Erwähnenswert sind neben
Gerät zum Betrieb eines offenen Kamins - 1 paar
große und ein paar kleine Brandrouten mit Erenköp-
12 Borghorst (Steinfurt, Kr. Steinfurt). Kirchplatz 5. Kurie von
Merveldt aus dem Jahr 1668 (oben). Ansicht der vor der
Stiftskirche gereihten Kurien mit ihren Nebengebäuden
(ganz rechts Kirchplatz 5) um 1890; Gefüge der rückwärtigen Traufwand (Mitte) und Erdgeschossgrundriss (unten) in
Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands 1668, 2005.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
fen, 1 Schippe, 1 Zange - auch 17 Stück bunte Gardinen. In erster Stube oder Kammer Ständen 1 offene
ledige Bettstätte, 1 kleiner langer Tisch mit einer
Treckladen und in einem mit ... Ledder bezogenen
Koffer der seligen Fräulein Kleider. Auf beiden
Gemächer ober dem Saal befanden sich 2 offene ledi-
ge Bettstellen und eine Trecklade sowie 1 langer Tisch
mit 3 Stahle davon einer mit dem Nagel an der Wand
angeheftet. Auf das sogenannte Plunderkammerken
lagerte der Vorrat an Vitsbohnen, weißeln) Erbsen,
Bohnen, Rübesamen, 1 Mehlfass, 1 halbe Tonne mit
Gänsefedern. Es wurden hier aber auch große Mengen an Tischlaken, Servietten, Bettlaken, Kissenzüge,
daneben auch 1 Bettstätte mit einer Trecklade, 1
hoher und 1 niedriger Stuhl sowie 1 Wanne und 1 He-
chelstuhl aufbewahrt. Auf dem Kornbalken schließlich lagerte der Vorrat an Malz, Hafer, Buchweizen,
Hopfen, Flachs, Wolle. Es standen hier aber auch u. a.
ein langer Tisch mit vier Füßen, eine lange Seddell
worin einiger Vorrat, noch eine ledige Seddel, 2 Wan-
nenkörbe, 2 Schabellenstühle sowie eine lange
Leiter.24
13 Neuenheerse (Bad Driburg, Kreis Höxter). Asseburger
Straße 1. Kurie der Familie von der Asseburg aus dem Jahr
1777, Ansicht 2009.
Bauliche Sonderformen und wirtschaftliche
Grundlagen
14 Schildesche (Bielefeld). Beckhausstraße 260. So genannte Äbtissinnenkurie des späten 18. Jahrhunderts, Ansicht 2010.
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
15a Lippstadt (Kreis Soest). Im Stift 2/3. Doppel-Wohnhaus von 1784(a). Ansicht von Süden.
1 5b Lippstadt (Kreis Soest). Im Stift 2/3. Doppel-Wohnhaus von 1784(a). Erdgeschossgrundriss der rechten Haushälfte (Nr. 2)
in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, 2009/2003.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
16 Paradiese (Soest, Kreis Soest). Plan des Bezirks, der den evangelischen Stiftsdamen überlassen und nach 1660 bebaut
wurde.
Allerdings zeigt der Baubestand auch, dass sich viele
Damen solche barocken Palais nicht leisten konnten,
sondern mit anderen Bauformen vorlieb nehmen
mussten.
Da gibt es zum Ersten die nur einstöckigen Kurien.
Manche von ihnen erreichen die Repräsentativität der
zweigeschossigen Palais, wie die Asseburger Kurie
von 1777 in Neuenheerse (Abb. 13)25 oder die sogenannte Äbtissinnenkurie in Schildesche (Abb. 14),26
andere dagegen sind in ihrem schlichten Äußeren fast
mit zeitgenössischen Landschulen zu verwechseln.27
Da gibt es zum Zweiten auch Reihenhausbebauungen, wie das Doppelhaus von 1784 in Lippstadt mit
bracht. Diese waren notwendig geworden, als die
Individualisierung im Stift nicht nur zu separaten
Wohnungen geführt hatte, sondern - durchaus un-
gleichzeitig - auch die gemeinsame Versorgung aufgegeben worden war.31 Spätestens im 17. Jahrhundert wurden die von den stiftseigenen Höfen eingehenden Naturalien nicht mehr gemeinsam aufbereitet
und konsumiert,32 sondern den Damen zur eigenen
Verarbeitung und zum individuellen Konsum direkt
übergeben.33 In Levern erhielt - nach den Generellen
Nachrichten von den Besitzungen ... und sonstigen
Verhältnißen des Stifts aus dem Jahr 1704 - jeder
Haushalt zwei der sogenannten Malschweine: Es
jeweils einer separaten Wohnung pro Etage (Abb.
suchet sich das Stift die besten aus, und zwar die Frau
eine Reihe von fünf Häusern errichtet (Abb. 16), ein
iedes zu zweyer junffern wohnung eingerichtet,29 mit
einem überdachten Laubengang als Verbindung, ähn-
was übrig bleibet, ist vor die Propstey.34 Obligatorisch
waren nunmehr nicht nur das Schlachten und die
Metelen.
und ebenso die Herstellung eigener Textilien.35
15). Im Stift Paradiese bei Soest28 wurde um 1660 gar
Äbtißin zuerst, dann die Fräulein nach dem Range;
lich dem bereits angesprochenen Kreuzgang in
Verarbeitung der genannten Bestialien, sondern auch
der Anbau von Obst und Gemüse im eigenen Garten
Zum Dritten gab es einige wenige Wohnwirtschaftsgebäude mit dem klassischen Dielenhausgrundriss
Nordwestdeutschlands, wie in einem um 1700 errich-
Vielfach sind Backöfen in den Kurien nachweisbar,
und nicht selten besaßen die Damen eigenes Braurecht.36 Auch die Versorgung mit Milchprodukten
im Seitenschiff (Abb. 17).
worauf neben Viehbesitz das entsprechende Gerät
Üblicherweise waren die landwirtschaftlichen Nutzräume jedoch in separaten Nebengebäuden unterge-
Milchbecken, ein Milchküfer, ein Fleischfass und ein
Bückefass37 im Inventar der Leedener Äbtissin Hen-
teten Damenhaus des Stifts Geseke30 mit kleinem Stall
stand in der Verantwortung der haushaltenden Dame,
hindeutet, wie etwa 1774 die Butterkanne, zwölf
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
17a Geseke (Kreis Soest). Martinsgasse 1. Kurie aus derzeit um 1700. Ansicht, 2009.
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um 1700. Rechte Traufwand in Rekonstruktion des
ursprünglichen Zustands, 2003.
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17b Geseke (Kreis Soest). Martinsgasse 1. Kurie aus derzeit
um 1700. Erdgeschossgrundriss mit Längsdiele (I) und
Stallung (II) im linken Seitenschiff, 2003.
17c Geseke (Kreis Soest). Martinsgasse 1. Kurie aus derzeit
riette von der Reck. Dass der Viehbesitz bisweilen
erheblichen Umfang annehmen konnte, wird deutlich, wenn etwa 1658 die Lippstädter Äbtissin Margret Anna von Baeche dem Beichtvater und Seelsor-
ger die drei besten aus meinen Kühen38 vermacht; sie
hatte also noch weit mehr im Stall. Es wird bisweilen
erkennbar, dass selbst das Brotkorn den Damen
durchaus nicht immer verarbeitungsfertig angeliefert
wurde: 1680 zahlte die Testamentsvollstreckerin nach
dem Tod der Margarete Cornelia von Merveldt in
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
18 Geseke (Kreis Soest). Abtei. Ansicht und Grundrisse aus dem Jahr 1820.
Borghorst Lohn aus an sechs Drescher so im sterb-
hauß eilt taghe gedroschen.39 Und schließlich ist nach-
weisbar, dass die Damen selbst Ackerbau betrieben,
wie die Äbtissin von der Borch 1805 im Walburgisstift
in Soest,40 in deren Besitz sich ein Erntewagen mit
Zubehör sowie ein vollständiges Geschirr und ein
Pflug nebst Zubehör für zwei Pferde befanden.
Und es gab schließlich zum Vierten eine Reihe von
Damenhäusern, die erst durch zahlreiche Anbauten
zu einer genügenden Größe bei freilich uneinheitli-
cher und wenig repräsentativer Gestalt herangewachsen waren, wie etwa in Geseke (Abb. 18). Dass es sich
dabei um die Abtei gehandelt hat, eines der wenigen
Gebäude, das sich immer in Stiftsbesitz befand, ist
Hinweis darauf, dass der Stiftsfond mit einem stan-
desgemäßen Neubau finanziell überfordert gewesen
wäre.
Dies scheint nicht nur in Geseke der Fall gewesen zu
sein: auch anderswo mussten Äbtissinnen in die eige-
ne Schatulle greifen, um standesgemäß logieren und
repräsentieren zu können. In Fröndenberg41 berichtet
die Bauinschrift der Abtei (Abb. 19): Anno 1661. Ida
de Plettenbergh ex Lenhausen & Bergstrate, Abbadissa zu Föndenberghe suis sumptibus fieri fecit, dass
also die Äbtissin das Gebäude aus ihren eigenen
Mitteln hat erbauen lassen. In ihrem ein Jahr später
aufgesetzten Testament vermachte sie es dem Stift:
Wegen der Auferbauung des neuen Hauses sind ... in
etwa die Mittel ausgegangen. ... Dieses neuerbaute
haus soll gestiftet und verehret sein zur Wohnung
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
19 Fröndenberg (Kreis Unna). Kirchplatz 2. Abtei von 1661 (i). Links Chor der Kirche, Ansicht 2010.
einer zeitigen Frau Äbtissin allhier zu Fröndenberg,
und zwar selbiges mit diesem ausdrücklichen Befehl,
Condition und Vorbehalt, dass ... die neuankommende Äbtissin gehalten und verbunden sein solle und
wolle, diese neuerbaute Abtei zum wenigsten in selbigem Stande ..., wie sie es bekommen, an ein ... ehrwürdiges Kapitel ...zu hinterlassen.42
Der Hausbesitz
Die eigenständige Bautätigkeit der Stiftsdamen
scheint bei der baulichen Umgestaltung der Stifte seit
dem ausgehenden 17. Jahrhundert entscheidend gewesen zu sein. Die meisten Kurien befanden sich bei
der Aufhebung der Stifte im frühen 19. Jahrhundert
im Besitz einer der Damen, die ja Armut nicht zu gelo-
ben brauchten. Die Dame hatte Verfügungsgewalt
und konnte ihre Kurie direkt an das Stift oder an ein
ihr nahe stehendes Stiftsfräulein - sogar aus einem
anderen Stift - verkaufen oder vererben, wie etwa
1810 Maria von Hövel ihr Haus in Herdecke43 an die
Dechantin Christiane von Vaerst, die als Kapitularin im
Stift St. Walburgis in Soest lebte.44 Auf solchen Wegen
war Maria Dorothea von Morsey im Stift Leeden in
den Besitz von gar drei Häusern in drei verschiedenen
Stiften gekommen; sie vermachte 1786 nämlich alles
übrige Hausgerät welches zu Leeden in meinem
Hause noch ist, auch das Haus zu Asbeck46 und das
Haus zu Flaesheim.46
Überwiegend jedoch wurde die Kurie an eine Dame
derselben Familie - Schwester oder Nichte - weitergegeben, sei es, dass diese bereits im selben Stift lebte,
sei es, dass sie von der Erblasserin nicht nur das Haus,
sondern auch die Präbende - also die Stiftsstelle mit
den Einkünften - zu übernehmen gedächte. Wenn
eine solche weibliche Person nicht in Sicht war, wurde
das Haus zurückvererbt in den Familienbesitz, aus
dem oftmals auch die Mittel zum Bau des Hauses
gestammt hatten. So vermachte 1766 Bernhardma
Ursula Maria Gräfin von Plettenberg-Lenhausen, Kapi-
tularin des Stifts Metelen, all mein Hab und Gut
Spruch und Forderung wie sie Namen haben mögen
(an) meines) vielgeliebten Vetters älteren Brudersohn
Maximilian Friederich, sollte aber dieser mein Erber
Maximilian Friederich aus diesen vergänglichen in das
Ewige abgefordert werden so soll dieser meine Erb-
schaft am Haus und Familie bleiben, verstehe am
Stamm und Nam(en')47 Vom Stammsitz aus wurde das
Haus dann verpachtet bis zu dem Tag, an dem es erneut Töchter standesgemäß zu versorgen und im Stift
unterzubringen gelten würde. So geht es aus einem
Mietvertrag hervor, in dem Anna Theresia Freifrau von
Landsberg geb. Freiin von und zu Velen nach ihrem
heiratsbedingten Austritt aus dem Stift beurkundete,
das ich meine im hochadeligen freiweltlichen Stift
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
20 Langenhorst (Ochtrup. Kreis Steinfurt). Stift 1. Abtei von 1722(a) nach Entwurf von Gottfried Laurenz und Peter Pictorius.
Ansicht 1973.
Metelen gelegene Behausung a Majo 1767 anfang-
ent, an der hochwohlgeborenen Freifräulein von
Fuchs, ... solang als es nur immer mein Convenientz
sein möge, oder bis dieses Haus selbst von einer meinen Töchtern, wann vielleicht allda im Stift kommen
sollte, wird bewohnt werden, verheuert habe48
Zusammenfassung
Die Bauform der Stiftskurie des 17. und 18. Jahrhunderts als Haus einer adeligen Dame steht ganz
offensichtlich in engem Bezug zur Entwicklung der barocken - Herrenhausarchitektur. Bisweilen zogen
die Damen für ihre Kurien sogar dieselben Architekten heran wie die verwandten Oberhäupter der
Familien für ihre Schlösser und Palais. So entstand das
Abteigebäude in Langenhorst49 nach Entwurf von
Gottfried Laurenz und Peter Pictorius (Abb. 20); die
Bauherrin, die Langenhorster Äbtissin Clara Franziska
Antonetta von Westerholt, war die Schwägerin des
Grafen von Plettenberg, der die Pictorius u. a. beim
Schlossbau zu Nordkirchen beschäftigte.50 Und der
vielbeschäftigte westfälische Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun entwarf nach dem Brand des
Stifts Nottuln51 im Jahr 1742 verschiedene - allerdings
so nicht ausgeführte - Varianten von Stiftskurien
(Abb. 21).52
21 Nottuln (Kreis Coesfeld). Entwürfe von Johann Conrad
Schlaun für Stiftskurien 1742.
Weniger deutlich als zur Herkunft der Bauform
Stiftskurie sind die Befunde bezüglich einer möglichen
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
sozialen Diffusion, d. h. hinsichtlich der Übernahme
der Bauform durch andere Bevölkerungsschichten der
jeweiligen Region. Einer solchen Übernahme konnten
prinzipiell neben der bereits vermerkten besitzrechtli-
chen Abgeschlossenheit der Stiftsbezirke die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Stiftsdamen und
der örtlichen Bevölkerung mit den entsprechend
unterschiedlichen Anforderungen an die Raumstruktur der Häuser entgegenstehen. Während vielerorts
einschlägige Untersuchungen noch fehlen, ist für den
nördlichen Teil der ehemaligen Grafschaft Mark die
Befundlage klarer. Hier liegen mit Clarenberg, Elsey,
Fröndenberg, Gevelsberg und Herdecke fünf Stifte, in
denen einige bemerkenswerte Kurien bis heute erhalten sind (vergl. Abb. 8). Ganz ähnliche, palaisartige
Häuser wurden jedoch zeitgleich oder schon früher
auch außerhalb der Stifte errichtet (Abb. 22). Bauherren waren hier die Familien der bürgerlich-gewerblichen Oberschicht, die in keinen engeren Beziehungen zu den Damenstiften standen,53 sodass man eine
unmittelbare Beeinflussung dieser Bauten durch die
Stifte wohl ausschließen kann.
Fundamental ändert sich das Bild mit der Säkulari-
22 Hemer-Sundwig (Märkischer Kreis). Stephanopeler Straße
40. Reidemeisterhaus von der Becke von 1796(1), Ansicht
2008.
sation, d. h. mit der Aufhebung der Stifte und der
Veräußerung aller Liegenschaften und Bauten, die
noch im Besitz des Stiftsfonds standen. Auch für den
Privatbesitz der Damen bedeutete die Säkularisation
eine entscheidende Lockerung: War bislang eine
Veräußerung der Häuser zwar möglich, aber nur
innerhalb des Stiftes erlaubt, so fiel diese Schranke
ebenso wie das Bedürfnis der Damen und ihrer
Familien, im jeweiligen Ort eine Kurie vorzuhalten. So
wurden die meisten Kurien sofort nach der Säkularisation oder spätestens mit dem Tod der letzten Besitzerin/Bewohnerin an Interessenten im Ort veräußert:
Sowohl die Bauform der Kurie als auch ganz materiell
die Gebäude gingen in bürgerlichen Besitz über. In
Herdecke54 etwa, wo die Stiftskirche als Pfarrkirche
und das Abteigebäude als evangelische Schule weiter
bestanden, setzten sich vor allem die örtlichen
Tuchfabrikanten in Besitz der übrigen Gebäude, die
sie teils zu gewerblichen Zwecken um- und teils zu
Wohnzwecken weiter nutzten. Eine der Kurien galt
ihrem Käufer, dem Farbenfabrikanten Heinrich Hueck,
als baufällig; der Neubau von 1820 entspricht -
wenngleich in den Details „modischer" - so weitgehend der daneben stehenden Stiftskurie von 1785
(Abb. 23), dass er kaum als bürgerliche Ergänzung
einer einst adeligen Lebenswelt erkennbar wird.
23 Herdecke (Kreis Ennepe-Ruhr). Stiftsplatz 3 und 4.
Stiftskurie von 1785 (rechts) und bürgerlicher Neubau von
1820, Ansicht 2011.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
1 Der Aufsatz fasst bisherige Ergebnisse eines nicht abge-
Anm. 1). Zahlreiche Abbildungen von Stiftsgebäuden bei
Heiko K. L. Schulze, Klöster und Stifte in Westfalen - Ge-
schlossenen Gemeinschaftsprojekts des Referats Inventari-
schichte, Baugeschichte und -beschreibung. Eine Dokumen-
sation bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Bau-
tation, in: Geza Jäszai (Hg.), Monastisches Westfalen.
kultur (Münster; im Folgenden LWL-DLBW) zusammen. Er
Klöster und Stifte 800-1800 (= Ausstellungskatalog Westfä-
fußt auf Thomas Spohn, Hausfrauen und Jungfern Lebens- und Wohnverhältnisse in westfälischen Damen-
lisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte).
Münster 1982, S. 309-445.
stiften der nachreformatorischen Zeit, in: Ute Küppers-
4 Die zunehmende Lockerung der Residenzpflicht führte da-
Braun/Thomas Schilp (Hg.), Katholisch - Lutherisch - Calvilisierung (= Essener Forschungen zum Frauenstift 8). Essen
zu, dass sich im ausgehenden 18. Jahrhundert in vielen
Stiften nur noch eine der Amtsträgerinnen ständig im Stift
aufhielt. In Herdecke etwa residierte 1786 von 14 Damen
2010, S. 147-177. Aus dem Projekt sind bislang Abhand-
neben der Äbtissin nur mehr eine (Otto Schnettler, Herdecke
nistisch. Frauenkonvente im Zeitalter der Konfessiona-
lungen speziell zu den Profanbauten der Damenstifte
Borghorst, Clarenberg, Geseke, Gevelsberg, Herdecke,
Leeden und Levern erschienen (Nachweise s. u.). Auf
an der Ruhr im Wandel der Zeiten. Stift, Dorf, Stadt. Dort-
mund 1939, S. 279 f.) und in Gevelsberg wohnten 1794
von den 12 Damen zwei in Berlin, je eine in Bremen und
Nennung der Literatur zu den einzelnen Stiften kann bis auf
konkrete Nachweise verzichtet werden unter Verweis auf
Corvey, die anderen auf den Schlössern der Familien, näm-
die einzelnen Artikel in: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon
der Grafschaft Zutphen, auf Haus Reck bei Kamen sowie
lich auf Haus Neuenhof bei Lüdenscheid, auf Haus Velde in
der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer
jeweils zwei Schwestern zu Hackhausen bei Solingen und zu
Gründung bis zur Aufhebung, hg. von Karl Hengst, Teil 1:
Rauschenberg im Bergischen. Selbst die Äbtissin, Amalia
Ahlen - Mülheim; Teil 2: Münster - Zwillbrock; Teil 3:
Institutionen und Spiritualität (= Veröffentlichungen der
sondern im Stift Elsey (LAV NRW W Münster, Kriegs- u.
Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44: Quellen
Domänenkammer Hamm, Nr. 740).
Dorothea von Kessel, residierte nicht im Stift Gevelsberg,
2). Münster 1992, 1994, 2003.
5 Siehe neben Otfried Ellger, Das „Raumkonzept'' der
Aachener Institutio sanctimonialium von 816 und die
2 In verschiedenen Damenstiften gehörten auch die Geist-
Topographie sächsischer Frauenstifte im früheren Mittelalter,
lichen zum Kapitel oder bildeten eigene (s. dazu die Anm.
25, 26, 30); daneben existierten auch in Westfalen-Lippe
reine Männerstifte. Dazu zählten die Domstifte von Minden,
in: Jan Gerchow/Fhomas Schilp (Hg.), Essen und die sächsi-
schen Frauenstifte im frühen Mittelalter. Essen 2003, S. 129-
Münster und Paderborn, aber auch z. B. das Kollegiatstift in
chen Struktur westfälischer Damenstifte als Spiegel ihrer
Beckum (Kreis Warendorf) mit sieben, später drei Kanonikaten, das 1295 nach Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke)
Lebensgrundlage, in: Olaf Schirmeister (Hg.), Fromme Frauen
verlegte Kollegiatstift St. Andreas mit vier Präbenden (Maria
Herforder Forschungen, Bd. 10; Religion in der Geschichte,
Spahn, Das Kollegiat-Stift St. Andreas zu Lübbecke. Minden
Bd. 3). Bielefeld 2000, S. 71-76.
und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte, Bd.
1980), das 1310 aus dem 913 erstmals erwähnten adligen
Damenstift zu einem Kanonikerstift umgewandelte St. Wal-
burgis in Meschede (Hochsauerlandkreis) mit 15 Kanonikaten, das Kollegiatstift St. Patroklus in Soest (Kreis Soest)
mit 16 Kanonikaten (vgl. Manfred Wolf, Kirchen, Klöster,
Frömmigkeit, in: Heinz-Dieter Heimann/Wilfried Ehbrecht/
159; auch Matthias Wemhoff, Die Änderungen der bauli-
und Ordensmänner. Klöster und Stifte im heiligen Herford (-
6 Manfred Wolf, Konfessionell gemischte Stifte, in: Westfälisches Klosterbuch 3 (wie Anm. 1), S. 245-293.
7 Leeden (Tecklenburg; Kreis Steinfurt); die 1240 gegründete Zisterzienserinnen-Abtei wurde 1538 in ein freiweltliches
Damenstift mit acht Präbenden umgewandelt und am
10.02.1812 unter französischer Herrschaft aufgelöst. Ne-
Gerhard Köhn (Hg.), Soest - Geschichte der Stadt. Bd. 2. Die
ben der Kirche ist nur das unten genannte Gebäude erhal-
Welt der Bürger - Politik, Gesellschaft und Kultur im spätmit-
ten.
telalterlichen Soest. Soest 1996, S. 771-898; Ulrich Loer,
Zwischen Stadt und Stift. Die von Schüngel'sche Curie
Thomästraße 9, in: Norbert Wex (Hg.), Soester Schau-Plätze.
Soest 2006, S. 83-87). Die bauliche Entwicklung mit der
Entstehung separater Kurien scheint ähnlich, vermutlich aber
früher als in den Damenstiften verlaufen zu sein; zu den
Gebäuden für Minden s. Fred Kaspar, Kurienhöfe und -häu-
ser, in: Ders. (Bearb.), Einführung und Darstellung der prä-
genden Stukturen (= Stadt Minden. Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 50, Teil 1, Teilband 1). Essen 2003, S.
379-382; zu Aspekten der Lebenswelt vgl. Klaus Scholz,
Einige Bemerkungen zu den Testamenten münsterischer
8 LAV NRW W Münster, Regierung Münster 20853; auf einer
Randleiste der Akte (fol. 4) befindet sich eine skizzenhafte
Darstellung der Klosteranlage mit der Unterteilung in fünf
Häuser, die hier mit nachgetragenen Bezeichnungen der Ge-
bäude wiedergegeben ist.
9 Borghorst (Steinfurt, Kr. Steinfurt); das 974 erstmalig
genannte Kanonissen-, später freiweltliche adlige, zum
14.11.1811 aufgehobene Damenstift war mit 18 Pfründen
ausgestattet: 15 für die durchweg katholischen Stiftsdamen
und drei für Kanoniker. Nur die im Text angesprochene Kurie
ist erhalten; s. Werner Friedrich/Thomas Spohn, Die von
Merveldt'sche Kurie von 1668 in Steinfurt-Borghorst, in:
Kanoniker, in: Westfalen 58, 1980, S. 117-120.
Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2/2006, S. 74-77.
3 Zur Lage der Stifte s. die Beikarte: Klöster und Stifte in
Westfalen um 1750, in: Westfälisches Klosterbuch 3 (wie
Fräuleins-Stift Borghorst. Münster 1920, S. 43f.
10 Zitat nach Richard Weining, Das freiweltlich-adelige
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
11 Freckenhorst (Warendorf, Kreis Warendorf); das 856
zehn) Kapitularinnen umgewandelt und zum 01.01.1812
aufgelöst. Drei Damenhäuser sind erhalten; vgl. Thomas
gegründete Frauenkloster, das vor'1240 die Regeln des
Augustinus annahm und 1495 als Damenstift bestätigt
wurde, vergab zwölf Präbenden für katholische Damen
de des Stiftes Gevelsberg, in: Denkmalpflege in Westfalen-
(1650 rekatholisiert). Die erhaltenen Gebäude stammen mit
Lippe. 2/1997, S. 47-57.
Ausnahme der Kirche aus dem 18. Jahrhundert; s. a. Edel-
Spohn, Das „alte Äbtissinnenhaus" und die übrigen Gebäu-
18 Elsey (Hagen); das um 1240 gegründete Prämonstraten-
traut Klueting, Die Freckenhorster Äbtissinnen des 18.
Jahrhunderts und ihre Stiftungen, in: Klaus Gruhn (Hg.),
Freckenhorst 851-2001. Aspekte einer 1150jährigen Ge-
serinnenkloster war seit dem späten 15. Jahrhundert bis zur
schichte. Freckenhorst 2001, S. 166-184; Friedrich Bernward
19 So betrug die Zahl der Präbenden und der Häuser etwa
Fahlbusch, Freckenhorst (= Westfälischer Städteatlas IX, Nr.
2, hg. von Wilfried Ehbrecht). Altenbeken 2006.
Säkularisation 1803/11 adliges, gemischt konfessionelles Damenstift mit zwölf Präbenden.
im Marienstift Herford zwölf und sechs, in Neuenheerse
zehn und fünf und in Fröndenberg 24 und elf; günstiger
12 Lippstadt (Kr. Soest); das um 1185 gegründete Augusti-
waren die Verhältnisse mit zehn Stellen und zehn Häusern
nerinnen-Stift St. Maria wurde um 1550 in ein evangelisches
in Metelen, ungünstiger zum Beispiel in Herdecke mit 17
bzw. sieben und in Gevelsberg mit zwölf bzw. fünf.
freiweltliches Damenstift mit 17 (1600) bzw. elf (1753)
Kanonissen umgewandelt. Seitca. 1600 wurden nur Töchter
adliger Familien, seit 1832 auch hilfsbedürftige Töchter des
gehobenen Bürgertums sowie von Offizieren und Beamten
20 Dazu traten jedoch verschiedene weitere Bewohnerinnen. An Gesinde erscheint fast obligatorisch eine Magd oder
aufgenommen. Nach Suspendierung der Verfassung
Kammerjungfer pro Dame, aber besonders für die großen
Haushalte der Äbtissinen war oftmals weit mehr Personal
1810/12 stellten 1826 die Preußische und die Lippische Re-
nötig. So vermachte 1681 in Borghorst die Äbtissin Hedwig
gierung das bis heute bestehende Stift mit neuer Verfassung
wieder her. Von den Damenhäusern sind drei erhalten. Vgl.
Claudia Kimminus-Schneider, Das Lippstädter Marienstift.
Baugeschichtliche Untersuchung eines westfälischen Kano-
nissen-Stiftes des ausgehenden 12. Jahrhunderts. Bonn
1995.
13 Metelen (Kr. Steinfurt); das 889 gegründete Kanonissen-
von Gahlen Gegenstände meinem Lakai, meinem Gärtner
und Kutscher, meinem Bauknecht, der Jungfer, der Kammermagd, der Küchenmagd und der Fräuleinmagd (LAV NRW W
Münster, Landsberg-Velen 5415). 1750 lebten in Leeden im
Haushalt der Äbtissin Sophia Johanna Gräfin zu Bentheim-
Tecklenburg ein Residenzfräulein, drei Jungfern sowie ein
Lakai (LAV NRW W Münster, Stift Leeden Nr. 10), 1773 in St.
stift wurde spätestens 1494 zum kaiserlich-freiweltlichen,
adligen Damenstift mit zehn Präbenden für katholische Da-
Walburgis in Soest im Haushalt der Äbtissin zwei Knechte
men umgewandelt und 1803 aufgelöst. An Damenhäusern
ten fünf je zwei, sechs je eine und drei keine Magd (Wolf-
ist neben der Abtei nur noch eines erhalten; vgl. Reinhard
Brahm, Damenstift Metelen. Informationen, Stiftsführer.
Metelen 2007.
14 Hohenholte (Havixbeck, Kreis Coesfeld); 1142 als
Benediktinerkloster gegründet, um 1200 an AugustinerChorfrauen übergeben und 1557 zum freiweltlichen adligen
und fünf Mägde; von den übrigen dortigen Kanonissen hiel-
Herbert Deus, Kleine Soziologie der Soester zur Zeit
Friedrichs des Großen, in: Soester Zeitschrift 64, 1952, S. 5-
58, hier S. 33 f.). Dazu konnten weitere Personen treten,
denn z. B. im Stift Clarenberg (gelegen bei Dortmund-Hörde
und in den letzten Resten in den 1960er Jahren abgebrochen) erlaubten die Statuten von 1583: Es soll auch einer
Damenstift umgewandelt, vergab das katholische Stift 16,
kurz vor der Säkularisation 1811 nurmehr 12 Präbenden.
jeden hausjunferen mit vorwissen und bewilligung der abdi-
Zwei der Damenhäuser sind - extrem verändert - erhalten.
stiget sein als ihr beliebet (Otto Merx, Urkundenbuch des
C la rissen klosters, späteren Damenstifts Clarenberg bei
Vgl. Hubert Frecking, Christel und Walter Kurtz, St. Georg
Hohenholte. Kloster - Stift - Pfarrei. Billerbeck 1989; Jörg
Lorenz, Vom Kloster zum Stiftsdorf. 850 Jahre Hohenholte.
Coesfeld 1992.
15 Die archäologischen Befunde - auch im Lichte schriftlicher Quellen - bei Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 129-159.
16 Zum Stift Leeden s. Anm. 7. Ausführliche Bauuntersuchungen des Gebäudes einschließlich ausgreifender archiva-
lischer Nachforschungen zum gesamten Stift unternahm
Dirk Dödtmann (Bremen/Dinklage) auf Initiative des
Heimatvereins Leeden und im Auftrag der LWL-DLBW. Die
unveröffentlichte Untersuchung ist an beiden Stellen einseh-
bar. Zuvor bereits Thomas Spohn, Das Leedener Klosterge-
bäude von 1489, in: Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 1990,
S. 234-238.
17 Gevelsberg (Kreis Ennepe-Ruhr); das um 1235 gegründe-
te Zisterzienserinnenkloster wurde 1573 zum konfessionell
gemischten, freiweltlichen Damenstift mit zwölf (später
ßen soviel praebenderte junferen In cost zu nehmen vergün-
Hörde. Dortmund 1908, S. 365).
21 Levern (Stemwede; Kreis Minden-Lübbecke); 1227 wurde
ein Konvent für Zisterzienserinnen eingerichtet, der mit der
Reformation 1543 in ein freiweltliches, adliges Damenstift
mit zehn Präbenden umgestaltet und zum 01.12.1810 aufgelöst wurde. In dem auf einer Bergkuppe gelegenen, her-
vorragend erhaltenen Stiftsbezirk sind noch fünf der
Wohnhäuser erhalten; vgl. Fred Kaspar/Thomas Spohn,
Kurienhäuser westfälischer Damenstifte. Das Beispiel Levern,
in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2/2002, S. 63-72.
22 Cappel (Lippstadt; Kr. Soest); das 1139 erstmalig erwähn-
te Prämonstratenserinnen-Kloster wurde 1588 in ein freiweltliches, adliges Damenstift mit zehn Präbenden umgewandelt; durch die enge Beziehung zum lippischen Herrscherhaus nicht säkularisiert, wurde das Damenstift erst im
Jahr 1971 durch Vereinigung mit dem lippischen Damenstift
St. Marien in Lemgo als Rechtsnachfolger aufgelöst. Neben
85
86
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
einem mittelalterlichen Flügel sind vier Damenhäuser des 18.
seke. Berlin 2007.
Jahrhunderts (darunter drei als Reihenhausbebauung) erhal-
31 Große gemeinschaftliche Wirtschaftsgebäude waren zum
ten.
Zeitpunkt der Säkularisation nur noch wenige erhalten, wie
23 Zahlreiche Inventare publiziert z. B. bei Johannes Freiherr
etwa der erst 1780 als Umbau des Kreuzgangs entstandene
von Boeselager/Peter Klefisch/Bettina Schleier/Ulrich Simon/
und bis heute erhaltene Remter in Lippstadt (Fred Kaspar, Die
Elke Weiberg, Im Schatten der Reichsabtei: Stift St. Mariae
auf dem Berge vor Herford, in: Westfälische Zeitschrift 140,
Bauuntersuchung des Remters, in: Kimminus-Schneider
1995 [wie Anm. 12], S. 247-250) oder die (abgebrochene)
1990, S. 49-130.
Stiftszehntscheune in Geseke (Spohn 2005 [wie Anm. 30], S.
24 Fürstliches Archiv Salm-Horstmar Coesfeld, Bestand Stift
189).
Borghorst, K 345; zum Stift Borghorst s. Anm. 9.
32 Vgl. Leopold Schütte, Die Erzeugung und Nutzung land-
25 Neuenheerse (Bad Driburg; Kreis Höxter); das 868
wirtschaftlicher Produkte, in: Westfälisches Klosterbuch 3
gegründete Kanonissenstift wurde 1810 aufgelöst. Die Zahl
von 20 Damen und 17 Geistlichen im Jahr 1352 wurde nach
(wie Anm. 1), S. 497-517.
33 Dazu ausführlich Bernd-Wilhelm Linnemeier, Stift Quern-
1528 auf jeweils zehn Präbenden reduziert. Neben der Abtei
heim: Untersuchungen zum Alltagsleben eines Frauenkon-
sind in dem noch dörflichen Stiftsbezirk drei Damenhäuser
und sechs Häuser von Geistlichen erhalten.
26 Schildesche (Bielefeld); das 939 gegründete Kanonissen-
stift mit - im 12. Jahrhundert - 13 Damen und zwölf
Geistlichen wurde 1672 in ein konfessionell gemischtes Stift
mit (zuletzt) 18 Damen-Präbenden umgewandelt und 1810
aufgelöst. Zu den Baulichkeiten s. Gertrud Angermann,
Schicksale der Schildescher Kurien in der Endphase des
ventes an der Schwelle zur Reformation, in: Westfälische
Zeitschrift. 144, 1994, S. 21-88, hier S. 39-44.
34 Nach Hans Nordsiek, Das Zisterzienserinnenkloster und
spätere freiweltliche Stift Levern, in: Tausend Jahre Levern
(hg. von den Gemeinden des Amtes Levern). Minden 1969,
S. 42-82, hier S. 71. Zum Stift Levern s. Anm. 21.
35 Ausführlich Spohn 2010 (wie Anm. 1), S. 162-164.
36 Zur erhaltenen Braustelle im Sockelgeschoss der Kurie Im
Damenstiftes und seit seiner Aufhebung, in: Ravensberger
Blätter 1987, Heft 2, S. 13-27. Von den zuletzt acht Kurien
alten Stift 5 in Levern s. Kaspar/Spohn 2002 (wie Anm. 21),
ist nur eine erhalten.
37 LAV NRW W Münster, Stift Leeden Nr. 10.
27 So z. B. die beiden Kurien Im alten Stift 1 und 4 in Levern;
38 LAV NRW W Münster, Stift Lippstadt A 13.
Abbildungen bei Alfred Pohlmann, Kirche und Stift Levern (-
S. 65-68.
39 Fürstliches Archiv Salm-Horstmar Coesfeld, Best. Stift
Westfälische Kunststätten 54). Münster 1989. Zum Stift
Borghorst, K 345; zu dieser Kurie siehe Abb. 12, zum Stift
Levern s. Anm. 21.
Borghorst Anm. 9.
28 Paradiese (Soest; Kr. Soest); das 1252 gegründete
Dominikanerinnen-Kloster wurde nach langen Streitigkeiten
um die Lebensführung und nach konfessioneller Aufspaltung des Konventes im Jahr 1660 in ein katholisches Kloster
und ein evangelisches, freiweltliches Damenstift getrennt.
Die Aufhebung des Stiftes, das anfänglich wohl sieben, später fünf Kanonissen aus dem niederen Adel der Region, aus
40 St. Walburgis-Stift (Soest, Kreis Soest); um 1167 wurde
bei Soest das Augustinerinnen-Kloster St. Walburgis gegrün-
det, nach Zerstörung im Jahr 1447 in die Stadt verlegt und
1625 in ein weltliches Damenstift umgewandelt. Im Jahr
1670 bewohnten 14 lutherische, vier katholische und zwei
reformierte Kapitularinnen, bei der Aufhebung im Jahr 1812
insgesamt 19 Kapitularinnen das Stift. Sämtliche Baulichkei-
Familien des Soester Patriziats und der Sassendorfer Sälzer,
ten sind bis auf wenige Spolien untergegangen.
aber auch aus Offiziersfamilien, aufnahm, erfolgte 1811.
Alle Stiftsgebäude wurden wenig später abgebrochen; vom
serinnen-Klosters erfolgte vor 1230, die Umwandlung zum
Kloster ist die Abtei erhalten. Zu den Baulichkeiten vgl. Ruth
Tempel, Ein Bauplan des Stifts Paradiese mit Handskizze vom
23. September 1660, in: SoesterZeitschrift 108, 1996, S. 8187.
29 Ebd„ S. 84.
41 Fröndenberg (Kreis Unna); die Gründung des Zisterzienkonfessionell gemischten adligen Damenstift mit 24 Präbenden im Jahr 1550 und die Auflösung 1812. Vier Wohnhäuser
sind erhalten.
42 LAV NRW W Münster, Fröndenberg, Urkunde Nr. 535; zur
Abtei, Kirchplatz 2, gehörten Viehhaus, Scheune und Schaf-
30 Geseke (Kreis Soest); das 946 gegründete, bis 1014
stall. Die Belege für Stiftsdamen als Bauherrinnen sind zahl-
Kanonissenstift umfasste ursprünglich Stellen für 29, später
Fröndenberg betrieben auch die Äbtissinnen in Metelen
reichsunmittelbare und letztlich erst 1872 aufgelöste
25 Damen von Adel. Dem Damenkonvent nachgeordnet war
eine Gemeinschaft von anfänglich drei und seit 1775 vier
zumeist bürgerlich rekrutierten Kanonikern. In dem innerstädtisch noch klar ablesbaren Stiftsbezirk sind drei Damen-
häuser erhalten; vgl. Thomas Spohn, Die Profanbauten des
reich. Dies gilt in erster Linie für die Äbtissinnen. So wie in
1720 (Wappenstein am Äußeren; Reinhard Brahm, Das Stift
Metelen. Ein Führer durch den Bezirk des ehemaligen adeli-
gen Damenstiftes. Metelen 1998) und Langenhorst 1722 mit
eigenen Mitteln die Erbauung der Abteien als - nach der
Kirche - vornehmste Gebäude der Stifte und gleichzeitig
ehemaligen Kanonissenstiftes Geseke, in: Geseker Heimat-
eigenem Wohnsitz. Die Abtei in Lippstadt wurde - aus
blätter (Beilage zur Geseker Zeitung) 2005, 63, Nr. 472, S.
141-146, Nr. 473, S. 149-155; 64, Nr. 474, S. 157-162, Nr.
475, S. 173-176, Nr. 476, S. 179-183, Nr. 477, S. 186-192;
von Löben als Bauherrin errichtet (LAV NRW W Münster, Stift
Ulrich Löer, Das adlige Kanonissenstift St. Cyriakus zu Ge-
Mitteln des Stifts - in den Jahren 1739/40 durch die Äbtissin
Lippstadt A 43; s. a. Kimminus-Schneider (wie Anm. 12), S.
43f.); ebenfalls in Lippstadt sorgte die Äbtissin von Wülknitz
Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts
für den Neubau des Damen-Doppelhauses (s. Abb. 15). Die
Bauherrinnenschaft einer einzelnen Stiftsdame am eigenen
Haus ist überliefert u. a. für die Kurie von Merveldt 1680 in
Borghorst (s. Abb. 12), die Kurie von Nagel 1724-1726 in
nissenstift wurde 1493 in ein freiweltliches adliges Damen-
stift umgewandelt. Bis zur Aufhebung 1811 gehörten 25
Damen dem Stift an. Von den Kurien sind drei - allerdings
innerlich stark verändert - erhalten.
Metelen (LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv Frhr. v. Nagel
52 Florian Matzner/Ulrich Schulze, Johann Conrad Schlaun
- Haus Ittlingen, Nr. 467), die Kurie von Boeselager 1789 in
1695-1773. Architektur des Spätbarock in Europa. (= Ausstellungskatalog) Münster 1995, Bd. 2, S. 502-507.
Fröndenberg (LAV NRW W Münster, Nachlass Gisbert von
Romberg B 270) und die Kurie von Bandemer 1804 im
Marienstift auf dem Berge oberhalb von Herford (LAV NRW
W Münster, Königreich Westfalen A 2, 118). Der Reichsgraf
von Merveldt war als Familienoberhaupt 1755 Bauherr einer
53 Thomas Spohn, Bauen und Wohnen der ländlichen
Oberschicht im märkisch-bergischen Grenzraum, in: Jahrbuch für Hausforschung. 55. Marburg (in Druck).
54 Zum Stift Herdecke s. Anm. 43.
Kurie im Stift Langenhorst (LWL-Archivamt für Westfalen,
von Merveldt, Bestand Goppel, Akten 35). Ausführlich Tho-
mas Spohn, Bauherrinnen - Materialien zum Einfluss von
Frauen auf das Bauen und Wohnen in Westfalen-Lippe, in:
Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 57, 2012,
Abbildungsnachweise:
S. 35-74.
5548). - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur:
43 Herdecke (Kreis Ennepe-Ruhr); die im 12. Jahrhundert
erstmals archivalisch fassbare Benediktinerinnen-Abtei
wurde im 15. Jahrhundert in ein freiweltliches, seit der Mitte
des 16. Jahrhunderts konfessionell gemischtes, freiweltliches, adliges Damenstift mit ursprünglich zwölf, später 14
Präbenden umgewandelt und 1812 aufgelöst. Von den
Kurien sind drei erhalten; vg. Joseph LammersTThomas
Spohn, Die Bauten des ehemaligen freiweltlichen, adeligen
Damenstiftes Herdecke, in: Westfalen 88, 2010, S. 7-51; s.
a. Anm. 4.
44 Nach Wolfram Mellinghaus, Herdecke um 1800. Herdecke 1999, S. 66.
45 Asbeck (Legden; Kreis Borken); das um 11 50 gegründete
Augustinerinnenkloster wurde 1597 in ein freies wohladeli-
ges Stift katholischen Glaubens mit 16 Präbenden umgewandelt und 1811 aufgelöst. An Gebäuden sind nur wenige, jedoch weit zurückreichende Teile erhalten; vgl. Andreas
Eiynck/Fred Kaspar, Der älteste Fachwerkbau Westfalens -
Stift Asbeck, in: Günter Wiegelmann/Fred Kaspar (Hg.),
Beiträge zum städtischen Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutsch-
land 58). Münster 1988, S. 41-58.
46 LA NRW W Münster, Stift Leeden Nr. 10. Zum Stift Flaes-
heim (Haltern; Kreis Recklinghausen): Der 1166 gegründete
Prämonstratenserinnen-Konvent wurde 1555 in ein freiwelt-
liches, adliges Damenstift mit erst 17, später zehn Stellen
umgewandelt und 1808 aufgelöst. Die Damenhäuser sind
untergegangen.
47 LWL-Archivamt, Archiv v. Plettenberg-Lenhausen, Schloss
Hovestadt D 273.
48 LAV NRW W Münster, Landsberg-Velen 13774.
49 Langenhorst (Ochtrup, Kr. Steinfurt); das im Jahr 1178
gestiftete Kanonissenstift wurde 1576 in ein freiweltliches
adliges (ab 1606 rein katholisches) Damenstift mit 12 Präbenden umgewandelt und 1811 aufgehoben. Die drei bis in
die frühe Neuzeit zurückreichenden Flügel des Klosters sind
wie die Abtei des Stifts weitgehend erhalten.
50 Zuletzt Jörg Niemer, Die Baumeisterfamilie Pictorius, in:
Westfalen 83, 2005, S. 165-179.
51 Nottuln (Kreis Coesfeld); das um 850 gegründete Kano-
Dirk Dödtmann: 1, 6. - Christoph Hellbrügge: 12c. -
Landesarchiv NRW W Münster: 1 (Kartensammlung A
3a, 7-10, 12b, 13-15,17,19, 23 (Spohn); 11 (Nieland); 12a
(Bildarchiv); 20 (Brückner); 22 (Gropp). - Reproduktionen: 2
(aus Ellger 2003 [wie Anm. 5], S. 155); 3 (KimminusSchneider 1995 [wie Anm. 12], S. 72); 4 (Brahm 2007 [wie
Anm. 13], o. S.); 5a (aus Frecking/Kurtz 1989 [wie Anm. 14],
S. 15); 5b/c (aus Lorenz 1992 [wie Anm. 14], S. 56 (b), 48
(c)); 16 (aus Tempel 1996 [wie Anm. 28], S. 82); 21 (aus
Matzner/Schulze 1995 [wie Anm. 52], S. 504).
87
88
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Bockei und Mulmshorn
Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg/Wümme
Wolfgang Dörfler
Der heutige Landkreis Rotenburg besteht im
Wesentlichen aus dem alten Amt Rotenburg des
Stiftes Verden und dem Amt Vörde des Erzstiftes
Bremen. Die Bischöfe und Erzbischöfe haben sich
erfolgreich darum bemüht, dauerhafte Ansiedlung
von Adelssitzen in ihrem Einflussbereich zu verhindern. Am deutlichsten ist dies in unserer Region bei
den - im Umkreis der landesherrlichen Burgen ent-
standenen - Ämtern Rotenburg und Vörde (heute
Bremervörde) sichtbar, wo die Anzahl adeliger Güter
zu allen Zeiten niedrig blieb. Dort hat es nur ca. 40
Adelssitze gegeben, wobei auch die kurzfristig
bestandenen mitgezählt sind; in den übrigen Teilen
der Stifte Bremen und Verden waren es mehr als 200.'
Ein Grund dafür, dass die geistlichen Landesherren
Adelsgüter in ihren Stiften nicht gewollt haben, war,
dass die Adelsgüter bis in die Neuzeit von der Steuerpflicht (dem Schatz') befreit blieben. Oft gelang es
einzelnen Adelsfamilien, sogar Höfe, über die sie die
Grundherrschaft ausübten, aber nicht selbst bewirtschafteten, nicht zum Schatz beitragen zu lassen. Sie
hatten solche Höfe allerdings vom Landesherren nur
als Lehen erhaltenen, wobei die Lehnsvergabe zeitlich
der landesherrlichen Besteuerung vorwegging. Damit
entstand der Streit über die Frage der Schatzfreiheit
solcher Höfe. Der primäre Tausch: adelige Kriegsfolge
gegen Lehen und Steuerfreiheit war im Spätmittelalter zu einem schlechten Geschäft für die Landesherren geworden. Die Lehen wurden den Landesher-
ren entfremdet, und von Kriegsfolge konnte angesichts der Mehrfachvasaliität der Ministerialen meist
keine Rede mehr sein. Das als Ersatz für die Kriegs-
folge eingeführte sogenannte Rossdienstgeld der
Grundeigentümer war nur ein schwacher Ausgleich,
und auch die Pflicht zur Stellung eines berittenen
Kriegsknechtes durch den Adeligen war mit der alten
Folgepflicht nicht gleichwertig. Darüber hinaus konn-
te es sogar zur Konkurrenz zwischen den Landesherren und einzelnen Adelsfamilien kommen: wenn
nämlich der Adelssitz sich zur Burg mit Anspruch auf
eine eigene Landesherrschaft entwickelte. Im Johann
Roden Bok (einem Verzeichnis der Besitzungen und
Rechtstitel der Bremer Erzbischöfe aus dem Ende des
15. Jahrhunderts) wird beschrieben: Wo de Ridder-
schup mit oren vesten unde waningen ummegahn
hebben, iss woll ogenschien. Dat Süchte van Brehmen
voelet dat alle dage wol, wat darvan kamen iss, se
buwen sunder ohres hem willen, innerste syde, darna
hoge (...) und se kriget in kort dar ene klene her-
schup.2 Auch das wenig später erschienene Vorder
Register des Bremer Erzbischofs Johann Rohde ist in
gleicher Weise kritisch gegenüber den Aktivitäten des
Adels; hier liegt der Konfliktpunkt meist in der
Entfremdung von erzbischöflichen Interessen, bei
denen es um die Rechte des Bremer Erzstiftes im Frei-
bann Gyhum ging: Was [hier] liegt an Wäldern und
anderem, das kommt denen von Borch als Dienstmannen des Bremer Stifts zu. Und die meisten Güter
auf dieser Seite zwischen Rotenburg und Gyhum stehen unter der Pfandschaft des Verdener Stiftes, und
[sie] sind verpfändet und verkauft von denen von
Borch ohne Willen und Ermächtigung des Bremer
Erzbischofs, dem dadurch seine Rechte und seine
Herrschaftsgewalt verloren gegangen sind und seine
Dienste, die die Stiftsmannen dafür zu tun schuldig
sind.3
In der Frühen Neuzeit gelang es den Landesherren
zunehmend, ihre Macht in Richtung des Absolutismus
auszuweiten. Dieser Zugewinn wurde zum guten Teil
zu Lasten des Adelsstandes errungen. Am Ende des
16. Jahrhunderts musste der Adel die Einschränkung
hinnehmen, dass nur noch selbst bewohnte Güter
steuerfrei blieben, die zu Meierrecht verpachteten
oder von Verwaltern geführten Höfe in adeligem
Besitz hingegen nicht mehr. Im 17. Jahrhundertsei es
dann so gewesen (berichtete Klöntrup in seiner
Osnabrücker Gesetzessammlung von 1798), dass der
Adel die Steuerfreiheit besäße, auch wenn er ein
gemeines Bauerngut bewohnte, dagegen auch der
größte Edelhof, wenn er von einem gemeinen Unterthanen bewohnt wurde, sogleich wieder verbauerte.4
Die Schweden brachten 1651 für ihre deutschen Besitztümer die Anordnung: Daß einem von Adel, der
sonst im Lande keinen Sitz und Wohnung hat, jedoch
ein Land-Stand ist, frey stehen solle, von seinen Gütern einen Meyerhof zur Wohnung aptiren zu lassen,
und solchen mit Dach und Fach samt gehörigen
Ländereyen ohne Schatz und Beschwerung zu besitzen, er dagegen aber schuldig seyn, drey Käther an
selbigem Orte in den Schatz zu bringen.5
Diese gesetzlichen Bestimmungen lassen vermuten,
dass es fließende Übergänge zwischen adeligem und
bäuerlichem Wohnen und Wirtschaften auf den
Höfen gegeben haben muss, die Gebäude also für
beide „Lebensformen" dienlich gewesen sind. So hatten die beiden im Folgenden vorgestellten adeligen
Häuser auch ein Niederdeutsches Hallenhaus als
Wohnwirtschaftsgebäude.
Die zwei Adelshöfe lagen nur fünf Kilometer voneinander entfernt an der Poststraße von Rotenburg nach
89
Vörde (Abb. 1). Mulmshorn an der Wieste - also der
umstrittenen Grenze zwischen den Stiften - auf verdischer Seite und Bockei knapp jenseits des Grenzbaches im Bremischen. Mulmshorn war ursprünglich ein
großer einstelliger Hof, Bockei war in einem aus nur
drei Höfen bestehenden Dorf nachgesiedelt worden.
Bei Betrachtung der Lage und Verteilung von Bauernhöfen in Einzellage fällt auf, dass diese entlang von
Grenzen, besonders von umstrittenen Grenzen, gehäuft vorkamen. Hier könnte der Gedanke der Grenzsicherung hinter der Ansiedlungserlaubnis bzw. der
Ansiedlungsförderung gestanden haben. Einzelhöfe
als Übernahmeobjekte haben vorstellbar auf Adelige
eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, kamen sie
doch der Vorstellung von einem auch räumlich separierten adeligen Gutsbetrieb primär schon nahe.6
Mulmshorn
Die gesicherten historischen Nachrichten zum Siedlungsplatz Mulmshorn beginnen um 1260. Hier heißt
der Platz Ollerdeshorn und hatte möglicherweise zwei
Hofstellen. Die Bauern des Hofes waren dem Verdener Bischof zehntpflichtig. In einem Schatzregister
von 1548 ist nur noch ein Bauer mit Namen Hermann
dort auf einem einstelligen Hof nachweisbar; sein
Haus war fünf Fach groß. 1560 zahlt sein Nachfolger,
der Meier Arp, eine der höchsten Schatzsummen im
Stift Verden. Er musste kurz nach 1560 den Hof an
den Adligen Johann von Holle abgeben oder wie es in
der Quelle heißt: Johann von Holle habe den Hof abe-
1 Mulmshorn und Bockei an der Poststraße von Rotenburg
nach Zeven. Ausschnitt aus dem Blatt 21 Rotenburg von
1836, Topographischer Atlas des Königreichs Hannover und
Herzogtums Braunschweig von August Papen. Reproduk-
tion, Druck und Vertrieb LGN - Landesvermessung +
Geobasisinformation Niedersachsen, Hannover 1999.
gecontentiert und nhun eine Edelmannswohnung
daraus zu machen angefangen. Damals wechselte der
Name von Ollerdeshorn zu Tom Ulmes Horm, das spä-
ter zu to Mulmeshorn und schließlich zu Mulmshorn
vereinfacht wurde.7 Johann von Holle wandelte den
Bauernhof mit Zustimmung des Verdener Bischofs
(welcher sein Bruder war) in einen „freien Adelshof"
um.8 Zwei alte, im Rahmen von Grenzkonflikten entstandene Karten der Zeit kurz vor 1600 zeigen den
Hof mit den Mühlengebäuden. Der hier in die Wieste
einmündende Glindbach ist auf der Skizze so gezeich-
net, als ob er zusammen mit dem Fluss wie ein
Wassergraben den Adelshof schützend umrundet
(Abb. 2).
Als von einem adeligen Besitzer bewohnter und be-
wirtschafteter Hof bestand Mulmshorn nur ca. 40
Jahre (bis kurz nach 1600). Dann kam es zu einem
Versuch des Verkaufs durch Johann von Holle, der in
einen Prozess vor dem Reichskammergericht münde-
te und 1611 mit dem Ankauf des Gutes durch das
Verdener Domkapitel endete.9 Der Hof wurde mit
Mitteln aus dem Schatzaufkommen des Stiftes
gekauft und den bischöflichen Tafelgütern zugelegt.
Dabei war ein Argument auf den Beschluss fassenden
Landtagen von 1602 und 1611, dass es wegen des
Hofes in seiner vorgeschobenen Grenzlage (das
Guedt wehre an eim strittigen Orte belegen) bei dem
2 Der Hof Mulmshorn mit den Mühlengebäuden. Der
Adelshof wirkt wie durch einen Wassergraben geschützt.
Zwei Karten der Zeit um 1600. StA Stade Karten Neu Nr.
13101 und 13122.
90
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
drohenden Erwerb durch einen Bremer Untertanen
mehr Streits zwischen den Ertz- und Stifften Bremen
und Verden erregt werden möchte.'0
Im 17. und 18. Jahrhundert ist der Hof als Vorwerk
des Rotenburger Schlosses oder Wohnsitz des Amtmannes genutzt, noch mehrfach verkauft und vom
Amt zurückerworben worden. Dadurch entstand eine
Vielzahl von Akten, die sich mit den Besitzern und
Pächtern des Gutes befassen.11
Im Jordebuch der Vogtei Sottrum von 1694 wird das
Haupthaus des Hofes folgendermaßen beschrieben:
hat neun Fach bey der Diele, ein Feuer- und einem
Cammerfach, worunter ein Keller.'2 Zehn Jahre später
findet sich in einer ausführlichen, die Besitzverhältnisse analysierenden Akte aus dem Jahr 1704 die
Notiz: Inventarium der Gebäude. Weil sonst nichts zu
Inventiren gewesen: 1. Daß Vorwercken an sich Selbsten. 2. Eine Scheune von 4 Fachen in der Mitte ein
Wagenschauer. 3. Ein Schaffkawen. 4. Der Soot.'3
1729 wurde dann aber doch inventarisiert und ein
sehr ausführliches Dokument erstellt. Es ist leider nur
eine mit blassem Bleistift geschriebene Kladde überliefert, worin auch der Anlass der Inventarisation nicht
erwähnt ist.14 Das Haupthaus des Hofes wird als
Vorwercksgebäude mit dem daran gebauten Querhaus benannt. Es hatte 11 fach an der Dehle nebst
dem Feur Fach. Insgesamt widmet sich das Inventar
intensiv der Bestandsaufnahme aller Einbauten des
Hauses. Alle Türen, Fenster, Treppen, Fußböden und
Decken werden bezüglich der Materialien und ihres
Erhaltungszustandes ermüdend ausführlich beschrieben. Für die Struktur des Hauses lässt sich Folgendes
extrahieren: Es gab ein Vorschauer und eine zurückliegende Große Tür. In das Vorschauer war ein Tauben-
schlag eingebaut.15 Rechts und links hinter dem
Vordergiebel lagen die Pferdeställe für jeweils sechs
Pferde. Über den Wandaufbau erfahren wir: Die untersten Fache sind mit Eichen bohlen gefuttert, und
oben mit Mauersteinen vor fertiget; es waren die
Fachwerkwände also mit den später als Fußbohlen
oder auch „Wolfsbohlen" benannten Eichenhölzern
geschlossen, eine Bauweise, die für Pferdestallteile
von Bauernhäusern und bei alten Schafställen in
unserer Region gelegentlich noch nachzuweisen ist.16
Im oberen Teil waren die Fächer bereits mit Ziegel-
steinen ausgemauert, was auf den Adelsbau verweist,
da bäuerliche Gebäude im 18. Jahrhundert noch
komplett mit Lehm ausgefacht wurden.
Auf der Diele wurde beiderseits in fünf Fachen das
Rind Vieh gestaltet. Im hinteren Dielenteil werden
dann zwei Bette (worunter ich Butzen, also Schlaf-
schränke vermute) und eine Scheerwand von Tannen
Dielen beschrieben. Von obiger Diele gehet man rechter Hand in eine Cammer mit einem Fenster, die nur
insofern eine Funktionsbeschreibung erfuhr, als dass
sich für selbigen Fenster innen wendig 4 Eiserne Stabe
3 fuß 9 Zoll lang oben eingelassen, unten eingenagelt
befinden. (...) Linker Hand ist des Pachtmanns Stube
wofür 1 gefütterte Tannthur mit Eichen Rahmen, tannen Sa rjegen'2, 1 paar mit Niednagelen versehene
Bockhorn Haken Hespen, ein gesondert Schloß mit
Crampen, Drüker und Schlüssel. Dieses Zitat soll einen
Eindruck von der Ausführlichkeit der Beschreibungen
geben. In der Kammer des Pächters befinden sich weiter: 7 Eisern Ofen de a[nn]o 1713 in voltenkommen
guten stände. Vor [den] 2 Fenstern befinden sich
Tannen braune vermahlte Clappen, an welche die
Schrauben, womit selbige fest zumachen, fehlen. Es
scheint sich dabei um (innenliegende?) Läden zu handeln.
Nicht ganz klar ist auch, was mit folgender
Beschreibung gemeint ist: Der hohe Heerdwand
Camin ist von Mauerstein oben mit ein höltzerne
Stuetze. Handelt es sich um einen „Schwibbogen"
oder um eine Rauchabzugshaube über dem Herdfeu-
er, die den Rauch in einen Über-Dach-Schornstein
abführte?18 Weiter heißt es: Von dieser Diele gehet
man rechter Hand in die Küche, wofür eine gute Thür.
Eine echte Küche ist also im Haus vorhanden und mit
einer Tür vom Flett getrennt. In der Küche ist ein
Feüer Herd 1 f[uß] aufgemauert mit einer höltzerne
Stüetze, oben mit ein schmalen tanfnenhölzernen]
Bort versehen. Hier wird eine bodennahe Kochstelle
mit Rauchfanghaube gemeint gewesen sein, da später noch von einem Schornstein, der aus der ordinären Küche kommt, die Rede ist. In diesem Raum sind
zwei Fenster vorhanden, die durch 8 Eiserne Stabe, ä
3 f[uß] 8 Zoll lang, oben eingelassen, unten angenagelt,'9 weiter ein Rinsteln von gehauene Steine und
ein Fußboden aus gehobelten Weichholzbrettern (ge-
strichenen Tan Dielen).
Aus der Küche gehet man in den Kelter. (...) Der Kelter
ist mit Eich Balken Überschüßen und geweitert. Es
werden zwei Kellerräume beschrieben. In dem ersten
Kelter befindet sich eingangs an der Treppen 1 Gitter
von 3 Eisen Stangen [und] noch 2 Luftlöcher, für welcher 16 Stäbe Eisen, für iede[r ein] Tan Schieber. Der
andere hatte 1 Lufftloch in welchen 3 stab Eisen in die
Lange und 3 in die quer.
Auß vorbeschriebener Stuben (der „Pachtmann-
stube") gehet eine Thür auf den Gang. Hier ist 1 einfacher Eisen Ofe de a[nn]o 1707 erwähnt. Aus der selben Stube führt eine weitere Tür in die Schlafcammer.
Aus der Kammer geht eine Tür auf den Essaal. Über
diesen Saal erfahren wir, dass er zwei große Fenster
hat und 1 Großer Eiserner Ofen d[a]t[o] a[nn]o 1579
mit der Holten Wapen mit dobbeltem Steinere sub die
unterste, und die beiden Seiten Biadder20 sind gebor-
sten. Die fuer Bohden ist von danen Dielen in
ziembl[ichen] Standen. Die Decke oben gewällert und
getünchet. Die Datierung des Ofens und das Wappen
der Familie von Holle ist ein schöner Hinweis auf den
Bau dieses Hauses in der Zeit nach 1560 (nach der
Übernahme des Hofes durch Johann von Holle). Er
Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
war aber wahrscheinlich ein Hinterladerofen, der
noch keines Schornsteins bedurfte.
Nur noch kurz hingewiesen sein soll auf die
NebenCammer, die CaminCammer, (der Camin ist von
27 Steinen aufgeführet und in zimbl. Stande), ein weiterer Gang, über den es heißt: Noch befindet sich auf
diesen Gange ein Camin womit 2 Ofen geheizet werden, und ist die Röhre davon in den Küchen Schorn-
stein geleitet und schließlich der Bohden. Zu diesem
führen zwei Treppen und man erfährt: Die Röhre von
Schornstein aus der CaminCammer geht durch diesen
Boden zum Dache aus. Von den Bohden ist der 2te
Schornstein aus der ordinfären] Küche und vor die
Diele zum Dache auß geführet, und der übrige Raum
des gantzen Gebäudes mit Früchten beleget. Erstaunt
ist man über die Vielzahl der Feuer- und Heizmöglichkeiten und das Vorhandensein von zwei Über-DachSchornsteinen im frühen 18. Jahrhundert, die in die
umgebenden bäuerlichen Häuser erst 150 Jahre später Einzug hielten.
10. Neubauer Stelle von Claus Holsten
17. Neubauer Stelle von Claus Wählers
12. Lustgarten
13. Obst-Hoff
14. Neuer Baum-Hoff
14. Küchen Garten
15. Schwein Hoff
16. Neuer Baum Hoff
17. Hoff Raum
Es werden im Inventar zwei Wohneinheiten unter
einem Dach unterschieden, die des Pachtmannes und
die des Besitzers. Dass das Inventar aber 1729 hierauf
nicht detailliert eingeht, wird daran gelegen haben,
dass eine adelige Besitzerfamilie den Hof schon lange
nicht mehr selbst bewohnte.
Ein Inventarium und Anschlag genanntes Dokument
des Jahres 173321 liefert folgende Kurzbeschreibung
mit Maßangaben (die im Inventar von 1729 nur widersprüchlich angegeben waren): Das Wohn- und
Vorwercks Gebäude mit dem daran gebauten KreutzHause (...) von Westen ins Osten in die Länge 150
3 Guth Mulmshorn und dessen Gräntzen im Jahr 1743. StA
Stade Karten Neu Nr. 13172.
fueß (43,7 m), dessen äußerliche und innerliche
Beschaffenheit und Zustand in obegenannten
Inventarium pag. 1-19 ausführlich beschrieben. Das
Stichwort „Kreuzhaus" aufnehmend, muss allerdings
festgestellt werden, dass auf den Grundrissen der fol-
genden Jahre ein Versatz mit Verbreiterung des
Kammerfaches nicht wiedergegeben ist;22 das Gutshaus wie auch die Nebengebäude sind auf zwei exakten Karten des 18. Jahrhunderts (Abb. 3 und 4) mit
rein rechteckigen Gebäudeumrissen überliefert. Es
wird also ein zweistöckiger nicht verbreiterter Wohn-
teil mit gegenüber dem Dielenteil geänderter Firstrichtung bestanden haben.
Auf der Karte von 1 74323 ist der Gebäude- und Gar-
tenbestand Mulmshorns dokumentiert (Abb. 3). Es
sind dort erwähnt und durch Ziffern gekennzeichnet:
7. Das Wohn-Haus samt Vorwerck
2. Das Vieh-Haus
3. Die Heu-Scheune
4. Das Brenn-Haus
5. Das neue Häuslingsgebäude
6. Die Schäferei nebst Garten
7. Müller-Wohn Hauss nebst Garten
8. Koth Stelle von Johann Holsten
9. Koth Stelle von J. H. Lindes
4 Grundriss und Nebengebäude des Gutes Mulmshorn auf
der von Findorff entworfenen Karte von 1782. StA Stade
Karten Neu Nr. 13175.
Das Gut war 1730 an einen bürgerlichen Erwerber
verkauft worden, der es selbst bewirtschaftete. Seine
Witwe verkaufte es nach 1770 an zwei Erwerber, die
es 1782 den vier Kötnern und einem Häusling des
Dorfes weiterverkauften. Die Bauern Mulmshorns
hatten die Absicht, das Gut unter sich zu teilen. Für
die Flächen des Hofes ist der Vorgang in Akten und
auf Karten gut dokumentiert. Hier interessiert aber in
erster Linie, was aus den Gebäuden geworden ist. Im
91
92
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
5 Linns, Mulmshorn Nr. 3. Giebelinschrift „1785", innengefüge aus älteren, zweitverwendeten Ständern und Balken. Foto
Dörfler 2011.
Vorwerkes, gegründet oder wenigstens vergrößert
worden sind. Damals sind offensichtlich auch die
Gebäude des Vorwerks, vor allem das gewaltige
Haupthaus, unter den Bauern aufgeteilt worden/725
Der Teilungsvertrag von 1782 und der Bau oder
Umbau von Linns Hus 1785 suggerieren ja einen
engen Zusammenhang zwischen den beiden
6 Ahrens, Mulmshorn Nr. 2 beim Abriss. Einseitiger, überdi-
mensionierter Unterschlag. Foto Dörfler 1988.
Teilungsprozess von 1780 heißt es dazu: Wegen der
Gebäude sind sich die Käufer schon unter einander
einig, und behält Carl Dietrich Meyer (der Häusling) so
viel daran, als er zu seinem Gebrauch nöthig hat. Die
überigen werden abgebrochen und geteilt und zu
den Erweiterungen der Gebäude, die bey den Brinck
Kathen vorhanden sind gebraucht zu werden.24
Die Gebäude sollten also abgebrochen und zerteilt
werden. Das war Ulrich Klages durch mündliche Überlieferung bekannt geworden, und darum hatte er in
unserem Aufsatz zur Bauernhausentwicklung des
Landkreises Rotenburg von 1994 über Linns Hus in
Mulmshorn (Abb. 5) geschrieben: „Eine Torinschrift
an dem aus engem quadratischem Fachwerk bestehenden Großtürgiebel gibt als Baujahr 1785 an. Es
handelt sich um eine von mehreren Kötnerstellen, die
durch die Verteilung und den Ankauf der sogenannten ,Burg', des ehemaligen Rotenburgischen Amts-
Ereignissen. Ob der Abriss des Haupthauses nach der
Teilung zügig vollzogen wurde, bleibt aber unklar. Im
Gegensatz zur Verabredung von 1782 schreiben die
zwei auf dem Gut wohnenden Erwerber noch 1794:
Eine kurze Zeit besassen wir 5 Käufer das Gut ge-
meinschaftlich, wir fanden aber bald, daß es uns
zuträglicher wäre, die zum Gute gehörigen Ländereyen zu teilen. (...) die übrigen Mitkäufer, die 3
genannten Köther zu Mulmshorn erhielten blos ihren
Anteil von Ländereyen, wir aber nebst den
Ländereyen auch den eigentlichen Wohnhof, worauf
wir jetzt wohnen.26 Bei genauem Lesen lässt das Zitat
es offen, ob die Erwerber in einem der vielen
Gutsgebäude wohnten oder mit Wohnhof nur das
Gelände meinten, auf dem ihre Häuser lagen. Bereits
1770 aber hatte der damalige Besitzer des Gutes
Boysen in einem Brief erklärt,27 dass der Erwerber
Holsten, der zu den Beschwerdeführern zählte, einen
zum Gut gehörigen Platz bereits mit einem
Wohnhaus bebauet habe, womit er eigentlich keinen
Grund hatte, 1794 noch in den alten Gebäuden zu
wohnen.
Wir hatten in zwei Bauernhäusern des Dorfes, nämlich den am Erwerb beteiligten Höfen Nr. 2 (Ahrens)
lockel und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
und Nr. 3 (Linns) Hölzer gefunden, die für die Häuser
selbst überdimensioniert erscheinen. Bei Hof Nr. 3
waren einzelne Ständer und Deckenbalken von größerem Querschnitt als der Rest der Konstruktionshöl-
zer und erkennbar zweitverwendet. Bei Hof Nr. 2
erstaunte uns der 6,65 m überspannende Unter-
schlagsriegel (Abb. 6). Aus Linns Hus (Nr. 3) konnten
wir einen Deckenbalken und einen Ständer mithilfe
der Dendrochronologie auf 1734/1735 datieren.28 Der
Giebel des Hofes wies ja die Jahreszahl 1785 auf. Damit ist keine Zuweisung zum Adelsbau des 16. Jahr-
hunderts gegeben. Diese zweitverwendeten Hölzer
aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts könnten aber
aus dem Gutshaus stammen, wenn man eine bisher
unbekannte Bauphase annimmt. 1734 hatte die
königliche Kammer das Gut an die Herren Boysen und
Schilling verkauft, zwei Investoren, wie man sie heute
nennen würde; von ihnen ist vorstellbar, dass sie das
Hauptgebäude umgebaut haben. 1785 ist das Datum
eines weiteren umfassenden Umbaus, der zum Zweck
der Bildung einer repräsentativen „Vierständerform"
des Hauses unternommen wurde.
Den Unterschlag und einen Ständer von Hof Nr. 2
konnte ich endlich 2012 beproben. Die Hölzer dieser
Hausteile waren zu meinem Erstaunen erst 1797
gefällt worden.29 Der große Hof Nr. 2 war also erst 15
Jahre nach der Teilung des Gutes neu errichtet wor-
den. Es war für diesen Neubau frisch gefälltes Holz
großer Dimensionen verwendet worden.
Der am Erwerb beteiligte ehemalige Häusling Carl
Dietrich Meyer nahm die Hausnummer 1 des Vorwerkgebäudes mit, als er 1796/1797 250 m entfernt
von der alten Hoflage nach Nordosten versetzt neu
baute.30 Sein Haus wurde 1970 abgebrochen und
durch einen etwa gleich großen Neubau ersetzt, der
eine Fachwerkfassade unter Verwendung alter Hölzer
erhielt (Abb. 7).31 Nahe dabei lag der Hof mit der
Nummer 4, Holstens genannt, der gemeinsam von
Hermann Hastedt (dem anderen Miterwerber, der
1794 noch in den Gutsgebäuden wirtschaftete) und
seinem Schwager Claus Holsten dort neu gegründet
worden war. Das schön renovierte Haus zeigt die
Jahreszahl 1825 (Abb. 8). Der fünfte Miterwerber
(Storbes, Nr. 5) baute 1818 ein neues großes
7 Meyers, Mulmshorn Nr. 1. 1970 auf Initiative der Denkmalpflege vom Vorgängerbau übernommene Fachwerkfassade. Foto
Dörfler 2011.
93
94
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Holstens, Mulmshorn Nr. 4. Neubau von 1825. Foto Dörfler 2011.
9 Storbes, Mulmshorn Nr. 5, Neubau von 1818. Foto Dörfler 2011.
Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
Haupthaus, das noch in wesentlichen Teilen erhalten
ist (Abb. 9). So endete die Geschichte dieses einstelligen Hofes, Adelshofes, Vorwerks und Amthofes nach
Gutes sind die Familien von Carl-Detlev und Alexander Freiherr von Hammerstein-Gesmold. 1684 schrieb
Dietrich von Stade: Bockei ein adeliger Hoff, den jetzo
Die mündliche Überlieferung berichtet von einer
schon erwähnten Jordebuch: Mulmes Horn ist
Adelshof identifiziert. Dafür gibt es zwar keinen
Bockell.33 Das sind die beiden seit Langem bekannten
frühen Nachrichten zu einem Adelsgut an diesem Ort.
220 Jahren.
„Burg" in Mulmshorn und hat eine sagenhafte Erzählung darum gerankt. Diese Burg wird im Dorf mit dem
Anlass, aber in 300 m Entfernung vom Platz des früheren Adelshofes gibt es eine eindrucksvolle Wall-
Graben-Kombination, die wirklich an eine alte Be-
festigung erinnert.32
Die archäologischen Befunde am Ort des Hofes mit
Findlingsfundamenten sowie Kachel- und Ziegelsteinfunden wurden ausgreifend in Richtung mittelalterlicher Anlagen interpretiert, die dem einstelligen Hof
noch vorausgegangen sein müssten. Mir scheinen
diese Funde mit den neuzeitlichen Hofgebäuden vollständig erklärt zu sein. 1960 und endgültig 1979 ist
das Gelände gründlich planiert worden, sodass mit
erhellenden Funden kaum noch zu rechnen ist.33
Bockei
Die Untersuchung des adeligen Gutes Bockei profi-
tiert davon, dass das Hauptgebäude besteht und auch
eine reichhaltige Überlieferung an Akten und Bildern
heute noch greifbar ist. Besitzer und Bewohner des
Otto von Düringen in Posses hat.34 1694 steht im
benachbahrt ins Norden mit dem adeligen Guth zu
Wann aber genau und wie die Gründung des Adels-
hofes in Bockei im 17. Jahrhunderts vor sich ge-
gangen ist, ist ungeklärt. Es war jedenfalls nicht so,
dass die drei dort seit dem Spätmittelalter nachweisbaren Bauern abgemeiert und ihre Höfe zum Gut
zusammengefasst worden wären.36 Auch die sonst
übliche Umwandlung eines einzelnen Meierhofes
kann nicht stattgefunden haben, da alle drei Höfe in
Kontinuität bis zur Agrarreform des 19. Jahrhunderts
bestehen blieben. Die Bockeier Höfe waren auch im
Gegensatz zu vielen Bauern der Nachbardörfer am
Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht abgebrannt,
wie es ein Register von 1647 ausweist.37
Adelige Besitzungen gab es in der Umgebung Bockeis
bereits im Mittelalter, aber keine Spuren eines Adelssitzes. Im noch um 1500 erwähnten Freibann Gyhum
gab es Gerichtsrechte in adeliger Hand. Sie waren als
Lehen der Bremer Erzbischöfe denen von Borch über-
tragen worden. Daraus entstand das Adeliche Gericht
10 Das adelige Gericht Gyhum mit dem Ort Bockei auf der Militärkarte der Kurhannoverschen Landesaufnahme von ca.
1786. British Library London Map 6 Tab 33, 99.51-2f.
95
96
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Gyhum, zu dem Bockei gehörte. 1684 wurden als
gemeinsame Inhaber der Gerichtsrechte vier Adelige
benannt.38 Erstaunlich ist, dass außer Otto von Düring,
dem Besitzer des 1684 schon existierenden Adelshofes in Bockei, noch drei andere „Interessierte" aufgelistet wurden. 1718 hieß es: Gyhum, (...) ein frey
Junckern-Gericht.39 Noch in der Kurhannoverschen
Landesaufnahme von 1769 steht notiert: Das adeliche
Gerichte Gyhum und am Ort Bockei findet sich die
Notiz von Marschal.40 Auf der verkleinerten Militärver-
sion dieses Kartenwerks41 ist der Umfang dieses Gerichtes gut zu erkennen (Abb. 10). 1828 schrieb Peter
von Kobbe: Die adeliche Börde Gyhum, sonst Gericht
der Marschalks, die zu Bockei ihren Sitz habend2
Das Kirchspiel Gyhum ist ein auffallend kleines
Kirchspiel mit wiederum starken Hinweisen auf adeligen Einfluss. Die Kirche wird im 12. Jahrhundert gebaut worden sein und trägt - seit dem Spätmittelalter
nachgewiesen - das Margarethen-Patrozinium. Auf
Sicher ist, dass ein Mitglied der Adelsfamilie von
Düring Gründer des Gutes Bockei war. Eine Erklärung
für den Übergang des Besitzes der Famile von Borch
an die Familie von Düring bietet die Gyhumer
Gemeindechronik von 1982: Nach den Tode von Iwan
van Borch (1502) - zu ergänzen wäre hier IV, da er
ein Enkel des vorhin erwähnten Iwan von Borch war gehen diese Besitzungen in Gyhum an seine Tochter
Ilse Margarethe über, die sich mit Otto von Düring
verheiratet. Letzterer errichtete dann in Bockei während des Dreißigjährigen Krieges einen selbstständig
bewirtschafteten Großhof.48
Andererseits erwähnt der Historiker Arthur von
Düring, dass Johann von Düring Erbherr zu Düring
und Bockei 1618 ein Gut Brobergen gekauft habe.49
Dieser Johann sei vor 1641 verstorben. Nun wird aus
dem Zitat nicht klar, woher der Autor den Titel zu
Düring und Bockei nahm und ob man ihn auf das Jahr
1618 beziehen darf. In einer Akte des von Hammer-
der Orgelempore sind die Wappen der adeligen
Familien von Hammerstein, von Düring, von Marschalk und von der Kuhla eingeschnitzt und farbig
steinschen Archivs aus Bockei, das jetzt im Archiv der
gefasst (Abb. 11).43
1440 hatte die Witwe des Iwan von Borch III. verschie-
ring zu Brobergen und Bokel 1654.50 Diese Titulierung
kann man als sicheren Hinweis darauf werten, dass es
dene Besitzungen im Kirchspiel Gyhum an das Bistum
Verden verkauft.44 Die Familie behielt aber auch da-
den Hof 1654 schon gab. In derselben Akte wird angesichts einer Liquidationsverhandlung des Jahres
1661 von einem Kohlhoff zu Bockei, einem Backhaus
zu Bockei und schließlich von einem Guthe zu Bockei
gesprochen, was die Annahme stützt, dass der Hof in
den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges oder in
den ersten Nachkriegsjahren gegründet worden ist.
Arthur von Düring hatte seinen Kenntnisstand 1936
so zusammengefasst: „Auf dem Besitz (Bockei) war
kein Wohn- und Wirtschaftshof, er wurde von dem
Sitze der von Borgh auf Burg Horneburg aus verwaltet, erst Anfang des 17. Jahrhunderts scheint an einer
günstig gelegenen Stelle in Bockei ein Gutshaus und
nach in der Umgebung Gyhums noch Besitz, der um
1500 im Vorder Register nachgewiesen ist.45 Auf die-
sem Besitz beruht die Ausstattung des später dort
angesiedelten Gutes. Der Wohnsitz Iwan von Borchs
III. und seiner Witwe war Horneburg.
Die Zehntregister von 1384 und 1500 zeigen die
Zehntpflicht der drei Bauern des Dorfes Bockei zur
Bremer Domprobstei.46 Auch die zahlreichen späteren
Register der Jahre bis 1650 weisen drei Bauern in
Bockei nach. Das detaillierteste Schatzverzeichnis von
1647 zeigt, dass seinerzeit alle drei Bauern W. Dühring zu Brobergen zum Gutsherrn hatten. Zwei der
Bauernhäuser waren drei, eines vier Fach groß, ihr
Viehbesatz und ihre Ackerflächen waren weitgehend
identisch.47
Ritterschaft in Stade aufbewahrt wird, fand ich eine
Mappe mit dem Titel: Concurs Papiere Johann v. Dü-
Wirtschaftshof erbaut, und damit ein selbständig
bewirtschaftetes Gut geschaffen zu sein."51 Diese
Datierung Anfang des 17. Jahrhunderts ist zu früh, da
die sicheren Nachweise nicht vor der Mitte des
Jahrhunderts einsetzen. Zudem ist die Hofgründung
besser mit der hiesigen ländlichen Prosperitätsphase
in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges und
der unmittelbaren Nachkriegszeit zu erklären.52
11 Die Brüstung der Orgelempore (vormals Priche der von
Hammerstein) in der Gyhumer Kirche mit vier Adelswappen.
Foto Dörfler 1997.
Die oben zitierte Behauptung, dass der Besitzübergang der Güter zwischen den von Borch und den von
Düring durch eine erbberechtigte Tochter erfolgte, ist
im Übrigen auch falsch.53 Ilsabe oder Ilse war eine
Schwester Iwans IV. von Borch, der 1502 kinderlos
starb. Seine Schwester war schon seit ca. 1480 mit
Otto von Düring verheiratet und brachte nach dem
Tod ihres Bruders das Bockeier und Gyhumer Erbe in
die Familie von Düring ein.
In Arthur von Dürings Veröffentlichung von 1936 sind
die Besitzerwechsel des Gutes zwischen 1687 und
1932 nachzulesen.54 Aus der Familienüberlieferung ist
Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
12 Gut Bockei, Wirtschaftshofseite und in Fachwerk erneuerter Giebel. Foto Dörfler 2011.
bekannt, dass das Gut die meiste Zeit nicht von einer
Adelsfamilie bewohnt war, sondern von Verwaltern
geführt wurde. Gesichert ist, dass der adelige Besitzer
von Bockei, Carl Freiherr von Hammerstein (+ 13. Mai
1932), als Landrat des Kreises Zeven im Zevener Amts-
haus wohnte und im, von einem Verwalter bewirtschafteten, Gut Bockei sich nur einige Zimmer zur
Nutzung reserviert hatte.
In der Familie kursiert die Zahl 1728 als Baujahr des
Haupthauses. Es ist heute ein mit 15 x 43 m sehr großes Niederdeutsches Hallenhaus, mit mehreren Umund Anbauten aus den vergangenen zwei Jahrhunderten (Abb. 12). Seine Dimension (das Verhältnis 1:3
von Breite zu Länge) war 1844 schon mit der heutigen
identisch (Abb. 13).55
Eine interessante Quelle für die Baugeschichte, die
aber leider erst für das späte 19. Jahrhundert Daten
liefert, sind die Brandkassenakten. Als Besonderheit
enthalten die Versicherungsakten ausgetretener
Mitglieder genaue Objektbeschreibungen aus der Zeit
um 1873/74. Diese Akten blieben erhalten, weil die
Unterlagen ausgetretener Mitglieder 1881, nach der
Fusion der (landschaftlichen) Bremen- und Verden-
schen Brand-Assecurations-Casse mit der Vereinigten
landschaftlichen Brandversicherungs-Gesellschaft zur
Vereinigten landschaftlichen Brandkasse Hannover
nicht an die Verwaltung in Hannover abgegeben wurden, sondern in Stade verblieben waren. Die Akten
der weiterversicherten Gebäude wurden nach Hannover gebracht und dort später (nach Aktualisierung
der Einschätzungen) vernichtet, sodass für in der
Brandkasse verbliebenen Höfe Beschreibungen erst
aus dem 20. Jahrhundert überliefert sind.
13 Grundriss des Gutes Bockei und seiner Nebengebäude
1844. StA Stade Karten Neu Nr. 13171.
Die Beschreibungstabelle der Brandcasse informiert
über das Haupthaus des Hofes in Bockei mit folgenden Einträgen: Benutzungsart: Wohnhaus, Stallungen
u. Fruchtboden. Landwirtschaftsbetrieb. Umfassungs-
wände: Fachwerk mit 1/2 Backsteinen 1/2 Stroh.
Dachung: Stroh. Giebel: 1/4 Stakenwerk und Lehmüberzug 3/4 Stroh. Feuerungsanlagen: 2 Ofen in der
Stuben, ohne Brandmauerung, Küchenräume mit
offenen Heerd, Holzverschalung, von Tenne nicht
97
98
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
14 Das Flett des adeligen Gutes Mulmshorn um 1874. Aquarell aus dem Besitz der Familie von Hammerstein Bockei. Foto
Dörfler 2011.
15 Innenständer mit Balken- und Nackenkopfband des ade-
ligen Gutes Bockei 1783(d). Foto Dörfler 2011.
16 Alte eichene Innentür im Gut Bockei. Foto Dörfler 2011.
Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
getrennt, ohne Schornstein.56 Die Einträge entstammen, wie gesagt, einer Revision der Verzeichnisse aus
dem Jahr 1874. In dem Jahr war das Haus also noch
komplett mit Stroh gedeckt und ein im Flettteil
schornsteinloses Rauchhaus! Diese überraschende
Nachricht wird durch ein Aquarell aus dem Familienbesitz bestätigt. Das Bild zeigt die offene Bodenfeuerstelle des Gutshauses in der Zeit um 1890 (Abb. 14).
Ob auch die Stubenöfen noch Hinterlader mit
Rauchabzug in das Flett waren und also auch dort
keine Schornsteine vorhanden waren, ist der Beschrei-
bung nicht sicher zu entnehmen. Und was man sich
unter Strohwänden (im Gegensatz zu Stakenwerk mit
Lehmüberzug) am Giebel vorzustellen hat, bleibt rät-
selhaft.
Im Inneren des Gebäudes haben sich heute drei Stän-
der des alten Innengefüges sichtbar erhalten. Sie zeigen mächtige Kopfbänder zur Diele und auch große
Nackenkopfbänder zur Kübbung hin (Abb. 15). Ein
eichener Deckenbalken von 35 cm Kantenlänge ließ
sich auffinden und daraus, wie aus einem der Ständer,
Proben für eine Altersbestimmung entnehmen. Die
dendrochronologische Untersuchung ergab die Jah-
reszahl 1 783.57 Damit lässt sich die Frage nach dem
Gründungsdatum des Hofes, das in der Mitte des 17.
Jahrhunderts liegt, leider nicht beantworten, jedoch
ist damit das Vorkommen der großen Nacken-
kopfbänder und der überwiegenden Nadelholzbalken
in diesem Gebäudeteil erklärt, die eine Datierung in
das 17. Jahrhundert unwahrscheinlich machen. Das
Holz muss gerade gefällt gewesen sein, als ein Jahr
später - nämlich 1784 - das Gutshaus zur Gänze
abbrannte, wie eine Arbeit zu berichten weiß, die in
den 1960er Jahren geschrieben wurde und als Quelle
nur das Gutsarchiv der Familie ohne weiterführende
Hinweise nennt.58 Damit aber bestätigen sich Dendro-
chronologie und Überlieferung in einer Weise, die
Zweifel verstummen lässt.
Dieser Teil des Hauses muss ausweislich der Höhe der
Zapflöcher für die Riegel ehemals ein Kuhstall gewesen sein. Jetzt stellt er die westliche Haushälfte dar,
die schon lange zum Wohnen umgenutzt ist. Die
Vermutung liegt nahe, dass der ganze Bau bei der
Umnutzung dieses Teils zu Wohnzwecken nach Osten
erweitert wurde, um neue Stallungen zu schaffen.
Auch die Höhe der Außenwände ist verändert wor-
17 Gut Bockel. „Mitte 19. Jahrhundert". Im Dielenteil Zweiständerbau mit Strohdach, drei Schornsteine. Aquarell aus dem
Besitz der Familie von Hammerstein Bockel, als Postkarte reproduziert.
99
100
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
den. Alle alten Deckenbalken, auch solche aus
Weichholz, sind mit einer aufwändigen Konstruktion
unter Verwendung von eisernen T-Trägern angelängt,
um sie so bis zu den Außenwänden zu ziehen, die bei
dieser Gelegenheit erhöht wurden. Als Resultat weist
die Haushülle heute durchgängig die Form eines
Vierständerbaus auf.
Im Inneren sind zahlreiche eichene Türen erhalten, die
eine individuelle und aufwändige, an das „Selsinger
Zwiebelmuster" erinnernde Gestaltung der Füllungsbretter aufweisen (Abb. 16). Sie zeugen von den adeligen Wohnansprüchen der Erbauer. Andererseits
waren die Trennwände im Dachgeschoss aus zu
Ziegeln geformten, getrockneten Torfsoden aufge-
schichtet gewesen.
Mehrere, als Postkarten reproduzierte, Aquarelle aus
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen das
Gebäude. Das auf „Mitte 19. Jahrhundert" datierte
Bild (Abb. 17) zeigt das Niederdeutsche Hallenhaus als
einen in seinem Dielenteil noch mit Stroh gedeckten
Zweiständerbau, während der Flett- und Kammerfachteil äußerlich bereits als pfannengedeckter Vierständerbau erscheint. Weiter sind drei Schornsteine
auszumachen. Die Datierung auf der Postkarte ist
wahrscheinlich zu früh, da sie im Widerspruch zu dem
Brandkassendokument von 1874 steht, das noch die
komplette Strohdeckung und das Fehlen des
Schornsteins im Flett beschreibt. Die späteren
Ansichten zeigen dann die Deckung des gesamten
Daches mit Pfannen und die Umwandlung auch des
seinerzeitigen Dielenteils in einen (scheinbaren)
Vierständerbau (Abb. 18). Dabei blieben aber das
große Dielentor und die Fachwerkbauweise der
Giebelwand erhalten. Die Südseite des Hauses hatte
ein Fachwerk über hohem, massivem Sockel gezeigt,
und in der vorderen südöstlichen Hausecke waren
bereits Kammern über einem Keller eingerichtet wor-
den.
Der Vordergiebel wurde im frühen 20. Jahrhundert
massiv aufgemauert und 2003 wieder in Fachwerkansicht zurückgebaut (Abb. 12). Bei diesem letzten
Umbau wurde die Diele auch auf der Nordseite für
Wohnzwecke umgenutzt. Der Hintergiebel zeigt heu-
te noch ein altes Fachwerk (Abb. 19). Um 1910 heiratete Sophie von Bothmer auf dem Hof ein und veran-
lasste wesentliche Umbauten im ehemaligen Flettund Dielenbereich. Auf beiden Traufseiten wurden
Quergiebel errichtet, um das Obergeschoss des
Hauses besser nutzen zu können. Auf der Parkseite
wurde dieser Giebel im Sinne eines Querhauses um
ca. 2 m vorgezogen und zusätzlich eine überdachte
Terrasse mit darüber liegendem Balkon geschaffen.
18 Gut Bockei. „September 1892". Vordergiebel, im Hintergrund Göpelschauer, Brunnen und Scheune. Aquarell aus dem
Besitz der Familie von Hammerstein Bockei, als Postkarte reproduziert.
Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
19 Hintergiebel und Gartenseite des Gutes Bockei mit um 1900 errichtetem Dachausbau, Balkon und Wintergarten. Foto
Dörfler 2011.
Die Terrasse wurde 1950 mit Fenstern zu einem
Wintergarten geschlossen und 1980 unter Beibehal-
tung der Form komplett erneuert (Abb. 19). Heute
imponiert neben dem mächtigen Bau vor allem die
großzügige Parkanlage mit den Alleen und dem alten
Baumbestand. Auch auf der Wirtschaftsseite finden
sich noch etliche mehrhundertjährige Eichen.
Zusammenfassung
Die historischen Befunde zu den beiden adeligen
Häuser in der Mitte des heutigen Landkreises
Rotenburg passen zu dem, was schon Arthur von
Düring 1934 beschrieben hatte: „Auf den meisten
Gütern stand das strohgedeckte niedersächsische
Bauernhaus, das sich nur durch seine bessere Innenausstattung von dem Hause des Bauernhofes unterschied, auf anderen Gütern waren in einfachem Stil
erbaute Häuser, die in ihrer inneren und äußeren
Gestaltung von der Anspruchslosigkeit des bremischen Adels zeugten."59 Den Befund hat Hermann
Kaiser für den Raum zwischen Weser und Ems bestätigt, wenn er in seiner materialreichen Arbeit60 zusammenfassend feststellt, dass die Erwartung, als Wohn-
stätte einer Adelsfamilie ein Schloss oder Gutshaus
(im Sinne eines massiven zweistöckigen Wohnhauses)
vorzufinden, unzutreffend sein kann. Der adelige Hof
hatte auch dort als Haupthaus häufig ein Hallenhaus.
Diese Hallenhäuser unterscheiden sich aber in
Dimension und Ausstattung doch deutlich auch von
den großen Bauernhäusern der Zeit, sodass ich daraus
nicht auf „Anspruchslosigkeit" schließen möchte.
Vielmehr fehlten wohl die materiellen Grundlagen für
eine noch aufwändigere Bauweise, wie sie die adeligen Bauten Schleswig-Holsteins, Brandenburgs und
Mecklenburg auszeichnet. Eine Rolle mag auch das im
Elbe-Weser-Dreieck verbreitete lange Festhalten an
tradierten Wirtschaftsarten gespielt haben, die mit
dem offenen Rauchhaus verbunden sind. Zu bedenken bleibt schließlich, dass der adelige Hof oft über
lange Zeiträume nur eine Nebenwohnstätte der
Adelsfamilie war und also die erst im späten 18. und
im 19. Jahrhundert nachweisbar werdende Einrich-
tung mehr auf die Lebensweise der dort tätigen
Pächter und Verwalter als auf die der Adelsfamilie
selbst rückschließen lässt. Erbaut wurden die Häuser
immer von Sprösslingen der Adelsfamilien, die sich in
der Mitte des 16. Jahrhunderts und wieder in den
Zeiten des Dreißigjährigen Krieges auf Landgüter verlegten. Sie schufen die großen Hallenhäuser und bewohnten diese Höfe selbst. Solche Gutsgründungen,
wenn sie auf altem Bauernland stattfanden, führten
in mehreren Fällen zu lang anhaltenden juristischen
Streitigkeiten mit den früheren Bewohnern und ihren
Nachfahren,61 was die Konfliktträchtigkeit solcher
Umwandlungen zeigt, aber auch die Tatsache, dass
hier in den Bistümern Bremen und Verden die Bauern
der Abmeierung nicht recht- oder wehrlos ausgesetzt
waren.
101
102
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
11 Außer den erwähnten Reichkammergerichtsakten auch
1 Angaben zum Erzstift nach Hans G. Trüpper, Ritter und
eine Akte des Jahres 1667 (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr.
Knappen zwischen Elbe und Weser. Stade 2000, Übersichts-
8679) und Akten der Zeit von 1701-1745 (Das von der
karte im Anhang und S. 567 sowie „Liste der Rittersitze im
Erzstift Bremen" S. 566-582. Die Angaben für das verdische
Intendantin Prytz mit Kapital belegte und dafür von königlicher Kammer gegen Erbzins überlassene Gut Mulmshorn:
Amt Rotenburg wurden ergänzt durch die unveröffentlichte
StA Stade Rep 74 Nr. 5708). Weiter enthalten die Grenz-
Ausarbeitung des Rotenburger Kreisarchäologen Dr. Stefan
akten (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 287), die Akten der
Hesse „Burgen und Befestigungen im Ldkr. Rotenburg
Gutsauflösung von 1780 (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr.
(Wümme)".
2 Richard Capelle (Hg.), Johann Roden Bok. Bremerhaven
8689) und Streitakten des Jahres 1795 (StA Stade Rep 74
Rotenburg Nr. 8690) viele rückblickende Informationen.
1926, S. 29.
12 Hinrich Miesner, Die Jördebücher des Kreises Rotenburg.
3 Landesarchiv Niedersachsen Staatsarchiv Stade (im
Hodenberg als Bremer Geschichtsquellen II unter dem Titel:
Rotenburg 1938, S. 394. Jördebücher sind sehr genaue
Register aus der „Zweiten Schwedenzeit" in den Herzogtümern Bremen und Verden, die der Besitzerfassung und
Das Vorder Register, ein im königlichen Archive zu Stade ver-
damit der intensiven Vermögensbesteuerung der Untertanen
wahrtes Lagerbuch, welches unter der Bezeichnung
dienten.
Weiteren StA Stade) Rep 5b Fach 155, hg. von Wilhelm von
Registrum bonorum et Juridicum Castri Vorde citra et ultra
13 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 5708, erstes Konvolut
Oestam auf Anordnung des Bremer Erzbischofs Johannes
16. Julij 1704.
Rohde gehörigen Hoheitsrechte, Gerichtsbarkeit, Tafelgüter
14 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 5692 Inventar von
Mulmshorn 1729. Die Lesung ist nur mit Lücken bzw.
und andere Rechte verzeichnet, wie sie um 1500 bestanden
haben (Hannover 1851, gedruckt Celle 1856), hier zitiert
eine hochdeutsche Übersetzung nach: Wolfgang Dörfler,
Herrschaft und Landesgrenze. Stade 2004, S. 768f.
Unsicherheiten möglich. Insgesamt aber ist ein solches Inventar ein Glückfall, da präzise Beschreibungen von Hallenhäusern aus dem frühen 18. Jahrhundert sehr selten sind.
15 Eingangs ostwerts ist eine dobbelte thur davor 1 fach ste-
4 Johann Aegidius Klöntrup, Alphabetisches Handbuch der
besonderen Rechte usw. Osnabrück 1798, S. 48. Hier zitiert
hend. (...) 1 Vorschauer, worin 1 Tauben Hauße von danfnen]
nach: Hermann Kaiser, Adel und Wohnen auf dem Land -
dielen, worin 10 Nester.
Einflüsse ständisch geprägter Sozialstrukturen auf Bauweise
16 Ulrich Klages/Wolfgang Dörfler/Hans-Joachim Turner,
und Wohnverhalten in Nordwestdeutschland, in: Probleme
„Bauernhaus-Genealogie" im Landkreis Rotenburg. Eine ver-
der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet. Band 32.
gleichende Analyse der Innengefüge älterer Bauernhäuser. 1.
Wilhelmshaven 2008, S. 129.
5 Königlich schwedische Resolution von 1651, zitiert nach:
Harm Prior, Rittergut und Meierhöfe auf der Stader Geest.
Stade 1995, S. 28. Ein Beispiel dafür, dass diese Vorschrift
durchgesetzt worden wäre, ist mir allerdings nicht bekannt.
6 Als Beispiel ist zu nennen: Der Adelige Johann von der
Decken vertrieb den Meier von seinem einstelligen Hof
Bostel bei Selsingen, als er 1547 einen Adelshof daraus
machte. Für das Gut wurden wenige Jahre später auf der
gegenüberliegenden Seite des Flusses Oste neue Gebäude
errichtet. 1580 gründete der Sohn des Johann von der
Decken am ehemaligen Hofplatz eine Dammsiedlung, die es
bis 1600 auf zehn Kötner brachte (Michael Ehrhard, Die
Börde Selsingen. Stade 1999, S. 221-223).
7 Nachweise der Quellen, Liste der Besitzer etc. bei Dörfler
(wie Anm. 3), S. 668-678.
8 Es habe zu Mulmeshorn gewöhnet ein alter Mann nahmentlich Johann von Hole, Bischoff Eberhards Bruder, der es
diesen seinen Bruder zu gefallen bau wen laßen, sey aber von
dem (Verdener) ThumbCapituI zu Lehen gegangen. StA
Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8679, BI. 3.
9 Die Prozessakten haben die Signatur: StA Stade Rep 27 Nr.
1212 Band 1 (Vorakten von 1600-1604) und Band 2 (Prozess
1610 bis 1611).
10 StA Stade Rep 8 Fach 19 Nr. 1, Bl. 186f. und BL 204f;
Arndt Mindermann, Die Landtagsabschiede des Erzstifts
Bremen und des Hochstifts Verden. Stade 2008, S. 616 und
623f.
Teil: Die Entwicklung bis 1618, in: Rotenburger Schriften.
Heft 78/79. Rotenburg 1993, S. 7-74, hier S. 16.
17 Unter Sarj'n versteht Kück „ein Notholz, eine Notdiele"
und leitet das Wort von Sargbrett (für den Sarg geschnittenes Brett) ab. Eduard Kück, Lüneburger Wörterbuch Bd. 3.
Neumünster 1967, Spalte 24. Der Autor des Inventars ver-
wendet dieses Wort regelmäßig bei der Beschreibung von
Türfüllungen.
18 Zu Schwibbögen, die auch als „Kamin" bezeichnet wurden s. Wilhelm Bomann, Bäuerliches Hauswesen und Tage-
werk im alten Niedersachsen. Reprint Hildesheim 1982, S.
68-73. Solche „Kamine" sind allerdings bisher erst für die
Zeit nach 1780 und gar nicht für den Landkreis Rotenburg
beschrieben. Wann „Wandkamine" in großbäuerlichen Häusern die Herdrähme über der Bodenfeuerstelle im offenen
Rauchhaus ersetzten, ist nicht untersucht. Die Wehlburg im
Museumsdorf Cloppenburg wurde für die Erbauungszeit
1750 noch als schornsteinloses Rauchhaus rekonstruiert, das
in der „Mitte des 19. Jahrhunderts" einen Kamin mit
Rauchabzug erhalten habe. Der 1803 erbaute Quartmannshof im selben Museum hatte schon primär einen solchen, an einen Schornstein angeschlossenen Rauchfang. Das
adelige „Leutnantshaus" in Kirchtimke (Ldkrs. Rotenburg)
besaß aus der Erbauungszeit, die um 1635 lag, einen in der
Region einzigartigen Marmorkamin, der ja das Vorhandensein eines Schornsteins erfordert. Der Kamin ist erhalten, das
Haus wurde 1960 abgebrochen (Elfriede Bachmann, Arabeske aus der Renaissance. Die Geschichte des einstigen
Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg
Leutnanthauses in Kirchtimke, in: Heimat und Kultur zwischen Elbe und Weser. Nr. 1. Stade 1995, S. 9-12).
19 Es ist eine spannende und meines Wissens noch nicht
systematisch untersuchte Frage, welche Räume warum
durch Eisenstäbe gegen Eindringen von außen geschützt
33 Wolf-Dieter Tempel, Auf ur- und frühgeschichtlichen Spu-
ren durch den Landkreis Rotenburg. Oldenburg 1999, S.
159f.
wurden.
34 Dietrich von Stade, Beschreibung der beiden Herzogtümer Bremen und Verden (...) angefangen Anno 1684, in:
Archiv des Vereins für Geschichte und Alterthümer der
20 Biadder gleich Blär'r erklärt Kück (wie Anm. 17), Bd. 1,
Herzogthümer Bremen und Verden, Band 6. Stade 1877, S.
Spalten 163 und 166 mit „kleine Blase", was hier aber keinen Sinn ergibt. Hier können nur die Seitenplatten des FünfPlatten-Ofens gemeint sein.
21 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 5708, vorletztes
Konvolut vom 04.09.1733.
22 Kreuzhäuser haben immer hinten ein zweistöckiges
Kammerfach und vorne den Dielen- und Flettteil eines nie-
56.
35 Miesner (wie Anm. 12), S. 393.
36 Einer solchen Abmeierung verdanken die Adelshöfe in
Ober Ochtenhausen und Wiegersen ihre Existenz (Michael
Erhardt, Ober Ochtenhausen Band 1, 2005, S. 207 ff. und
Prior [wie Anm. 5], S. 22ff.).
37 StA Stade Rep 5b Fach 117 Nr. 170 VI, Bl. 661.
derdeutschen Hallenhauses. Der Name kommt von den
senkrecht aufeinanderstoßenden Firstlinien der beiden
38 Von Stade (wie Anm. 34), S. 56.
Hausteile. Häufig gehört dazu die T-Form, bei der das
den Herzogtümer Bremen und Verden (...) Stade 1718, in:
Archiv des Vereins für Geschichte und Alterthümer der Her-
Kammerfach beidseitig gegenüber dem übrigen Haus ver-
breitert ist. Daneben gibt es auch die L-Form (mit einseitig
verbreitertem Kammerfach) und das seitlich beidseits nicht
verbreiterte Kammerfach.
23 StA Stade Karten Neu Nr. 13172.
24 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8689.
25 Klages etc. (wie Anm. 16), 2. Teil 1994, S. 35-114, hier S.
85.
26 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8690. Es handelt sich um
ein Beschwerdeschreiben der beiden auf dem alten Hofgelände wohnenden Erwerber gegen eine Einquartierung,
die sie mit dem Argument verweigerten, dass sie das Recht
auf die Befreiung des Gutes gegenüber Einquartierungen
durch den Kauf miterworben hätten. Sie meinten, dass diese
am Gut hängende Befreiung nur für sie beide, aber nicht für
die anderen Käufer gelten würde.
27 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 3810, BI. 37; als Kopie
auch im Rotenburger Archiv für Heimatforschung, Rotenburg KT 145.
28 Probenentnahme durch den Autor und Hans-Joachim
Turner im Februar 2011. Dendrochronologische Untersuchung durch Ehrhardt Pressler, Gersten.
29 Probenentnahme durch den Autor. Dendrochronologische Untersuchung durch Ehrhardt Pressler, Gersten.
30 Die Nr. 1 war ab jetzt zugleich die Schule Mulmshorns.
Neubau Schule mit Baurechnung 1796-1797: StA Stade Rep
74 Rotenburg Nr. 7694.
39 Georg von Roth, Geographische Beschreibung der bey-
zogthümer Bremen und Verden, Band 6. Stade 1877, S. 209.
40 Blatt 28 Gyhum, farbiger Nachdruck Hannover 2003.
41 Dazu: Wolfgang Dörfler, Die Ursprünge des Kurhannoverschen Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck und die
Nutzungsgeschichte des dabei entstandenen Kartenwerks,
in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 76.
Hannover 2004, S. 333-351; ders. London, Hannover, Paris,
Kassel, Potsdam, Berlin, Marburg und Stade - die Aufbewahrungsorte der Kurhannoverschen Karten, in: Rotenburger Schriften 91. Rotenburg 2011, S. 87-118, hier S.
108ff.
42 Geschichte und Landesbeschreibung der Herzogtümer
Bremen und Verden Band 1. Göttingen 1824, S. 48.
43 Anonymer Verfasserausschuss, Chronik der Gemeinde
Gyhum. Rotenburg 1982, S. 22. Wolfgang Dörfler, Die
Baugeschichte der Gyhum Kirche, in: Stader Archiv - Neue
Folge 91/92. Stade 2002, S. 201-220, hier Seite 217f.
44 Dörfler (wie Anm. 3), S. 685.
45 Vorder Register (wie Anm. 3), S. 124.
46 Dörfler (wie Anm. 3), S. 682.
47 StA Stade Rep 5b Fach 117 Nr. 170 VI, Bl. 661.
48 Anonymer Verfasserausschuss (wie Anm. 43), S. 10.
49 Arthur von Düring, Ehemalige und jetzige Adelssitze in
den Kreisen Bremervörde-Zeven und Rotenburg, in: Stader
Archiv. Neue Folge Heft 26. Stade 1936, S. 77.
50 Archiv der Ritterschaft Stade Dep. Gutsarchiv Bockei Nr.
31 Da bereits 1859 das Schulhaus neu erbaut wurde, ist
44.
wahrscheinlich, dass es die Hölzer des Schulhauses von 1859
51 Von Düring (wie Anm. 49), S. 77.
sind, die wiederverwendet wurden. Das alte Haus von 1797
war 1859 für 210 Reichstaler an Cord Hinrich Müller aus
Wilstedt auf Abbruch verkauft worden (dazu StA Stade Rep
83 Stade Nr. 2547).
32 Eine Deutung dieser durch einen breiten und tiefen
Graben mit aufgeworfenem Wall an der Landseite und eine
feuchte Niederung an der anderen Seite gesicherte Anlage
52 Zur gleichen Zeit erfolgte auch die Gründung der
Adelshöfe in Kirchtimke (Bachmann [wie Anm. 18]), Wieger-
sen (Prior [wie Anm. 5], S. 22) und Hanstedt (Elfriede Bach-
mann, Hanstedt und Börde Rhade im Landkreis Rotenburg
[Wümme], Stade 2000, S. 86). Zum regionalen Bauernhausbau in dieser Zeit: Wolfgang Dörfler, Bauernhausbau im
Dreißigjährigen Krieg - eine Vorbemerkung, in: Bauernhäu-
ist durch die Kreisarchäologie bisher nicht vorgenommen
worden. Eine mittelalterliche Herkunft scheint dem Roten-
ser aus dem Dreißigjährigen Krieg. Holznagelschriften IGB-
burger Kreisarchäologen Dr. Stefan Hesse aber durchaus
wahrscheinlich (pers. Mitteilung Juni 2012).
20.
Beiträge zur Hausforschung. Band 3. Lilienthal 2010, S. 753 Artur Conrad Förste, Die Abstammung des Geschlechts v.
103
104
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Düring von den v. Borch auf Horneburg, in: Stader Archiv.
Neue Folge, Heft 60. Stade 1970, S, 97-104.
54 Düring (wie Anm. 49), S. 77f.
55 Die Karte: Chausseeprojekt Bremervörde-Rotenburg,
Abschnitt zwischen Sick und Mulmshorn, Handzeichnung
aufgemessen und kartiert von C. Schomacker, M 1:2000
wurde 1844 gezeichnet und beruht auf einer exakten
Vermessung.
56 Archiv der Ritterschaft Stade, Brandkasse Nr. 457. Amt
Zeven Ortschaft Gyhum Haus Nr. 5, Besitzer Rittmeister von
Hammerstein.
57 Entnahme aus einem Balken und einem Ständer des
Innengefüges im Bereich der heutigen Küche im Übergang
vom westlichen zum mittleren Drittel des Hauses durch den
Autor und Hans-Joachim Turner im Februar 2011.
Untersuchung der Proben durch Erhard Pressler, Gersten.
58 Die Arbeit selbst lag mir nicht vor. Mitteilung durch den
Ortschronisten Bockeis, Herrn Heinrich Grabau.
59 Von Düring (wie Anm. 49), S. 8.
60 Kaiser (wie Anm. 4), S. 145f.
61 Daraus vor allem entstand die gute Überlieferung zur
Gründungsgeschichte der Adelshöfe Wiegersen (Prior [wie
Anm. 5]), Hanstedt (Bachmann [wie Anm. 52] wie Anm. 6.
105
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
unter besonderer Berücksichtigung bauhistorischer Aspekte
Nils Kagel
Landwirtschaftliche Großbauten auf adeligen Anwesen und Vorwerken der frühen Neuzeit beschäftigen
die historische Bauforschung schon seit geraumer
Zeit. Im nördlichen Niedersachsen, insbesondere im
Bereich der Lüneburger Heide, haben sie hingegen
nur vereinzelt Beachtung gefunden. Dies mag vor
allem daran liegen, dass hier der Anteil an landesherrlichem Grundbesitz vergleichsweise hoch war und die
Region dementsprechend wenige adelige Güter aufwies. Ausgeprägter Streubesitz und leichte Böden
boten denkbar ungünstige Bedingungen für die
Herausbildung rentabler Gutsbetriebe. In diesem
Zusammenhang fallen die zahlreichen den landesherrlichen Ämtern zugeordneten Vorwerke ins Auge, die
als Staatsdomänen teilweise noch bis ins 20.
Jahrhundert bewirtschaftet wurden.
Als im Sommer 2010 auf dem Gelände der ehemaligen Domäne in Moisburg im nordwestlichen Teil des
Landkreises Harburg Ausschachtungsarbeiten für ein
Wohn- und Geschäftshaus durchgeführt werden sollten, ergab sich die seltene Gelegenheit, im Rahmen
einer archäologischen Grabung Einblicke in die bauliche Entwicklung eines solchen Betriebes vom späten
Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert zu erhalten. Mit
einer zeitgleich anlässlich des dreihundertjährigen
Amtshausjubiläums im Jahr 2011 auf Grundlage literarischer und archivalischer Quellen durchgeführten
Untersuchung gelang es schließlich, die Mehrzahl der
Befunde in ihren historischen Kontext einzuordnen.
Burg und Vogtei Moisburg im späten Mittelalter
Die früheste Erwähnung der Ortschaft Moisburg als
Mosedeburch findet sich in einer Urkunde des Alten
Klosters bei Buxtehude von 1242, in der sowohl die
Kirche als auch ein Priester namens Johannes genannt
wird.1 Eine Burg wird hier nicht erwähnt, ihre Existenz
ist jedoch aufgrund der Namensgebung recht wahr-
scheinlich. Ihr Standort ist nicht bekannt. Möglich
wäre eine Lage in der Umgebung der Kirche, ähnlich
wie es im Fall von Sinstorf bei Harburg nachgewiesen
werden konnte.2
1322 wird im Zusammenhang mit einer Schadensersatzforderung gegenüber den Lüneburger Herzögen
erstmals ein Schloss in Moisburg erwähnt. Aus dem
Schriftstück geht hervor, dass die Anlage zwischen
1310 und 1322 erbaut worden sein muss. Zusammen
mit Harburg fiel ihr die Aufgabe zu, das lüneburgische
Territorium gegen Nordwesten zu sichern und den
Straßenzwang auf Lüneburg durchzusetzen. Gleich-
zeitig bildete es den Mittelpunkt einer Vogtei mit
umfangreichem landesherrlichem Grundbesitz, wobei
sich die Höfe in Moisburg selbst im Besitz der
Erzbischöfe von Bremen befanden. Die Verwaltung
von Schloss und Vogtei oblag einem Advocatus, also
einem Vogt, der zugleich die hohe und niedere Gerichtsbarkeit im Vogteibezirk ausübte.3 Ob es sich
beim erwähnten Schloss um die Wiederherstellung
einer älteren Anlage, die in bewaffneten Auseinandersetzungen mit bremischen Stiftsleuten zerstört
worden war, oder um einen Bau an gänzlich neuer
Stelle handelte, ist aus der schriftlichen Überlieferung
nicht zu ersehen. Genauso wenig ist über Gliederung
und Bauweise der Befestigung bekannt. Zeitgenössische Anlagen verfügen in der Regel über eine Hauptburg mit den Wohngebäuden des Burgherrn sowie
über eine oder mehrere Vorburgen mit den für eine
Versorgung der Burgbesatzung unverzichtbaren Wirtschaftsgebäuden. Als einigermaßen gesichert kann
der Standort mitten in den sumpfigen Niederungen
der Este und des Staersbecks gelten, da es keine
Hinweise auf eine Verlagerung des Schlosses in späterer Zeit gibt.
Schon bald nach der Fertigstellung wurde das Schloss
an adelige Lehensmänner vergeben. Am 16. April
1340 versprechen die Ritter Bertold, sein gleichnamiger Sohn und der Ritter Johann Schulthen den Herzögen Otto III. und Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg, ihnen ihre Schlösser Harburg und Moisburg mit
den zugehörigen Ländereien sowie allen Rechten und
Gerechtsamkeiten zurückzugeben, wenn sie es verlangten. Zwei Jahre später geschieht dies tatsächlich,
und am 6. Dezember 1342 bestätigen die Ritter, dass
sie von den Herzögen für alle während ihrer Amtszeit
entstandenen Kosten für Bautätigkeiten am Schloss
und Schäden an ihrem Gut entschädigt worden
seien.4
Zu diesem Zeitpunkt besaß Moisburg eine wichtige
strategische Bedeutung in den Auseinandersetzungen
mit dem Bremer Domkapitel. 1343 kauften die Herzö-
ge dem Ritter Gebhard Schulte deshalb ein Stück
Land von etwa drei Morgen bei Emmen ab, um dort
Ton für die Herstellung von Ziegeln abzubauen, die sie
für den Ausbau des Schlosses benötigten. Anschließend wurde es erneut an adelige Lehensmänner ver-
geben, die es jedoch bald darauf zurückgegeben
haben müssen, da 1347 wiederum ein Vogt in Moisburg erwähnt wird.5
1372 scheint sich das Schloss erstmals im Pfandbesitz
der Stadt Lüneburg befunden zu haben.6 Einfach war
die Situation der kleinen Burgbesatzung zu diesem
106
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Zeitpunkt nicht, denn im Zuge des Lüneburger Erbfolgekrieges bedrängten Truppen aus dem Erzstift
Bremen den kleinen Außenposten dermaßen, dass die
Versorgung mit Lebensmitteln vorübergehend stock-
te. Der damals im Auftrag der Stadt tätige Vogt Woldeke sah sich deshalb 1373 gezwungen, den Lüneburger Rat um Hilfe zu bitten.7 Sein Durchhaltevermögen machte sich jedoch bezahlt. Als Herzog Wenzeslaus und sein Sohn Albrecht III. von Sachsen-Wittenberg Schloss und Vogtei Moisburg 1379 wieder ausgelöst hatten, verpfändeten sie beides samt hoher
und niederer Gerichtsbarkeit für 1700 Mark an den
Vogt. Es wurde darüber hinaus vereinbart, dass dem
Pfandinhaber bei Rückgabe des Schlosses alle Kosten
für Bau und Unterhalt der Gebäude erstattet werden
sollten. In der Urkunde werden erstmals auch die Vor-
burg und die Mühle genannt: un war se aldus von
uns beret und betalet sind so schultet se uns unse slot
mosdeborch myt alle aller tobehoringe und vortoch
wedder antweren, were ok datse in dem vorbenomeden slote in der vorborch in der molen wad vorbuwet
hedden edder dar noch wad inne vorbuweden na unsem rade dat se redelken bewisen mochten dat schul-
te wy on ghelden wan wy dit slot van onlosen un
wedder tegghen myt redem ghelde alse twen unsen
mannen un twen oren vrunden redelik duchte wesen.8
Von 1386 bis 1402 wird Woldekes Neffe Ludolf von
Heimbruch als Vogt in Moisburg genannt. Gleichwohl
handelte es sich weiterhin um Pfandbesitz. Seine Söh-
ne benannten sich sogar nach ihrem Wohnsitz als
Herren van Moysedeborch9 1438 lösten die Herzöge
das Schloss und die Vogtei abermals aus, verpfändeten sie jedoch aufgrund der beständig desolaten Lage
des fürstlichen Haushalts gleich darauf wieder an die
Stadt Lüneburg. Seit 1435 amtierte Segeband van
dem Berghe als Vogt in Moisburg. Am 15. November
1441 quittiert er dem Lüneburger Rat den Empfang
von 300 Mark lübisch für die Versorgung der städti-
schen Söldner während der Horneburger Fehde. Noch
im selben Jahr wurde er dann vom Lüneburger Bürger
Johann van der Molen abgelöst.10 Ziel der Lüneburgischen Pfandschlosspolitik, die neben Moisburg auch
Harburg und eine Reihe weiterer fester Plätze umfass-
te, war vornehmlich der Schutz städtischer Wirtschafts- und Handelsinteressen. Zum einen sollte das
Umfahren der Stadt unterbunden werden, um das
dortige Warenangebot zu erhöhen, zum anderen die
für den Handel wichtigen Verkehrswege unter städtische Kontrolle gebracht werden. Darüber hinaus war
man bestrebt, neue und bestehende Absatzmärkte zu
sichern sowie die Brennholzversorgung für die Saline
zu gewährleisten. Aus finanzieller Sicht überwogen
die Kosten für den Unterhalt der Pfandschlösser oftmals die Einnahmen aus den zugehörigen Vogteien,
sodass nicht selten Zuschüsse aus der Stadtkasse
gezahlt werden mussten.11
Erste Hinweise auf einzelne bauliche
Maßnahmen
Im 15. Jahrhundert beginnen sich die Quellen zum
Moisburger Schloss und insbesondere zu den dort
vorhandenen Baulichkeiten zu verdichten. So belegt
das Rechnungsbuch des Schlosshauptmanns Lippold
Rosenberch mit Eintragungen vom 14. Oktober 1446
bis zum 10. Februar 1448, dass zumindest die Vögte
einen für damalige Verhältnisse gehobenen Wohnkomfort genossen. 1446 erhielt beispielsweise der
Mann de den kachelowen makede 26 Schillinge und
Hinrik Sentprovest 6 Schillinge, weil he de glasevinster
settede. Mehrmals sind in Rosenberchs Rechnungsbuch Ausgaben für geschnittenes Holz und Schmiedearbeiten verzeichnet. Im Frühjahr 1447 erhielten
Zimmerleute für den Bau eines mak (Abort) und eines
wer (Fischzaun) 1 Mark lübisch. 24 Schillinge bekamen zwei Männer de hulpen my to dem hakerwerke
umme de borch, und zwei Knechte, die Wache hielten, als das Tor vor der Burg gebaut wurde, wurden
mit 10 Schillingen entlohnt. Unklar bleibt, welcher
dam gemeint war, für dessen Bau Hans van Munster
1447 die nicht geringe Summe von 3 Mark und 5
Ellen Sartuch (Beiderwand) erhielt. Einmal findet auch
die Kornmühle Erwähnung, als ein Müller aus Buxtehude half, den Mühlstein neu aufzulegen.
Neben anderen Personalkosten werden hin und wie-
der Ausgaben für Dienstleute aufgeführt, die auf dem
Vorwerk, wie die Vorburg jetzt genannt wurde, tätig
waren. So ist verzeichnet, dass der hovemester, der
Verwalter des Vorwerks, jährlich 2 Pfund (2 Mark und
8 Schillinge lübisch) als Lohn erhielt. Darüber hinaus
standen ihm 4 Schillinge für den Kauf von Schuhen
zu. Seine Frau, die meygersche, wurde mit 1 Pfund
und der Müller mit 2 Pfund entlohnt. Zu Weihnachten
1446 und 1447 spendierte der Vogt deme gheslnde
uppe der borch unde in dem vorwerke 2 Mark 2
Schillinge, mit dem sie ihr Offergeld für die Kirche
bezahlen konnten. Im Frühjahr 1447 erhielt Korten
Heyne, de was over winter in dem vorwerke, 2 Mark
und 4 Schillinge, und einer armen Frouwen ime vor-
wercke wurden 4 Schillinge gegeben. Mit zwei
Kühen, die 1447 in dat vorwerk der beerschen kamen
und für die 4 Mark und 12 Schillinge bezahlt wurden,
wird erstmals dort untergebrachtes Vieh erwähnt.12
Am 10. Februar 1448 übernahm Pardern van Dannen-
berg das Schloss und die Vogtei Moisburg für 1000
Mark lübisch als Afterpfand von der Stadt Lüneburg.
Diese war jedoch weiterhin verpflichtet, für den
Unterhalt der Schlossgebäude zu sorgen. Die Pfandschaft van Dannenbergs endete zunächst 1451, setz-
te sich jedoch 1456 fort, nachdem vorübergehend
zwei Lüneburger Ratsherren die Verwaltungshoheit
ausgeübt hatten. In mehreren Schreiben, die van Dan-
nenberg an den Lüneburger Rat richtete, werden
Baumängel beklagt und die Fragen der Materialbeschaffung angesprochen. In einem Brief vom 11.
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
Juli 1464 schrieb er, dass der Kalk (Hochbrandgips)
aus Lüneburg, der offenbar per Schiff nach Buxte-
hude geliefert worden war, abgeholt worden sei.
Zudem bittet er um Geld für 1000 Ziegelsteine, die er
in Buxtehude bestellt hatte, nachdem man es in Lüneburg entgegen anders lautender Zusagen offensicht-
lich versäumt hatte, die Steine bei der Ziegelei in
Schermbeke13 zu bestellen. Im Frühsommer 1465 bat
van Dannenberg den Rat, jemanden zu schicken, um
eine Grenzstreitigkeit mit dem Alten Kloster bei
Buxtehude beizulegen und die in Moisburg ausgeführten Bauten zu besichtigen. Ob dies geschah, ist
nicht bekannt, aber ein Jahr später kündigte van
Dannenberg die Pfandschaft und bat deshalb am 19.
März 1466 den Lüneburger Rat, ihm die Pfandsumme
und die Kosten für die von ihm durchgeführten Baumaßnahmen zu erstatten. Nachdem der Ratsdiener
Hans Binenbüttel den Bau besichtigt hatte, musste
van Dannenberg erneut auf sein Geld warten. In
einem Schreiben vom 23. März 1466 forderte er den
Rat auf, ihm die Kosten für die Gebäude, die Einsaat,14
die von ihm angeschafften Mühlsteine und weiteres
dazugehöriges Gerät zu begleichen. Um die Zahlungsmoral der Stadt war es jedoch nicht allzu gut
bestellt, weshalb van Dannenberg auch nach der
Übergabe des Schlosses weiter gezwungen war, die
Zahlung der ausstehenden Gelder anzumahnen. Als
Sicherheit behielt er eine zum festen Inventar des
Schlosses gehörige Braupfanne ein,15 woraufhin der
Rat umgehend die Herausgabe der Pfanne forderte.
Der genaue Ausgang der Angelegenheit ist nicht
bekannt. Fest steht, dass Pardern van Dannenberg zu
Ostern 1466 Moisburg verließ und ein gewisser Hinrik
de Clüver neuer Pfandinhaber wurde.16
Schon knapp em Jahr, nachdem Hinrick de Clüver die
Pfandschaft angetreten hatte, wechselte er nach Rethem. Im Gegenzug übernahm der Rethemer Schlosshauptmann Hinrick Bere Schloss und Vogtei Moisburg
als Pfand. In einem Schreiben vom 17. März 1468
richtete sich Bere mit der Bitte an den Lüneburger Rat,
ihm möglichst schnell acht Tonnen Kalk aus Lüneburg
zu liefern, was darauf schließen lässt, dass weitere
Baumaßnahmen am Schloss erfolgten. 1469 schenkte
ihm die Stadt außerdem ein Fenster aus der Werkstatt
des bekannten Glasmalers Hans Meydeborg, das auch
nachweislich nach Moisburg geliefert wurde. In einer
Reihe weiterer Schreiben bat Bere, ihm die Auslagen
von 20 Mark van der molen to Moseborch zu erstat-
ten.17
Von 1471 bis 1475 amtierte Frederik Tietz als Vogt in
Moisburg.18 Aus seinem ersten Amtsjahr ist ein Rech-
nungsbuch als Abschrift erhalten geblieben. Darin
sind umfangreiche Ausgaben für Renovierungsarbeiten an den Schlossgebäuden aufgelistet. Zunächst
wurden das Wehr und das Grundwerk der Mühle von
Zimmerleuten aus Fallingbostel erneuert. Die benötig-
ten Nägel und das Eisenzeug lieferte der Schmied
Hans Borchwede aus Buxtehude. Anschließend wur-
den insgesamt 5640 kleine und halbgroße „dak
stene" (Dachpfannen) für das Eindecken des groten
hus aus Celle und Buxtehude gekauft. Die Decker-
arbeiten wurden von Meister Henning Murmester
durchgeführt, der zu diesem Zweck vom Rat der Stadt
Lüneburg entsandt worden war. Ferner wurden an
der Außenwand des groten hus eine heymlichkeit
(Abort) und im Inneren eine Kammer, die vor der
Hauskapelle lag, sowie eine weitere Kammer mit Platz
für drei Betten eingebaut. Beim groten hus dürfte es
sich um das Hauptwohngebäude des Schlosses
gehandelt haben. Auch eine Küche und ein Backhaus
finden Erwähnung. Besonders interessant ist der
Vermerk, dass drei Zimmerleute, von denen zwei aus
dem nahe gelegenen Dorf Grauen stammten, eine
neue Zugbrücke und ein neues Plankenwerk zwischen
deme torne und der Brücke zum Mühlendamm bau-
ten, wofür sie zusammen 2 Mark und 1 Schilling
bekamen. Insgesamt wurden bei den Renovierungsarbeiten wiederum 8 Tonnen aus Lüneburg stammender Hochbrandgips verbraucht.19
Im September 1471 kamen mehrere Zimmerleute
nach Moisburg und setzen die Arbeiten an der Mühle
fort. Es werden Arbeiten am Grundwerk und am
Mühlenbett, die Verschalung der Mühlenwand an
den Wasserrädern, die Erneuerung von zwei Mühlenrädern, die Herstellung mehrerer neuer Türen und
Pforten sowie die Erneuerung von Türangeln und Ha-
ken erwähnt. Interessant ist die Nennung einer Ölmühle, deren Stampfwerk erneuert wurde, über des-
sen Standort jedoch keine näheren Angaben gemacht
werden. Tietz ließ auch einen sodent (Brunnen) mit
Dielen bauen, der sich wahrscheinlich auf dem Vorwerk befand, und neben der Mühle einen Stall mit
Tannendielen decken. Der Vorbau vor der Küche auf
dem Schloss wurde ebenfalls mit Dielen erneuert.
Zudem merkt der Vogt an, dass er en nyge hakelwerk
umme dat vorwerk in den dyk, enen nygen tun van
der molen went in den dyk, [...] ene nyge porten
unde en nyge hakelwerk jegen dat grote huß uppe
der molen und nyge porten, nyge tune, nyge hakelwerke twysschen den uttersten doren erstellen ließ.20
Mit Hakelwerken sind starke Flechtverhaue gemeint,
die durchaus ein ernsthaftes Hindernis für Mensch
und Tier darstellen konnten.21
Auf Frederik Tietz folgte 1475 der Lüneburger Ratmann Godeke Zerstede, der 1485 von Claus von
Hitzacker und anschließend von Hinrik von Meding
abgelöst wurde. 1491 übernahm Johann van der
Molen Schloss und Vogtei, der statt einer Pfandsumme eine jährliche Rente von 80 Gulden aus seinen
Sülzgütern an die Stadt entrichtete. Ab 1498 war
Henning von Meding und ab 1503 der Lüneburger
Patrizier Balthasar Töbing Pfandinhaber von Moisburg. Über ihn beklagten sich die Priorin und das
Konvent des Alten Klosters bei Buxtehude 1504 beim
107
108
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Lüneburger Rat, da er offenbar ohne Rücksicht auf
geltende Vereinbarungen versuchte, nicht nur aus
den lüneburgischen, sondern auch aus denen unter
der Grundherrschaft des Klosters stehenden Höfen in
der Vogtei Moisburg zusätzliche Abgaben zu pressen.
1515 trat schließlich Dietrich von Oppershusen als
letzter lüneburgischer Schlosshauptmann sein Amt
an.22
Bei der Grabung im Sommer 2010 konnten Teile eines
über zehn Meter breiten und mehrere Meter tiefen
Grabens freigelegt werden, der vermutlich zur Befestigung der in den Schriftquellen erwähnten Vorburg
gehörte und diese nach Westen hin begrenzte. Funde
von grauer Irdenware machen eine Entstehung im
14.-15. Jahrhundert wahrscheinlich. Innerhalb des
mutmaßlichen Vorburgareals, das nur am Rande angeschnitten wurde, konnten zwar vereinzelt Pfostenlöcher und bearbeitete Hölzer dokumentiert werden,
diese waren jedoch keiner bestimmten Bebauung
zuzuordnen. Eine Viehtränke, deren Einfassung aus
eine wichtige Funktion zukam. Im Rahmen dieser
Politik war man bestrebt, alle im Pfandbesitz befindlichen Schlösser und Ländereien auszulösen, um sie mit
eigenen Verwaltungsbeamten zu besetzen. Auf städ-
tischer Seite war man hingegen nicht gewillt, den
Pfandbesitz ohne angemessene Entschädigung wieder herauszugeben. In der Folge kam es unter der Regentschaft Herzog Heinrichs des Mittleren zu lang-
wierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen.
Schließlich verpflichtete sich die Stadt Lüneburg in
einem am 15. September 1517 abgeschlossenen
Vergleich, Schloss und Vogtei Moisburg am 4. April
1518 an den Herzog zu übergeben, ohne dafür die
Pfandsumme und die Baugelder erstattet zu bekommen.23 Aufgrund der weiterhin angespannten finanziellen Lage des Herzoghauses wurde Moisburg
zunächst erneut verpfändet. Erster Pfandinhaber war
Werner von Oppershausen, der 1517 den Schlossbrief
erhielt. Ihm folgte Christoffer von Oppershausen und
1549 Heinrich von der Wense.24
offensichtlich zweitverwendeten Bohlen dendrochronologisch auf die Zeit um 1503 datiert werden konnte, gehörte vermutlich einer späteren Bauphase an.
Als Otto von Braunschweig-Lüneburg, der älteste
Herausbildung von Amt und Amtswirtschaft
1527 mit dem Amt Harburg, einer umfangreichen
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begannen die Fürs-
ten von Braunschweig-Lüneburg damit, Verwaltung
und Justiz innerhalb ihres Territoriums im Sinne eines
modernen Staatswesens an sich zu ziehen und zu ver-
einheitlichen, wobei den Hausgütern der Herzöge
1 Mit Bohlen gefasste Viehtränke, um 1503(d), (2010).
Sohn Heinrichs des Mittleren, aufgrund einer unstan-
desgemäßen Heirat zugunsten seines jüngeren
Bruders Ernst auf die Herrschaft verzichtete, wurde er
Ausstattung und einer jährlichen Rente abgefunden.
Sein Sohn Otto II. bekam 1560 zusätzlich das Amt
Moisburg und den Münchhof auf Kirchwerder überschrieben. Im Gegenzug wurden die jährlichen Bezüge aus Celle stark gekürzt. Da sich Moisburg jedoch
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
immer noch im Pfandbesitz Heinrich von der Wenses
befand, dem Schloss und Vogtei auf Lebenszeit verschrieben waren, erhielt Otto II. für die Übergangszeit
eine Ausgleichssumme ausgezahlt. Erst nachdem
Heinrich von der Wense 1565 gestorben war, konnte
er 1566 Moisburg übernehmen.25 In den folgenden
Jahren bildete sich allmählich eine neue Verwaltungsstruktur mit einer geregelten Geldwirtschaft heraus.
Aus der Vogtei Moisburg wurde ein Amt, das in drei
Amtsvogteien in Hollenstedt, Elstorf und Moisburg
unterteilt war. An der Spitze der Verwaltung stand ein
Amtschreiber und später ein Amtmann, dem auch das
Gerichtswesen,26 die Zollverwaltung, die polizeiliche
Aufsicht über den Amtsbezirk und die Bewirtschaftung des Vorwerks oblagen.27 In der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts wechselten die Amtsinhaber
noch recht häufig. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts
wurden die Amtszeiten länger. Von 1570 bis 1575
war Johann Volckmann und von 1578 bis 1580 Jörge
oder Georg Hebenstreit Amtschreiber in Moisburg.
1583 und 1584 wird Vicke Oleman als solcher
genannt. Ihm folgten Dietrich Ottersen, Jürgen
Geben, 1587 bis 1590 Joachim Bergkman und 1590
bis 1596 Carl Dietrich. Um das Jahr 1600 saß der
Amtschreiber Berthold Thies in Moisburg.28
Am 20. Oktober 1603 verstarb Herzog Otto II. Es folg-
ten ihm seine Söhne Wilhelm und Christoph. Nach
dem Tod des Bruders 1606 übte Wilhelm die grundherrliche Gewalt über die landesherrlichen Besitzungen in den Ämtern Harburg und Moisburg allein aus.
Als Wohnsitz für die Witwe Ottos II., die Herzogin
Hedwig, wurde Moisburg gewählt, wo sie bis zu
2 Amt Moisburg, Ausschnitt aus einer Karte des 18. Jahrhunderts.
ihrem Tod am 4. Dezember 1616 lebte. Anlässlich des
Einzugs Hedwigs wurde erneut am Schloss gebaut.
Erwähnt werden Arbeiten des Schnitkers (Tischler)
Otten Albers aus Hollenstedt, des Malers Abraham
aus Tostedt und dreier Mauerleute.29
In einer Beschreibung aller landesherrlichen Besitztü-
mer in den Ämtern Harburg und Moisburg, die vermutlich in Zusammenhang mit dem Erbvertrag zwi-
schen den Herzögen Otto und Wilhelm einerseits und
Herzog Christian dem Älteren andererseits vom 4.
September 1633 erstellt wurde, heißt es zum Amtshaus, dass es baufällig gewesen sei, weshalb Herzog
Otto II. geplant habe, das Ganze von neuem aufzuerbauwen. Er habe auch damit angefangen, aber aufgrund seines Todes sei das Vorhaben zunächst nicht
weiterverfolgt worden. Daraufhin habe Herzog Wilhelm die baufälligen Teile des Gebäudekomplexes
abbrechen lassen undt das ganze Haus an der Norder-, Ost- und Westseiten mit dem Thurm in solcher
Form wie die Structur im Quadrangei augenscheinlich
demonstrirt sambt der Mühlen von neuem mit den
Gemächern gebawet. Der Wert des Hauses wurde
trotz der Tatsache, dass die Kosten für den Neubau
nicht im Bauregister verzeichnet wurden, auf 12 000
Rthl. taxiert.30
Um trotz der geringer werdenden Zuwendungen aus
Celle auch weiterhin eine standesgemäße Hofhaltung
aufrechtzuerhalten, waren die Angehörigen der her-
zoglichen Nebenlinie in Harburg stets bemüht, die
wirtschaftlichen Erträge aus Landwirtschaft und Gewerbe in ihrem Verfügungsbereich zu steigern. So
wurde zwischen 1603 und 1616 ein weiteres Vorwerk
in Ovelgönne gebaut, das bis 1782 bestand.31 Bereits
1596 war am nördlichen Ende des Mühlendammes in
Moisburg eine Papiermühle entstanden. 1598 wurde
eine zweite am Staersbeck und 1622 eine dritte am
Appelbeck errichtet. Die Papiermühlen bildeten neben der Kornmühle und dem Vorwerk die wichtigsten
Einnahmequellen des Amtes.32 Von 1621 bis 1624 exi-
stierte vorübergehend eine herzogliche Münze in
Moisburg, die jedoch nach kurzer Zeit aufgrund mangelnder Rentabilität wieder aufgegeben wurde.33 Die
Brauerei und die spätere Branntweinbrennerei im
Amtshaus spielten, obwohl sie zeitweise durchaus
umsatzstark waren, immer nur eine untergeordnete
Rolle.34
109
110
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Die wirtschaftliche und personelle Struktur des
Vorwerks
Über die Vorgänge auf dem Vorwerk in Moisburg
während des 16. Jahrhunderts lassen sich bislang nur
Mutmaßungen anstellen. Wie bereits aus den Rechnungen des 15. Jahrhunderts zu ersehen ist, wurde es
von Meiern verwaltet, die vom Vogt, dann vom
Schlosshauptmann und später vom Amtmann entlohnt wurden. Dem Meier unterstand ein Vorwerksknecht, der zusammen mit den dienstverpflichteten
Bauern35 und Tagelöhnern die Äcker und Wiesen be-
stellte. Die ebenfalls beim Amt angestellte Frau des
Meiers, die Meiersche, war zusammen mit den
Mägden für die Milchwirtschaft zuständig. 1569 traten ein gewisser Marquart Meyer als Meier und seine
Frau Lücke als Meiersche ihren Dienst in Moisburg an.
1600 folgte ihm Tewes Johansen aus Rahmstorf, 1606
Jacob Gogreve und 1620 Lütke Bösch von der Kleinkötnerstelle Nr. 9 in Moisburg. Die Schafställe des Vorwerks wurden von drei Schäfern betreut. Des Weite-
ren gab es einen Kuhhirten und einen Schweinehirten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren auch der
Müller und der Ölmüller noch Angestellte des Vorwerks. Ab 1652 wurde die Kornmühle an selbstständig wirtschaftende Müller verpachtet. Die Ölmühle
scheint zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben worden zu sein. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert oblag es einem Amtsfischer, die zahlreichen stehenden
und fließenden Gewässer des Amtsbezirks zu befischen. 1605 wurde mit Georg Ecken vorübergehend
ein Schmied angestellt, der bis 1610 in einer Schmiede auf dem Vorwerk arbeitete, deren Ausstattung
vom Amt bezahlt worden war. Danach wurden die
Schmiedearbeiten wie zuvor an auswärtige Handwerker vergeben. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg
entstand eine eigenständige Schmiede in Moisburg.
Ansonsten liegen über das Amts- bzw. Vorwerkspersonal, das vermutlich häufig wechselte, bislang nur
wenige Informationen vor.36
Ursprünglich müssen die zum Vorwerk gehörigen
Ackerflächen vergleichsweise klein gewesen sein. Erst
als die Ländereien des im ausgehenden 15. Jahrhundert wüstgefallenen Dorfes in der Trünen westlich von
Moisburg und einiger Kotstellen in Grauen dazukamen, wuchs seine wirtschaftliche Bedeutung. Mitte
des 17. Jahrhunderts umfassten die Ackerflächen des
Vorwerks insgesamt 1 456 HRE. Wenn man bedenkt,
dass im Amt Moisburg zu einem Vollhof zwischen 25
und 90 HRE. Ackerland gehörten, wird klar, dass es
sich zu diesem Zeitpunkt um einen herausragenden
landwirtschaftlichen Betrieb handelte.37 Allerdings
muss hierbei bedacht werden, dass ein Großteil der
Äcker aus wenig fruchtbaren Sandböden bestand und
immer nur alle drei bis vier Jahre beackert werden
konnte. Während der restlichen Zeit lagen sie brach
und wurden als Viehweide genutzt.38
Großflächige Wiesen in den Niederungen der Este
sowie umfangreiche Weide- und Mastgerechtigkeiten
im Bereich der Gemeinheit und des Stuvenwaldes
ermöglichten eine ausgeprägte Viehhaltung.39 Laut
des Amtshandlungsbuches verfügte das Vorwerk im
Jahr 1600 über 67 Kühe, 16 Starken, 16 Pflugochsen,
2 Brummrinder, 7 Kälber, 40 Schweine, 10 Hofschweine40 und 70 Ferkel. Zusätzlich standen 178 Schafe, 21
Lämmer beim Schafstall auf dem Berge, 246 Schafe,
20 Lämmer, 14 Pfingsbötlinge und 17 Zehntlämmer
beim Schafstall auf dem Trünen sowie 241 Schafe, 9
Lämmer, 22 Pfingstbötlinge und 15 Zehntlämmer41
beim Schafstall auf dem Voss bei Grauen. Dazu ka-
men noch der Herzogin Hedwig gehörende 181
Schafe und 20 Lämmer. Beim Tod der Herzogin 1616
waren auf dem Vorwerk 52 Kühe, 25 Ochsen zu 3
Pflügen gebrauchet werden, 16 Stier vonn 3 und 4
Jhären, 10 Stercken von 3 und 4 Jhären, 14 Zwojherige Stier, 7 Jherige Stier, 7 Jherige Kuekelber, 3
Brummrinder darünter eins von 2 das ander vonn 3
Jharen vorhanden. Des Weiteren standen von den
977 Schafen 346 itzo uffm Berge im Koffen, 329 uffn
Trünen im Koffen, 302 im Grauener Koffen. Hinzu
kamen 94 Schweine und 48 Gänse.42 Interessant sind
bei dieser Aufzählung die Nennung von Pflugochsen
und das Fehlen von Pferden. Pferde waren zwar nach-
weislich vorhanden, wurden jedoch offenbar noch
nicht bei der Feldarbeit eingesetzt, sondern ausschließlich bei Fuhrdiensten und als Reittiere. Einschneidende Veränderungen beim Viehbestand ergaben sich durch die Ereignisse während des Dreißigjährigen Krieges. Als 1627 Truppen Tillys im Fürstentum Lüneburg einfielen, ging die Anzahl an Schafen
von 1270 auf 601 zurück, nahm jedoch bis 1634 wieder auf 1471 zu.43 Laut einer Aufstellung von 1633
lagen die Stückzahlen insgesamt sogar deutlich höher
als noch zu Beginn des Jahrhunderts: Rindtviehe 114,
Schweine 76, Gense 130, Caleunische Hüner 42,
Schaffe 1083 In einer Bemerkung hierzu heißt es:
Kann aber eine viell grössere Viehzucht daselbst
gehalten werden, denn von Schaffen undt Viehe ein
grosse Menge weggeraubet worden. Inklusive des
Inventars an Kupfer, Zinn und anderem Gerät im Wert
von 500 Rthl wurde der Wert des Vorwerks auf 2409
1/2 Rthl. beziffert.44
Gemessen an ihrer Größe waren die Vorwerke als lan-
desherrliche Betriebe weitab der Landeshauptstadt
nur in begrenztem Maße rentabel. Nach 1650 ging
man deshalb auch in Moisburg dazu über, das
Vorwerk zu verpachten. Dies geschah bis ins 19.
Jahrhundert an den jeweiligen Amtmann, wobei in
den ersten Jahrzehnten der Verpachtung zunächst
noch keine gravierenden Veränderungen in der
betrieblichen Struktur festzustellen sind. So wurden
1670 während der Amtszeit des Amtschreibers
Herman Rosenbruch 18 Pflugochsen, 5 junge Ochsen
von 4 Jahren, 7 Stiere von 3 Jahren, 2 Brummrinder,
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
39 Kühe, 5 alte Starken, 5 dreijährige Starken, 16
Kälber vom Vorjahre, 16 Kälber von diesem Jahr und
2 Rinder von Cordt Martens, 244 Schafe auf dem
Berge, 258 beim Voss und 289 auf dem Trünen
gezählt. Erst unter dem Amtmann Ernst Andreas von
Cronhelm45 kommt es zu einer deutlichen Steigerung
der Viehstückzahl. Als er 1696 die Pacht antrat, verfügte das Vorwerk über 2 Bullen, 39 Kühe, 31 Stierrinder, 11 Starken, 10 abgewöhnte Kälber, 16 Milch-
kälber, 63 Schweine und 453 Schafe. Im Dienstregister von 1727/28 werden schließlich 3 Bullen, 27
Kühe, 32 Stierrinder, 38 Starken, 18 abgewöhnte
Kälber, 7 Milchkälber, 124 Schweine und 869 Schafe
aufgeführt.46
Schloss- und Vorwerksgebäude im
17. Jahrhundert
1651, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, der nicht
nur die zum Amt gehörenden Dörfer, sondern auch
Schloss und Vorwerk stark in Mitleidenschaft gezogen
hatte, fertigte der damalige Amtschreiber Jürgen
Schröder auf landesherrliche Weisung hin einen Bericht Vonn dem fürstlichen, Braunschweigischenn,
Lüneburgischenn Ambte Möyßburgk an. In ihm werden insbesondere das Schloss, aber auch alle zugehörigen Bauten beschrieben: Die Gebaute anlangenndt,
sein wie obengedacht, wie es ann hochsehligged.
Hertzog Otten kommen, sehr baufellig gewehsenn,
welches S.F.G. Herr Sohn Hertzog Wilhelm, Anno
1618 unndt 19 zu bauenn angefangen, Alß erstlich
dasß theil inß Nordenn über der Küchenn gantz neu
(: Außerhalb etzliche stücke Maurwerck unntenn, so
stehen bliebenn:) mit hübschenn Gemächern Zieren,
auch einen Kleinen Achtkantigenn Thurm vonn Maursteinenn, inwendig mit einer höltzernen Windellsteige
(: worauff mann Zu denn oberhalb befndtlichenn
Gemächernn gelangenn kann:) aufführen lassen,
Worinn in der höhe die Uhr, alß viertheil unndt Stunde
Glocke verhandenn. So hatt auch hochged. Hertzog
Wilhelm F. Gnd. daß Dach vonn dem Altenn Thurmb
inß Westenn belegenn, abnehmen unndt denn
andern n Gemächernn gleich mach en n lassen n. Die
seite inß Oisten habenn mehrhochged. S.F.G. ebenmässig auß dem Grunde Ano etc. 1639 Neu auffüh-
renn, unndt unntenn nebenst dem Back: unndt
Brauhause mit einem: oberhalb aber mit drey feinenn
Gemächernn unndt Kammernn Zieren lassenn, So ist
auch ann der seite innß Südenn (: welches fast das
eltiste Gebäu.:) ein runder Thurm gebauet, worinn
ebenmessig eine höltzerne Windellsteige, worauff
mann zu denn Gemächern unndt Kornbodenen gehet, unndt kann mann vor den obersten Gemächern
in einem dazu bereitetenn Gange vonn einer Seiten
Zur anderen gantz herumb gehenn, Ist also dieß
Ambthauß viereckiicht gebauet, unndt rundtherumb
mit dem Wasser des Estestrombs, unndt vor dem
Wasser her mit einer höltzernen Plancken umgebenn.
ist auch bey Hertzog Wilhelms Regierung ein feiner
Kraut: unndt Küchen Garte, theilß auß dem Morast,
mit großer Mühe, daran angerichtet, worümb auch
daß Wasser der Este gehet. Vorm Ambthause, wie
bereitz gedacht, ist die Kornmühle, welche Hertzog
Wilhelm Anno etc. 1620 sambt dem fundament neu
erbauen unndt aufführenn lassenn, hat drey Genge,
un weit davonn liegt die Papiermühle (...) Ann der
Kornmühle liegt der Reisige Stall, mit Steinenn
gedeckt unndt gemauret, undt soforth dabey daß
Vorwergk [...].47
Auf dem Kupferstich, den Conrad Buno 1654 für
Merians Braunschweig-Lüneburgische Topografie
anfertigte, ist auf der dem Betrachter zugewandten
Seite gut der 1618-1619 erneuerte, nordöstliche
3 Moisburg, Kupferstich aus: Matthäus Merian, Topographia und Eigentliche Beschreibung der Vornembsten Stäte, Schlösser
auch anderer Plätze und Örter in denen Hertzogthümer Braunschweig und Lüneburg (...), Frankfurt a. M. 1654.
111
112
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Schlossflügel mit Fachwerkobergeschoss und Glockenturm zu erkennen. Der südöstliche, 1639 erbau-
te und der südwestliche, vielleicht mit dem oben
erwähnten groten hus identische Flügel sind hingegen verdeckt. Der nordwestliche Flügel, in den laut
der Beschreibung von 1651 der gekappte, wahrscheinlich mittelalterliche Turm einbezogen wurde,
liegt im Schatten des Nordostflügels, weshalb keine
baulichen Details erkennbar sind. Vor dem Amtshaus
liegt, ebenfalls deutlich hervorgehoben, die Papiermühle. Rechts des Torhauses mit der Zugbrücke liegt
die Kornmühle, dahinter die Vorwerksgebäude.
Im Amtslagerbuch des Amtes Moisburg von 16 6448
heißt es zum Amtshaus: In dieser circumferentz lieget
das fürstl. Ambthaus Moysburgk ins Westen und ist
rings umbher von dem Estestromb beflossen. Hinter
dem Schloss lieget ein grosser Garten, so gleichergestaldt von dem Estestromb umbgeben. Das Ambthaus
an ihm selber ist mehrentheils ein altes Gebeuwde, so
fast auff die Clöster Ahrt gebauwet. Hat inwendig
einen vierteckigen Platz 24 Schritt49 langk und breit
und rings umbher ganz bebauwet, und vor dem
Hause lieget der Reysige Stall von 27 Pferden zu stel-
len. Jedoch hat der weil, durchlauchtigste Fürst und
Herr, Herr Wilhelm Hertzog zu Braunschwg. und
Lünebg. ein neuwes Gebeuwde mit feinen Logimenten zwerchsweyse über dem Platz aptieren lassen.
Am Damm, unmittelbar gegenüber dem Amtshaus,
lag laut der Beschreibung die Kornmühle von sieben
Fach Länge, die mit Dachpfannen gedeckt und deren
Fachwerk mit Ziegelsteinen ausgemauert war. Sie
besaß drei Grindel bzw. Mühlenräder und war mit
bauwfellige Gebeuwte, wie auch imgleichen die
Heuescheune von 9 Vachen, so mit Stroh gedecket,
der Ziegkoven mit Stroh gedecket von 3 Vachen.
Allernegst diesem steht der Reysige Stall mit Steinen
gedecket und Steinen gemauert, von (Zahl fehlt)
Vachen langk, worinnen irgentein 20 Pferdt gestellt
werden können. Bey dem Vorwerck sindt auch 3
Schafkoven (...). Auf dem zweiten Vorwerk in Ovel-
gönne, das einige Kilometer weiter nördlich lag, maß
das Vorwerksgebäude angeblich 19 Fach und war
ebenfalls mit Stroh gedeckt und enthielt zwei geringe
Stuben sowie zwei Kammern. Daneben gab es eine
Kornscheune von sieben Fachen und ein Backhaus
von fünf Fachen, die beide mit Stroh gedeckt waren.
Eine Akte ohne Datum, die vermutlich aus der Zeit
zwischen 1692 und 1694, also unmittelbar nach dem
Amtsantritt Ernst Andreas von Cronhelms stammt,
enthält eine recht genaue Beschreibung des Schlosses
sowie eine Beschreibung der Vorwerksgebäude.50 Die
Schlossgebäude scheinen zu diesem Zeitpunkt bereits
sehr baufällig gewesen zu sein. Beschrieben werden
die hölzerne Zaunanlage um das Schloss, das äußere
Tor mit Brücke, das innere Tor, der Hofplatz und die
ihn umgebenden Gebäude samt aller darin enthaltenen Räumlichkeiten sowie der Garten. Zum Zustand
der Gebäude heißt es: Das ausgemauer Nordost wie
auch Nordwestwerts ist biß auff die helfte massiv
gemauret, aber gantz verfallen und fast durchgehendts geborsten, theils auch übergesuncken. Die
daran gefügten Pfeiler sind meist verfallen. Der obere
theil biß unters dach in höltzern fachwerck gemauert,
wie woll gleichfals gantz verfallen, zwischen dem
zwei Stuben und einer Kammer ausgestattet. Der im
ersten und anderen Stockwerck gehet eine höltzerne
haus, liegende Krug wird mit sieben Fach Länge ange-
Ostwerts nach dem Garten zu ist auff die Helfte mas-
Norden, ebenfalls in unmittelbar Nähe zum Amts-
Dachrinne von etwa 34 Fuß lang. Daß gemauer
geben und war mit Stroh gedeckt. Seine beiden
siv gemauert in annoch zieml. Stande, hat einen
mauert. Im Inneren befanden sich eine Stube und eine
fachwerck gemauert und in ziemlichen Stande.
Giebel waren wie das Fachwerk mit Ziegeln ausgeKammer. Außerdem wird angemerkt, dass der Krug
nebenst dem Hause einen Keller im Berge habe. Die
am nördlichen Ende des Dammes liegende Papiermühle von acht Fach Länge verfügte nur über zwei
Räder, war jedoch ebenfalls hart gedeckt und mit ausgemauertem Fachwerk versehen. Der Damm selbst
war mit zwei Toren im Norden und Süden gesichert,
jedes 80 Paß oder kleine Schritte, also etwa 50 m von
der Brücke über den Schlossgraben entfernt. Der
Zugang zum Schloss wurde von einem weiteren Tor
und einer Zugbrücke gesperrt.
Zum Vorwerk führt das Amtslagerbuch aus: (...) lieget
allernegst dem Ambthause zwischen dem Thore ins
Süden hat 23 Vach mit Stroh gedecket, inwendig eine
Stube und Kammer, die Rogkenscheune allernegst
dem Vorwerck, 10 Vach, auch mit Stroh gedecket, die
Zehentscheune, 5 Vach, mit Stroh gedecket, die
Haberscheune, 7 Vach, mit Stroh gedecket, der Lange
Koven, 11 Vach, mit Stroh gedecket, seint sehr alte
Pfeiler noch gut. Der Obertheil biß unters Dach ist in
Zwischen dem Klockenthurm, dem Stockwerck und 2
außluchten hoffwerts sind auf dem dache von oben
biß unten kleinere Rinnen geleget.
Zum Reisestall neben der Kornmühle heißt es in der
Beschreibung: In der Länge 20 fach, ist rund umbher
mit Mauersteinen in höltzernen fachen gemauert,
sind mittelmäßigen Zustandes, muß aber außge-
schmieret werden. (...) Der giebel an beyden selten ist
gleichfals in fachwerck gemauret. Zur Straße hin besaß der Stall zwei Erker im Dach. Durch ein großes Tor
gelangte man auf eine Diele, die zur Hälfte mit Lehm,
zur anderen Hälfte mit Pflastersteinen belegt war. Im
hinteren Teil lagen die Standplätze für die Pferde. Auf
dem Boden darüber lagerten die Heuvorräte. Unmittelbar neben dem Reisestall lag der Ziegenkoven und
Pfandestall von drei Fachen Länge, dessen Wände
theils mit Leim, theils mit Busch, theils mit alten
Brettern bekleidet und der ebenfalls sehr baufällig
war.
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
Die drei gesonderten Beschreibungen des eigentlichen Vorwerks weichen stark voneinander ab. Dies
gilt sowohl für den Inhalt als auch für die stilistischen
Details. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass sie
von verschiedenen Verfassern stammen. Die erste
Beschreibung ist sehr kurz gehalten und zählt ganz
offensichtlich nicht alle vorhandenen Gebäude auf.
Die zweite Beschreibung ist nicht nur die ausführlichste, sondern auch die inhaltlich stimmigste. Sie deckt
sich zudem weitgehend mit der Beschreibung im
Amtslagerbuch von 1664. Ähnlich unvollständig wie
die erste scheint die dritte Variante zu sein, wobei
allerdings zwei anderswo nicht erwähnte Gebäude
aufgeführt werden.
Aus der zweiten und der dritten Beschreibung geht
hervor, dass das Vorwerksgebäude etwa 22 Fach lang
und mit Stroh gedeckt war.51 Die Außenwände waren
einer eisernen Stange zum Aufhängen des Kesselhakens, jedoch keinen Schornstein. In zwei Beschreibungen taucht ein Windfang aus Brettern und einer Tür
auf, bei dem es sich um eine Trennwand zur Diele
handeln könnte. Im Kammerfach befand sich mittig
die Wohnstube mit einem Ofen aus schwarzen
Kacheln und einem wandfesten Milchschapp mit 12
Fächern. Links und rechts befanden sich Kammern,
wovon eine als Milchkammer diente. In der westlichen Kammer gab es ein in das Fleeth gehendes, mit
Dielen bekleidetes Bettschap. Beide Kammern waren
mit Ziegelsteinen gepflastert. Des Weiteren gab es
eine Speisekammer und zwei weitere Kammern am
Flett, wovon eine als Schlafkammer diente. Sowohl
für das Flett als auch für die Räume des Kammerfachs
sowie einige kleine Kammern werden Fenster mit
Rauten erwähnt, was auf eine altertümliche, rauten-
größtenteils mit Ziegeln ausgemauert und die
förmige Bleiverglasung schließen lässt. Interessant ist
auch die Aufzählung von Inventar wie Bänke, Tische,
Schränke, Bettstellen, Hängeborde, Schüsselborde,
irdene und hölzerne Schüsseln, hölzerne Becher, ein
Feuerstülper, ein Wetzstein, ein Buxtehuder und ein
Harburger Maß, verschiedene Forken, Spaten, Leitern,
Schneideladen, Sägen, Pflüge, ein Kohleimer mit Stö-
Legbalken teilweise reparaturbedürftig. Der Zustand
des Innengerüsts wurde übereinstimmend als gut
bezeichnet. Zur Straße im Süden hin besaß das Haus
einen Steilgiebel und ein großes Tor. Links und rechts
des Tores führten kleinere Türen in die Pferdeställe.
Hinter den Pferdeställen folgten auf beiden Seiten der
Diele die Kuhställe. Über zwei Treppen am Eingang
und im Bereich des Fletts gelangte man auf den Boden. Etwa auf der Hälfte des Hauses befand sich in
der östlichen Längsseite ein weiteres Tor, das auf den
Hof führte. Direkt daneben lag ein aus alten Brettern
zusammen geflicktes Gesinde Bettlager. Das Flett war
ter, mehrere blecherne Laternen mit Hornscheiben
und diverses Bettzeug.
Bei der archäologischen Untersuchung des Vorwerk-
geländes im Sommer 2010 konnten Teile des Vorwerkhauptgebäudes und des angrenzenden Hofplatzes dokumentiert werden. Hierbei zeigte sich, dass es
mit Feldsteinen gepflastert. Die darauf stehende
Herdstelle besaß einen gewölbten Rauchfang mit
unmittelbar über dem Graben der spätmittelalterli-
chen Vorburg errichtet worden war. Um einen tragfä-
Rampe
für
Graben
Bagger
H
Rinderskelett
Teich
Profilsteg
PI. 2 mittlere
Höhe 11,05 m NN
’• J
Fundamente
des Vorwerkhauptgebäudes
Tränke
um 1503 (d)
1L
B
A
4 Übersichtsplan der Grabung auf dem Vorwerksgelände (Zeichnung: Jochen Brandt, Helms Museum 2011, mit Ergänzungen
des Verfassers).
113
114
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
higen Baugrund für den Neubau zu schaffen, hatte
man den Graben mit Sand aufgefüllt, in den man in
loser Folge frisch geschlagene Baumstämme und Altholz bettete. Trotzdem waren insbesondere die inneren Ständersteine des Gebäudes im Laufe der Zeit tief
in den Untergrund gedrückt worden. Im Bereich der
westlichen Außenwand konnte ein Legsteinpaar frei-
gelegt werden, das in eine Packung verdichteten
Dungs eingebettet war. Um ein weiteres Einsinken zu
verhindern, waren die Steine offensichtlich ausgegra-
ben und mit toniger Erde neu unterfüttert worden,
wobei man sie zusätzlich auf kurzgesägte Stücke hölzerner Eichenbohlen gesetzt hatte. Erwähnenswert
5 Hölzerne Substruktionen unter dem Hauptgebäude des
Vorwerks (2010).
sind außerdem zwei Skelette junger Rinder, die in
einer Grube nahe der westlichen Höftständerreihe,
unterhalb des ehemaligen Nutzungshorizonts deponiert worden waren. Vergleichbare Befunde lassen
den Schluss zu, dass es sich um ein Bauopfer gehandelt haben könnte.52
Als zum Vorwerk gehöriges Nebengebäude wird in
der ersten am Ende des 17. Jahrhunderts entstandenen Beschreibung lediglich ein Schafkoven von acht
Fachen Länge genannt, der von untüchtigen von der
Erden aufgehenden Schahren errichtet worden war,
wobei offen bleiben muss, ob es sich eventuell um
einen Pfostenbau handelte. Die Wände waren lediglich mit Busch gezeunet und umbher mit Klovenholz
besetzet. Das Dach befand sich in gutem Zustand,
hatte sich aber wegen der Absenkung der Schahren
verschoben. An jedem Ende befand sich ein Tor. Am
Westende war eine elende Stube mit Lehmwänden,
vier bleiverglasten Fenstern und einem aus dachpfannen zusammen geflickten Ofen als Schäferwohnung
eingebaut. Zudem gehörte ein kleiner Garten zu dem
6 Nachträglich angehobenes Ständersteinpaar des Vorwerkhauptgebäudes (2010).
Gebäude, das im Hinblick auf seine Zweckbestimmung recht großzügig bemessen war, dessen Lage
auf dem Vorwerksgelände sich jedoch nicht präzise
bestimmen lässt. Es kann allerdings ausgeschlossen
werden, dass es sich um einen der drei anderen
Schafställe des Vorwerks gehandelt hat, da diese weit
außerhalb Moisburgs lagen.
In der zweiten Beschreibung werden insgesamt acht
Nebengebäude genannt. Das Schweinehaus, das
gleichzeitig die Heuscheune beherbergte, wird mit
neun Fachen angegeben. Es besaß ein Tor zum Vor-
werk und ein Tor zum Misthaufen hin. Im Inneren
befanden sich mehrere mit Türen verschließbare
Ställe. Die Haberscheune von siebeneinhalb Fach
Länge besaß im Innern eine Dreschdiele, zwei Tore
und war teilweise etwas baufällig. Aufgrund der
Baudaten ist es wahrscheinlich, dass sie mit der sieben
Fach langen „Scheune" in der dritten Beschreibung
identisch ist. Der „Lange Koven", der als solcher
bereits in der Beschreibung im Amtslagerbuch von
7 Skelett eines jungen Rindes unter der westlichen Höftständerreihe des Vorwerkhauptgebäudes (2010).
1664 auftaucht, war laut der zweiten Beschreibung
1692 von einem Sturm zerstört worden. Es könnte
sein, dass er mit dem Schafkoven aus der ersten Be-
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
Schreibung identisch ist. Die Korn- und Rockenscheu-
re von zehn Fachen wird ebenfalls schon im
Amtslagerbuch genannt. Sie besaß laut der zweiten
Beschreibung an jedem Ende ein Tor und an der
Längsseite eine kleine Tür. Das Fachwerk der Außen-
wände war in der oberen Hälfte mit Flechtwerk und
Lehmbewurf versehen, die untere Hälfte hingegen
mit Ziegeln ausgemauert. Die Dreschdiele hatte man
im Innern zusätzlich mit alten Dielen abgekleidet. Das
Backhaus von drei Fach Länge war wie alle anderen
Vorwerksgebäude mit Stroh gedeckt. Die Wände
waren sämtlich mit Flechtwerk und Lehmbewurf aus-
gefacht. Darüber hinaus werden noch die drei
Schafställe Bergkofen, Forstkofen und Trünenkoven
aufgeführt. Bei letzterem wird bemerkt, dass er erst
vor einem Jahr (neu) gebaut worden sei. In der dritten
Beschreibung wird nur der auf dem Einbecker Berge
stehende Schafkoven erwähnt. Des Weiteren tauchen
in dieser Beschreibung ein verfallener Torfschauer und
ein Speicher auf dem Vorwerksgelände auf. Dieser
Speicher von fünf Fach Länge, der in keiner anderen
Beschreibung Erwähnung findet, lag offenbar an der
Stelle der späteren Heuscheune an der Bleiche.
Vielleicht war er sogar mit dieser identisch. Das Fachwerk des Speichers war größtenteils mit Ziegelsteinen
ausgemauert. Einige Wandfelder waren mit Busch
gezäunt oder notdürftig mit Brettern vernagelt. Seit-
lich befand sich eine Eingangstür. Als einziges der auf
dem Vorwerk genannten Gebäude besaß der Speicher einen Keller, der als „verfallen" beschrieben wird
und eine lehmbeschlagene Dielendecke besaß.53 Eine
Treppe führte auf den Dachboden. Der Ost- und der
Westgiebel waren oben verbrettert und jeweils mit
einer Luke versehen. Auf der nördlichen Seite des
Daches war zusätzlich ein Erker mit Luke eingebaut.
In der zweiten und dritten Beschreibung werden auch
zu den um das Vorwerk gezogenen, hölzernen Zäunen nähere Angaben gemacht. Demnach verlief ein
Zaun vom Hauptgebäude bis zum Tor am westlichen
Ende des Mühlendammes und von hier bis zu einem
Teich bzw. bis zum oben erwähnten Speicher. Ein wei-
terer Zaun führte von der Haferscheune um den
Darin heißt es u. a.: Das Moisburger Vorwerck sub No
8, welches an die 230 Fuß54 lang, ist durchgehends an
den gemauerten Fachen reparirt und theils neu gemauret, also das es jetzo in Fachen in ziemlichem
Stande ist. Am Dache, so von Natur sehr alt, ist an der
Südseite ein Th eil unten am Dache neu gedecket,
auch oben im Fasten zwei dritte Theil mit Heide neu
belegte. Die übrigen 2/5 Thei! oben im Fasten liegen
mehrentheils offen. Auch ist das Dach in specie an der
Nordseite sehr abgengig und verfallen, das auch ehestens eine neue Deckung nötig sein wirdt. Die sub No
6 benandte Kornscheure zu Moisburg ist an der Südseite unter dem Fasten entlang neu gedecket und der
Fasten mit Heide neu belegt. Der übrige Theil dieses
Daches aber ist sehr abgengig und veraltet, und ob es
zwar hin und wieder gestopfet, wird doch bald eine
Hauptreparation erfordert werden. Auch sind die Fächer ins Süden, theils mit alten Brettern zugenagelt,
theils so mit Steinen gemauert, baufellig, und theils,
so nur mit Busch gezeunet gewesen, ganz offen. Also
das diese Kornscheure in schlechtem Stande ist.55
Auf einer Karte von 1731, die anlässlich der Übergabe des Vorwerks an den neuen Meier erstellt wurde,
sind sowohl die Ländereien als auch die Amts- und
Vorwerksgebäude skizzenhaft dargestellt. Da für den
Zeichner lediglich der Zustand der bestellten Felder
von Belang war, ist die Abbildung recht ungenau ausgefallen.56 Ein Vergleich mit dem Situationsplan des
Condukteurs C. H. Havemann, der im Auftrag des
Oberlandbaumeisters Otto Heinrich von Bonn 1760
alle zum Amt Moisburg gehörigen Gebäude aufmaß,
stimmt jedoch weitgehend mit dieser Darstellung
überein. Ein Großteil der Gebäude, die in den
Beschreibungen des 17. Jahrhunderts erwähnt wer-
den, war offenbar noch immer vorhanden, wobei
allerdings keine genauen Aussagen zu möglichen
Um- und Neubauten, die in der Zwischenzeit erfolgt
waren, getroffen werden können. Die häufigen
Hinweise auf Bauschäden und Reparaturen lassen
darauf schließen, dass es erhebliche Veränderungen
an den Gebäuden gegeben haben muss. Spätestens
mit der deutlichen Zunahme des Viehbestandes in der
Misthaufen hinter dem Schweinestall herum. Daran
schloss sich ein Zaun an, der bis an den Ziegenstall
reichte. Auch die Gärten des Vorwerks sowie der
Dröge Hof an der Ausfallstraße nach Rahmstorf wa-
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dürfte eine Erweiterung der Stallungen auf dem Vorwerk notwen-
ren von Zäunen umgeben. In diesen Zäunen befanden
sich entweder Tore oder Gatter in Form eines Heck.
Maßnahmen. Bereits in den Jahren zwischen 1692
und 1711 hatte man das baufällige Schloss abgebrochen und an seiner Stelle das zu großen Teilen noch
heute stehende Amtshaus errichtet.57 Vom Altbau
blieb lediglich der Keller des 1639 errichteten Süd-
Amt und Vorwerk im Zeitalter der Aufklärung
Der Unterhalt der großen Vorwerksgebäude, von
denen die meisten in den feuchten Niederungen der
Este lagen, war kostspielig. 1707 verfasste ein unbekannter Schreiber auf dem Amt Harburg einen Bericht
an die kurfürstliche Kammer, in dem er die zuvor
erfolgten Reparaturen an den drei Papiermühlen und
zwei Vorwerken in und bei Moisburg beschreibt.
dig geworden sein.
Dies korrespondierte mit anderen baulichen
ostflügels erhalten. Dem zeitgenössischen Geschmack
entsprechend lagen die Gebäude um einen zentralen
Hof gruppiert, der sich nach Nordwesten hin öffnete.
Das zweistöckige Hauptgebäude mit den Wohnräumen des Amtmanns und seiner Familie wurde mittig
angeordnet. Im Osten und Westen entstanden jeweils
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116
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Situationsplan von Amtshaus und Vorwerk. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karten Nr. 32 g Moisburg 1 pm).
,/luii^l i/uJ mfilik/i.ihiilhiiiijt inSzn
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L f rof'ids'Jürci'L 'dict^o ntbc/i'^’cu^iJ.r f fncr MÜtr
9 Vorderansicht und Schnitt des Amtshauses. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karten Nr. 33 g Moisburg 3 pm).
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
eingeschossige Seitenflügel, wovon der eine laut Bau-
aufnahme von 1760 die Brennerei und die Brauerei
und der andere die Amtstube, die Pferdeställe und
das Gefängnis aufnahm. Davor stand, leicht abge-
rückt, das Backhaus.58 Um statischen Problemen vorzubeugen und die Baukosten zu begrenzen, wurden
die Gebäude fast zur Gänze in Fachwerk errichtet.
Lediglich das Kellergeschoss wurde unter Verwendung von Felssteinen und Ziegeln massiv aufgeführt.
Der Architekt des neuen Amtshauses ist bislang unbe-
kannt, aber der Vergleich mit anderen zeitgenössi-
schen Gebäuden ähnlicher Funktion lässt die
Annahme zu, dass der Geller Hofbaumeister Johann
Caspar Borchmann dabei federführend wirkte.59
Die Kornmühle wurde 1723, nur gut 100 Jahre nach
der Erbauung durch Herzog Wilhelm, unter Verwendung älterer Bauhölzer ebenfalls vollständig erneuert.60 Der Reisige Stall und der Ziegenstall scheinen
schon 1731 nicht mehr existiert zu haben. Auf der
Karte von 1731 und 1760 tauchen lediglich das Vor-
werck, die Alte Scheune, die Neue Scheune, das
Schweinehaus, die Heuscheure, die Kornmühle mit
drei Nebengebäuden sowie ein kleineres, nicht näher
bezeichnetes Gebäude nordwestlich des Vorwerks
auf. Der von Havemann gezeichnete Grundriss des als
Vb/werck bezeichneten Hauptgebäudes stimmt in seinen Maßen und von der Innengliederung her weitge-
hend mit den Beschreibungen des 17. Jahrhunderts
überein. Im Prinzip handelt es sich um ein überdimen-
sionales Niederdeutsches Fachhallenhaus in Zweistän-
derbauweise.6' Ob die Alte Scheune, eine Durch-
gangsscheune in Dreiständerbauweise, mit der
Haberscheune identisch war, muss dahingestellt bleiben. Laut des Grundrisses von 1760 war sie vier Fach
länger als diese. Bei der Neuen Scheune handelte es
sich ganz offensichtlich um einen Nachfolgebau der
auf dem Merianstich von 1654 abgebildeten und im
17. Jahrhundert mehrfach beschriebenen Korn- und
Roggenscheure. Im Gegensatz zu dieser besaß die
Neue Scheune an der Straßenseite keinen Steilgiebel
mehr, sondern nur mehr einen Walm. Darüber hinaus
war der 16 Fach lange Dreiständerbau mit westseitiger Kübbung deutlich länger als die Korn- und Roggenscheure. Möglich wäre auch eine Verlängerung
des Altbaus. Die Größe des von Havemann gezeichneten Schweinehauses stimmt zwar mit den Maßen
des 17. Jahrhunderts überein, allerdings zeigt der
Merianstich einen Wandständerbau, während sich
das 1760 dokumentierte Gebäude als Zweiständer-
bau mit beidseitigen Kübbungen präsentiert. Die
Heuscheune auf der anderen Seite des Mühlendammes ist vermutlich ebenfalls ein Neubau des 18. Jahrhunderts. Die Frage, ob darin noch Teile des in einer
älteren Beschreibung erwähnten Speichers vorhanden
waren, ist auf Grundlage der vorliegenden Pläne nicht
Cii'iuii'JiUsm JniJliidhiiuü udni Misburg
,. ißi ßO'i MjidlßlU^ ‘adhill u Juftmijrdithli bJtubi^ür arlluiiufui fuhr t Jihlof-Xtimnur. 3 Qdind i iairßmanrdrliußjtubt fMtdr Jfuninier q Jtdon hi
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hriudiuüjf r'iit hntb'ßfuiinc i)' diuniapuni abxuhlui f. ‘JicJtulh 'Darre Diehle.Jfa/X3aDrueiineifltrj-Jliibe i.’ni)Jia/mntr.//'-".(// derßen. .Suniuic
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10 Grundriss des Amtshauses. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karte 33 g. Moisburg 4 pm).
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
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j'Jiniifll/iil.nvfitl Jiißt ron Jcrpia.uiuidtii.plltn Jchairt./dhidl Ji'Hii Jlroj'di Jlidilt l fianliiL Jlaäni
C t.ll'Wli) iinl fyvfdjlipC ran Sen fchirdm Jlaufrc e/dhäll ■nJitfuHcr'jlü/dt r Jdnyuti Jun, er ]J vanft JfulJt
Jl l.rrmJ'iuUJJoJil Jufic TvnJtnJo ncnuiduL firn, Jdiatif Jiin'UL nahe an JJaidniiv.
11 Grundrisse und Schnitte des Vorwerkhauptgebäudes, der Alten Scheune, des Schweinehauses und eines Außenschafstalls.
Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karte 33 g. Moisburg 5 pm).
12 Grundrisse und Schnitte der Neuen Scheune, des Backhauses, der Heuscheune und zweier Außenschafställe. Zeichner. C.
H. Havemann, 1760 (HStAH Karten Nr. 33 g Moisburg 6 pm).
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
13 Das neue Vorwerkhauptgebäudes aus der Zeit um 1912.
zu beantworten. Eine Beschreibung von 1767 nennt
das Gebäude als Heu- und Torfspiecker, was zumindest auf eine ähnliche Funktion deutet. Bei den drei
Schafställen handelte es sich den Grundrissen nach zu
urteilen um Zweiständerbauten mit beidseitiger Kübbung und Höftständern, die nutzungsbedingt auf einzelne Legsteine gesetzt waren. Größere Unterschiede
zu den zeitgenössischen bäuerlichen Schafställen bestanden scheinbar nicht.62
hatte man abgebrochen. An der südöstlichen Ecke
war 1786 einen 541/2 x 13 Fuß messender Anbau für
Ackergerätschaften angefügt worden.63 Bei der
archäologischen Untersuchung des Geländes im
Sommer 2010 konnte ein Fundament aus kantig
behauenen Felssteinen freigelegt werden, das diesem
Anbau zuzuordnen ist. Zudem konnte festgestellt
werden, dass auch die Fundamente der übrigen
Außenwände teilweise erneuert und mit einem sorg-
Zwischen 1767 und 1795 entstand auf dem Drögen
Hof am westlichen Ende des Mühlendammes ein
neues Vorwerkgebäude mit einem Kuh- und Kälberstall von 145 Fuß Länge und 5116 Fuß Breite, an den
in rechtem Winkel eine „Wasch- und Schlachtdiele"
und der Wohnteil für den Hofmeier von 54 Fuß Länge
und 40 Fuß Breite angebaut wurde. Fotografien aus
der Zeit um 1912 zeigen ein repräsentativ wirkendes
fältig gesetzten Rollsteinpflaster gesäumt worden
waren. Die Diele des Hauses war erneut mit Lehm
aufgeschüttet worden, wodurch es offenbar nötig
wurde, das Innengerüst mit behauenen Legsteinen,
Fenstern. Hinter dem Gebäude schloss sich ein großzügiger Garten mit einer neuen Heuscheune an. Die
alte Heuscheune wurde nur noch als Torfschuppen
verwendet, wohingegen die Alte Scheune schon nicht
mehr existierte.
Umbauten des späten 18. Jahrhunderts nicht auf das
Fachwerkgebäude mit hohen Seitenwänden und
Die Reste des alten Vorwerkgebäudes wurden in einer
Beschreibung von 1799 nur mehr als Mistige Scheune
bezeichnet und dienten als Stall für Ackerpferde,
Ochsen und Jungvieh. Die nördliche Hälfte des Hauses
mit dem Kammerfach und die westliche Kübbung
die auf der Oberseite Vertiefungen für das Einsetzen
der Höftständer aufwiesen, neu zu unterfangen. Der
Zustand des Gebäudes wird in der Beschreibung von
1799 als „mittelmäßig" bis „schlecht" bezeichnet.
Ähnlich wie in früheren Zeiten wurde auch bei den
Können der Bauleute allein vertraut: Unter dem
Fundament des Anbaus fand sich erneut ein mutmaß-
liches Bauopfer, dieses Mal in Form eines jungen
Schweins.
Die anderen Gebäude des Vorwerks und des Amts-
hauses waren bis auf vereinzelte Reparaturmaß-
nahmen nahezu unverändert geblieben. Lediglich das
Backhaus war 1786 neu erbaut und vergrößert worden. Interessant ist die Erwähnung von drei Röhren
119
120
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
14 Ausschnitt einer Karte von Amtshaus und Vorwerk. Zeichner: WallisA/olborth, 1838/1842 (HStAH Karten Nr. 32 g
Moisburg 3 pm).
(Holzleitungen) und einer Zucke (Handpumpe) in den
Von Hinüber, der seit 1851 Vorstandsmitglied des
Brauerei und die Mälzerei mit Wasser versorgte. Eine
weitere Zucke befand sich im Amtshaus, sehr wahrscheinlich in der Küche an der Ostseite des Gebäudes.
Landdrosteibezirk Lüneburg war, gründete nach der
Verwaltungsreform von 1852 den Landwirtschaftlichen Filial-Verein Tostedt und übernahm gleichzeitig
dessen Vorsitz.67 Zweck des Vereins war es, die Einführung der an Landwirtschaftsschulen und landwirtschaftlichen Versuchsanstalten entwickelten Methoden in den Bereichen Ackerbau und Viehzucht zu fördern.68 In dieser Funktion wirkte von Hinüber maß-
Berichten von 1799, welche die Brennerei, die
Erwähnenswert ist zudem die erstmalige Nennung
einer Feuerspritze und anderer Feuergeräthe, die in
der Zehntscheune untergebracht waren.64
Auswirkungen der Verwaltungs- und
Agrarreformen
Unter der Ägide des Amtmanns und Landesökonomierates Carl Anton Ludwig von Hinüber kam es zu
tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der
Landwirtschaft auf dem Vorwerk. 1840 kaufte der
Fiskus einen Hof in Podendorf an. Das dortige Hofgebäude wurde auf das Voßfeld zwischen Grauen und
Moisburg versetzt, wo durch die zusätzliche Kulti-
vierung von Heideland ein weiteres Vorwerk mit dem
Namen Ruhmannshof entstehen konnte.65 Durch die
Begradigung der Este und die Einrichtung von Rieselwiesen war es schon im ausgehenden 18. Jahrhundert gelungen, die Erträge aus der Grünlandwirtschaft
erheblich zu steigern. Weitere Futtermittel wurden
u. a. durch den Anbau von Spörgel gewonnen.66 Im
Gegenzug wurden die Schafhaltung zurückgefahren
und die zugehörigen Schafställe sukzessive aufgegeben.
Landwirtschaftlichen Provinzialvereins für den
geblich bei der angesichts der fortschreitenden
Industrialisierung dringend notwendigen Modernisierung der regionalen Landwirtschaft mit.
Die auf einer 1842 überarbeiteten Kopie eines 1830
angefertigten Plans, der die Verhältnisse wiedergibt,
zeigt noch weitgehend den alten Zustand des
Vorwerkgeländes. Der nördliche der beiden Fischteiche war bereits weitgehend verfüllt worden und
diente lediglich noch als Umfluter bei Hochwassern
der Este. Die mistige Scheune wurde mittlerweile nur
noch als Schafstall genutzt und der Müller hatte sich
mittlerweile eine neue Scheune anstelle eines kleineren Vorgängers neben der Mühle errichten lassen. Auf
dem Drögen Hof waren offenbar weitere Neubauten
vorgesehen, die jedoch nur teilweise zur Ausführung
kamen.69
Nachdem Carl Anton Ludwig von Hinüber 1859
gestorben war, wurde das Amt nach Tostedt verlegt.
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
15 Blick über das Grabungsgelände nach Westen. Im Vordergrund die Fundamentreste des alten Vorwerkhauptgebäudes, im
Hintergrund der ehemalige Kuhstall der Domäne aus der Zeit nach 1862 (2010).
Das Vorwerk in Moisburg blieb als staatliche Domäne
erhalten. Das Amtshaus wurde Sitz des Domänenpächters. Der erste Pächter war der Sohn des letzten
Amtmanns in Moisburg, Gerhard Georg Carl Friedrich
von Hinüber. Ihm folgte 1869 Anton Karl Eduard
Wilhelmi.70 In dieser Zeit wurde dem ehemals streng
symmetrisch aufgeteilten Barockgarten des Amts-
hauses ein parkähnlicher Charakter nach englischem
Vorbild verliehen. Gravierender waren jedoch die Ver-
änderungen auf dem Vorwerksgelände. Laut eines
Verzeichnisses von 1870 waren dort neben dem
Hauptgebäude ein Federviehstall, ein Wagenschauer,
ein vermutlich nach 1862 errichtetes Viehhaus (Kuhstall) und die alte Zehntscheune vorhanden. Wilhelmi
wurde bei der Übernahme dazu verpflichtet, einen
Schweinestall und einen Pferdestall neu zu errichten.
In einem an den Pächter gerichteten Schreiben des
Landbauinspektors Schwägemann vom 3. September
1870 wird erwähnt, dass man bei einer Besichtigung
des Vorwerks festgestellt habe, dass das neue
Schweinehaus bereits stünde und der Pferdestall etwa
zur Hälfte fertiggestellt sei. Auf der Urkatasterkarte
von 1872 sind dann beide Gebäude bereits verzeichnet. In einem Schreiben an die Domänenkammer in
Hannover vom 18. September 1872 monierte Schwä-
gemann jedoch, dass man beim Neubau des Pferdestalles nicht berücksichtigt habe, dass zuvor ein
durchgehendes Gefälle Richtung eines auf dem Vor-
16 Das Vorwerkgelände auf der Urkatasterkarte von 1872.
Zeichner: unbekannt, (HStAH Karten Nr. 32 g Moisburg Bd.
45).
werksgelände liegenden Teiches existiert habe, durch
das die Niederschläge abgeleitet und das Hofgelände
trocken gehalten worden sei. Weiter heißt es: Nach
der Ausführung des Neubaues, welcher zur Trockenlegung auf einer hohen Auffüllung vorgenommen
werden mußte, hörte jeder Abfluß auf und es wird
seitdem das in eine Niederung verwandelte
Hofterrain, da jedwede Ableitung fehlt, bei irgendeinem starken Regengüsse In einen völligen See und
121
122
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Sumpf verwandelt. Auf Vorschlag des Bauinspektors
hin wurden daraufhin Gossen entlang der Gebäudetraufen angelegt, um das Wasser abzuleiten.71 Bei den
archäologischen Untersuchungen des Sommers 2010
konnte festgestellt werden, dass der Boden um rund
einen Meter erhöht worden war, womit eine Niveauangleichung an das umliegende Gelände und den
Mühlendamm erfolgte. Die zusammenhängende Hof-
fläche des Vorwerks war mit Abschluss der Baumaßnahmen um etwa das Doppelte gegenüber dem
Zustand von 1760 gewachsen.
Das Ende der Domäne im 20. Jahrhundert
1925 umfasste die Domäne Moisburg eine Fläche von
374,6 ha und zusätzlich 1,1 ha Erbbauland. Sie war
damit hinter der Domäne Kattwyk der zweitgrößte
derartige Betrieb im Kreis Harburg.72 Nach dem Tod
des letzten Domänenpächters Friedrich Wilhelmi am
30. Januar 1928 wurde jedoch entschieden, die
Domäne aufzulösen und die zugehörigen Grund-
stücke zu parzellieren, um Kleinbauern, Handwerkern
und Gewerbetreibenden den Erwerb von Land zu
ermöglichen. Die Wirtschaftsgebäude des Vorwerks
wurden größtenteils zu Wohnhäusern umgebaut. Die
Zehntscheune war bereits 1921 abgebrannt und
durch einen als Schwarze Scheune bekannten Neu-
bau ersetzt worden. Das Amtshaus wurde an den
Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) verkauft, der es als
Jugenderholungsheim nutzte. Den Brenn- und Braubetrieb hatte man bereits einige Zeit zuvor aufgrund
mangelnder Rentabilität aufgegeben. Nachdem der
ASB 1933 unter nationalsozialistischer Herrschaft auf-
gelöst worden war, fiel die Liegenschaft erneut an
den Fiskus.73 1937 wurde der östliche Seitenflügel
17 Gebäude am westlichen Ende des Mühlendammes, ca. 1920. Im Vordergrund die Mühle und die Zehntscheune, im
Hintergrund der Pferdestall und das Hauptgebäude der Domäne.
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
18 Das Amtshaus kurz vor dem Abbruch des nordöstlichen Seitenflügels, 1937.
wegen Baufälligkeit abgebrochen, 1957 musste der
westliche ebenfalls niedergelegt werden. Seit 1942
war im mittleren Trakt die Dorfschule untergebracht.
1945 ging das Gebäude vorübergehend in den Besitz
des Landkreises Harburg über, bevor 1955 die
Gemeinde Moisburg Eigentümer wurde.74 1980 bis
1983 wurde das mittlerweile stark baufällige Amtshaus grundlegend saniert und anschließend kommunalen Zwecken zugeführt. Leider wurde hierbei versäumt, bauhistorische und archäologische Untersu-
chungen durchzuführen, sodass viele Fragen zur
ursprünglichen Gestaltung der Innenräume und zum
Vorgängerbau bis heute ungeklärt sind.75 Drei Jahre
später konnte auch die bis 1973 betriebene Korn-
mühle nach aufwändiger Renovierung der Öffentlichkeit übergeben werden. Heute ist sie eine Außenstelle
des Freilichtmuseums am Kiekeberg.76 Während das
Hauptgebäude der Domäne schon in der Nachkriegszeit abgebrochen worden war, folgte 2009 auch der
ehemalige Pferdestall, sodass heute nur mehr die um
1870 errichteten und mittlerweile vollständig zu
Wohnzwecken umgebauten Gebäude des Kuh- und
des Schweinstalls übrig geblieben sind.
Resümee
An der baulichen Entwicklung von Amtshaus und
Vorwerk in Moisburg zeigt sich exemplarisch, wie eng
Wohnen, Administration, Land- und Hauswirtschaft
an hannoverschen Verwaltungsstandorten verzahnt
sein konnten. Eine klare räumliche Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche gab es bis ins 19. Jahrhundert nicht. Ebenso deutlich wird die Entwicklung
des Vorwerks von einem Wirtschaftshof, der lediglich
zur Eigenversorgung einer Burgbesatzung diente, hin
zu einem landwirtschaftlichen Großbetrieb, der im
Zuge des Ausbaus der landesherrlichen Verwaltung
im 16. und 17. Jahrhundert entstand und klar auf die
Erwirtschaftung von Überschüssen zugunsten der
Staatskasse ausgelegt war. Seine größte wirtschaftli-
che Bedeutung erreichte der Amtshaushalt im 18.
Jahrhundert. Im zeitgenössischen Gebäudebestand
zeigt sich, dass trotz steigender Ernteerträge und
Viehstückzahlen versucht wurde, die Anzahl der
Wirtschaftsgebäude bei Neubauten zu reduzieren.
Hierbei spielt sicherlich das Bestreben, angesichts
knapper werdender Holzressourcen sparsamer zu
bauen, eine nicht unerhebliche Rolle.77 Die rasche
Einführung der Massivbauweise in der Mitte des 19.
Jahrhunderts und die räumliche Ausweitung des
Vorwerks sind weitere Indikatoren für einen raschen
Wandel in der Struktur des Betriebes. Nach dem politischen Bedeutungsverlust Moisburgs folgte Anfang
des 20. Jahrhunderts auch der wirtschaftliche Niedergang, welcher schließlich zur endgültigen Auflösung der Domäne sowie zum Verfall oder zur Umnutzung des zugehörigen Gebäudebestandes führte.
123
124
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
(wie Anm. 4), Nr. 1117.
1 Willi Meyne, Die ehemalige Hausvogtei Moisburg. Die Ge-
24 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 17.
schichte ihrer Dörfer und Höfe. Buxtehude 1936, S. 63.
25 Dieter Matthes, Die welfische Nebenlinie in Harburg.
2 Klaus Richter, Historisch-archäologische Untersuchungen
Untersuchung über Entstehung und Rechtsform einer fürst-
zur Geschichte der Sinstorfer Kirche, in: Harburger Jahrbuch
lichen Abfindung zu Beginn des 16. Jahrhunderts (Veröffent-
1968/72, Band 13. Hamburg-Harburg 1973.
3 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 14f. Hans-Joachim Behr, Die
lichungen des Helms-Museums. Nr. 14). Hamburg-Harburg
1962, S. 64ff.
Pfandschlosspolitik der Stadt Lüneburg im 15. und 16. Jahr-
26 Die Holzherrschaft lag ursprünglich beim Winsener
hundert. Lüneburg 1964, S. 123
Amtmann und ging erst mit Abschluss des Erbvertrages von
4 Dietrich Kausche, Regesten zur Geschichte des Harburger
1560 an die Nebenlinie in Harburg über, s. Matthes 1962
(wie Anm. 25), S. 95.
Raumes 1059 bis 1527 (= Veröffentlichungen aus dem
5 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 15.
27 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 35; Günther Franz, Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Lüneburg (Veröffentlichungen des Niedersächsischen Amtes für Landes-
6 vgl. Kausche 1976 (wie Anm. 4), Nr. 292.
planung und Statistik, Band 54). Bremen-Horn 1955, S. 33.
7 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 16. Willi Meyne, Briefe Mois-
28 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 35, 261.
burger Schlosshauptleute an den Rat der Stadt Lüneburg, in:
29 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 136.
Harburger Jahrbuch. VI. 1956, S. 90-106, hier S. 92.
30 HStA Celle Or. 1 Nr. 186: Specificatio, Anschlag undt Ver-
8 Vertrag vom 19. Juni 1379, nach H. Sudendorf, Urkunden-
zeichnis aller Erbstücke, Erb: undt Erbgerechtigkeit zu dem
buch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lü-
Fürstlichen Hause Harburgk gehörig (...)
neburg und ihrer Lande, fünfter Teil. Hannover 1865, Nr.
31 Urban Friedrich Christoph Manecke, Topographisch-his-
157, S. 193f.
torische Beschreibungen der Städte, Aemter und adelichen
9 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 16.
Gerichte im Fürstenthum Lüneburg. Erster Band. Celle 1858,
10 Meyne 1956 (wie Anm. 7), S. 92f.; Behr 1964 (wie Anm.
S. 206; Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 247.
Staatsarchiv der freien und Hansestadt Hamburg, Band 12).
Hamburg 1976, Nr. 165, Nr. 170.
2) , S. 123.
11 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 177, 187.
32 Christian Ludwig Albrecht Patje, Kurzer Abriß des
Fabriken-, Gewerbe- und Handlungszustandes in Chur
12 Artur Konrad Förste, 38 neue Forschungen und Quellen
zur Geschichte und Ortsnamenkunde der Buxtehuder Geest.
Braunschweig-Lüneburgischen Landen. Göttingen 1796, S.
Buxtehuder Blätter, Band 6. Moisburg 1995, S. 292ff.
13 Es handelt sich entweder um Scharmbeck bei Winsen/
und Heinrich Meyer (Hg.), Zwischen Elbe, Seeve und Este. Ein
Luhe oder Scharnebeck bei Lüneburg.
1925, S. 291-328, hier S. 304; Meyne 1936 (wie Anm. 1), S.
14 Vermutlich ist die Einsaat auf den zum Vorwerk gehören-
129.
den Feldern gemeint.
15 Bereits 1442 werden Hopfenlieferungen von Lüneburg
nach Moisburg erwähnt, was auf den Betrieb einer Brauerei
zu diesem Zeitpunkt schließen lässt, s. Meyne 1956 (wie
Anm. 7), S. 99.
16 Meyne 1956 (wie Anm. 7), S. 93ff.; Behr 1964 (wie Anm.
3) , S. 123f.
17 Meyne 1956 (wie Anm. 7), 100f.; Behr 1964 (wie Anm.
113; Willi Meyne, Das Kirchspiel Moisburg, in: Heinrich Laue
Heimatbuch des Landkreises Harburg, Band 2. Harburg
33 Rudolf Meier, Die Braunschweig-lüneburgische Münzstätte Moisburg und ihr letzter Münzmeister Wilhelm Quensel (1627-1629) (= Bremer Beiträge zur Münz- und Geldgeschichte, Band 6). Bremen 2009, S. 127-140, hier S. 128ff.
34 Die Anfang des 18. Jahrhunderts eingerichtete Brannt-
weinbrennerei spielte durch den Anfall von nahrhafter
Schlempe bei der Produktion eine nicht unbedeutende Rolle
bei der Schweine- und Rindermast, weshalb an der Außen-
3), S. 124f.
seite des Nordostflügels des Amthauses ein entsprechender
18 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 125.
Stall angebaut war.
35 Ein landesherrlicher Vollhöfner musste im Amt Moisburg
19 Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 273, 312f.
20 Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 314ff.
21 Das Hakelwerk, des -es, plur. die -e, ein mit der Sache
selbst nur in Niedersachsen übliches Wort, eine Art der Befriedigung um Häuser zu bezeichnen, wo über einem Zaune
jährlich 104 Spanntage, vier Vierzeitenfuhren, einen Ernte-
spanntag, einen Mehetag und einen Bindeltag leisten. Ein
Großkötner musste hingegen jährlich 104 Handtage, einen
Zehntfuhrtag, einen Bindeltag, einen Bansetag auf dem
oder Plankenwerke, zwischen mehrern langen kreuzweise in
Vorwerk und vier Köterpflugtage leisten. 1777 wurden diese
die Erde geschlagenen Pfählen, ganze Fuder Busch- oder
Reißholz geleget werden. Hakel bedeutet hier vermuthlich so
weitere, unregelmäßige Dienste wie Landfolge, Jagdfolge,
viel als Hecke, gleichsam Heckenwerk. Daher der Hakelpfahl,
einer von den langen spitzigen Pfählen, zwischen welchen
dieses verwüstende und gefährliche Bollwerk lieget. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 906.
22 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 126f.
23 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 129, 190ff.; Kausche 1976
Dienste in Geldabgaben umgewandelt. Es gab jedoch noch
Amtsfolge und Burgfestendienste, die weiterhin in natura
abgeleistet werden mussten. HStA Hann. 74 Tostedt Nr. 109:
Verzeichnis des statt der Naturalherrendienste im Amt
Moisburg aufgesetzten Dienstauf- und Neuendienstgeldes
1777.
36 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 39f., 136.
37 HRE. = Himten Roggen Einfall, 1 HRE. entsprach in
Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg
Moisburg etwa 2,5 Morgen oder 0,6 ha. Eine recht gute
Übersicht über die Hofgröße vermittelt das Moisburger
Papiermühlen, der Ovelgünder, Moisburger Vorwerker betr.
Amtslagerbuch von 1664. HStA Hann. 74 Harburg Nr. 1893.
1707.
38 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 41. Im 18. Jahrhundert war
56 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 250 K/86 pk: Ohn-
es im Amt Moisburg üblich, ein Jahr lang Buchweizen, drei
Jahre lang Roggen und drei Jahre lang Hafer auszusähen,
bevor man die Äcker sechs bis sieben Jahre lang brach liegen
ließ, vgl. Nils Kagel, Chronik der Gemeinde Wenzendorf
(= Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Band 67).
Ehestorf 2010, S. 73f.
39 vgl. HStA Hann. 74 Harburg Nr. 1893: Moisburgisches
Ambtslagerbuch de Anno 1664. Meyne 1936 (wie Anm. 1),
S. 46, 48, 59f. Dietrich Kausche, Harburger Erbregister von
1667. Ein Dokument zur Geschichte des alten Amtes
Harburg, seiner Dörfer, Höfe und Bauern (= Veröffentlichungen des Vereins für hamburgische Geschichte, Band
21). Hamburg 1987, S. 100.
40 Es handelte sich um Schweine, die von abgabepflichtigen
Bauern geliefert wurden.
41 Die Pfingstbötlinge (Hammel) und Zehntlämmer kamen
ebenfalls von abgabepflichtigen Bauern.
Besichtigung der Moisburger, Appelbecker, Starsbecker
gefehrlicher Entwurf und Abriß der bey dem Vorwerk
Moisburg gehörigen Wiesen und Ländereien; auch wie diese
Letzteren 1. Maji 1731 von dem Verwalter Roggemann bestellt gefunden und seinem Successori Lehnhardt überliefert
worden sind. Zeichner unbekannt.
57 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 38. Das Amtshaus ist 1711
anstatt des damals abgebrochenen alten Schlosses erbaut
worden. D. Anton Friderich Büsching, Neue Erdbeschreibung. Zehnter Teil. Schaffhausen 1768, S. 2294.
58 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 33g Moisburg 4 pm:
Grundriss von den Amthause und beyden neben Fügeln zu
Moisburg, 1760, Zeichner: C. H. Havemann
59 Vgl. Hermann Mewes, Der lutherische Kirchenbau
Niedersachsens unter besonderer Berücksichtigung der
Baumeister des Konsistoriums Hannover. Diss. Hannover
1943. Hg. und kommentiert von Stefan Amt. Hannover
1994.
42 Vieh-Verzeichnis des Vorwerks beim Schloß Moisburg
vom 14.12.1616, zit. n. Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 334f.
43 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 40.
44 HStA Celle Or. 1 Nr. 186 (wie Anm. 30).
ten des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Band 18). 2. Aufl.
Ehestorf 1995, S. 5.
Vorwerk bis zu seinem Tod im Jahre 1739.
de waren keinesfalls ungewöhnlich. Im benachbarten Amt
Harburg wiesen die Hauptgebäude der Vorwerke 1667 zwischen 15 und 21 Fachen Länge auf. Das Hauptgebäude des
45 Ernst Andreas von Cronhelm bewirtschaftete das
46 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 40.
47 Zit. n. Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 272f.
48 HStA Hann. 74 Harburg Nr. 1893 (wie Anm. 39).
49 24 Schritt = 18,70 m
50 HStA Hann. 74 Tostedt Nr. 48: Verzeichniß aller und jeder
zu dem Amthause und Vorwerke Moisburg gehöriger Gegenstände. sine dato. Für die Datierung spricht die Tatsache,
dass im Verzeichnis die Jahreszahl 1692 in Zusammenhang
mit der Zerstörung des Langen Kovens durch einen Sturm
erwähnt wird und für 1694 bereits erste Abbrucharbeiten
am Schloss verbürgt sind, vgl. Meyne 1936 (wie Anm. 1), S.
38.
51 Die erste Beschreibung gibt die Länge des Vorwerkgebäudes mit nur elf Fachen an. Es heißt darin, dass die Außen-
wände komplett mit Flechtwerk und Lehmbewurf versehen
seien. Außer der Diele und den Räumen im Kammerfach
werden keine weiteren Räume genannt. Unklar bleibt, ob
hier evt. ein älterer Zustand beschrieben wird.
52 Vgl. u. a. Hartmut Bock, Die archäologische Untersuchun-
gen im Bereich des Wohnstallhauses von 1786 auf dem Hof
Nr. 3 in Maxdorf, in: Maxdorf in der Altmark. Lebensbild
60 Rolf Wiese, Museumsführer Moisburger Mühle (= Schrif-
61 Größe und die Bauweise des Moisburger Vorwerksgebäu-
Vorwerks Hörsten umfasste einschließlich des zweistöckigen
Wohnteils sogar eine Länge von 29 Fachen, vgl. Kausche
(wie Anm. 39), S. 60ff.
62 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 33 g. Moisburg 5 pm:
Zeichnungen von denen Haushalts- und Vorwercks Gebäu-
den zu Moisburg, 1760, Zeichner: C. H. Havemann. - HStA
Hann. Kartensammlung Nr. 33 g Moisburg 6 pm: Fernere
Zeichnungen von denen Haushalts und Vorwercks Gebäuden zu Moisburg, 1760, Zeichner C. H. Havemann. - HStA
Hann. 76a Nr. 371: Verzeichnis der in den hierin benannten
Fürstenthümern, Grafschaften und Herzogthümern befindli-
chen Schlösser, Amthäuser, Amtschreiber-, Amtsunterbe-
dienten, auch Försterwohnungen, dazu gehörigen Vorwercks- und Haushaltsgebäude, auch Wasser und Windmühlen, 1767.
63 HStA Hann. 76a Nr. 413: Verzeichnisse der gesamten
herrschaftlichen Gebäude und Bauwerke in den Ämtern des
Fürstentums Lüneburg, 1799.
64 HStA Hann. 76a Nr. 413 (wie Anm. 63). Eine der
Beschreibung entsprechende Wasserversorgungsanlage mit
eines Rundlingsdorfes von den Anfängen bis in die Neuzeit.
Hg. von den Museen des Altmarkkreises Salzwedel. Oschersleben 2006, S. 63f.
hölzerner Gefälleleitung konnte bei einer Grabung im nahe-
53 Aufgrund der Tatsache, dass der Untergrund im Bereich
funde zur Trinkwasserversorgung in Buxtehude, in: Gerhard
des Vorwerkgeländes sehr feucht ist, konnten bei den meisten Gebäuden keine Keller angelegt werden.
54 230 Fuß = 67 m.
55 HStA Hann. 74 Harburg Nr. 4624: Cammeralia - Miscellenea - Commissiones - Commissio aus königl. Kammer die
gelegenen Buxtehude dokumentiert werden, vgl. Bernd
Habermann, Brunnen oder Pumpe - Archäologische Be-
M. Veh/Hans-Jürgen Rapsch (Hg.), Von Brunnen, und
Zucken, Pipen und Wasserkünsten. Die Entwicklung der
Wasserversorgung in Niedersachsen. Neumünster 1998, S.
209-215, hier S. 213f.
65 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 43.
125
126
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
66 Bereits in einer Beschreibung des Amtmanns Sarnighausen wird ein Wehr mit 3 Schütten im Starsbach das Wasser
Abbildungsnachweis
zum Moisburg auf die Amts-Wiesen zu leiten erwähnt, s.
HStA Hann. 76a Nr. 413 (wie Anm. 63). - HStA Hann. 88 F
2, 3, 13, 17, 18: Archiv Freilichtmuseum am Kiekeberg;
4: Kagel;
Nr. 1265/3: Geld-, Vieh-, Korn-, Bier-, Branntwein-, Tagelöh-
8-12, 14, 16: Hauptstaatsarchiv Hannover.
ner-Register und Arbeitsjournal über die Administration des
Amtshaushalts zu Moisburg 1843-1844. - HStA Hann. 88 F
Nr. 1267: Amtshaushalt zu Moisburg, insbesondere Abstellung der Krümmungen im Esteflusse, auch Begradigung der
Grenzen zwischen einigen zum Amtshaushalt gehörigen
Wiesen 1842.
67 Festschrift zur Säcularfeier der Königlichen Landwirthschafts-Gesellschaft zu Celle am 4. Juni 1864. Erste Abtheilung. Hannover 1864, S. 430. Meyne 1936 (wie Anm. 1), S.
263f.
68 Festschrift 1864 (wie Anm. 67), S. 463.
69 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 32 g Moisburg 3 pm.
70 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 43, 264.
71 HStA Hann. 180 Lüneburg Acc. 3/019 Nr. 1421: Baurevisionen der Domäne Moisburg.
72 Wittern, Domänen im Landkreise Harburg, in: Heinrich
Laue und Heinrich Meyer (Hg.), Zwischen Elbe, Seeve und
Este. Ein Heimatbuch des Landkreises Harburg, Band 2. Har-
burg 1925, S. 140-144, hier S. 143.
73 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 43.
74 Erich Tauber, Chronik der Gemeinde Moisburg mit Po-
dendorf, Appelbeck und Ruhmannshof. Moisburg 2007, S.
292, 294
75 Helmut und Walburga Frenzei, Die Restaurierung des
Moisburger Amtshauses, in: Moisburg und sein Amtshaus.
Moisburg 1983, S. 36-45.
76 Wiese 1995 (wie Anm. 60), S.5f.
77 vgl. hierzu das Ausschreiben der Kammer in Hannover
vom 4. April 1719 betr. die rechtzeitige Anforderung und
sparsame Verwendung von Bau- und Nutzholz.
1, 5-7, 15: Helms Museum;
\Z1
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
Heinz Riepshoff
Einführung
Im Aller-Weser-Gebiet wird die Landschaft geprägt
von geschlossenen Dörfern und Streusiedlungen. Vor
allem die großen Meierhöfe befinden sich in Streulage. Das zugehörige Land ist in unmittelbarer Nähe um
die Hofgebäude verteilt. Die Anzahl der erhaltenen
Meierhöfe ist relativ groß, hingegen die mit historischer Bausubstanz deutlich geringer. Dennoch sind
Ortsfremde überrascht über die große Zahl histori-
scher Bauernhäuser, bei denen es sich in der Regel um
niederdeutsche Hallenhäuser von beträchtlicher Größe handelt.
Selbst unter der einheimischen Bevölkerung viel weniger bekannt ist die relativ große Zahl an früheren ade-
ligen Gütern.' Der Hauptgrund ist wohl darin zu finden, dass die adeligen Höfe im Laufe der Jahrhunderte entweder aufgegeben wurden oder, soweit sie
überlebten, seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu
einem großen Teil in die Hände von „normalen" Bauern gelangten und damit ihre Sonderstellung sowohl
1 Gut Koppel, Wirtschaftsgiebel von 1727 (Zustand 1956).
in gesellschaftlicher als auch in ökonomischer Hinsicht
verloren.
Im Mittelpunkt unserer Betrachtung steht das Gut
Koppel (Abb. 1 und 2) in der Gemeinde Langwedel,
Ortsteil Etelsen, Landkreis Verden.2 Die in wirtschaftli-
cher oder verwandtschaftlicher Verbindung mit Gut
Koppel stehenden Güter sind: Varste, Donnerhorst,
Clüverswerder, Baden, Cluvenhagen, Wiepelsbusch,
Ottersberg, Weyhe und Mandelsloh und das nahe
Etelsen. Allein diese Aufzählung macht die ehemals
hohe Dichte von Gütern in unserer Region deutlich.
Viele von ihnen, so auch Gut Koppel, liegen in den
Niederungen von Aller und Weser oder direkt an der
Geestkante, wo der Hof vor Überschwemmungen
sicher war.
Gut Koppel erreichen wir auf der Landstraße von
Verden kommend entlang der Geestkante bis Etelsen,
biegen an dem früheren Gut Etelsen mit Schlossgebäude aus dem 19. Jahrhundert nach Westen ab und
fahren der Weser entgegen. Bevor wir die Brücke
128
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Gut Koppel, Wohnteil von 1765/Mitte 19. Jahrhundert (Zustand 1956).
3 Gut Koppel, Luftbild (2006).
über den Schleusenkanal erreichen (der Kanal ist ein
Bauwerk aus den 1950er-Jahren), biegen wir nach
Süden ab und erreichen nach nur gut 500 Metern die
Gebäude des früheren Gutes.
Beim Gutshaus handelt es sich um ein großes T-förmi-
ges Gebäude aus einem hallenhausähnlichen Wirtschaftsteil mit einem querstehenden doppelstöckigen
Wohnteil (Abb. 3). Auf dem Hofplatz, dem Gutshaus
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
4 Gut Koppel, Wirtschaftsgiebel (2012).
vorgelagert, finden wir eine Reihe von jüngeren
Schweineställen. Die zu dem Gutshaus gehörenden
historischen Wirtschaftsgebäude wurden bereits vor
Jahren abgebrochen.
Wir sind nicht die ersten, die das Gebäude einer
genaueren Betrachtung unterziehen. Der Architekturstudent Kai Struckmann aus Etelsen schrieb 1993 eine
umfangreiche Arbeit mit dem Titel „Gut Groß-Kop-
pel".3lhm verdanken wir vor allem die Recherche alter
Baupläne und die Klärung von Zusammenhängen der
Besitzerfolge bis in das 20. Jahrhundert. Ausschlaggebend und Antrieb für unsere Arbeit war allerdings
die Kreis- und Landes-Denkmalpflege, die den überregionalen Wert der Gebäude erkannte. Darauf werden
wir später mit der Frage nach der Zukunft des Baudenkmals noch eingehen.
Besitzer und Bewohner
Die Gründung des Gutes geht zurück auf das Jahr
1232 durch Ritter Lippold von Mandelsloh, dessen
Familie als Besitzer bis in das 17. Jahrhundert belegt
ist. Um 1615 heiratet Magdalene von Mandelsloh
Johann von Rönne und aus dessen Familie geht das
Gut 1685 an den Rittmeister Hermann Christoph von
der Kuhla. Kuhla verkaufte es fünf Jahre später an den
königlich-schwedischen Oberstleutnant Johann Hinrich von Brethaupt. Durch Erbstreitigkeiten und Gerichtsverfahren ging dann das Gut 1711 zurück an die
von Rönne, namentlich an Marie Elisabeth von Rönne.
Sie war verheiratet mit Asmus Christoph Friedrich von
Zabeltitz, der nach ihrem frühen Tode 1713 eine zwei-
te Ehe mit Anna Gertrud von der Lieth einging. Diese
beiden ließen 1727 den heute noch stehenden Wirt-
schaftsteil des Gutsgebäudes und wahrscheinlich
auch das erste Wohnhaus errichten. Beide Namen ste-
hen mit Baudatum im Rähm des Wirtschaftsgiebels.
1751 heiratete die älteste Tochter Magdalene von
Zabeltitz den Drosten und Landrat zu Ottersberg und
Weyhe Hieronymus Wiegand von Freese, genannt von
Quiter. An dieser Stelle nehmen wir ein wenig Baugeschichte vorweg: Freese und seine Frau ersetzten
1765 den älteren querstehenden Wohnteil durch
einen neuen, größeren Fachwerkbau. Auch hiernach
erbte wiederum eine Tochter, Louise Gertrud von
Freese, genannt von Quiter. Sie heiratete 1779 den
Oberst Christian Otto von der Wisch. Ihr Sohn war
Johann Caspar von der Wisch, der spätere hannoversche Minister des Innern und Präsident des hannoverschen Staatsrates. Er erbte nicht nur Gut Koppel, sondern 1854 auch das nahe Gut Etelsen. Sowohl Johann
Caspar als auch sein Bruder Hieronymus von der
Wisch starben unvermählt. Dadurch fiel das Erbe und
somit auch Gut Koppel an die Neffen, die Herren von
Heimbruch auf Varste. Diese ließen das Gut von dem
Hofmeister Jacob Bischoff (1791-1863) und später
von Diedrich Bischoff (1822-1900) verwalten. Die
Heimbruchs vererbten alle Güter ihrem Neffen, dem
dänischen Grafen Christian zu Reventlow und nach
seinem Tode dem ältesten Sohn Graf Rudolf. 1932
wurde das ca. 122 ha große Gut Koppel an den Mühlenbesitzer Johann Christian Bischoff (1896-1974) aus
Etelsen verkauft; er war ein Enkel des früheren Hof-
129
130
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
meisters Diedrich Bischoff. Gerda, eine Tochter von
Johann Bischoff, heiratete Herbert Beckröge, Sohn
des Käufers vom Restgut Etelsen. Seit dieser Zeit sind
beide Güter in nicht adeliger Hand miteinander vereint und werden heute von Harm Beckröge bewirtschaftet.
Die Aufstellung der Besitzer von Gut Koppel illustriert
einerseits die adelige Herkunft des Gutes, andererseits
aber auch, wie häufig ein Gut innerhalb des Adels
veräußert werden konnte. Dem gegenüber verblieben
Bauernhöfe, besonders Meierhöfe, häufig über Jahrhunderte in der gleichen Familie.
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts haben die adeli-
gen Gutsbesitzer nicht mehr in dem Gebäude gewohnt. Bewohnt wurde es dann über lange Zeit von
den Verwaltern, so auch von dem Hofmeier Bischoff,
später von Familien, die auf dem Gut Arbeit fanden.
Nach dem Krieg waren mehrere Flüchtlingsfamilien
einquartiert, deren Nachkommen noch heute in Etelsen wohnen.
1727
Das Baudatum 1727 geht aus der Inschrift des mächtigen, vierfach vorkragenden Wirtschaftsgiebels hervor (Abb. 4 und 5): Christoph Friederich von Zabeltitz
-Anna Gertrudt von Lieth - ANNO 1727. Kai Struck-
mann meldet in seiner Arbeit über das Baudatum
1727 Zweifel an, da er, von den Renaissancemerk-
malen des Giebels geleitet, von einem höheren Alter
5 Gut Koppel, Datierung am Wirtschaftsgiebel (2012).
ausgeht. Diese Zweifel brauchen wir aufgrund von
eindeutigen dendrochronologischen Daten heute
nicht mehr zu haben. Die Fälldaten des Holzes für den
Giebel, die linke Traufwand sowie die Deckenbalken
in der Diele laufen auf das Fälljahr 1726/27 hinaus.
Die Renaissancemerkmale sind dennoch bemerkenswert: Alle Ständer über dem Erdgeschoss weisen Fuß-
bänder auf, die in ihrer Anlage wie Fächerrosetten
wirken, allerdings ohne entsprechende Profilierung.
Sämtliche Vorkragungen werden von Knaggen gestützt, die deutliche Renaissancemerkmale tragen,
unter denen besonders Tau- und Gurtbänder zu nennen sind.
Die ursprüngliche Wirkung des Giebels wird heute
durch jüngere Umbauten deutlich gemindert. Das Tor-
gebinde wurde zugunsten einer größeren Einfahrt
entfernt, die ursprüngliche Ausfachung mit Rotsteinen in den oberen Stockwerken ebenfalls und stattdessen der Giebel von außen verbrettert. Der gravierendste Eingriff besteht allerdings im Aufschütten des
äußeren und inneren Niveaus um etwa eine Gefachhöhe. Nachdem in den 1950er-Jahren der Kanal in
unmittelbarer Nähe gebaut wurde, haben die Eigentümer den Aushub als kostenlose Aufschüttung ge-
nutzt, um zukünftigen Überschwemmungen vorzubeugen. Eine verständliche Maßnahme, die aber zulasten der ursprünglichen Hausproportionen geht (in
der Abb. 6 wurde die ursprüngliche Höhe rekonstruiert).
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
6 Gut Koppel, Rekonstruktionszeichnung des Wirtschaftsgiebels (Riepshoff 2009).
Der Wirtschaftsteil hat auf beiden Seiten niedrige
Kübbungswände auf einer Länge von knapp 23 m.
Auch diesem fehlt durch Aufschüttung heute die
untere Gefachreihe. Daran schließt sich quer zur Diele
das doppelstöckige Wohnhaus an. Von dem 1727
bestehenden Gebäude wissen wir bis auf die Grundrissgröße nicht viel. Bevor der Zimmermeister Ulrich
Bittroff 1765 den Neubau errichtete,4 fertigte er einen
Bestandsplan als Grundriss an, auf dem bereits die
neue Größe mit dünnen Linien zu erkennen ist (Abb.
7). Eine Raumaufteilung fehlt darin völlig. Aufgrund
der Höhe des Dielenteils können wir aber auch schon
für das alte Wohnhaus von einem doppelstöckigen
Gebäude ausgehen.
7 Gut Koppel, Plan der Situation von 1727, Privatarchiv
Beckröge.
131
132
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Vorwerk des Nie. von Winßen, 1646, vor dem Doventor. Repro aus: Ernst Grohne, Das Bauernhaus im Bremer Gebiet,
Bremen 1941, S. 15: Abb. 2.
Die Kombination zwischen Viehdiele und querstehen-
dem doppelstöckigen Wohnteil ist im 17. und 18.
Jahrhundert für oberschichtliche Höfe nicht selten.
Ernst Grohne beschreibt ein T-Haus von 1646 im
nahen Bremen (Abb. 8), das von einem Nie. von Winßen als Vorwerk errichtet wurde,5 und in Thedinghausen errichtete der Kirchen-Jurat und Chirurg Gerhard
Frische mit dem Behrenhof 1700 (i) ebenfalls ein THaus.6 Im 10 km entfernten Bahlum gibt es ein großes
Hallenhaus von 1584 (d), ursprünglich der Sitz derer
„Zum Bahlen", wo 1802 (d) das Kammerfach um
einen doppelstöckigen einflügeligen Saal erweitert
wurde. Weiter entfernt steht das „Oldenburger
Haus" in Altluneberg, das für Norddeutschland wohl
bekannteste T-Haus überhaupt, errichtet 1671/1699.7
Gerade in dieser Kombination eines repräsentativen
Wohnhauses mit anhängender Diele besteht der
große Unterschied zu einem „normalen" Bauernhaus,
in dem in einem dreiräumigen Kammerfach zwei bis
drei Generationen gewohnt haben.8
1765
Das heute noch vorhandene Wohnhaus ist definitiv
der für 1765 archivalisch erwähnte Neubau, für den
eine Entwurfszeichnung überliefert ist (Abb. 9).
Mehrere dendrochronologische Daten zeigen die Fälldaten 1764/1765 (Herbst/Winter). Dem gesellschaftli-
chen Stand entsprechend ist die innere Aufteilung
repräsentativ: Eine große Eingangsdiele im Untergeschoss empfängt den Besucher, von wo aus eine ab-
gewinkelte Treppe zu den oberen Räumen führt.
Neben weiteren Stuben in beiden Stockwerken und
Kammern im Obergeschoss verfügt das Haus über
zwei Schornsteine mit mehreren Öfen und eine große
Küche mit Rauchfang.
Die traufseitige Westfront zeigt im Bauplan des Fachwerkbaus neun Fensterachsen, während es seit der
massiven Erneuerung in der Mitte des 19. Jahrhunderts zehn sind. Struckmann hat in seiner Arbeit dazu
Folgendes herausgefunden: „Dieses Gebäude wurde
nicht nach dem vorgelegten Entwurf gebaut, denn
das gesamte Haus ist um jeweils zwei Felder länger
und breiter. Wenn man den Grundriss mit der von mir
angefertigten Systemskizze (Abb. 10) vergleicht, so
fällt auf, dass auch hier Abweichungen vorhanden
sind, wobei einige nicht wesentliche Konstruktionen
auf spätere Umbauten zurückzuführen sind."9 Wir
müssen also annehmen, dass die Westfront auch in
Fachwerk zehn Fensterachsen gehabt haben wird.
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
9 Gut Koppel, Bauplan für einen Neubau von 1765, Privatarchiv Beckröge.
10 Gut Koppel, Grundriss (Kai Struckmann, 1993).
133
134
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
11 Gut Koppel, geschnittene Fenster im Obergeschoss des Wohnhauses (2012).
gut koppel
VlEHSFALL VON <?2?i(1726d)
INNENGERÜSr CSfÄN DER., RAHME
UND KOPFBÄNDER. VON 1578 d
Eine Merkwürdigkeit zeigt das Gutshaus auf der
Ostseite (Abb. 11). Dort werden Fenster im Ober-
geschoss vom Dach der Diele geschnitten. Man könnte daraus den Schluss ziehen, das Dielenhaus wäre
jünger als das Gutshaus, doch verlief die Entstehung
12 Gut Koppel, Längsschnitt der Diele, Blick auf die linke
Ständerreihe (Riepshoff 2009).
umgekehrt. Damit stellt sich die Frage, was sich die
Bauleute dabei gedacht haben. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der spätere Abbruch der Diele
in Betracht gezogen wurde, also die Ostseite wie die
Westseite frei einsehbar geplant war.
Das Dach des gesamten T-Hauses ist mit dunklem
Schiefer gedeckt, was gegenüber Stroh gedeckten
Bauernhäusern ebenfalls als Statussymbol gewertet
werden muss. Ob die Schiefereindeckung bereits
1765 oder im Zuge der massiven Erneuerung Mitte
des 19. Jahrhunderts auf das Dach kam, ist allerdings
nicht mit Sicherheit zu sagen.
Der Wirtschaftsteil
13 Gut Koppel, Querschnitt und Detail der Dielenseitenwand
(Riepshoff 2009).
Die äußere Form des Wirtschaftsteils wurde bereits
oben beschrieben. Der vielleicht interessanteste Teil
des Gebäudes liegt aber im Innern. Wie aufgrund der
äußeren Form zu erwarten, handelt es sich um eine
Zweiständer-Konstruktion. Zentral befindet sich eine
Diele von etwas mehr als 8 m Breite, die auf beiden
Seiten von einer Ständerreihe begrenzt wird (Abb. 12
und 13). Hinter den Ständern findet sich jeweils eine
Kübbung, ursprünglich wohl als Tiefstall angelegt, in
dem sich das Vieh befand. Die Ständer haben einen
Querschnitt von 33x43 cm. In die Ständerköpfe sind
die über mehrere Fache reichenden Rähme je nach
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
14 Gut Koppel, Blick auf die linke Ständerreihe (2012).
Länge eingehälst oder gezapft, worauf die Balken
aufgekämmt sind. Sowohl in Längsrichtung als auch
quer zur Diele befinden sich verhältnismäßig breite,
zum Teil winkelfüllende Kopfbänder. Die Dielenkopfbänder verfügen, am Ständer gemessen, über eine
Höhe von 1,70-1,75 m. Damit sind es die größten
Kopfbänder, die bisher in unserer Region festgestellt
werden konnten. Wenn wir bedenken, dass die Bodenaufschüttung auch im Innern stattgefunden hat,
verfügten die Ständer im Ursprung über eine Höhe
von 3,45 m.
Die Holz- und Raumdimensionen von Bauernhäusern
an der Mittelweser sind für ihre Größe und Mächtigkeit bekannt. Das Gerüst dieser Diele gehört sicher zu
den größten, vor allem kann es unmöglich aus der
Entstehungszeit von 1727 stammen (Abb. 14 und
15). Die dendrochronologischen Daten des Innenge-
rüstes verweisen auf zwei Kollektive, die neuen Ständer stammen von einem Zweiständergerüst mit Fälldatum 1578 (keiner dieser Ständer gehörte zum Flett
oder zum Wirtschaftsgiebel), drei Ständer und die
Balken gehören zu dem Neubau von 1727. Zu den
Balken muss noch hinzugefügt werden, dass der
Überstand über die Ständer gut 1 m beträgt. Balken
im 16. Jahrhundert hatten hingegen so gut wie keinen Überstand. Die Balken aus dem Gerüst von 1 578
wurden deshalb zugunsten eines größeren Dachraumes nicht wiederverwendet, sondern gegen neue,
längere Balken ausgetauscht. Eine Ausnahme gibt es
aber doch: Der Balken am Ende der Diele über der
Scherwand ist noch ein Originalbalken des wiederver-
15 Gut Koppel, Blick auf die linken Ständer (2012).
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136
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
16 Gut Koppel, Längsschnitte durch den Wirtschaftsteil. Ansicht beider Ständerreihen mit Abbundzeichen und dendrochronologischen Datierungen (Riepshoff 2009).
17 Gut Koppel, Dachwerk über der Diele (2009).
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
wendeten Gerüstes von 1578 (d). Er wurde, durch die
Scherwand gestützt, mit neuem Holz verlängert. An
ihm lässt sich auch ablesen, dass die Breite der Diele
von 1578 die gleiche war wie die von 1727.
Was sich einem ersten Blick auf das Gerüst entzieht,
ist die Zugehörigkeit der Ständer zur Bauphase von
1578 oder von 1727 (Abb. 16). Die Querschnitte der
Hölzer, selbst die Form der wohl neueren Kopfbänder,
entsprechen 1727 genau den Hölzern von 1578. Der
Unterschied ist nur an den Zapflöchern der Hillenriegel zu erkennen. In der rechten Ständerreihe wurden die Hillenriegel ca. 35 cm höher angebracht, als
in der Ursprungsdiele, wodurch die älteren Ständer
tiefer liegende Zapfenlöcher aufweisen. In der linken
Ständerreihe wurde die Riegelkette vom Ursprungsbau zunächst übernommen, später aber durch eine
neue schmalere Riegelkette ersetzt, die nicht mehr
eingezapft, sondern von vorne aufgeblattet wurde.
Offensichtlich war die Art der Aufstellung 1727 auf
beiden Seiten unterschiedlich. In der linken Kübbung
war die Situation wie bei dem Hallenhaus von 1578
mit tiefer liegendem Hillenriegel, vielleicht mit Anbindevorrichtung, rechts deutlich höher, möglicherweise
für frei laufende Jungrinder. Eine weitere, jedoch spä-
tere Veränderung der linken Kübbung zeigt sich
dadurch, dass die Kübbungswand von 1727 später
18 Gut Koppel, Detail des Rankenstabs (2009).
um ca. 35 cm nach außen geschoben wurde, um
einen breiteren Kuhstall zu bekommen. Dabei wurden
auch die Einzüge, die das Innengerüst mit der Kübbungswand verbinden, deutlich höher angebracht.
Die Kübbungswand auf der rechten Seiten stammt
übrigens nicht aus dem Hausgerüst von 1578, sondern von einem Bau, der um 1624/43 (d) entstand.
Die dichte Reihe von hohen Dachsparren ist überwiegend aus Weichholz und steht auf einer Sparrenschwelle (Abb. 17). Einige wenige Eichensparren
stammen von 1578, mussten aber am Kopf verlängert
werden, da die Ursprungslänge nicht ausreichte.
Am Ende der Diele befinden sich hinter der bereits
erwähnten Fachwerkwand mehrere ehemalige Wohnräume. Wir müssen davon ausgehen, dass der Verwalter des Hofes hier seine Wohnung hatte, also strikt
getrennt von dem gutsherrlichen Wohnteil. Umbauten und eine gewisse Vernachlässigung der Bauunterhaltung in den vergangenen Jahrzehnten lassen
eine genaue Beschreibung der Wohnverhältnisse
nicht mehr zu. Über der rechten Kammer findet sich
in Deckenhöhe der Rest eines geschnitzten Giebelbalkens mit einem Rankenstab (Abb. 18), ein Motiv, das
Gerhard Eitzen schon 1939 beschäftigt hat.10 Ohne
auf die Deutung dieses Motivs näher einzugehen,
kann aber im Zusammenhang mit der Viehdiele von
137
138
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
1932
Als der Mühlenbesitzer Johann Christian Bischoff aus
Etelsen 1932 das Gut erwarb, war in der Landwirtschaft unserer Region Schweinemast der Haupterwerbszweig. Hierbei war der Mühlenbesitzer durch
den Zugang zu billigem Getreide sogar in einer privilegierten Situation, da Schweine mit Getreide gemäs-
tet wurden. Somit ist es auch keine Überraschung,
dass die Diele zu einem riesigen Schweinestall umgebaut wurde (Abb. 19). Dabei wurden die Ständer bis
auf Boxenhöhe gekürzt und auf Betonsockel gestellt.
Nach dem Kanalbau der 1950er-Jahre wurde die
Schweinemast noch weiter ausgeweitet und der Hofplatz mit neuen, weiteren Schweinemastställen erweitert. Die Nutzung der Gutsanlage geriet immer weiter
ins Hintertreffen. Im Gutshaus wohnte niemand mehr
und die Diele diente nur noch als Abstellfläche für
alles, was sonst im Wege stand.
2010/11
Es ist dem heutigen Besitzer Harm Beckröge, einem
Ururenkel des oben erwähnten Dietrich Bischoff, zu
verdanken, dass vielleicht in letzter Minute der
19 Gut Koppel, Diele nach dem Umbau zu einem Schweinestall (nach 1932).
1578, wozu dieser Giebelbaiken gehören wird, davon
ausgegangen werden, dass es sich hier um einen
außerordentlich bedeutenden Vorgänger des heute
noch stehenden Gutshauses handelt.
Die Breite dieses ursprünglichen Hallenhauses betrug
ca. 13 m. Bei der Länge können wir aufgrund der wiederverwendeten Dielenständer von mindestens fünf
Dielenfächern ausgehen. Zusätzlich wird das
Gebäude einen Vorschauer gehabt haben, ein Flett
und ein Kammerfach, was zu einer Gesamtlänge von
mindestens 30-35 m führt. Auf die Hochwertigkeit
des Gerüstes wurde bereits eingegangen. Dazu würde
auch der aufwändig geschnitzte Giebelbaiken passen.
Nur so ist zu verstehen, dass die Besitzer das alte
Gebäude 1727 nicht einfach abgebrochen und vernichtet haben, sondern sich gewissermaßen des
Geistes der Vorfahren durch die Wiederverwendung
des Innengerüstes vergewisserten. Diese Idee wurde
1727, es war die Zeit des Barock, durch die Stilele-
mente der Renaissance im prächtigen neuen Wirt-
schaftsgiebel noch gesteigert.
20 Gut Koppel, zur Zeit ausgebauter Torbalken (2011).
Untergang der Anlage verhindert wurde. Mit einer
größeren Summe aus eigenen Mitteln und öffentli-
chen Zuschüssen, darunter auch Denkmalfördermittel, wurde 2011 das schadhafte Dach mit einer Zwi-
schenlösung wieder wetterdicht gemacht. Sowohl
Viehdiele als auch Teile des Wohnhauses wurden mit
neuen anthrazitfarbigen Wellplatten belegt und die
eine Dachhälfte des Gutshauses in Richtung Kanal, es
ist die Hauptansicht, mit dem historischen Schieferdach wiederhergestellt und abgedichtet. Da auch in
absehbarer Zeit die Schweinemast und damit auch die
neuen Ställe auf dem Hof die Haupteinnahmequelle
der Besitzer darstellen, dient diese Maßnahme nicht
einer grundsätzlichen Wiederherstellung des Gebäudes, sondern zunächst der baulichen Sicherung eines
Kulturdenkmals ohne erkennbaren Nutzen.
Der nächste Schritt reift bereits im Kopf der Besitzer:
die Wiederherstellung des Wirtschaftsgiebels. Interessanterweise befindet sich der Torbalken mit einer weiteren Inschrift im derzeitigen Wohnhaus an der Wand
(Abb. 20). Mit ihm könnte es gelingen, dem ur-
sprünglichen prächtigen Giebel wieder neuen Glanz
und Standhaftigkeit zu verleihen, ohne jedoch zu wissen, wie die genaue Zukunft der Anlage aussehen
wird.
Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765
Anmerkungen
Bildnachweis
1 Thorsten Neubert-Preine, Die Rittergüter der Hoya-Diepholz'schen Landschaft. Nienburg 2006.
Harm Beckröge: 1-3, 7-9;
2 Etelsen gehörte bis 1932 zum Kreis bzw. Amt Achim, also
Heinz Riepshoff: 4-6, 11-18, 20;
Kai Struckmann: 10;
nicht zum güterarmen Territorium des Stifts Verden; vgl. den
Landesamt für Denkmalpflege in Niedersachsen: 19.
Beitrag von Wolfgang Dörfler in diesem Band.
3 Kai Struckmann, Gut Groß Koppel. Masch.-schriftl. Diplomarbeit Universität Hannover vom Juni 1993.
4 Ebd., S. 31.
5 Ernst Grohne, Das Bauernhaus im Bremer Gebiet. Bremen
1941, S. 12-17.
6 Gerhard Frische ist sicher eine der eigentümlichsten
Personen in Thedinghausen. Er kam aus gutem Hause, hat
fünfmal geheiratet - vier seiner Frauen verstarben -, machte
vor allem als Chirurg von sich reden und hat nachweislich
vier Bauernhöfe besessen (Archiv Ernst Hardler, Thedinghausen).
7 Förderverein Oldenburger Haus e. V. (Hg.), Das Oldenburger Haus. Bremerhaven 1988.
8 T-Häuser finden zum Ende des 19. Jahrhundert in der früheren Grafschaft Hoya und im Aller-Weser-Raum, dann aber
als Massivbauten oder zumindest als massive Wohnanbau-
ten an älteren Fachwerk-Dielen, auch bei Bauernhäusern
eine große Verbreitung. Die Vorbilder sind sicher in den
oberschichtlichen Gebäuden der Vergangenheit zu suchen.
9 Struckmann (wie Anm. 3), S. 29.
10 Gerhard Eitzen, Langobardische Flechtbänder (Aufsatz
von 1939). Erneut publiziert in: Gerhard Eitzen, Bauernhaus-
forschung in Deutschland. Heidenau 2006, S. 285 - 286).
139
140
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Beispiele des 16. bis 18. Jahrhunderts aus Ostwestfalen und Lippe
Heinrich Stiewe
Mit „adligem Wohnen auf dem Lande" verbindet
man zumeist repräsentative Schlossbauten oder zumindest Rittergüter mit anspruchsvollen Herrenhäusern. Zu den bekannten Beispielen in OstwestfalenLippe gehören die Bauten der sogenannten Weserrenaissance wie Schloss Barntrup (erbaut 1584-1592
durch Anna von Canstein-Kerßenbrock) oder Schloss
Wendlinghausen (erbaut 1613-1616 durch Hilmar
von Münchhausen), um nur zwei lippische Beispiele
zu nennen. Diese Schlösser wurden von Angehörigen
des niederen Adels erbaut, die im Verlauf der Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts und als Söldnerführer in auswärtigen Kriegsdiensten zu Geld gekommen
waren.1 Aber es wurden auch repräsentative Herrenhäuser aus Fachwerk errichtet, wie etwa der erhaltene Wohnbau des Jagdhauses Oesterholz bei Schlangen, den der lippische Graf Simon VI. 1598/99(d) errichten ließ, oder das 1661 vom Paderborner Fürst-
bischof Dietrich Adolf von der Recke erbaute Jagdhaus Hövelhof in der Senne.2 Ein anspruchsvolles
Fachwerk-Herrenhaus errichtete Moritz II. von Amelunxen 1580 auf Haus Außel bei Batenhorst, einem
Burgmannengut der Fürstbischöfe von Osnabrück im
ehemals osnabrückischen Amt Reckenberg bei
Wiedenbrück (Kr. Gütersloh).3 Diese Fachwerkbauten
sind zweistöckig abgezimmerte Wohngebäude mit
einer hohen Eingangsdiele und mehreren kaminbeheizten Sälen im Erd- und Obergeschoss. Die stockwerkweise verzimmerten Fassaden mit reichem
Schnitzdekor werden durch Zwerchhäuser (Oesterholz, nicht mehr erhalten) oder Eckerker (Außel,
Hövelhof) akzentuiert.
Doch waren solche repräsentativen Wohnbauten auf
frühneuzeitlichen Adelsgütern keineswegs selbstverständlich - viele ländliche Herrensitze sahen noch im
16. bis 18. Jahrhundert wie große Bauernhöfe aus
und die adligen Lehnsinhaber lebten in großen nie-
derdeutschen Hallenhäusern. Auch bürgerliche Amtsträger der Frühen Neuzeit errichteten noch im 17. und
18. Jahrhundert durchaus repräsentative Hallenhäuser; zwei Beispiele aus Rheda und Wiedenbrück stellte Stefan Baumeier 1988 vor.4 Zuletzt hat Hermann
Kaiser das „ständisch geprägte" adlige Wohnen im
Hallenhaus diskutiert.5 Er kritisiert zu Recht, dass sich
die Kunstgeschichte lange Zeit nur für Schlösser und
Gutshäuser interessierte, während die volkskundliche
Hausforschung vorrangig Bauernhäuser im Blick
hatte. So wurden die „herrschaftlichen Hallenhäu-
ser"6 lange Zeit von der Forschung nicht wahrgenommen oder als Bauernhäuser bzw. Wirtschaftsgebäude
missverstanden. Einige Beispiele für Hallenhäuser als
Herrenhäuser aus Ostwestfalen-Lippe seien im Folgenden näher vorgestellt.7
Der Valepagenhof bei Delbrück
Das Haupthaus des Valepagenhofes wurde 1577 in
Delbrück-Dorfbauerschaft (Kreis Paderborn) als großer Vierständerbau mit einem prächtigen Renaissance-Schaugiebel erbaut und gilt als schönstes Bauernhaus Westfalens; 2000 widmete ihm die Deutsche
Post sogar eine Briefmarke. 1973 wurde der Bau
abgetragen und von 1975 bis 1979 im heutigen LWLFreilichtmuseum Detmold wiederaufgebaut - gegen-
über dem Kirchhof im Zentrum der Baugruppe
„Paderborner Dorf" (Abb. 1).8 Dort steht er stellvertretend für einige nicht mehr erhaltene Bauernhäuser
des 16. Jahrhunderts aus Dörfern im Kreis Höxter, die
ähnlich prachtvolle Schnitzgiebel mit Fächerrosetten
besaßen.9
Allerdings war der Valepagenhof kein gewöhnlicher
Bauernhof, sondern ein mittelalterlicher Adelssitz.10
Der Hof, der nach einem Flurstück „auf der Lake" bis
ins 19. Jahrhundert auch „Lakehof" genannt wurde,
war ehemals ein Lehnsgut des Benediktinerklosters
Abdinghof in Paderborn. Im Lehnsregister des Abtes
Gizo (1340/41) und seiner Nachfolger wird ein
Gerardus von der Lake als erster Lehnsträger des spä-
teren Valepagenhofes genannt: Item Gerardus van
der Lake curiam to der Lake in Delebrughe de qua
pensio infrascripta." Möglicherweise ist der mehrfach
als curia bezeichnete Hof aus einem älteren Haupthof
(Villikationshof) des Klosters Abdinghof hervorgegan-
gen. Noch in der Neuzeit gehörte zu dem Hof eine
kleine Grundherrschaft mit vier abhängigen Höfen im
Kirchspiel Delbrück: Der Vollmeier Nellmann in Osterloh (1672: 25 Morgen Ackerland), der Vollmeier Nolte
in Westerloh (40 Morgen), der Halbmeier Furlmeier in
Hövelhof (Furlhof, 19 Morgen) und der Achtelmeier
Lübbenmeyer in Delbrück-Dorf Bauerschaft (Lübbenhof, 8 Morgen). Diese Höfe wurden von eigenbehörigen12 Bauern bewirtschaftet, die an den Valepagenhof Abgaben und Dienste leisten mussten.13
1389 erfolgte die Belehnung des Heinrich von
Wichmodeberg (Wichmannsberg), genannt Valepage,
mit dem Hof. Diese Familie ist 1311 erstmals als
Ministerialengeschlecht der Edelherren von Büren
(südlich von Paderborn) nachweisbar; mit der Belehnung verlagerte sie ihren Sitz nach Delbrück.14 Nach
der Mitte des 15. Jahrhunderts starben die Valepage
im Mannesstamme aus; das Lehen ging durch
141
1 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Haupthaus von 1 577 im LWL-Freilichtmuseum Detmold, 1981.
Einheirat an die Familie Varendorf. 1477 wurde Johann Varendorf mit dem Lakehof belehnt; sein Sohn
Jobst nahm später den alten Namen Valepage wieder
an. Das niederadlige Geschlecht von Varendorf(f)
stammte ursprünglich aus der Grafschaft Tecklenburg
und gehörte zu den Ministerialen des Bischofs von
Osnabrück.'5
Die Valepage-Varendorf in Delbrück waren Mitglied
der Ritterschaft des Fürstbistums Paderborn und der
einzige im Delbrücker Land ansässige Grundherr. Das
Delbrücker Land im Nordwesten des Kreises Paderborn war eine spätmittelalterliche bäuerliche Landgemeinde mit eigenständiger Verfassung im Fürstbis-
tum Paderborn und bestand ursprünglich aus den
Siedlungen Dorfbauerschaft (mit dem Kirchspielort
Delbrück), Ostenland, Westerloh, Osterloh, Westenholz und Hagen. In einer Urkunde von 1415 werden
Gograf, Rat und Gemeinheit des Landes zu Delbrück
genannt.16
142
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Haupthaus von 1577, Torinschrift und Brüstungsbohlen mit
Fächerrosetten, 2008.
3 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Haupthaus von 1577, Brüstungsbohlen mit Jagdszene, 1980.
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Zum Valepagenhof gehörten 1649 etwa 80 Morgen
Acker und 80 Morgen Wiesen sowie Berechtigungen
zur Jagd, Fischerei und Schweinemast im Eichenwald.
Darüber hinaus besaß der Hof 1711 noch neun Allo-
dialgrundstücke (Eigenbesitz); die Gesamtgröße des
Gutes schätzt Hans Jürgen Rade für diese Zeit auf 155
Morgen (knapp 40 Hektar).17 Der Valepagenhof war
ein „schriftsässiges" Gut, also kein landtagsfähiges
Rittergut, dessen Besitzer zur Teilnahme am Landtag
berechtigt waren. Schriftsässigkeit bedeutete aber die
Befreiung von der Kontribution und anderen steuerlichen Lasten.18 Aufgrund der geringen Existenzgrundlage, die ihr dieses relativ kleine Gut bot, war die adlige Familie Varendorf-Valepage mehrfach vom Abstieg
4 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Lage nach Ausschnitt aus dem Urkataster von 1828.
in den Bauernstand bedroht.19
Das erhaltene Haupthaus des Valepagenhofes von
1577 steht für den Höhepunkt in der Entwicklung der
Familie; die Torinschrift lautet (Abb. 2): Dis Haussteiht
in Gots Hand - Joist Valepage ist er genant - Der hats
lassen bawen - und auf Got gesetzt sein Vertrawe.
Anno domini 1577.
Die Torständer sind mit Wappenschilden geschmückt;
die aufgemalten Wappen wurden modern ergänzt.20Der Erbauer Jost oder Jodokus Valepage-Varendorff
war 1572 mit dem Hof belehnt worden und amtierte
seit 1573 als Gograf (Gogreve), als fürstbischöflichpaderbornischer Richter im Delbrücker Land. Damit
war er der höchste Beamte in der Region, der dem
Amtmann und der Kanzlei in Schloss Neuhaus unterstand. Jost Valepages Frau Anna wird 1594 erstmals
erwähnt, doch ist ihr Familienname nicht überliefert.
Nach einem blutigen Überfall meuternder spanischer
Söldner auf das Delbrücker Land am 14. März 1604
verlor Jost Valepage sein Gografenamt; er starb nach
1621.21
Der aufwändige Neubau von 1577 unterstreicht die
hohe gesellschaftliche Stellung des Gografen Jost
Valepage; mehrfach waren der Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg und dessen Bruder
Caspar von Fürstenberg, Drost des Herzogtums Westfalen, auf dem Valepagenhof zu Gast.22
Das zweifach auf Stichbalken vorkragende Giebeldrei-
eck ist ganz in Fachwerk abgezimmert und wird von
einem (rekonstruierten) Giebelpfahl bekrönt. Die
Brüstungsgefache der beiden Giebelstockwerke sind
mit Holzbohlen ausgefüllt, die mit Fächerrosetten und
figürlichem Schnitzwerk dekoriert sind:23 Neben dem
auferstandenen Christus und Johannes dem Täufer
sowie vielfältigen Drachen und Fabeltieren ist auf
einer Bohle der oberen Brüstungszone eine Jagdszene
zu erkennen (Abb. 3): ein Hase wird von einer Meute
von Jagdhunden verfolgt. Diese Darstellung ist als
Hinweis auf den adligen Stand des Erbauers zu deu-
ten.24
Anders als heute im Freilichtmuseum stand der Valepagenhof früher nicht in einem eng bebauten Dorfkern, sondern lag als Einzelhof frei in der Feldmark am
nördlichen Rand der Delbrücker Dorfbauerschaft. Im
Urkataster von 1828 ist erkennbar, dass der Garten
hinter dem Haus von einer Gräfte umgeben war (Abb.
4), doch war der Hof offenbar keine komplette Gräftenanlage: In einem Besitzverzeichnis von 1719/2025
werden die umb den hoff liggende gartens, alß Kraut-
baum- und Hanffgartens und die umb die gartens
gehende graben oder Fischteiche genannt, aber keine
Hofgräfte. Außerdem verlief ein Teilstück einer landt-
wehr, also einer Wall-Graben-Anlage mit einer un-
durchdringlichen Hecke, die möglicherweise als
Befestigung der Dorfgemarkung diente, durch die
Feldflur des Hofes.26 An Hofgebäuden werden Hauß
und hoff, ein Schafstall und ein Back- und Leibzuchts-
hauß (Altenteilerhaus) genannt. An der Hofzufahrt
steht heute noch eine barocke Hofkapelle (St. Joseph)
aus dem 18. Jahrhundert.
Das Urkataster von 1828 zeigt das Hauptgebäude
noch in seinem ursprünglichen Zustand mit einer Länge von über 30 Metern. Nach einem Taxationsinstrument von dem schriftsässigen Gut Valepagenhof aus
dem Jahre 1840 besaß der Bau von 1577 einen grö-
ßeren Wohnteil mit einem Saal mit separatem Eingang, der nicht vom Pächter, sondern ausschließlich
vom Eigentümer genutzt werden durfte. Außerdem
gab es einen Anbau an der linken Seite des Gebäudes, der auch im Urkataster zu erkennen ist. Darin
befand sich dem Verzeichnis von 1840 zufolge eine
alte Kapelle mit einer Grundfläche von 18x18 Fuß (ca.
5,4x5,4 m).27
1845 starb der letzte adlige Besitzer des Valepagenhofes; der Grundbesitz von zuletzt 199 Morgen (ca.
50 ha) wurde unter mehreren Erben aufgeteilt. Danach wurde der Valepagenhof von Pächtern bewirtschaftet. Um 1880 erfolgte der Umbau des Hauptgebäudes zum Pächterwohnhaus. Dabei brach man den
alten, großzügigen Wohnteil ab und ersetzte ihn
durch ein bescheideneres zweistöckiges Kammerfach
in zeittypischem Fachwerk aus dünnen Hölzern mit
Backsteinausfachung. Damit wurde die Länge des
Gebäudes von über 30 m auf etwa 26 m reduziert.
Diesen Zustand zeigt ein Aufmaß des Architekten C.
143
144
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
adliger Ursprung dabei in den Hintergrund.29
Von dem Ursprungsbau von 1577 blieb der neun Fache lange Wirtschaftsteil erhalten. Dieser ist ein qualitätvoll verzimmerter Vierständerbau, dessen Dielen-
ständer mit jeweils zwei gekehlten Kopfbändern zu
den Deckenbalken (in Querrichtung) und zum Rähm
(in Längsrichtung) verstrebt sind. Die Deckenbalken
sind in Dachbalkenzimmerung auf die Rähme aufgelegt. Die Dachsparren stehen auf den Balkenenden
und werden durch einen mittig stehenden Stuhl unter
der unteren Kehlbalkenlage ausgesteift. Am Übergang zu dem erneuerten Wohnteil sind keine Zapfenlöcher von Unterschlagriegeln oder Reste von verstärkten Rähmen als Spuren einer früheren Flettzimmerung erkennbar. Daher kann auch nicht gesagt
werden, ob sich hier direkt der alte Wohnteil anschloss oder ob noch weitere Dielenfache auf die
neun erhaltenen folgten. Als Josef Schepers den Bau
1973 für das Detmolder Freilichtmuseum abtragen
ließ, beabsichtigte er noch einen Wiederaufbau im
Zustand des 16. Jahrhunderts - obwohl es für eine
Rekonstruktion des abgebrochenen Wohnteils keinerlei Anhaltspunkte gab. Daher änderte sein Nachfolger
Stefan Baumeier die Planung und ließ auch den erneuerten Wohnteil ins Museum überführen und das
Gebäude in seinem letzten Zustand als Pächterwohnhaus des späten 19. Jahrhunderts wiederaufbauen.30
Wie der alte Wohnteil des Valepagenhofes ausgesehen haben könnte, zeigen zwei weitere Beispiele von
adligen Hallenhäusern aus der früheren Grafschaft
Lippe:
Rittergut Ahmsen bei Bad Salzuflen
Auf dem früheren Rittergut Ahmsen bei Bad Salzuflen
(Kreis Lippe), das noch im 20. Jahrhundert „Edelhof"
genannt wurde, stand bis 1959 ein stattliches Vier-
ständer-Hallenhaus von 1555 (Abb. 7). Die Torbogeninschrift nannte den adligen Erbauer und das Baujahr
in sorgfältig geschnitzten lateinischen Großbuchsta-
ben (Abb. 8): JOHAN VAN EXSTERDE - ANNO
D[0MI]NI M. D. LV.
Seitlich prangten am Torsturz die geschnitzten Familienwappen des Erbauers Johann v. Exterde (rechtsschräge Rautenreihe) und seiner Ehefrau Elisabeth
5 Valepagenhof aus Deibrück-Dorfbauerschaft (Kr. Pader-
born), Aufmaß des Haupthauses von C. August Savels,
1902. Der Grundriss zeigt den Bau von 1577 mit dem um
1880 erneuerten Wohnteil.
August Savels von 1902 (Abb. 5), das 1906 zusammen mit einer Fotografie von Albert Ludorff in dem
Tafelwerk „Das Bauernhaus im Deutschen Reiche"
veröffentlicht wurde (Abb. 6).28 Seitdem fand der Bau
vielfach in der Literatur Erwähnung, doch geriet sein
von Amelunxen (zwei senkrechte Pfähle mit je vier
Eisenhüten); die Heirat war angeblich 1542.31 Das
Dielentor zeigte alten Fotografien zufolge Spuren
einer sparrenförmigen Aufdoppelung. Nach einem
Brand im Jahre 1959 wurde das schwer beschädigte
Gebäude abgebrochen; Teile des Gefüges wurden als
Ersatzbauhölzer für das künftige westfälische Frei-
lichtmuseum übernommen und eingelagert.32
Die Familie von Exterde oder Exter gehörte zum niederen Adel in Lippe; sie stammte wohl aus dem Dorf
Exter bei Vlotho (Kr. Herford). Die Familie besaß das
Gut Ahmsen im Amt Schötmar als Lehen der Abtei
Corvey (Kr. Höxter) und war außerdem seit dem 14.
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
6 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Ansicht des Haupthauses von 1577 nach der Erneuerung des
Wohnteils um 1880. Foto von Albert Ludorff, 1892.
7 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), „Edelhof", ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1 555, abgebrannt 1959, Foto
von 1936 oder 1937. Der frühere Steilgiebel war im 19. Jahrhundert abgewalmt worden.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, Torbogen mit Bauinschrift und
Wappen der Erbauer Johann von Exterde und Elisabeth von Amelunxen, Foto von 1937. Die oberen Flügel des Dielentores
zeigen Spuren einer sparrenförmigen Aufdoppelung.
b) NORDWEST-ANSICHT
9 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, Nordwest-Ansicht und Querschnitt,
Rekonstruktion. Aufmaß von Gerhard Eitzen, 1949(7). Archiv LWL, Best. 710 K, Nr. 1237.
Jahrhundert im nordlippischen Amt Hohenhausen
begütert.33
Das Haupthaus von 1555 ist durch historische Fotos
und Aufmaße von Gerhard Eitzen (1949) und Horst
Gauert (1952) überliefert (Abb. 9, 10); weitere Aufmaßskizzen mit zahlreichen Detailzeichnungen fanden sich im Nachlass des Bad Salzufler Architekten
Wolfgang Günther.34 Das Gebäude war ein mächtiger
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
BnuflUFnp^mc vieRSTPnDERljcius edcl/^of in n^mscn lippe
Lwassc/yniTT m.~i so
Ahmsen im april wsz
azunoRiss m~ i so
ftf/mstn im apRtL ivsz
10 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, Längsschnitt und Grundriss,
Bestand. Aufmaß von Horst Gauert, 1952.
Vierständerbau von 16 Fachen Länge (Grundfläche
ca. 14,6x32,8 m), der aus kräftigen Hölzern in höchster Qualität verzimmert war. Beide Giebel kragten
zweifach auf etwa 42 cm weit ausladenden Haken-
balken über Knaggen mit Taubandverzierung vor; die
oberen Giebeldreiecke hat man nachträglich abgewalmt. Das etwa 60 Grad steile Sparrendach besaß
drei Kehlbalkenlagen und einen stehenden Stuhl mit
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148
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
11 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, perspektivische Ansicht des
Wohnteils, Rekonstruktion. Zeichnung von Gerhard Eitzen, 1949. Eitzen hat in seiner Ansicht das Strohdach mit Steilgiebeln,
den Aborterker und die großen bleiverglasten Saalfenster im Ober- und Dachgeschoss rekonstruiert.
Längskopfbändern. Alle tragenden Ständer des
Wandgefüges waren mit gekehlten Kopfbändern verstrebt; an dem unterkellerten Kammerfach gab es au-
ßerdem dreifach gekehlte Fußbänder an den Eck-
ständern.
Das Haus gliederte sich in einen dreischiffigen Wirtschaftsteil mit Mitteldiele und zweigeschossigen Stallseitenschiffen von acht Fachen, eine durch eine Querwand abgetrennte Flettküche von vier Fachen und
einen rückwärtigen Wohnteil (Kammerfach) von
ebenfalls vier Fachen über einem gering eingetieften
Bruchsteinkeller. Damit entsprach das Haus dem klassischen Schema eines Flettdielenhauses mit Kammerfach. In der Wand zwischen Flett und Kammerfach
befand sich ein mächtiger massiver Schornsteinblock
mit einem großen Küchenkamin. Die Luchten des
Fletts waren dielenhoch, aber mit zwei Fachen Länge
ungewöhnlich klein, auch ist ihre Konstruktion (verstärkte Rähme?) im Aufmaß von Gauert nicht zu erkennen. Möglicherweise waren die ehemals größeren
Luchten durch Einbauten des 18. Jahrhunderts ver-
kleinert worden; zumindest in dem Raum neben
der linken Lucht befand sich zuletzt ein kleines baro-
ckes Treppenhaus. Das Kammerfach gliederte sich bis
1959 in drei Räume, möglicherweise bestand es
ursprünglich aus einem größeren Saal mit anschlie-
ßender Nebenkammer und einem Aborterker am
Rückgiebel (Abb. 11). Ob dieser Saal mit einem Kamin
an der Rückseite des großen Küchenschornsteins ausgestattet war, ist unklar, doch ist im Längsschnitt von
Gauert ein weiterer Kamin mit spätgotisch profiliertem Gewände im Dachgeschoss über dem Wohnteil
zu erkennen - demnach gab es ursprünglich einen
weiteren Saal im Bereich des Dachbodens. Eitzen hat
in seiner Perspektivansicht von 1949 vier große bleiverglaste Saalfenster im Rückgiebel ergänzt - doch ist
unklar, ob es dafür einen konkreten Befund gab.
Vermutlich hätte Josef Schepers den Wohnteil des
Valepagenhofes im Detmolder Freilichtmuseum in
ähnlicher Form rekonstruiert. Er kannte den Bau in
Ahmsen und zahlreiche bürgerliche und großbäuerli-
che Häuser in Westfalen zeigen vergleichbare Grundrissmuster eines Flettdielenhauses mit Saal-Hinterhaus
und Kaminanlage. Dass ein adliges Hallenhaus aber
auch ganz andere Raumstrukturen aufweisen konnte,
mag das folgende Beispiel zeigen.
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Gut Dahlhausen bei Leopoldshöhe
Der heutige Hof Westerheide in Dahlhausen (Dahl-
hauser Str. 20, Gemeinde Leopoldshöhe, Kreis Lippe)
war von 1844 bis 1960 fürstlich-lippische Domäne.
Davor war der Hof ein Adelsgut, das sich ebenfalls im
Besitz der Familie von Exterde befand. Die Hofanlage
hat einen einzigartigen Gebäudebestand des 16. bis
18. Jahrhunderts bewahrt, der unter Denkmalschutz
steht und von seinen Eigentümern sorgsam gepflegt
wird. Das Wohnhaus vor Kopf des Hofes ist ein breit
gelagertes, eingeschossiges Fachwerk-Traufenhaus
und ins 16. Jahrhundert zu datieren ist (Abb. 12) dies konnte nun durch eine dendrochronologische
Untersuchung bestätigt werden (s. unten). Die Hauptständer sind mit gekehlten Kopfbändern verstrebt; die
verbretterten Giebeldreiecke kragen auf schweren,
tief gekehlten Knaggen mit Taubanddekor etwa 35
cm weit vor. Das Gebäude, das heute als Stall für
Mastbullen und -Schweine genutzt wird, besitzt eine
Längsdurchfahrt, doch wurde das hintere Ausfahrtstor im nördlichen Giebel deutlich erkennbar nachträg-
mit Krüppelwalmdach und früherer Querdiele, das
lich eingebrochen. Zwei Wappen an den Knaggen des
alten Torbogens am südlichen Giebel, starke Rußspuren im Innern des Hauses und seine beeindruckende
werkbauten parallel nebeneinander, die den Wirt-
Größe sprechen dafür, dass wir mit diesem Gebäude
das frühere Wohnhaus des adligen Hofes Dahlhausen
wohl im 18. Jahrhundert als Pächterwohnhaus errichtetworden ist. Davor liegen zwei langgestreckte Fach-
schaftshof flankieren. Das linke (westliche) Gebäude
ist eine große Längsdurchfahrtsscheune, die laut
Torinschrift 1701 erbaut wurde: HERR CASIMIR HEINRICH VON EXSTERDE, FÜRSTLICH HESSISCHER WOL-
BESTALLTER OBRISTWACHTMEISTER HAT DIESES
HAUS BAUEN LASSEN DEN 1. MAY ANNO 1701.
Der 19 Fach lange Vierständerbau ist aus kräftigen
Hölzern gezimmert und mit langen, gekrümmten
Fußstreben ausgesteift. Der nördliche Giebel zeigt
bauzeitliche Ziegel-Zierausfachungen.
Das gegenüber liegende Gebäude am östlichen Rand
des Hofes ist ebenfalls ein Vierständerbau aus kräfti-
gen Bauhölzern, der schon aufgrund seiner charakte-
ristischen Gefügemerkmale deutlich älter erscheint
vor uns haben.35
Ursprünglich war Dahlhausen ein bäuerlicher Meierhof, der von den Grafen von Ravensberg als Lehen
vergeben wurde.36 Nach deren Aussterben 1346 waren die Herzöge von Jülich, Kleve, Mark und Berg und
seit 1609 die Kurfürsten von Brandenburg und späte-
ren Könige von Preußen Lehnsherren des Hofes.
Lehnsinhaber und Grundherr war zunächst die Detmolder Burgmannenfamilie von dem Busche; 1512
trat Alhard von dem Busche das Lehen an seinen
Schwiegersohn Heidenreich von Exterde ab. Dieses
Lehen bestand aus einer kleinen Grundherrschaft, zu
der neben dem Meierhof Dahlhausen noch das Evenhauser Holz, der Vollspännerhof Meier zu Evenhau-
12 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63(d), Nordansicht, ehern. Wohngiebel, Foto 1937. Der Torbogen auf dieser Seite wurde im 19. Jahrhundert nachträglich eingebrochen.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
13 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63(d), Südwestansicht, 2011.
Evenhausen wurden nun Eigenbehörige der Familie
ruhmen sich der Freyheit.39 Demnach hatten die von
Exterde den Hof Dahlhausen schon seit Längerem in
ein schatzfreies Adelsgut umgewandelt, die bäuerliche Meierfamilie aber nicht „abgemeiert", wie das in
anderen Fällen praktiziert wurde. Nachweislich lebten
Angehörige der Familie Meier zu Dahlhausen noch im
Dahlhausen in ein Adelsgut muss schon im 16. Jahr-
Hof.40
sen, der Halbspännerhof Lüking und ursprünglich
noch zwei Kotten (Höfe Nebel und Kroos, gingen
schon vor 1528 an die Familie von Quaditz) im benachbarten Weiler Evenhausen gehörten. Die Bauern
Meier zu Dahlhausen sowie Meier und Lüking zu
von Exterde. Die Umwandlung des Meierhofes zu
17. Jahrhundert als Pächter auf dem jetzt adligen
hundert erfolgt sein, war aber in den schriftlichen
Sichtbares und ältestes Zeugnis der im 16. Jahrhun-
Regierungsprotokoll von 1568 fand sich jetzt eine
aufschlussreiche Notiz: Damals wurde Bernd von
Exterde vom Landesherrn gestattet, in Dahlhausen
eine Mühle vor seine eigen Haushaltunge und nicht
weiter zu Dhalhausen zu errichten, die zuvor von
Johann von dem Brinck und Albert von Exter zu
hofes Dahlhausen in ein Adelsgut ist das erhaltene rie-
Quellen bisher nicht eindeutig nachweisbar. In einem
Iggenhausen niedergerissen worden war.37 Der Begriff
„eigene Haushaltung" weist darauf hin, dass der
Meierhof Dahlhausen 1568 als adliger Wohnsitz
angesehen wurde, den Bernd von Exterde selbst
bewohnte. In den lippischen Landschatzregistern
(Steuerregistern) erscheint der Meiger zu Dahlhusen
dagegen noch bis 1618 und erst im Salbuch (Höferegister) von 1616/17 wird er nicht mehr genannt.38
Schon 1562 und 1572 hatte Meier zu Dahlhausen
allerdings keinen Landschatz mehr bezahlt und spätestens 1590 scheint die Schatzpflicht für den nun-
mehrigen Pächter endgültig aufgehoben worden sein.
In einem Verzeichnis des erlassenen Landschatzes von
1589/90 heißt es: M. zue Dahlhausen [und] Johan im
Struß sein den von Extern zu Herberhusen undt be-
dert (vor 1568) erfolgten Umwandlung des Meiersige Haupthaus (Abb. 13). Eine aktuelle Dendro-Datierung erbrachte die Fälldaten Sommer 1561, Winter
1562, Winter 1561/62 und Winter 1562/63 - dem-
nach ist davon auszugehen, dass das Gebäude 1561
bis 1563 errichtet wurde.41 Mit 15 Fachen (ca. 34,5 m)
Länge ist es deutlich größer ist als die üblichen Meierhäuser des 16. Jahrhunderts, die damals zwischen sieben und neun Fachen (ca. 25 m) lang waren.42 Die
Wappen an den Knaggen des Torbogens am südlichen Giebel weisen auf die adligen Erbauer hin; sie
stehen leicht erhaben auf vorstehenden Platten, die
aus dem vollen Holz der Knaggen herausgearbeitet
sind. Beide Wappen sind dick mit Farbe überstrichen
und kaum noch erkennbar. Das linke (heraldisch rechte) Wappen ist als die schräge Rautenreihe der Familie
von Exterde zu identifizieren (Abb. 14); das rechte
Wappen ist nicht mehr eindeutig lesbar. Der Torbogen
ist mit einem umlaufenden Profil und einer Kerb-
schnittreihe eingefasst, trägt aber keine Inschrift. Als
Erbauer des Hauses von 1561-63 kommt Bernd von
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Exterde infrage, der 1541 mit dem Hof Dahlhausen
belehnt worden ist und schon seit 1535 mit Agnes
von Wurmb verheiratet war. Er starb 1 575.43
Das Gebäude wurde von Gerhard Eitzen für das 1960
in erster Auflage erschienene Werk „Westfalen-Lip-
pe" (Haus und Hof deutscher Bauern, Band 2) von Jo-
sef Schepers aufgemessen und mit einer Giebelansicht, einem Längsschnitt (Abb. 15) und einem Vogelschaubild der Hofanlage zeichnerisch dargestellt.44
Durch aktuelle Baubeobachtungen am Gefüge, insbesondere Zapfspuren von früheren Kopfbändern und
Zwischenwänden, konnte die ursprüngliche Raumstruktur von 1563 in ihren Grundzügen rekonstruiert
und skizzenhaft festgehalten werden (Abb. 16):45 Der
15 Fach lange, dreischiffige Vierständerbau (Länge:
ca. 34,5; Breite: ca. 14,3 m) gliederte sich ursprünglich in ein Vorschauerfach hinter dem Einfahrtstor im
Südgiebel, eine zehn Fach lange Diele und einen vier
Fach langen Wohnteil am Nordende des Gebäudes.
Das linke Seitenschiff der Diele ist im Lichten etwa
2,9 m breit und diente möglicherweise als Pferdestall,
während das etwas schmalere rechte Seitenschiff mit
einer Breite von etwa 2,5 m vermutlich Kuh- bzw.
Rinderställe aufnahm. Im 12. Gebinde (ab Südgiebel)
ist durch Zapfenlöcher eine bauzeitliche Scherwand
nachweisbar, die den Wohnteil vom Wirtschaftsteil
abtrennte. Hinter dieser Trennwand setzte sich die
Diele in voller Höhe bis zum Rückgiebel fort und wurde durch zwei schwere Längsunterzüge mit profilier-
ten Kopfbändern zu einem riesigen Flettraum mit
zwei hohen Luchten erweitert. Die linke Lucht ist noch
vollständig erhalten, wurde aber im 19. Jahrhundert
durch eine Fachwerkwand geschlossen. Sie umfasste
die drei letzten Fache vor dem Rückgiebel. Der Längsunterzug ist in der Mitte gebrochen und musste nach-
14 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von
Exterde. Haupthaus von 1561-63 (d), Knagge mit Wappen
des Erbauers Bernd von Exterde am Südgiebel, linker Torständer, 2011.
15 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63 (d), Längsschnitt,
Rekonstruktion. Aufmaß von Gerhard Eitzen um 1950. Archiv LWL, Best. 710 K, Nr. 71.
151
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
ttAurr^Accs, 2. h. 7*/.
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■ff. S-rf&i&G z' rv. ßeo/mcjJtJ oS/zoc'f
16 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63 (d), Grundrissskizze, aktuelle
Rekonstruktion. Zeichnung: Verfasser, 2011.
fraglich durch eine profilierte Luchtsäule unterstützt
werden, die in ihrem oberen Drittel vom runden zum
viereckigen Querschnitt übergeht.46 Der Unterzug der
rechten Lucht wurde im 19. oder frühen 20. Jahrhun-
dert abgesägt; von ihm blieb nur ein etwa 2,5 m langes Reststück mit einem Kopfband vor dem Rückgiebel erhalten. Diese Lucht hatte ursprünglich eine Länge von vier Fachen, das entspricht knapp neun Metern. Ein freitragender Unterzug von einer solchen
Spannweite ist ohne Unterstützung in der Mitte kaum
denkbar, doch lässt sich eine Stütze aufgrund der späteren Veränderungen hier nicht mehr nachweisen.
Der so rekonstruierbare Flettraum hatte einschließlich
der beiden Luchten eine Grundfläche von über 110
Quadratmetern. Die starke Verrußung der Bauhölzer
spricht dafür, dass hier ein offenes Herdfeuer ohne
Rauchabzug brannte - Spuren einer bauzeitlichen Kamin- oder Schornsteinanlage sind nicht nachweisbar.
Das Haus von 1563 war also ein Flettdielenhaus ohne
Kammerfach; separate Wohnräume für die adligen
Lehnsinhaber konnten nur in den Seitenschiffen untergebracht werden. Ein größerer, etwa 6,5 m langer
und 3,7 m breiter Raum von drei Fachen (ca. 24 qm)
ist im linken Seitenschiff vor der Lucht nachweisbar; er
sprang knapp einen Meter zur Diele vor. Eine Feuerstelle ist für diesen Raum nicht nachweisbar; daher
kann nicht gesagt werden, ob es sich um eine ofengeheizte Stube oder eine große Kammer bzw. einen
kleinen Saal handelte. Weitere Wohnräume (Kammern) mögen im hinteren Bereich der Seitenschiffe an
der Diele gelegen haben, sind im Baubestand aber
nicht mehr nachweisbar.
Spätestens im 19. Jahrhundert wurde das frühere
Wohn- und Wirtschaftsgebäude zu einem reinen
Wirtschaftsgebäude umgebaut; dabei erhielt es eine
Durchfahrtsdiele mit einem zweiten Tor im Nordgiebel
und ein neues Dach mit relativ geringer Neigung
(Eitzen rekonstruiert für den Ursprungsbau ein deutlich steileres Dach mit einer Neigung von etwa 60
Grad).47 Das Gefüge der Traufwände wurde um oder
kurz nach 1830 (d) durch zusätzliche Zwischenständer
und -riegel verdichtet.48 Im frühen 20. Jahrhundert
wurden große Teile der rechten Innenständerreihe
durch massive Wände ersetzt.
Rittergut Sylbach bei Bad Salzuflen
Auf dem ehemaligen Rittergut Sylbach bei Holzhausen (heute Max-Planck-Str. 76, Stadt Bad Salzuflen, Kreis Lippe) steht noch das frühere Hauptgebäude des Gutes, ein stattliches Vierständer-Hallenhaus
von 1660.49 Der Hof ist eine frühere Gräftenanlage,
die von Wassergräben und Teichen umgeben war; ein
Aquarell von Emil Zeiß von 1875 zeigt den umgräfte-
ten Gutshof mit dem Haupthaus und einer heute
nicht mehr existierenden Torscheune mit einem recht-
winkligen Anbau (Abb. 17).50 1969 standen noch ein
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Nebengebäude, vermutlich die von Zeiß gezeichnete
Torscheune, mit der Datierung „ANNO 1679" und
den Wappen und Initialen der Erbauer Rabe von
Wrede und Cathrina von Exterde am früheren
Torbogen, sowie ein zum Gut gehörendes Kötterhaus
von 1811.51
Das Gut Sylbach war ein Lehen des Paderborner Bischofs und wurde 1658 von Rabe von Wrede auf Gut
Steinbeck bei Salzuflen für 2 000 Taler erworben, der
auch den Meierhof Heerse bei Schötmar besaß. Mit
der Aufnahme in die Matrikel der lippischen Ritter-
schaft wurde das Gut 1661 ein landtagsfähiges Rittergut und sein adliger Eigentümer erhielt Sitz und Stimme im lippischen Landtag.52 1 660, also ein Jahr vor
der Gründung des Rittergutes, errichtete Rabe von
Wrede das erhaltene Haupthaus, wie die Torinschrift
ausweist: DURCH WEISHEIT WIRT EIN HAUS GEBAUWET UND DURCH VERSTAND ERHALTEN. AP. Z. 4.
CAP. RABE DE WREDE ELISABET CATRI NA MAY ANNO
1660 DEN 6. IUNY.
Das Gebäude ist ein stattlicher Vierständerbau (Abb.
18), aber mit 12 m Breite und etwa 23,5 m Länge
deutlich kleiner als die zuvor beschriebenen Beispiele
aus Ahmsen und Dahlhausen. Der nach Südosten gerichtete Einfahrtsgiebel ist ganz in Fachwerk gezimmert; das zweifach auf Stichbaiken vorkragende Gie-
beldreieck kragt seinerseits auf profilierten Knaggen
etwa 25 cm weit vor. Die Hauptständer des Giebels
sind wie bei älteren Bauten des 16. Jahrhunderts
durch Kopfbänder hervorgehoben. Türen an den
Ecken der Giebelwand führten ehemals in die Stallungen an der Diele; das schmalere linke Seitenschiff
dürfte als Kuhstall und das etwas breitere rechte als
Pferdestall gedient haben. Die Deckenbalken der
Diele sind auf die Innenständerreihen aufgelegt (Unterrähmzimmerung) und in die Außenwandständer
eingehälst, darüber verläuft je eine breite Sparrenschwelle (Oberrähmzimmerung), die auf den Balkenköpfen vorkragt; an der rechten Traufwand werden
die Balkenköpfe von Knaggen unterstützt. Das Fachwerk der Längswände ist mit Zwischenständern und
drei Riegelreihen relativ engmaschig verzimmert. An
den Dielenwänden sind die Hauptständer mit Längskopfbändern verstrebt, während an den Traufwänden
nur die Eckständer mit Kopfbändern versehen sind.
Das Dach ist ein binderloses Sparrendach mit zwei
Kehlbalkenlagen, dessen Sparren auf Gebindeabstand
stehen. Von dem Kernbau von 1660 sind nur noch die
ersten fünfeinhalb Dielenfache erhalten (Abb. 19); die
linke Dielenwand wurde 1749/50 (d) um etwa einen
Meter zur Diele verschoben. Der Wohnteil wurde im
19. Jahrhundert als relativ bescheidenes Kammerfach
über einem balkengedeckten Keller erneuert. Daher
17 Sylbach bei Bad Salzuflen-Holzhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Wrede. Ansicht der umgräfteten Hofanlage mit Haupt-
haus von 1660 (links) und früherer Torscheune (rechts, heute abgebrochen). Aquarell von Emil Zeiß, 1875. Lippisches
Landesmuseum Detmold.
153
154
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
18 Sylbach bei Bad Salzuflen-Holzhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Wrede. Haupthaus von 1660, Ansicht 1973.
19 Sylbach bei Bad Salzuflen-Holzhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Wrede. Haupthaus von 1660, Längsschnitt. Aufmaß und
Zeichnung: Michael Sprenger, 1997.
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
sind - ähnlich wie beim Valepagenhof - zur ursprünglichen Länge des Gebäudes sowie zur Gestaltung des
Wohnteils und eines vermutlich vorhandenen Fletts
keine Aussagen mehr möglich.
Gut Nassengrund bei Blomberg
Nördlich der Stadt Blomberg liegt im freien Feld das
Gut Nassengrund, das bis etwa 1960 zur Gemeinde
Istrup gehörte.53 1715 verkaufte Johann Philipp von
gestreckte Vierständerbau war durch eine Längsdiele
mit einem Tor im Ostgiebel erschlossen; der Giebel
kragte zweifach auf Stichbalken vor. Der ursprüngliche Bau von 1716 hatte eine Länge von zehn Fachen;
der Wohnteil war als Kammerfach über einem großen
Gewölbekeller am westlichen Hausende angelegt.
Um 1750 wurde das Gebäude erheblich vergrößert
(Abb. 21, 22): Der Wirtschaftsteil wurde um sechs
Donop seinen alten Burgmannenhof in der Stadt
Blomberg (Pideritplatz 4) an den Bückeburger Amt-
mann Philipp von Kopf und ließ die Privilegien auf sein
neu gegründetes Gut Nassengrund übertragen, das in
der Folge zu den schriftsässigen (privilegierten, aber
nicht landtagsfähigen) Gütern in Lippe gezählt wurde.
1784 kam das Gut in bürgerliche Hände: Es wurde an
die Witwe Amtmännin Sophie Charlotte Capaun
geb. Freund verkauft, die 1785 auch damit belehnt
wurde. Deren zweite Tochter Amalie Sophie Catharina
heiratete 1790 den Oberförster Johann Christian
Paulsen aus Uslar. So kam Nassengrund in den Besitz
der Familie Paulsen (bis 1986), deren Angehörige als
Förster, Kartoffelzüchter und Schachspieler Berühmtheit erlangten.
Die weitläufige Gutsanlage wird an der West- und
Südseite von zwei Wirtschaftsgebäuden aus der Zeit
um 1900 begrenzt. An der Nordseite des Hofes stand
bis zu seinem Abbruch 1987 ein mächtiges Gutshaus
aus Fachwerk von 1716, das noch aus der Grün-
dungszeit des Gutes stammte (Abb. 20).54 Der lang-
20 Blomberg-Nassengrund (Kreis Lippe), ehern. Gut von
Donop. Haupthaus von 1716 mit später erweitertem Wohnteil. Foto vor dem Abbruch 1987.
21 Blomberg-Nassengrund (Kreis Lippe), ehern. Gut von Donop. Haupthaus von 1716, Hofansicht, Rekonstruktion. Aufmaß
und Zeichnung: Verfasser 1987.
155
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
22 Blomberg-Nassengrund (Kreis Lippe), ehern. Gut von Donop. Haupthaus von 1716, Längsschnitt, Rekonstruktion. Aufmaß
und Zeichnung: Verfasser 1987.
Fache nach Osten verlängert, dabei verwendete man
den alten Giebel von 1716 wieder. Im linken Seiten-
schiff befanden sich umfangreiche Kuhställe, die mit
fünf jeweils zwei Fache langen Kuhnackenriegeln zur
Diele geöffnet waren. Das rechte Seitenschiff diente
vermutlich als Pferdestall. Ebenfalls um die Mitte oder
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der
rückwärtige Wohnteil aufgestockt; in dem neuen
Oberstock entstanden mehrere große Stuben und
Kammern mit barocken Füllungstüren, die von einem
Mittelflur erschlossen wurden. An der Flurwand war
eine bauzeitliche Wandbemalung mit dunklem Quadermuster und feiner Marmorierung auf olivgrünem
Grund erhalten. Im Untergeschoss des Wohnteils, der
durch eine zweiflügelige Barocktür von der Hofseite
aus zugänglich war, richtete man eine geräumige
Küche mit einer großen Kaminanlage ein, die im Dach
mit dem Schornstein der hinteren Stuben zusammen-
geführt wurde. Um 1840 wurde im Garten hinter
dem Gutshaus ein kleineres, eingeschossiges Fachwerkhaus mit Krüppelwalmdach über einem großen
Tonnengewölbekeller vermutlich als Altenteilerwohnung errichtet.
Dem Gutshaus schräg gegenüber stand an der
Hofeinfahrt ein großer Fachwerkspeicher mit Krüppelwalmdach von 1755 (d).55 Der 2010 abgebrochene
Bau enthielt ein hohes Untergeschoss und zwei Speicherböden im Ober- und Dachgeschoss. Möglicher-
weise enthielt dieses Gebäude ursprünglich eine
Branntweinbrennerei, für die Nassengrund im 19.
Jahrhundert berühmt war.
Zusammenfassung
Hallenhäuser als Wohn- und Wirtschaftsgebäude auf
Gütern des niederen Adels sind in Ostwestfalen und
Lippe für das 16. bis 18. Jahrhundert vielfach nachweisbar. Sie dürften zu dieser Zeit eher die Regel als
die Ausnahme gewesen sein. Die hier vorgestellten
Beispiele sind bei Weitem nicht vollständig; auch dürf-
te manches frühere Haupthaus eines Gutes noch
unerkannt als Wirtschaftsgebäude gelten.56 Einige adlige Hallenhäuser hatten repräsentativ gestaltete Fas-
saden mit mehrfach vorkragenden Fachwerkgiebeln
und reichem Schnitzwerk, das bekannteste Beispiel ist
der Valepagenhof aus Delbrück von 1577. Daneben
kamen aber auch schlicht verbretterte Giebel wie in
Dahlhausen vor. Ein wichtiges Kennzeichen adliger
Wohn- und Wirtschaftsgebäude waren geschnitzte
Familienwappen, die auf den Torbögen oder an den
Knaggen der Torständer angebracht waren. Die
Bauten des 16. Jahrhunderts waren aus kräftig dimensionierten Hölzern mit großem Holzverbrauch
hochwertig verzimmert - was aber auch bei Bauernhäusern dieser Zeit üblich war. Die vorgestellten adligen Hallenhäuser unterscheiden sich von zeitgleichen
Bauernhäusern vor allem durch ihre erheblich größere Länge. So hatten die Häuser in Ahmsen und Dahlhausen Längen von 16 bzw. 15 Fachen (ca. 32-35 m),
während große Meierhäuser vor 1600 gerade mal sieben bis neun Fache (ca. 25 m) umfassten. Zwei Hallenhäuser auf Gütern der Familie von Exterde in Lippe
konnten auch in ihrer inneren Raumstruktur näher
betrachtet werden: Das 1555 erbaute und 1959 abgebrannte Haupthaus des Gutes Ahmsen war ein
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
klassisches Flettdielenhaus mit einer großen Kaminküche und einem rückwärtigen, unterkellerten Kammerfach, das vermutlich zwei kaminbeheizte Säle im
Ober- und Dachgeschoss enthielt. Dagegen war das
1561-1563(d) erbaute Haupthaus des Gutes Dahlhausen ein kammerfachloses Flettdielenhaus mit einer
riesigen Flettküche von über 110 Quadratmetern, in
der ein offenes Herdfeuer ohne Schornsteinabzug
brannte. Separate Wohnräume für die adlige
Gutsherrschaft gab es hier nur in relativ bescheidener
Form in den Seitenschiffen. Im Unterschied zu ge-
wöhnlichen Bauernhäusern waren Wohn- und
Wirtschaftsteil in Ahmsen und Dahlhausen schon
durch eine Scherwand getrennt.
Die 1660 und 1716 erbauten Wohnhäuser auf den
Gütern Sylbach und Nassengrund sind schließlich Bei-
spiele dafür, dass das Niederdeutsche Hallenhaus
auch noch in der Barockzeit für einen adligen Haus-
Anmerkungen
1 Zusammenfassend: G. Ulrich Großmann, Renaissance ent-
lang der Weser. Köln 1989; dort auch ältere Literatur.
2 Zu Oesterholz s. Fred Kaspar/Peter Barthold, Große Kon-
zepte und kleine Reste: Das sogenannte Schloss und die
Domäne Oesterholz. Untersuchungen zur Anlage sowie zur
Bau- und Funktionsgeschichte, in: Heinz Wiemann (Hg.): Ge-
schichte der Dörfer Schlangen, Kohlstädt, Oesterholz und
Haustenbeck, Bd. 2. Bielefeld 2011, S. 678-753; zu Hövelhof
s. Albert Ludorff (Hg.), Kreis Paderborn (Bau- und Kunstdenk-
mäler von Westfalen, Bd. 7). Münster 1899, S. 31.
3 Albert Ludorff (Hg.), Kreis Wiedenbrück (Die Bau- und
Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 10). Münster 1901, S.
77f.; Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Os-
nabrück. Osnabrück 1930 (Nachdruck Osnabrück 1965), S.
391-394; Josef Schepers, Gräftenhaus Außel bei Wieden-
brück, in: Westfälischer Heimatkalender 1966, S. 67-71,
Wiederabdruck in: Josef Schepers, Vier Jahrzehnte Hausforschung. Bielefeld 1973, S. 118-120; Wilhelm Hansen/Herbert
Kreft, Fachwerk im Weserraum. Hameln 1980, S. 274;
Konrad Rückbrod, Die Restaurierung des Gräftenhofes Aussei, in: Westfalen 67. Münster 1989, S. 184-213.
4 Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie.
Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück,
in: ders. und Kurt Dröge (Hg.), Beiträge zur Volkskunde und
Hausforschung 3, 1988, S. 57-90.
5 Hermann Kaiser, Adel und Wohnen auf dem Land - Einflüsse ständisch geprägter Sozialstrukturen auf Bauweise und
Wohnverhalten in Nordwestdeutschland, in: Probleme der
Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet. 32. Oldenburg 2008, S. 127-147.
6 Vgl. den Beitrag von Sonja Michaels in diesem Band.
7 Zu den lippischen Beispielen vgl. Roland Linde/Nicolas Rüg-
ge/Heinrich Stiewe, Adelsgüter und Domänen in Lippe.
Anmerkungen und Fragen zu einem brach liegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und
Landeskunde 73, 2004, S. 13-107; hier S. 60-63.
halt als durchaus standesgemäß und „ökonomisch"
angesehen wurde - zumindest auf kleineren Gutshöfen. Das traditionelle Hallenhaus mit Wohn- und
Stallteil unter einem Dach entsprach zu dieser Zeit
noch üblichen herrschaftlichen und bürgerlichen
Wohnformen auf dem Lande: Auch ländliche Pfarrhäuser etwa in Heiden oder Lüdenhausen oder bürgerliche Gutshäuser wie der um 1720 erbaute und
um 1775 umgebaute „Schönhof" aus Wiedenbrück
(heute im LWL-Freilichtmuseum Detmold) sind tradi-
tionelle Dielenhäuser mit hervorgehobenem, anspruchsvoll ausgestattetem Wohnteil.57 Das promi-
nenteste Beispiel eines „herrschaftlichen Hallenhauses" in Westfalen - und zugleich eines der letzten
seiner Art - ist schließlich der 1745-49 von dem
Münsteraner Barockbaumeister Johann Conrad
Schlaun für sich selbst erbaute Landsitz Haus
Rüschhaus bei Münster.58
8 Stefan Baumeier, Der Valepagenhof im Westfälischen Frei-
lichtmuseum Detmold, in: Heimatland Lippe 5, 1982, S. 131-
136; Stefan Baumeier/G. Ulrich Großmann/Wolf-Dieter
Könenkamp, Westfälisches Freilichtmuseum Detmold. Mu-
seumsführer. 2. erw. Auflage 1987, S. 16-18; Jan Carstensen/Heinrich Stiewe (Hg.), LWL-Freilichtmuseum Detmold.
FREILICHTführer. Detmold 2008, S. 37f.
9 Beispiele sind die abgebrochenen Bauernhäuser Warneke
und Grothe-Meiners von 1579 in Bödexen (Kr. Höxter); s. Das
Bauernhaus im Deutschen Reiche und seinen Grenzgebieten.
Atlas, Dresden 1906, Tafeln Westfalen Nr. 3 und 5; Josef
Schepers, Westfalen-Lippe (= Haus und Hof deutscher
Bauern, Bd. 2). Münster 1960, S. 165f. und 410, sowie das
1971 für das Detmolder Freilichtmuseum abgetragene und
eingelagerte Bauernhaus Potthast aus Bredenborn (Kr. Höx-
ter), s. Stefan Baumeier, Westfälische Bauernhäuser. Vor
Bagger und Raupe gerettet. 2. Auflage Bielefeld o.J. (1983),
S. 78f.
10 Zur Geschichte des Valepagenhofes s. Hans Franz von
Hülst, Der Valepagenhof im Delbrücker Land. Eine Studie zur
Hof- und Besitzergeschichte, in: Die Warte 9, 1970, S. 136 -
139; Christian Reinicke, Der Hof Valepage zu Delbrück in
Geschichte und Gegenwart. Masch.-schr. Manuskript ohne
Ort, ohne Jahr (Trier 1980) im LWL-Freilichtmuseum Detmold,
Schriftgutsammlung sowie Hans Jürgen Rade, Die
Geschichte der Familie Valepage, in: 75 Jahre Westfälische
Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung (^Beiträ-
ge zur westfälischen Familienforschung. 53). Münster 1995,
S. 343-453.
11 Rade wie Anm. 10, S. 351. Reinicke (wie Anm. 10, S. 4)
datiert die Eintragung nach der Regierungszeit des Abtes Gizo in die Zeit 1337-1355.
12 Als Eigen(be)hörige bezeichnet man von einem Herren
persönlich abhängige Bauern. In Westfalen wurde der Begriff
häufig für Bauern verwendet, bei denen der Leibherr der
Person und der Grundherr des Hofes identisch waren. Ein
Eigenhöriger leistete personengebundene Abgaben für sich
157
158
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
und seine Familie und nutzungsgebundene Abgaben für sei-
nen Hof. Im Unterschied zur ostelbischen Leibeigenschaft
war die Eigenhörigkeit von beiderseitigen Rechten und
24 Ähnliche Jagdszenen finden sich auch neben Musikanten
und einem pflügenden Bauern am eingangs erwähnten
Herrenhaus von Haus Außel bei Wiedenbrück von 1580; s.
Pflichten zwischen Bauern und Herren geprägt; so hatte der
Schepers 1973 (wie Anm. 3), Abb. 66-69.
Eigenhörige das Erbrecht an seinem Besitz („Erbe") und
konnte gegen seinen Herrn vor Gericht klagen; s. Leopold
Schütte, Wörter und Sachen aus Westfalen 800 bis 1800
wehr gesichert; s. Manfred Groten/Peter Johanek/Wilfried
(= Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfa-
len 17). Münster 2007, S. 204f.
13 Reinicke (wie Anm. 10), S. 23 und 37f.; Rade (wie Anm.
10), S. 351 f. Zu den Besitzgrößen der abhängigen Höfe von
1672 vgl. http://www.wickel-genealo-
25 Reinicke (wie Anm. 10), S. 24f.
26 Das Delbrücker Land war nach außen durch eine Land-
Reininghaus/Margret Wensky (Hg.), Nordrhein-Westfalen
(Handbuch der Historischen Stätten). 3. neubearb. Aufl.
Stuttgart 2006, S. 214f.
27 Baumeier 1982 (wie Anm. 8), S. 133.
gie.de/html/valepagenhof.html (letzter Zugriff: 28.01.2012).
28 Das Bauernhaus im Deutschen Reiche (wie Anm. 9),
Atlas, Taf. Westfalen Nr. 5. Die Fotografie von Ludorff erst-
14 Rade (wie Anm. 10), S. 347ff., 352f..
15 Rade (wie Anm. 10), S. 361 ff; zur Familie Varendorf(f)
denkmäler von Westfalen, Bd. 7). Münster 1899, S. 18 und
vgl. Walter von Hueck (Bearb.), Adelslexikon, Bd. XV (= Ge-
nealogisches Handbuch des Adels, Bd. 134), Limburg/Lahn
2004, S. 478-483.
16 Rade (wie Anm. 10), S. 343f. sowie Frank Huismann,
Dörfliche Gemeindebildung und -Verfassung im Hochstift
Paderborn im späten Mittelalter, in: Uta Halle/Frank Huismann/Roland Linde (Hg.), Dörfliche Gesellschaft und ländliche Siedlung. Lippe und das Hochstift Paderborn in überre-
gionaler Perspektive. Bielefeld 2001, S. 90-107; hier: S.
102ff.
17 Reinicke (wie Anm. 10), S. 23 und 37f.; Rade (wie Anm.
mals in: Albert Ludorff, Kreis Paderborn (= Bau- und KunstTaf. 3.
29 Fritz Walter, Das Westfälische Bauernhaus. Dortmund
1936, S. 52; Klaus Thiede, Deutsche Bauernhäuser. 2. Aufl.
Königstein 1955, S. 41; Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 59,
165ff„ 411; Hansen/Kreft 1980 (wie Anm. 23), S. 277; Fred
Kaspar, Fachwerkbauten des 14.-16. Jahrhunderts in West-
falen (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland,
Heft 52). Münster 1986, S. 60.
30 Baumeier 1982 (wie Anm. 8), S. 134f.; Heinrich Stiewe,
Vom Umgang mit Häusern im Museum. 30 Jahre Wiederaufbau und Baudokumentation, in: Stefan Baumeier/Jan
10), S. 351 f. Zu den Besitzgrößen der abhängigen Höfe von
Carstensen (Hg.), Westfälisches Freilichtmuseum Detmold.
gie.de/html/valepagenhof.html (letzter Zugriff: 28.01.2012).
Westfälischen Freilichtmuseums Detmold - Landesmuseum
1672 vgl. http://www.wickel-genealo18 Zu den Begriffen „Landtagsfähigkeit" und „Schriftsäs-
sigkeit" vgl. Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 7), S. 22ff.
19 Rade (wie Anm. 10), S. 343.
20 Da ältere Farbspuren an der Fassade kaum noch nach-
weisbar waren, wurde im Museum die Fassung der letzten
Restaurierung von 1954 wiederhergestellt. Am rechten Torständer wurde dabei das Wappen Valepage (Schild mit sechs
Rosen) rekonstruiert (Rade wie Anm. 10, S. 353 und 355);
der linke Ständer zeigt seit 1954 das Wappen der damaligen
Besitzerfamilie von Hülst, eine Ranke mit Stechpalmenblättern (Ilex). Dagegen führten die Varendorf einen schrei-
tenden Löwen im Wappen (Rade wie Anm. 10, S. 362 und
369).
21 Zur Biografie des Jost Valepage s. Rade (wie Anm. 10), S.
368 - 372; zum Amt des Gografen vgl. auch Huismann (wie
Anm. 16), S. 103f.
22 Caspar von Fürstenberg berichtet darüber in seinen Tagebüchern; s. Rade (wie Anm. 10), S. 370f.
23 Zur Fassade des Valepagenhofes und ihrer Ornamentik s.
Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 165f. und 411 (Aufmaß von
Gerhard Eitzen); Wilhelm Hansen/Herbert Kreft, Fachwerk im
Weserraum. Hameln 1980, S. 277, Großmann (wie Anm. 1),
S. 132 sowie Hans-Günther Bigalke, Geschnitzte Bilder und
Figuren an Fachwerkhäusern in Deutschland 1450-1700.
München - Berlin 2008, S. 136 (Abb. 218) und 356 (Abb.
817). Zur Torinschrift s. Wilhelm Schmülling, Hausinschriften
in Westfalen und ihre Abhängigkeit vom Baugefüge.
Münster 1951, S. 57 und 111.
Geschichte - Konzepte - Entwicklungen (= Schriften des
für Volkskunde. 14). Detmold 1996, S. 69-108; hier: S. 96f.
31 Landesarchiv NRW, Abt. Ostwestfalen-Lippe, Detmold
(im Folgenden: LAV NRW OWL), D 77 Brenker Nr. 52, BI.
305, leider ohne weitere Quellenangaben. Zu den Wappen
s. Max von Spießen, Wappenbuch des Westfälischen Adels,
Bd. 1. Görlitz 1901-1903, S. 50, Taf. 120 (v. Exterde) und S.
4, Taf. 6 (v. Amelunxen); im Internet unter http://wikide.genealogy.net/w/index.php?title=Datei%3AWappenWes
tfAdel.djvu (letzter Zugriff: 28.01.2012).
32 1998 wurden einige Knaggen und Reste des Torbogens
in die Bauteilesammlung des Freilichtmuseums übernommen. Zum Gebäude s. Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 367,
Kaspar (wie Anm. 29), S. 43 (dort weitere Lit.) und 45, Abb.
2 sowie Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 7), S. 60ff.
33 Zur Geschichte der Familie von Exterde, die zwei Burg-
mannenhöfe in Detmold besaß, s. Erich Kittel, Detmold bis
zum Ende des 17. Jahrhunderts, in: Erich Kittel (Hg), Geschichte der Stadt Detmold. Detmold 1953, S. 48-182, hier:
5. 74f., Arthur Schöning, Der Grundbesitz des Klosters Cor-
vey im ehemaligen Land Lippe, Bd. 1, Detmold 1958, S. 32
(v. Exterde zu Iggenhausen) und Bd. 2, S. 51-84, Stammtafel
S. 59 (die hier interessierende Linie.v. Exterde zu Ahmsen). Zu
den früheren Adelshöfen der Familie v. Exterde an der
Exterstraße in Detmold (Nr. 7-9 und 11-15) s. Otto Gaul
(Bearb.), Stadt Detmold (= Bau- und Kunstdenkmäler von
Westfalen, Bd. 48, Teil I). Münster 1968, S. 392ff.
34 Aufmaß von Gerhard Eitzen (Nordwest-Ansicht und
Querschnitt) im LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL,
Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande
Bestand 710 K, Nr. 1237; perspektivische Ansicht (1949) im
Archiv Eitzen im Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide,
Hösseringen, Eit 2244 sowie eine Feldskizze, Eit 255; Aufmaß von Horst Gauert im Planarchiv der LWL-Denkmal-
pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen; Aufmaßskizzen von Wolfgang Günther im Besitz von Dr. Stefan Wiesekopsieker, Bad Salzuflen.
35 Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 394. Die Originalzeich-
nungen Eitzens aus dem Westf. Amt für Landes- und Baupflege, Münster, befinden heute sich im LWL-Archivamt für
Westfalen, Archiv LWL, Best. 710 K, Nr. 71; eine Feldskizze
(Luchtsäule und Lageplan Hofanlage) im Archiv Eitzen im
Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Hösseringen.
Zum Gebäude s. auch Kaspar (wie Anm. 28), S. 151 (mit
weiterer Lit.).
36 Zur Geschichte des Gutes Dahlhausen s. Roland Linde,
Meier zu Evenhausen. Ein traditionsreicher Hof im lippischen
Westen. Festschrift zum 625-jährigen Jubiläum der urkundli-
chen Ersterwähnung. Leopoldshöhe-Evenhausen 2003, S.
19-22. Ergänzende Quellenhinweise verdanke ich Wolfgang
Bechtel, Detmold, Roland Linde, Münster, Nicolas Rügge,
Osnabrück und Uwe Standera, Bielefeld.
37 LAV NRW OWL, L 12, Bd. 2, BI. 288c (Regierungsprotokolle, 1568; s. auch ebd., Bl. 244 und 268).
38 Herbert Stöwer, Fritz Verdenhalven, Salbücher der Graf-
schaft Lippe von 1614 bis etwa 1620 (= Lippische
Geschichtsquellen, Bd. 3). Detmold 1969.
39 Fritz Verdenhalven, Die lippischen Landschatzregister von
1535, 1545, 1562 und 1572 (= Lippische Geschichtsquellen,
Bd. 4). Detmold 1971, S. 6f., 181, 188 und 190; Herbert
Stöwer, Die lippischen Landschatzregister von 1590 und
1618 (= Lippische Geschichtsquellen, Bd. 2). Detmold 1964,
S. 16.
40 1619 wurde Hermann Dahlhausen, bis dahin Pächter auf
dem Hof Dahlhausen, Meier auf dem Uphof bei Währentrup; 1630 verließ er den Uphof und bezog wieder den
Pachthof Dahlhausen. 1637 heiratete llschen, des Meyers zu
Dahlhausen Tochter Bernd Niebuhr in Greste. LAV NRW
OWL, D 77 Brenker Nr. 36, BI. 50 und D 77 Schering Nr. 7.
Noch 1695 wird im Oerlinghausener Kirchenbuch Anna
Mejersche zu Dalhausen als Taufpatin genannt (nach Unterlagen von Uwe Standera, Bielefeld).
41 Dendrochronologisches Gutachten von Hans Tisje, NeuIsenburg vom 13. Januar 2012, im Auftrag des LWL-FreiIicht-
museums Detmold. Insgesamt konnten sechs Proben aus
dem Kerngefüge mit Fälldaten in die Bauzeit 1561-1563 datiert werden.
42 Vgl. Heinrich Stiewe, Die ältesten Bauernhäuser der
Grafschaft Lippe. Neue Befunde zum ländlichen Hausbau
des 16. Jahrhunderts, in: Ländlicher Hausbau in Norddeutschland und den Niederlanden (Berichte zur Haus- und
Bauforschung. 4). Marburg 1996, S. 293-328.
43 Lehnsakten im Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen,
Münster, Minden-Ravensberg, Regierung Nr. 459, BL 14 (die
nächste Belehnung ist 1579-1582 und 1592-1594 für
Heiderich von Exter, Sohn des Bernd bzw. dessen Bruder
Alhard nachweisbar (ebd. BL 20); freundl. Hinweis N. Rügge.
Zu Bernd v. Exterde s. Schöning wie Anm. 33, Bd. 2,
Stammtafel S. 59 sowie LAV NRW OWL, D TT Brenker Nr. 52,
Bl. 301. Die Familie v. Wurmb stammt aus Thüringen und
führt einen Drachen (Lindwurm) im Wappen; s. Walter von
Hueck (Bearb.), Adelslexikon, Bd. XVI (Genealogisches Hand-
buch des Adels, Bd. 137), Limburg/Lahn 2005, S. 420.
44 Wie Anm. 35.
45 Baubeobachtungen (mit Fotos und Skizzen) am 19. März
2011 durch den Verfasser und Frau Nadine Behrmann, Detmold.
46 Eitzen stellt in seinem Längsschnitt diese Luchtsäule als
bauzeitlich mit zwei Kopfbändern dar, die aber nicht vorhanden sind. Leider gelang es nicht, die Luchtsäule dendrochronologisch zu datieren.
47 Ähnlich steile Dächer sind für Ahmsen (s. o.) und das
Bauernhaus Kuhlmeier aus Kohlstädt (1559 d) dokumentiert;
beide Gebäude wurden auch von Gerhard Eitzen aufgemes-
sen; zu Kuhlmeier in Kohlstädt s. Schepers 1960 (wie Anm.
9), S. 376f. sowie Heinrich Stiewe, Vom Fachwerk zum Massivbau. Historische Gebäude als Zeugen der Ortsgeschichte,
in: Heinz Wiemann (Hg.), Geschichte der Dörfer Schlangen,
Kohlstädt, Oesterholz und Haustenbeck, Bd. 2. Bielefeld
2011, S. 598-675; hier: S. 603ff.
48 Ein nachträglich eingebauter Zwischenständer an der
Ostseite (3. Fach von N) erbrachte als letzten Jahrring 1830
(19 Splintringe, Waldkante unklar). Gutachten Tisje vom
13.01.2012 wie Anm. 41.
49 Aufmaß und Bauuntersuchung durch Dr. Michael Sprenger, Detmold, dem ich für die freundliche Überlassung des
Manuskriptes danke. Michael Sprenger, Baugeschichtliche
Dokumentation - Bad Salzuflen/Holzhausen, Max-Planck-
Straße 76. Masch.-schr. Manuskript Detmold 1997 (im
Auftrag der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Bad
Salzuflen).
50 Burkhard MeierA/era Scheef/Heinrich Stiewe/Emil Zeiß
1833-1910. Ein lippischer Pfarrer und Künstler. Detmold
2001, S. 98 und 218 (Werkverzeichnis Nr. 816, dort irrtümlich unter Lage, Kr. Lippe). Außerdem zeichnete Zeiß eine
Skizze der Torbogeninschrift des Haupthauses, ebd. Werkverzeichnis Nr. 817 (Lippische Landesbibliothek Detmold,
Lippe-Bildsammlung 10 S 1; neue Signatur BA BS 8-4, dabei
irrtümlich Carl Dewitz zugeordnet; s. Regionaldokumen-
tation Lippe im Internet unter www.llb-detmold.de,
Suchwort Sylbach, 10. Februar 2012).
51 Fotos von Fritz Pahmeier 1969 in der Lippischen Landes-
bibliothek Detmold, Lippe-Bildsammlung BA TB 8a, 8b und
68a: Haupthaus von 1660 (Ansicht), Nebengebäude von
1679 (Inschrift) unter der Adresse Holzhausen, Schulstr. 23
und Kötterhaus Schulstr. 28 von 1811 (Inschrift); s. Regional-
dokumentation Lippe im Internet unter www.llb-detmold.de, Suchwort Sylbach (10. Februar 2012).
52 Angaben zur Besitzergeschichte nach einer Notiz im
Stadtarchiv Bad Salzuflen; s. Sprenger (wie Anm. 49), S. 2f.
53 Zur Geschichte von Gut Nassengrund vgl. Roland Linde,
Heinrich Stiewe und Dieter Zoremba, Istrup. Geschichte
eines Dorfes im Blomberger Becken. Lage 2011, S. 64ff.,
192ff. und 92f.
159
160
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
54 Bauaufnahme von Gutshaus und Speicher durch den
Verf. mit Unterstützung durch Katharina Hoppe (+), im Auftrag des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege, Münster,
Abbildungsnachweis
Das Bauernhaus im deutschen Reiche und in seinen Grenzgebieten, Dresden 1906 (Tafel Westfalen Nr. 3): 5;
1987.
Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Hösseringen,
55 Dendrochronologisches Gutachten von Hans Tisje, Neu-
Archiv Eitzen: 11;
Isenburg vom 20. März 2010 im Auftrag des LWL-Amtes für
Lippisches Landesmuseum Detmold: 17 (Ihle), 20 (Stiewe).
Denkmalpflege, Münster.
LWL-Archivamt für Westfalen, LWL-Archiv: 9, 15;
56 Als weitere Beispiele wären zu ergänzen: Haus Bosfeld
bei Rheda (Kr. Gütersloh), Zweiständerbau mit hohen Luch-
len: 6 (Ludorff), 7, 8, 10, 12, 21, 22;
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfa-
ten und Kammerfach, spätes 16. Jahrhundert, s. Schepers
LWL-Freilichtmuseum Detmold - Westfälisches Landesmuse-
1960 (wie Anm. 9), S. 364f. (Originalzeichnungen von Gerhard Eitzen im LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL,
(Pahmeier), 4;
Bestand 710 K, Nr. 1060; Steinhof bei Lieme (Lemgo, Kr.
Lippe), altes Haupthaus, Dreiständerbau mit Fächerrosetten
am Giebel und rückwärtigem Saal, erbaut von der bürgerlichen Familie Erp-Brockhausen aus Lemgo, abgebrochen
1898; s. Heinrich Stiewe, Der Traum vom Rittergut. Bürgerliche Landsitze in Lippe, in: Jahrbuch für Hausforschung, Bd.
55. Marburg (im Druck).
57 Vgl. Heinrich Stiewe, Pfarrhausbau in Lippe, in: Thomas
Spohn (Hg.), Pfarrhäuser in Nordwestdeutschland (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Bd. 100).
Münster 2000, S. 227-308 sowie Baumeier 1988 (wie Anm.
4) sowie Stiewe (wie Anm. 56).
58 Hubertus Michels, Hallenhaus goes baroque. Johann
Conrad Schlaun und das Rüschhaus bei Münster, in: Jan
Carstensen und Josef Mangold (Hg.), Menschen - Ideen -
Migration. Neue Blicke auf Baukultur im Rheinland und in
Westfalen-Lippe (= Schriften des LWL-Freilichtmuseums
Detmold, Bd. 30). Detmold 2010, S. 62-73; dort auch weiterführende Literatur.
um für Volkskunde: 1 (Großmann), 2 (Wohlrab), 3 (Kreft), 18
Dr. Michael Sprenger, Detmold: 19;
Verfasser: 13, 14, 16.
161
Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts
und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde
Castrop-Rauxel-Habinghorst, Vördestraße 10 (heute Hafenstraße 10)
Fred Kaspar / Peter Barthold
Anlass der folgenden kurzen Darstellung des ehemaligen Bauhauses vor dem Hintergrund der Geschichte
des adeligen Gutes war eine Notdokumentation des
Gebäudes 2002 wegen der geplanten Einebnung der
gesamten, zuletzt zwischen Industrieanlagen, Eisen-
bahntrassen und Kanal eingezwängten Anlage im
Zuge landesplanerischer Maßnahmen zur Renaturierung und Anlage des Landschaftsparkes Bladenhorst.'
Der Abbruch erfolgte im Jahre 2004 wegen angeblicher Einsturzgefahr, ohne dass zuvor weitere Untersu-
chungen oder Dokumentationen möglich gewesen
wären. Eine archäologische Untersuchung der Burgstelle hat ebenfalls nicht stattgefunden.
Lage
Der seit dem 13. Jahrhundert nachweisbare adelige
Sitz Haus Vörde liegt nur etwa 750 m östlich von
Schloss Bladenhorst in der gleichnamigen Bauernschaft inmitten den Niederungen der Emscher. Die
Region wurde ehemals als Dodingheide bezeichnet.
Das Anwesen liegt auf einem niedrigen Geländesporn, der an dieser Stelle weit nach Norden in die
Niederung hineinreicht und auf der Nordseite der
Emscher eine Entsprechung fand. Diese Stelle war daher in früherer Zeit besonders als Übergang durch das
unwegsame Gebiet geeignet. Die Häufung von
Funden der vorgeschichtlichen Zeit im Bereich zwi-
1 Haus Vörde. Lage des Gutes in der Bruchniederung südlich der Lippe (rechts oben am Bildrand) und in nur geringer Entfernung zu der weitaus größeren Schlossanlage Bladenhorst (Ausschnitt aus dem Urkatasterblatt von 1828). Deutlich zu erken-
nen, dass die nördliche Herrenhausinsel der rechteckig umgräfteten Anlage zu dieser Zeit schon nicht mehr bebaut war.
162
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
sehen Haus Vörde und der Emscher belegt den seit
Langem bestehenden Gebrauch eines hier verlaufenden Weges. Die Bezeichnung Haus Vörde dürfte sich
daher auch auf diese Emscher-Furt beziehen, wobei
das befestigte Haus wohl zu deren Sicherung angelegt wurde.2
Geschichte
Die Geschichte von Haus Vörde ist bislang erst in ihren
groben Zügen bekannt.3 Bislang ist die Anlage nicht
Gegenstand umfangreicherer historischer Untersu-
chungen geworden, auch wenn hierzu offenbar
umfangreiches Archivmaterial erhalten geblieben ist.4
Trotz großer Nähe zu dem großen herrschaftlichen
Sitz Haus Bladenhorst befand sich das Haus Vörde
immer in anderen Händen: 1266 wird der mit einem
Dietrich von Vorde auch der Name des Hauses Vörde
erstmals genannt. Er gehört zum Gefolge des Grafen
von Cleve. Um 1400 wird die Hove Grotenhuys ten
Vurden im Besitz des Wilhelm von den Vurden
genannt. 1498 gelangte das Gut to Vörden als Lehen
an die Kinder des verstorbenen Neveling Staels, die
bislang auf Haus Hardenstein bei Witten-Herbede an
der Ruhr (Ennepe-Ruhr-Kreis) gelebt hatten. Lehnsherr
war zu dieser Zeit der Graf von Limburg-Styrum.
Dorothea von Schüngel heiratete Heinrich von Eickel,
der 1538 als Besitzer von Vörde genannt wird, aber
auch das schon länger in seiner Familie befindliche
Gut de grote Horst (wohl Haus Horst in Wanne)
besaß. Heinrich von Eickel lebte auf Vörde und ist dort
noch 1563 nachweisbar. 1568 wurde unter den sechs
Söhnen und drei Töchtern eine Erbteilung vorgenom-
men, wobei Heinrich von Eickel das Haus Vörde
erhielt. Er war mit Christine von Hasenkamp verheiratet, die auf Haus Weitmar bei Bochum aufgewachsen
war. Dorthin verzogen später ihre beiden Söhne
Matthias und Dietrich, während der Sohn Melchior
von Eickel das Haus Vörde erbte. 1632 ist er als
Besitzer genannt, verschenkte dann aber 1636 sein
Erbe an seinen Nachbarn, den Johann von Gysenberg
zu Henrichenburg (1620-1662). Seit dieser Zeit dürfte
Haus Vörde nicht mehr einen herrschaftlichen Haus-
halt gehabt haben. Dessen unverheirateter Sohn,
Domherr Adolf Arnold von Gysenberg (1651-1725),
vermachte das Gut der Familie von Westerholt zu
Haus Alst bei Horstmar (Kr. Steinfurt) im Münsterland.
1769 heiratete die dortige einzige Erbtochter
Wilhelmine von Westerholt-Alst den Ludolf Friedrich
Adolf von Boenen. Dieser nahm 1779 den Namen
Westerholt an und wurde 1790 in den Grafenstand
erhoben. Die verschiedenen von ihm ererbten Güter
wurden 1803 unter seinen beiden Söhnen aufgeteilt,
wobei Wilhelm die Westerholtschen Güter5 und damit
auch Haus Vörde erhielt und die Linie WesterholtWesterholt begründete. Die Grafen von WesterholtGysenberg auf Haus Henrichenburg blieben fortan
2 Haus Vörde. Ansicht des Haupthauses, das aus dem spätmittelalterlichen Bauhaus auf der Vorburg durch Umbau 1761 (d)
zum Pächterwohnhaus hervorgegangen ist (Zustand 1987).
Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde
Eigentümer von Haus Vörde, das von ihnen während
des ganzen 19. Jahrhunderts an mehrere Generationen aus der Familie Schlünder verpachtet wurde.6 Die
Verwaltung der Einnahmen sowie die Einkünfte aus
den zum Gut gehörenden Höfen übernahm zunächst
die Rentei in Gysenberg7 und wurde nach Ankauf des
größeren Gutes Kallenberg 1837 nach dort verlegt.
Im späteren 19. Jahrhundert wurden die Ländereien
für die sich schnell ausweitende Industrielandschaft
interessant: Über 60 % der zugehörigen Ländereien
wurden 1897 an Julius Rüttgers in Berlin verkauft, der
darauf eine Fabrik errichten wollte.8 Die restlichen
Flächen mit den Gutsgebäuden wurden 1916 an die
Gewerkschaft Victor in Castrop-Rauxel und die Ge-
sellschaft für Teerverwertung mbH in DuisburgMeiderich verkauft.9 Das Gutshaus blieb erhalten und
wurde fortan mit einer kleinen umgebenden Fläche
verpachtet. Später befand sich das Gutshaus im Besitz
des Klöckner-Konzerns10 und zuletzt gelangte die
Anlage an den Kommunalverband Ruhrgebiet.
Aufgrund der geschilderten geschichtlichen Entwicklung dürfte Haus Vörde wohl seit etwa 1630, spätestens aber seit der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht
mehr als Sitz einer herrschaftlichen Familie gedient
haben, sondern wurde noch als Wirtschaftsgut der an
anderen Orten lebenden Eigentümer genutzt. Bewoh-
ner waren seit der Mitte des 17. Jahrhunderts nur
noch die Pächter der zum Haus gehörenden Land-
wirtschaft. Über den Umfang der Ländereien und die
Familien der Pächter ist bislang kaum etwas bekannt.
1826 umfasste das Gut Haus Vörde einen Besitz von
226 Morgen. 1918 lebte auf dem 256 Morgen großen Gut als Pächter die Familie Schlünder,11 wonach
das Gut Haus Vörde auch Schlünderhof genannt
wurde. Seit etwa 1970 bis 2002 war das Anwesen an
die Familie Rose verpachtet.
Anlage von Haus Vörde
Haus Vörde hatte bis in das 19. Jahrhundert noch
Reste einer zweiteiligen Gräftenanlage. Welches Alter
die sicherlich zu verschiedenen Zeiten entstandenen
und ausgebauten Gräften hatten, ist nicht bekannt,
doch dürften sie im Kern mittelalterlichen Ursprungs
sein. Die das Haus umgebenden Gräften werden vom
Salzbach gespeist und umgaben eine kleine, rechteckige und zu dieser Zeit schon nicht mehr bebaute
Insel im Norden. Dieser lag nach Süden vorgelagert
eine weitere und größer dimensionierte Insel. Da auf
letzterer das Bauhaus als letztes noch erhaltenes
Gebäude steht, dürfte dieser Bereich als ehemalige
Vorburg gedient haben. Die nördlich anschließende
Insel dürfte ehemals das eigentliche Burghaus getragen haben, das aufgrund der Geschichte der Anlage
aber möglicherweise schon nach der Mitte des 17.
Jahrhunderts verschwunden ist.12 Die Baugeschichte
des Bauhauses legt es nahe, dass das Herrenhaus spä-
3 Haus Vörde. Torbogen im Giebel des alten Bauhauses mit
spätgotischer Kontur, der noch zum ursprünglichen Bestand
der massiven Umfassungswände gehört (Zustand 1987).
testens mit den Umbauten in den Jahren um 1761
verschwunden ist. 1826 zeigt das Urkataster noch
den größten Teil der Gräften mit Wasser gefüllt,
wobei zu dieser Zeit nur die südliche Begrenzung der
Vorburg zugeschüttet war. Die Haupthaus-Insel
wurde spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert als
Hausgarten genutzt, wobei alle umgebenden Gräften
zu nicht näher bekannter Zeit verlandet sind.
Das erhaltene Wirtschafts- und Wohngebäude
Kernbestand aus der Mitte des 16. Jahrhunderts
Das Gebäude stand auf einer Grundfläche von
23,70 x 12,70 m in süd-nördlicher Firstrichtung mit
seiner westlichen Längswand unmittelbar am inneren
Rande der Gräfte und wurde von dem Südgiebel
erschlossen. Der Bau war weitgehend aus Backsteinen
(im Format 29 x 14 x 7/7,5 cm) mit einer Mauerstärke
von 0,80 m bei den Längswänden bzw. 0,90 m beim
Vordergiebel und wohl sogar 1,10 m beim rückwärtigen Giebel aufgemauert, wobei Sockel, die Gewände
der Öffnungen und die Gebäudeecken aus Sandstein
gearbeitet sind. Die Sandsteine scheinen aus nahegelegenen Steinbrüchen zu kommen, wobei das glei-
che Material auch beim benachbarten Schloss
163
164
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
5 Haus Vörde. Querschnitt des Bauhauses nach dem Umbau
zum Pächterwohnhaus 1761(d), Schnitt durch den Wirtschaftsteil (Blick nach Norden). Rekonstruktion der noch
nachweisbaren Strukturen auf der Grundlage der 2002 vor
dem Abbruch vor Ort erhobenen Befunde.
dekanten nicht weiter profiliert. Er hat bei einer Breite
von 2,8 m eine Höhe von 4,5 m, wobei die senkrechten Teile der seitlichen Laibung 2,3 m hoch sind. Die
senkrechten Teile der seitlichen Gewände sind andeutungsweise wie Pilaster gestaltet, wobei als Basis ein
viertelkreisförmiger Prellstein und als Kapitell eine profilierte Platte dient, deren Profil eine schlichtes Stab-
profil zeigt.
4 Haus Vörde. Grundriss des Bauhauses nach dem Umbau
zum Pächterwohnhaus 1761(d). Rekonstruktion der noch
nachweisbaren Strukturen (ohne Fenster und Türen) auf der
Grundlage der 2002 vor dem Abbruch vor Ort erhobenen
Befunde.
Bladenhorst verwendet wurde.13 Es sind großformatige und teilweise sauber behauene Blöcke, die noch
vielfach Steinmetzzeichen14 zeigen (augenblicklich
sind diese wegen des 1965 aufgebrachten Verputzes
allerdings nur auf den Werksteinen des Torbogens
sichtbar). Über den Öffnungen wurden Stürze aus
starken Holzbohlen eingebaut.15 Das gesamte Gebäude erhielt einen umlaufenden Sockel aus Werksteinen, der etwa 15 cm vor die Flucht der darüber
befindlichen Wand vortritt und aus Werksteinen
besteht. Der Sockel ist an der Oberkante mit einer
schlichten Kehle profiliert, die seitlich der ursprüngli-
chen Zugänge nach unten verkröpft ist (dieser Befund
weist den Torbogen und die rechts davon befindliche
Tür als bauzeitlichen Bestand aus). Der Torbogen zeigt
eine spitzbogige Kontur, doch ist er an seinen Gewän-
Von dem bemerkenswert aufwändig gebauten und
sorgfältig durchgestalteten Kernbau haben sich allerdings nur noch die vier Umfassungswände erhalten,
während der gesamte innere Ausbau einschließlich
des Dachwerkes einer Erneuerung in den Jahren um
1761 entstammt.
Nach Ausweis der noch in Teilen zum Kernbestand
gehörenden Öffnungen in den Umfassungswänden
dürfte der ursprüngliche Innenausbau in seinem
Konzept allerdings im Prinzip der Einteilung des Inneren nach der Erneuerung entsprochen haben. Danach gehört der Bau zum Typ des Längsdielenhauses.
Unklar ist hierbei allerdings, ob der seit spätestens
1761 vorhandene rückwärtige Wohnteil des Hauses
schon ursprünglich vorhanden war. Vielmehr ist zu
vermuten, dass die mittlere Längsdiele zunächst durch
den ganzen Bau bis zum heutigen Rückgiebel reichte.
So hat der den Bau erschließende und zum ur-
sprünglichen Zustand gehörende Torbogen ungewöhnlich weite Maße und lässt die Einfahrt mit bela-
denen Wagen zu. Aufgrund der stattlichen Breite des
Gebäudes und der nahezu mittigen Lage des
Torbogens im vorderen Giebel ist eine Dreischiffigkeit
des Inneren zu erschließen, wobei die mittlere Diele
Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde
von Längswänden von Fachwerk begleitet gewesen
sein dürfte. Seitlich dieser mittleren hohen Diele bestanden zweigeschossig aufgeteilte Seitenschiffe,
wobei das rechte Seitenschiff aufgrund der Anordnung des Torbogens wohl etwa 0,70 m schmaler gewesen ist.16 Die Seitenschiffe hatten eine nicht näher
bekannte lichte Breite, wobei das rechte Seitenschiff
im Erdgeschoss mit einer 0,92 m im Lichten breiten
Tür im Giebel erschlossen war, was seine Nutzung als
Pferdestall vermuten lässt. Im vorderen Bereich der lin-
ken Seitenwand des Hauses hat sich noch eine zum
ursprünglichen Bestand gehörende mit Werksteingewänden eingefasste Luke erhalten, die auf ein ehemals bestehendes Zwischengeschoss in diesem Bereich hinweist.
Aufgrund der erkennbaren Befunde dürfte es sich bei
dem Bau um das ehemalige Bauhaus des Hauses
Vörde gehandelt haben.17 Dieses dürfte zunächst als
Stall- und Scheunengebäude der Gutswirtschaft gedient haben, aber zunächst wohl noch nicht auch als
Wohngebäude. Das Gebäude wurde schon bislang in
das spätere 16. Jahrhundert datiert. Eine genauere
Datierung erscheint auch weiterhin nicht weiter möglich, da die schlichte Form des Torbogens und auch
die Profile des um den Bau laufenden Sockels keine
genaueren zeitlichen Zuordnungen möglich machen.
Ein vergleichbares Bauhaus bestand ehemals auf dem
nahegelegenen Haus Callenberg in Obercastrop.18
Umbau zum Wohn- und Wirtschaftsgebäude des
Pächters um 1761 (d)
Das Innengerüst und das gesamte Dachwerk wurden
aus nicht bekannten Gründen um 1761 erneuert
(hierbei sind wohl auch ältere Hölzer unbekannter
Herkunft verzimmert worden). Diese Datierung er-
folgte aufgrund einer dendrochronologischen Datierung.19 Für eine Bauzeit in der Mitte oder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sprechen auch die
konstruktiven Details.
Möglicherweise war der Bau zu dieser Zeit stark ver-
fallen und bedurfte einer grundlegenden Erneuerung.20 Der Umbau steht möglicherweise aber auch im
Zusammenhang mit dem Abbruch des alten Burg-
hauses, wobei man das bisherige Bauhaus zu einem
kombinierten Wohn- und Wirtschaftsgebäude in der
Art eines Vierständerhallenhauses mit rückwärtigem
Wohnteil umgestaltete. Die Ziegel, mit denen das
Mauerwerk bei dem Umbau ergänzt wurde, unter-
scheiden sich in den Maßen (25 x ? x 5,5 cm) deutlich
von denen des Kernbaubestandes aus dem 16. Jahrhundert.
Bei dem Umbau erhielt das Gebäude nach Entfernung
der gesamten Holzkonstruktionen (inneres Tragwerk
sowie Dachwerk) neue Mauerkronen, die man mit
Platten an Innen- und Außenseiten abdeckte. Hierüber schlug man ein durchgängig aus neuen Hölzern
verzimmertes Dachwerk von 15 Gebinden auf. Jedes
Gebinde besteht aus einem Sparrenpaar, das durch
zwei hoch sitzende und gezapfte Kehlbalken gesi-
6 Haus Vörde. Ansicht des Bauhauses nach Nordosten (Zustand 1987).
165
166
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
chert und in die Balken ohne Schwelle gezapft ist. Der
Längsverband wird nur durch Windrispen hergestellt,
die unterhalb der unteren Kehlbalken zwischen allen
Anmerkungen
Sparren genagelt sind. Die beiden zugehörigen Giebeldreiecke ruhen auf einer eng gelegten Stichbalkenlage. Die Giebeldreiecke wurden als leicht über den
Stichbalken vorkragende Fachwerkgiebel mit Krüppelwalmen verzimmert.
Das Innere des erneuerten Baus nahm nur in etwas
mehr als der vorderen Hälfte einen Wirtschaftsbereich
mit einer 4,8 m breiten Längsdiele auf. Die meisten
der Ständer der Längswände sind durch Kopfbänder
mit den Balken verbunden. Die Wände wurden mit
Lehmstaken geschlossen. Während die weitere Auf-
nahme von Proben für eine dendrochronologische Datierung
1 Die Bauuntersuchung erfolgte am 12. September 2001
durch Peter Barthold und Fred Kaspar einschließlich der Ent-
und unter Auswertung der vorliegenden Literatur. Eine
Eintragung der Anlage in die Denkmalliste der Stadt Castrop-Rauxel konnte nicht erreicht werden.
2 Hans Rohmann, Bemerkungen zur Baugeschichte des Hau-
ses Vörde in der ehemaligen Gemeinde Bladenhorst, in:
Kultur und Heimat, 23/1971, S. 34-39, hier S. 34.
3 Karl Hartung, Haus Vörde in Castrop-Rauxel, in: Kultur und
Heimat. Heimatblätter für Castrop-Rauxel und Umgebung,
Jahrgang 1 1/1959, S. 99; Richard Borgmann/Günther Höf-
ken/Karl Hartung/Hermann Wiggermann, Adelige Ge-
teilung des linken Seitenschiffs heute nicht mehr
nachweisbar ist, wurde das rechte Seitenschiff im
schlechter und Rittersitze in Castrop, in: Castrop-Rauxel -
Länge unterteilt, wobei der vordere Raum mittels eines Unterschlagbalkens zum großen Teil zur Diele geöffnet war und daher wohl als Stall anzusprechen ist.
Die rückwärtige Hälfte des Hauses wurde durch eine
Querwand vom Fachwerk abgetrennt und als großformatiger Wohnbereich eingerichtet, der wohl fortan
den Pächtern des Gutes als Wohnung diente. Dieser
65-94; H. Frin, Von Westerholt - ein Adelsgeschlecht der
Vestischen Ritterschaft, in: Vestische Zeitschrift 82/83.
Erdgeschoss in zwei Räume von jeweils vier Gefachen
Bereich bestand aus einer großen und durch die
ganze Hausbreite reichenden Küchenzone, die bei
einer Tiefe von 6 m über die Hälfte des Hauses einnahm und einem daran anschließenden und zweigeschossig aufgeteilten Wohnende in einer Tiefe von
Entwicklung einer Stadt im westfälischen Industriegebiet
(hg. von der Stadt Castrop-Rauxel). Castrop-Rauxel 1967, S.
Recklinghausen 1983/84, S. 243-326; Franz Darpe, Geschichte des Landkreises Bochum, in: Verwaltungsbericht für
das Jahr 1906, S. 20.
4 Im Zuge dieser Untersuchung konnten die Archivbestände
nur kursorisch gesichtet werden. Hierzu wurden die Findbücher der nachgewiesenen Archivbestände durchgesehen. Für
die Baugeschichte des Gutes und des erhaltenen Gebäudes
konnte hierbei allerdings nichts Wesentliches (etwa Rechnungen oder Inventare) aufgefunden werden. Im Archiv von
Haus Alst bei Horstmar (Kr. Steinfurt) hat sich für die hier
interessierenden Fragen nichts erhalten, während sich in
4,2 m, das in beiden Etagen jeweils zwei Zimmer
umfasste. Der großformatige Küchenbereich hatte
zunächst nur eine mittlere und etwa unter den First
gestellte Längswand, die die Balkenlage des Dachwerkes trug und in die auch der Schornsteinstapel
terholt befindet, Akten zum Verkauf des Gutes im 20. Jahr-
große Räume, die wohl als linke Wohn- und als
Bestand Archiv Westerholt-Westerholt, Güter Gysenberg,
tere hatte über eine große Tür Zugang zur Wirt-
3) sowie in den den Stadtarchiven von Dortmund und Ober-
Zwischendecken, wobei in der Wirtschaftsküche in
beiden Etagen noch ein Längsflur mit Etagentreppe
5 Wolfgang Bockhorst, Adelsarchive in Westfalen. Münster
dem Teilbestand des Archivgutes, der sich auf Schloss Wes-
hundert und Pachtverträge aus dem 19. Jahrhundert liegen.
Weiteres möglicherweise im Stadtarchiv Recklinghausen
integriert wurde. Seitlich dieser Wand verblieben zwei
(Bestand Archiv Westerholt-Arenfels, Boenensche Güter und
rechtsseitige Wirtschaftsküche anzusehen sind. Letz-
Henrichenburg und Vörde - Findbuch P 194, 194,1 und 194,
schaftsdiele des Hauses. Beide Räume erhielten später
hausen.
abgeteilt worden ist. Im Zuge dieser Umbauten
1998, S. 12 und 292.
6 Ab September 1824 wurde Gut und Haus Vörde für jeweils
12 Jahre an Friedrich Wilhelm Schlünder, ab 1890 dann an
scheint auch der alte Schornsteinstapel, der sicherlich
noch offene Herdfeuerstellen aufwies, durch einen
engen russischen Schlot ersetzt worden zu sein. Zu
nicht näher bekannter Zeit ist in das Erdgeschoss des
rechten Stallseitenschiffs ein weiterer Wohnraum ein-
gebaut worden.
1965 wurde das Haus renoviert und erhielt hierbei
einen neuen starken Zementputz.21 Zu dieser Zeit
scheint man auch das linke Stallseitenschiff erneuert
zu haben, wobei die Längswand zur Diele abgebrochen und um 55 cm in die Diele vorgeschoben und
massiv ersetzt worden ist.22 Über dem so verbreiterten
erdgeschossigen Stall entstand eine Betondecke. Beim
rechten Seitenschiff sind Teilbereiche der erdgeschos-
sigen Wand massiv erneuert worden.
seinen Sohn Friedrich Schlünder verpachtet. Nachdem 1897
wesentliche Teile des Landes verkauft waren, wurde er bis
zum Ende des laufenden Vertrages abgefunden und die rest-
lichen Flächen neu auf 12 Jahre für 900 Mark jährlich an den
Bergmann Theodor van Gemmern aus Rauxel verpachtet
(Archiv Westerholt, VI, 202).
7 Hierzu die erhaltene (nicht eingesehene) Jahresrechnung:
Gysenberg und Voerdesche Rechnung 1805 im Archiv Wes-
terholt - Westerholt, Nr. 658.
8 Archiv Westerholt, VI, 91 und 202.
9 Hierzu ein größerer Aktenbestand in Archiv Westerholt,
VI 128, 140-142.
10 Nach A. Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmale des
Kreises Bochum-Land. Münster 1907, S. 18.
Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde
11 Kultur und Heimat, Heimatblätter für Castrop-Rauxel
und Umgebung 25/26, 1973/74, S. 77.
12 Archäologische Untersuchungen haben hier bislang nicht
stattgefunden. Es dürfte sich aber um ein Bodendenkmal
handeln.
13 Nach Neumann, Wasserburgen im Stadtgebiet CastropRauxel, in: Kultur und Heimat, 21/1969, S. 78-87 stammt der
Stein aus den Baumbergen.
14 Eine Zusammenstellung bei Neumann 1969 (wie Anm.
13), S. 38.
15 Bislang gelang es nicht, einen dieser Stürze einer dendro-
chronologischen Datierung zu unterziehen, sodass die genauere Bauzeit der Kernsubstanz nicht ermittelt werden
konnte.
16 Die Giebelmauer ist außen rechts des Torbogens 4,47 m
und links 5,18 m breit.
17 Hierauf wies schon Neumann 1969 (wie Anm. 13), S. 85
und Rohmann 1971 (wie Anm. 2), S. 38.
18 Das Haus, zuletzt im Besitz der Stadt Gelsenkirchen, fiel
1925 einem Brand zum Opfer. Siehe Neumann 1969 (wie
Anm. 13), S. 85.
19 Auswertung durch Hans Tisje/Neu-Isenburg mit Gutachten vom 12. Oktober 2001. Im Einzelnen ergaben sich
folgende Daten:
1711 +- 5 rechte Dielenwand, 1. Hillenriegel von Südosten
1760/61 Dachwerk, Nordostseite, 8. Sparren von Südosten
1760/61 Dachwerk, Nordostseite, 11 Sparren von Südos-
ten
1760 +-2 Dachwerk, Nordostseite, 7. Sparren von Südosten
1781 +-8 rechte Dielenwand, Obergeschoß, Wandständer
zur 1. Querwand
20 Ein Brand des Inneren scheint nicht Ursache der Baumaßnahmen gewesen sein, da die starken Bohlen, die als
Stürze über den Öffnungen einbaut sind, wohl teilweise
noch aus dem ursprünglichen Baubestand stammen.
21 Karl Hoecken, Castrop-Rauxel - Entwicklung einer Stadt
im westfälischen Industriegebiet (hg. von der Stadt CastropRauxel). Castrop-Rauxel 1967, S. 95-132, hier S. 121.
22 Hierbei scheint man auch die rückwärtige Wand dieses
Bereiches zur Küche massiv erneuert zu haben.
Abbildungsnachweis
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: 1-3, 6 (Bildarchiv); 4, 5 Kaspar (Planarchiv).
167
168
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
Ein Gut, nur kurz im Interesse der Familie Droste zu Vischering
Fred Kaspar
Anlass der im Folgenden vorgelegten Untersuchungen waren einschneidende Veränderungen in der
Nutzung, die dem 1996 erfolgten Verkauf der seit
Trotz der vielen Eingriffe in den historischen Bestand
befindlichen Gutsgebäude folgten.
sowohl die Geschichte wie auch die bauliche Entwick-
Visbeck letztmalig modernisiert und 1941 den Wirtschaftsteil veränderten Bedingungen angepasst.
Nachdem der landwirtschaftliche Betrieb schon seit
Geschichtswissenschaft weitgehend unbeachtet2 bzw.
1656 im Besitz der Familie Droste zu Vischering
1930 hatte man die Pächterwohnung auf Haus
Längerem aufgegeben und die Ländereien verpachtet
waren, setzten nach 1960 vielfache Umnutzungen
der noch auf dem Gut stehenden Gebäude ein, bei
denen in kleineren und größeren Baumaßnahmen in
die historische Substanz eingegriffen wurde. Hierbei
hat man nicht nur die bestehende Anlage und die
noch erhaltenen Bauten verändert, sondern diese
auch durch zusätzliche Wirtschaftsgebäude im Bereich der vollständig verlandeten ehemaligen Gräften
erweitert, sodass inzwischen die ehemalige Konzeption der Anlage kaum noch erkennbar ist.
ist Haus Visbeck von der baugeschichtlichen For-
schung bzw. den Denkmalpflegebehörden bislang nie
näher betrachtet und analysiert worden. Daher ist
lung von Haus Visbeck bislang nur als ein dürres
Datengerüst bekannt.1 Das Gut blieb auch von der
beschränkte man sich dort, wo dies doch geschah,
auf wenige allgemeine Sätze und die stete Wiederholung lange gehegter Vorurteile.3 Allein die an der
Zufahrt zum Gut stehende Kapelle erhielt - als möglicherweise von dem Architekten J. C. Schlaun geplant
- größere Aufmerksamkeit.4 Vor dem Hintergrund
dieses geringen Wissenstands wurde das Gut 1984 als
die ehemalige Vorburg von 1676 einer schon 1636
zerstörten Wasserburg mit Kapelle in die Denkmalliste
der Stadt Dülmen eingetragen.
Seit 2008 wurde in dem bestehenden historischen
Gebäude der Vorburg eine größere Baumaßnahme
1 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Gesamtanlage von Südwesten (Sommer 2012).
169
2 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Anlage nach dem Urkatasterplan von 1826 (Ausschnitt). Zu dieser Zeit war die gesamte Gräftenanlage noch vorhanden, und auf der Hauptinsel stand noch ein kleineres Gebäude, möglicherweise das alte Herren-
haus. Der bis heute erhaltene Teil der Vorburg bildet die südwestliche Ecke. Südlich neben der von Westen kommenden
Zufahrt steht die Kapelle.
geplant. Die während der 2009 und 2010 ausgeführten Baumaßnahmen und notwendigen Eingriffe in die
historische Bausubstanz ermöglichten tiefere Einblicke
in den Aufbau und die Gestaltung des erhaltenen
Gebäudes, erforderten aber auch eine Dokumentation vieler Befunde. Vor diesem Hintergrund wurden
die Bauten durch die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, erstmals baugeschichtlicher
Betrachtungen unterzogen.5 Ergänzend erfolgte die
Dokumentation der bedeutenden Befunde zur historischen Farbgestaltung der Außenfronten des Gebäudes durch Amtsrestaurator Beat Sigrist.6
Zudem wurden archivalische Quellen zur Klärung der
Nutzungsgeschichte der Anlage erschlossen und ausgewertet. Zum Gut haben sich umfangreiche historische Aktenbestände im Archiv Graf Droste zu Vischering auf Haus Darfeld erhalten. Sehr aufschlussreich
für das Verständnis des Baugeschehens auf Haus
Visbeck erwiesen sich insbesondere die ab 1656 erhaltenen jährlichen Abrechnungen des Rentmeisters
über Einnahmen und Ausgaben.7 Für die folgende
Darstellung konnten hiervon allerdings nur die Rechnungen der Jahre 1675 bis 1679 ausgewertet werden, in denen der im Folgenden behandelte Ausbau
der Vorburggebäude erfolgte.
Da die erhaltenen Bauten der Vorburg im Mittelpunkt
der Betrachtung stehen, konnte es nicht Ziel der
Untersuchungen sein, grundlegend die bislang eher
geringen Kenntnisse zur Geschichte der Anlage zu
vervollkommnen und die gesamte Entwicklung als
Herrensitz bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts sowie
seine weitere Nutzung als Gutsbetrieb der Erbdrosten
zu Vischering in den Blick zu nehmen. Schon bei diesem eher punktuellen Einblick in die Geschichte von
Haus Visbeck wurde aber deutlich, dass die kulturund baugeschichtliche Bedeutung und die dort erhaltenen Bauten bislang unterbewertet worden sind. So
wurde bislang fälschlich davon ausgegangen, dass
man nach schweren Schäden, die die Anlage 1639
erlitten haben soll, das Herrenhaus nicht mehr, son-
170
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
3 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Vorburg von Nordwesten. Die früheste bekannte Ansicht der Anlage fertig-
te um 1890 der Fotograf Theodor Nopto aus Seppenrade.
4 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Vorburg mit noch wasserführender Gräfte von Südwesten (um 1910).
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
dem nur die Vorburg, notdürftig langsam wiederherstellte. Die Jahreszahl 1677 an der Ostseite des erhal-
tenen Wirtschaftsbaus bezeichnet wohl das
Enddatum der Reparaturen.8 Allerdings erwies sich
diese Aussage als nicht zutreffend, denn Haus Visbeck
hatte während des wirtschaftlichen und politischen
Aufstiegs der Familie von Droste zu Vischering in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindest während einer Generation eine besondere Bedeutung, die
sie aber aufgrund zunächst nicht absehbarer Entwicklungen nur für kurze Zeit behielt: Haus Visbeck
war eine der ersten Grunderwerbungen, mit deren
Hilfe es dieser Familie gelang, in der Neuzeit zu einer
der wirtschaftlich führenden Adelsfamilien des
Münsterlandes aufzusteigen.9 Nachdem die Familie
1670 in den Reichsfreiherrenstand erhoben worden
war, begann man um 1675 mit dem Ausbau des
schon 1656 erworbenen Hauses Visbeck. Es sollte zu
dieser Zeit vermutlich zu einem der Wohnsitze der
Familie ausgebaut werden. Allerdings starb der
Initiator Heidenreich Droste zu Vischering (1616
Ahaus - 6. August 1678) noch während der laufenden
Bauarbeiten. Durch seinen Sohn Christoph Heinrich
Droste zu Vischering (1652 Vischering - 1723) wurden
nur noch die angefangenen Baumaßnahmen im Jahre
des Erbfalls 1678 abgeschlossen. Fortan blieb Visbeck
einer der zahlreichen Gutsbetriebe, die der Absiche-
rung der wirtschaftlichen Grundlagen der Familie
dienten.
Zur Besitz- und Wirtschaftsgeschichte
Haus Visbeck liegt südlich von Dülmen und westlich
der Landstraße nach Seppenrade in der Bauernschaft
Dernekamp. Es wird als eines der zahlreichen Güter
der Abtei Werden im Bereich von Dülmen unter der
Bezeichnung villa visbech erstmals 1186 genannt.
Darunter dürfte zu dieser Zeit ein Haupthof im Bereich
der späteren Bauernschaft Visbeck zu verstehen sein.
Aus diesem ging im Zuge der Auflösung der hochmittelalterlichen Villikationen das befestigte Haus Visbeck mit umliegenden Höfen hervor.10 1338 bis nach
1540 war Haus Visbeck an eine Familie verlehnt, die
sich als Herren von Visbeck bezeichneten. Nachdem
diese Familie mit Schotte von Visbeck, gen. der Letzte
(1465-1540) und seinem Bruder Johannes, Dechant
zu St. Mauritz bei Münster ausstarb, und das Lehen
damit an den Lehnsherren zurückfiel, wurde Haus
Visbeck 1548 neu an Jost von Mecheln zu Sandfort
verlehnt. Schon 1555 sind dann aber die Herren von
Ketteier Lehnsträger. Zu dieser Zeit wird 1572 erst-
mals eine Marienkapelle bei Visbeck als Vorgän-
gergebäude der noch heute stehenden Kapelle nachweisbar. Georg von Ketteier (um 1550-nach 1629)11
heiratete 1578 Anna Agnes von Ledebur und übernahm ihr Erbe, die Werburg bei Spenge (Kr. Herford).
Zu dieser Zeit wurde das Haus Visbeck durch einen
Verwalter geführt, der sich als Schulte zu Visbeck
bezeichnete.12 Ihr Sohn Johann Ledebur von Ketteier
zu Werburg verkaufte als Erbe das Gut Visbeck 1631
an Lambert von Oer zu Kakesbeck und seine Ehefrau
Margaretha von Bodelschwingh auf Haus Kakesbeck
bei Lüdinghausen. Schon 1636 verkauften diese
Eheleute von Oer das Haus Visbeck für 1100 Rthl.
wieder an Reinhard von Raesfeld und seine Ehefrau
Anna von Raesfeld (Witwe des Goswin von Raesfeld
zu Empte) auf Haus Darup.
Zu dieser Zeit wurde das Haus Visbeck mehrmals in
kriegerische Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges verwickelt: Schon 1628 hatte man bei
Haus Visbeck eine Schanze angelegt, die die umherschweifenden Soldaten kontrollieren sollte.13 1639 soll
es zur Zerstörung der Hauptburg und zu schweren
Schäden an der Vorburg gekommen sein. Da allerdings auf Haus Visbeck schon wenige Jahre später
wieder eine herrschaftliche Wohnung nachweisbar
ist, dürfte das Haupthaus nur beschädigt und bald
wiederhergestellt worden sein.14 1642 lebten die beiden Söhne Rainer und Goswin von Raesfeld auf Haus
Visbeck. Da man das nahegelegene Haus Darup
zudem 1650 verkaufte, dürfte Haus Visbeck während
dieser Zeit sogar als Hauptwohnsitz der Familie
gedient haben.15 Nachdem ihre Eltern und Goswin
verstorben waren und als letzter dieses Familienzweiges am 11. Oktober 1655 auch Rainer von Raesfeld
zu Visbeck verstarb, musste die Erbnachfolge geregelt
werden. Wegen ausstehender Zahlungen in der
Nachlassregelung fiel der Besitz im Jahre 1656 an den
Dombursar Goswin Droste zu Vischering.
1657 wird die Familie von Vischering erstmals mit
Haus Visbeck belehnt. Nachdem der Besitz in den
nächsten Jahren für die Familie von Vischering end-
gültig gesichert werden konnte,16 scheint man begonnen zu haben, den neuen Besitz zu einem Gutsbetrieb
auszubauen, der aber wohl nicht mehr dauernd durch
einen herrschaftlichen Haushalt genutzt werden sollte. Allerdings waren die aus Haus Visbeck stammen-
den jährlichen Einkünfte zu dieser Zeit gleichwertig
mit denen aus dem Stammsitz der Familie.17
Haus Visbeck war landtagsfähig. Es war weideberech-
tigt in der Hörster, der Dernekämper und der Levesumer Mark. Dem Haus stand zudem das Markengericht in der Hörster Mark zu. Auch der grundherrlich
an Haus Visbeck gebundene Besitz war erheblich: In
den Pachtregistern der Zeit um 1700 werden über 90
Pächter genannt, wobei es sich allerdings nicht nur
um Höfe, sondern auch um andere Pachtgüter handelte, etwa Hausstätten, die sich auf der Freiheit von
Haus Dülmen befanden. Neben den einkommenden
regelmäßigen Pachtgeldern fielen im Jahre 1800 auch
noch die Lieferung von 135 Pachthühnern an. Andere
Quellen weisen darauf hin, dass zu Visbeck im 18.
Jahrhundert zusammen mit den Pachthöfen Schulze
Visbeck, Altenbochum, Elverich, Hagemann und dem
Kotten Schöler ein Grundbesitz von 280 ha gehörte.
171
172
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
5 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Vorburg von Nordwesten (Sommer 2009).
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? 173
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
7 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Feldseite nach Zuschütten der Gräfte (Sommer 2009).
Im Jahre 1800 zählten mindestens die elf folgenden
größeren Höfe zur Grundherrschaft von Visbeck: im
Kirchspiel Dülmen der Hof Cord Zurhorst in der
Bauernschaft Daldrup, die Höfe Böcker, Deipenbrock,
Hagemann, Kellmann sowie (wohl vor 1800 verkauft)
Formann und Schotte in der Bauernschaft Derne-
kamp,’8 der Hof Frillinck in der Bauernschaft Wedderen sowie im Kirchspiel Seppenrade der Hof Kovott in
der Bauernschaft Leversum und die Höfe Scheiper
und Stockhoff in der Bauernschaft Ondrup.19
Im Jahre 1674 begann man mit einer Wiederherstellung der offensichtlich verfallenen und im Laufe
des Krieges möglicherweise auch in Teilen beschädig-
ten oder zerstörten Gesamtanlage und der dort stehenden Bauten. Ziel waren aber nicht nur notwendige Reparaturen, sondern offensichtlich auch ein großzügiger Ausbau der Gesamtanlage, der allerdings
schon nach wenigen Jahren und vor Abschluss eines
vermutlich größeren baulichen Konzeptes wieder ein-
gestellt und später auch nicht mehr weitergeführt
wurde. Anlass und Ziel dieser Baumaßnahmen konnten bislang nicht durch Quellen belegt werden, lassen
sich aber in der von der Familie zu dieser Zeit erkenn-
bar verfolgten Politik erkennen: Die Familienmitglieder bemühten sich systematisch, durch Ankauf
und Ausbau von Gütern politischen Einfluss zu
sichern und die Einkünfte für die Zukunft auf eine
breite wirtschaftliche Basis zu stellen. Da es sich bei
Visbeck um eine der ersten größeren Erwerbungen
handelte, ist zu vermuten, dass man beabsichtigte,
Visbeck neben der nicht weit entfernten Burg Vischering bei Lüdinghausen zunächst zu einem Ne-
benwohnsitz auszubauen, nutzbar etwa als Altenteil
oder zur standesgemäßen Unterkunft von jüngeren
Geschwistern.20 Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts
hatte die Familie Droste zu Vischering ihren Hauptwohnsitz von der alten Wasserburg Vischering zum
allerdings nur pfandweise erworbenen Haus Holtwick
(Gmd. Rosendahl) bzw. in das Schloss Ahaus verlegt,
da es Mitgliedern der Familie seit dem 16. Jahrhundert ständig gelungen war, das Amt eines Drosten in
der Familie zu halten. Spätestens 1680 verlor Visbeck
allerdings schon wieder nach wenigen Jahren seine zu
vermutende besondere Stellung im Güterverband der
Familie. Ebenso wie sein Vater wurde Christoph
Heidenreich Droste (1652 Vischering-1723) im Jahre
1679 zum Droste der Ämter Horstmar und Ahaus
ernannt. Nachdem es 1680 gelang, mit Haus Darfeld
für die Familie ein weitaus bedeutenderes Gut mit
dort schon bestehenden repräsentativen Bauten
anzukaufen, verlegte er Ostern 1681 seinen Wohnsitz
dorthin.21 Im nächsten Jahr heiratete er in erster Ehe
Clara von Galen zu Assen (um 1652-nach 1700) und
1702 in zweiter Ehe Adelheid von Nagel zu Loburg.
Sie scheinen als eigenen Alterssitz Haus Vischering
vorgesehen zu haben.
174
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Eine Seite aus der sorgfältig vom Rentmeister geführten Abrechnung von 1677 über
den Neubau der Vorburg.
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
Burg Vischering wurde auch nach 1681 als „Stammhaus" der Familie in ihrer alten Form über Jahrhunderte weiterhin unterhalten,22 neben der man aber
auch noch weitere Güter und Herrenhäuser, die seit
dem 17. Jahrhundert in den Besitz der Familie gelangt
waren, unterhielt und zeitweilig bewohnte.23 Hierzu
gehört unter anderem ihr 1699 erneuerter Hof in der
Stadt Münster, das ab 1731/38 im Besitz der Familie
befindliche Haus Vorhelm, der ab 1757 neu errichtete
sogenannte Erbdrostenhof in Münster, dem ab 1781
auch ein Herrenhaus-Neubau in Darfeld folgte. Auf
diesen verschiedenen Anwesen befanden sich wiederholt auch herrschaftliche Haushalte24 für das Familien-
oberhaupt und auch als Witwensitz oder als Sitz jüngerer, noch nicht als Fideikommissherr eingesetzter
Mitglieder der Familie. Weitere ererbte Herrensitze
wurden nicht mehr bewohnt, aber soweit erhalten,
dass man sie als Jagdhaus kurzzeitig bewohnen konnte. Hierzu dürfte auch Visbeck gehört haben, daneben aber z. B. auch Haus Bevern bei Ostbevern oder
Haus Langen bei Everswinkel (beide Kr. Warendorf).
Das Haus Visbeck geriet aufgrund einer veränderten
Familienpolitik und verschiedener, bald bestehender
baulicher Alternativen nach 1678 nicht mehr als
Wohnsitz in den Blick der Familie. Der ertragreiche
Wirtschaftsbetrieb25 von Haus Visbeck wurde seit der
Besitzübernahme 1657 von einem Rentmeister geführt und nach 1800 verpachtet. Auf Haus Visbeck
lebte daher ein Rentmeister als ständiger Vertreter der
Herrschaft: 1763 wird Werneking und 1785/96 J. F.
Farwick als Rentmeister genannt. Nach 1800 werden
als Pächter genannt: zunächst Anton Struffmann,
Bültmann genannt, 1931 dann Strotmann aus Dülmen und 1974 Wilhelm Bültmann. Mit seiner Pensionierung zum März 1997 verkaufte die Familie Droste
zu Vischering das Anwesen.
Zur Anlage von Haus Visbeck
Haus Visbeck bestand in der Neuzeit aus einer von
Wassergräben bestimmten sogenannten Zweiinselanlage. Heute ist hiervon vor Ort allerdings kaum noch
etwas zu erkennen. Sowohl der 1826 entstandene
Plan der Urkatasteraufnahme wie auch weitere Pläne
von 1873 dokumentierten die zu dieser Zeit noch
deutlich erkennbare Struktur der Anlage durch exakte
Vermessungen26. In der Niederung südlich der namengebenden sogenannten Fischbecke lag in einem Teich
die kleine umgräftete Insel mit dem Herrenhaus. Der
Herrenhausanlage schloss sich südlich auf dem höher
gelegenen Gelände eine zweite größere und rechteckige Insel als Vorburg an, auf drei Seiten von den
Wirtschaftsgebäuden und dem Torhaus begrenzt. Auf
der Nord- und Ostseite wird die Gesamtanlage von
einem offensichtlich aufgeschütteten Wall, einer
äußeren Gräfte und wohl einem zweiten äußeren
Wall begrenzt. Westlich der Anlage befand sich mit
etwa 100 m Entfernung die zum Gut gehörige Was-
sermühle mit eigenem Stauteich.
Diese komplexe Struktur der Gesamtanlage dürfte in
einem bislang nicht bekannten Prozess entstanden
sein. Es ist davon auszugehen, dass der Kern ein
hochmittelalterlicher Haupthof war, der auf dem Gelände der höher liegenden Vorburg zu suchen sein
dürfte. Daneben legte man zu nicht näher bekannter
Zeit in der Niederung ein Herrenhaus an, das wohl im
Laufe des 16. und frühen 17. Jahrhunderts mit einer
Außengräfte und zusätzlichen Wällen weiter gesichert wurde. Die regelmäßige Gestaltung der Vorburg
und die für ihre Anlage in das Gelände eingetieften
Gräften lassen vermuten, dass sie in dieser Größe auf
eine Neugestaltung in der frühen Neuzeit zurückgeht,
möglicherweise in dieser Form auch erst im Zuge des
Neubaus 1677 entstanden ist.
Über Alter, Entwicklung, Größe und Gestalt des Herrenhauses ist bislang nur sehr wenig bekannt. Einige
archäologische Befunde zur Fundamentierung des
Herrenhauses konnten 1974 aufgedeckt werden.27
Ebenso ist nicht bekannt, bis wann es bestand. 1655
wird der Bau in seinen groben Zügen beschrieben (s.
weiter unten) und 1675/76 renoviert bzw. neu ausgestattet.28 Es ist wohl erst zu nicht näher bekannter Zeit
im späteren 19. Jahrhunderts abgebrochen worden
(ob es sich bei dem kleinen Bau, der 1826 auf dem
Urkataster und noch 1873 auf Karten auf der Insel
verzeichnet wurde um das Herrenhaus oder ein später
dort stehendes Wirtschaftsgebäude handelt, ist nicht
bekannt), wobei noch bis in das frühe 20. Jahrhundert der Burgplatz mit der verlandeten inneren Gräfte
erkennbar blieb. Seit dem 19. Jahrhundert veränderte
sich die Umgebung mit Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Betrieb entscheidend: Zunächst schuf
man knapp östlich der Anlage eine Chaussee, später
auch eine Bahnlinie. Ab 1872 legte die Firma Krupp in
Essen nordwestlich der Anlage die Abschussanlagen
eines mehrere Kilometer langen Schieß- und Ver-
suchsplatzes an, der zwar von ihr nach wenigen Jah-
ren wieder aufgegeben, danach aber noch länger
durch das Militär genutzt worden ist.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden alle Gräften
verfüllt und zudem die ehemalige Mühlenanlage völlig eingeebnet.
175
176
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
9 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Die 1747 erneuerte achteckige Kapelle vor Haus Visbeck mit dem 1889 errichteten
Anbau (2010).
Zustand der Anlage in einem Nachlassverzeichnis
von 1655
Das Verzeichnis, das nach dem Tode über den Nachlass von Rainer von Raesfeld zu Visbeck aufgestellt
wurde29, gebraucht zahlreiche Raum- und Ortsangaben, die nicht zuletzt durch die Reihenfolge ihrer
Nennung Gestalt und teilweise auch die innere
Gliederung der Bauten und ihre Stellung innerhalb
der Anlage erkennen lassen. Hieraus kann der Zustand von Haus Visbeck und der dort vorhandenen
Bauten Anfang November 1655 in groben Zügen
erschlossen werden: Offensichtlich wurde bei der
Brauhaus aufgenommen wurde, folgten die eigentlichen Wohnräume: Genannt werden uffr Kammer und
im Stuben. Nachdem dort alles erfasst worden war,
scheint man sich erneut den Wirtschaftsgebäuden auf
der Vorburg zugewandt zu haben: Nun wird das Vieh
(Pferde, Kühe, Schweine, 106 Schafe, 42 Ziegen,
Gänse etc.) gezählt und bewertet. Zuletzt folgte als
umfangreichster Teil des Verzeichnisses das, was sich
in der Schreibstube und in einem weiteren im großen
Cantor genannten Verwaltungsraum befand.
Bei dem Herrenhaus scheint es sich nach den Raum-
nennungen um einen traditionellen Bau gehandelt zu
Verzeichnung auf der Vorburg begonnen und danach
haben, dessen hohes Erdgeschoss von einer Eingangs-
stehend und dann zwei weitere, die auf dem
großer Raum als Küche an. Am Ende des Hauses, das
nach Vergleichsbeispielen zweigeschossig aufgeteilt
war, befand sich ein unterkellerter Saal {auf der Kam-
die weiteren Besitztümer im Herrenhaus genannt.
Zunächst werden genannt: eine Kiste an der Pforte
Brauhaus stehen. Dann folgen Gegenstände auf der
Pforte und Gegenstände im Brauhaus. Nun folgt ein
Verzeichnis von Nahrungsmitteln wie Speck, Schinken
und Würste, die sicherlich in der Küche verwahrt wurden. Traditionell war dies selbst in einfachen Herrenhäusern bis in das 17. Jahrhundert der Haupt- und
Erschließungsraum im Erdgeschoss. Danach folgte als
Raumangabe ein Lagerraum oben der Küche. Weiter
wurden die Gegenstände in der untersten Kammer
verzeichnet. Nachdem noch einmal Weiteres im
küche eingenommen wurde, die auch ein großes
Herdfeuer aufnahm. Daran schloss sich ein zweiter
mer) sowie eine Stube und noch eine oder mehrere
Kammern. Zu vermuten ist, dass sich die beiden zum
Schluss des Verzeichnisses genannten Räume der
Verwaltung {Schreibstube und der große Contor)
ebenfalls im Herrenhaus befanden. Denkbar ist hierfür sowohl ein Anbau an das Herrenhaus wie auch ein
Einbau, der von der Küchendiele abgetrennt wurde.
Ein Obergeschoss des Herrenhauses wird aus dem
ine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? 177
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
10 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck, Torhaus. Ansicht des Tores mit den bauzeitlichen Flügeln im geschlossenen Zustand
(2009).
Verzeichnis nicht erkennbar. Auf der wohl wenig spä-
ter erneuerten Vorburg von Haus Visbeck wird am
Anfang des Rundganges ein Torhaus (Pforte) sowie
ein Wirtschaftsgebäude mit Ställen und Brauküche
(Brauhaus) beschrieben. Nach dem Herrenhaus folgten Ställe sowie Schreibstube und der große Contor.
Hierbei könnte es sich um Räume handeln, die in dem
seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr erhaltenen östli-
chen Bau der Vorburg lagen. Es darf demnach als
Bauhaus mit Diele und seitlichen Ställen sowie einer
Wohnung für den Rentmeister interpretiert werden
(hierbei wurde dessen Wohnung nur in Bezug auf die
herrschaftliche Verwaltung erfasst, da sie im Übrigen
von ihm selber mit Ausstattung versehen wurde).
Umbau und Erweiterung der Anlage 1674-1678
Die gesamte Anlage wurde ab 1674 erneuert. Die
Baumaßnahmen scheinen allerdings nicht Ausdruck
veränderter oder gestiegener Wirtschaftskraft des
Gutes gewesen zu sein, sondern dokumentieren die
veränderten Ansprüche der neuen Herren zu Visbeck.
Zunächst stellte man 1674/75 das alte in einer Gräfte
gelegene Herrenhaus wieder her und stattete dieses
neu aus.30 In den folgenden Jahren begann man damit, die Wirtschaftsbauten der Vorburg (zumindest im
ihrem westlichen Teil) zu erneuern, wobei die Gesamt-
11 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck, Torhaus. Der linke
Torflügel nach der Restaurierung (2011).
178
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
anlage wohl zugleich erweitert und auch in die rechteckige Form gebracht wurde. Möglicherweise lag der
ältere Kern des Wirtschaftshofes im Osten der
Vorburg mit dem Bauhaus, das in den Baurechnungen
nicht vorkommt, daher wohl im Bestand erhalten
blieb und weiter genutzt worden ist. Bei dem aus den
erhaltenen Rechnungen zu erschließenden Ausbau
der wohl zugleich vergrößerten Vorburg gab man ihr
die bis heute prägende rechteckige Form und bebaute sie entlang des westlichen und südlichen Randes
mit einer Reihe von Wirtschaftsgebäuden. Als Voraussetzung mussten deswegen zunächst auch erweiterte
Gräften ausgehoben und angestaut werden. Zudem
mussten zunächst offenbar auch die bisherigen
und anderen Mitgliedern des Wirtschaftsbetriebes
gedient haben). Zwischen diesen großen Wirtschaftsbauten entstand als südlicher Abschluss der Vorburg
eine schmalere Baugruppe, deren Nutzung heute
nicht bekannt ist und von der heute nur noch ein kurzer westlicher Bauteil erhalten geblieben ist.
Als einzige größere nachweisbare Baumaßnahme des
18. Jahrhunderts wurde die Kapelle im Jahre 1747/49
erneuert und 1752 durch die Stiftung einer Vikarie
abgesichert,35 womit der Pächter des Gutes von der
Unterhaltung der Kapelle und dem Unterhalt des
Priesters entbunden wurde. Seitdem wurden dem
Vikar aus den Erträgen des Hauses pro Jahr 100 Rthl.
ausgezahlt.36 Zu seiner Unterbringung scheint man
Standorte verschiedener Wirtschaftsbauten verlegt
werden. So errichtete der örtliche Zimmermeister Johann Möllers als Ersatz einer schon im 15. Jahr-
fortan die Wohnung im Torhaus genutzt zu haben.
Der Pächter dürfte seitdem wieder im Wohnteil des
verkleideten Schafstall und auch ein neues Wagenhaus.33 An welchen Orten man alle diese Bauten
errichtete, ist nicht bekannt; sie standen aber sicherlich nicht alle - wie etwa die Mühle oder der Schafstall
- auf der Vorburg, doch gibt selbst der 1826 erstellte
Urkatasterplan hierüber keine Auskunft. 1677 erneuerte man auch die Schleuse zur Wasserführung der
Gräften. Erst anschließend wurde in den Jahren 1677
bis 1679 das neue und bis heute einzig erhaltene
Wirtschaftsgebäude der Vorburg mit einem großzügi-
den Anbau eines Langhauses wesentlich erweitert.
Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sind alle Gräf-
hundert nachweisbaren Mühle31 eine neue Korn- und
Ölmühle aus Fachwerk,32 einen neuen mit Brettern
gen Umriss errichtet, das offensichtlich als Blickfang in
der Zufahrt zu der vergrößerten und in barocken
Formen umgestalteten Vorburg werden sollte. Ent-
sprechend seiner die Anlage nach Außen abgrenzenden Wirkung wurde der Neubau als wehrhaft gestaltet, indem man seine karge und weitgehend fensterlose Westwand mit einer dichten Reihe von kleinen
und wohl nicht nutzbaren Schießscharten dekorierte.
1678 wird auch die offenbar schon zuvor vorhandene
und der Maria geweihten Kapelle zu Visbeck mit einer
Zustiftung bedacht.34 Sie stand an nicht bekannter
Stelle.
Die Vorburg war noch bis in das 19. Jahrhundert auf
drei Seiten bebaut. Entlang ihrer heute leeren östlichen Seite stand nach dem Urkatasterplan von 1826
ein großes Gebäude, das zu dieser Zeit nach mündlicher Überlieferung als Wohnhaus des Pächters diente.
Die Proportionen lassen vermuten, dass es sich um ein
traditionelles Bauhaus gehandelt hat, das neben
Ställen für Kühe und einer großen Wirtschaftsdiele
auch einen Wohnteil umfasste. Diesem Gebäude gegenüber errichtete man als westliches „Pendant" ab
1677 ein weiteres Wirtschaftsgebäude, das Pfer-
deställe und Brauküche sowie eine Wohnung für den
Rentmeister aufnahm (die Wohnung im östlichen
Wirtschaftsgebäude dürfte seitdem dem Bauknecht
östlichen Wirtschaftsgebäudes, möglicherweise auch
zunächst im leer stehenden Herrenhaus gewohnt
haben. Die Kapelle wurde 1889 noch einmal durch
ten verlandet bzw. zugeschüttet worden. Sie zeichnen
sich heute im Gelände kaum noch ab. Die Zugbrücke
vor dem westlichen Tor des Torhauses ersetzte man
hierbei zunächst durch einen aufgeschütteten Damm.
Später schuf man als Ersatz der Durchfahrt eine im
Bereich der ehemaligen Gräfte angelegte, um das
nördliche Ende des Torhauses herumgeführte neue
Zufahrt zum Hofplatz.
Das Torhaus (von 1677/78)
Die Errichtung des westlichen Gebäudes der Vorburg
war die größte der während des umfangreichen ab
1674 begonnenen Sanierungs- und Ausbauprojektes
von Haus Visbeck durchgeführten Baumaßnahmen.
Der Neubau diente als Torhaus, das wohl auch die
Wohnung des Rentmeisters enthielt, zugleich aber
auch Pferde- und Fohlenstall und nahm am südlichen
Ende zudem das Brauhaus des Gutes auf. Die weiten
Böden über dem Gebäude wurden zweigeschossig
zur Lagerung des Pferdefutters und wahrscheinlich
auch des zum Brauen vorgesehenen Getreides ausgebaut und konnten unmittelbar von der Durchfahrt aus
beschickt werden. Ferner erhielt der Neubau einen
offensichtlich insbesondere der Repräsentation dienenden Turm an der südwestlichen Ecke, in dem auch
mehrere Kammern - wohl für auf dem Gut lebende
Bedienstete - entstanden. Bemerkenswert ist nicht
nur die Vielfalt verschiedenster Aufgaben und
Funktionen, die in dem Neubau untergebracht werden sollten, sondern die überzeugende Lösung, die
man hierbei sowohl in der einheitlichen äußeren
Gestaltung wie auch in der komplexen inneren
Struktur fand.
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
12 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Grundriss des 1677-1678 errichteten neuen Tor- und Bauhauses auf der Vorburg.
Rekonstruktion des bauzeitlichen Zustandes auf der Grundlage der bei den Bauarbeiten 2010 erhobenen Befunde.
Errichtung nach den erhaltenen Quellen
Der Neubau wurde in nur zwei Jahren - 1677 und
1678 - errichtet. Diese Bauzeit ergibt sich aus ver-
schiedenen Datierungen: 1677 auf dem äußeren und
dem inneren Torbogen, ANNO 1677 über der heute
umgesetzten Tür zur nördlichen Wohnung sowie
einer an der Feldseite neben dem Tor angebrachten
und 1678 datierten Wappentafel. Neben dieser vierfachen Datierung des Gebäudes lassen sich die gleichen
Baujahre aus den überlieferten archivalischen Quellen
erschließen. Durch die erhaltenen Abrechnungen
über diese Bauarbeiten lassen sich die Bauarbeiten auf
den Zeitraum zwischen Juni 1677 und Frühjahr 1679
fixieren.
Der Ablauf der Bauarbeiten an dem in den Quellen
öfters als neues Vißbecksches Haus bezeichneten
Wirtschaftsgebäude ist ausführlich in den erhaltenen
jährlichen Abrechnungen des auf Visbeck lebenden
Rentmeisters dokumentiert. In seinem allgemeinen
Kassenbuch notierte er akribisch alle Ausgaben, die
im Jahresverlauf anfielen. Da er also keine gesonderte
Abrechnung der Baustelle führte, sind seine Aufzeich-
nungen in Bezug auf die Baustelle nicht sehr über-
sichtlich. Nicht alle in Visbeck abgerechneten Arbeiten
konnten daher speziell diesem Neubau zugeordnet
werden,37 denn zur gleichen Zeit fanden auch laufende Unterhaltsarbeiten an anderen Bauten von Haus
Visbeck und darüber hinaus auch Bauarbeiten an anderen zum Gut gehörenden Gebäuden statt.38Zudem
wurden auch zwischendurch Arbeiten an verschiede-
nen zum Gut gehörenden Pachtkotten und zu
Erbpacht vergebenen Bauernhäuser abgerechnet.
Dennoch lassen sich Ablauf, Kosten sowie die be-
schäftigten Handwerker des im Laufe des Jahres 1677
erstellten Rohbaus gut aus den Rechnungen erschließen, aber nur noch einzelne Details des im Laufe des
Jahres 1678 durchgeführten Innenausbaus.
Es ist davon auszugehen, dass man mit den Bauarbeiten im Juni 1677 begann und den Rohbau noch bis
Ende des Jahres fertigstellte und unter Dach brachte.
Erst nach einer Pause im Frühjahr 1678 wurde der
Innenausbau ausgeführt, der noch mindestens bis
zum Dezember dauerte. Die im Haushaltsjahr 1677
abgerechneten Kosten für den Rohbau betrugen
etwa 1300 Rthl., während der Innenausbau 1678
mindestens weitere 200 Rthl. erfordert haben dürfte.
Damit erwies sich der Neubau für das Gut als nicht
besonders kostspielig, denn im Durchschnitt betrugen
auch die jährlich erwirtschafteten Einnahmen etwa
1500 Rthl. Vor diesem Hintergrund konnten selbst in
den Jahren der Bauarbeiten alle anfallenden Kosten
aus den laufenden Einnahmen bezahlt und dennoch
dem Droste zu Vischering noch ein kleiner Reinertrag
ausgezahlt werden.
Als Leiter für die Baumaßnahme wurde Heinrich Ester,
der Maurermeister, verpflichtet, der ebenso wie die
offensichtlich als seine Poliere auf der Baustelle tätigen Heinrich und Johann von Haltern im Tagewerk
arbeitete.39 Hierzu hatten sie einen Kerbstock, den
etwa alle vier Wochen der Rentmeister abrechnete.
Der Vertragsabschluss mit ihnen allen erfolgte am 1.
Juni 1677 durch Vorauszahlung von 10 Rthl. ad Computern, die man bei den späteren Abrechnungen verrechnete. Einen ebensolchen Vertrag erhielten auch
der Ziegelmeister Berend Rosenbaum aus Dülmen40
sowie Johan Rendolf in den Baumbergen zur Lieferung von Sandsteinen.4' Heinrich Ester leitete nicht nur
die Baustelle, sondern war auch für Be- und Verar-
179
180
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
beitung der gelieferten Sandsteine zuständig. Auf
Visbeck arbeitete zudem der dort auch über viele
Jahre nachweisbare und wohl auch lebende Zimmer-
meister Johann Möllers, der offensichtlich für alle
Zimmerarbeiten verantwortlich war.42
Neben diesen leitenden Handwerkern arbeiteten auch
zahlreiche Personen, die in den Quellen Steinebrecher,
Maurer, Sägeschneider, Zimmermann oder Handlanger genannt werden. Maurermeister Ester beschäftig-
te zudem fünf eigene Knechte, in den Quellen auch
als seine Consorten bezeichnet werden.
Großen Aufwand erforderte die Beschaffung des
benötigten Baumaterials, das man keineswegs nur in
der Umgebung oder auf dem zu Visbeck gehörenden
Land gewinnen konnte. Das Material scheint weitge-
hend erst zu dem Zeitpunkt angeliefert worden zu
sein, an dem es auf der Baustelle benötigt wurde.
Daher verdeutlichen die in den Quellen nachweisba-
ren Lieferungen wohl auch den Fortschritt auf der
Baustelle.
Bemerkenswert ist, dass der Rohbau nach knapp
sechs Monaten fertiggestellt und unter Dach gebracht
war: Da das Gebäude bis auf Teile der Hoffront mas-
sive Umfassungswände erhielt, ging es zunächst um
notwendiges Steinmaterial: Die für den Bau notwendigen Sandsteine (für die Gewände der Öffnungen,
Bodenplatten, Treppen etc.) wurden aus den
Baumbergen geliefert. Daneben wurden aber auch
mindestens zwei weitere Steinbrüche für Kalksteine
(zum Brennen von Mauerkalk) sowie für Bruchsteine
zum Vermauern in den Sockeln und Fundamenten genutzt: Mit dem Kalksteinbrechen und -brennen hatte
man schon Monate vor Baubeginn angefangen: Ein
Steinbruch lag in Seppenrade, ein weiterer in den
Borkenbergen. Für den Bau scheint man etwa 70 000
Backsteine benötigt zu haben. Die meisten Backsteine
lieferte zwar ab Juli 1677 der vertraglich eingebundene Ziegelmeister Rosenbaum in Dülmen,43 doch kaufte man mehrmals auch kleinere Lieferungen aus einer
Ziegelei in Lette.44 Schon im Juli wurden zudem 5 000
Dachpfannen geliefert.45
Im August wurde dann auch das Holz für die Hoffront
aus Fachwerk, die Balkenlage, das Dachwerk, die
Giebeldreiecke und die Innenwände beschafft: Hierzu
verarbeiteten die örtlichen Zimmerleute aus den
Waldungen des Gutes stammendes Holz, doch kaufte
man auch elf Stämme in der Davert, die dort gefällt
und zu Brettern geschnitten und erst dann auf die
Baustelle geliefert wurden. Viel Arbeitszeit erforderte
das Zusägen der Balken, Ständer, Riegel, Sparren und
Dachlatten. Die durch mehrere Gruppen parallel
durchgeführten Arbeiten wurden nach Länge der fertigen Hölzer angerechnet: Ein Sägeschneider mit seinen Leuten erhielt für 1 425 Fuß Holz etwas über 6
Rthl., weiteres Holz in der Länge von 3 233 Fuß lieferte der örtliche Meister Möllers und Holz in der Länge
von 2 259 Fuß der Meister Diethenrich Holthaus. Das
Gerüst der Hoffront, der Innenwände und des Daches
13 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Datierung auf dem äußeren Torbogen. Darüber umfangreiche Befunde für
die bauzeitliche Fassadenbemalung: Sandsteingewände weiß. Backsteinflächen rot mit weißen Fugen, Ornamentstreifen
unter dem Abschlussgesims (2010).
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
scheint man schnell verzimmert zu haben, denn die
Inschrift am Torbogen der Hofseite nennt als Datum
des Aufrichtens den 2. September: ANNO 1677 DEN
2. 7BRIS [September] IS VP GERICHTET WORDEN DIS
HAUß / DER EINE WIRT ES LOBEN DER ANDER WIRT
ES LACHEN. WER KANS EIN / IEDEN ZU DANCKE
MACHEN.
Da nach den Rechnungen als Letztes im September
auch die Dachlatten geliefert wurden, scheint man
das Dach schon kurz nach der Haushebung damit beschlagen zu haben: Für die Herstellung von 1750 Fuß
Latten berechnete der Zimmermann Böckers aus Vischering mit seinen Leuten 7/2 Rthl., weitere 1000
Fuß Latten erstellte der örtliche Zimmermeister
Möllers. Im Laufe des Novembers wurde das Dach mit
den schon länger bereitgestellten Pfannen durch
Leiendecker Heinrich Lammers und seine Leute eingedeckt. Einschließlich der benötigten 10 000 Pfannen-
nägel kostete ihre Arbeit etwa 100 RthL Auch das
offensichtlich mit Blei eingedeckte Turmdach wurde
noch im Dezember fertig. Schmiedemeister Bernd
Schmidt aus Dülmen erhielt für die Stange aufm Turm
in Vißbeck und weitere Arbeiten über 20 RthL und im
Februar 1678 wurde der Witwe Zacharias Waltmann
in Lüdinghausen 38 Rthl. für das Blei zum Turm
gezahlt.
Unmittelbar nachdem die Dächer im Dezember 1677
14 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Aborterker der Woh-
nung am nördlichen Giebel des Torhauses. Der Fallschacht
darunter wurde erst im 20. Jahrhundert gemauert (2009).
dicht waren, begann man mit dem Innenausbau.
Noch Ende November rechnete der Meister Ester die
Arbeiten für die Steine zum Schornstein, Treppe zum
Keller sowie für das Fensterwerk und an den Türen ab
und Mitte Januar 1678 dann für 370 Quadratfuß
gelieferter Fußbodenplatten.
Danach ruhten die Bauarbeiten bis zum späteren
Frühjahr 1678. Es ist zu vermuten, dass man abwartete, bis der Rohbau getrocknet war. Im April arbeitete
Zimmermeister Mollers an der neuen Brücke. Im Mai
ist auch wieder Maurermeister Ester auf der Baustelle.
Er arbeitete bis Ende Oktober mit seinen Leuten in
dem neuen Brauhaus, an der Mauer an der neuen
Brücke und an anderen Stellen. In dieser Zeit dürften
sie die Außenwände verfugt und die Innenwände verputzt haben.
Die weiteren Schritte des wohl bis Ende des Jahres
1678 laufenden Innenausbaus sind leider aus den
Quellen kaum noch detaillierter zu erfassen und nachzuvollziehen: Im Juni wird eine Pumpe im Brauhaus
aufgestellt und Ende Juni erhält Meister Dierich aus
Lüdinghausen für getanes Zimmerwerk 47 Rthl. und
Ende August rechnet Hermann Lau 500 Fuß trockene
planken zur Verfertigung von Türen und Fensterwerk
an dem newen Gebäue zu Vißbeck ab. Zimmermeister Möllers rechnete im Dezember seine Arbeiten
an dem neuen Füllen-Stall auf der neuen Delle und
am Pferdestall ab.
15 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Aborterker der Wohnung am nördlichen Giebel des Torhauses. Innere Zugangstür mit Blatt von 1678 (Zustand 2009).
181
182
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Beschreibung und Raumstruktur des Gebäudes
Das Gebäude wurde entlang der westlichen Schmalseite der Vorburg über deren ganze Länge mit einer
Grundfläche von 28,30x10,85 m errichtet. Vor der
südwestlichen Ecke errichtete man zugleich einen
Turm über nahezu quadratischem Grundriss (3,90x
4,20 m), der die Ecke des Gebäudes um ca. 1,25 m
überschneidet. Die den Wasserflächen zugewandten
drei Wände sowie der Turm stehen auf den massiven,
von Bruchsteinen aufgemauerten Futtermauern (mit
einer Höhe von etwa 3 m über dem ehemaligen Wasserspiegel der Gräfte) und sind über einem sandsteinernen Gesims von Backsteinen im Kreuzverband auf-
gemauert (die Stärke der Längswände von 0,60 m
entspricht zwei Steinen), während man die hofseitige
Längswand (bis auf den nördlich des Torbogens
befindlichen Abschnitt von 5,25 m Länge) aus Fach-
werk mit zwei Riegelketten verzimmerte und mit einer
Backsteinausmauerung schloss. In gleicher Weise
wurden auch die beiden Giebeldreiecke sowie die
wenigen, vereinzelt mit langen Ständer-StänderStreben ausgesteiften Innenwände verzimmert. Viele
der vermauerten Backsteine zeigen zwar blau
geschmauchte Köpfe, doch sind sie nicht in ornamen-
taler Anordnung vermauert. Nachdem die Zimmer-
leute die leicht vorstehenden Balken auf die Krone der
16 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Balkende-
cke über der Tordurchfahrt mit profilierten Balken und
Aufzugsluke zum Dachboden (2009).
massiven Westwand aufgelegt hatten, wurden ihre
Zwischenräume ebenfalls mit zwei Lagen von vorstehenden und diagonal als „deutsches Band" vermauerten Backsteinen geschlossen. Zur weiteren Sicherung des Dachwerkes erhielt jeder zweite Balken
einen die Fassade schmückenden, in doppelten
Schnecken ausgeschmiedeten Eisenanker.
Alle Öffnungen in den massiven Wänden erhielten
innen aus Backstein gemauerte Überfangbögen und
an den Außenseiten Gewände aus Baumberger Sandstein. Hierzu gehören die Reihe sehr kleiner, schlüssel-
lochartiger „Schießscharten", die in regelmäßigem
Abstand die westliche Front zieren und in rechteckige,
vor die größeren Wandnischen gesetzte Platten gearbeitet sind. Brauküche sowie der nördliche Wohnbe-
17 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Balkendecke über der Wohnung mit fein profilierten Unterzügen
(2009).
reich erhielten größere Fensteröffnungen mit Kreuzstockrahmen.
Besondere gestalterische Aufmerksamkeit zeigt das
äußere Tor der Durchfahrt, da es offensichtlich als
neue Hauptzufahrt zur ganzen Anlage diente: Das Tor
erhielt ein breites Gewände aus Sandstein (mit der
Datierung im Scheitel) und wurde von innen mit zwei
an jeweils zwei starken Eisenbändern aufgehängten
Torflügeln verschlossen. Diese konnten von innen
durch in den anschließenden Wänden laufende Stangen gesichert werden. Um den Torbogen mit einem
weiteren Schlagfalz für die hölzerne Zugbrücke zu
umgeben, ist der Torbogen leicht zurückgesetzt. In
den Zwickeln über dem Bogen gab es offenbar später
zwei vermauerte Öffnungen für die Kette der Brücke
und seitlich des Schlagfalzes wurde rechts für jeden
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
über die Brücke Ankommenden gut sichtbar eine mit
fein profilierten Sandsteingewände umgebene Wappentafel angebracht. Sie trägt das Wappen der Familie Vischering und die Datierung 1678.
Über dem Baukörper schlug man aus gesägtem
Eichenholz em Sparrendach mit einer hoch sitzenden
Kehlbalkenlage auf, das in der unteren Hälfte in
jedem zweiten Gebinde durch liegende Stühle mit
einer Spannbalkenlage ausgesteift ist. Die Stühle sind
im Längsverband durch ein Rähm und eine mittlere
Riegelkette verbunden und zudem mit langen, über
die Riegel geblatteten Kopfstreben ausgesteift. Die
Sparren stehen auf einer auf den Balkenköpfen liegenden Sparrenschwelle, die am Fuß gekrümmten
Stuhlsäulen unmittelbar auf den Balken. Die Spannbalken sind durch geschweifte Kopfbänder zu den
Stuhlsäulen unterstützt und trugen ehemals eine Dielung, sodass das gesamte Dachwerk in zwei Ebenen
(auf den Dachbalken und auf den Spannbalken) gut
zu Lagerzwecken genutzt werden konnte. Die beiden
heute nicht mehr erhaltenen Giebeldreiecke waren
von nicht vorkragendem Fachwerk verzimmert, das
mit geschwungenen Streben die gleiche Ausführung
wie das Fachwerk der unteren Wände zeigte und
wurde mit Backstein ausgemauert. Auffallend ist die
bis 1930 erhaltene reiche Durchfensterung des nördlichen Giebeldreiecks mit vier nebeneinander befindli-
chen Kreuzstockfenstern (dazwischen der bauzeitliche
Zug des Kamins aus dem Wohnbereich), unten jeweils
mit Schlagläden und darüber mit einer rechteckigen
Bleiverglasung versehen. Da sich in dem Dachwerk
keine ehemals vorhandenen Innenwände nachweisen
lassen, ist es allerdings zweifelhaft, ob dieser Befund
als Beleg für einen ehemals vorhandenen größeren
Raum im nördlichen Dach gewertet werden kann.
Das Innere des Gebäudes ist durch zwei Querwände
von Fachwerk in drei unterschiedlich lange Abschnitte
unterteilt, sodass vor beiden Giebelfronten abge-
trennte Sonder-Bereiche geschaffen werden konnten:
Nördlich entstand in der Breite von zwei Gefachen ein
unterkellerter Wohnbereich, südlich in der Länge von
drei Gefachen eine große Brauküche. Dazwischen
befand sich als zentraler Bestandteil eine weite Wirtschaftsdiele von sieben Gefachen Länge, die im nördlichen Bereich zugleich als Durchfahrt zum Hof und
Ladeort der Dachböden sowie südlich davon als
Schirrplatz und Pferdestall diente. Hierdurch konnten
bei Ankunft auf Haus Visbeck noch in dem Gebäude,
vor Erreichen des Hofes der Vorburg, Reiter ihre Pferde abschirren und abstellen sowie auch die Pferde vor
Fuhrwerken und Kutschen ausgespannt werden. Zu
diesem Zweck war der südlich an die Durchfahrt anschließende Bereich weitgehend ungeteilt und hier
nur entlang der westlichen massiven Wand zur Gräf-
18 Dülmen - Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Dachwerk mit zwei Lagerböden (Zustand 2009).
183
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
te in einer Länge von vier Gefachen ein im Lichten
3,40 m breiter Stallbereich abgetrennt. Da dieser
1941 vollständig entfernt wurde, sind alle Details seiner Konstruktion sowie Aufteilung und Erschließung
dürften als Kammern des Hausgesindes genutzt wor-
schossig aufgeteilt war (Ställe mit darüber befindli-
cken auf Balkenlagen aufgeführt und erhielt ein Zeltdach. Während das Erdgeschoss nur mit kleinen Lu-
nicht mehr bekannt. Allerdings lässt sich an der westlichen Wand noch ablesen, dass der Einbau zweige-
chen Lagerbühnen bzw. wahrscheinlich Knechtskammern), wobei die Ställe durch drei kleine Luken hinter
Schießscharten belichtet waren. Das Rähm der inne-
ren Längswand reichte als Unterzug unter den nördlich anschließenden Dachbalken über die Durchfahrt
bis zur nördlichen Querwand. Die Dachbalkenlage
wurde mit Kopfbändern zu den Ständern der östli-
chen Hofwand wie zur Stallwand abgestützt und gesichert.
Auch die Brauküche ist aufgrund der Umbauten des
20. Jahrhunderts nur noch in ihren weiten Abmessun-
gen von 7x10 m mit einer Grundfläche von 70 qm
erfassbar. Sie wurde im Südgiebel von zwei großformatigen Kreuzstockfenstern belichtet, während sich
die hier notwendigerweise vorhandene Feuerstelle
offenbar in der Mitte der nördlichen Trennwand be-
fand (schon auf den ältesten fotografischen Auf-
nahmen des Gebäudes ist hier kein Schornstein mehr
erkennbar). Nach den Baurechnungen gab es einen
Brunnen mit einer darüber 1678 eingebauten Pumpe
in der Küche und der Boden wurde zur gleichen Zeit
mit Sandsteinplatten ausgelegt. In dem Raum lag
auch der Zugang zu den Räumen in dem Eckturm. Sie
den sein, sodass die Brauküche wohl auch ihrem
Aufenthalt und die dortige Feuerstelle als Kochstelle
diente.
Der vor die südwestliche Ecke des Wirtschaftsgebäudes gestellte Turm ist dreigeschossig mit Zwischende-
ken belichtet ist, erhielten die Räume der beiden
Obergeschosse kleinere rechteckige Fenster. Es dürfte
sich um Wohnräume handeln, in denen möglichweise
Gesinde untergebracht werden konnte.46
Der Bereich nördlich der Durchfahrt wurde zweigeschossig ausgebaut. Beide Geschosse erhielten nur
Zugänge von der östlichen Seite und damit vom Wirtschaftshof. Das nur wenig eingetiefte Kellergeschoss
hat umlaufend massive Wände, eine Balkendecke und
blieb offenbar ungeteilt. Darüber schuf man eine zwei
Räume umfassende Wohnung, die über eine weit in
den Hof reichende massive Freitreppe und ein sand-
steinernes Portal mit Datierung 1677 im Sturz zu
betreten war (beides wurde 1931 umgearbeitet und
an die westliche Längswand versetzt). Dieser
Wohnteil erhielt einen in den Raumgrößen ausgesprochen aufwändigen Zuschnitt, große Kreuzstockfens-
ter und eine aufwändige Ausstattung; der frei über
die Räume gespannte Deckenbalken wurde jeweils
von einem sorgfältig profilierten Unterzug getragen,
ein Hinweis, dass es sich um eine nicht verputzte
Balkendecke mit aufgelegten Dielen handelt. Vor dem
19 Dülmen - Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Detail der Fassadenbemalung im Bereich des Abschlussgesimses (Zustand
2009).
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
Hintergrund dieser Ausstattung dürfte der Wohnteil
kaum als eine Gesindewohnung oder Unterkunft
eines Torwärters zu verstehen, sondern wohl dem
Rentmeister zur Verfügung gestellt worden sein. Von
hier aus konnte er den gesamten Verkehr zu und von
dem Gut sowie die Lieferung der Abgaben unmittelbar überwachen. Da kein Raum vorhanden war, der
als Küche mit einem Herdfeuer dienen konnte, dürfte
allerdings seine Verpflegung über den Gesindetisch
(wohl im Brauhaus) erfolgt sein. Der hofseitige Raum
mit zwei Fenstern ist daher als sein Büro und
Registratur (Rentei) zu interpretieren, der daran nach
Westen anschließende Raum mit nur einem Fenster
hingegen als Wohn- und Schlafkammer. Beide Räume
sind gleich groß und haben eine Grundfläche von
9x9,50 m (ca. 80 qm). Beide Räume scheinen schon
bauzeitlich nur mit einem Ofen beheizbar gewesen zu
sein, aufgestellt in der Raumecke vor einem Schornstein in der Mitte des nördlichen Giebels. Zudem erhielt jeder der beiden Räume einen mit Türen in Sandsteingewänden abgeschlossenen Aborterker: Der eine
ist unverändert erhalten und befindet sich über der
Gräfte im Nordgiebel, der andere befand sich am
Nordende der östlichen Längswand, die daher ebenfalls im Wasser gestanden haben dürfte.
Überlieferte Details der historischen Ausstattung
Das 1677-1678 errichtete Gebäude ist heute nur
noch in seinem Rohbau-Zustand überliefert. Die histo-
rische Gestaltung seiner Oberflächen sowie nahezu
alle Teile des Innenausbaus sind aufgrund der insbesondere im 20. Jahrhundert vorgenommenen Veränderungen verloren. Es ist allerdings auf einige erhaltene Details und bemerkenswerte Befunde hinzuwei-
sen.
Gestaltung der Fassadenoberflächen: Dezidierte
Nachrichten über die im Bestand noch nachweisbare,
wohl bauzeitliche flächige Farbgestaltung der Oberflächen waren in den archivalischen Quellen nicht zu
finden. Die Schlämmung der Wände dürfte daher zu
den Arbeiten gehört haben, die der bauleitende
Meister Ester mit seinen eigenen Leuten im Sommer
1678 durchführte. Einziger Hinweis auf eine Farb-
fassung der Wände scheint zu sein, dass am 15. Mai
1678 Glasmacher Storp zu Dülmen sechs Rthl. wegen
Anstreichung des Vißbeckschen turms erhielt. Erhalten haben sich umfangreiche Reste der farblichen
Gestaltung sämtlicher Außenwände. Sie wurden alle
in der gleichen Weise gestaltet, wodurch die östliche
Fachwerkfront zum Hofplatz gestalterisch offensichtlich auch den Backsteinfronten angepasst worden ist.
Das Mauerwerk aus Backstein wurde mit Feinmörtel
glatt verstrichen und danach mit rot eingefärbter
Kalktünche deckend geschlämmt. Hierbei verschwanden auch sämtliche schwarz eingefärbten Backsteine
(Einfärbung wohl durch Schmauchen während des
Brandes, teilweise auch mit gesinterter Oberfläche).
Anschließend versah man die gesamte Fläche mit
einer weißen Fugenmalerei aus gleichmäßigem Läu-
ferverband, die sich nicht an dem tatsächlichen
Fugenbild orientiert. Die oberen, die Mauer abschließenden Gesimse aus schräg vermauerten Backsteinen
waren in der oberen Steinreihe weiß und in der unteren rot gefasst. Unter den Gesimsen ist die Malerei
mit Bändern aus sich durchkreuzenden Kreissegmenten reicher ausgeführt. Die gemauerten Bögen über
den Fensteröffnungen wurden prinzipiell in der
Malerei wiederholt, dabei aber durch abwechselnd rot
und weiß aufgemalte senkrechte Backsteine bereichert.47 Darüber hinaus weisen geringe Befunde am
Torgewände darauf hin, dass auch die Sandsteingewände der Öffnungen weiß gefasst waren.
Türblätter: Bemerkenswert sind die beiden bauzeitlichen großen Flügel des westlichen Zufahrtstores. Sie
hängen an langen eisernen Bändern und bestehen
aus senkrechten Pappelholz-Dielen, von außen mit
waagerechten Bohlen aus Nadelholz aufgedoppelt.
Zusätzlich sind die Flügel gesichert durch regelmäßig
eingeschlagene Eisennägel mit quadratisch ausgeschmiedeten Köpfen. Im südlichen Flügel ist zudem
eine Fußgängertür mit eigenem Flügel eingelassen.
Die Flügel lassen an geringen Farbspuren erkennen,
dass sie ehemals in der gleichen Weise wie die Fassaden rot gefasst waren. Details zur Farbe und weiteren
Gestaltung sind allerdings nicht festgestellt worden.
Ein weiteres bauzeitliches Türblatt hat sich vor dem
Zugang zum westlichen Abort des Wohnteils erhalten. Es schlägt in einen Falz des sandsteinernen Ge-
wändes und wird von zwei offenen Eisenbändern
getragen. Das Blatt besteht aus breiten Eichendielen,
ist aber an der Außenseite durch Aufdoppelung aus
profilierten Leisten als zweifelderige Tür gestaltet. Der
Verschluss besteht aus einer ebenfalls bauzeitlichen
Klinke.
Veränderungsgeschichte
Es ist anzunehmen, dass die Wohnung im Torhaus ab
1752 von dem seitdem auf Visbeck in einem selbst-
ständigen Haushalt lebenden Vikar der Kapelle
bewohnt wurde.48
Das Gebäude blieb offensichtlich bis in das 20.
Jahrhundert weitgehend im bauzeitlichen Zustand er-
halten. Nachdem die der westlichen und südlichen
Front vorgelagerten Gräften wohl nach 1918 zugeschüttet worden sind, hat man ab 1930 weitreichende Veränderungen an der Bausubstanz vorgenommen: 1930 wurde der Wohnbereich im nördlichen
Ende des Torhauses nach Plänen des Architekten Kock
in Seppenrade modernisiert. Hierbei brach man den
östlichen Zugang vom Hofplatz ab und verlegte ihn
auf die Westseite, wo die Gräfte verlandet und zuge-
schüttet worden war. Der westliche Wohnraum
wurde durch eingestellte Zwischenwände aufgeteilt
und die inneren Türen versetzt. Zudem ersetzte man
185
186
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
20 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Umbaumaßnahme mit Ausbau des Daches zu Wohnzwecken (2010).
das Fachwerk der beiden Giebeldreiecke des Gebäudes durch Backsteinmauerwerk. 1941 ist dann der gesamte Wirtschaftsteil für landwirtschaftliche Zwecke
einschneidend verändert und durchgebaut worden.
Hierbei hat man in diesem Bereich alle Fachwerkwände (mit Ausnahme des Torbogens einschließlich
der Hoffront) beseitigt und durch Backsteinwände
und neue Zwischendecken aus Beton ersetzt. Ferner
wurde die große Brauküche am südlichen Ende zweigeschossig durchgebaut. 1958 wurde die schadhafte
Dacheindeckung mit einem Zuschuss des Denkmal-
amtes in Münster erneuert. Hierbei sind neue Zwi-
schensparren eingebaut und neue Hohlfalzziegel verlegt worden.
2010 erfolgte eine Sanierung und Ausbau des Gebäudes. Das Erdgeschoss wurde zu Wohnzwecken durchgebaut, wobei man die Durchfahrt einbezog. Hierbei
wurde die Hoffront zur Anlage von größeren Öffnun-
gen stark verändert. Das Dach wurde zu Wohn-
zwecken ausgebaut und hierzu zwischen den historischen Sparren große Gaupen aufgesetzt. Der histori-
sche Wohnteil blieb im Wesentlichen erhalten. Die
beiden Flügel des erhaltenen bauzeitlichen östlichen
Tores wurden restauriert.
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
Anmerkungen
1 Die Kenntnisse beruhen bis heute im Wesentlichen auf der
knappen Darstellung bei Albert Weskamp, Geschichte der
Stadt Dülmen. Dülmen 1911, S. 140. Seine Ergebnisse wur-
den später mehrmals von anderen Autoren übernommen,
hierbei allerdings teilweise auch gekürzt und verfälscht dargestellt: Engelbert Kerckering zur Borg, Alt-Westfalen. Die
Bauentwicklung Westfalens seit der Renaissance. Münster
1769, 1770, 1780, 1790 und 1800 überliefert. Aus vielen
Jahren haben sich zugehörige Bündel von Quittungen erhalten. Ferner liegen auch noch zusätzliche Pachtregister vor. In
den jährlichen Rechnungsbänden werden jeweils die grund-
herrlichen Einnahmen von den einzelnen Höfen aufgeführt
(mit Angaben zu den Ausfällen und ihren Gründen), danach
die extraordinären Einkünfte (Sterbefälle etc.) und danach
die hier besonders interessierenden Ausgaben.
1912, Abb. 74 (hier sind die Bauten noch in einem weitge-
8 Dies ging insbesondere auf Mummenhoff 1961 (wie Anm.
abgebildet); Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler
1) , S. 275-276 zurück. Er ging davon aus, dass das Gebäude
im Kern aus dem frühen 17. Jahrhundert stamme.
hend unveränderten Zustand einschließlich der Gräften
des Kreises Coesfeld. Münster 1913, S. 81, 94 und Tafel 62;
Karl Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift
Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 275-276.
2 So wird das Haus Visbeck selbst in der quellenreichen
Untersuchung von Marcus Weidner, Landadel in Münster
1600-1760. Münster 2000, nicht genannt. Auch die Darstellungen zur Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Nutzung von Burg Vischering haben die Bedeutung des Hauses
Visbeck für die Familie von Vischering in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts nicht diskutiert: Siehe Jenny Sarrazin
(Hg.), Burg Vischering. Wehrburg und Wohnsitz. Dülmen
1993. Selbst in der umfangreichen Festschrift zur Geschichte
der Stadt Dülmen und ihres Umraumes fand die Anlage
kaum Beachtung. Siehe Stefan Sudmann (Hg.), Geschichte
der Stadt Dülmen. Dülmen 2011. Hier wird Haus Visbeck nur
mit wenigen Worten in dem Beitrag von Sabine Kötting zum
Kirchspiel Dülmen und Hausdülmen bis 1813, S. 132 erwähnt!
3 Vgl. etwa Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum Dernekämper Schützenverein e. V. Coesfeld 2001. S. 236-239.
4 Es handelt sich um einen Backsteinbau, der als Oktogon
mit Ecklisenen und einem schiefergedecktem Zeltdach aus-
geführt wurde. Die Kapelle erhielt 1889 einen rechteckigen
Anbau und wurde 1922 erneuert. In der älteren Literatur
wurde der Entwurf des Kerngebäudes J. C. Schlaun in Müns-
ter zugeschrieben (s. etwa Theodor Rensing, Johann Conrad
Schlaun. München 1954, S. 39), doch wird dies heute aufgrund der schlichten Details der Architektur verneint. Hierzu
s. Florian Matzner/Ulrich Schulze/Johann Conrad Schlaun
1695-1773. Das Gesamtwerk. Stuttgart 1995, S. 840-841).
Zur Geschichte der Kapelle zuletzt Guido Autermann, Die
Marienkapelle Visbeck - Baugeschichte und Baubeschreibung, in: Dülmener Heimatblätter 51. Dülmen 2004, S. 2-
21.
5 Hierzu erfolgten am 16. Juni und 17. November 2009
sowie am 26. März 2010 durch Fred Kaspar Ortstermine.
6 Eine erste Dokumentation erfolgte am 8. August 2009.
Weitere Befunde wurden durch den Restaurator Dr. Christoph Hellbrügge aus Ascheberg im Mai 2010 dokumentiert.
7 Die Rechnungen haben sich offensichtlich ab der Besitz-
übernahme im Jahre 1656 erhalten. Sie liegen im Archiv
Schloß Darfeld, Bestand B XVII (Haus Visbeck), Class II, Loc 1-
3 und sind im Einzelnen unverzeichnet. Am 8. April 2010
wurde der Bestand beim LWL-Amt für Archivpflege eingesehen. Hiernach sind zumindest die Bände für die Jahre 1656
bis 1692, 1700, 1710, 1720, 1724 bis 1748, 1750, 1759,
9 Vgl. hierzu Weidner 2000 (wie Anm. 2), S. 451. Weitere
Aufstellung der Erwerbungspolitik bei Wolfgang Bockhorst,
Adelsarchive in Westfalen - Kurzübersicht. Münster 1998,
S. 77-78.
10 Wohl bis in das 16. Jahrhundert bildete Visbeck eine eige-
ne Bauernschaft. Seitdem wurden das Gut und die benachbarten Höfe zur Bauernschaft Daldrup gerechnet.
11 Sohn von Jasper Ketteier zu Middelburg und seiner Frau
Wilhelmine von Bökenförde gnt. Schüngel auf Haus Middelburg bei Haus Assen (Kr. Soest).
12 1607 ist Joh. Thier in dieser Funktion nachweisbar.
13 Julius Schwieters, Geschichtliche Nachrichten über den
westlichen Teil des Kreises Lüdinghausen. Münster 1891, S.
190.
14 Bislang wird allerdings in der Literatur davon ausgegan-
gen, dass das Haupthaus nicht wiederhergestellt wurde
(zuletzt noch bei Autermann 2004 (wie Anm. 4), S. 2). Dies
entspricht allerdings auch nicht den in den Rechnungen
detailliert belegten Ausbaukosten des hier genannten „Alten
Hauses" in den Jahren 1674 und 1675 (dazu weiter unten).
15 Am 6. April 1650 verkauften die Eheleute Reinhard und
Anna von Raesfeld aus Haus Visbeck das Haus Darup mit
allen seinen Gerechtigkeiten sowie dem im Haus noch
befindlichen Mobiliar für 4 000 Rthl. (davon 2 400 Rthl
sofort in bar) mit Ausnahme des Dorfzehnten zu Darup an
Wilhelm von Droste und dessen Ehefrau Anna Maria von
Nagel (Christian Schulze Pellengahr, Das adelige Haus Darup
zu Darup, in: Westfälische Zeitschrift. 155/2005, S. 93-160,
hier S. 110).
16 1659 verzichtete auch Franz von Bodelschwingh auf
Ansprüche auf Haus Visbeck.
17 Die Einkünfte aus dem Besitzkomplex wurden für das
Jahr 1686 auf 2 088 Rthl. berechnet und betrugen im Jahr
1734 etwa 2 735 Rthl. Helmut Richtering, Abgaben,
Holzgerichte und Hofsprachen, in: Sarrazin 1993 (wie Anm.
2) , S. 50-63, hier S. 60-62.
18 Bernhard Feldmann, Die Höfe des Münsterlandes und
ihre grundherrlichen Verhältnisse. Münster 1994 122-124,
127 sowie 360-361.
19 In dieser Bauernschaft lagen noch mindestens neun wei-
tere Höfe, die von Visbeck aus verwaltet wurden, aber eigentlich zu anderen Grundherrschaften der Familie Droste zu
Vischering gehörten.
20 Dass Haus Visbeck zu dieser Zeit als eine Art Vorwerk von
Vischering galt, wird auch daran deutlich, dass man von dem
neuen Gut aus viele Arbeiten an Bauten erledigte und hier
187
188
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
auch abrechnete, die nicht zum Besitzkomplex des Gutes
Visbeck gehörten (so etwa das Haus Wallbaum). 1655 konn-
te der Bruder des Bauherren, der Dombursar Goswin Droste
zu Vischering, auch das adelige Haus Weghausen bei Sep-
penrade und einen benachbarten Hof erwerben, wobei die-
se Ländereien fortan als Gut verpachtet und dann im 19.
Jahrhundert zu drei Höfen aufgeteilt wurden. Das Gut hatte
ebenfalls Weiderechte in der Hörster Mark (Ludwig Schulze
Spüntrup, Beiträge zur Geschichte der Seppenrader Bauern-
schaft Ondrup, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld.
dem alten Haus zu Vißbeck und in der zweiten Hälfte des
Jahres wurden dann auch Ausstattungsstücke und Möbel in
das Haus geliefert, etwa Stühle mit grünem Samt vom Meis-
ter Dietrich Kollier in Lüdinghausen.
29 Das Verzeichnis wurde auf Betreiben seines Vetters
Johann von Raesfeld über die in Visbeck vorhandenen Mobi-
lien und den dortigen Viehbestand erstellt (Archiv Schloss
Darfeld, CL 1 [Haus Visbeck], Loc II, Nr. 6). Da man zur bes-
seren Übersichtlichkeit hierbei die vorgefundenen Dinge
nach Räumen verzeichnete, handelt es sich um eine höchst
Dombursar Goswin Droste zu Vischering, von Ludolf von
aufschlussreiche und ergiebige, bislang allerdings nicht
erschlossene kulturgeschichtliche Quelle. Das hier nur in
Hinsicht auf bauliche Hinweise ausgewertete Verzeichnis
Galen zu Ermelinghof für ihn erworben worden.
22 Hierzu ausführlich: Fred Kaspar/Peter Barthold, Bis unters
tungsräumen vorhandenen Bücher, Akten, Briefe und Obli-
15, 1990, S. 7-54, hier S. 44-46).
21 Es war im Jahre 1680 vom Bruder seines Vaters, dem
Dach - neue Fragen an die Burg Vischering, in: Westfalen.
2010, S. 83-104.
23 Auf anderen Gütern der Familie (erst seit 1780 als Fidei-
kommiss zusammengefasst) wurden nicht mehr genutzte
Herrenhäuser abgebrochen, aber auch durch aufwändige
Neubauten ersetzt.
24 Haus Lütkenbeck bei Münster hatte man nach Erwerb ab
1695 zwar ebenfalls großzügig ab 1705-1720 als einen wei-
teren Wohnsitz neu gebaut, doch brannte das Herrenhaus
noch im Jahr der Fertigstellung wieder ab.
25 Nach einer kursorischen Übersicht zahlreicher Jahresrech-
nungen lässt sich hierbei Folgendes feststellen: Die Einnahmen in guten und schlechten Wirtschaftsjahren waren eben-
so wie die Ausgaben (etwa durch Baumaßnahmen) von vie-
len Zufälligkeiten abhängig und schwankten daher jährlich
erheblich. In der Regel lagen die Einnahmen des Gutes zwi-
schen 1670 und 1680 jeweils zwischen 1300 und 1700
Rthl., während der Reinertrag zwischen 350 und 650 Rthl.
errechnet wurde. Während des 18. Jahrhunderts hatten sich
die Einnahmen auf etwa 2 500 Rthl. erhöht und die Erträge
lagen zwischen etwa 1 500 und 2 000 Rthl.
26 Der Urkatasterplan wurde bei Ludorff 1913 (wie Anm. 1),
S. 94 in einer Umzeichnung veröffentlicht. Ein Bestandsplan
des Zustandes der Gesamtanlage 1873 jetzt auch bei Diet-
mar Rabich, Der Kruppsche Schieß- und Versuchsplatz in
Visbeck, in: Dülmener Heimatblätter. 59, 2012, S. 66-78,
hier S. 70.
27 Danach wird eine Grundfläche des mit eingerammten
und viereckig zugerichteten Pfählen aus Eiche und Buche
fundamentierten Hauses von etwa 8x12 m vermutet. Beim
Bau wurden Backsteine (Format 7,5/8x14/16x30 cm) verwendet. Vgl. Alfred Zeischka, Quellen zur Geschichte des
Hauses Visbeck, Manuskript Oberhausen 1975 (Exemplar in
der Bibliothek der LWL-DLBW).
28 Im Juni 1675 arbeitete ein Pliestermeister in Visbeck an
der Herrenkammer und der Stube. Danach wird mit dem
Pliestermann außm Elsaß wegen verding der Cammern zu
Vißbeck verhandelt. Im September wurde das Dach des
Haußes zu Vißbeck (sowie das der dortigen Mühle) durch
den Leyendecker Heinrich Lammers neu eingedeckt und im
Oktober das Haus neu verputzt. Im Mai 1676 erstellte
Zimmermeister Johann Möllers eine neue hölzerne Brücke zu
umfasst auch umfangreiche Auflistungen der in den Verwalgationen.
30 Dazu siehe die Quellenauszüge weiter oben.
31 Peter Theissen, Mühlen im Münsterland. Münster 2001,
Tabellen im Anhang.
32 Da die Mühle Teil des Gutes war, wurde seitdem ein
Müller fest beschäftigt und mit 17 Rthl. jährlich entlohnt.
33 Die Bauarbeiten an diesen Bauten können hier nicht de-
tailliert dargestellt werden. Neben dem die Arbeiten offensichtlich leitenden örtlichen Zimmermeister Möllers waren
insbesondere der Zimmermeister Böcker aus Vischering mit
dem Schneiden von Brettern sowie Hermann Leuper und der
Maurermeister Johann Beckers an den Arbeiten beteiligt.
Witwe Waltmann aus Lüdinghausen lieferte eine Tonne Teer
und Pech für 7 Rthl.
34 Christoph Bernhard von Galen (T1678) vermachte der
Kapelle testamentarisch 500 Rthl. Diese Stiftung mag damit
Zusammenhängen, dass seine Tochter (allerdings erst 1682)
den Erbdroste zu Vischering heiratete.
35 Weskamp 1911 (wie Anm. 1), S. 140.
36 Dies kann den überlieferten Rechnungen entnommen
werden. Als Empfänger wird 1754 bis mindestens 1763 der
Vikar Lindenkamp vermerkt.
37 Alle Eintragungen erfolgten streng chronologisch, wobei
die Handwerker fast durchgängig - auf der Grundlage von
vorlegten Kerbstöcken - nach Tagewerk abgerechnet wurden. Neben den Baumaßnahmen werden auch immer wieder die nicht unerheblichen Kosten für den Vogelfang oder
das Grasschneiden abgerechnet.
38 Hierzu zählte ein Haus in Dülmen, ein in der dortigen
Kirche abschließbarer Sitz sowie insbesondere das 1678 von
der Familie Schmedding angekaufte Haus Wallbaum bei
Senden-Ottmarsbocholt (Kr. Coesfeld). Hier scheint man
unmittelbar nach dem Ankauf ab 1678 ebenfalls einen
Neubau errichtet zu haben, der von Visbeck aus organisiert
und auch aus dem dortigen Haushalt bezahlt wurde (Das
heute nicht erhaltene Gebäude wurde bislang in das späte
16. Jahrhundert datiert. Vgl. hierzu Josef Schepers, Haus und
Hof westfälischer Bauern. Münster 1960, Abb. 31; Fred
Kaspar, Fachwerkbauten des 14. bis 16. Jahrhunderts in
Westfalen. Münster 1986, S. 194). Auch lassen sich Lieferun-
gen an ein der Familie gehörendes Haus in der Stadt Münster nachweisen.
Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs?
Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld)
39 Alle drei Personen sind bislang von der baugeschichtlichen Forschung weder namentlich erfasst noch für andere
Bauprojekte belegt worden.
40 Er wird auch als Galenscher Ziegelmeister bezeichnet und
dürfte daher durch den Graf von Galen zur Verfügung
gestellt worden sein.
41 Da dieser wenig später verstarb, wurden die Zahlungen
von der Witwe Elisabeth des Johann Wissmann quittiert.
42 Er dürfte für das Anbringen der Inschrift am inneren Torbogen verantwortlich gewesen sein. Halb in niederdeutscher
Sprache dokumentiert sie insbesondere in ihrer unbeholfe-
nen Schriftführung und Verteilung der Worte seine handwerklichen Grenzen. Die Konstruktion des Dachwerks muss
hingegen als solide Ausführung in zeittypischen Formen
bezeichnet werden, lässt aber ebenso keine Kenntnisse erkennen, die über regionale Erfahrungen hinausreichen.
43 Er erhält für verschiedene Lieferungen insgesamt etwa
190 Rthl.
44 Am 26. August sowie am 13. Oktober 1677 jeweils 3 000
Backsteine und am 30. Oktober noch einmal 1 000 Backstei-
ne. 3 000 Stück kosteten mit Fuhrlohn etwa 10 Rthl.
45 Sie kosteten einschließlich der Getränke für die Arbeiter
etwa 20 Rthl.
46 Die Räume konnten in ihrem historischen Bestand nicht
untersucht werden.
47 Siehe Bericht von Beat Sigrist vom 6. August 2009 in den
Akten des Fachreferates Restaurierung bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen.
48 Der Rentmeister oder Pächter bezog stattdessen das leer
stehende Herrenhaus oder später das Bauhaus.
Abbildungsnachweis
Dietrich Maschmeier nach Archiv Nopto/Seppenrade: 3;
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: Beat Sigrist: 7, 13, 19);
Planarchiv nach Aufmaß Fred Kaspar 2010: 12;
alle übrigen Fred Kaspar.
189
190
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Der Siebenmeierhof in Magelsen
Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
Dietrich Maschmeyer
Der „Siebenmeierhof" prägt trotz erheblicher Verluste
an Gebäuden und Einstellung des landwirtschaftlichen Betriebes in seiner beeindruckenden Größe auch
heute noch den kleinen Kirchort Magelsen (Gemeinde
Hilgermissen, Kr. Nienburg) westlich der Weser. Die
überlieferten und darüber hinaus auch die noch
erfassbaren Bauten sind in ihrer Vollständigkeit ein
selten aussagekräftiges Beispiel für die Entwicklung
der Wohn- und Wirtschaftsformen auf einem Bauernhof der agrarsozialen Oberschicht seit der frühen
Neuzeit.
An dieser Stelle soll es im Wesentlichen um die Gebäude gehen, deren größeren Teil der Autor zusammen mit Heinz Riepshoff im Jahre 1993 aufgemessen
und detailliert untersucht hat. Obwohl die Darstellung
der Geschichte des Hofes in Details zukünftigen Arbeiten vorbehalten bleiben muss, ist zum Verständnis
der baulichen Entwicklung ein kurzer Abriss aus den
verfügbaren Sekundärquellen unverzichtbar und soll
daher an dieser Stelle erfolgen.
Zur Geschichte
Die sieben „Siebenmeierhöfe" (schon 987 als septem
curtes erstmalig erwähnt) sind offenbar aus den Villikationen (Vorwerken) des schon 882 durch Bischof
Rimbert von Bremen gegründeten Stiftes Bücken hervorgegangen, die mit Aufgabe der Eigenwirtschaft im
Hochmittelalter in vermeierte Höfe übergingen. In
dieser Zeit diente offenbar jeder dieser Höfe - außer
in Magelsen noch in Bücken selbst, in Mahlen, Stendern, Essen, Mehringen und Wührden - dem Unterhalt eines der Stiftsherren, auf denen sie teilweise
auch Wohnung nahmen. Die nun sogenannten „Sie-
benmeier" übten weiterhin eine Oberhoffunktion
über je im Schnitt 18 normale Bauernstellen aus.1
1281 wird ein Streit zwischen dem Ritter Diedrich von
Staffhorst und dem Bücker Meier to Magelsen über
die Zehntrechte im Dorf Magelsen beigelegt. 1340
überlassen die Grafen Gerhard und Johann von Hoya
und Bruchhausen dem Stift Bücken auf sechs Jahre
die Vogtei über die septem curtes, wozu auch der
Hof Magelsen gehörte.2
1398 entscheidet Graf Erich in einem Streit zwischen
den grawen Otten to Hoya unde hinrlke van magelsen
unde synen broder dhen meyger van magelsen.2 In
dieser Sache hatte letzterer Urfehde geschworen und
damit einen Rechtsakt ausgeübt, der in der Regel
einem Angehörigen des Adels vorbehalten war. 1473
wird entschieden, dass sämtliche Einkünfte des Sie-
benmeierhofes zu Magelsen künftig allein dem
Propste zu Bücken zustehen. 1569 vergleichen sich
die Brüder Otto, Erich und Friedrich, Grafen zu Hoya
mit dem Bremer Domherren Hermann Clüver und
dem Testamentsvollstrecker des Sigebodo von der
Hude über eine der Grafenfamilie geliehene Geldsumme. Die Grafen verpfänden daraufhin Leute und
Güter in Alvesen, Dalenhusen und Magelsen.
In der großen Dotationsurkunde des Stiftes Bücken
(wahrscheinlich von 1575) werden die Einkünfte des
Hofes aus den nachgeordneten Bauernhöfen be-
schrieben: Dem Meygerhuse tho Magelsen sin dusse
hernach beschrevenen hoven und nesgers3 underworpen: ine hove tho Dudenhusen gift vif schwäre schil-
lingk
1 Tho Ötzen Achte pennige
2 Gruden gift viff Schwäre schillingk
3 Suthern 15 pennige
4 Aver to Oeste hefft vier hoven gifft dre Soliden4 und
dre Botlingk.5
5 To Dalenhusen twe hoven geven twe Soliden
Garsten und 1 Botlingk
6 Darsulvest eine hove gift 1 Soliden havern und 1
Botlingk
7 Tho Magelßen Albrecht gift 15 scheppel garsten,
thein scheppel havern und 1 Botlingk
8 Tensigt gifft 10 scheppen havern und 1 Botlingk
9 Eine hove tho Oeste thein schillingk.
10 Item noch eine hove auch sovele
11 Noch eine hove auch sovele
12 Darselvest 15 havern und 1 Botlingk
13 Darselvest 10 havern und 1 Botlingk
14 Alverissen gift 15 havern und 1 weder6 oder
Botlingk
15 Albern gift 18 himpten havern und 1 Botlingk
16 Elver 10 haver und 1 Botlingk
17 Tho Erxthusen, Warner gifft 12 himpten haver der
himpten roggen und 1 Botlingk
18 Westerot, Luder, gifft 4 himpten roggen
Tho dem hove tho Magelsen gehören diese nhabeschrevenen tegeden,7 alse Namptlichen
1 De tegede to Magelsen
2 De veerte part des tegeden to Oeste
3 De tegede uth soeß hoven to Martfeld
4 Item de gantze kleine tegede to Oeste und
Magelßen.
Mit der Auflösung des Stiftes in der Reformation fielen die Höfe an die Landesherrschaft der Grafen von
Hoya, die sie bald veräußerten. Sie behielten bzw.
erhielten die Landtagsfähigkeit in der Hoya-Diepholz-
191
sehen Landschaft und waren damit faktisch Rittersitzen gleichgestellt, die sie mehrheitlich aber nicht
sein konnten, da ihre Besitzer nicht dem Adelsstände
angehörten. Demzufolge war ihr rechtlicher Status
auch vielfach Gegenstand von Streitigkeiten mit dem
Staat, die nicht immer zugunsten der Siebenmeier
ausfielen, zumal es im Mittelalter bereits Urkundenfälschungen gegeben haben soll.
1588 erwirbt Rendich Meier den Hof in Magelsen
vom Landesherrn. Damit beendet er formal den Status als dem Meierrecht unterworfenem Hof. Außer
einer Wappentafel in der Kirche hat er vor allem das
im Folgenden zu behandelnde Haupthaus hinterlassen, das er 1613 (d) errichtet hat. Ihm folgten sein
Sohn Johann Meier (1606-1668) und danach sein vermutlicher Enkel Rennich Meyer (+1687), der wohl den
1683 datierten Speicher errichtete. Da er kinderlos
war, vererbte er den Hof seinem Neffen Vincentz Clüver (1669-1732) aus dem ebenfalls landtagsfähigen
Gute Nedderhude. Dieser errichtete 1716 die Pfeilerscheune. Sein Sohn Johann Heinrich Clüver wird 1732
bis 1751 als Besitzer genannt. Der Name seiner Ehefrau Anna Elisabeth Kohlhofen ist derzeit nur aus dem
Torbogen des von diesem Ehepaar 1747 errichteten
Pferdestalles überliefert. Die Generation des Johann
Erdwin Clüver (Besitzer 1751-1805) hat auf dem Hofe
selbst keine baulichen Spuren hinterlassen. Im Dorf
selbst befindet sich allerdings ein 1794 von ihm und
seiner Frau E. E. Wallmann errichtetes Gebäude, das
als „Verwalterhaus" überliefert wird (Abbildung 1).
Die wesentlichen Umbauten zum Gutshof, die den
Hof bis heute prägen, dürfte sein Sohn Johann Heinrich Phillipp Clüver (Besitzer 1805-1852) zumindest
eingeleitet haben. Der Name von dessen Sohn Johann
Heinrich Friedrich (J. H. F.) Clüver findet sich auf dem
Schlussstein der östlichen Durchfahrt der südlichen
Scheune der Dreiseitanlage (s. u.).8 Ihm oder seinem
Sohn dürften auch noch einige zwischenzeitlich wieder verschwundene massive Stallungen im Norden
der Anlage zuzuschreiben sein. Unter ihm wurde das
Gut 1863 als landtagsfähiges Rittergut anerkannt.
Drei Generationen später wurde der Hof an die aus
Verden verdrängte Familie Glander verkauft, in deren
vererbtem Besitz er heute noch ist. Um 1993 kam die
bis dahin noch von einem Pächter betriebene eigene
Landwirtschaft vollends zum Erliegen, die Ländereien
sind seitdem verpachtet.
Alle Siebenmeierhöfe führten übrigens spätestens seit
dem 16. Jahrhundert ein Wappen, das oben zwei laufende Jagdhunde und unten zwei gekreuzte Fische
zeigt9. Dies Wappen, wie es z. B. an der Giebelschwelle des Speichers aus Wührden (heute im Kreismuseum
Syke) zu finden ist, fand sich an den Gebäude in
Magelsen nicht oder nicht mehr, wohl aber die für die
zum Stift Bücken gehörenden Anwesen typischen
Fischschwänze.
Frühere Untersuchungen
Im Zuge seines zeitweise auch durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes zur
ländlichen Bauweise in Niedersachsen von 1951 bis
1953 hat sich wohl als erster und einziger Gerhard
Eitzen mit den Baulichkeiten des Siebenmeierhofes
befasst, aber wohl nur ein Gebäude zitierend publi-
ziert.10 Ein Rekonstruktionsversuch des Vordergiebels
und ein Querschnitt mit (fehlerhaft wiedergegebener)
1 Torsturz des nach mündlicher Überlieferung als „Verwalterhaus für den Siebenmeierhof" bezeichneten Haupthauses im
Dorf Magelsen. Foto Heinz Riepshoff, Verden 2011.
192
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Nachzeichnung einer Vogelschau des Hofes um 1950 (mit geringfügigen Veränderungen). Zeichnung Dietrich Maschmeyer.
Herdwand wurden 1984 veröffentlicht.11 Im EitzenArchiv im Freilichtmuseum Hösseringen findet sich
noch eine Perspektivansicht des Haupthauses mit
Rückgiebel und linker Seite sowie Teile eines Aufmaßes des Speichers.
Die Hofanlage
Eine wohl in die 1950er Jahre zu datierende Vogelschauaufnahme (vom Kirchturm aus) zeigt den Hof
von Osten mit einer Vielzahl von Gebäuden (Abbildung 2). Der Hof wird dominiert durch eine Dreiseithofanlage der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer
massiven, traufständigen Mehrzweckscheune als linkem Flügelbau, dem in Hochparterre errichteten Her-
renhaus mit Freitreppe im Westen und dem in der
Kubatur stark veränderten ehemaligen Haupthaus mit
Stall- und Wohnnutzung im Norden. Im Zentrum des
Dreiseithofes und der Mittelachse des Herrenhauses
steht ein oktogonaler Taubenturm. Östlich davon
steht heute, die unregelmäßige vierte Seite des Hofes
bildend, die augenscheinlich translozierte, aber immer
zum Hof gehörige ehemalige Pfeilerscheune von
1717 (i). Nördlich von ihr ein Teich, wohl eine ehema-
lige Pferdeschwemme.
Die Zufahrt vom Dorf zur Hofanlage führt nach wie
vor von Osten her auf den Einfahrtsgiebel des zum
Nebengebäude abgesunkenen alten Haupthauses zu.
Davor, direkt an der Nordseite des Weges, stand bis
1993 der langgestreckte „Pferdestall". Er wurde damals abgebaut und auf den Handwerkerhof in Lilienthal bei Bremen transloziert.
Nördlich des alten Haupthauses, auf der Höhe von
dessen Rückgiebel, steht der zweigeschossige Speicher von 1683. Östlich davon zeigt das Bild noch ein
langgestrecktes massives, wohl als Schweinestall anzusprechendes Gebäude und einen weiteren Bau, der
zum Zeitpunkt der eigenen Untersuchungen (1993)
bereits bis auf geringe Reste verschwunden war.
Das Haupthaus (1612/13d)
Der Bestand (hierzu Abbildung 3-5)
Vor Errichtung der Dreiseithofanlage in der Mitte des
19. Jahrhunderts bildete das rnittlerweile auf 1612/13
(d) datierte alte Haupthaus den Mittelpunkt des
Hofes. Durch mehrfache Überformungen ist seine
ursprüngliche Gestalt nur noch stark reduziert überliefert. Der wesentlichste Eingriff geschah im Zuge der
umfassenden Umbauten des Hofes in der Mitte des
19. Jahrhunderts, als das gesamte Dachwerk mitsamt
den Giebeldreiecken heruntergenommen und durch
eine zeitgemäße Konstruktion aus Nadelholz mit
Krüppelwalm-Giebeln in Eichenholzfachwerk ersetzt
wurde. Schon früher war anscheinend die vordere
Toreinfahrt in sehr schlichter Form verbreitert worden,
wobei auch wohl der Torsturz und seine Kopfbänder
verlorengegangen sind. Das jüngere - und offensichtlich zwischenzeitlich mit einer Fachwerkwand verschlossene - Tor wurde in den 1980er Jahren bei der
Umnutzung des Gebäudes zur Maschinenhalle ebenfalls herausgebrochen, jedoch im Gebäude verwahrt;
es stand daher für eine Rekonstruktion zur Verfügung. Von den geschnitzten Teilen des einstmals
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
3-5 Das Haupthaus. Der Bestand.
193
194
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
offensichtlich sehr reich ausgestalteten Renaissancegiebels ist fast alles spurlos verloren, nur die Knaggen
an den äußeren Eckständern sowie das Wandrähm
unter den Stichbalken und die Ständer des Tores sind
erhalten.
Die (bauzeitliche) Länge von 37,5 m übersteigt das
Maß gleichzeitiger „normaler" Bauernhäuser deutlich, ebenso wohl auch die lichte Dielenbreite von
9,7 m. Zieht man das 5,3 m tiefe Kammerfach sowie
das aufgrund von Zapflöchern in den Stichbalken der
Vorderfront noch nachweisbare, das halbe vordere
Fach einnehmende Vorschauer ab, beträgt die Länge
der Halle etwa 31 m. Davon nimmt das Flett, gemessen als lichte Weite der Luchten, 6 m ein. Formal ist es
drei Fache tief, allerdings sind die Balken dort mit
deutlich geringerem Abstand verlegt. Die eigentliche
Diele unterteilt sich in sechs Fache zuzüglich des Vorschauerfaches. Die Konstruktion von Diele und Flett
erfolgte in der regionaltypischen Zimmerungsart mit
aufgezapften Balken und kopfbandversteiften Kopfriegeln. Die Sparren standen auf einer bauzeitlichen
Sparrenschwelle. Obwohl diese Art der Verzimmerung
gemeinhin der in Norddeutschland üblichen Dachbalkenverzimmerung zugerechnet wird, weist vor allem
der Kopfriegel in Richtung der Jochbalkenzimmerung,
die eine gebindeweise Errichtung ermöglichte. Hinweise darauf, wie das Magelser Haus aufgerichtet
wurde, fanden sich nicht.
Zum Zeitpunkt des Aufmaßes waren erhebliche Teile
der dem Umbau des 19. Jahrhunderts entstammenden Einbauten im Dielenbereich schon wieder entfernt worden, um die Diele als Unterstellraum nutzen
zu können. In seiner Nutzungsphase als Flügelbau der
Dreiseithofanlage war das Gebäude mehrfach durch
dünne Fachwerkwände aus Nadelholz quergeteilt und
auch quer aufgeschlossen gewesen. Reste von ebenfalls quer angeordneten Viehställen mit Mittelgang
waren noch vorhanden, die Aufteilung aufgrund der
Reste der Wände und der Öffnungen (Ladeluken und
Abwürfe) in der Balkenlage noch deutlich ablesbar.
Da für diese Nutzung die bauzeitlichen Hillriegel störten, waren sie alle herausgeschnitten worden, sodass
keine Informationen über eventuelle Verzierungen
bzw. Profilierungen vorliegen, ebenso nicht zur Abgrenzung der Ställe wie Fressgitter oder Anbindestangen zur Diele hin.
Auch der Wohnteil bot sich stark überformt dar. Bemerkenswert ist dabei allerdings die nachträglich,
aber sicher schon im 18. Jahrhundert eingebaute
Scherwand. Ihre oberen Fache sind über die gesamte
Breite der Diele mit geschlängelten Brettbalustern
ausgesetzt, die sehr starke Verrußung zeigen (Abb. 6).
Später wurde dies vertikale „Stakenwerk" ausgeflochten und beidseitig mit Lehm beworfen, sodass
die ursprüngliche Funktion eines Rauchabzuges entfiel und die Ausführung der oberen Fache heute an
der Wand nur noch in Bereichen erkennbar ist, wo der
Lehmschlag abgefallen ist. Über der Scherwand ist
auch der Dachraum durch eine Wand aus der Mitte
des 19. Jahrhunderts aus Nadelholz-Fachwerk geteilt;
über dem Wohnteil diente der Bodenraum offenbar
als Schüttboden, über der mit dem Stuhl und einem
zusätzlichen Mittelunterzug unterstützten Kehlbal-
kenlage ist dort auch eine zweite Bodenebene eingerichtet.
Das hinter der Scherwand liegende Flett war zum
Zeitpunkt des Aufmaßes sehr stark durchbaut. Ent-
lang der Scherwand verlief ein Durchgang, darin, an
die Scherwand gelehnt, eine Treppe zum eben er-
wähnten Schüttboden mit einem Abtritt darunter.
Weiter hinten befand sich zur linken Hausseite hin
eine Küche mit einer gemauerten Herdnische, wohl
aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, auf der ein stark
gezogener Schornstein aufgestellt war. Rechts neben
der mit einem nur noch rudimentär erhaltenen, bauzeitlichen geschnitzten Sturz versehenen Tür zum
Kammerfach gab es zum Herd hin eine Räucherkammer, die einen Abschnitt der Herdwand mit schwachen Spuren einer Hinterladerfeuerung verdeckte. Im
mittleren Bereich des Fletts befand sich vor der
Herdwand ein vollständig fensterloser dunkler Raum
unbekannter Nutzung. Rechts von dem in der Anlage
jüngeren Abgang zum Keller unter dem Kammerfach,
über dem sich eine zugesetzte Tür mit geschnitztem
Türsturz befindet, findet sich eine oben mit einem
profilierten Sims abgedeckte Fachwerkwand eines
Stubeneinbaus wohl aus dem 18. Jahrhundert, der
den hinteren Teil der rechten Lucht einnimmt und
6 Oberes Gefach der Scherwand, gesehen von der Diele.
Links der innere Bogen der seitlichen Ausfahrt. Foto Heinz
Riepshoff, Verden 1993.
noch in das Mittelschiff vorspringt.
Im Kammerfach fand sich eine ebenerdige Stube links
sowie, in der Mitte und rechts, zwei „Aufkammern"
über dem Keller, die als gefangene Räume ausschließlich von der linken Stube her zugänglich waren. Jedoch deuten zwei verschlossene Türen in der Herd-
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
wand darauf hin, dass sie ursprünglich direkt vom
Flett her erschlossen wurden.
Der untere Teil des Rückgiebels ist nach 1960 durch
eine massive Wand ersetzt worden, der die bauzeitliche Fachwerkkonstruktion restlos zum Opfer fiel. Nur
das Giebeldreieck des 19. Jahrhunderts ist noch vorhanden. Alle Aussagen über den Rückgiebel müssen
sich daher auf das nicht vollständig erschlossene
Material von Gerhard Eitzen stützen.12
Die Traufwände des Wirtschaftsteils sind mit einem
Rähm unter den Köpfen der Zangenbalken verzimmert und waren - wie auch der Vordergiebel - anlässlich der umfassenden Umbauten im 19. Jahrhundert
mit einem Ziegelsockel unterfangen worden, weiter
oben wurde zur selben Zeit anlässlich der für das neue
Dach erforderlichen Aufstockung die Füllhölzer und
die Schwelle für die Aufschieblinge entfernt, nur die
Knaggen und die Zangenbalken blieben erhalten. Vor
der Erneuerung der Schwelle waren an den Außenwänden des Wirtschaftsteils - ausweislich der Zapfenlöcher - Fußbänder vorhanden.13 Im Wohnteil sind die
Außenwände ohne Rähm nur mit Kopfriegeln verzim-
mert, die durchgehend je zwei halbrunde Ausneh-
mungen aufweisen, die in großer Zahl auch Falze von
ehemaligen Fenstern aufweisen. Auch hier war im 19.
Jahrhundert die Schwelle für die Aufschieblinge ent-
fernt worden. Die linke und die rechte Traufseite
unterschieden sich deutlich: War links - soweit angesichts des schlechten Überlieferungszustandes der
Ständer unterhalb der Riegel noch feststellbar - die
Wand frei von Streben und nur mit einer tief sitzenden Riegelkette versehen, die durchgehend auf hohe
Fenster schließen lässt, war die rechte durchgehend
mit Fußstreben und zwei Riegelketten verzimmert
und kann somit ursprünglich Fenster nur im oberen
Fach besessen haben. Hinten an der rechten-Seite des
Wohnteils hat sich ausweislich einiger Zapflöcher sowie herausgeschnittener (und später wieder eingesetzter) Riegel ein sekundärer kleiner Anbau befunden; bei dem es sich um einen - eindeutig nachträg-
lich hinzugefügten - Aborterker gehandelt haben
könnte.
Auf der Nordseite (rechte Traufe) des Wirtschaftsteils
wurde das Gebäude nach 1930 (dargestellter Zustand) über der Durchfahrt noch mit einer Schleppgaube für den Einsatz von Fördergeräten versehen,
die nicht dokumentiert wurde.
Rekonstruktion und Details zu früheren
Nutzungen (Abb. 7-9)
Auffällig an dem Gebäude ist die heute beobachtbare deutliche Schrägstellung der Ständer im Dielenbereich. Die genauere Betrachtung dieses Details zeigt,
dass sie nicht intentionell ist. Ursächlich ist vielmehr
die überdimensionierte Breite der Diele (9,90 m) bei
Deckenbalken, die angesichts eines geringen Über-
standes und zu geringer Biegesteifigkeit durch ihr
Eigengewicht durchhängen. Die Balken sind trotz
enormer Abmessungen (45x45 cm), die wohl auch
dem Willen nach Repräsentation entsprangen, auch
deshalb relativ schwach, weil man durchgängig astige
Bäume verarbeitete. Die Schrägstellung dürfte sich
daher, wie an vielen anderen Bauten auch nachweis-
bar, bereits beim Richten aufgetreten sein; damit
wären eventuell Nacharbeiten zur Korrektur des
Gefüges notwendig gewesen. Möglicherweise geht
die - recht alt wirkende - Stütze im Flett als besonders
sensibler Bereich (nur kleine Kopfbänder, die nur mittelbar auf den Luchtbalken Schub abtragend) auf eine
derartige Ertüchtigung zurück, ansonsten fanden sich
aber keine Spuren ähnlicher Maßnahmen. Daher ist
auch nicht auszuschließen, dass man mit der Stütze
drohendem Versagen des einzigen sie stützenden Balkens vorbeugen wollte.
Spuren, die eine deutliche Information zur Struktur
und Nutzung des ersten Faches geben, sind kaum vorhanden. Zwei Zapflöcher in den Stichbalken belegen
die zumindest zeitweise Existenz eines Vorschauers.
Zur weiteren Aufteilung ist noch feststellbar, dass zwischen dem Vordergiebel und den ersten Dielenständern an jeder Seite drei mit 15 cm Breite recht schma-
le Riegel eine Wand von etwa 2 m Höhe bildeten.
Aufgrund der Stärke der Riegel ist die von ihnen gebildete, seit Langem nicht mehr vorhandene Wand als
jünger anzusehen. Gerade kann diese Wand nicht bis
zum Vordergiebel durchgegangen sein: Sie wäre dann
am Vordergiebel nicht an einen Ständer gestoßen.
Aufgrund dieser Befunde muss man davon ausgehen,
dass das erste Gefach gegebenenfalls mittels eingestellter, mit dem Gerüst nicht verbundener Einbauten
strukturiert war, von denen sich keine Spur erhalten
hat.
Besonders auffällig ist auf der linken Seite die separate Seitenausfahrt aus der Diele, die wohl dazu diente,
entladene Wagen vorwärts aus der Diele zu fahren.
Der innere Torbogen - in der Dielenständerreihe - und
der äußere sind schräg gegeneinander versetzt, wohl
um zum Ausfahren eine entsprechende Schleppkurve
für das nachlaufende Hintergestell des Wagens zu
bieten.
Beide Luchten sind in den Abmessungen identisch.
Dass die linke herausgehoben war, lässt sich aus der
reicheren Verzierung der Luchtknaggen und der reicheren Durchfensterung der Außenwand erschließen,
die sich auch im Gefüge ausdrückt, wo an der gesam-
ten linken Seite des Wohnteils die Fußstreben und der
obere Riegel fehlen. Auf der rechten Seite deutet
deren Vorhandensein darauf hin, dass die Lucht nur
durch Oberlichter belichtet werden sollte. Auch weiter
hinten, im Kammerfach, war es auf dieser Seite nicht
notwendig, die Fenster der Wohnräume tiefer herunterzuziehen, da die Räume dort über einem Halbkeller
liegen. Auf der linken Seite setzten sich die hohen
Fenster in die dortige Eckstube fort und, wenn man
195
196
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
7-9 Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen.
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht 197
10 Altes Amtshaus in Hoya, erbaut 1609, abgebrochen 1927. Foto Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege.
Eitzen Glauben schenkt, auch in dem sie betreffenden
Teil des Rückgiebels. Die dort bei Eitzen gezeigte Tür
führt in die Eckstube.
Die Balkenlage im Kammerfach orientierte sich offen-
bar am Fachwerk des Rückgiebels; die äußeren
Balkenköpfe waren mit den Ständern verbunden und
wie an der Traufseite des Wohnteils von Knaggen
gestützt. Da nicht alle Ständer der Herdwand mit
denen der Außenwand fluchten, liegt ein Teil der
Deckenbalken in den oberen Fächern der Herdwand
mit Verkämmung auf den Riegeln auf. Unter diesen
Balken ist eine durchgehende Wand nicht anzunehmen, da sie nicht sauber ins Fachwerk hätte eingebunden werden können.
Alle Räume des Kammerfachs hatten ursprünglich
eine mit einer Art von verziertem Eselrückensturz ver-
sehenen Tür in der Herdwand (seine Ausführung
wurde auch in der Rekonstruktion der Außenwand,
198
n
11 Wührden, Speicher des Siebenmeierhofes, heute im Kreismuseum Syke, untere Stockwerkschwelle mit Füllholz. Links das
Wappen des Hofes, unten die allen Siebenmeierhöfen gemeinsamen gekreuzten Fische. Foto Dietrich Maschmeyer.
12 Wührden, Speicher des Siebenmeierhofes, heute im Kreismuseum Syke, Giebelschwelle mit Füllholz. Als Knaggen hier die
typischen Fischkörper. Foto Dietrich Maschmeyer.
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
Tafel 6, verwendet). Die Lage der Türen im unterkellerten Teil spricht dafür, dass die rechte Trennwand im
Kammerfach später versetzt wurde; seinerzeit dürften
die heute vermauerten Türöffnungen entbehrlich geworden sein, weil eine Erschließung über die linke
Eckstube vorgenommen wurde. Für eine durchgehend verzimmerte rechte Trennwand fehlt ein fluchtendes Ständerpaar in Herdwand und Rückgiebel. Sie
kann demzufolge auch nur aus einem tischlermäßig
hergestellten Einbau (z. B. einer Butzenwand) bestanden haben. Zeitweilig waren neben den beiden Herdwandtüren auch Fenster angebracht, deren Zeitstellung ist jedoch nicht klar.
Zur Erbauungszeit wurde als Hauptwohnraum das
obere Ende der Diele, das zur Diele noch völlig offene
Flett, genutzt, die drei großen Räume des Kammerfaches (jeweils über 20 qm) wurden wohl ausschließlich
von diesem Flett aus betreten. Vor dem Herdwand-
ständer mit den Fußstreben dürfte sich die HauptFeuerstelle befunden haben. Eindeutig auf ein Fun-
kenrähm oder dergleichen, wie es gegebenenfalls zu
erwarten wäre, hinweisende Bauspuren fanden sich
bis auf eine unklare Blattsasse am letzten Deckenbal-
ken nicht. Das Haus war lange, wie auch die Ver-
rußung der Balken deutlich zeigt, ein schornsteinloses
Rauchhaus.
Bemerkenswert sind zwei anscheinend relativ frühe
Einbauten im Flett: Zum einen ist das die oben mit
Brettbalustern verschlossene Scherwand. Hier sollte
also offenbar eine praktisch vollständige räumliche
13 Dahlhausen, Speicher des Hofes Hecht, 1621(i). Foto Heinz
Riepshoff, Verden 1993.
Trennung von der Diele erfolgen, ohne dass das
Rauchhaus aufgegeben wurde. Üblicherweise wurden
Scherwände in Bauernhäuser erst mit Einführung von
Schornsteinen eingebaut, in dieser Region also erst
um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Beim zweiten Ein-
bau handelt es sich um die Stube in der rechten Lucht.
Wozu sie auch immer gedient haben mag, zeigt sie zu
einem - verglichen mit anderen Bauten der Region -
offenbar recht frühen Zeitpunkt in jedem Fall einen
weiteren Rückzug von Wohnfunktionen aus dem Flett
in einen separaten Raum an.
Als oberschichtliches Haus erweist das Gebäude sich
bereits durch die schiere Größe und die aus den
Rudimenten noch erschließbare, ungewöhnlich reiche
Fachwerkzier. Hinzu kommt aber noch eine zwar
ebenfalls rudimentäre, aber sicher belegbare bauzeitliche durchgehende Ausfachung mit relativ großformatigen Ziegeln, in der Regel in Ziersetzungen.
Die Fachwerkzier erstellte ein namentlich unbekannter Meister, der in der Region eine Reihe von Bauten
in seiner typischen Handschrift hinterlassen hat.
Neben dem Siebenmeierhof in Magelsen ist beson-
ders das nach 1927 abgebrochene Amtshaus in
Hoya14 (Abbildung 10) zu nennen, das angeblich 1609
errichtet worden war. Seine Giebel vermitteln sicher
eine gute Vorstellung davon, wie die Giebel in
Magelsen ausgeführt gewesen sein dürften, von
14 Dahlhausen, Speicher des Hofes Hecht, 1621 (i). Detail der
unteren Vorkragung mit Fischkörperknagge. Foto Heinz
Riepshoff, Verden 1993.
199
200
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Schnitzteilen der Fassade von 1613 (i), fertiggestellt
nach 1676 (Abb. 11, 12). Bemerkenswert ist, dass
dort 1613 noch eine niederdeutsche Inschrift angebracht wurde (die obere Giebelschwelle von 1676 mit
hochdeutscher Inschrift), in Magelsen aber nur eine
hochdeutsche Inschrift erhalten ist. Außerdem gehören dazu der Speicher des zum Siebenmeierhof in
Magelsen gehörigen Hofes Hecht im nahen
Dahlhausen von 1621 (i) (Abb. 13, 14) und die „Alte
Schmiede" in Bücken von 1621 (i) (Abbildung 15 und
16), die heute mit einem Krüppelwalm versehen ist,
dessen Ursprünglichkeit jedoch nicht erwiesen ist.
Fest steht nunmehr auch, dass sich das Haupthaus in
Magelsen nicht unter denjenigen kriegsbedingten
Schäden befindet, von denen ein gemeinsamer Brief
der Siebenmeier vom 2. Juni 1633 berichtet, nach
15 Detail des Giebels, niederdeutsche Inschrift. Ob der Halb-
walm ursprünglich ist, ist nicht geklärt. Foto Heinz Riepshoff,
Verden 1993.
dem sie nicht allein uff etzliche tausent Thaler in
schuldt, schaden und nachtheil gerathen, sondern
auch teilweise die Wonheuser nebenst Andern
gebewden eingeeschert und von den Soldaten gantz
abgebrand worden.'5
Der Speicher'6 (Abb. 17)
Wesentlich schlichter als das Haupthaus ist der 1683
(i) errichtete Speicher ausgeführt. Er besitzt im
Fachwerk Streben lediglich an den Ecken. Mit allen
Merkmalen seiner Verzimmerung unterscheidet er
sich praktisch nicht von gleichzeitigen und gleichartigen Bauten in der Region. Selbst der auf den ersten
Blick ungewöhnlich wirkende stehende Stuhl im ersten Dachgeschoss lässt sich im Umfeld mehrfach
nachweisen. Inschriftlich ist er über der Tür in der dem
16 Detail des Giebels. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993.
denen leider seit fast 200 Jahren jede Spur verlorengegangen ist. An dieser Stelle scheint es sinnvoll, auch
auf die Rekonstruktionsversuche von Gerhard Eitzen
einzugehen, die sich wohlgemerkt auch nur auf den
Befund des Erdgeschosses und Analogien stützen
konnten. Er hat sich dabei offenbar von der Bauweise
der normalen Bauernhäuser leiten lassen und an beiden Seiten Krüppelwalme rekonstruiert. Angesichts
des in jeder Hinsicht abweichenden Charakters der
Anlage möchte ich die Existenz von Walmen eher in
Zweifel ziehen und von Steilgiebeln ausgehen. Das
wird dadurch unterstützt, dass sich auch für alle anderen Bauten des Hofes Steilgiebel nachweisen lassen,
insbesondere den 1747 datierten Pferdestall, dort
sogar - trotz der sehr viel späteren Zeitstellung - auch
Zierziegelsetzungen.
Ein weiterer Bau des unbekannten Meisters ist der
Speicher des Siebenmeierhofes in Wührden mit
Hof zugewandten Traufseite datiert.’7
Ungewöhnlich erscheint dagegen die Anlage von zwei
Räumen im Erdgeschoss, die ganz offensichtlich für
Bewohnung und Beheizung vorgesehen waren. Ausweislich des Fehlens jeglicher Rauchspuren ist es zu
einer derartigen Nutzung aber wohl nie gekommen.
Die Pfeilerscheune (Abb. 18)
Mit „Pfeilerscheune" bezeichne ich das offenbar erst
im 20. Jahrhundert an die davor wohl offene Ostseite
der Dreiseitanlage umgesetzte Scheune. Die Scheune
mit mittlerer Querdurchfahrt ist 23,28 m lang und
8,09 m breit und steht heute auf einem hohen Ziegelsockel, der augenscheinlich einen Pfeilerunterbau ersetzt: Die originalen Schwellen sind erhalten und weisen Zapflöcher für eine nicht mehr vorhandene, lastabtragende Querbalkenlage auf, sodass das Gebäude
ursprünglich auf Pfeilern gestanden haben muss, über
die nichts Näheres bekannt ist. Es kann sich dabei um
einfache Findlinge gehandelt haben. Eine größere Sicherheit gegen das Eindringen von Mäusen und Ratten, das man mit der Aufständerung sicher bezweckt
hat, hätten jedoch die klassischen „Mäusepfeiler" mit
einer oberen Abdeckplatte ergeben.
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
17, 18 Speicher und Pfeilerscheune.
Die mittlere Querdurchfahrt hat keine Böden und war
zuletzt auf beiden Seiten durch Flügeltore geschlossen, von denen jedoch nicht klar ist, ob sie ursprünglich vorhanden waren. Beidseits der Durchfahrt ergeben sich so zwei große Bansenräume, die jeweils von
nur einem Ankerbalken durchzogen werden. Sie
waren ursprünglich nur durch je eine hochgelegene
Luke im Außengiebel und in der Wand zur Durchfahrt
erschlossen.
Die unteren Gefache sind mit horizontalen, einge-
zapften Bohlen ausgefacht, die darüber allem
Anschein nach ehemals - heute nur noch teilweise
erhalten - mit vertikalen, stumpf mittels aufgenagel-
ter Leisten zwischen den Riegeln eingefügten kurzen
201
202
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Brettern „auf Lücke", sodass eine gute Lüftung gegeben war. Diese Ausfachung wirkt jedoch keinesfalls
ursprünglich. Spuren einer Ausstakung (Löcher und
Nuten) fanden sich nicht. Es ist daher auch möglich,
dass die Gefache bis auf das unterste ursprünglich mit
einer anderen, weniger Spuren hinterlassenden
Ausfachung wie z. B. mit Ziegeln (für die sich weiter
keine Hinweise finden) oder einer Strohausfachung
versehen oder sogar vollkommen offen waren.
Das heute stark veränderte und in der Neigung wesentlich erniedrigte Sparrendach stand ursprünglich in
„Sparrenpötten" mit ca. 1,5 m Achsmaß auf einem
27 cm (etwa 1 Fuß) breiten und 14 cm hohen Rähm,
das innen und außen je 7 cm über die Ständer übersteht und von in die Ständer eingehälsten Hakenbalken unterstützt wird, deren Köpfe außen sorgfältig
profiliert sind.
Die Giebel kragen in Giebelrähmbauweise mindestens
zwei Mal vor, wobei das Giebelrähm in gleicher Weise
wie die Längsrähme verzimmert ist und diese quasi
einfach fortsetzt. Erhalten ist nur der unterste Giebelstock. Die Gestaltung des zweiten Stockes lässt sich
aus den Zapflöchern oben im Rähm des ersten Stocks
relativ sicher rekonstruieren. Daraus ergibt sich auch
recht genau die alte Dachneigung. Für die Gestaltung
der Giebelspitze gibt es leider keine Belege. Das in der
heutigen Aufstellung südliche Giebelrähm trägt die
Inschrift: Der Schutz der Heiligen sagen wolle dieß
gebau für allen übel behüten und bewahren welches
der Herr 7 Meier Vincentz Clüver Anno 1716 den 30
Junli hat auf richten lassen.
19 Der Pferdestall. Bestand.
Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen
Die Scheune dürfte in Analogie zu anderen Regionen
für die mäusesichere Bergung von Getreide errichtet
worden sein. Im Münsterland, wo dieser Scheunentyp
recht verbreitet ist, dienten diese Bauten speziell der
Lagerung von Hafer, der komplett als Häcksel verfüttert wurde. Sie standen - vermutlich aus Brandschutz-
gründen - oft relativ weit entfernt vom übrigen Hof;
auf Gräftenhöfen waren sie in der Regel das einzige
Hofgebäude außerhalb der Gräfte. Eine solche abseitige Lage scheint die Magelser Scheune auch gehabt
zu haben, bevor sie unter Änderung der Nutzung
direkt auf den Hof versetzt wurde.
Der Pferdestall
Der Bestand (Abb. 19-21)
Das mit 21 Fach 30,8 m lange und nur 11,2m breite
Gebäude befand sich 1993 in einem sehr schlechten
Zustand. Sein bevorstehender Abbau war Anlass für
ein genaues Aufmaß mit Rekonstruktion älterer
Zustände.
Seiner Stellung traufparallel direkt der Zufahrt zum
Hof entsprechend besaß das Gebäude zwei stark
unterschiedliche Traufwände. Zum Weg hin (Südseite)
standen die mit den außen profilierten Rähmen verkämmten Balken mit ca. 58 cm deutlich weiter über
als aus der Rückseite mit 28 cm und schufen so einen
relativ wettergeschützten schmalen Streifen entlang
der Traufe. An der Außenwand waren hier fast durchgängig die Spuren alternierend angeordneter Türen
nachweisbar, die jedoch später verschlossen wurden.
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
Zustand um 1930
0 > 2 3 H 5 10
Aufmass : H. TJicpshoff /JD. Maschmeyer 1993
20, 21 Der Pferdestall. Bestand.
Die Balkenlage und das im gebundenen System ver-
zimmerte Kehlbalken-Sparrendach waren aus nur
wenig besäumtem Nadel-Rundholz verzimmert. Die
Balken waren von Ost nach West römisch (I bis XXII)
nummeriert, sodass der dem Haupthaus zugewandte
Giebel, der aufgrund der Inschrift als Hauptgiebel
angesehen werden darf, die höchste Nummer besaß.
Bereits die Asymmetrie der beiden Giebel - nördlich
der Tore finden sich vier Fache, südlich nur drei - weist
auf die weiter unten zu diskutierende asymmetrische
Aufteilung des Querschnittes hin: Die Giebeldreiecke
waren dreifach vorgekragt, die Vorkragung selbst
wurde jedoch nicht mehr durch eine separate Kons-
truktion, sondern nur durch geringfügigen Überstand
der jeweiligen Balken gebildet, die gleichzeitig Rähm
für das untere und Schwelle für das obere Giebelstockwerk bilden (Giebelrähmbauweise). Beide Giebel
zeigten noch einige wenige Fache mit einer älteren
Zierausmauerung; der Rest war im 19. Jahrhundert
mit deutlich kleineren Steinen neu ausgefacht worden. Einige der unteren Gefache an der Nordseite
zeigten noch eine Ausfachung mit eingenuteten Bohlen, wie sie sich nach den Befunden ursprünglich auch
in allen unteren Gefachen befunden hat. Weil die un-
teren Riegel in diese Verbohlung integriert waren,
hatte man ihre Breite so gewählt, dass das Holz am
203
204
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
besten ausgenutzt wurde. Mit der späteren Ziegelausfachung ergab sich natürlich ein etwas merkwürdiges
Bild. Auffällig ist auch die rundum geringere Höhe der
unteren Gefache. Da alle Schwellen offensichtlich im
19. Jahrhundert ausgewechselt worden sind, ist nicht
auszuschließen, dass die Ständer unten verkürzt worden sind. Dabei hätte man auch die Verbohlungen in
den unteren Gefachen entsprechend aufwändig einkürzen müssen. Das wäre eine Erklärung dafür, dass
man sie damals weitgehend gleich ganz entfernt und
durch eine Ziegelausfachung ersetzt hat. Angesichts
der geringen Sockelhöhe des Gebäudes würde dies
aber auch bedeuten, dass das Haus gegenüber dem
Urzustand um etwa 8 cm abgesenkt worden ist. Man
mag sich allerdings kaum vorstellen, warum eine sol-
che Absenkung einer einfacher zu handhabenden
Anhebung abgesunkener Bereiche vorgezogen wor-
den sein sollte.
Das Dach war im gebundenen System - ein Sparrenpaar pro Balken - verzimmert. Die Sparren waren mit-
tig durch eine zusätzliche, einfache Anfallkonstruk-
tion gestützt, die ausweislich der dafür teilweise
durchschnittenen Schwertungen nachträglich angebracht worden war, möglicherweise anlässlich der
Umdeckung von einem Stroh- auf ein Hohlpfannendach, das das Haus zuletzt besaß.
Im letzten Zustand betrat man durch das westliche
ehemalige Dielentor, das zur Fußgängertür mit Oberlicht zugesetzt worden war, eine Diele von nur 3 m
Breite, die an Gebinde 10 endete. Auf beiden Seiten
der Diele befanden sich jeweils zwei Fache breite Pferdeställe mit Aufstallung zur Außenwand, wo sich lang-
gestreckte Futtertröge befanden. An der linken Seite
(Nordseite) waren das fünf zur Diele hin offene, durch
Parierwände abgeteilte Boxen für je zwei Pferde. Auf
der anderen Seite waren es vier durch eine Wand mit
Tür gegen die Diele abgeschlossene Ställe gleicher
Größe (möglicherweise für Stuten mit Fohlen?). Bei
Belegung mit je zwei Pferden wäre in dem Gebäude
also Platz für maximal 18 Pferde gewesen. Hinter den
Ställen schlossen sich rechts zwei Kammern und links
ein Gang nach außen an, dann, bis zum Gebinde 6,
ein Remisenraum. Gebinde 6 war unterhalb des Balkens als Querwand mit einem kopfbandgestützten
Torsturz verzimmert. Dahinter war ein zuletzt unten
als Scheune genutzter Raum anzutreffen, den man
erkennbar durch einen starken Überzug stützenfrei
gemacht hatte und der wie die Remise davor von der
südlichen Traufe her erschlossen wurde. Das Dielentor
im hinteren Giebel war ebenfalls verschlossen.
An den westlichen Giebel war noch ein kleines Gebäude in Detailformen des späten 19. Jahrhunderts
(u. a. Pfettendach, massives Giebeldreieck) angefügt
worden, das vorwiegend als Schweinestall genutzt
wurde, die zwei schmaleren Abteilungen darin könnten zeitweise auch als Aborte gedient haben.
Rekonstruktion und Details zu früheren
Nutzungen (Abb. 22, 23)
Dieser Zustand war offenbar dadurch entstanden,
dass im 19. Jahrhundert nahezu das gesamte „Innenleben" des Gebäudes herausgenommen und in veränderter Form wieder eingebaut worden war. Dabei
wurde praktisch das gesamte Altmaterial wiederverwertet. Da an diesen zwar bauzeitlichen, aber danach
völlig anders verbauten Hölzern die Zimmerzeichen
der ursprünglichen Verzimmerung durchweg sehr gut
erhalten waren, konnte der Erbauungszustand des
Gebäudes praktisch lückenlos rekonstruiert werden.
So sicher und genau sich einerseits das ursprüngliche
Gefüge darstellt, so unsicher ist auf der anderen Seite
die Nutzung der gegenüber dem vorgefundenen Bestand vollkommen anderen Räumlichkeiten.
Nach dem Gefügebefund besaß das Gebäude ursprünglich eine doppelt so breite Diele, deren Südwand analog zur Außenwand mit zwei Riegelketten
geschlossen war; auch das untere Fach war mit Bohlen ausgesetzt. Die dadurch gebildete Abseite wurde
durch geschlossene Räume eingenommen, von denen
nur die westlichsten auch durch eine Innentür, die
anderen aber ausschließlich durch Außentüren zugänglich waren. Die Trennwand mit dem Türjoch in
Gebinde 6 war bereits im Urzustand vorhanden, ihre
Funktion dort aber nicht erkennbar. Auf der anderen
Dielenseite befand sich ursprünglich eine offene, nur
durch eine Riegelkette abgegrenzte Abseite, für die
eine Nutzung als Rinderstall naheliegt, aber auch keinesfalls gesichert ist, zumal die Riegel offenbar dafür
recht hoch sitzen. Dazu sind sie recht schmal, sodass
die eigentlich übliche Profilierung für die Kuhnacken
kaum hätte angebracht werden können.
Bei näherer Betrachtung gibt die ursprüngliche
Struktur des Gebäudes doch erhebliche Rätsel hin-
sichtlich der Nutzung auf. So wird gemeinhin die
Bohlenausfachung der unteren Fache als Indikator für
eine Nutzung als Pferdestall, zumindest als Stall, genommen. Das ist auf diesem Hof aber nicht so, besitzt
doch die zweifelsfrei ausschließlich zu Lagerzwecken
dienende ehemalige Pfeilerscheune rundum ebensolche Verbohlungen. Bei der Rekonstruktion wurde zu-
nächst auch angenommen, die nur von außen zu-
gänglichen Kammern hätten entsprechend der späteren Verwendung als Pferdeställe gedient, die im 19.
Jahrhundert lediglich modernisiert worden wären.
Diese anfängliche Vermutung muss bei näherer Betrachtung wohl aufgegeben werden: Wahrschein-
licher ist mittlerweile, dass das Gebäude ursprünglich
ausschließlich als „Dreschhaus" errichtet wurde, also
eine Scheune, auf deren Balken die Getreideernte
gelagert werden konnte, um sie direkt in der langen
Durchfahrt des Gebäudes auszudreschen. Die nördliche, linke Abseite hätte dabei - zu der für eine Stall-
nutzung wenig geeigneten Anordnung der Riegel
durchaus passend - nur als Lagerraum gedient. Die
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
22, 23 Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen.
Trennwand in Gebinde 6, für die sich so recht keine
Erklärung findet, könnte ebenfalls mit dem Dreschbetrieb Zusammenhängen. Sie liegt im Osten und
wäre dort gedroschen worden, hätte der Wind den
Staub aus dem Gebäude herausgetragen. Das muss
aber nicht die zutreffende Erklärung sein.
Die Kammern an der rechten, südlichen Seite erscheinen ohne Raufen und Tröge ebenfalls als Pferdeställe
nicht geeignet zu sein18. Wären solche aber vorhan-
den gewesen, dürfte man sie anders ausgeführt
haben. Zieht man in Betracht, dass der Dachüberstand auf dieser Seite nicht unbedingt nur dazu ge-
dient hat, den Wetterschutz zu verbessern, sondern
vor allem, um einen Spalt zu schaffen, durch den
etwas in das Gebäude befördert werden konnte, wie
es vielerorts, auch in der Grafschaft Hoya, belegt ist,
dann hätte es sich z. B. um Heukammern gehandelt,
die von oben befüllt und durch die Türen wieder entleert worden wären. Dazu passt auch das auffällige
(und bei der Altholzanalyse auch nachgewiesene!)
Fehlen von Zapfenlöchern in etlichen Innen- und
Außenwandständern, wie sie für eine durchgehende
Zwischendecke eigentlich erforderlich gewesen
wären. Hinzu kommt der Aspekt, dass in einem
205
206
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
24, 25 Die neue Scheune.
Rauchhaus eigentlich nur an wenigen Stellen, am
manuelle und mühsame Umtragen von Heu wären
nicht überliefert. Mit Aufgabe des Rauchhauses im
19. Jahrhundert konnte dann der Bodenraum des
Die neue Scheune (Abb. 24, 25)
besten unterhalb der Rauchgrenze, Heu gelagert werden konnte. Eine Heuscheune ist auf dem Hof jedoch
Haupthauses als Heulager genutzt werden. Dass dies
dort der Fall war, belegen auch die beiden Abwürfe in
die im 19. Jahrhundert eingebauten (und zwischenzeitlich teilweise wieder beseitigten) Futtertische.
Damit wären die mutmaßlichen Heufache im Pferdestallgebäude entbehrlich geworden.
Danach wäre das zuletzt als Pferdestall genutzte Gebäude zunächst als reiner Scheunenbau, am ehesten
wohl als „Dreschhaus", errichtet worden. Zur ur-
sprünglichen Nutzung der einen Abseite als Heulager
passt recht gut die Lage zum 130 Jahre älteren
Haupthaus, in dem das Vieh mit Sicherheit zum größten Teil aufgestallt war, recht gut: Die Wege für das
recht kurz gewesen.
Beim Umbau der Hofanlage zu einem Dreiseithof entstand als Gegenüber des zum Viehhaus umgewandelten alten Haupthauses eine mehreren Zwecken dienende Scheune. Sie wurde als massiver Ziegelbau errichtet, alle Holzteile bestehen aus Nadelholz. Sie hat
drei mit Fenstern alternierende Einfahrten an der Hof-
seite (Nordseite) und eine am östlichen Giebel mit
zwei flankierenden Fenstern und eine Luke darüber.
Die Rückseite weist nur sieben fensterartige Öffnungen aus, der westliche Giebel lediglich eine Luke im
Giebeltrapez. Das Gebäude trägt auf dem Schlussstein der östlichen Durchfahrt die Inschrift „J. H. F.
Clüver". Sie weist als Bauherrn Johann Heinrich Friedrich Clüver aus, der 1852 den Besitz des Hofes antrat.
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
Die Scheune ist in sorgfältiger Manier der „Landbaukunst" errichtet, für die z. B. der Amtszimmermeister
Burghard Glander (1818-1879) aus dem nahen
Thedinghausen19 steht, der auch durchaus für die
Rolle des - bis jetzt unbekannten - Planverfassers für
den Umbau der Hofanlage in Betracht gezogen werden kann.
Von Westen (rechts) ist die Scheune unterteilt in einen
Bergeteil, bestehend aus zwei Bansen ohne Balken-
decke mit einer mittleren Einfahrt dazwischen, die
eine Decke mit großer Luke besitzt, dann folgt eine
mit einer Balkendecke mit Luke überspannte weitere
Einfahrt; am Ende schließt sich ein etwa quadratischer, mit einer Decke versehener Raum mit zwei
Längsunterzügen und einer Luke an. Er ist durch je ein
Tor in der hofseitigen Traufwand und dem östlichen
Giebel erschlossen, außerdem durch eine kleine Tür
an der Hofseite. Die Ständer der Unterzüge stehen auf
hohen, pyramidenförmigen Sandsteinen. Die ur-
sprüngliche Nutzung dieses Raumes erschließt sich
26 Magelsen, Siebenmeierhof, Herrenhaus des Dreiseithofes.
Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993.
nicht unmittelbar, aber die Möglichkeit, ihn, wenn
auch „um die Ecke", zu befahren, liefert doch Hin-
weise. Wenn es nicht ausschließlich ein Remisenraum
war, dann kommt auch eine - eventuell temporäre Nutzung als Schafstall in Betracht, wie in gleicher
Form von anderen Gutshöfen bekannt. Dafür sprechen auch die bauzeitliche Füllung zweier Fensteröffnungen auf der Rückseite als Jalousie-Lüftungsöffnungen sowie eine Reihe kleiner Lüftungslöcher im
Ostgiebel, direkt unterhalb der Balkenlage.
Das neue Wohnhaus
Das sogenannte Herrenhaus (Abb. 26) entstand eben-
falls um die Mitte des 19. Jahrhunderts als traufenständiger Bau in hohem Hochparterre, sodass das
Sockelgeschoss wie ein Vollgeschoss genutzt werden
kann. Er wird dominiert durch die zweiläufige Frei-
treppe mit einem Sandsteinportal, in dem die Tür von
zwei schmalen Fenstern flankiert wird. Rechts und
links des Portals finden sich jeweils drei Fensterachsen. Das Gebäude wurde im Rahmen der hier beschriebenen Arbeiten nicht weiter untersucht.
Der „Taubenturm"
Zum architektonischen Konzept der Dreiseithofanlage
gehört auch ein oktogonaler Turm in sehr ornamentalem Fachwerk mit Ziegelausfachungen (Abb. 27). Auf
ein hohes Untergeschoss ist ein ganz leicht auskragendes Stockwerk gesetzt. Fast alle ursprünglichen
Öffnungen sind heute vermauert. Das steile
Pyramidendach ist heute mit Turmbibern gedeckt. Das
Gebäude wurde nicht genauer untersucht. Für eine
Nutzung als Taubenturm fehlen eigentlich die charakteristischen Öffnungen. Weiter kommt eine Verwendung als Uhrturm infrage - der wegen der Nähe zur
Magelser Kirche aber eigentlich nicht nötig gewesen
wäre.
27 Magelsen, Siebenmeierhof, Taubenturm des Dreiseithofes.
Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993.
207
208
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Zusammenfassung
Auf dem Siebenmeierhof in Magelsen befindet sich
ein trotz einiger Gebäudeverluste noch immer beeindruckendes Ensemble von oberschichtlichen Wohnund Wirtschaftsgebäuden, deren Baudaten vom frü-
hen 17. Jahrhundert (Haupthaus 1612/13 d) bis in die
Mitte des 19. Jahrhunderts, die die Formen des Wohnens und ihren Wandel über fast drei Jahrhunderte
dokumentieren. Kurz nach der Veräußerung des
Hofes aus dem Bestand der vom Landesherrn teilwei-
se eingezogenen Höfe des Stiftes Bücken wurde das
äußerst prestigeträchtige Haupthaus errichtet. Im
Äußeren wurde es, wie die bescheidenen Reste noch
deutlich erkennen lassen, in üppigen Renaissancefor-
men ausgeführt. Im Inneren war es dennoch „nur"
ein besonders großes niederdeutsches Hallenhaus mit
der üblichen zentralen Herdstelle und zwei großen
Luchten, das wohl auch in entsprechender Weise
bewohnt wurde. Das Kammerfach barg dagegen eine
wohl ausschließlich dem Status der Bewohner
Rechnung tragende, reich befensterte und ehemals
vermutlich sehr repräsentative Stube sowie zwei
große unbeheizte Wohnräume über einem Halbkeller.
Hinsichtlich der Ornamentik des Haupthauses dürfte
es sich wohl um das - mittlerweile stark verstümmel-
te - Hauptwerk eines talentierten regionalen Kleinschnitgers handeln, von dem sich in der Region noch
einige weitere Bauten nachweisen lassen, die zwischen 1609 und 1621 erbaut wurden.
Schon früh - wohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts
- wurde im Haupthaus eine Scherwand zwischen Flett
und Diele eingebaut, die, da das Haus weiterhin ein
schornsteinloses Rauchhaus mit offenem Herdfeuer
blieb, im oberen Teil vergittert und rauchdurchlässig
ausgeführt wurde. Mit dem Einbau einer weiteren
Stube - sicher im Gegensatz zu der im Kammerfach
eine Art „Alltagsstube" - in der rechten Lucht beginnt
man relativ früh, das „Großraumwohnen" aufzugeben. In dieser Form scheint das Haus mit nur wenigen
weiteren Änderungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt worden zu sein.
Nach der Mitte des 19. Jahrhundert bricht man vollständig mit den alten Wohnformen. Die „Herrschaft"
zieht in ein standesgemäßes, zeittypisches Herrenhaus. Das Haupthaus wird zu einem der Flügel eines
Dreiseithofes, behält aber die alten Wohnräume, die
dann aber wohl nur noch von Bediensteten bewohnt
wurden.
Ein recht ungewöhnliches Nebengebäude war der
heute nicht mehr vor Ort stehende sogenannte
Pferdestall, der 1746 wohl als Bau zur reinen Erntebergung erbaut, in der Mitte des 19. Jahrhunderts
dann zu einem zeitgemäßen Pferdestall umgebaut
wurde. Die sich daraus ergebende Frage, wie die vielen Pferde untergebracht waren, die zur Bewirtschaftung der umfangreichen Hofflächen notwendig waren, lässt sich aus dem Gebäudebestand nicht beantworten. Ungewöhnlich ist auch die große, mäusesichere Pfeilerscheune von 1716, deren Einbindung in
die wirtschaftlichen Abläufe des Hofes noch genauer
untersucht werden muss.
Das Herrenhaus, die neue Scheune und der Tauben-
turm bilden dann ein qualitätvolles Ensemble von
Baulichkeiten des 19. Jahrhunderts, die sicher unter
starkem Einfluss von externen, überregionalen Vorlagen entstanden sind.
Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht
Anmerkungen
11 KasparTTerlau 1984 (wie Anm. 10).
1 Nicolaus C. Hentger, 1100 Jahre Bücken. Hildesheim 1982,
12 Eitzen hat nur das Erdgeschoss sehen können und dar-
S. 1 ff, 19-21.
2 Die Ausführungen zur Geschichte des Hofes sind im We-
sentlichen nach einer handschriftlichen Ausarbeitung eines
unbekannten Autors im Besitz der Besitzerfamilie GlanderJebens, die die Primärquellen nicht benennt.
3 Nesger: Bedeutung unklar (nicht in einschlägigen Wörter-
über einen Krüppelwalm rekonstruiert, wo m. E., wie weiter
unten ausgeführt wird, jedoch ein Steilgiebel am wahrscheinlichsten ist. Neben der bisher einzig bekannten rekonstruierten Perspektivdarstellung ist auch die Existenz von
Fotos im Archiv Eitzen (Freilichtmuseum Hösseringen) zu ver-
muten, die jedoch beim Stand der dortigen Bearbeitung
büchern).
nicht aufzufinden sind.
4 Solidus war eigentlich eine Münze. Die hier möglicherwei-
13 Diese Spuren hat Eitzen - wie auch am Vordergiebel -
se vorliegende Verwendung als Maßeinheit ist unklar, da für
nicht gesehen.
die Münze die zu erwartenden Wörter Schillingk und für das
14 Bild im Archiv des LfD, Hannover,
Hohlmaß Scheppel verwendet werden und damit diese Bedeutungen ausgeschlossen sind.
5 Botlingk vermutlich identisch mit Bötel, synonym Bödtling:
Verschnittener Schafbock, Hammel (Versuch eines BremischNiedersächsischen Wörterbuches, Bd. 1 (A-F). Bremen 1767,
S. 126.
6 Hier gemäß Kontext Widder (im Niederdeutschen später
nicht mehr gebräuchlich).
7 Tegede: Zehnter (d. h. ein nachgeordneter, zehntpflichtiger
Hof).
8 Eine in gleicher Weise angebrachte Jahreszahl ist zu vermuten, wurde jedoch bei der Bauaufnahme nicht gefunden.
9 Hentger 1982 (wie Anm. 1), S. 21.
10 Z. B. die Pfeilerscheune von 1717: Gerhard Eitzen, Der
bäuerliche Scheunenbau im Lüneburger Land, in: Lüneburger Blätter. 5, S. 71-95 (1954), sp. Abb. 2 D. Das Haupthaus
s. Karoline Terlau/Fred Kaspar: Bauernhäuser aus Mitteleu-
ropa. Sobernheim-Bad Windsheim 1984, Tafel 18. Hier S.
209 auch Nachweis seiner gesamten Zeichnungen zum Hof.
http://www.bildindex.de/obj20595486.html#lhome
15 Thorsten Neubert-Preine, Eine „allen Beyfalls würdige
Societaet". Festschrift aus Anlass des 250-jährigen Gründungsjubiläums der Brandkasse für die Grafschaften Hoya
und Diepholz. Nienburg 2006, S. 7/Endnote 4 (NHStA Hannover, Celle Br. 72 Nr. 620).
16 Auch behandelt in Heinz Riepshoff, Speicher und Backhäuser in der Grafschaft Hoya. Lilienthal (IGB) o.J., S. 168169.
17 Die Namen der Bauherren finden sich auf der Stockwerk-
schwelle des Vordergiebels. Sie konnte hier leider wegen
fehlender Erfassung nicht wiedergegeben werden.
18 Der Forschungsstand zu Ausführungsformen von Pferdeställen in Hallenhäusern vor der Mitte des 18. Jahrhunderts ist allerdings relativ spärlich, sodass sich auch wenig
Vergleiche ziehen lassen.
19 Anke Rüpke, Landbaukunst - Leben und Leistung des
Amtszimmermeisters Burghard Glander (1818-1879) in Thedinghausen. Lilienthal (IGB) 2009.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors
Friedrich Karl von Hardenberg
Bernd Adam
Friedrich Karl von Hardenberg war von 1741 bis zu
seinem Tod im Jahre 1763 Hannoverscher Oberhofbau- und Gartendirektor (Abb. 1).1 Mit dem Bauwesen hatte er sich jedoch bereits zuvor beschäftigt.
Schon 1723 war der damals erst 27-Jährige von König
Georg I. zum Kammerrat ernannt worden.2 Damit war
er der jüngste der leitenden Staatsbeamten in dieser
Behörde, die für die Verwaltung der Ämter, Staats-
güter, Forsten und Bergwerke zuständig war.
Spätestens seit 1711 lag auch die Unterhaltung der
staatlichen Bauten einschließlich der Schlösser im
Zuständigkeitsbereich der Kammer und einer der
Kammerräte trug den Titel des Baudirektors, der 1728
Hardenberg übertragen wurde.3
1 Friedrich Karl von Hardenberg als Oberhofbau- und Gartendirektor. Ölgemälde von Johann Georg Ziesenis um 1760 im
Hardenbergschen Haus in Hannover-Herrenhausen.
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2 Heinsen, Gutshof des Hofmarschalls Christian Ulrich von Hardenberg. Entwurf zur Errichtung des Herrenhauses, Tobias
Henry Reetz, um 1725.
Das Hardenbergsche Herrenhaus in Heinsen
Auch innerhalb der Familie war Friedrich Karl als
Sachverständiger bei Bauvorhaben gefragt. Für seinen
beim König in London weilenden Cousin, den königlichen Hofmarschall Christian Ulrich von Hardenberg,
überwachte er bereits 1725 die Errichtung von dessen
Haus auf Gut Heinsen südlich von Hannover (Abb. 2).4
Der Entwurf zu diesem überaus modernen Bau
stammte von dem im selben Jahr zum hannoverschen
Hofarchitekten berufenen Tobias Henry Reetz.5 Neu
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
3 Heinsen, Hardenbergscher Gutshof, Entwurf für die Umzäunung mit Brunnenschalen vor dem Herrenhaus. Tobias Henry
Reetz, um 1732.
war hier das Konzept eines eingeschossigen Herrenhauses mit Gartensaal im Erdgeschoss, die Anord-
nung seitlicher Korridore neben der Eingangsdiele
sowie die Unterbringung von Toiletten im Gebäudeinnern. In für die Region ungewöhnlich prächtigen
barocken Formen sind der Mittelrisalit aus Werkstein
mit dem Haupteingang sowie die vorgelagerte geschwungene Freitreppe gestaltet. Auf das Grund-
konzept des eingeschossigen Herrenhauses mit ausgebauter Mansarde und einer Vielzahl direkter Ver-
bindungen über Treppen zum Garten griff Hardenberg später auch bei der Errichtung seiner eigenen
Dienstwohnung in Herrenhausen zurück (Abb. 4).
Das normale hannoversche Herrenhaus der Zeit war
zweigeschossig und sein Saal lag im Obergeschoss.
Ein weiteres einstöckiges Herrenhaus ließ sich Hardenbergs Ministerkollege, der Geheime Rat Heinrich
Grote, auf seinem Gut Bettensen gut 10 km südlich
von Hannover in den Jahren 1735-38 und somit direkt
vor seiner Ernennung zum Kammerpräsidenten durch
den hannoverschen Hofzimmermeister Joseph
Schaedler errichten.6
Berühmt war in Heinsen vor allem die 1738 angelegte Druckwasserleitung, die von einer hoch gelegenen
Quelle gespeist wurde. Diese Wasserversorgung
ermöglichte es, bis zu 7 m hohe Fontänen aus kupfernen Schalen auf den mittleren Sandsteinpfeilern der
Hofumzäunung vor dem Haus springen zu lassen
(Abb. 3).7 Das dürfte beim Empfang hochrangiger
Gäste einen recht imposanten Eindruck hinterlassen
haben. Nach meinem Wissen sind dies die kräftigsten
Wasserspiele, die in Norddeutschland im 18. Jahrhun-
dert in einem Privatgarten betrieben wurden. Die
Aussparungen für die längst entfernten Metallrohre
der Springbrunnen sind noch heute an den Pfeilern
ablesbar. Abzweiger der Leitung führten auch durch
einige der Wirtschaftsgebäude und dienten dort unter
anderem der Abfallbeseitigung. Wahrscheinlich gab
es auch eine durchgängig fließende Spülung unter
den im Herrenhaus gelegenen Toilettenanlagen.
Die Arbeiten am Herrenhaus in Heinsen zogen sich
wenigstens bis 1732 hin. Ein Brief aus diesem Jahr
berichtet vom Streit des Architekten mit den beteiligten Handwerkern.8 Ähnliche Probleme gab es auch im
Hofbauwesen und bald stellte sich heraus, dass der
Baumeister Reetz unter weitreichenden Gedächtnisausfällen litt, die ihn misstrauisch gegen alle Mitarbeiter werden ließen. In der folgenden Untersuchung
musste Reetz zugeben, indessen sey bekandt, daß er
seit 2 Jahr incommodiret gewesen und es sehr stark
im Kopfe gehabt habe, so, daß wenn er 2 Stunden
gearbeitet, in 4 und mehr Stunden nachher ihm nicht
möglich gewesen auf das geringste zu gedenken.9
Diese Schwierigkeiten waren Hardenberg nicht ver-
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg
borgen geblieben, weshalb er sich darum kümmerte,
dass der hannoversche Hoftischler Johann Paul Heumann auf Staatskosten zu Ausbildungsreisen nach
Holland, Frankreich und Norditalien geschickt wurde.10 Als sich dann 1736 herausstellte, dass Reetz es
weiterhin im Kopfe habe, und nicht allemahl arbeiten
könne," wurde der Hofarchitekt in Pension geschickt
und Heumann zu seinem Nachfolger bestellt.12 Damit
hatte Hardenberg einen verlässlichen, aus dem Hand-
werk stammenden Architekten an seiner Seite, mit
dem zusammen er nahezu alle wichtigen Hofbauprojekte der kommenden 23 Jahre realisieren konnte.
Das Oberhofbau- und Gartendirektorenhaus
in Herrenhausen
Angesichts des steilen Beginns seiner Karriere hatte
Hardenberg auf eine Berufung in das Geheime Rats-
kollegium und somit in das höchste Regierungsgremium gehofft. Seine fortschrittlichen Ideen, die
sich nicht nur im Bauwesen zeigten, waren den übrigen Geheimen Räten jedoch so verdächtig, dass sie
sich seiner Ernennung entschieden widersetzten. Als
der enttäuschte Hardenberg daraufhin im Frühjahr
1741 sein Amt bei der Kammer niederlegte, wurde
auf Anweisung des Königs eigens für ihn das Hofbauwesen aus der Zuständigkeit der Kammer herausgetrennt und Hardenberg zum Oberhofbau- und Gartendirektor im Ministerrang ernannt.13 So konnte der
König weiterhin auf seine geschätzten Dienste zurückgreifen. Hardenberg war den Geheimen Räten im
Rang gleichgestellt und erhielt einen Tätigkeitsbereich, in dem er seine Interessen ausleben konnte,
ohne für die übrigen Geheimen Räte eine Bedrohung
Bau des eleganten Palais auf Staatskosten nicht recht
einsehen,17 aber beim nächsten Besuch Georgs II. in
Herrenhausen gelang es Hardenberg 1748, den
Monarchen in einem persönlichen Gespräch von seinen Bauabsichten zu überzeugen und zur Bewilligung
von 3 500 Reichstalern Rohbaukosten zu bewegen.
1 000 Taler für die aufwändige Innenausstattung seiner neuen Dienstwohnung steuerte der Hofbaudirektor aus eigener Tasche bei. Die Errichtung des Gebäudes erfolgte dann in den Jahren 1749-1751,18 Die
von Hardenberg selbst finanzierte Ausstattung der
Dienstwohnung war erlesen: Das von Bronzeleuchtern erhellte Vestibül zierten Büsten und Kirschholztische.19 Der Gartensaal wies eine geschnitzte Wandvertäfelung in Rokokoformen auf, in die sechs Jagdszenen, Nymphen und Faune darstellende Ölgemälde
sowie Supraporten mit Schäferszenen integriert
waren.20 Das Raumprogramm des Erdgeschosses wur-
de vervollständigt durch ein Visitenzimmer und zwei
Wohnstuben, weitere Stuben und Kammern fanden
sich im Mansardengeschoss. Die Küche lag im ge-
wölbten Keller.21
Wie in Heinsen schaffen auch beim Hardenbergschen
Haus mehrere Freitreppen eine enge Verbindung von
darzustellen.
Den Freiraum, der sich ihm durch seine neue Stellung,
die besonderen Verhältnisse der Personalunion sowie
sein gutes persönliches Verhältnis zum König bot, verstand Hardenberg dazu zu nutzen, sich inmitten des
höfischen Bereichs sein ganz eigenes Refugium zu
schaffen: Als das alte Gärtnerwohnhaus in HannoverHerrenhausen, in dem Hardenberg zuvor ein Büro
nutzte, Zeichen von Baufälligkeit zeigte,14 schlug er
dem König vor, an der Nordwestecke des Großen Gar-
tens ein Gartenhaus mit Fruchtkammer und Ge-
wächskeller errichten zu lassen,15 das ihm fortan als
Dienstwohnung zur Verfügung stehen sollte (Abb. 4).
Den Entwurf hierzu, in dem sich Erinnerungen an das
Herrenhaus seines Onkels in Heinsen mit Anregungen
von einer 1741 in geheimer diplomatischer Mission
durchgeführten Reise nach Paris verbinden, ließ Hardenberg von Heumann anfertigen.16
Ziel des Neubaus war offiziell vorrangig die Schaffung
einer zusätzlichen Überwinterungsmöglichkeit für
empfindliche Gartengewächse, für deren Unterbringung ein Teil des Erdgeschosses sowie ein gut belichteter Gewölbekeller vorgesehen waren. Der sparsame
König wollte zwar anfänglich die Notwendigkeit zum
4 Hannover-Herrenhausen, Hardenbergsches Haus (Oberhof-
bau- und Gartendirektorenwohnung). Bestandsplan, um
1780.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Innen- und Außenraum (Abb. 2 und 4). Realisiert wurde hier also eine echte Maison de Plaisance französi-
scher Prägung. Das Hardenbergsche Haus ist ge-
schickt so in einer der Seitenachsen des Herrenhäuser
Großen Gartens platziert, dass es mit der westlichen
Seitenallee und dem älteren Eckpavillon an der
Südwestecke des Gartens in einer engen Achs- und
Sichtbeziehung steht, die vergessen lässt, dass es sich
bei diesem Bau um eine nachträgliche Hinzufügung
handelt.
5 Hannover, Hardenbergsches Haus Am Markt 13, 1887.
Direkt gegenüber seiner neuen Dienstwohnung hatte
Hardenberg bereits seit 1737 einen Teil des Großen
Gartens durch schützende Mauern abtrennen lassen.22 In diesem sogenannten Apfelstück ließ er eine
große Vielfalt an Obstbäumen, Feigen und Melonen
kultivieren und für einen in diesem Zusammenhang
errichteten, in der Mitte der Westwand der Anlage
positionierten und bis heute erhaltenen Pavillon können wir uns wohl am ehesten den Hofbaudirektor als
Nutzer vorstellen, der von hier aus sein Gartenreich
überblickte.
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg
Das Hardenbergsche Haus
am Markt in Hannover
Eigentlich hätte die komfortable Dienstwohnung in
Herrenhausen für den Junggesellen Hardenberg vollauf ausgereicht. Seine Stellung im Rang eines Ministers machte jedoch zusätzlich den Bau eines repräsentativen Stadthauses notwendig.23 In prominenter Lage
an der Westseite des Altstädter Marktes in Hannover,
somit in unmittelbarer Nähe des Rathauses und der
Marktkirche, erwarb Hardenberg das 1645 errichtete
Haus des Bergfaktors und Hoflieferanten Johann Duve, der als reichster Hannoveraner des 17. Jahrhunderts galt. Es ist als programmatisch anzusehen, dass
der Hofbaudirektor dieses keineswegs baufällige Haus
abbrechen und an seiner Stelle ab 1754 durch Heumann einen zeitgemäßen Neubau errichten ließ (Abb.
5).24
Modern war das Hardenbergsche Haus am Markt vor
allem, weil hier die Trennung von symmetrischer Fas-
sadengliederung und funktionsorientierter Innenraumgestaltung, die Hardenberg und Heumann auf
ihren Frankreichreisen kennengelernt hatten, konse-
quent vollzogen wurde. Deutlich wird dies an der
unregelmäßigen Grundrissgestaltung hinter der symmetrischen Fassade und vor allem an der Positionie-
rung des etwa 64 qm großen Festsaals seitlich im
zweiten Obergeschoss, dessen Lage sich an der Fassa-
de in keiner Weise ablesen ließ (Abb. 6). Neu war
auch die Anlage eines Mezzaningeschosses über dem
Erdgeschoss. Ersteres diente Hardenberg als Privatwohnung. Hier befand sich ein kleiner Speisesaal für
alltägliche Nutzung sowie Hardenbergs Schlafzimmer
mit fest eingebauten Kleiderschränken und Bücherborden direkt neben dem Bett. So konnte das mit
Spiegeln, marmornen Wandtischen, geschnitzten und
lackierten Wandvertäfelungen sowie Textil- und chinesischen Papiertapeten wertvoll ausgestattete zweite Obergeschoss mit dem Saal komplett für festliche
Veranstaltungen vorgehalten werden. Im schon durch
seine geringe Höhe als untergeordnet gekennzeichneten dritten Obergeschoss befanden sich Lagerräume
und Schlafstellen für das Dienstpersonal, so eine Kam-
mer, wo die schmutzige Wäsche aufgehangen zu
werden pflegt, eine Vorrats- oder Folterkammer, zwei
Kleiderkammern, eine Bedientenkammer sowie eine
Kammer für fremde Domestiquen mit einem Schlaftisch für zwei Personen.25 Wenn gesellschaftlich hochstehende Gäste beherbergt wurden, galt es ja nicht
nur diese selbst, sondern auch deren mitreisendes
Personal unterzubringen. Eine weitere Stube und
Kammer für die Dienerschaft sowie die Küche und
Backkammer im Seitenflügel befanden sich im Erd-
geschoss. Supraporten mit Stadtansichten von
Venedig zierten die Türen der Diele. Von hier aus führ-
te eine imposante zweifach gewendete Treppe nach
oben. Direkt daneben war im Seitenflügel eine weitere Treppe angeordnet (Abb. 6), die wohl vorrangig für
6 Hannover, Hardenbergsches Haus Am Markt 13. Erdgeschossgrundriss, Bestandsplan, um 1837 (aus Stadtarchiv
Hannover).
die Dienerschaft vorgesehen war. Zwar blieb das
Hardenbergsche Haus in der Größe hinter den Neubauten einiger anderer Minister zurück, doch ist es
trotzdem bemerkenswert, dass dem alleinstehenden
und bei Baubeginn bereits 59-jährigen Auftraggeber
und seinem Dienstpersonal hier mehr als 46 Räume
zur Verfügung standen.26
Der Gutshof in Nörten-Hardenberg
Im Jahre 1736 hatte der damals 40-jährige Friedrich
Karl von Hardenberg den elterlichen Gutshof und
Stammsitz der Familie in Nörten-Hardenberg geerbt.27
Er selbst war 1696 noch auf der dortigen alten Burg
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
7 Nörten-Hardenberg, Herrenhaus des Hardenbergschen Gutshofes, 2010.
8 Nörten-Hardenberg, Prospect des Vorder-Hauses Hardenberg (Ausschnitt). Federzeichnung von Georg Daniel Heumann um
1748.
geboren worden, doch hatte 1698 der Einsturz eines
der Türme die Familie zur Verlegung ihres Wohnsitzes
veranlasst.28 Ab 1702 wurde vom Baumeister Georg
Sigismund Schmidt aus Hannover das moderne neue
Herrenhaus errichtet,29 das noch heute am Fuß des
alten Burgbergs den Kern der Gutsanlage bildet (Abb.
7). Hierhin zog sich Hardenberg meist im Sommer
über viele Wochen von seinen hannoverschen Dienst-
geschäften zurück. Hier empfing er Professoren der
nahe gelegenen Göttinger Universität, wie den Philologen Johann Matthias Gesner, den ersten Direktor
der Göttinger Universitätsbibliothek, oder den be-
kannten Arzt und Naturwissenschaftler Albrecht
Haller. Geistreiche Gespräche wechselten mit gemein-
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg
samen Versuchen, bei denen man mikroskopierte,
sich gegenseitig statisch auflud oder magnetisierte.30
Auf dem Hardenberg lud der Hofbaudirektor auch
politische Vertraute ein, wie 1748 den Herzog von
Newcastle,31 der zu dieser Zeit Britischer Außenminister war.
Beim Herrenhaus beschränkte sich Hardenberg auf
eine zeitgemäße Instandsetzung der Innenräume.32
Grundlegend waren jedoch seine Eingriffe in den
Wirtschaftsbetrieb: Zwischen 1747 und 1753 errich-
tete der aus Hannover herangeholte Hofarchitekt
Heumann auf dem Gut zwei große neue massive
Schafställe, eine zusätzliche Scheune, ein Schweinehaus sowie einen Gartenpavillon und ein Gewächshaus zur Feigenzucht.33 So wurde einer der schon mit
den alten Fachwerkgebäuden imposantesten Wirtschaftshöfe der Region (Abb. 8) ganz modern und
noch leistungsfähiger um- und ausgebaut.
Wie bei den Hofbauprojekten wurden alle Neubauten
auf dem Gut in Massivbauweise errichtet. Typisch für
Hardenberg ist die Zurückhaltung in der Verzierung
der Bauten, wofür die Gestaltung des Eingangs in die
1751 errichtete Scheune als typisch anzusehen ist.
Der Hofbaudirektor ließ in die Sandsteineinfassung
des Portals lediglich dünn seine Initialen und das
Baujahr einarbeiten und dort, wo normalerweise ein
Schlussstein mit Wappen zu erwarten wäre, prangt
deutlich die Feuerversicherungsnummer des Gebäudes. Ein programmatisches Bekenntnis, da Friedrich
Karl von Hardenberg an der Einrichtung der ersten
Feuerversicherung im Kurfürstentum grundlegend
beteiligt war.
Vollkommen ungewöhnlich ist die Dekoration der bei-
den großen, zwischen 1747 und 1749 errichteten
Schafställe, von denen der eine für die Aufnahme von
berg während der Bauzeit der Stallungen auch den
Göttinger Professor Matthias Gesner bei dessen kritischer Herausgabe der Werke des Horaz durch die
Beschaffung schwer zugänglicher lateinischer Literatur,34 weshalb Gesner den dritten, 1752 in Leipzig erschienen Band dieses Werkes mit einer Widmung an
Hardenberg versah. Hardenbergs Wissenshorizont
umfasste jedoch nicht nur antike Texte: Über der zwischenzeitlich vermauerten südlichen Eingangstür des
Stalls findet sich ein Epigramm des Engländers John
Owen aus dem frühen 17. Jahrhundert (Abb. 9), in
dem auch dieser den Wert der Schafe für die
Gutswirtschaft preist: Sinngemäß übersetzt lautet dieses: Sei es, dass Fleisch oder Leder oder Lämmer oder
Mist oder Knochen, Würfel oder Därme fehlen, alles
bietet das Schaf.35
Der Landbaumeister Otto Heinrich von Bonn entwarf
1748 das neue Brauhaus für den Hardenberg.36 Hier
wurde die Grundlage für die bis heute florierende
Produktion der Spirituosen mit dem Keilerkopf gelegt.
Die Abfälle der Bier- und Branntweinproduktion dien-
ten zur Mast der Weideschweine, die neben den
Schafen das zweite Standbein der Gutswirtschaft ausmachten. 1750 wurden in der Ölmühle des Gutshofes
sowie in weiteren Hardenberg gehörenden Wassermühlen in Nörten und Geismar horizontal laufende
Wasserräder nach einer Erfindung des Göttinger Professors Johann Andreas Segner eingebaut.37 Es sind
dies die ersten Versuche mit dieser neuen Methode,
die als Grundlage der modernen Turbinentechnik gelten kann. Hardenberg zeigte sich hier aufgeschlossen
gegenüber den neuesten Entwicklungen der Ingenieurwissenschaft, obwohl sich diese noch im Ver-
suchsstadium befanden.
gut 800, der andere für 900 Tiere ausgelegt war.
Weitere Stallungen gab es auf dem nahe gelegenen
Vorwerk Levershausen, sodass die Schafhaltung den
Schwerpunkt der Gutswirtschaft auf dem Hardenberg
bildete. An jedem der Ställe finden sich im Bereich der
Fenster und Türen mehrere Inschriftensteine, die
neben der Nennung des Bauherrn und der Datierung
längere lateinische Texte zeigen. Einige der Inschriften
sind stark verwittert. Zwei davon haben die letzten
260 Jahre jedoch besser überstanden, sodass die dort
eingearbeiteten Texte noch lesbar sind und sich ihre
Herkunft erschließen lässt, wobei sich ein eindrucks-
volles Bild weitläufiger Bildung bietet: Die Inschrift
unterhalb eines Fensters im Giebel des Stalles von
1747 stammt aus der Georgica des Publius Vergilius
Maro, bekannt als Vergil, die dieser zwischen 37 und
19 v. Chr. verfasst hat, einer vierbändigen Sammlung
von Lehrgedichten zur Landwirtschaft, und hier aus
Band III, wo Vergil die Vorteile verschiedener Kleintiere, darunter auch die des Schafes aufführt. Auf den
ersten Blick erscheint ein antiker Text am Schafstall
vielleicht etwas abwegig, doch unterstützte Harden-
9 Nörten Hardenberg, Schafstall von 1747 auf dem Harden-
berschen Gutshof. Inschriftenstein über dem ehern.
Südeingang mit Epigramm von John Owen, 2010.
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
10 Geismar, Plan der Ortslage mit Gutshof (1) und Kirche (2) von Johann Thomas Willich, um 1745.
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg
Die Patronatskirche und der Gutshof in Geismar
Zusammen mit dem Stammsitz der Familie hatte
Hardenberg 1736 auch das Gut in Göttingen-Geismar
geerbt und war damit Patronatsherr der dortigen
Kirche geworden. Schon zu Lebzeiten seines Vaters
hatte er von verschiedenen Architekten Pläne ausar-
beiten lassen, um die hier bestehende baufällige
Kirche aus dem Mittelalter durch einen Neubau zu
ersetzen. Realisiert wurde in Geismar schließlich bis
1743 ein wiederum von Heumann entworfener Bau
auf dem Grundriss eines gleichseitigen Kreuzes,38 der
sehr an reformierte Kirchen in Holland erinnert, wie
sie Hardenberg auf seiner Kavaliersreise durch die
Niederlande im Jahre 1717 kennengelernt haben
kann.
Der Gutshof in Geismar war eine stattliche, jedoch
unregelmäßige Vierseitanlage und wurde von der Familie, anders als der Stammsitz Hardenberg, lediglich
als Wirtschaftsbetrieb gesehen und von einem
Verwalter betrieben. Ein näherer Eindruck von der
Gestaltung der Anlage kann heute nur noch über
historische Lagepläne gewonnen werden (Abb. 10),
weil die letzten zugehörigen Gebäude bereits in den
1960er-Jahren abgebrochen wurden.
sischen französischen Architektursprache, die Harden-
berg und Heumann auf ihren Reisen kennengelernt
hatten. Inzwischen befindet sich der Pavillon auf dem
Lindener Bergfriedhof, wohin er 1914 nach Anlage
des Lindener Güterbahnhofs auf dem vorherigen Gelände des Küchengartens versetzt worden ist.44 Die
Wirkung des Bauwerks war anfänglich noch beeindruckender als heute, da dem Pavillon große, recht-
eckig gefasste Teiche symmetrisch vorgelagert waren,
sodass sich der in die Umfassungsmauer des Gartens
integrierte Bau in ihnen spiegeln konnte, ein Zugang
auf direkter Wegachse jedoch nicht möglich war.45
Vom überkuppelten Obergeschossraum und den flankierenden Terrassen war am ursprünglichen Standort
ein ungehinderter Blick über die Leineniederung bis
nach Hannover und Herrenhausen möglich.46 Ein Ka-
min aus Blankenburger Marmor erlaubte die Beheizung des Obergeschossraumes, dessen Wände mit
geschnitzten Holzvertäfelungen bekleidet waren und
dessen hölzerne Kuppel ein Fresko mit den vier
Jahreszeiten zierte.47 Zwar war die Errichtung des
Küchengartenpavillons offiziell ein staatliches Bauprojekt, doch kommt als Nutzer des eleganten Bauwerks
mit Ausnahme seltener Besuche des Königs vorrangig
Hardenbergs Aussichtspavillons
Im Sommer 1744 begab sich Hardenberg auf eine
zehnmonatige Reise nach England.39 In London lernte
er Lord Burlington, einen der bekanntesten autodidaktischen Architekten der Zeit, und dessen bevor-
zugten Gartengestalter William Kent kennen.
Gemeinsam besuchten sie Burlingtons berühmte Villa
in Chiswick bei London,40 deren Garten Kent im land-
schaftlichen Stil gestaltet hat. Hardenberg kaufte in
England Stiche moderner Häuser und Gartenanlagen
und notierte und skizzierte, was ihm an Neuerungen
von der Spültoilette bis zum Gartenpavillon unterkam.
Im Oktober und November 1744 hielt sich
Hardenberg zweimal in Euston Park in Suffolk, dem
Haus des Herzogs von Grafton auf,41 wo als
Blickpunkt der seit 1738 ebenfalls von William Kent
umgestalteten Gartenanlage gerade über dem
Eiskeller ein Aussichtspavillon mit seitlichen Terrassen
angelegt wurde. Hardenberg notierte dazu in seinem
Reisetagebuch: Ein Gebäude vor das Icehouse auf
einer Höhe mit einem kleinen Zimmer, so recht artig
war42 und nahm eine von Kent gezeichnete Skizze des
Gebäudes mit nach Hannover (Abb.11).
Als nach seiner Rückkehr eine Neuordnung des könig-
lichen Küchengartens in Hannover-Linden anstand,
ließ der Hofbaudirektor dort 1748-1749 durch
Heumann einen Pavillon errichten (Abb. 12),43 der in
seiner Grundstruktur mit zweigeschossigem, überkuppelten Mittelbau und seitlichen Austrittsterrassen
deutliche Anleihen bei Kents Entwurf für Euston
nimmt. Die in feinen Sandsteinarbeiten ausgeführten
Detailformen entsprechen jedoch ganz der zeitgenös-
11 Euston Park, Suffolk, Eiskeller mit Aussichtspavillon im
Park des Herzogs von Grafton, Entwurf von William Kent,
1744.
219
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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
12 Hannover-Linden, ehemaliger Küchengartenpavillon, 2009.
der Oberhofbau- und Gartendirektor von Hardenberg
in Betracht, der sich hier also ebenso wie in seinem
Herrenhäuser Dienstsitz ein nahezu privates Refugium
schuf, in dem er die Zucht seltener Pflanzen betreiben
ließ.
Von Hardenbergs eigener Hand stammt eine Skizze
für einen weiteren Aussichtspavillon, den er als Blick-
punkt der Hauptallee seines Gartens am Fuß des
Burgberges in Hardenberg errichten wollte (Abb. 13).
Herausragende Bedeutung hat dieser Entwurf durch
die Tatsache, dass hier erstmals in der Region Rückgriff auf gotische Stilformen genommen wird, wie sie
Hardenberg auf seiner Englandreise an neugotischen
Staffagearchitekturen dortiger Landschaftsgärten
kennengelernt hatte. Wie in Euston und beim Küchengartenpavillon war ein erhöhter, überkuppelter
Mittelraum vorgesehen, der hier von gotischen Ge-
wölberippen überfangen werden sollte. Es gab eben-
falls die Möglichkeit zum Austritt auf seitliche Terrassen. Der weite Blick in die Landschaft und die Ver-
bindung von Innen- und Außenraum bestätigen sich
hier als wiederkehrende Aufgabenstellungen der von
Hardenberg geprägten Architektur. Neu ist die Nutzung des Obergeschossraumes, der als Archiv mit
eisernen Fenstern und Türen eingerichtet werden soll-
te. Hardenbergs tiefes Interesse für Naturwissenschaf-
ten schlägt sich nieder in dem überdimensionierten
Blitzableiter oder Blitzeinfänger aus Eisendraht, der
die Kuppel bekrönt und seiner Zeit weit voraus ist.
Leider kann angesichts des Untergangs des hardenbergschen Gutsarchives im Zweiten Weltkrieg heute
nicht mehr geklärt werden, ob dieser spektakuläre
Entwurf zur Ausführung gekommen ist.48 Selbst der
Plan ist jedoch ein deutlicher Beleg für die weitreichenden wissenschaftlichen Interessen und kulturellen Verbindungen des Auftraggebers.
Zusammenfassung
Eindrucksvoll bleibt die Fülle möglicher Wohnorte mit
überaus umfangreichem Raumangebot, die dem
alleinstehenden Oberhofbau- und Gartendirektor
Friedrich Karl von Hardenberg zur Verfügung stand.
Erforderlich war dieses wohl weniger aus persönlichem Bedürfnis heraus, sondern bedingt durch seine
gesellschaftliche Stellung, da andere Mitglieder der
Regierung auf Ministerebene vergleichbar weitläufige
oder sogar größere Häuser unterhielten. Durch den
Besitz zweier auswärtiger Gutshöfe, an deren Bewirt-
schaftung Hardenberg regen Anteil nahm, sowie
durch die Verteilung seiner Dienstgeschäfte auf
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg
13 Nörten-Hardenberg, Entwurf für einen neugotischen Archiv- und Aussichtspavillon auf dem Hardenbergschen Gut.
Friedrich Karl von Hardenberg, um 1744.
221
222
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Tätigkeiten in der Stadt Hannover sowie in Herrenhausen war ein Bedarf an mehreren Wohnsitzen
gegeben. Ungewöhnlich und wohl nur in Hardenbergs besonderer beruflicher Situation möglich war
die Prägung und teilweise Aneignung staatlicher bzw.
herrschaftlicher Bauten, wie sie bei der Dienstwohnung in Herrenhausen sowie den Pavillons im dortigen Apfelstück und am Königlichen Küchengarten in
Linden greifbar wird.
Deutlich ablesbar ist die Umsetzung von Anregungen,
die Hardenberg auf seinen Reisen nach Frankreich
und England durch dortige aktuelle Architekturprojekte gewonnen hat. Auch sein Interesse an modernsten wissenschaftlichen Entwicklungen zeigt sich an
einigen seiner Projekte, wie den Springstrahlen in
Heinsen, der versuchsweisen Einrichtung von waagerechten Wasserrädern in einigen seiner gutseigenen
Mühlen und dem Blitzableiter auf dem in Hardenberg
geplanten Gartenpavillon. Bisher einmalig ist die Dekoration von Wirtschaftsbauten auf dem eigenen Gut
mit Literaturzitaten, in denen sich einerseits der weitreichende Bildungshorizont des Auftraggebers niederschlägt und andererseits diese Zweckbauten eine Nobilitierung erfahren, die gemeinsam mit ihrem beeindruckenden Bauvolumen und ihrer dauerhaften Aus-
führung die hohe Wertigkeit belegt, die Hardenberg
einer geordneten Wirtschaftsführung auf seinen Besitzungen gegenüber rein repräsentativen Zwecken
einräumte. Somit zeigt sich Hardenberg insgesamt in
seinen Bauten als wichtiger Vertreter der Aufklärung
10 NHStA-H, Hann 76 cA Nr. 258, S. 639 u. 642, Nr. 257,
S. 642, Dep. 103 XXIV Nr. 906.
11 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 904.
12 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 906, Bestallungsurkunde
vom 21. Sept. 1736.
13 Klausa (wie Anm. 3), S. 30-32.
14 NHStA-H, Hann. 92 Nr. 222, Pro Memoria vom 19. Mai
1747.
15 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 5358, Resolution vom 2.
Sept. 1748.
16 NHStA-H, 13c / Herrenhausen 24 pk. - Vgl. Bernd Adam,
Hardenbergs Wirken als Oberhofbaudirektor, in: Wilken von
Bothmer/Marcus Köhler (Hg.), Im Auftrag der Krone.
Friedrich Karl von Hardenberg und das Leben in Hannover
um 1750. Rostock 2011, S. 35-43, hier S. 38.
17 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 5358, Schreiben vom 22.
Mai 1747.
18 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 3632, Verzeichnis der ver-
wandten Baukosten an den herrschaftlichen Gebäuden
1740-1759; Nr. 5358, Bericht vom 15. Aug. 1750.
19 HGL, Nr. 1496, BI. 76.
20 Udo von Alvensleben, Herrenhausen. Diss. Hamburg
1928, S. 66f.
21 NdsHStaA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4156, Inventarium von
den Meublen welche in der Official-Wohnung des
Hofbaudirectors zu Herrenhausen befindlich sind 1810.
22 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4822, Kostenanschlag vom
15. Juni 1737.
23 Bernd Adam, hannoversche Adelspalais des Barock und
Rokoko, in: Silke Lesemann/Annette von Stieglitz (Hg.),
in Kurhannover.
Stand und Repräsentation (= Hannoversche Schriften zur Re-
Anmerkungen
40, hier S. 33-37.
1 Gustava Alice Klausa, Die eigene Welt ist nicht genug -
Hardenbergs Persönlichkeit, in: Wilken von Bothmer/Marcus
Köhler (Hg.), Im Auftrag der Krone. Friedrich Karl von Har-
denberg und das Leben in Hannover um 1750. Rostock
gional- und Lokalgeschichte, Bd. 17). Bielefeld 2004, S. 13-
24 Stadtarchiv Hannover: A 20781 (Hypothekenakte Am
Markt 13). - NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 907, Verzeichniß
der unter des letzt verstorbenen Herrn Architecti Heumanns
hinterlaßenen Papieren sich befundenen Privat Sachen, Volu-
2011, S. 19-26, hier S. 32.
men 7: Baucommissiones des Herrn Kriegsraths von Harden-
2 Ebd. S. 21.
berg.
25 Preußisches Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem, I. HA
3 Gustava Alice Klausa, Friedrich Karl von Hardenberg
(1696-1763). Ein hannoverscher Hofmann und Staatsdiener
im Zeitalter der Aufklärung. Hildesheim 1990, S. 20f.
4 Hardenbergsches Guts- und Familienarchiv Lietzen (im
Folgenden abgekürzt: HGL), Nr. 1487, Briefe von Christian
Ulrich von Hardenberg, London 23. Jan. u. 16. Feb. 1725.
5 Zur Biografie von Reetz vgl. Bernd Adam, Der hannoversche Hofbaumeister Reetz, ein Architekt ohne Vornamen?,
Rep. 92 Dep. Hardenberg Nr. 1082, Inventar des Hauses des
Feldmarschalls von Hardenberg (Christian Ludwig von Har-
denberg, Bruder und Erbe von Friedrich Karl von Hardenberg) in Hannover 1785.
26 Ebd.
27 Klausa (wie Anm. 3), S. 24.
in: Stefan Amt (Hg.), Festschrift für Günther Kokkelink.
28 Klausa (wie Anm. 3), S. 5.
29 Karl Heinrich Lang, Die Geschichte des Geschlechts von
Hannover 1999, S. 109-120.
6 Münchhausensches Guts- und Familienarchiv Ihme-Rolo-
gen von der Osten (Bearb.), Die Rittergüter der Calenberg-
ven Bettensen, Baurechnung zum Neuen Haus.
7 Daniel Eberhard Baring, Beschreibung der Saale im Amt
Hardenberg. Wolbrechtshausen 1966, S. 126. - Victor JürGrubenhagenschen Landschaft. Hannover 1996, S. 224. Das
einzige sonst bisher von Schmidt bekannte Großprojekt ist
Lauenstein. Lemgo 1744, S. 236.
der Neubau des Klosters Barsinghausen 1704.
Folgenden abgekürzt: NHStA-H), Dep. 103 XXIV Nr. 5193,
Schreiben vom 13. Juni 1732.
31 Klausa (wie Anm. 3), S. 24. - HGL, Nr. 1488, Briefwechsel
8 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover (im
9 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 904.
30 HGL, Nr. 1486, Briefwechsel mit Haller und Gesner.
mit dem Herzog von Newcastle.
32 NdsHStaA-H, Dep. 39 Nr. 650 f (Findbucheintrag).
Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg
33 NdsHStaA-H, Dep. 39 Nr. 131, 136-140.
Bildnachweis
34 HGL, Nr. 1486 enthält insgesamt 52 Briefe, die Harden-
Historisches Museum Hannover: 1;
berg und Gesner vorrangig in diesem Zusammenhang gewechselt haben.
Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische
Landesbibliothek Hannover: 2;
35 Im Original: SEU CARO SEU CORIUM FOETUS FIMUS
(Wehrbereichsbibliothek Hannover R 25601, Bl. 39): 3
ALEA CHORDA LANAVE LACVE DEEST OMNIA OVIS.
(Wehrbereichsbibliothek R 25601, BI. 40);
36 HGL, Nr. 1512.
Stadtarchiv Hannover: 4 (Laves Nachlass Nr. 6611);
37 Klausa (wie Anm. 3), S. 85. - HGL, Nr. 1541.
Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege: 5
38 Vera Lenz, 1000 Jahre St. Martin Geismar. GöttingenGeismar 1990, S. 69 78.
(Messbildarchiv Neg. Nr. 34g 14/4838.7);
39 Vgl. hierzu Rainer Schöwerling, Hardenbergs Tagebuch-
Hardenbergsches Gutsarchiv Nörten-Hardenberg: 8, 10;
bericht von der Englandreise 1744/45, in: Wilken von Both-
Hardenbergsches Guts- und Familienarchiv Lietzen (Nr.
mer/Marcus Köhler (Hg.), Im Auftrag der Krone. Friedrich
Karl von Hardenberg und das Leben in Hannover um 1750.
1527, BI. 42); 13 (Nr. 1527, Bl. 40): 11;
Rostock 2011, S. 101-107.
40 Klausa (wie Anm. 3), S. 68. - HGL, Nr. 1485, BI. 3.
41 Ebd.
42 Preußisches Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem, I. HA
Rep. 92 Dep. Hardenberg-Familie, Nachträge I, Nr. 1, S. 28.
43 NdsHStaA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4096, Schreiben vom 5.
Nov. 1749.
44 Stadtarchiv Hannover, HR 13 Nr. 221 u. 684.
45 NdsHStaA-H, Cal. Br. 8 Nr. 1754, Lageplan des Küchen-
gartens von Heumann 1754 mit Eintragung des Pavillons
und der vorgelagerten Teiche.
46 Die Gesamtsituation ist dargestellt auf einer Justus Elias
Kasten zugeschriebenen und um 1825 entstandenen Gouache im Historischen Museum Hannover.
47 NdsHStaA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4656, Inventarium von
dem Königlichen Kuchen-Garten zu Linden 1794, S. 18f.
48 Erhalten hat sich lediglich das Findbuch des weitgehend
vernichteten Aktenbestandes, in dem unter Nr. 650 f. bei
den Belegen zum Haupt-Bau-Register 1741-1744 ein Pavillon mit Plattform Erwähnung findet. Sollte dieser Eintrag
trotz seiner frühen Zeitstellung mit dem Pavillonentwurfs
Hardenbergs Zusammenhängen, wäre dieser bereits während der Zeit von Hardenbergs Englandreise zur Ausführung
gekommen.
Stadtarchiv Hannover: 6 (Laves Nachlass Nr. 1533);
Alle übrigen Abbildungen stammen vom Verfasser.
223
224
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
(Ennigerloh-Westkirchen, Kr. Warendorf)
Fred Kaspar / Peter Barthold
Haus Dieck bei Ennigerloh-Westkirchen (Kr. Warendorf)’ ist in der bau- und kunstgeschichtlichen Literatur zwar seit Langem bekannt,2 allerdings nur wegen
des dort stehenden Herrenhauses von 1771-1775,
das als ein reifes Werk barocker westfälischer Architektur gilt. Der Entwurf für das Gebäude wurde über
viele Jahrzehnte dem bedeutenden westfälischen Barockarchitekten Johann Conrad Schlaun (1695-1773)
zugeschrieben,3 doch hat man dies später verworfen,
insbesondere weil das Konzept des Hauses nun als
nur noch eine für die Bauzeit lahme Wiederholung
alter Gedanken betrachtet wurde.4 Es handele sich
um eine durch einen nicht bekannten Handwerker
ausgeführte, verkleinerte und einfachere Kopie des ab
1766 errichteten Herrenhauses auf Haus Loburg,5
wobei das im Grundriss fast gleiche Gebäude allerdings nur an den beiden dem Wetter ausgesetzten
Fronten massiv ausgeführt wurde.6 Neuerdings wird
ein mögliches Vorbild des Hauses auch in dem seit
1766 nach Plänen von Schlaun errichteten Haus Beck
bei Bottrop gesehen und als Planverfasser ein Schüler
von Schlaun vermutet.7 Ebenso war auch die Auseinandersetzung um die in dem Haus bis in das 20. Jahrhundert überlieferte, inzwischen nur noch in Teilen
erhaltene reiche Wanddekoration mindestens drei
verschiedener Räume insbesondere von Fragen der
künstlerischen Zuschreibung bestimmt.8 Als Urheber
für zehn Wandbilder in einem Raum des Obergeschosses favorisierte man lange P. F. L. Bartscher
(1749-1823) aus Rietberg, doch wird auch dies heute
nicht mehr aufrechterhalten.9
Die bislang im Vordergrund stehenden Fragen nach
der künstlerischen Qualität sowie der kunst- und
architekturgeschichtlichen Bedeutung des Herrenhauses und seiner Innenausstattung haben es nicht befördert, den Blick auf die Gesamtanlage, ihren Aufbau,
ihre Aufgaben und Entwicklung zu lenken. Nicht einmal die Lebensumstände der Bauherren, die Bauzeit
oder die Gründe für den 1771 inschriftlich datierten
Beginn des Neubaus wurden geklärt. Die weiteren auf
dem Gut vorhandenen, vor allem wirtschaftlichen
Zwecken dienenden und daher schlichten Bauten
blieben unbeachtet. Auch kam es zu keiner Auseinan-
dersetzung mit der Besitz-, Nutzungs- und Veränderungsgeschichte oder der Bedeutung des Gutes als
landwirtschaftlicher Betrieb.10
Eine von den neuen Eigentümern im Jahre 2002 eingeleitete Sanierung der den Hofplatz säumenden his-
torischen Wirtschaftsbauten wurde daher dazu genutzt, deren baugeschichtlichen Spuren zu erfassen
und damit einen ersten Beitrag zur Geschichte der
Gesamtanlage von Haus Dieck zu leisten. Hierzu wa-
1 Haus Dieck. Ansicht der Gesamtanlage von Südwesten. Im Vordergrund das Pforthaus, dahinter links das alte Herrenhaus,
rechts das Herrenhaus von 1771-1778 (Herbst 2012).
225
2 Haus Dieck. Herrenhaus von 1771-1776. Hoffront (Herbst 2012).
ren auch ihre Besitz- und Baugeschichte und die Funk-
tionen der einzelnen vorhandenen Bauten näher in
den Blick zu nehmen. Eine vor diesem Hintergrund
unter Auswertung erhaltener archivalischer Quellen
eingehende Würdigung des Herrenhauses sowie des
sogenannten Renteigebäudes - offensichtlich handelt
es sich hierbei um das alte Herrenhaus - harren hingegen einerweiteren Untersuchung.
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich alle Baumaßnahmen des 18. Jahrhunderts aus besonderen
Ereignissen und Umständen der Besitzgeschichte erklären lassen: Wohl seit 1625 war Haus Dieck nicht
mehr Hauptsitz der Lehnsnehmer, da diese auf dem
etwa 15 km weiter westlich gelegenen Haus Heimsburg im Kirchspiel Albersloh11 lebten. Wohl daher verblieb die Anlage in ihrer bescheidenen, auf spätmittel-
alterliche Strukturen zurückgehenden Form einer
Zweiinselanlage mit einer Vorburg mit den Wirtschaftsgebäuden und einem kleinen umgräfteten
Herrenhaus westlich davon. Als Haus Dieck 1735 den
Besitzer wechselte, benötigte dieser bald einen neuen
Hauptwohnsitz für seine Familie. Hierzu dürfte man
zunächst das Herrenhaus an der alten Stelle in bescheidenen Formen als zweigeschossigen Fachwerkbau ersetzt haben. Die weitere Entwicklung der Anlage wurde dann allerdings von vielen Sterbefällen
und Zeiten vormundschaftlicher Verwaltung ohne
besondere Impulse zum weiteren Ausbau bestimmt,
wobei nur wenige Zeitabschnitte für Planung und
Durchführung größerer Baumaßnahmen blieben.
1745/46 entstand das Torhaus und um 1760/61 dessen Erweiterung. Das dann ab 1771 errichtete Herrenhaus dokumentiert die inzwischen wesentlich verbesserten wirtschaftlichen Grundlagen der Familie, wur-
de aber aufgrund der weiteren familiären Entwicklungen schon seit 1798 nicht mehr bewohnt. Auch
blieb das diesem Neubau zugrunde gelegte völlig
neue Konzept für die Gesamtanlage bis auf die Schaffung eines auf das neue Herrenhaus bezogenen Gar-
tens mit Gartenhaus um 1785 unvollendet. Da seitdem auf Haus Dieck nur noch Rentmeister dauerhaft
lebten und das Herrenhaus - abgesehen von Jagdbesuchen der Herrschaft - weitgehend ungenutzt
stand, blieb die bauzeitliche Ausstattung in wesentlichen Teilen noch bis in das 20. Jahrhundert erhalten.
Zur Geschichte des Gutes Haus Dieck
Westlich des Kirchdorfes Westkirchen lagen im Spätmittelalter zwei kleine Adelssitze, die beide aus Burglehen des Klosters Freckenhorst hervorgingen und
wohl zur Sicherung des in diesem Gebiet vorhandenen klösterlichen Grundbesitzes - insbesondere in
Form von grundherrlich gebundenen Höfen - dienten.
Nur etwa 600 m westlich vom Ortskern entfernt
befand sich Haus Brinke. Nach verschiedenen Be-
226
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
sitzerwechseln wurde es 1616 an die Inhaber von
Haus Dieck verkauft, wenig später im Dreißigjährigen
Krieg zerstört und danach aufgegeben. Die zugehöri-
gen Ländereien sind seitdem mit denen von Haus
Dieck vereint. Die Feldfluren beider Güter schlossen
sich unmittelbar westlich an den Ortskern an.
Haus Dieck liegt nordwestlich des Dorfes, ebenfalls
nur wenige hundert Meter von der Kirche entfernt.
Seit dem frühen 14. Jahrhundert ist es als Lehen des
Klosters Freckenhorst in der Hand der Ritter tom
Diecke, die zugleich Burgmannen des Bischofs von
Münster in Sassenberg waren. Die Erbtochter Jutta
des 1430/34 belegten Herman tom Dieck heiratete
einen Herrn von Casum, der ebenfalls zu den Sassen-
berger Burgmännern gehörte. 1486 werden Johann
von Casum mit seiner Frau und ihrem Sohne Heinrich
und 1515/24 Johann und Roleff von Casum zu Dieck
als ihre weiteren Söhne genannt. Rolf von Casum
wurde bischöflich münsterscher Droste zu Sassenberg
und heiratete Richmund Buck,12 die einer Münsteraner Erbmännerfamilie entstammte. Ihr Sohn Heinrich
Casum wurde mit Haus Dieck belehnt und heiratete
Agatha von Werne. Aus dieser Ehe gingen drei Söhne
hervor, die allerdings alle ohne Erben blieben. Als letzter Namensträger starb 1566 Jobst von Casum. Das
Erbe traten Nachfahren aus der Familie ihrer Großmutter an: 1566 erhielt die auf Haus Heimsburg an-
sässige Familie (von) Buck das Haus Dieck zu Lehen.
1568 befand sich das Lehen in der Hand von Bernd de
Buck. Da er ohne Erben starb, fiel das Lehen 1622 an
das Kloster Freckenhorst zurück. Zunächst wurde
1623 Balthasar von Bönninghausen als neuer Lehnsnehmer eingesetzt, doch konnte 1625 Johann Hermann von Buck zu Heimsburg in einem Prozess seinen
Anspruch durchsetzen.13 1632 wurde Jobst Buck mit
Haus Dieck belehnt14 und 1673 ist dort Jobst Hermann Buck genannt. Jacob Boldewin von Buck zu
Heimsburg wurde 1680 letzter Inhaber der Lehen.15 Er
erhielt im gleichen Jahr auch die Burglehen in
Sassenberg. Nach seinem Tode fielen 1711 alle Güter
(Heimsburg, Dieck und Brinkhaus in Westkirchen so-
wie der Besitz in Sassenberg sowie ein Hof in der
Stadt Münster) an ihre Tochter Anna Christina Maria
Buck zu Heimsburg. Letztere heiratete 1716 Goswin
von Beverförde zu Stockum und Mensing (t 1731
Heimsburg), einen Sohn aus der Ehe von Hermann
von Beverförde und Anna Helene von Hanxleden.16
Sie lebten auf Haus Heimsburg. Nach seinem Tode
1731 fielen mit ihrem Tode 1733 die Lehen an die
Lehnsherren zurück, da aus ihrer Ehe keine Kinder
3 Haus Dieck. „Altes" Herrenhaus von etwa 1740 (Herbst 2012).
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
hervorgegangen waren.17 Als Nachfolger18 wurde die
durch Einheirat verwandte Familie von Hanxleden ein-
gesetzt.19 Adolf Hermann Philipp von Hanxleden zu
Groß und Klein Eickel in Blasheim (Kr. Minden-
Lübbecke)20 war mit Marie Anna Josepha Francisca
von Korff zu Hausen verheiratet. Am 19. Januar 1734
wurde er von der Äbtissin zu Freckenhorst mit dem
Gut Brinkhaus sowie Gut und Haus zum Dieck bei
Westkirchen sowie mit dem Gut Blankenfort bei
Albersloh belehnt. Zudem erhielt er als Lehen des
Bischofs von Münster zahlreiche Grundstücke in
Sassenberg, Besitz verschiedener dortiger Burgmannshöfe.21 Haus Heimsburg als alloder Besitz konnte frei
vererbt werden und kam hierbei an die Familie von
Beverförde.22 Heimsburg konnte daher nicht Wohnsitz
der neuen Eigentümer bleiben. Nachdem diese wohl
zunächst noch auf ihrem angestammten Haus Eickel
lebten, dies aber wegen Schulden zwangsweise ver-
kaufen mussten,23 verlegten sie um 1740 ihren
Wohnsitz auf Haus Dieck.
Reck zu Steinfurt (um 1745-14.06.1796), eine der sieben Töchter des geheimen münsterschen Rates und
Drosten zu Werne Ferdinand Wilhelm Josef von der
Recke zu Steinfurt (1707-1761) auf Haus Heessen bei
Hamm.27
Das Ehepaar entwickelte schnell weitreichende
Aktivitäten, wozu zum einen die Ausweitung der
Ländereien und Pachthöfe gehörte.28 Dieses setzte
umfangreiche Geldquellen voraus - sie dürften aus
dem Vermögen der Frau stammen, das sie als Brautschatz erhalten hatte29 - und dokumentierten sich in
einem deutlich höheren Anspruch des Rahmens, in
dem sich zukünftig das Leben der Herrschaft abspielen sollte: Zum anderen wurde noch im Jahr der Heirat
1771 auf der Grundlage eines neuen Konzeptes für
die Gesamtanlage auf Haus Dieck mit dem Bau eines
aufwändigen neuen Herrenhauses begonnen. Dieser
Neubau konnte wohl 1775 fertiggestellt und von der
Herrschaft bezogen werden.30
1782 erwarb das Ehepaar von Hanxleden auch ein
Kurienhaus im Stift Freckenhorst und ließ es in den
Freiherr Adolf Hermann Philipp von Hanxleden nannte sich fortan Herr zu Sassenberg und Dieck und begann damit, Haus Dieck nach und nach im bescheidenen Maße und unter Bewahrung der alten Strukturen
zu erneuern. Von den zu seiner Zeit errichteten Bauten haben sich mehrere erhalten: Zunächst dürfte es
folgenden Jahren durch einen Neubau ersetzen
um 1740 zur Erneuerung des Herrenhauses in be-
von 48 Jahren verstarb,34 führte seine Witwe die
Aktivitäten fort und ließ in den nächsten Jahren bei
scheidenen Formen gekommen sein (das heutige sogenannte Renteigebäude) und 1745/46 entstand eine
neue Torscheune mit Wohnräumen für Gesinde.
Der neue Herr auf Haus Dieck verstarb früh. Da zu
diesem Zeitpunkt sein Sohn und Erbe Leopold Bern-
hard Wolfgang Friedrich Maria von Hanxleden
(26.02.1736 Blasheim - 11.05.1784) noch minderjährig war, übernahm Hermann Caspar von Hanxleden,
Domherr in Minden und Münster,24 als Vormund die
Geschäfte auf Haus Dieck. Die Ländereien des Gutes
wurden nicht selber bewirtschaftet, sondern in Stücken verpachtet, wobei allein hierdurch Einnahmen
von etwa 300 bis 350 Rthl. jährlich entstanden.25
Leopold von Hanxleden übernahm mit Volljährigkeit
das Erbe26 und nach dem Tod seines Onkels und
Vormunds 1760 auch dessen Stelle als Domherr in
Münster, sodass auch weiterhin kein herrschaftlicher
Haushalt auf Haus Dieck bestand. Wohl nach seiner
Besitzübernahme 1760 wurde die Torscheune erwei-
tert und erhielt hierbei einen 1763 fertiggestellten
Anbau mit Wohnung. Da für diese Wohnung im Jahre
1801 die Bezeichnung „Jägerwohnung" belegt ist
und zudem noch bis heute vor Ort gebräuchlich
geblieben ist, dürfte hier der Jäger Johann Henrich
Linnenbeck untergebracht worden sein, der zu dieser
Zeit die Herrschaft vor Ort vertrat.
1771 resignierte Leopold von Hanxleden seine Dom-
herrenstelle in Münster und heiratete die Freckenhorster Stiftsdame Maria Aloysia Johanne von der
(heute Stiftshof 1),31 um damit ihrer einzigen Tochter
ein standesgemäßes Leben als Stiftsdame zu ermöglichen.32 Zudem erwarben sie ebenfalls 1782 einen großen Stadthof in Münster am Alten Steinweg 34/35.33
Auch als Leopold von Hanxleden schon 1784 im Alter
Haus Dieck die noch nicht fertigen Gartenanlagen mit
Gartenhaus, Brücken und Schleusen vollenden.35
1784 erwarb sie den Hof Schulte Hohnhorst bei
Altenberge (Kr. Steinfurt) für 4 323 Rthl. für die Familie und 1785 gelang es ihr, das Gut Haus Dieck durch
die Zahlung von 7 000 Rthl. (zusammen mit den
Gütern Brinkhaus in Westkirchen und Blankenfort im
Kirchspiel Albersloh) zum alloden Besitz zu wandeln.36
Nachdem 1796 auch die Witwe von Hanxleden verstarb, wurde ihr Haushalt in Münster aufgelöst und
große Teile der dort vorhandenen Einrichtung im
Frühjahr 1797 versteigert.37 Hintergrund dieser Auktion war offensichtlich ihre testamentarische Bestimmung, dass nur die Hälfte ihres Erbes unter ihren Kindern verteilt werden sollte, während die andere Hälfte
als eine zukünftige Familienstiftung an Herrn Kohlschein, Vikar an St. Lamberti in Münster, fallen sollte.38
Der umfangreiche Haus- und Grundbesitz wurde
unter den drei Kindern aufgeteilt, wobei der älteste
Sohn, Kammerherr Maximilian Friedrich von Hanxleden, Haus Dieck erhielt.39 Nachdem dieser schon
1798 starb, fiel es an seinen jüngeren Bruder Paul Karl
von Hanxleden. Er war 1796 Domherr in Münster ge-
worden, resignierte dieses Amt aber 1798, um das
elterliche Erbe zu Haus Dieck anzutreten und heirate-
te Klementine von Wenge. Allerdings starb er nur
wenige Monate später am 29. Oktober 1 798.40 Seine
Witwe heiratete 1801 in zweiter Ehe Freiherrn von
227
228
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Ketteier und verzog zu ihrem Mann, sodass es auf
Haus Dieck keinen herrschaftlichen Haushalt mehr
gab. Die 1801 genau erfasste und verzeichnete Einrichtung41 wurde daher in mehreren Versteigerungen
verkauft.42 Nachdem sich abzeichnete, dass das
Damenstift Freckenhorst keine Zukunft hatte, folgte
1805 auch der Verkauf des Kurienhauses in Frecken-
horst. Im gleichen Jahr ließ man im Zusammenhang
mit dem Neubau der Pfarrkirche von Westkirchen dort
mit dem Bau ein eigenes Oratorium für die Familie
beginnen, doch konnte es wegen der anschließenden
Kriegsjahre nicht mehr fertiggestellt werden.
Erbe des gesamten Besitzes wurde ihre einzige Tochter aus erster Ehe Marie-Louise von Hanxleden (17991850). Da sie beim frühen Tod ihres Vaters noch min-
derjährig war, wurde ihr Vermögen bis 1816 vormundschaftlich verwaltet.43 Die Geschäfte auf Haus
Dieck führte zu dieser Zeit der dort lebende „Verwalter" Johann Zurhorst (1801/10 nachweisbar).
Nach ihrer Volljährigkeit heiratete sie 1816 Graf Franz
von Nesselrode-Ehreshoven. Das Ehepaar lebte im
Rheinland, sodass Haus Dieck weiterhin keinen herrschaftlichen Haushalt aufnahm. 1822 verkaufte Frau
von Nesselrode einen Teil ihres Erbes für 7 500 Thl. an
Franziska von Kettler zu Harkotten, darunter den Hof
in Münster. 1842 wurde Haus Herzhaus bei Alten-
berge verkauft und ihr Sohn und ab 1850 Erbe Alfred
von Nesselrode verkaufte 1867 das Gut Haus Dieck an
die Freiherren Clemens von Nagel-Doornick (18351900) auf Haus Vornholz bei Ostenfelde. 1869 folgte
auch der Verkauf des Grund- und Hausbesitzes in
Sassenberg. Haus Dieck erhielt auch bei den neuen
Eigentümern keinen herrschaftlichen Haushalt und
wurde weiterhin von einem Verwalter als landwirtschaftlicher Betrieb geführt. 1868 lebte auf Haus
Dieck der Rentmeister Carl Eickholt.
Nach 1945 wurde das Renteigebäude von Baron
Georg von Nagel bewohnt. 1961 war Haus Dieck
Besitz der Freiin Astrid von Fürstenberg zu Handorf
und wurde weiterhin durch die Rentei in Vornholz ver-
waltet. Nachdem sich Pläne zerschlugen, den Besitz
an die Verwaltung der Bundeswehr zu verkaufen, die
es im Zusammenhang mit ihrer neuen Niederlassung
bei Westkirchen nutzen sollte, wurden erste Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt.44 1982 wurde das
westlich der Anlage liegende im späten 19. Jahrhun-
4 Haus Dieck. Plan der Herrenhausanlage (Norden nach rechts): Am linken Bildrand die Straße von Westkirchen nach Frecken-
horst mit zwei Zufahrten zur Torscheune. Auf dem umgräfteten Platz in der nordöstlichen Ecke das Bauhaus, daneben an der
Nordseite das Herrenhaus und westlich davon das alte Herrenhaus (die Gräfte davor ist schon verfüllt). Der Plan ist ein Aus-
schnitt aus dem großen Gesamtplan des Gutes (53,5x119 cm), der 1788-1789 durch den vereidigten Lieutenant Lambert
Hammer gefertigt wurde.
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
dert neu errichtete Wirtschaftsgebäude ausparzelliert
und verkauft. 1990 wurde die Schlossanlage mit
Ausnahme des Renteigebäudes und des Wirtschaftsgebäudes in Erbpacht gegeben und musste 1999 im
Zuge einer Zwangsversteigerung wieder von dem
nunmehrigen Besitzer von Haus Vornholz (Nikolaus
von Bose) zurückerworben werden.
Zur Anlage des Gutes
Mit dem Besitzerwechsel im Jahre 1735 war verbunden, dass Haus Dieck nach mehr als hundert Jahren
um 1740/45 wieder einen herrschaftlichen Haushalt
erhielt. Schon bald scheinen dadurch auch bauliche
Erneuerungen eingesetzt zu haben. Zunächst orientierte man sich hierbei allerdings an der bestehenden
und im Laufe der Jahrhunderte zuvor gewachsenen
Anlage. Bislang wurde die durch überlieferte Pläne
seit 1798 nachweisbare Struktur als „ursprünglich"
vermutet. Die nachfolgend besprochenen, erkennbaren strukturellen und baulichen Befunde blieben hierbei allerdings ohne Beachtung.45
Das Gut lag offensichtlich, entsprechend der für das
Münsterland üblichen Anlage kleinerer Herrensitze, in
einer Talsenke nördlich des Weges von Freckenhorst
nach Westkirchen, wo es durch Wasser gefüllte Gräften gesichert werden konnte. Es gab eine größere
und von der Straße aus über eine Zufahrt mit Brücke
erschlossene Insel, die als „Vorburg" die Wirtschaftsgebäude aufnahm und an die sich westlich eine durch
Wassergraben getrennte kleinere Herrenhausinsel mit
einem über eine weitere Brücke erreichbares und um
1735/40 erneuerte Herrenhaus anschloss. Die Herrenhausinsel befand sich in der Talsenke, sodass sie von
einem kleinen Bachlauf bewässert werden konnte.
Weitere Außengräften und äußere Wälle scheinen
nicht vorhanden gewesen zu sein.
Nach Besitzwechsel im Jahre 1735 kam es zu Erneue-
rungsmaßnahmen, wobei man die notwendigen
neuen Bauten zunächst innerhalb der bestehenden
Strukturen errichtete: Um 1735/40 erneuerte man das
Herrenhaus als zweigeschossigen Fachwerkbau unter
Vollwalmdach (es wurde noch 1801 als „altes Haus"
bezeichnet und später als Rentmeisterhaus genutzt).46
1745 entstand entlang der Südseite der Vorburg ein
neues Tor- und Wirtschaftsgebäude (als Pforthaus
bezeichnet), wobei sich die dort befindliche Durch-
fahrt auf den Südgiebel des in der nordöstlichen Ecke
der Vorburg bestehenden großen Bauhauses als zentrales Wirtschaftsgebäude bezog. Das neue Pforthaus
wurde 1760/63 bei Erbantritt der nächsten Generation nach Nordwesten um einen Flügel erweitert, wobei beide Bauabschnitte auf den damals noch bestehenden Verlauf einer älteren und nicht rechteckig angelegten Gräftenanlage Rücksicht nahmen. In der
Erweiterung erhielt offenbar der herrschaftliche Jäger
als örtlicher Vertreter (Rentmeister) der Herrschaft
eine Wohnung. Noch nach 1800 wohnte der Jäger an
dieser Stelle; später bezog der nun als Rentmeister
bezeichnete Verwalter das alte Herrenhaus, das
danach die Bezeichnung Rentei annahm.
Nur wenige Jahre später kam es allerdings mit der
nächsten Generation im Zuge eines nun forcierten
Ausbaus zu einem völligen Konzeptwechsel. Dieser ist
zwar bislang nicht archivalisch belegt, kann aber aus
der weiteren baulichen Entwicklung abgelesen werden. So zeigt die Stellung des zwischen 1771 und
1775 errichteten neuen Herrenhauses, dass man mit
dessen Errichtung ein neues Konzept für den Aufbau
und die Gestaltung der Gesamtanlage verfolgte. Das
neue Herrenhaus wurde hierbei als erster Bauabschnitt in einer funktional und gestalterisch nur wenig
befriedigenden Weise unmittelbar westlich des alten
Bauhauses errichtet. Der Neubau setzte auch die Ver-
füllung der Gräfte zwischen Vorburg und Herrenhausinsel voraus, zumal man nördlich im Anschluss an das
neue Herrenhaus bis um 1785 ein auf den Neubau
bezogenes Gartenparterre schuf. Deutlich wird an
diesen Baumaßnahmen, dass man beginnend mit
dem neuen Herrenhaus plante, die Gesamtstruktur
der Anlage zu verändern und die bisherigen Wirtschaftsgebäude an eine andere Stelle zu verlegen.
Allerdings unterblieb die weitere Durchführung dieser
Ausbauplanungen, wohl weil der Bauherr schon 1784
verstarb und auch in den beiden folgenden Generationen aufgrund familiärer Entwicklungen nie mehr
für längere Zeit ein herrschaftlicher Haushalt auf dem
Gut eingerichtet werden konnte. Die 1788/89 erstellte Gesamtkartierung der zum Haus Dieck gehörenden
Besitzungen zeigt die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Strukturen, die bis heute im Wesentlichen
unverändert geblieben sind. Da wohl schon seit dem
18. Jahrhundert die zum Gut gehörigen Ländereien
nicht mehr selber bewirtschaftet und in Stücken verpachtet worden sind, ist allerdings das große Bauhaus
in der Mitte des 19. Jahrhunderts (wohl nach Verkauf
des Gutes 1867) abgebrochen worden, wobei das
Torhaus zu Stallungen genutzt wurde. Die nicht mehr
gepflegten Gräften sind heute ausnahmslos verlandet.
1882 wurde die Freckenhorster Straße ausgebaut und
neu trassiert. In diesem Zusammenhang scheint auch
die Zufahrt zum Haus Dieck neu gestaltet worden zu
sein und besteht seit dieser Zeit aus einem von der
Landstraße aus gerade auf das Torhaus zulaufenden
Weg.
Um 1900 wurde außerhalb der historischen Anlage
ein wohl dem Rentmeister dienendes Wirtschaftsgebäude (Holtrup 54 a) errichtet. Es ist 1982 verkauft
worden.
229
230
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
5 Haus Dieck, Hofplatz. Blick nach Westen am Herrenhaus entlang zum alten Herrenhaus (Herbst 2012).
Torscheune (1745/46d und 1760/61a/d)
Das Gebäude wurde 1801 als Pforthaus bezeichnet.
Es wurde als ein langgezogener und eingeschossiger
Fachwerkbau auf winkelförmigem Grundriss errichtet,
der den umgräfteten Hof auf der Süd- und teilweise
auch auf der Westseite begrenzt. Das Gebäude steht
nicht auf einem streng rechtwinkligen Grundriss, der
damit auf die zur Bauzeit.noch bestehenden Verläufe
älterer Gräftenanlagen zurückgehen dürfte. Der Baukörper ist aufgrund der baugeschichtlichen Spuren
und der konstruktiven Details im 18. Jahrhundert in
zwei Abschnitten entstanden, doch waren diese nicht
durch Inschriften an dem Gebäude datiert. Im Zusammenhang mit der baugeschichtlichen Dokumentation
des Gebäudes wurde daher zur Klärung der Bauge-
schichte im März 2003 durch die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, eine dendrochronologische Untersuchung durchgeführt.47 Danach ist
der erste Abschnitt des Gebäudes in den Jahren
1745/46 errichtet worden (vereinzelt hat man hierbei
auch ältere Hölzer verwendet), wobei der zweite Bauabschnitt wohl nur wenig später zur Ausführung kam
(hier gelang allerdings bislang keine Datierung). Auf
diese Erweiterung scheint sich allerdings eine überlieferte und im Folgenden dokumentierte Abrechnung
eines Zimmermanns zu beziehen, sodass sich diese
Maßnahme in die Jahre 1760-1763 datieren lässt.
Das Gebäude bot Raum für verschiedene Funktionen,
die zu einem landwirtschaftlichen Gutsbetrieb gehörten. Zentrum dieses Betriebes war allerdings das große Bauhaus, das in der nordöstlichen Ecke des Hofplatzes stand und die Kuhställe, eine Wirtschafts- und
Dreschdiele sowie weitere Wirtschafts- und Wohnräume aufnahm.48Torscheunen hingegen boten in der
Regel vor allem Ställe für Pferde, Abstellmöglichkeiten
für Fahrzeuge, Wagen und Gerät und andere für den
Haushalt eines herrschaftlichen Gutes notwendige
Räume. Insbesondere wurden hier Wagen, Kutschen
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
und Pferde untergestellt, wenn die Herrschaft aus
ihrer Wohnung in der Stadt anreiste. Zur Versorgung
der Pferde musste auch Futter (Heu) und Schüttung
(Stroh) vorhanden sein, wozu man in der Regel den
Dachboden nutzte.
Möglicherweise diente das Pforthaus aber auch zur
weiteren Einlagerung landwirtschaftlicher Produkte:
Noch 1800 erhielt Haus Dieck umfangreiche Zehntabgaben, die teilweise direkt vor Ort abgeliefert, teilweise auch an anderer Stelle eingesammelt und dann mit
dem „Zehntwagen" nach Haus Dieck gefahren wurden. Der größte Bestand der Einnahmen waren insge-
samt 259 Scheffel Gerste. Zur Unterstützung der
Arbeiten des Gutes hatten zudem drei zu Haus Dieck
gehörende Höfe in Westkirchen und vier weitere im
Kirchspiel Beelen die Verpflichtung zur Leistung von
Hand- und Spanndiensten.49
Der Kernbau (von 1745/46)
Errichtet als ein eingeschossiger Fachwerkbau von 13
Gebinden Länge, der bei einer Grundfläche von
24,1 x 7,5 m als Torhaus der Schlossanlage gestaltet
wurde. Das Gerüst wurde über starken Schwellen ver-
zimmert, die auf breiten, aus Kalkbruchstein aufgemauerten Sockelmauern aufliegen. Sie bilden auf der
Feldseite Futtermauern zu einem (in diesem Bereich
trockenen) Graben, der von einer massiv aus Backstei-
nen erstellten und wohl gleichzeitig errichteten Zufahrtsbrücke überspannt wird. Das Gerüst wurde an
allen Außenwänden dreifach verriegelt (zweifach vernagelt) und ist vereinzelt mit langen Fußstreben ausgesteift. Die in den Längswänden eingehälsten Balkenlagen sind in den verschiedenen Teilbereichen ent-
weder jeweils zusätzlich von inneren Unterzügen oder
aber einer Längswand unterstützt und weiterhin
jeweils durch Kopfbänder im Querverband gesichert.
Die untere Reihe der Gefache in den gesamten
Außenwänden des Gebäudes scheint ursprünglich
verbohlt (hierauf deuten starke Nuten in den Seiten
der Ständer hin) und darüber mit Lehmflechtwerk verschlossen gewesen zu sein.
Die 14 vollen Sparrenpaare des Walmdaches stehen
enger gestellt auf den Wandrähmen und sind nur
durch einen hochsitzenden Kehlbalken miteinander
verbunden. An beiden Giebeln kragen die Wandrähme leicht über geschweiften Konsolknaggen vor, tragen aber keine Giebeldreiecke, sondern eine Abwalmung.50 Die bis heute auf dem Dach liegende Lattung
aus stark dimensionierten Eichenhölzern dürfte zum
Kernbestand gehören51 und deutet auf eine schon ursprüngliche Eindeckung mit Tonpfannen hin.
Das Innere des Torhauses ist durch verschiedene Wän-
de in ein recht komplexes Raumprogramm unterteilt:
Zentral ist die etwa mittig platzierte Querdurchfahrt,
die allerdings etwas diagonal durch den Bau geführt
und auf der Hofseite mit einem breiteren Torbogen
versehen ist. Dies dürfte der besseren Durchfahrt
innerhalb zur Bauzeit bestehender Strukturen gedient
haben. Beidseitig der Durchfahrt befinden sich verschiedene Wirtschaftsräume, die den Bau als Fahrzeugschuppen ausweisen: Westlich der Durchfahrt
gibt es zwei durch eine weitere Querwand unterteilte
und jeweils vom Hof durch ein Tor befahrbare, allerdings unterschiedlich breite Remisenräume - wohl für
Fahrzeuge -, und östlich einen vier Gefache breiten
Stallbereich, in dem wohl die Zugtiere untergebracht
6 Haus Dieck, Torscheune von 1745/46 (d) mit Erweiterung von 1760/61. Gesamtansicht der Hoffronten von Nordwesten
(Herbst 2012).
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232
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
wurden. Dieser wird durch eine Längswand bestimmt,
die eine breite, über einem niedrigen Torbogen zu-
gängliche hofseitige Wirtschaftsdiele von einem zweigeschossigen und nur 1,45 m im lichten Stallbereich
entlang der feldseitigen Traufwand scheidet. Auf die
Einrichtung der Abtrennung als Stall deutet hin, dass
die innere Längswand im unteren Bereich nicht, sondern nur im oberen Bereich - zu den über den Ställen
angeordneten Lagerböden - zweifach verriegelt ist.
Aufgrund der geringen Tiefe der Ställe dürften dort
allerdings keine Pferde untergebracht worden sein,
sodass man sie möglicherweise auf der etwa 5,3 m
breiten Wirtschaftsdiele selber aufstallte. Das östlichs-
te Gefach des Wirtschaftsgebäudes ist durch eine
weitere Querwand abgetrennt und war durch eine
zwischen die Wände gespannte Balkenlage ebenfalls
zweigeschossig aufgeteilt. Da dieser Bereich später
stärker verändert worden ist, konnten; mit Ausnahme
verschiedener Fensteröffnungen im Ostgiebel; keine
auf die ursprüngliche Funktion dieses Bereiches hinweisende Detailbefunde ermittelt werden. Hier gab es
wohl Kammern, sodass im Zusammenhang mit der
anschließenden Diele eine Nutzung als Schlafkammer
und möglicherweise auch als Wohnort von Vieh- oder
Fuhrknechten zu denken ist.
Die durchgängige Unterstützung der Dachbalkenlage
durch Längsunterzüge lässt schließen, dass der Dachboden Lasten aufnahm, also wohl als Lagerraum für
Stroh und Heu gedacht war. Ob hierzu ehemals ein
Ladehäuschen auf der Dachfläche zur äußeren Beschickung vorhanden war, ist nicht bekannt.
Die Erweiterung (von 1760/61?)
Wohl nur wenig später, bei Weiterführung der bestehenden Proportionen und gleicher Konstruktion
sowie in der vorhandenen Gestaltung der Wandflächen, wurde das Pforthaus in einem zweiten Bauabschnitt auf das nahezu doppelte Volumen erweitert.
Hierbei erhielt es eine westliche Verlängerung um
12,50 m, dem schließt nach Norden ein mit 7,50 m
gleichbreiter Flügel von 13,25 m Länge an.
Im Archiv des Hauses Dieck hat sich eine Abrechnung
über den im Herbst 1760 durchgeführten Bau eines
Fachwerkgebäudes erhalten52. Die verwendete Holzmenge (etwa 500 laufende Meter Bauholz und 1000
Meter Dachlatten) lässt auf ein größeres Gebäude
schließen.
Nach den Abrechnungen sind die Arbeiten durch den
auf einem zum Haus Dieck gehörenden Pachthof53
lebenden Zimmermeister Schnittkämper zusammen
7 Haus Dieck. Torscheune. Hofansicht vom westlichen Anbau der Landjägerwohnung von 1760/61 (Herbst 2012).
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
mit jeweils zwei bis drei Gesellen ausgeführt worden.
Die Arbeiten umfassten das Behauen der Bäume, das
Zuschneiden der Bauhölzer (Ständer, Riegel, Dach-
latten und Bretter) sowie die Verzimmerung des
Gerüstes. Im September und Oktober 1760 wurden in
insgesamt 46 Manntagen zunächst die wohl aus eige-
nen Waldungen bezogenen Stämme zu Bauholz
behauen. Danach wurde das Holz zugeschnitten und
verzimmert, sodass man an zwei Tagen Mitte
November mit vier Personen das Hausgerüst aufstel-
len konnte. Verarbeitet wurden hierbei insgesamt
1 167 Fuß Riegel- und Ständerholz sowie weitere 272
Fuß Riegelholz. Da man zudem nur 144 Fuß Bretter,
aber über 3 000 Fuß Latten abrechnete, lässt sich folgern, dass man das Gebäude zunächst nur im Äußeren fertig stellte (Dacheindeckung und Schließen der
offenen Stellen wie z. B. den Traufen). Dass der Bau
zu dieser Zeit auch schon ausgefacht wurde, ist anzunehmen, aber nicht belegt.54 Danach scheint man das
Hausgerüst wie üblich zunächst zum Austrocken ste-
hen gelassen zu haben, denn weitere Arbeiten, die
auf den Innenausbau schließen lassen (Arbeit von
jeweils drei bis vier Mann, Verbrauch von 1000 Dielennägeln) rechnete der Zimmermann erst wieder im
Herbst 1763 ab.
Konstruktiv hat der Zimmermeister Schnittkemper
den Neubau im Vergleich zum älteren Bau in nur
wenigen Details abweichend gestaltet.55 Auffälliger
Unterschied ist der wesentlich reduzierte Ständerabstand im Wandgefüge, womit die Ansichten des
Gebäudes kleinere und fast quadratische Gefache
erhielten. Die Eindeckung des abgewalmten Daches
legte man wiederum auf starke Eichenlatten, dürfte
also wiederum aus Tonpfannen bestanden haben.
Die westliche Verlängerung nahm nur einen ungeteilten Raum auf, der über eine breite Tür vom Hof aus
erschlossen ist. Die Balkenlage über dem Raum ist
durch einen von einem Sprengwerk im Dach gehaltenen Überzug abgefangen, der auf den Balken über
den Raumschmalseiten aufliegt. Die Funktion dieses
großen und frei überspannten, vom Hofplatz über
eine mit nur etwa 1,20 m mäßig breite Tür erschlos-
senen Raumes ist nicht belegt, ist aber als Bansen für
einkommende Ernte oder als Dreschdiele denkbar.
Der nördliche Flügel des Anbaus scheint als eigenstän-
dige Wirtschaftseinheit konzipiert worden zu sein,
wobei die Funktion bislang nicht sicher belegt ist. Es
scheint sich um den Bereich zu handeln, der später als
Landjägerwohnung bezeichnet wird und daher wohl
für den Haushalt des die Herrschaft vertretenden
Rentmeisters errichtet wurde. Der Bauteil umfasst
zehn Gefache und wird durch zwei Querwände in drei
Abschnitte unterteilt. Während der mit vier Gefachen
breiteste mittlere Bereich als durch einen Torbogen in
der Hoffront befahrbare Diele eingerichtet ist (hier
sind die Balken mittig mit einem Unterzug unterstützt), sind die seitlichen, jeweils drei Gefache breiten
Bereiche zweigeschossig aufgeteilt. Die Balken der
hier eingebauten Zwischendecken verlaufen firstparallel und sind zwischen die Ständer der Querwände
gezapft. Während der südliche, nur über die Längswände belichtete Bereich in beiden Geschossen ohne
Unterteilung blieb, im Erdgeschoss über Türen mit
den anschließenden großen Dielen- bzw. Wirtschaftsräumen in Verbindung stand und wohl zu nicht näher
bekannten landwirtschaftlichen oder hauswirtschaftlichen Zwecken diente, erhielt der nördliche Bereich in
beiden Etagen eine unter den First gestellte Längs-
wand. Da die Balkenlagen hier zudem sauber bearbeitet sind (Zwischendecke mit seitlichen Abfasungen),
dürfte dieser Bereich - ebenso wie am östlichen Ende
des Kernbaus - wiederum für bewohnbare Kammern
ausgelegt worden sein. Hierauf deutet auch die regelmäßige Durchfensterung beider Etagen hin: Erhalten
sind Blockzargen mit zweiflügeligen Fenstern, die an
einen mittleren, auf der Innenseite abgerundet profilierten Pfosten schlagen und möglicherweise noch aus
der Bauzeit stammen (die Fensterflügel wurden wohl
1867 erneuert). Der südliche Raum des Erdgeschosses
ist über Türen im Nordgiebel und in der südlichen Wand
als Zugangsraum ausgewiesen, in den auch eine
schlichte Treppe zum Zwischengeschoss eingebaut ist.
Die Landjägerwohnung bestand nach den Befunden
aus dem nördlichen zweigeschossig ausgebauten
Wohnbereich mit Stuben und Kammern, der mittleren
Wirtschaftsdiele und den südlich daran anschließenden Wirtschaftsräumen und bildete damit eine selbst-
ständige Funktions- und Wirtschaftseinheit. Allerdings konnte in diesem Bereich weder eine Feuerstelle
noch ein Kamin nachgewiesen werden, was gegen
eine regelmäßige Wohnnutzung spricht. Möglicherweise unterblieb auch der vorgesehene Ausbau zu
Wohnzwecken.
Der Dachboden diente ebenso wie bei dem älteren
Bauteil als Lagerraum (allerdings durch eine Bretter-
wand in der Flucht der Kehle zwischen beiden Flügeln
deutlich als eigenständiger Bereich ausgebildet), wozu
über dem Torbogen ein Ladehäuschen in die Dachfläche eingebaut wurde.
Nutzung im Jahre 1801
Am 7. April 1801 wurde das Gebäude in einem Inventarverzeichnis genauer beschrieben. Auffällig ist, dass
es zu diesem Zeitpunkt wohl weitgehend ungenutzt
stand. Dies dürfte damit Zusammenhängen, dass
wohl schon 1798 der herrschaftliche Haushalt auf
Haus Dieck aufgelöst worden war. Dennoch lassen die
gebrauchten Bezeichnungen der erfassten Räume
deren vorgesehene Funktionen erkennen. Allerdings
wurden die vom Jäger im Erdgeschoss bewohnten
Räume nicht aufgenommen. Die Räume wurden
offensichtlich in einer Reihenfolge von Osten nach
Westen erfasst, sodass zunächst der ältere Bauteil
beschrieben wurde.
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234
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
8 Haus Dieck, Gesamtanlage von Südosten (Winter 2012).
Eine Brandsprütze mit Schlangen und neunzehn
ledern Eimer, Ein Hebelbanck, Einige alte Stücke
Umbauten (1867/68?)
Der Baukomplex ist einmal einschneidend erneuert
worden. Dies dürfte nach dem Verkauf der Anlage
1867 an die Familie von Nagel-Doornick auf Haus
Holtz,
Im Thor daselbst
wohl auch in diesem Zusammenhang eine 1867 da-
Es fand sich im Pforthause:
In der Wagen Remise
Ein Hühner behalter, Eine alte Bödde, Ein hölzerner
Kranen mit verschiedenen dazu zugehörigen und einigen anderen Stücken Holtz.
Im Deckerstall
Ein Gänsebehalter, Drey Heugabeln, Ein Heckerlings
Kiste.
In dem daran liegenden Schlafzimmer
Drey alte Bettladen, Ein ganz alter Tisch, Ein neus
dannnen Holz zusammen geschllagener Kleider-
schrank. Ein ganz alter Besenstuhl.
Im Herrschaftlichen Stall
Neue Heckerlings Kiste, Ein Sägebock.
In der Kammer über dem. Zimmer des Jägers
Eine alte Kasten, Ein Bred Klotz mit Messer, Eine
Bettlade, Ein alter Kupferner Kessel, Eine große und
eine kleine Butterkarre, Eine alte dito, Ein Fäßgen,
Verschiedene alte Blendladen, Verschiedene Stücke
von alten Rahmen und sonstigen zerbrochenen Holtzwerke, Vier zerbrochene Stühle, An den Wänden finden sich vier Bancke, worauf vormals Küßn gelegt
worden.
Aufm Zimmer daneben
Zwey Betteladen, Eine alte Tonne.56
Vornholz zu Ostenfelde erfolgt sein. So erhielt der Bau
tierte und mit dem Allianzwappen Nagel-Merveldt
versehene Wetterfahne über dem nördlichen Vollwalm. Hintergrund des Umbaus dürfte gewesen sein,
dass fortan nicht mehr damit gerechnet wurde, dass
auf Haus Dieck eine herrschaftliche Haushaltung eingerichtet werden könne und daher auch die bisherige
Nutzung des Gebäudes als Wagenschuppen wohl
nicht mehr aufrechterhalten zu werden brauchte.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt scheint man auch das
alte Bauhaus östlich des Herrenhauses abgebrochen
zu haben.
Das Gebäude wurde als Stall- und Lagergebäude ein-
gerichtet, wobei es zu umfangreichen Reparaturen
am Fachwerkgerüst mit Auswechslung einzelner
Hölzer sowie inneren Umbauten und auch teilweiser
Erneuerung der Schwellen kam. Der Torbogen im
nördlichen Flügel wurde ausgebaut und durch
Fachwerk mit einer größeren Wirtschaftstür ersetzt.
Der Bau scheint zudem erst zu dieser Zeit (statt der
Lehmgefache bzw. der Holzbohlen) eine Ausfachung
mit Backsteinen erhalten zu haben und dürfte zudem
auch mit einer neuen Eindeckung mit Tonhohlpfannen versehen worden sein, die man auf die alten breiten Eichenlatten der Bauzeit legte. Zu diesem Zeit-
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
9 Haus Dieck, Grundriss Torscheune und Erweiterung. Rekonstruktion nach Aufmaß Barthold / Kaspar 2002, Reinzeichnung
Peter Barthold.
punkt scheint der Grabenbereich auf der Feldseite
schon weitgehend verschüttet gewesen zu sein, denn
es wurden zwei Türöffnungen in die südliche Längswand eingebaut, die wohl dem Auswurf von Mist dienen sollten.
Der Wirtschaftsbereich im östlichen Abschnitt wurde
umgebaut, wobei die tragende Längswand aus dem
Gerüst gelöst und etwas unter den First verschoben
wurde, sodass zwei nebeneinanderliegende hohe
Wirtschaftsräume entstanden. Der östlichste Ab-
schnitt mit den Kammern wurde weitgehend neu verzimmert und im unteren Bereich als Remise mit Tor
vom Hof, darüber als Lagerboden eingerichtet.
Nachdem die Pfarrkirche von Westkirchen bei einem
Ortsbrand am 19.08.1868 völlig zerstört worden war,
wurde der Gottesdienst bis zur Fertigstellung der
neuen Kirche im Jahre 1873 über fünf Jahre im Poat-
schoppen von Haus Dieck abgehalten. In diesem
Zusammenhang dürften die Umbauten im westlichen
Teil des südlichen Flügels stehen, die der Schaffung
eines großen Raumes dienten: Hierbei wurden sowohl
die Trennwand zwischen den beiden Remisen des
Kernbaus wie auch seine westliche Giebelwand einschließlich der in diese Wände eingebundenen Längsunterzüge entfernt und das östliche Tor zu den Remi-
sen mit Fachwerk zugesetzt, sodass ein Raum mit
einer Grundfläche von 16,5 x 7,1 m entstand. Er
erhielt in regelmäßigen Abständen hochsitzende,
zweiflügelige Fenster. Ob dieser provisorische Andachtsraum eine Innengestaltung erhielt, ist nicht
mehr erkennbar.
Um 1965 wurde der Nordflügel instand gesetzt und
hierbei die mittlere Wirtschaftsdiele als Garage eingerichtet, wobei der wohl 1867 entfernte Torsturz einschließlich der Kopfbänder erneuert und zudem niedriger als ursprünglich wieder eingesetzt worden ist.
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236
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
Maler (mit Werkkatalog als Anhang), in: Stefan Baumeier
(Hg.), Feine Möbel aus Westfalen. Die Manufaktur des
Bauernschaft Holtrup Nr. 54.
2 Josef Bernhard Nordhoff, Die Kunst- und Geschichtsdenk-
Rietberger Hofmalers Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher
(1749-1823). Heidelberg 2003, S. 187-223, hier S. 201, 202
und 217.
1 Heutige Adresse ist Freckenhorster Straße 10, ehemals
mäler des Kreises Warendorf. Münster 1886, S. 131; Anton
Brüning, Mittelalterliche Burganlagen im Kreis Warendorf,
in: Warendorfer Blätter. IV, Warendorf 1905, S. 33-34 sowie
Warendorfer Blätter. V. Warendorf 1906, S. 2; Engelbert Ker-
ckering zur Burg, Alt-Westfalen. Die Bauentwicklung Westfalens seit der Renaissance. Münster 1912, S. 189-191; Karl
10 Hierzu liegt nur ein kurzer Hinweis vor von Anton Brüning, Die Eigenbehörigen und Zehntpflichtigen des Hauses
Dieck bei Westkirchen um 1800, in: Warendorfer Blätter für
Orts- und Heimatkunde, Nr. 6 vom 2. Juni 1907.
Hölker, Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Band 42:
11 Haus Heimsburg oder auch Hemisburg (in der Bauernschaft Rummler, Sendenhorst-Albersloh, Kr. Warendorf,
Kreis Warendorf. Münster 1936, S. 502-507.
Wolbecker Straße 41) lag nahe der Grenze zu Wolbeck an
3 Theodor Rensing/Johann Conrad Schlaun. Dortmund
1936, S. 30 und Abb. 132. In den späteren Werken zum
Gesamtwerk von Schlaun ist das Haus nicht mehr aufge-
der Werse. Heute wird der Platz von einem Bauernhof einge-
nommen, der nichts mehr von der historischen Anlage
erkennen lässt (Werner Dobelmann, Albersloh. Geschichte
nommen worden. Hierzu auch Klaus Bußmann/Florian Matz-
einer Landgemeinde. Sendenhorst 1976, S. 20).
ner/U. Schulze/Johann Conrad Schlaun 1695-1773. Münster
12 Es dürfte sich um eine Tochter der 1526 genannten
1995; S. 846-847.
Witwe Richmond von Gorwyn Buck zu Heimsburg handeln.
4 Theodor Rensing, Johann Conrad Schlaun. Leben und
Ihr Sohn und Erbe ist Hermann Buck zum Heimsburg, verhei-
Werk des westfälischen Barockbaumeisters. München 1954,
ratet mit Styneken.
13 1611 wird Wilhelmine von Vinke, Witwe des Jobst Buck
S. 33; zuletzt Karin Elisabeth Zinkann, Der Typ der Maison de
Plaisance im Werk von Johann Conrad Schlaun. (Diss.)
Münster 1979, S. 99-103 - gedruckt Münster 1989, S. 61-
zur Heimsburg genannt. Ihr Sohn Hermann von Buck zu
Heimsburg heiratet in diesem Jahr Anna von der Tinnen. Zu
5 Das dortige Herrenhaus ist für Marsilius von Nagel zu
ihrem Erbe gehörte auch ein Hof in Münster an der Königstraße, den ihre Erben 1641 verkauften (Marcus Weidner,
Itlingen und seine Ehefrau Maria von Herll nach Plänen von
J. C. Schlaun errichtet worden, s. Hölker 1936 (wie Anm. 2),
14 Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 61.
63.
S. 315-318; Zinkann 1979 (wie Anm. 4), S. 89-98.
Landadel in Münster 1600-1760. Münster 2000, S. 865).
15 Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 33 und 61.
6 Nord- und Ostwand bestehen aus verputztem Fachwerk.
16 Weidner 2000 (wie Anm. 13, S. 632.
7 Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler,
Nordrhein-Westfalen. II. München 2011, S. 314.
(Eckgrundstück Alter Steinweg/Asche) fiel danach durch Erb-
8 Im Januar 1964 wurde von Mitarbeitern des Amtes für
Denkmalpflege im Erdgeschoss in dem Raum auf der rechten
Seite unter jüngeren Tapeten eine weitere bemalte Leinwandbespannung entdeckt. Sie ist durch gemalte Stuckpro-
file in Felder eingeteilt und zeigt verschiedene Freizeitbeschäftigungen. Die stark beschädigte Bespannung wurde
ausgebaut und sichergestellt. Nach der Restaurierung wurde
sie 1973 im Treppenhaus des Ostflügels vom Erbdrostenhof
in Münster eingebaut (Restaurierungsbericht in: Westfalen.
53. Münster 1975, S. 402 und 619). Bei Renovierungsarbei-
ten wurden 1989 im Obergeschoss noch vorhandene Reste
einer weiteren ehemaligen Wandbespannung herausgerissen. Sie konnten durch den Restaurator John Farnsworth bei
der LWL-Denkmalpflege aus dem Schutt geborgen und dem
Stadtmuseum Münster übergeben werden. Dort hat man
17 Der in der Stadt Münster befindliche Bucksche Hof
schaft an die Familie von der Recke (Weidner 2000 [wie
Anm. 13], S. 727-729). Der Hof wurde im 17. und 18. Jahrhundert gelegentlich von Witwen dieses Familienverbandes
bewohnt und war ansonsten vermietet.
18 1732 wurde noch Helene Elisabeth von Bock vom Bischof
von Münster mit den Gütern belehnt, die als Stiftsdame in
Hohenholte lebte.
19 Lehnsbriefe in Archiv Haus Dieck, Nr. 33 und 61.
20 Er war ein Sohn aus der Ehe von Karl Heinrich von
Hanxleden und Anna von Kettler zu Groß Eickel (Karl Adolf
von der Horst, Die Rittersitze der Grafschaft Ravensberg und
des Fürstentums Minden. Berlin 1894, S. 128-129).
21 Die meisten der Sassenberger Burgmannssitze sind im
Laufe der Zeit in den Besitz der Familie Buck zu Heimsburg
gelangt. Sie und damit auch ihre Nachfolger von Hanxleden
Phantasielandschaft mit antiken Gebäuden und Ruinen.
wurden damit zu den größten Grundbesitzern in Sassenberg. Hierunter befanden sich zwei Hausstätten an der
Schloßstraße (Nr. 16 und Nr. 17) sowie an zentraler Stelle
9 Die Zuschreibung erfolgte erstmals bei Franz Flaskamp,
Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher. Münster 1937. Zur aktuellen Diskussion: Sabine Schwedhelm, Die Wanddekoratio-
ab 1751 aufgeteilt und in Erbpacht zur Bebauung gegeben
(zur Geschichte dieses Besitzes s. Hans Christoph Fennen-
das erhaltene Feld ab 2005 restauriert. Es ist seit 2013 in der
Schausammlung ausgestellt und zeigt eine romantische
nen des Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher, in: Manfred
Beine/Käthe Herbort/Albrecht Schoder/Sabine Schwedhelm/
Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher. Rietberger Hofmaler
(1749-1823). Rietberg 1994, S. 32-55; Dirk Strohmann,
Einer der vorzüglichsten Künstler Westfalens. Bartscher als
auch der sogenannten Kolkkamp am Lappenbrink. Er wurde
kötter, Sassenberger Häuser, Band 2. Sassenberg 2009, S.
745-754).
22 Hier sind belegt: 1750 Jobst Matthias Raban von Bever-
förde, 1781 Clemens August von Beverförde zu Heimsburg.
Erst um 1800 fiel Haus Heimsburg durch Erbschaft ebenfalls
Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck
an die Familie von Hanxleden (Dobelmann 1976 [wie Anm.
Mobilienverzeichnisse dieser Zeit zu verweisen (s. u.). 1803
11], S. 20).
wurde das Dach des Hauses neu mit vom Zieglermeister
23 Die Brüder Adolf Hermann und Hermann Kaspar von
Stark aus Clarholz gelieferten glasierten Pfannen eingedeckt
Hanxleden ließen ihr elterliches Erbe Groß und Klein Eickel
(Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 243).
versteigern. Es wurde hierbei von Victor von Voß angekauft.
31 Es gehörte zuvor der Familie von Nagel zu Vornholz.
24 Er war ab 1740 Domherr, ab 1751 Präsident der Hofkammer in Münster, ab 1756 Domküster und starb am 19.
Januar 1760. Vgl. Wilhelm Kohl, Das Domstift St. Paulus zu
32 Der Tochter Constantine Bernhardine von Hanxleden
wurde schon als kleines Kind (spätestens 1779) eine
Präbende im Stift Freckenhorst erkauft. Sie trat die Stelle zu
Münster, Band 2. Berlin 1982, S. 245.
nicht bekannter Zeit an und lebte in dem von ihren Eltern um
25 Größter Pächter war Dietrich zum Ziel aus Westkirchen
1782 neu erbauten Kurienhaus. Ein weiteres dort vorhande-
mit 114 Rthl. (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 242).
nes altes Stiftshaus, 1768 von den Herren von Vincke zu
26 1774 wurde er als Burgmann zu Sassenberg aufgeschwo-
Kilver angekauft, war durch die spätere Frau von Hanxleden
ren.
bis zur Eheschließung 1771 bewohnt und dann 1773 wieder
27 Ferdinand Wilhelm war Sohn aus der 1699 geschlossenen
verkauft worden. Entwurf Kaufvertrag über 300 Rthl. mit
ersten Ehe des Johann Matthias von der Recke zu Steinfurt
mit Anna Maria Magdalena Bernardina Freiin von Pletten-
berg zu Lehnhausen (t 17. September 1707). Er wurde in
Drensteinfurt geboren und erbte Haus Heessen (Constantin
von der Recke-Volmarstein, Geschichte der Herren von der
Recke. Breslau 1878, S. 172).
28 Schon 1765 hatte er das Gut Herzhaus in der Bauern-
schaft Westerode bei Nordwalde (Kr. Steinfurt) erworben
(heutige Adresse ist Westerode 20). Es blieb bis 1842 ein Teil
Herrn von Wrede zu Melschede s. Archiv Haus Dieck, Akten
Nr. 137.
33 Unmittelbar nach ihrem Tode wurde ein umfangreiches
Inventar aufgenommen, das alle Gegenstände nach Räumen
aufzeichnet (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 16). Den Hof erbte
ihr jüngerer Sohn Paul Karl von Hanxleden, verheiratet mit
Clementine von Wenge. Nach seinem Tode wurde am 18.
April 1801 ein weiteres raumweise verzeichnetes Inventar
aufgenommen (Archiv Haus Dieck, Nr. 16). Die einzige
der Familiengüter und wurde dann an den Pächter Wachelau
Tochter und Erbin Marie Louise von Nesselrode in Düsseldorf,
verkauft. Um 1830 hatte man das dortige Herrenhaus abge-
geb. von Hanxleden, verkaufte den Hof 1822 an die letzte
Freckenhorster Äbtissin Anna Franziska von Ketteier zu
brochen und stattdessen auf dem Hofgelände ein massives
Pächterhaus in der Tradition eines Vierständerhallenhauses
errichtet.
29 Aloysia von der Reck forderte mit Eingabe beim Hofgericht vom 23. Oktober 1765 zusammen mit ihren sechs
Schwestern die Auszahlung des ihnen zustehenden Brautschatzgeldes aus dem Steinfurtschen Fideikommiss von
Engelbert von Landsberg (Archiv von Landsberg-Steinfurt,
Loc. 40, Nr. 8 - freundlicher Hinweis von R. Klötzer vom
13.11.2012). Als Vorschuss hieraus hatte sie schon 1762
Gelder zum Erwerb der Stiftspräbende in Freckenhorst erhal-
ten (Archiv von Landsberg-Steinfurt, Loc. 42, Nr. 14).
30 Im Archiv von Haus Dieck ist der Grundriss von Keller und
Erdgeschoss des hochadeligen Hauses Hertzhausen überlie-
fert. Hierbei handelt es sich um das 1765 vom Herrn von
Hanxleden erworbene Haus Herzhaus bei Nordwalde. Der
nicht datierte und signierte Plan scheint als Anregung bei
den Bauplanungen gedient zu haben (Archiv Haus Dieck,
Akten Nr. 255). Bauaufnahme des Herrenhauses Haus Diek
von 1961 im Planarchiv LWL-Denkmalpflege, Landschaftsund Baukultur in Westfalen. Ein bislang nicht ausgewerteter
Bestand an Akten über den Bau des Hauses zwischen Herbst
1771 und Herbst 1775 hat sich im Archiv von Haus Dieck
erhalten. Hierbei handelt es sich um Teile der Rechnungen
der ausführenden Handwerker, Abrechnungen über die
Handlanger, die im Tageslohn auf der Baustelle tätig waren
sowie Abrechnungen über die angekauften Baumaterialien
(Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 243). Danach begannen die
Arbeiten im Frühjahr 1771 und dauerten bis mindestens
Oktober 1775. Zudem ist für die ausstehende Forschung zu
dem Haus auf das ausführliche und jeden einzelnen Raum
erfassende Inventarverzeichnis von 1801 sowie weitere
Harkotten. Hier waren schon 1811 Mitglieder der Familie
von Ketteier als Mieter nachweisbar, die zudem den benach-
barten Hof an der Straße besaßen (Weidner 2000 [wie Anm.
13], S. 871-872).
34 Danach wurde ein Gesamtinventar der Güter und
Kapitalien erstellt (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 16).
35 Nach Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 26: Nachdem schon
zuvor Gräben und Brücken angelegt waren, ist der Garten
mit dem Gartenhaus ab 1782 angelegt worden (Plan dazu
eingelegt in der Akte Archiv Haus Dieck, Nr. 137: Haus in
Freckenhorst). Der Zustand des Gartens und des Gartenhauses im Jahre 1801 ist durch das ausführliche Inventar
belegt.
36 Hölker 1936 (wie Anm. 2), S. 502 und 503.
37 Das ausführliche Versteigerungsprotokoll ist erhalten
(Archiv Haus Dieck, Akten 261 und 262). Es führt die große
Zahl der gegen Barzahlung verkauften Gegenstände allerdings nicht nach einer Ordnung auf, die einen Bezug zu den
ehemaligen Räumen erkennen lässt. Es werden alle
Gegenstände und die erzielten Kaufpreise, nicht aber die
Käufer genannt. Die Versteigerung begann am 20. Februar
und dauerte bis zum 5. April. Man begann mit dem Verkauf
von vier Kutschen, gefolgt von umfangreichen Kleidungsbeständen, Möbeln sowie Geschirr und selbst Schmuck,
sodass davon ausgegangen werden kann, dass es fortan kei-
nen herrschaftlichen Haushalt mehr gab. Der Gesamterlös
aus der Auktion wurde mit der hohen Summe von 7 968
Rthl. berechnet.
38 Nach ihrem Testament vom 30. Dezember 1793 und der
Zusatz hierzu vom 8. März 1796 (Archiv Haus Dieck, Akten
261) sollte er den Nießbrauch des Vermögens erhalten und
237
238
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
dieses nach seinem Tode in eine Stiftung zum Nutzen der
Familie überführen. Der Erbteil der beiden Söhne wurde auf
chenen Gebäudes sind nicht bekannt. Es soll sich um ein
jeweils 11 315 Rthl berechnet.
1905 [wie Anm. 2], S. 33). Dafür sprechen auch die im
39 Der dortige Besitz wurde ab dem 23. August 1796 verzeichnet. Der umfangreiche und wertvolle Hausrat ist hierbei
Inventarverzeichnis von 1801 genannten Räume: auf dem
sogenannten schlüters Zimmer; in der Küch; Im Stuben; Im
nach Sachgruppen und nicht nach Räumen verzeichnet wor-
kleinen Bierkeller; Im großen Keller; Auf der Dehle; Aufm
den. Eine Ausnahme bildet das Verzeichnis der Gemälde,
Bühnen. Auf der Grundlage dieser Informationen handelt es
Kupferstiche und Landkarten. Hier werden die Räume des
Herrenhauses einzeln verzeichnet (Archiv Haus Dieck, Akten
sich um ein Längsdielenhaus mit seitlichen Ställen und dar-
Längsdielenhaus von Fachwerk gehandelt haben (Brüning
16).
über befindlichen Bühnen sowie einer anschließenden großen Küche, die dem Gesinde diente, aber auch zum Bier-
40 Kohl 1982 (wie Anm. 24), S. 775.
brauen benutzt wurde. Dahinter gab es einen unterkellerten
41 Das Inventar vom 2. April 1801 wurde nach einzelnen
Räumen verzeichnet und ist eine wertvolle Quelle für das
Bereich, dessen Keller zum Lager von Bier und Lebensmitteln
Verständnis aller dort vorhandenen Bauten (Haupthaus,
genutzt wurden. Über dem Keller befanden sich Wohnräume. Hier scheint der Baumeister als Leiter der landwirtschaft-
Altes Haus, Bauhaus, Pforthaus, Gartenhaus sowie Garten).
lichen Arbeiten des Gutes gewohnt zu haben {Schlüters Zim-
Für den folgenden Text wurde das Verzeichnis nur zum
mer). Mit diesen Befunden entspricht das Gebäude herr-
Pforthaus ausgewertet (Archiv Haus Dieck, Nr. 16).
schaftlichen Bauhäusern, wie sie insbesondere im Laufe des
42 Das Verzeichnis mit Namen der Käufer ist erhalten (Archiv
16. und 17. Jahrhunderts errichtet worden sind.
Haus Dieck, Akte 262). Weiteres Verzeichnis vom 2. April
43 Hierzu Akte in Archiv Haus Dieck, Nr. 289.
49 Brüning 1907 (wie Anm. 10).
50 Möglicherweise hatte dieser Kernbau aufgrund dieses
Befundes in den ersten Jahren seines Bestehens noch ein
44 1962 erfolgte eine grundbuchliche Sicherung des
Satteldach mit Steilgiebeln unbekannter Gestalt.
Denkmalschutzes für die Schlossanlage, bestehend aus
51 Die Lattung ist durchgängig am letzten Gebinde des
Herrenhaus, Rentei, Torscheune sowie der Gesamtanlage.
Kernbaus gestoßen.
1801 (Archiv Haus Dieck, Akte Nr. 16).
1983 wurde die Schlossanlage mit den vorhandenen
Gebäuden in die Denkmalliste der Stadt Ennigerloh eingetragen.
52 Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 264. Zwar wird das errich-
tete Gebäude nicht bezeichnet, doch sind weitere
Wirtschaftsbauten auf Haus Dieck nicht überliefert. Daher
45 Deutlich etwa bei Zinkann 1979 (wie Anm. 4), S. 99.
46 Das Haus wurde in dem 1801 erstellten Inventar als Altes
kann angenommen werden, dass sich die Rechnung auf die
Haus bezeichnet. In diesem Jahr wird hier als Raumbe-
53 Hof Holtrup Nr. 53 (heute Holtrup 30).
54 Rechnungen eines Maurermeisters oder zur Lieferung der
zeichnung nur weniges genannt: Im streiche Zimmer und
Erweiterung vom Pforthaus bezieht.
unteres Zimmer rechter Hand.
Backsteine sowie der zu erschließenden Dachpfannen sind in
47 Auswertung durch Hans Tisje, Neu-Isenburg mit Gut-
den überlieferten Papieren nicht erhalten.
55 Die Schmalseiten erhielten unterhalb der jetzt eingeführ-
achten vom März 2003.
Die Datierungen im Einzelnen:
1708 +-8 Durchfahrt, westliche Wand, 2. Ständer von
Süden
1745/46 nördliche Traufwand, 5. Ständer von Osten
1745/46 nördliche Traufwand, nordöstlicher Eckständer
1745/46 nördliche Traufwand, 2. Tor westlich der Einfahrt,
westlicher Ständer
ten Vollwalme keine Vorkragung der Giebelbalken mehr; ferner wurde die nördliche, zum großen Teil als Innenwand aus-
geführte Längswand nicht mit eingehälsten, sondern mit
aufgelegten Balken verzimmert.
56 Weitere Räume wurden nicht genannt. In dem Verzeich-
nis folgen danach der Garten und das Gartenhaus.
1740+-4 ausgebaute Schwelle Kernbau
Abbildungsnachweis
1742+-8 ausgebaute Schwelle Kernbau
48 Das Bauhaus wurde in der Mitte 19. Jahrhunderts abge-
amt (Repro von 2002 nach dem Original im Archiv Haus
brochen (auf dem Urkatasterplan von 1829 ist es noch ver-
zeichnet). Das längsrechteckige Gebäude stand im Nordosten der alten Vorburg, wobei es seinen südlichen Vorder-
giebel dem Hofplatz zuwandte. Abbildungen und Baubeschreibungen des in der Mitte des 19. Jahrhunderts abgebro-
Bildarchiv LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Denkmal-
Vornholz, Bestand Haus Dieck): 4;
Alle übrigen Aufnahmen Fred Kaspar, LWL-Denkmalpflege,
Landschafts- und Baukultur in Westfalen.
239
Landgüter von Bürgern und Beamten,
Lebens- und Wirtschaftsformen
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Was macht der Städter auf dem Land?
Fred Kaspar
Einleitung
Für den Bereich außerhalb der geschlossenen Siedlungen, der gemeinhin als „Land" bezeichnet wird,
hat sich die Forschung der Wohn- und Baugeschichte
weitgehend auf das Umfeld der Landwirtschaft konzentriert. Land und landwirtschaftliche Betriebe bilden hier ein vertrautes Begriffspaar, wobei letztere in
vorindustrieller Zeit mit Bauernhof, (adeligen) Guts-
betrieben, Klosterhöfen und staatlichen Domänen
gleichgesetzt werden.
Landwirtschaft benötigt Flächen. Wenn wir über Be-
sitz an Boden auf dem Lande vor dem frühen 19.
Jahrhundert sprechen, müssen in unserer Region seit
der Ausbildung der über Jahrhunderte gültigen Agrarverfassung im Laufe des 12. und 13. Jahrhundert al-
lerdings mehrere grundlegend unterschiedliche rechtliche Besitzverhältnisse konstatiert werden:1 Für das
Münsterland ist es zum einen die seit dem Hochmit-
telalter dominante Rechtsform von Land mit grundherrlicher Bindung, wie es für den größten Teil der
zugleich nach Leibeigentumsrecht und in Erbpacht
ausgegebenen Bauernhöfe zutraf.2 Zum zweiten gibt
es aber auch als Lehen ausgegebene Besitzungen,3 die
vielfach zur Grundlage kleiner Adelshäuser wurden
und zum dritten frei vererbbare Allodial-Güter, d. h.
frei-eigene Besitzungen, die also frei zu kaufen und zu
verkaufen waren.4
Mit Zustimmung der Lehnsherren konnten auch
Lehen verkauft werden, wobei diese schon im 14.
Jahrhundert auch Bürger erwarben. Allein der Bischof
1 Das Haus des örtlichen Amtmanns Schlaun, der in dem Dorf Nörde bei Warburg (Kr. Höxter) für das Kloster Hardehausen
tätig war. in dem Längsdielenhaus wurde 1695 der Architekt J. C. Schlaun geboren (Foto 1935).
240
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Grundriss des Hauses vom Amtmann in Nörde bei Warburg (Kr. Höxter) vom Kloster Hardehausen nach einer vor dem
Abbruch 1972 erstellten Bestandsaufnahme. Das Längsdielenhaus wurde 1656 als Fachwerkbau mit einem Vierständergerüst
errichtet und erhielt 1696 durch den Vater von Johann Conrad Schlaun einen neuen Wohnteil, der einen massiven
Vorgängerbau weiter nutzte.. Dieser teilweise massive Wohnteil wurde bei anderer Traufbreite selbständig in der Form eines
eigenen Gebäudes mit unterkellerter - als Dienstzimmer genutzter - Saalkammer errichtet, an die sich seitlich die zentrale
Küche des Hauses und nach Norden zwei Wohnräume mit Kornboden darüber anschlossen (Planarchiv LWL-Denkmalpflege).
von Münster als bedeutenster Lehnsherr im Hochstift
Münster hatte im 14. Jahrhundert etwa 400 Lehnsleute, deren Zahl sich durch Besitzkonzentration bis
um 1500 auf immerhin noch 200 Lehnsleute verminderte.5 Die Verminderung der Lehnsleute soll wesent-
lich darauf zurückgehen, dass die zunächst breite
Schicht der Freien und des niederen Adels zwischen
höherem Adel und Bauern im Laufe des 14. bis 16.
Jahrhunderts verschwand.6 In ihrem Besitz und ihren
ökonomischen Grundlagen unterschieden sie sich nur
wenig von den größeren Bauern.7 Bemerkenswert für
die weiteren Betrachtungen ist es, dass aus wirt-
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
schaftlichen Gründen zunehmend auch Bürger und
Bauern Lehen erwarben. Im Bistum Osnabrück zählten schon 1561 von den über 200 Lehnsleuten fast
die Hälfte zu diesem Kreis.8 In den westlichen preußischen Provinzen wurden Lehen durch Einführung fester Abgaben ab 1767 allodifiziert (d. h. zu einer Erb-
pacht oder zu freiem Eigentum gewandelt). Nach
Aufhebung des Lehnswesens durch französische
Dekrete 1809 wurden die letzten Lehnsbindungen in
den preußischen Provinzen bis 1878 aufgelöst.9
Gerade im Umkreis der Städte blieb es insbesondere
vor dem Hintergrund erwerbbarer Lehen und alloder
Höfe über Jahrhunderte kontinuierlich bei einem star-
ken Wandel sowohl in den grundherrlichen Verhältnissen wie auch in den Besitzverhältnissen freier Güter.10 Diese besitzrechtlichen Grundlagen waren allerdings nur die eine Seite der Realität, denn für die auf
dem Lande lebenden und den Boden bearbeitenden
Menschen hatten Wandlungen in den Eigentums-
verhältnisse zunächst einmal kaum Auswirkungen.
In den Blick genommen wird im Folgenden neben den
zu Lehen ausgegebenen Gütern insbesondere alloder
Landbesitz. Fast alle die in dieser Rechtsform beste-
henden Güter hatten umgräftete Hofanlagen, doch
kann dies sicherlich nicht als alleiniges Erkennungszeichen gewertet werden.11 Entstehung und Entwicklung der freien Höfe ist bisher weitgehend unklar.12
Das insbesondere mit dem freien Eigentum verbundene Pachtrecht soll sich insbesondere von den niederrheinischen Städten her in Westfalen verbreitet haben.13
Die im Folgenden anstelle von „Bürger" gebrauchte
unklare Formulierung „Städter" wurde mit Bedacht
gewählt: Schon seit dem hohen Mittelalter besaß
etwa der Dienstadel Höfe in der Stadt. Solche städti-
schen Adelshöfe sind schon mehrmals von der
Baugeschichte thematisiert worden.14 Ihre Besitzer
gehörten aber nicht zur Bürgerschaft. Auch wenn sich
im Einzelfall und zu unterschiedlichen Zeiten immer
wieder von Neuem die Frage stellt, ob für den Adel
die Landhäuser oder die Stadthäuser den Lebensmittelpunkt bildeten, kann festgestellt werden, dass
sowohl die ökonomische Grundlage wie der Schwerpunkt des Lebens beim niederen Adel bis weit in die
Neuzeit auf dem Lande lag. Hier konnte er einen wesentlichen Teil seiner Einkünfte aus der Eigenwirtschaft generieren, brauchte aber nicht zuletzt für den
Marktzugang auch seine städtischen Höfe.15
3 Ansicht des Haupthauses auf dem Gut Haus Rüschhaus bei Münster, wie es bis zum Jahr 1745 bestand (aus einer
Bestandsaufnahme von Landmesser J. B. Fix des Gutes, wie es bei dem Kauf durch J.C. Schlaun 1743 bestand). Das Gebäude
war ein Längsdielenhaus, das offenbar ein Vierständergerüst aufwies und war später an beiden Seiten des Wirtschaftsteiles
durch Anbauten unter Schleppdächern erweitert worden. Das Wohnende scheint durch einen Anbau unter Pultdach erwei-
tert zu sein. Im Bereich der großen Herdküche wies das Haus einen zweigeschossigen seitlichen Anbau auf, der möglicherweise als Wohnung des Pächters des Hofes diente (Zeichnung von Johann Mauritz Güding).
241
242
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Da sie sehr häufig den Besitz wechselten, entstanden
in aller Regel auch keine geschlossenen Archivbestände zu diesen Gütern und sie verbanden sich oft
auch nicht mit der Tradition einer Familie. Allein dieser Umstand dürfte einer der wesentlichen Gründe
dafür sein, dass die Kenntnisse über Landgüter von
Städtern bis heute recht gering geblieben sind und in
dieser Hinsicht auch nur im Umkreis weniger Städte
besondere Aufmerksamkeit der Forschung fanden.16
Die geringe Kenntnis ist aber sicherlich auch darauf
zurückzuführen, dass im Unterschied zu Bürger- und
Bauernhäusern ein großer Teil dieser Güter heute
nicht mehr erhalten ist, da sie im Umfeld der alten
Städte zumeist schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert bei deren Ausweitungen der Bodenspekulation
zum Opfer fielen und ihre Existenz daher heute vielfach weitgehend vergessen ist.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts gab es allein um
Münster mindestens 50 Höfe oder Güter, die sich in
der Hand der 22 Münsteraner Erbmännerfamilien als
der führenden und weitgehend geschlossenen städtischen Oberschicht befanden.17 Neben ihnen gab es
aber noch viele andere Familien, die ebenfalls Land-
güter unterhielten, etwa Kaufleute, Rechtsgelehrte
und die seit der frühen Neuzeit ständig größer wer-
dende Schicht der in der landesherrlichen Verwaltung
tätigen Beamten: Verflechtungen dieser Familien untereinander durch verwandtschaftliche Verbindungen
sind vielfältig; aufschlussreich ist es, das wirtschaftli-
4 Plan für das 1745-1749 errichtete Hauptgebäude auf dem
Gut Haus Rüschhaus bei Münster, das der Architekt J. C.
Schlaun sich selber als Sommersitz errichten ließ. Das Haus
che Aufsteigen und Absinken dieser Familien vom
Bürgertum zum Dienstadel und umgekehrt zu verfolgen als rechtliche, soziale und wirtschaftliche Grundlagen für den Besitz der Güter und Höfe.18
wurde als traditionelles Längsdielenhaus errichtet, erhielt
allerdings massive Umfassungswände. Hinter der Wirt-
Auffallend ist, dass es nach 1500 und mit Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
ter Wohnsaal mit Ausgang zum Garten und Schlafkammer
umfassende herrschaftliche Sommer-Wohnung. Der Pächter
len Neugründungen von in aller Regel später als
schaftsdiele eine hohe Küche mit nur einer Lucht und dahin-
dürfte die Wohnräume seitlich der Diele und Küche genutzt
haben. Angeschnitten die anschließenden beiden Nebenge-
bäude und die geplante Gartengestaltung (Zeichnung von
Johann Mauritz Güding nach Entwurf Schlaun um 1745/48).
ebenso wie anderswo auch im Raum Münster zu vie-
„Haus" bezeichneten Gütern durch Zusammenkauf
von Grundstücken und deren Befreiung gegen Bezahlung kam. Dies muss neben dem vielfach beschriebenen Wunsch nach einem standesgemäßen Landleben auch als deutliche Ökonomisierung der Landwirt-
schaft in einer Zeit deutlicher Prosperität gesehen
werden.
Im Folgenden wird der Blick allerdings räumlich umgekehrt erfolgen. Es wird vor allem um Güter auf dem
Land gehen, die sich im Besitz von in der Stadt Leben-
den befanden. Um die hier wirksam werdenden Entwicklungen besser beleuchten zu können, wird verschiedentlich auf die Verhältnisse der offensichtlich
vergleichbaren Entwicklungen unterliegenden Güter
im adeligen Besitz verwiesen. Es handelte sich vor
allem um allode, frei verkauf- und vererbbare Güter,
aber auch um Lehnsbesitz.
Bei der Klärung der konkreten Besitzgeschichten dieser Land-Güter gibt es zumeist große Schwierigkeiten.
Hierbei dürfte es sich um Reaktionen vor den
Bedingungen des Marktes handeln. So ist auffällig,
dass diese Güter neben herrschaftlichen Sommerwohnungen insbesondere von großformatigen Längsdielenhäusern bestimmt werden. Nahezu durchgängig lässt sich nachweisen, dass man in diesen Bauten
große Mengen an Hornvieh unterbrachte. Dies dürfte
vor dem Hintergrund geschehen sein, dass Ochsen
über Jahrhunderte ein wesentliches Handelsgut
waren und Münster hier als ein zentraler Umschlagplatz auf den Handelsrouten zwischen den Weidegebieten in den Marschgebieten Norddeutschlands
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
5 Zentrale Herdküche im dem 1745-1749 errichteten
Haupthaus von Gut Haus Rüschhaus bei Münster. Der Raum
entspricht mit der auf einem Längsunterzug lagernden
Balkendecke in der Aufteilung und Einrichtung den
Zuständen in größeren Bauernhäusern des Münsterlandes
im 18. Jahrhundert: Links Flügeltür zur Wirtschaftsdiele, im
Hintergrund die seitlichen Wohnräume an der Stelle einer
zweiten Lucht und rechts das große zentrale Herdfeuer.
Daneben Tür und Fenster zu den herrschaftlichen
Wohnräumen im Kammerfach (Foto 1979).
sowie der Niederlande und den Städten des deutschen Binnenlandes (insbesondere Köln und Frankfurt) galt.19 Die Teilnahme westfälischer Kaufleute an
diesem Handel ist schon seit dem 14. Jahrhundert
nachweisbar und wurde im 15. Jahrhundert immer
bedeutender.20 Wollten Münsteraner Kaufleute an
diesem Handel partizipieren, benötigten sie nicht nur
umfangreiches Kapital, sondern mussten auch die
Versorgung der Herden auf ihren Wegen im Herbst
sicherstellen. Hierbei soll der Raum Münster als Zwischenmast-Station gedient haben, wo zur Stärkung
der durch das Treiben mager gewordenen Ochsen
6 Das Viehhaus von 1659(d) auf dem „Kleinen Hof" der Herren von der Lippe zu Vinsebeck ist später zur Scheune als Teil der
Schlossanlage Vinsebeck (Steinheim, Kr. Höxter) umgebaut worden. Das in den Quellen als Vorwerk bezeichnete und als
Kuhstall errichtete Gebäude wurde als Längsdielenhaus über der enormen Grundfläche von 39,85 x 12,80 m errichtet. Nur
die zwei feldseitigen Wände waren massiv, während der übrige Bau als Fachwerkgerüst aus großdimensioniertem
Eichenbalken errichtet ist. Beide Seitenschiffe mit einer Breite von 2,50 m wurden durchgängig als Kuhställe für wohl 96 Tiere
und geschlossenen Lagerbühnen darüber eingerichtet. Nur neben der vorderen Toreinfahrt schuf man einen kleinen seitlichen
Einbau, der wohl dem Viehknecht zur Wohnung diente. Später ist das Gebäude erweitert und verschiedentlich für neue
Nutzungen verändert worden.
243
244
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
7-9 Das Viehhaus von 1659(d) auf dem „Kleinen Hof" zu Vinsebeck. Die drei Zeichnungen (Querschnitt, Teillängsschnitt und
Grundriss) dokumentieren den rekonstruierten Zustand und das Foto (Abb. 6) den heutigen Bestand (Bauaufnahme und den-
drochronologische Untersuchung durch Peter Barthold und Fred Kaspar, Reinzeichnung I. Frohnert / LWL-Denkmalpflege,
Landschafts- und Baukultur in Westfalen 2013).
mehrere Tage Rast auf Weiden gemacht wurde.21
Neben der Teilnahme am Viehhandel war es aber vor
diesem Hintergrund ebenso lukrativ, selber weitere
Ochsen für diesen Handel heranzuzüchten. Zwar sind
bislang hierzu kaum Archivquellen erschlossen worden,22 doch scheint sich dies sowohl in der Bodenund Baupolitik der Kaufleute und aller anderen, die
über Kapital verfügten, als auch durch Schaffung von
großen landwirtschaftlichen Betrieben mit sogenannten Kuhhäusern niederzuschlagen. Nachgewiesen ist
bislang, dass schon seit dem 13. Jahrhundert Zahl und
Größe der Weideflächen nahe von Münster stetig
anwuchs, wobei dies insbesondere in der Nähe der
großen Fernstraßen und vornehmlich im Osten der
Stadt erfolgte.23 Damit wird genau der Raum beschrieben, in dem sich auch besonders viele der freien Güter
in der Hand von in der Stadt Lebenden befanden. An
dieser Entwicklung beteiligte sich auch das Stift St.
Mauritz mit seinem in diesem Raum gelegenen
Grundbesitz, in dem es im Laufe des Spätmittelalters
auf seinem Land gelegene Höfe auflöste, um das
durch den Ossenpad erschlossene Land gewinnbringender als Viehweiden verpachten zu können.24
Als plakatives Beispiel aus einem anderen Bereich
Westfalens soll auf die Familie der Freiherren von
Spiegel zum Desenberg verwiesen werden, denn auch
der Adel versuchte ebenso wie die Kaufleute zu dieser
Zeit von der Konjunktur im Handel agrarischer Produkte zu profitieren. Zunächst auf der gleichnamigen
Burg nahe der Stadt Warburg (Kr. Höxter) und damit
in dem von Agrarkonjunkturen auf der Grundlage von
Anbau und Export von Getreide begünstigten We-
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
serbergland ansässig, verfügte sie über umfangreichen Besitz an Grund und grundherrliche Rechte. Die
Familie teilte sich seit der Zeit um 1500 in zunächst
drei, wenig später vier, noch im Laufe des 16. Jahrhunderts dann teilweise in mehr als sechs Linien auf,
die jeweils unterhalb der Stammburg sowie in dem
nahegelegenen Dorf Bühne eigene Gutsbetriebe mit
Herrenhäusern aufbauten. Ihr besonderes wirtschaftliches Potenzial lag neben dem zur Verfügung stehenden Grund und Boden insbesondere in den günstigen
Arbeitskräften, die durch die der Herrschaft oft zustehenden Dienstverpflichtungen bereitstanden. Hierzu
gehörte auch ein geschlossener Gerichtsbezirk, der
sich über mehrere Dörfer erstreckte.25 Impuls für die
hier erkennbare Intensivierung landwirtschaftlicher
Produktion dürften in diesem Fall allerdings nicht die
Viehzucht, sondern der Getreidebau auf den fruchtbaren Böden der Warburger Börde gewesen sein.
Im Raum Münster wurde die Entwicklung insbesondere von Mitgliedern der sogenannten Erbmännerfamilien getragen, die sich zunehmend auf das Land zurückzogen und ihre städtischen Höfe vermieteten.26
Im Zuge dieser Entwicklung verdoppelte sich im Laufe
des 16. Jahrhunderts die Zahl der Güter auf dem Lande um Münster wie anderswo wohl nahezu.
Die damit angesprochenen Entwicklungen sollen insbesondere mit Beispielen aus einem kleinen Gebiet
zwischen der Stadt Münster und dem östlich davon
liegenden Warendorf eingehender beleuchtet wer-
den. Darüber hinaus werden nach zufälliger Kenntnis
der Objekte27 oder der Literatur zur Veranschaulichung vereinzelt auch weitere Beispiele aus Westfalen
und Lippe sowie Niedersachen berücksichtigt. Das
beschriebene Gebiet bei Münster bietet sich insbeson-
dere deswegen an, da es dort einen bemerkenswert
dichten Bestand solcher Güter gab. Da es hier bis
10 Pachthof mit Sommerwohnung auf dem Gut „Haus Markfort" östlich von Münster-Handorf. Der Hof befand sich seit
Jahrhunderten in den Händen von Mitgliedern der führenden Familien in Münster und wurde von Pächtern bewirtschaftet.
So gehörte er z. B. 1668 zum Besitz der Herren von der Wyck auf Haus Milte bei Telgte und 1803 dem Geheimrat Bernhard
Franz von Forckenbeck, der ein großes Anwesen in der Stadt unterhielt (Clemensstraße 6). Nach seinem Tode wurde der Hof
auf seinen Wunsch hin von dem befreundeten und verwandten Buchdrucker und Verleger Johann Hermann Hüffer (1786 1855) erworben, der ebenfalls ein großes Haus in der Stadt Münster unterhielt (Salzstraße 58). Unmittelbar nach dem Erwerb
wurde das Pächterwohnhaus - ein traditionelles Längsdielenhaus von Fachwerk - weitgehend erneuert und an dieses als
Sommerwohnung der Besitzer ein Kammerfach angefügt. Dieser Bauteil wurde in den Proportionen des Bauernhauses, aber
massiv und nur ein Raum tief ausgeführt, so dass die Erschließung und die Versorgung über die große Küche des
Bauernhauses erfolgte. Zugleich legte man auch einen großen Garten vor der Sommerwohnung an, der nach den
Lebenserinnerungen des Bauherren „den ländlichen Aufenthalt verschönern" sollte. 1896 wurde der Wohnteil durch einen
seitlichen Flügelbau wesentlich erweitert, wobei erstmals eine abgeschlossene Wohnung mit eigener Küche entstand (Ansicht
von Südwesten 2010).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
11 Karte der Landschaft östlich von Münster (auf der Grundlage der Uraufnahme der Zeit um 1830) zwischen der Stadt
Münster (außerhalb des linken Bildrandes) und den westlichen Bauernschaften von Warendorf (rechts außerhalb des
Bildrandes). Im Norden (oben) die Kleinstadt Telgte, im Süden (unten) der Wigbold Wolbeck. Eingetragen sind die historischen
Fernwege sowie die zahlreichen in diesem Gebiet nachweisbaren Güter in der Hand von Städtern. Diese Güter konzentrieren
sich deutlich im Umraum von Münster und entlang der Fernstraßen (Kartografie und Bearbeitung Martina Bange 2013).
heute zu vergleichsweise geringen Erweiterungsprozessen der Städte und damit Siediungsverdichtungen
gekommen ist, haben sich viele dieser Anlagen auch
noch in ihrem historischen Bestand erhalten.
Es handelt sich jeweils um Besitzungen von vermö-
genden, in den Städten Münster, Telgte und Warendorf lebenden Familien, die in den vor diesen
Städten liegenden Kirchspielen St. Mauritz, Handorf,
Wolbeck, Telgte und Everswinkel liegen. Allein im
Kirchspiel St. Mauritz vor Münster gab es um 1800
neben sechs landtagsfähigen Gütern noch weitere 24
Landgüter, was nahezu der Hälfte aller im gesamten
Landkreis Münster vorhandenen Güter entsprach.28 In
dem südlich von Münster gelegenen Kirchspiel Hiltrup
bildeten solche Güter etwa 25 % aller älteren Siedlungsplätze.29 Grob geschätzt kann man davon ausge-
hen, dass sich über zweihundert Güter in der Hand
von in der Stadt Münster lebenden Personen befanden und diese einen Kranz von bis zu 20 km um die
Stadt bildeten. Damit waren sie zumindest mit Pferd
oder Wagen in etwa einem halben Tag gut von der
Stadt aus zu erreichen. Vergleicht man diesen Befund
mit dem Raum um die anderen Städte des Landes,
dürfte es kaum eine Landschaft gegeben haben, die
nicht von solchen Besitzungen durchsetzt war.30
Die Güter des Untersuchungsraumes befinden sich in
einer Zone fruchtbaren Bodens, nordöstlich begrenzt
durch eine Heidezone sowie die sandige Talung der
Ems. Auffällig ist, dass es sich um Güter handelt, die
heute zumeist sehr abgelegen wirken, sich aber ehe-
mals fast alle auf die bis in das 19. Jahrhundert entscheidenden Fernstraße von Münster nach Warendorf
bezogen.
Bei den folgenden Ausführungen werden insbesonde-
re die im Kirchspiel von Telgte liegenden Güter Haus
Milte und Hof Kurze Rumphorst sowie das Gut Haus
Lohfeld im Kirchspiel Everswinkel im Mittelpunkt stehen. Diese drei Beispiele dokumentieren jeweils sehr
unterschiedliche Entwicklungen und Bauten, wobei
sich deren Verhältnisse zugleich sehr gut anhand nur
selten für Güter überlieferter Archiv-Quellen erschließen lassen.31 Darüber hinaus werden auch andere
untersuchte Besitzungen in der Region herangezogen, etwa das Gut Haus Brückhausen in der Gemeinde Everswinkel (Kr. Warendorf) sowie das südlich von
Münster liegende Gut Haus Westerhaus bei Dren-
steinfurt (Kr. Warendorf).32
Pachtgüter und Pachthöfe
Neben Gütern, die auf Rechnung der Inhaber durch
Rentmeister betrieben wurden,33 bestanden als zahlenmäßig weitaus größte, im Folgenden im Mittelpunkt stehende Gruppe „landwirtschaftlicher Unternehmer" die Pächter freier - d. h. nicht grundherrlich
gebundener - Höfe bzw. Güter. Obwohl sie dort in
der Regel auf der Grundlage von zeitlich gebunden
Pachtverträgen wirtschafteten (zumeist über 12 Jahre,
aber auch 9, 6 oder 3 Jahre), lebten die Pächter in der
Regel über viele Generationen auf „ihren" Pachthöfen und führten daher vielfach auch deren Namen.34
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
Diese (Zeit-)Pächter konnten persönlich frei sein, stan-
den aber vielfach auch in Leibeigenschaft eines
Grundherren und sind daher nicht ohne Weiteres von
der breiten Schicht der „normalen" grundherrlich gebundenen Bauern auf zu Meierrecht in Erbpacht ausgegebenen Höfen zu unterscheiden.
Diese Zeitpächter lebten auf „ihren" Höfen als freie
landwirtschaftliche Unternehmer und waren unmittelbar in den Geldkreislauf eingebunden, eine Lebensform, wie sie die Großzahl der Bauern erst im Laufe
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte. Erst
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden zunächst
noch vereinzelt Erbpachthöfe nach Meierrecht und
mit Eigenbehörigkeit der Aufsitzer zu persönlich frei-
en Erbpachtgütern umgewandelt.35 Der zahlenmäßige
Umfang der Pacht-Bauern für die Zeit vor der Mitte
des 18. Jahrhunderts ist bislang nicht abzuschätzen,
doch gab es sie in nahezu jeder Gemeinde.
Die Pächter nahmen in der Regel bei ihrer Übernahme
des Hofes dessen Namen an, zumal sie bei erfolgreichem Wirtschaften dort oft über mehrere Generationen blieben. Ebenso wie heute hatte man aber nicht
immer Glück mit den Pächtern, da sie zuweilen auch
schlecht wirtschafteten und große Pachtrückstände
aufhäufen konnten. So schleppte man auf dem Gut
Lütke Rumphorst bei Telgte in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen Pächter über vier Jahrzehnte mit einer
stetig größer werdenden Pachtsumme mit, bis man
ihm 1768 wegen hoher Pachtrückstände von inzwi-
schen insgesamt 636 Rthl. (oder mehr als vier
Jahrespachten) den Prozess machte. Zur Schuldenbegleichung wurde der Konkurs über seinen gesamten
Besitz eröffnet, dieser versteigert und der Pächter vom
Hof verwiesen. Danach musste auch das vernachläs-
sigte Haus renoviert werden. Seine Nachfolger hatten
in der dritten Generation nach 55 Jahren schon wieder so viele Schulden angehäuft, dass man auch sie
1822 wegen Pachtrückständen von 288 Thl. aus dem
Vertrag klagte und über das Vermögen gerichtlich den
Konkurs eröffnete. Anlass hierzu war nach einem
Bericht, dass Berend Rumphorst schon früher sich
dem Trunk ergeben ist, es jetzt nach dem im vorigen
Monat erfolgten Absterben seiner Frau soweit
gekommen, daß er fast täglich viehisch besoffen, und
12 Das Gut Oberhaus (später als „Mallinckrodthof" bezeichnet) in Borchen (Kr. Paderborn) wurde um 1550 neu als alloder
Gutshof der Herren von Oeynhausen angelegt. Das Gebäude wurde 2005 baugeschichtlich untersucht (Fred Kaspar und Peter
Barthold / LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen): Das Erdgeschoss des Herrenhauses stammt noch
aus der Gründungsphase und wurde 1558(d) errichtet. Bei einem Umbau 1695(d) erhielt dieses kleinere Haus ein
Obergeschoss und ein neues Dach. Seit 1749 wurde das herrschaftliche Gut nicht mehr als adeliger Wohnsitz genutzt, son-
dern kam in die Hand von Kaufleuten und Beamten in Paderborn, die die Landwirtschaft verpachteten und das Herrenhaus
als Sommerhaus nutzen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Herrenhaus dann wieder Wohnsitz eines bürgerlichen Gutsherren (Foto 2008).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
die gantze Ackerwirtschaft in der größten Unordnung
ist. Was die Schwester, welche brav ist und die weibliche Wirtschaft aufs beste besorgt zu ersparen sucht,
wird von ihm durchgebracht. Die nun folgende
Pächterfamilie Große Bexten stammte von einem der
größten Höfe des nahegelegenen Kirchspiels Einen
und blieb dort über 150 Jahre tätig.
Bei schlecht wirtschaftenden Pächtern konnte es zu
ernsthaften Schäden an Hofgebäuden kommen. Der
Pächter des Gutes Haus Milte bei Telgte wurde 1833
aus dem Haus und vom Anwesen geklagt, da er nicht
nur mit der Pacht in Rückstand war, sondern auch die
Bauten hatte verfallen lassen. Danach mussten in den
nächsten Jahren alle Gebäude des Gutes umfassend
renoviert werden.
Erträge aus den Besitzungen
Freie Höfe waren zunächst erst einmal Kapital der
Besitzer und dienten - insbesondere wenn es sich
nicht um Erbgut, sondern um angekaufte Güter handelte - der Geldanlage und der Erwirtschaftung von
Erträgen. Solche freien Höfe wurden daher schon im
Spätmittelalter nicht selten in sehr kurzen Abständen
musste, betrugen hingegen schon 1640 neben eini-
gen Naturalleistungen 240 Rthl. jährlich.38
Der 1790 durchgeführte Neubau der Borg genannten
Sommerwohnung auf dem Gut Kurze Rumphorst
(Telgte, Kr. Warendorf) kostete ca. 225 Rthl., d. h. den
Pachtertrag für eineinhalb Jahre und der ab 1800 dort
durchgeführte Neubau des dortigen Pächter-Bauernhauses insgesamt 1 985 Rthl., was dem Pachtertrag
von etwa 14 Jahren entsprach.39
Auch adelige, durch einen Rentmeister verwaltete
Eigenbetriebe hatten keine wesentlich höheren Jahreserträge: So brachte etwa das Gut Haus Visbeck bei
Dülmen (Kr. Coesfeld) seinem Eigentümer, dem Dros-
te zu Vischering in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei Gesamteinnahmen von etwa 1 5002 000 Rthl. nach Abzug aller Unkosten (Personal etc.)
einen jährlichen Reinertrag von etwa 300 bis 500 Rthl.
Sie waren also mit den Ertragszahlen seines Stammsitzes der Burg Vischering in Lüdinghausen (Kr. Coesfeld) vergleichbar.40
oder ob man solches benötigte. Die Rendite aus dem
Leiter und Bewohner des Gutes
Ständige Bewohner der Pachthöfe als bürgerliche
Güter auf dem Lande waren die Erbpächter bzw.
Pächter. Die Herrschaft, sofern und solange sie die
Erbpacht sitzenden Bauern vielfach ein direkter
Die Gruppe der Hofverwalter umfasste ein weites
verkauft, je nachdem ob man Geld anlegen wollte
in Höfen angelegten Kapital bestand bis in das 16.
Jahrhundert vielfach vor allem in den Abgaben, die
die Höfe leisteten, da wegen der auf dem Hof zu
Höfe besuchte und bewohnte, bildete also nur einen
zweiten mehr oder weniger umfangreichen und vollständigen Haushalt auf der Hofstelle.
Zugriff auf die Erträge noch nicht möglich war.36 Dies
stellte sich erst dann anders dar, wenn man den Hof
durch einen Zeitpächter betreiben ließ, ein Weg, der
soziales Spektrum, das hier allerdings wegen bislang
weitgehend fehlender Vorarbeiten kaum detaillierter
behandelt werden kann. Es reicht von einem selbst-
sich offenbar seit dem 16. Jahrhundert durchsetzte
und dazu führte, dass die Höfe nun auch länger in
einer Hand blieben. Dieses Phänomen lässt sich für
viele Landschaften in Mitteleuropa nachweisen.
Das im Folgenden noch näher betrachtete freie Erbe
Wiggermann (seit dem 19. Jahrhundert als „Gut Lohfeld" bezeichnet) in der Gemeinde Everswinkel (Kr.
Warendorf) befand sich schon im 14. Jahrhundert in
der Hand von Stadtsässigen und wechselte seitdem
vielfach seine Besitzer. 1747 wurde es für 3 710 Rthl.
und 1773 ein weiteres Mal für 3 400 Rthl. und 1826
für dann 5 000 Thl verkauft (auch dieser Wert ist bei
Berücksichtigung der Geldentwertung vergleichbar).
Bei dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr.
Warendorf) betrugen die Pachtgelder 1687 pro Jahr
130 Rthl. und stiegen wegen der Geldentwertung in
mehreren Schritten bis 1857 auf 200 Thl. an (nach
1871 dann 600 Mark). Ähnliche Summen lassen sich
auch bei einer Vielzahl weiterer Pachthöfe nachweisen.37 Für das Gut Haus Westerhaus (Drensteinfurt, Kr.
Warendorf) betrug 1740 die Jahrespacht 70 Rthl.,
beim Gut Haus Milte (Telgte, Kr. Warendorf) im frühen
19. Jahrhundert 210 Rthl. Die Abgaben, die der
Pächter des Hofes Schulte Havichhorst in Münster-
Handorf dem Domdechanten in Münster leisten
ständig und auf seine Rechnung wirtschaftenden
Pächter über einen im Lohn stehenden Verwalter oder
Rentmeister bis zum Vorarbeiter, der unter der Leitung
des Besitzers oder seines Vertreters arbeitete.
Letzterer wird in Westfalen in der Regel als Baumeister
bezeichnet - entsprechend dem Begriff des Bauhauses als Hauptgebäude des Landbaus. In Niedersachsen
war der Begriff Bauschulte gebräuchlich.41 Der Baumeister gehörte formal zwar zum Gesinde, stand im
Alltag aber der Herrschaft näher als dem übrigen
Gesinde.42 Die Baumeister rekrutierten sich daher im
Unterschied zu dem übrigen, in der Regel von Köttern
und Heuerlingen abstammenden Gesinde vielfach aus
Bauern- oder sogar Schultenfamilien.43 Dies kann als
Hinweis gelten, dass auch diese geringste Form der
Wirtschaftsleitung schon als eine semiprofessionelle
Tätigkeit galt und sich die Position, die im 16. Jahrhundert noch von einem Baumeister ausgefüllt wurde, bis ins 18. Jahrhundert öfter zu einem professionellen Rentmeister gewandelt hatte.
Die Lebensformen, die die Familie eines örtlichen
Rentmeisters pflegte, kann daher nicht einfach mit
den Lebensformen einer Bauernfamilie gleichgesetzt
werden. Rentmeister lebten im gewissen Umfang
herrschaftlich, zumal sie als Vertreter der Eigentümer
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
auftraten und in dieser Funktion auch disziplinarische
Aufgaben wahrnahmen. Dieser durch die Herrschaft
zugestandene Anspruch eines Rentmeisters wird an
dem 1677-1679 errichteten Tor- und Brauhaus des
Gutes Haus Visbeck bei Dülmen deutlich. Neben der
Tordurchfahrt als Zufahrt zur umgräfteten Anlage
erhielt das Gebäude eine Wohnung, die zunächst
offensichtlich der Rentmeister bewohnte. Er konnte
damit den gesamten Waren- und Viehverkehr überwachen. Die Wohnung wies einen Wandkamin auf
in den letzten Jahrzehnten aus dem Sprachgebrauch
verschwundene Begriff wird bei Grimm45 als Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Som-
merzeit definiert, als Landlust der Städter im Sommer46 Zwar wird als früheste Nennung des Begriffes
„Sommerfrische" immer wieder in der Literatur ein
Südtiroler Quellenbeleg von 1534 genannt, doch ist
das Phänomen sowohl durch erhaltene oder bildlich
überlieferte Bauten wie auch durch anders formulier-
und hatte zwei jeweils mit Aborterker versehene
te Quellenbelege älter.47 Dies betrifft auch den nordwestdeutschen Raum. So wird es etwa schon für die
in einem Erbpachtverhältnis zu unterscheiden. Eine
vergleichbare Rentmeisterwohnung aus der Zeit um
1760 konnte als Anbau an das Pforthaus von Haus
beschrieben: Ist darauf [...] nur ein gemaurter Spicker
in einem geringen Graben und Wall erbauet, gestanden welchen Eberhard Buttel, gewesener Richter zu
Unna zum Auß oder Lußthauß ohne eigene daselbst
beschehene Viehaltung und Einstallung gebraucht,
Räume. Der Rentmeister dieses Gutes wird im 16. und
17. Jahrhundert in den Quellen als Schulte zu Visbeck
bezeichnet, ist also begrifflich nicht von einem Bauern
Dieck (Kr. Warendorf) dokumentiert werden44.
Es sei die These erlaubt, dass diese damit nur angedeutete soziale, allerdings bislang nicht weiter in den
Fokus der Forschung geratene Gruppe der Hofverwalter recht umfangreich war. Solche Leute wurden
auf den Wirtschaftshöfen und den ihnen nachgeordneten Vorwerken, den Gütern der Landesherrschaft,
der Klöster und des Adels ebenso gebraucht wie zur
Leitung von Pachthöfen. Das Leben dieser Pächter
bzw. Rentmeister war nicht nur auf die Führung des
ihm anvertrauten Hofes bezogen, sondern auch viel-
fältig mit dem Leben der Hofbesitzer verbunden.
Hierzu ein paar zufällige archivalische Nachrichten:
Der Pächter des Gutes Kurze Rumphorst bei Telgte
musste nach seinem Pachtvertrag von 1687 im Jahr
zehn vierspännige Fuhren nach Münster ausführen,
dort die halbe Obsternte des Hofes, 20 Hühner und
zwei Fuhren Mist abliefern sowie sicherlich im Zuge
dieser Leistungen bei Bedarf die Herrschaft auf ihren
Sommersitz auf den Hof bringen. Nach überlieferten
Verträgen von 1817 und 1822 ist das die Borg genannte Ferienhaus der Inhaber des Hofes vom Pächter
zu beßern und besenrein zu halten. 1822 wird zusätz-
lich bestimmt, dass der Pächter einmal im Jahr die
Gutsherrschaft und ihren Besuch mittags zu bewirten
habe.
Zeit um 1500 für das Gut Brockhausen bei Unna
sondern nur zur Sommerzeit aus Unna etliche, bey
solchen Lusthauß gelegene Kempe mit melken Kühen
beweidet gehabt. Das Lusthaus wurde auch von seinem Sohn Hermann Buttel bis zum Tod 1554 genutzt.
Dessen Schwiegersohn Hermann Riddmckhausen
hatte dann nach 1575 bei seiner Schwieger Eltern
Lusthauß [...] sich zur Haushaltung begeben, daselbst
ein Bawhauß, folgendts Kühe und andere Stallen
gebaut.48
Extremste Beispiele dieser Entwicklung dürften die
Villen sein, die sich begüterte Adelige und Angehörige der städtischen Oberschichten in Oberitalien
errichten ließen. Bemerkenswerte Beispiele sind aber
auch die Landhäuser, die im Umkreis oberdeutscher
Städte entstanden. Dokumentiert ist etwa der Bestand um die großen Städte Augsburg,49 Nürnberg50
oder Zürich.51 Für die Städte Nordwestdeutschlands ist
der Baubestand zwar offensichtlich ebenfalls umfangreich gewesen, doch blieb der Stand der Forschung
hierzu bislang gering: Eine Untersuchung liegt für den
Besitz der Erbsälzer in der Stadt Werl und ihrem
Umkreis vor.52 Auf die Landgüter der Oberschicht von
Münster wurde zwar wiederholt hingewiesen, doch
unterblieb ihre weitergehende Dokumentation und
Erforschung.53 Größere Bestände solcher Güter sind
auch für den Umkreis der südlich anschließenden
Die Höfe dienten also neben der Kapitalanlage und
-Sicherung auch der Versorgung der Herrschaft mit
landwirtschaftlichen Produkten und anderen Dienst-
auch dort baugeschichtlich nicht weiter behandelt.
Viele der Güter im Umkreis von Minden wurden hin-
Sommerwohnungen
Die in der Stadt lebenden Besitzer der Land-Höfe
nutzten diese neben ihren anderen wirtschaftlichen
gegen erfasst und beschrieben,56 ebenso im Umkreis
von Lemgo und teilweise auch der Nachbarstädte in
Lippe.57 Für Warburg ist ein patrizisches Gut untersucht,58 aber es sind auch weitere vergleichbare Patriziergüter in der Umgebung der Stadt belegt.59 Auch
leistungen.
Interessen aber auch aktiv als temporäre Aufenthaltsorte: Schon seit dem Spätmittelalter lässt sich belegen, dass in der Stadt Lebende ihre Wohnungen im
Sommer verließen und auf das Land zogen. Hierfür
wird in anderen Regionen schon seit dem Spätmittelalter der Begriff der Sommerfrische genutzt. Der erst
Städte Hamm54 und Soest55 nachweisbar, wurden aber
das Gut Brodhagen in der Hand der bürgerlichen
Oberschicht von Bielefeld wurde mit seinem charakte-
ristischen 1686 errichteten Pächterwohnhaus mit
herrschaftlicher Sommerwohnung ausführlich dokumentiert.60 Jüngst wurde auch eine solche Untersuchung für eine norddeutsche Stadt vorgelegt und
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
der um Lübeck nachweisbare Bestand erfasst.61
Ebenso sind die Güter in der Hand des Salz-Patriziats
von Lüneburg erfasst.62
Entsprechend den vielfach bescheideneren wirtschaft-
lichen Möglichkeiten bestanden nach bislang vorliegender Kenntnis die Sommersitze der Bewohner mittlerer und kleinerer Städte Nordwestdeutschlands in
aller Regel aus verpachteten Höfen, die über das besondere Rechtsverhältnis der Zeitpacht die Inhaber
offensichtlich ihrer besonderen Bedürfnisse beim
Aufenthalt auf dem Lande sicherstellen konnten: Der
Pachtherr musste sich nicht um die Bewirtschaftung
des Hofes kümmern, doch konnte er dem Pächter
aufgeben, ihn bei seiner Anwesenheit auf dem Hof zu
versorgen. Der Besitz solcher Pachthöfe mit Sommer-
wohnungen dürfte für die oberen Sozialschichten
aller Städte über Jahrhunderte üblich gewesen sein.
Ihr Aufkommen allerdings in den Zusammenhang der
Ausbildung von Gärten der Renaissance zu stellen,
dürfte nicht zutreffend sein.63
Bislang liegen zu dieser besonderen Form der Stadt-
Land-Beziehungen keine systematischen Forschungen
vor. Bekannt und beschrieben ist diese Beziehung bis-
lang vor allem für die patrizische städtische Oberschicht, deren Mitglieder in Münster als sogenannte
Erbmänner bezeichnet wurden.64 Ausführlicher wurde
das Thema für den eigentlichen münsterschen Stiftsadel erst im Jahre 2000 behandelt.65 Vergleichbare
Lebensweisen lassen sich aus bislang eher zufälligen
Belegen ebenso auch für Mitglieder der Geistlichkeit
belegen, die die höheren Ämter in der bischöflichen
Verwaltung und den zahlreichen Stiften der Stadt
besetzten, zumal diese Geistlichen vielfach ebenfalls
aus den führenden bürgerlichen Schichten stammten.
So gehörte z. B. zum Amt des Dechanten am
Münsteraner Domstift über Jahrhunderte der große
Pachthof Schulte Havichhorst in Münster-Handorf,
auf dem auch ein freistehendes „Herrenhaus" stand.
Die Niederlassung der Johanniter in Münster besaß
schon im 15. Jahrhundert den Hof Zumberge, einen
großen Gräftenhof bei Senden, der bis 1534 in
Eigenwirtschaft stand und danach verpachtet wurde.
Dort befand sich ein in der Mitte des 16. Jahrhunderts
neu errichtetes Bauhaus, dessen große Kammer mit
Keller sowie der vor dem Gebäude stehende
Pferdestall und die Fischerei in den Gräften nicht ver-
13 Die großzügige Villa „Haus Ostdorsel" östlich von Telgte wurde 1907 für Wilhelm Friedrich von Laer (1829-1926) in
Münster als Landhaus für den sommerlichen Aufenthalt auf seinem verpachteten Bauernhof errichtet. Der Generaldirektor
der westfälischen Bodenkreditbank hatte den Bauernhof Schulze Ostdorsel 1897 erworben und zu einem durch Pächter
geführten Mustergut ausbauen lassen (Zustand 2008).
251
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
pachtet, sondern den Brüdern zur Nutzung Vorbehalten blieb.66 Südlich der Stadt Münster unterhielten die
Johanniter auf dem 1497 angekauften Pachthof Groß
Kaldeloe bei Münster-Hiltrup eine umgräftete und als
Sommerwohnung genutzte Borg.67 Der Orden der
Jesuiten in Münster besaß zwischen 1590 und 1677
auf dem Pachthof Klostermann in Sendenhorst-
sen massiv ausgeführt. Im Erdgeschoss befanden sich
ehemals wohl eine Küche sowie ein Kapellenraum mit
Chorapsis, im ersten Obergeschoss die Diele mit vier
anschließenden Schlafkammern und im zweiten
Obergeschoss ein Saal.
Auch das St. Martini-Stift in Münster unterhielt
Albersloh (Kr. Warendorf) eine durch die Ordensangehörigen genutzte Borg, die zuvor schon von anderen Geistlichen in Münster genutzt worden war.68
Nachdem dieser Bau wegen Baufälligkeit abgebro-
zumindest in der Neuzeit auf dem ihm seit 1324 gehörenden und verpachteten Hof Rotland in MünsterHiltrup ein Sommerhaus für seine Kapitulare, das aus
einem 1780 als Herrenzimmer bezeichneten Anbau
heute erhalten geblieben und bis auf die beiden
ritz vor Münster soll in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts ein „Herren-Lusthaus" mit Garten bei
dem stiftischen Hof Lütke Lengerich nördlich von
Münster-Handorf als Erholungsort der Stiftsherren
unterhalten haben, wozu auch eine eigene Kapelle
chen werden musste, nutzten die Jesuiten als ihr Sommerhaus ein 1661 errichtetes und ebenfalls als Borg
bezeichnetes turmartiges dreigeschossiges Gebäude
auf dem ihnen schon seit 1624 gehörenden Gut Haus
Sieverding bei Altenberge (Kr. Steinfurt).69 Es ist bis
Fachwerk-Längswände in den beiden Obergeschos-
an das Pächterwohnhaus bestand.70 Das Stift St. Mau-
gehörte.71
14 Das als „Borg" bezeichnete speicherartige Gebäude wurde 1661 als Sommerhaus für die Mitglieder des Jesuitenordens
aus Münster auf dem Pachthof Sieverding bei Altenberge (Kr. Steinfurt) errichtet. Im Erdgeschoss bestanden eine Küche und
eine Kapelle (der Chor wurde später abgebrochen), im ersten Obergeschoss gab es Schlafkammern und im zweiten Oberge-
schoss einen Saal. Auf der Aufnahme von etwa 1910 ist der das Gebäude umgebende Gräftenring noch gut zu erkennen.
252
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Darüber hinaus lässt sich nachweisen, dass auch ein-
zelne Geistliche - abhängig von ihrem persönlichen
Vermögen - individuelle Sommerhäuser auf den
ihnen gehörenden Pachthöfen unterhielten.72 Der
Domherr Friedrich Christian von Galen (1689-1748)
ließ sich neben der von ihm dauerhaft bewohnten
Kurie am Domplatz am südlichen Stadtrand von
Münster 1721-1729 ein großzügiges Landhaus errich-
ten, das später Friedrichsburg genannt wurde.73
Neben diesem sicherlich extrem großen Beispiel stand
aber in dieser Tradition z. B. auch der zum St. Martini-
nutzte er fortan den Hof wohl nicht nur als Sommersitz für sich und seine Familie, sondern ließ - gegen
die Interessen der Pächter - dort für sich auch größere Gartenanlagen anlegen. Da es hierüber zum Streit
kam, wurde die Situation in den Akten genauer be-
schrieben. Dadurch erfahren wir, dass der Hofrat
1764 im Sommer mit seinem insgesamt elf Personen
umfassenden Haushalt (und teilweise auch mit einigen Fremden) im Sommer zunächst elf Tage auf dem
Hof verbrachte und dann vom 26. August bis zum 5.
Oktober noch einmal etwa sechs Wochen. Die zahlrei-
Stift gehörende Kanoniker Johann Caspar Ostholt,
der sich um 1765 ein Landgut vor Münster mit Sommerwohnung errichten ließ.74 Der Vicedomus 0.
Schmiesing erwarb 1702 am nordwestlichen Rand
von Münster Ländereien, um dort ein umgräftetes
Gut mit der Bezeichnung Schnorrenburg einzurich-
chen anreisenden Personen mussten jeweils vom
Pächter nicht nur mit Lebensmitteln sowie herbeigefahrenem Bier versorgt, sondern auch mit Kutschen
einen Hof in der Stadt,75 sodass die Erwerbung wiederum der Versorgung sowie als Ziel von Ausflügen
gedient haben dürfte.76 Entsprechend dieser Tradition
lich ganz in einer eigenen Wohnung auf dem Hof nieder, wobei er vom Hofpächter versorgt wurde.80
Als das Frl. Johanna Homeyer in Münster 1787 einen
neuen Vertrag mit dem Pächter ihres Hofes Wesseling
in der Bauernschaft Hansell (Altenberge, Kr. Steinfurt)
schloss, behielt sie sich die eigene Nutzung des im
Garten stehenden Speicher und dagegen liegendes
ten. Seine Familie von Korff gnt. Schmiesing auf
Schloß Tatenhausen unterhielt zu dieser Zeit auch
wurde 1744 bei der Einbringung des Hofes Kurze
Rumphorst bei Telgte in eine Münstersche Familien-
stiftung bestimmt, dass die dort bestehende Borg
fortan als Sommerwohnung für Geistliche dienen sollte, die aus der Familie Scheffer-Boichorst stammen.
Ferner sollte sich dort die Familie des die Familien-
stiftung verwaltenden Familienoberhauptes treffen
können. Um dies zu gewährleisten, wurde dies Gebäude als einziges nicht vom Pächter unterhalten.
Vergleichbare Bestimmungen blieben in allen Pachtverträgen des Gutes bis in das frühe 20. Jahrhundert
bestehen. Bei dieser Regelung wurde also sowohl an
Geistliche wie auch an andere Mitglieder aus der zur
Schicht der Kaufleute und Beamten gehörenden
Familie Scheffer-Boichorst gedacht.
Obwohl weitgehend von der Forschung ignoriert,77
liegen schon zahlreiche weitere, sogar publizierte
Hinweise vor, dass Mitglieder der gesamten Oberschicht der Stadt über Jahrhunderte vergleichbare
Regelungen kannten: Das Gut Deitkamp bei Senden-
horst (Kr. Warendorf) wechselte vielfach den Besitzer.
1727 wurde es von Franz Wilhelm von Kerckering zur
Borg neu an die Bürger Johann Sieves und Johann
Hintzenbrock für jährlich 125 Rthl. verpachtet. Obwohl der Verpächter und seine Familie eine größere
Anzahl von Gütern besaß, blieben auch in diesem Fall
Fischerei, Baumgarten hinter dem Haus sowie das hinterste Kämmerchen am Hause mit der großen Kammer vom Pachtvertrag ausgenommen.78 Ziel dieser
Regelung dürfte es gewesen sein, sich Wohnräume
für Jagdaufenthalte zu sichern. 1764 erbte Hofrat
Costerus in Münster von der münsterschen Familie
Mensing den Ahlkenkotten, einen freien Pachthof in
der zu Sendenhorst (Kr. Warendorf) gehörenden Bau-
ernschaft Sandfort.79 Wie auch schon seine Vorfahren
aus Münster abgeholt oder zur Kirche in Sendenhorst
gefahren werden. Die hierdurch entstandenen Kosten
von über 122 Rthl. wurden dem Pächter erstattet.
Auch in den folgenden Jahren behielt Hofrat Costerus
diese Lebensweise bei und ließ sich im Alter schließ-
Gartenland... vor.81 1790 wird berichtet, dass der
Pächter des Hofes Horstmann bei Albersloh (Senden-
horst, Kr. Warendorf, Sandfort 5) die Verpflichtung
habe, seinen Verpächter auf Wunsch von und nach
Münster zu fahren sowie diesem unentgeltlich Mittagessen zu geben.82
1817 werden in dem Pachtvertrag des Gutes Nevinghoff nördlich von Münster zwischen dem Eigentümer
Matthias von Heeremann-Zuydwyck zu Surenburg
und dem Pächter besondere Bestimmungen getroffen. Hiermit wollte der Verpächter offensichtlich sowohl eine ihm bereitstehende Jagdwohnung in dem
Gutshaus wie auch eine Ausflugsmöglichkeit bei Besuchen in der Stadt ermöglichen (die Familie besaß zu
dieser Zeit keinen Hof in der Stadt): Ausgeschlossen
von der Pacht wurden das Belvedere, die Teiche und
die zugehörige Jagd. Ferner wurde der Mitgebrauch
eines der größeren Zimmer im Hauptgebäude vereinbart.83 Als 1853 das Haus renoviert worden war und
das Gut einen neuen Pächter erhielt, wurde ein Pachtvertrag verfasst, der in § 5 wiederum bestimmte: Der
Verpächter behält sich die Benutzung des größten
Zimmers im Haupt-Wohnhauses stets vor. Nach § 2
des Vertrages wurde zudem wiederum ausgeschlos-
sen die Nutzung der Warendörfer Teiche und des
Belvedere In der Coerheide.M Noch bis 1893 wurden
diese Regelungen in alle folgenden Pachtverträge
übernommen.
Die Inhaber des Valepagenhofes bei Delbrück (Kr.
Paderborn) betätigten sich während des 18. und 19.
Jahrhunderts als Beamte und Kaufleute. Sie hatten
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
15,16 Das umgräftete Gut Haus Nevinghoff liegt am nördlichen Stadtrand von Münster. Der Hof gehörte über viele Jahrhunderte verschiedenen in der Stadt ansässigen Erbmännerfamilien, die neben diesem Gut aber auch noch andere Güter vor der
Stadt besaßen und den Hof durch Pächter bewirtschaften ließen. Von 1781 bis 1974 gehörte das Gut der Familie von Heere-
mann, die es ebenfalls verpachtete. Das Hauptgebäude ist ein Längsdielenhaus mit massiven Umfassungswänden nicht bekannten Alters. 1791 und 1854 wurde das im Kern bis heute erhaltene Gebäude modernisiert und 1979 zur Kantine der
Landwirtschahskammer umgebaut (es wurde bislang nicht baugeschichtlich untersucht). Bemerkenswert ist der außergewöhnlich umfangreiche Wohnteil des Hauses, bestehend aus einer hausbreiten Herdküche und einem fünf Räume (zwei Säle
mit Ofenheizung und drei dahinter befindliche Kammern) umfassendem und unterkellertem Kammerfach (hier dokumentiert
in einem Bestandsplan von 1906 aus den Akten der städtischen Bauverwaltung). Dieses dürfte zur Sommerwohnung oder als
Jagdhaus der Herrschaft vorgesehen gewesen sein. Noch während des gesamten 19. Jahrhunderts bestand in den Pachtverträgen die Bestimmung, dass die Pächter den auf Haus Surenburg lebenden Eigentümern des Gutes der Gebrauch des grö-
ßeren Zimmer im Hauptgebäude vorbehalten müssen. Die Abbildung zeigt das Längsdielenhaus während des Umbaus 1978.
253
254
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
zumindest ihre Hauptwohnung in Delbrück bzw. in
Neuhaus und scheinen daher auf ihrem ererbten Hof
nur eine Sommerwohnung unterhalten zu haben.85 So
wird 1840 berichtet, dass der an dem großen und
vom Pächter bewohnten Bauernhaus von 1577
befindliche Saal einen separaten Eingang habe und
ausschließlich vom Eigentümer genutzt werden dürf-
te.86
Die Motivation für den ländlichen Aufenthalt der
Hofbesitzer ist im Einzelfall unterschiedlich, denn es
lässt sich ein erstaunlich breites Spektrum der Nutzung feststellen. Es kann sich um Dauerwohnungen
(als Altenteil) oder um temporäre Wohnungen han-
deln, etwa um diese beim Aufenthalt in der Som-
merfrische oder als Jagdwohnung zu nutzen. Regelmäßig aber sind es Wohnungen, die keinen eigenen
16 Gut Haus Nevinghoff
abgeschlossenen Haushalt zuließen, sondern die
Versorgung mit Lebensmitteln blieb bei ihnen mehr
oder weniger Aufgabe der Hofpächter.
Bauliche Lösungen zur Unterbringung einer
Wohnung des Verpächters
Nach Betrachtung der Nutzer und der Nutzungen der
städtischen Besitzungen auf dem Land bleibt die
Frage, welche baulichen Lösungen sich für die herrschaftlichen Wohnungen auf ihren Pachthöfen nachweisen lassen. Alle im Münsterland nachweisbaren
Lösungen sind der baugeschichtlichen Forschung
nicht neu, wurden aber bislang teilweise in anderen
sozialen Zusammenhängen gesehen.
Nur selten wurde ein von den Pächtern unabhängiger
Haushalt mit einer eigenen Küche gebildet. Dennoch
dürfte auch hier der Bezug zwischen Pächter und
Verpächter eng geblieben sein, denn erstere haben
sicherlich immer die notwendigen Lebensmittel be-
sorgt und die Vorratskammern gefüllt.
Es gab auf den Pachthöfen höchst unterschiedliche
Lösungen für die Anlage einer herrschaftlichen Som-
merwohnung. Alle Lösungen waren grundsätzlich
davon bestimmt, dass zwei Wohnbereiche für die
unterschiedlichen Haushalte von Pächter und Ver-
pächtervorhanden sein mussten und diese mehr oder
weniger zu trennen waren. Lebte auf dem Pachthof
auch ein Altenteiler, konnte es auch drei Wohnungen
geben. Weitere Wohnbereiche waren für das Personal
der Herrschaft und das Gesinde des Hofes vorhanden.
Das Wohnen in Teilen des Haupthauses der Hofanlage
17 Grundriss vom Hauptgebäude auf dem Gut Haus Ossenbeck bei Drensteinfurt (Kr. Warendorf). Das 1916 abgebrannte
Haupthaus stand auf einem großen umgräfteten Gutshof, der sich über mehrere Jahrhunderte in der Hand von Großkaufleu-
ten in Münster befunden hatte. Zu dem 1910 erstellten Bestandsplan (Archiv Haus Drensteinfurt) hat sich auch eine detaillierte Beschreibung erhalten, die die charakteristischen Merkmale eines Pächterwohnhauses mit herrschaftlicher Wohnung
erkennen lässt: Kern war ein als „westfälisches Bauernhaus" bezeichnetes Längsdielenhaus von Fachwerk. An die dreischiffi-
ge Wirtschaftsdiele schloss sich eine abgetrennte große Herdküche mit nur einer Lucht an; statt der zweiten Lucht gab es
einen abgetrennten Wohnraum. An das unterkellerte Kammerfach mit großer Aufkammer ist ein zweigeschossiges
Wohnhaus mit massiven Umfassungswänden, Satteldach und aufgesetztem Uhrturm angebaut.
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
stellt hierbei nur eine von mehreren Möglichkeiten
dar.
So wurden etwa beim Pachthof Wiggermann (später
Haus Lohfeld) bei Everswinkel (Kr. Warendorf) 1762
die hintersten beiden Zimmer von der Verpachtung
ausgeschlossen (ab 1782 zusätzlich genannt auch
Stallung für die Pferde im Backhaus). 1815 werden
wiederum in einem Pachtvertrag als Ausschluss die
beiden hintersten Zimmer und Stallung für 4 Pferde
genannt; 1858 wird als Ausschluss der Pacht formuliert: das Herrenhaus, Keller unter dem Backhaus,
Bodenraum, Teile der Scheune sowie eine dortige
Bedienstetenstube.
Beim Gräftenhof Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
schloss 1808 die Herrschaft Folgendes von der
Verpachtung aus: Den Saal auf dem Pforthaus (wo
Gottesdienst gefeiert wird) sowie den Saal und zwei
anschließende Schlafkammern im Prinzipalhaus.
Nachdem man 1832 eine neue herrschaftliche Wohnung im Haupthaus hatte errichten lassen, wurden im
nächsten, 1837 abgeschlossenen Pachtvertrag die
Zimmer im Haus hinter der Küche, ferner Teile des
Stalls, der ebenfalls neu errichtete Wagenschuppen
und der Garten ausgeschlossen.
In den verschiedenen bislang aufgefundenen Pachtverträgen wurden auch stets Fragen des Transportes
zwischen dem Land und der Stadt und umgekehrt
geklärt. Hierzu unterhielt man auf den Höfen teilweise umfangreiche Einrichtungen. Als ein erhaltenes
Beispiel sei auf den 1837 neu errichteten und der
Herrschaft vorbehaltenen Wagenschuppen auf Haus
Milte verwiesen.
Die Borg - Der Speicher als Sommerwohnung
Eine eigenständige und zudem sehr alte Form der
ländlichen Sommerwohnung ist der Speicher. Mit seiner Nutzung als Altenteilerwohnung, als Gerichtsort
und für manche weitere Aufgaben hat sich die
Hausforschung schon vielfach beschäftigt. Speicher
oder speicherartige Gebäude hat man aber auch
schon früh als Sommerhäuser genutzt. In der Regel
wurden Speicher solcher Nutzung in der frühen Neuzeit nicht nur im Umkreis von Münster als Borg bezeichnet, ohne dass daraus allerdings noch auf ein zur
Verteidigung fähiges Bauwerk geschlossen werden
kann.87 So unterhielt die Münsteraner Familie Travelmann auf ihrem angekauften, südlich der Stadt im
Kirchspiel Hiltrup liegenden Pachthof Haus Soest
(bzw. Haus Maser) eine seit 1536 genannte Borg.88
Ebenfalls seit 1536 wird im Kirchspiel Hiltrup bei dem
Hof Wegmann Wegmanns Borg genannt, ein umgräftetes Haus mit Garten, das bis in das 17. Jahrhundert
als Sommersitz verschiedener Münsteraner Familien
diente.89 Auch die wohlhabende Familie Warendorf zu
Nevinghof in Münster unterhielt eine schon 1526
genannte Borg östlich der Stadt Münster bei dem
Dorf Handorf.90 Als Hermann von Diepenbrock 1590
sein Gut Haus Buldern (Kr. Coesfeld) verpachtete,
musste der Pächter auch die Versorgung der Tante des
Verpächters zusagen, die auf der Borg, einem umgräfteten Bau, im Dorf Buldern lebte.91
Als Lambert Buck zum Grevinghoff das ihm gehörende Haus Soest bei Münster - Hiltrup im Jahre 1599 auf
zehn Jahre verpachtete, behielt er für sich die Nutzung der Borg sowie eines Stallgebäudes und eines
Bauhauses, während der Pächter Hauptgebäude, Stal-
lung und Schuppen zur Nutzung erhielt. Auch die
späteren Pachtverträge für dieses Gut blieben bei die-
ser Teilung. Nach 1660 wird die Borg als Leibzucht
einer Witwe Buck genutzt und in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts war die Borg des Hofes auch den
neuen Eigentümern Kerckerinck zu Stapel zur Nut-
zung vorbehalten.92
Der zumindest bis in das 17. Jahrhundert regelmäßig
verwendete - aber noch bis in das 19. Jahrhundert
vorkommende - Begriff Borg legt es nahe, einen
engen Zusammenhang zwischen diesen umgräfteten
Speichern und dem andernorts bekannten Phänomen
der „Weiherhäuser" zu sehen.93 Inzwischen sind solche Bauten mit der Bezeichnung „Borg" auch im Umkreis vieler anderer Städte im Norden Deutschlands
nachgewiesen worden.94 In Lübeck ist der fast synonyme Begriff „berchvrede" für solche Sommer- oder
Gartenhäuser schon 1421 als allgemein gebräuchlich
überliefert, wobei es sich hier jeweils um umgräftete
Fachwerkbauten auf einem Hügel handelte. Auch hier
wird dies weniger als tatsächliche Befestigung, sondern eher als bauliches Zeichen für standesmäßige, in
Traditionen eingebundene Lebensformen interpre-
tiert.95 Selbst in Stettin wird mit dem Begriff
„Bergfried" 1529 das gleiche Phänomen beschrie-
ben.96
Im Münsterland war die Bezeichnung „Borg" für
einen bewohnten Speicher - sowohl aus Stein wie
auch aus Fachwerk - allgemein gebräuchlich.97
Insbesondere die auf den großen Bauernhöfen des
Münsterlandes erhaltenen steinernen Speicher fanden schon seit dem späten 19. Jahrhundert das Interesse sowohl der Ortsgeschichte wie auch der Baugeschichte. Während sie über lange Zeit vor allem als
Zeugnisse grundherrlicher Nutzung und davon ausgehend zunehmend als „Fluchtspeicher" für Notzeiten
interpretiert wurden, ist diese Zuweisung 1988 mit
gutem Grund und vielen Belegen widerlegt worden.98
Allerdings blieb die Differenzierung des Besitzstandes
der Höfe mit solchen Speichern wegen der zu dieser
Zeit schlechten Quellenlageweitgehend undiskutiert99
und damit auch die Frage, ob zumindest ein Teil dieser Speicher nicht (auch) als Sommerwohnung durch
die Hofbesitzer oder als ihre Jagdwohnung gedient
habe.100 Abgesehen von den zahlreichen, inzwischen
hierzu vorliegenden und im Folgenden besprochenen
Befunden zur Nutzung einer solchen „Borg" als Sommerwohnung erhält diese Frage inzwischen auch vor
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256
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
18 Gut Haus Wienburg, Wirtschaftsteil (Foto von 1950).
19 Gut Haus Wienburg, Sommerhaus (Foto von 1950).
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
20 Gut Haus Wienburg, Herdstelle im Flett des Wirtschaftsteiles (seitlich vom Rauchfang der Durchgang zum Sommerhaus).
18-21 Das Gut Haus Wienburg liegt am nördlichen Rand von
Münster und befand sich über Jahrhunderte im Besitz einer
der Erbmännerfamilien. Wie bei vielen weiteren Beispielen
wurde es als eine umgräftete Hofanlage angelegt, dessen
Haupthaus ein Längsdielenhaus von Fachwerk war. Das dort
bis um 1960 stehende Haus wurde nach historischen Fotografien im späteren 17. Jahrhundert als Vierständerhaus mit
Wirtschaftsdiele errichtet. Nachdem das Gut schon im späte-
ren 17. Jahrhundert von der Familie von Wintgen erworben
worden war, ließ der in Telgte bei Münster lebende Landrent-
meister und Kammerherr Franz Anton von Wintgen (17101763) an das Haupthaus um 1760 einen neuen Wohnteil
anbauen, der wohl als ländliche Sommerwohnung dienen
sollte. Der eingeschossige Bau erhielt massive Umfassungs-
wände und ein Mansarddach, wies aber im Erdgeschoss nur
21 Gut Haus Wienburg.
einen Wohnsaal mit Ausgang zum Garten und eine unterkel-
lerte Schlafkammer auf, sodass weiterhin die Feuerstelle in
der anschließenden bäuerlichen Küche die Versorgung der
Besucher sicherstellen musste. Neben diesem Sommerhaus
ließ sich von Wintgen auch einen bemerkenswerten Ziergarten mit einer Vielzahl von lebensgroßen Sandsteinfiguren
anlegen. Nachdem die Familie auf das 1788 erworbene Haus
Ermelinghoff (Stadt Hamm) verzog, diente die Wienburg als
eine vom Pächter der Landwirtschaft betriebene Kaffeewirt-
schaft. Die Abbildungen 18 und 19 zeigen den (heute nicht
mehr erhaltenen) Wirtschaftsteil und das angebaute Sommerhaus.
dem Hintergrund anderer neuer Argumente weitere
Nahrung: Bis in die Neuzeit bestand bei zu Erbpacht
ausgegebenen Höfen die rechtliche Trennung zwischen dem Gebäude im Eigentum des Inhabers und
dem nur pachtweise zu erwerbenden Baugrund, wohl
ein wesentlicher Grund für die Dominanz des „Nicht-
steinbaus" auf dem Lande. Auch wenn im Alltag
kaum vorkommend hatte der Pächter bei seinem Abzug das Grundstück vom Gebäude zu befreien, was
nur bei einem Fachwerkbau möglich war: „Ältere
Steinbauten könnten daher auf dem Lande auch ein
257
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Indiz dafür sein, dass sich der Grund und Boden im
freien, alloden Besitz des Bauherren befand bzw. der
entsprechende Bau - etwa die massiven Steinspeicher
auf den Schultenhöfen - nicht vom Pächter, sondern
vom Grundherren errichtet worden sind."10'
Der Begriff „Borg" war auch in der ostwestfälischen
Grafschaft Lippe seit dem 15. Jahrhundert eine der
Bezeichnungen für einen steinernen Speicher, der auf
einem verpachteten Gut stand und der Nutzung
durch die Herrschaft vorbehalten war: 1582 ist ein
solcher Bau den Verpächtern, der in der Stadt Detmold lebenden Kaufmannsfamilie Flörke vorbehalten
tempore pestis und sonst zur Notturfft zu gebrauchen.'02 Den Begriff Borg konnte Stiewe in der Grafschaft Lippe für 28 Objekte sicher nachweisen.'03
Zudem hat er verschiedene Belege einer (temporären)
herrschaftlichen Nutzung vor der Mitte des 17. Jahrhunderts zusammen getragen.104
Turmartige und bewohnbare Speicherbauten sind im
16. und 17. Jahrhundert im Münsterland vielfach er-
1591 gehörte der Hof dem Pfennigmeister Martin
Schnell. Er lebte zusammen mit seiner Ehefrau Anna
von Amelunxen in Münster an zentraler Stelle in dem
Haus Prinzipalmarkt 8. 1594 ließ er das alte Kammerfach mit Küche des Bauernhauses von fünf Gefachen
Länge abbrechen und an der Stelle und in den bestehenden Proportionen einen aber westlich längeren
Neubau mit massiven Umfassungswänden errichten.
Hierdurch erhielt das Haus eine große Flettküche von
vier Fachen und ein weitläufiges Kammerfach von
ebenfalls vier Fachen.107
Der Hof Haus Markfort in Münster-Handorf wurde
1824 als allodes Pachtgut von Johann Hermann Hüffer erworben, um es wie die Vorbesitzer als Sommerhaus zu nutzen.108 Hüffer lebte als Buchdrucker, Verleger und Inhaber des Verlags Aschendorff in Münster. Bis heute wird das Anwesen von dessen Nach-
fahren genutzt. Noch im Jahr des Kaufs wurde das
hier stehende Pächterwohnhaus in der Form eines
Vierständerhallenhauses von Fachwerk weitgehend
erneuert, wobei dieses ein daran anschließendes mas-
richtet worden, wobei ihnen gemeinsam ist, dass sie
nur noch formal an befestigte Bauten erinnern, dieses
aber verdeutlicht, dass es sich um herrschaftlich anmutende Gebäude handeln sollte. Entsprechende Gebäude konnten allerdings innerhalb eines breiten Rahmens unterschiedlichsten Aufgaben dienen, die zu-
sives, einen Raum tiefes Kammerfach als Sommerwohnung der Familie erhielt.109 Es wurde 1896 durch
eine seitliche Erweiterung vergrößert, wo man insbesondere Wirtschaftsräume und eine erstmals abgetrennte eigene Küche unterbrachte.
konnten. Für den Raum um Dortmund konnte Spohn
mehrere Beispiele solcher Bauten auch auf kleinen
Herrensitzen untersuchen, bei denen sich sowohl eine
Nutzung als Altenteilerwohnung wie auch als Absteigemöglichkeit der Eigentümer auf verpachteten Anlagen nachweisen ließ.105 Eine vergleichbare Funktion
liegt auch bei weiteren speicherähnlichen Bruchstein-
Das Torhaus als Sommerwohnung
Die zweite Lösung war, die Wohnung der Herrschaft
in einem Torhaus unterzubringen."0 Allerdings konnten bislang für eine solche Nutzung kaum eindeutige
Belege aus den Schriftquellen beigebracht werden.'"
Als eines der wenigen klaren und anschaulichen Beispiele ist auf das Torhaus auf dem Haus Milte bei
Telgte (Kr. Warendorf) hinzuweisen. Es wurde 1599
dem einem schnellen Wandel unterzogen werden
bauten auf großen Bauernhöfen an der mittleren
Ruhr nahe.106
Es stellt sich daher die Frage, ob die nebeneinander
vorkommenden Begriffe Steinwerk, Borg und Speicher bis zum 17. Jahrhundert nicht auf unterschiedliche Funktionen hinweisen. Ob allerdings die Funktion
jedes Steinspeichers oder jedes „Borg" genannten
Speichers damit ausreichend beschrieben ist, bedarf
trotz der vorliegenden umfangreichen Erfassung
nachweisbarer Bauten noch eingehender archivali-
scher Quellenarbeit.
Das Kammerfach des Pächterwohnhauses
als Sommerwohnung
Wenn es eine herrschaftliche Wohnung im Haupthaus
eines Pachthofes gab, befand sich diese in aller Regel
am sogenannten Wohnende. Trotzdem bot sich hier
ein breites Spektrum baulicher Möglichkeiten:
Haus Westerhaus bei Rinkerode (Drensteinfurt, Kr.
Warendorf) ist ein Gräftenhof, dessen Mittelpunkt ein
großes Vierständerhallenhaus von 1554(d) bildet. Zunächst hatte es eine Länge von neun Gefachen, von
denen fünf zur Wirtschaftsdiele gehörten. Spätestens
als Massivbau an der Innenseite der Gräfte mit einem
über Holzknaggen vorkragenden Satteldach errichtet
und erhielt auf beiden Seiten der mittleren Quer-
durchfahrt jeweils einen größeren Raum. Der östliche
ist unterkellert und offensichtlich ein kaminbeheizter
Wohnsaal, der westliche war als ebenerdige und vom
Hofplatz zugängliche Herdküche eingerichtet. Schon
seit dem späteren 17. Jahrhundert diente das Torhaus
allerdings nicht mehr dem ursprünglichen Zweck,
denn der Wohnsaal wurde nun als Kapelle, die Küche
als Brauküche bezeichnet.
Das Obergeschoss oder einen Teil des Erdgeschosses
eines Torhauses als Sommerwohnung zu nutzen, war
allerdings nur eine von mehreren bekannten Nut-
zungsmöglichkeiten. Die Versorgung der hier Lebenden dürfte zumeist nicht über eine eigene Küche (wie
wohl bei dem Torhaus des Hauses Milte), sondern in
vielen Fällen ebenso wie bei den Sommerwohnungen
im Kammerfach des Bauernhauses durch den Haus-
halt des Hofpächters erfolgt sein. Ohne konkrete
archivalische Hinweise dürfte daher eine solche Som-
merwohnung (ohne eigene Küche) kaum von der
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
Nutzung des Obergeschosses eines Torhauses als
Gerichtssaal oder Versammlungsort abzugrenzen
sein, zumal alle diese Nutzungen mehr oder weniger
ohne Feuerstellen auskamen. Viele der Schultenfamilien trugen besondere Ämter und Funktionen (etwa
als Richter),112 zu deren Ausübung man ebenso die
Torhäuser nutzte. Über die Nutzung des 1547 errichteten Torhauses auf dem Hof Schulte Aldrup bei Greven (Kr. Steinfurt) ist Folgendes überliefert: In seiner
erblichen Funktion als Amtsschulte hatte der Hofinhaber einmal im Jahr alle Bauern, die zu seinem
Amtsbezirk gehörten zu einer Versammlung einzuladen, in der die Abgaben und Dienste besprochen
wurden. Dies soll im Saal des Torhauses geschehen
sein.113 Das zweite Torhaus, das auf einem Bauernhof
des Münsterlandes überliefert ist, wurde 1567/68(d)
auf dem Hof Schulte Dernebockholt bei SendenhorstAlbersloh (Kr. Steinfurt) errichtet. Dessen Inhaber war
Bauerrichter, wobei überliefert ist, dass auch diese
Versammlungen auf dem Saal des Torhauses stattfanden.114 Ob diese Torhaussäle nur für diese jährlich einmalige Nutzung vorgesehen waren, ist allerdings nicht
geklärt.
Freistehende „Lusthäuser" und Gartenhäuser als
Sommerwohnung
Freistehende Lusthäuser auf landwirtschaftlichen Anwesen konnten bislang im erhaltenen Bestand kaum
nachgewiesen werden. Sie sind allerdings gelegentlich aus Nachrichten in den Quellen zu erschließen,
wobei es im Einzelfall fraglich bleibt, ob es sich hierbei um ein „Borg" genanntes Speichergebäude han-
delte oder um ein frei in einem Gartengelände stehendes und wohl auch umgräftetes Sommerhaus
über größerer Grundfläche. Eine gewisse Vorstellung
vermag ein Fachwerkgebäude des 18. Jahrhunderts
auf dem schon mehrmals erwähnten Pachthof Kurze
Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) geben. Es wird
nachweisbar seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts und noch heute als „Borg" bezeichnet. Das
turmartige und in einer Gräfte stehende, aber gegenüber einem Speicher deutlich vergrößerte Gebäude ist
in seiner Nutzung und Geschichte ungewöhnlich gut
durch eine umfangreiche Überlieferung archivalischer
Quellen dokumentiert.115 Danach ist es 1748/50 aus-
drücklich als Sommerhaus an der Stelle eines hier
schon zuvor stehenden Borg genannten Gebäudes
22 Das Sommerhaus Haus Schücking in Sassenberg (Kr. Warendorf) wurde 1754 als „Tusculanum" der in Münster ansässigen Familie im Auftrage des Kanzlers Christoph Bernhard Schücking (1704-1774) nach Plänen des Architekten Johann Conrad
Schlaun inmitten eines weitläufigen Gartens errichtet. Der eingeschossige Backsteinbau mit ausgebautem Mansarddach ist
ganz nach den speziellen Bedürfnissen als Sommerhaus eingerichtet: Zentral ist hierbei der Bezug der Wohnung zum Garten.
Der mittlere Hauszugang führt über einen kurzen Flur zum Gartensaal. Seitlich von diesem Flur liegt vorn links ein Speisezimmer und rechts die Küche. Zum Garten befinden neben dem Saal beidseitig die Schlafzimmer des Hausherren und seiner
Ehefrau (Foto 2008).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
errichtet worden. Das Gebäude sollte in erster Linie
jeweils einem Priester aus der Familie SchefferBoichorst aus Münster zur Verfügung stehen und ihm
für die Vacanz dienen, d. h. in der freien Zeit, der
Freizeit. In der heutigen Form wurde das Gebäude auf
dem alten Sockel schon 1789/91 noch einmal in der
bestehenden Form völlig erneuert. Es ist ein Wohnhaus mit zwei Querwänden, wobei die mittlere Eingangszone auch ein Herdfeuer aufweist, an dem neben der Wärmung der Besucher auch eine Nahrungs-
23, 24 Haus Daerl bei Wolbeck (Münster) war ein kleines freies Adelsgut, was sich schon seit dem Spätmittelalter in der Hand
verschiedener Erbmännerfamilien Münsters befand. Es wurde als Sommerhaus genutzt und die Landwirtschaft verpachtet. Im
Jahre 1705 wurde das Gut von den Reichsgrafen von Merveldt zu Wolbeck erworben. Während er die Landwirtschaft weiter-
hin verpachtete, ließ er 1713 an das Pächterwohnhaus ein kleines pavillonartiges Herrenhaus anbauen, das wohl zunächst
als Jagdhaus diente und später zur Försterei bestimmt wurde. Das angebaute Pächterwohnhaus wurde dann 1836(d) als
Längsdielenhaus von Fachwerk erneuert (nach Bauuntersuchung durch Kaspar, Lammers und Barthold im Jahre 2002).
Erdgeschossgrundriss des Herrenhauses und Pächterhauses: Rekonstruktionszeichnung (I. Frohnert 2013) und Ansicht der
Anlage (2011).
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
25 Für den Fürstbischof von Paderborn wurdet 661 in der Senne ein Jagdhaus in Hövelhof (Kr. Paderborn) errichtet. Es wurde
neben den verpachteten Meierhof gestellt, so dass der Haushalt von dem Bauernhof aus mit versorgt werden konnte. Das
zweigeschossige Fachwerkhaus unter Satteldach war zunächst umgräftet und ist erst später durch einen Vorbau und
Ecktürme erweitert worden (Ansicht von 1984).
Zubereitung möglich war. Zusätzlich diente es bis in
das 20. Jahrhundert der sommerlichen Zusammen-
kunft der weitläufigen Familie Scheffer-Boichorst,
wobei immer auch ein großer Baum- und Blumengarten dazu gehörte.
Für den Dechanten des Domstiftes in Münster wurde
ein solches freistehendes Herrenhaus auf dem
Pachthof Schulze Havichhost bei Münster-Handorf
unterhalten. Nach einer erhaltenen Baubeschreibung
umfasste das zum Garten mit einer Terrasse geöffnete Gebäude um 1640 drei Räume (über einem Keller
ein Zimmer, 2 Kabinetts und eine Terrasse zum Garten). Eine eigene Küche hatte es allerdings ebenfalls
nicht, sodass wohl auch diese Bewohner vom Pächter
des Hofes versorgt wurden.116
Die Grenze zu Gebäuden, die als Jagdhäuser oder
herrschaftliche Sommerschlösser errichtet wurden,
dürfte fließend gewesen sein: 1645 fiel der große Hof
Meier zu Hövel (Hövelhof, Kr. Paderborn) an den
Bischof von Paderborn als Landesherren zurück. Der
Hof wurde fortan als Pachtgut vergeben und war seit
der allgemeinen Verpachtung der landesherrlichen
Ökonomien im Bistum Paderborn 1721 mit dem Sitz
des landesherrlichen Försters für einen Teil der Senne
verbunden.117 Pächter der Anlage waren zuvor in der
Regel Beamte aus der Umgebung des Fürstbischofs.
Über den letzten dieser Pächter, den Kammerherren
von Hanxleden wurde berichtet, der Hof sei seine
„Eremitage" gewesen, da dieser gerne den Eremitenstand liebte und wie Im Himmel mit den Engeln allein
leben wollte."8 Entsprechend dieser besonderen
Nutzung als Sommerfrische wies das Bauernhaus ein
zweigeschossiges Wohnhaus als Anbau vor Kopf des
Hauses auf.119 Der Hof diente darüber hinaus nicht nur
hohen Beamten als Landsitz, sondern Fürstbischof
Dietrich Adolf von der Recke (1650-1661) ließ sich
unmittelbar daneben um 1660 selber ein kleines
Jagdschloss aus Fachwerk errichten. Dieses wurde
umgräftet und erhielt auch mehrere kleine Nebengebäude.120 Während diese wohl der Unterbringung
seines Personals dienten, dürfte auch hier der enge
Zusammenhang des Jagdhauses mit dem benachbar-
ten verpachteten Bauernhof der Versorgung des
Sommerhauses mit Lebensmitteln sowie Futter für die
Pferde u. a. m. gedient haben.
Die kleinere und vielfach genutzte Alternative zu
Land- und Jagdhäusern waren die Gartenhäuser, kleine und kleinste Gebäude, die in einen Garten vor der
Stadt gestellt wurden (hiervon sind - nicht bewohn-
te - Gartenpavillons zu unterscheiden, die man in den
261
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
(1777-1842) zugeschrieben.122 Der Bau hatte in beiden Etagen jeweils einen mittleren achteckigen Saal
von 16 qm Grundfläche und wurde auf zwei Seiten
durch Flügel ergänzt: Der eine nahm einen Vorraum
mit Treppenhaus auf, der andere in beiden Etagen
jeweils einen kleinen Raum, wobei der untere als
Küche, der obere als Schlafraum gedacht gewesen
sein könnte.
Anbauten an das Pächterhaus als
Sommerwohnung
26 Das heute nicht mehr erhaltene Hauptgebäude des benachbarten Meierhofes war ein Längsdielenhaus von Fachwerk. Es wies ein zweigeschossiges Wohnende auf, das dem
Pächter des Hofes als Sommerwohnung diente (Ansicht um
1910).
Gartenanlagen von Herrenhäusern errichtete). Um die
Stadt Münster herum gab es noch in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts einen breiten Ring von Gärten,
deren Zahl auf etwa 1100 geschätzt wird.121 Allerdings
war es in diesen Gartenhäusern nicht möglich, einen
größeren Haushalt zu führen und es gab in der Regel
wohl auch keinen Bauern, der Lebensmittel bereitstellte oder Fahrten und Transporte in oder aus der
Stadt organisieren konnte. Die Gartenhäuser lagen
daher in aller Regel so nahe an der Stadt, dass der
Weg dorthin zu Fuß überwunden und Lebensmittel
aus dem heimischen Haushalt geliefert werden konn-
ten (wohl auch aus dem eigenen Gartenanbau ergänzt). Obwohl die Gartenhäuser bis auf wenige
Reste schon im späteren 19. Jahrhundert den sich
schnell ausbreitenden Städten wichen und der ehemalige Bestand daher weder in seiner Breite bekannt
noch baugeschichtlich näher betrachtet worden ist,
lässt sich schon aus den wenigen dokumentierten Beispielen erkennen, dass sie ein breites bauliches Spektrum aufwiesen. Neben den kleineren, eher an Pavil-
lons erinnernden Beispielen aus Fachwerk oder
Mauerwerk, die wohl nur Sonnen- und Regenschutz
boten, gab es auch größere Gartenhäuser, die mehrere Räume hatten. Solche Gartenhäuser sollten offensichtlich auch längere Aufenthalte und Nutzung durch
ganze Familien ermöglichen.
Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist für Münster
dokumentiert, das in vielem an die Sommerwohnungen auf Pächterhöfen erinnert: Um 1815 wurde vor
dem Neutor nahe der Stadt (heute Wilhelmstraße 11)
ein zweigeschossiger massiver Bau mit mehreren
Räumen und einer anspruchsvollen Gestaltung errich-
tet. Bauherr war möglicherweise der erfolgreiche
Maurermeister und Baumeister Ludwig Falger und der
Entwurf wird dem Architekten Adolph von Vagedes
Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert sind häufig
an das Pächterwohnhaus als Lusthäuser angebaute
Flügel nachweisbar. Sie scheinen die Tradition der
Sommerwohnung im Kammerfach des Pächterhauses
mit dem freistehenden Lusthaus zu verbinden.
Ein solches Lusthaus von etwa 1710 steht auf dem
Hof Haus Daehl bei Münster-Wolbeck: Nachdem Graf
von Merfeldt zu Wolbeck das freie Gut um 1708
erworben hatte, wurde es fortan als Gut verpachtet.
Zudem ließ er dort nach wenigen Jahren ein kleines
Landhaus errichten, das wohl als ländliches Ausflugs-
ziel der umfangreich begüterten Familie oder als
Jagdhaus gedacht war. Es ist ein zweigeschossiger
Backsteinbau über hohem Kellersockel, der den zu
dieser Zeit herrschenden Vorstellungen herrschaftli-
cher Barockarchitektur folgt. Der Querflur mit
Freitreppe zum Garten wird seitlich jeweils von einem
kaminbeheizten Saal begleitet. An das Landhaus
schließt sich seitlich das 1837 erneuerte Pächterwohnhaus als zweischiffiges Längsdielenhaus von
Fachwerk an. Von dessen Küche gibt es eine Verbindungstreppe zum Speisesalon der Herrschaft.
Auf dem umgräfteten Pachthof „Haus Lohfeld"
(Everswinkel, Kr. Warendorf) errichtete man vor dem
Rückgiebel des Pächterwohnhauses ohne Kammerfach 1774 einen zweigeschossigen massiven Anbau,
der sich schon durch seine achteckige Gestaltung der
Front als Gartenhaus ausweist. In beiden Geschossen
nahm der Bau jeweils nur einen achteckigen Saal auf,
wobei die Zugänge von der Küche des Bauernhauses
erfolgten. Bauherrin war die Witwe des Hofkammerrichters Buchholz in Münster, die den Neubau wohl
für ihren Schwiegersohn, den späteren Landrentmeister Johann A. Th. zur Mühlen, ausführen ließ.
Das heute als „Gut Werse" bezeichnete Anwesen
(Münster-St. Mauritz) wurde erst um 1765 auf zusammengekauftem Land durch Johann Caspar Osthoff,
Kanoniker am Martini-Stift in Münster, angelegt. Das
Gutshaus ist eine Baugruppe aus einem zweischiffigen Längsdielenhaus (um 1825 mit Speichergeschoss
versehen) mit einem dazu quer gestellten Wohnhaus.
Dieses nahm in der einen Hälfte die Pächterwohnung
mit hoher Küche auf, während es westlich anschließend als massiv aufgemauerter Flügelbau ausgeführt
ist und dort einen herrschaftlichen Wohnsaal über
hohem Kellersockel aufweist. Der Saal erhielt eine
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
Freitreppe in den Garten und hatte ebenso Verbin-
dung zur Küche des Bauernhauses.
Ebenfalls um 1760 wurde das Gut Haus Wienburg
nördlich der Stadt Münster als Pachthof mit Sommersitz für den Landrentmeister von Wintgen einschließlich eines großen Barockgartens ausgebaut:
Hier wurde an das wie üblich von Fachwerk ausgeführte Längsdielenhaus für den Pächter ein deutlich
abgesetzter herrschaftlicher Wohnbereich angefügt.
Dieser ist als Massivbau unter einem Mansarddach
ausgeführt.
Weitere Arten der Sommerfrische
Abschließend soll noch auf weitere Möglichkeiten für
den sommerlichen Aufenthalt der in der Stadt
Lebenden auf dem Land hingewiesen werden, den es
neben der exklusiven herrschaftlichen Landpartie,
dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen, und
den Gartenhäusern vor der Stadt gab. Hier ist auf die
eher kollektive Landpartie hinzuweisen. Hinter dieser
Formulierung verbirgt sich das Phänomen der ländlichen Gasthäuser und Wirtschaften auf dem Land, die
im Umkreis von Münster in den letzten zwei
Jahrhunderten allgemein als „Kaffeehaus" bezeichnet
wurden. Sie waren das Ziel von Tagesausflügen der
breiten Bevölkerungskreise, die sich kein eigenes
Landhaus leisten konnten. Hierzu boten sich nahezu
alle Bauernhäuser an, sofern ihre Bewohner an einem
Nebenverdienst interessiert waren. Zudem war es eine
Möglichkeit zusätzlichen Umsatzes der an den Straßen
stehenden oder auch zu diesem Zweck eigens errichteter Gasthäuser. Immer musste allerdings ein großer
Ausblick: Sommerwohnungen und
Sommerhäuser werden bis heute errichtet
Güter der beschriebenen Art sind nicht nur in der vorindustriellen Zeit entstanden. Sie wurden bis weit in
das 20. Jahrhundert betrieben und sogar noch neu
errichtet. Hierzu sei nur auf zwei von zahlreichen weiteren Beispielen verwiesen, die ebenfalls in dem klein
gewählten Untersuchungsraum zu finden sind:
In der Mitte des 19. Jahrhunderts unterhielt der Fami-
lienverband der Beamten- und Bankiersfamilie von
Olfers in Münster allein drei Höfe im Umkreis von
Münster, auf denen sich auch herrschaftliche Woh-
nungen bzw. Sommerhäuser zum Sommer-Aufenthalt
befanden: Das schon mehrmals erwähnte Haus Milte
östlich der Stadt bei Telgte, das Haus Runde westlich
(Billerbeck, Kr. Coesfeld) und als Neubau von 1830
das Haus Hohenfeld südwestlich der Stadt (Münster-
Roxel).124 Der Mühlenbesitzer Anton Scheffer-
Boichorst (1821-1893) auf dem Mühlenhof in
Warendorf ließ sich auf dem elterlichen Hof seiner
Ehefrau Anna Maria Schulze Affhüppe vor dieser
Stadt um 1860 ein Sommerhaus errichten. Der einge-
schossige Backsteinbau unter Satteldach ist noch
erhalten.125 Ab 1897 entstand Haus Ostdorsel bei
Telgte (Kr. Warendorf), nachdem Friedrich Wilhelm
von Laer den Hof Schulze Ostdorsel für 90 000 Mark
angekauft hatte. Von Laer (9. Juni 1829 Gut
Oberbehme bei Kirchlengern, Kr. Herford - 10. März
1926 Kassel) hatte ein bewegtes Leben.126 Er ließ den
angekauften Hof zu einem Gutshof und als landwirtschaftlichen Musterbetrieb ausbauen und verpachtete
Garten geboten werden, der längeren Aufenthalt,
Spiel und Vergnügen ermöglichte. Nachdem die
Sommerwohnung auf dem Gut Haus Wienburg, am
nördlichen Rand von Münster gelegen, schon 20 Jahre
nach der Errichtung aus dem Zentrum des Interesses
der Besitzerfamilie geriet, wurde sie seit spätestens
1788 an einen Wirt verpachtet. Bis heute wird hier ein
Landgasthaus mit Gartenbetrieb unterhalten. Auch
das Gut Werse östlich von Münster wurde nach 1870
in ein Kaffeehaus umgewandelt und ebenso ist das
Gut Nachtigall bei Paderborn schon seit Langem zu
einer Ausflugsgaststätte geworden.
Auf eine weitere Erscheinung der Sommerfrischen ist
zumindest noch hinzuweisen: Schon seit spätestens
dem Hochmittelalter war es üblich, im Sommer eine
Reise zu einem Gesundbrunnen „ins Bad" zu unternehmen. Nachweisbar ist die Brunnenreise zumindest
für die städtischen und geistlichen Oberschichten,
doch ist der allgemeine Brauch der Sommerreise auch
für viele der übrigen Bevölkerungskreise zu vermuten.
So gehörte die Nutzung der 5-6 Wochen dauernden
Ernte- und Brunnenzeit im Hochsommer zum verbrieften Recht in der 1801 erlassenen Ferienordnung
des königl. Ober-Appellationsgerichtes von Braunschweig-Lüneburg zu Celle.123
27 Fotografie von etwa 1910 eines heute nicht mehr erhal-
tenen Bauernhauses bei Altenberge (Hof Niemann, östlich
von Hohenholte, Kr. Steinfurt). Der Wirtschaftsteil (rechts)
des Bauernhauses war bis auf die Herdküche und das Kammerfach schon zum Zeitpunkt der Aufnahme abgebrochen.
Erhalten war nur noch der großformatige Anbau, der nach
Ausweis der massiven Umfassungswände und des Mansard-
daches im späten 18. Jahrhundert als Sommerhaus errichtet
worden sein dürfte (aus: Werner Lindner 1912, wie Anm.
161).
263
264
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
28 Das heute nicht mehr erhaltene Gartenhaus an der Wilhelmstraße 11 in Münster, wurde um 1815 als zweigeschossiger
massiver Bau mit mehreren Räumen und einer anspruchsvollen Gestaltung durch einen Bürger der Stadt errichtet. Der Bau
hatte in beiden Etagen jeweils einen mittleren achteckigen Saal von 16 qm Grundfläche und wurde auf zwei Seiten durch
Flügel ergänzt: Der eine nahm einen Vorraum mit Treppenhaus auf, der andere in beiden Etagen jeweils einen kleinen Raum,
wobei der untere als Küche, der obere als Schlafraum gedacht gewesen sein könnte. Rückwärtig wurde später ein kleineres
Wohnhaus angebaut (Abbildung um 1900).
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
29 Das speicherartige Wohnhaus wurde im Jahre 1905 für Josef Brüning als Sommer- und Jagdhaus neben seinem elterlichen und verpachteten Hof Waldmann (Warendorf-Freckenhorst, Hägerort 4) errichtet. Der Bauherr bezeichnete sich selber
als Gutsbesitzer. Die Baupläne erstellte der Regierungsbaurat Kösken, Leiter des Baubüros beim Westfälischen Bauernverein.
Das Gebäude steht in der Tradition der bürgerlichen Landhäuser und wurde in der Form eines kleinen barocken
Sommerhauses, aber in hohen, an einen Speicher erinnernde Proportionen und als Blickfang einer längeren Allee inmitten
einer größeren Gartenanlage errichtet. Die zunächst geplante Anlage einer Gräfte um das Haus unterblieb (Foto 2013).
ihn ab 1899. Im Jahre 1907 ließ er sich dort auch ein
Sommerhaus für sich und seine Familie errichten.
Das Gut Fronhof bei Wolbeck (Stadt Münster) ent-
stand ab 1888, nachdem der Maschinenfabrikant
Wilhelm Bischoff aus Gelsenkirchen den Bauernhof
Schulze Fronhof erworben hatte. Der neue Eigentümer ließ diesen in den nächsten 20 Jahren zu einer
umfangreichen Gutshofanlage mit neuen
Wirtschaftsgebäuden, Villa und weitläufigen
Parkanlagen ausbauen. Der Besitz diente in ganz
klassischer Weise als Geldanlage und zur Aufzucht
von in der Firma benötigter Pferde, aber auch dem
Sommer- und Wochenendbesuch der Familie und
stellte zudem die Versorgung der Familie mit
Lebensmittel sicher.
Sommerwohnungen und Sommerhäuser der Städter
wurden vor dem Hintergrund sich ändernder Verhält-
nisse immer wieder neu entwickelt und gestaltet.
Insbesondere durch den Bau der Eisenbahnen sollte
sich das Verhältnis zwischen Stadt und Land seit der
Mitte des 19. Jahrhunderts grundlegend verändern,
da die Bahnstrecken und die an ihnen liegen Bahnhöfe die Distanzen zwischen Stadt und Land wesentlich verkürzten. Schon wenige Jahre, nachdem die
Nebenstrecke der Eisenbahn von Münster nach Warendorf im Februar 1887 in Betrieb gegangen war, ließen sich Auswirkungen auf die durchfahrene Landschaft feststellen: Etwa zwei Jahre später schuf man
auf Initiative von Jägern aus Münster, die ihre Jagdreviere besser erreichen wollten, zwischen Münster
und Telgte den Haltepunkt Jägerhaus. Schon drei
Jahre später eröffnete der dem Haltepunkt benach-
barte Bauer in seinem Hof eine Gaststätte, die innerhalb der nächsten zehn Jahre zu dem großen Ausflugsgasthaus „Jägerhaus" mit Garten und Saalbau
werden sollte. Nach 1900 folgten dann wohlhabende
Bürger aus Münster, die sich in der Umgebung auf
angekauften Grundstücken Landhäuser, Sommerhäuser oder Wochenendhäuser errichten ließen. Bis zum
Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war diese lockere
Landhaus-Kolonie auf mindestens neun solcher
Anwesen angewachsen.127
Aus ganz anderer Motivation entstand 1936 nordöstlich von Telgte (Kr. Warendorf) ein weiteres Sommerhaus. Hier ließ sich der Kaufmann Theodor Vanden-
hoff, der in Köln-Nippes als Geschäftsführer einer
Industriemühle lebte, ein Landhaus für nur zeitweili-
gen Gebrauch im Sommer errichten. Er stammte aus
265
266
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Rheine an der Ems und hatte für sein Projekt einen
stillen Platz an der heimischen Ems gesucht und diesen schließlich nahe Telgte gefunden. Auf dem sandigen Gelände in naturschöner Gegend ... ließ er sich
ein betont ländliches Sommerhaus... im Stil des westfälischen Bauernhauses errichten. Das Haus folgte
nach der Formulierung im Bauantrag dem Vorbild
eines für das Münsterland traditionellen Längsdielenhauses, allerdings umgesetzt in eine reduzierte Form:
Das unterkellerte Gebäude mit einer Grundfläche von
11,3x7,3 m erhielt aus Tannenholz verzimmerte Fach-
werkwände mit Backsteinausmauerung und ein mit
Falzpfannen eingedecktes Satteldach. Das Giebeldreieck von Fachwerk am Vordergiebel kragt über kleinen
30 Ausschnitt aus dem Bauplan von 1905.
Knaggen vor.128 Die vordere Hälfte des Hauses wird
auf ganzer Breite von einem als Halle bezeichneten
Raum eingenommen, der in seinem Charakter der
Diele eines Bauernhauses mit Herdstelle nachempfun-
den ist: Dieser Hauptraum erhielt als Mittelpunkt in
der Mitte der rückwärtigen Wand eine offene
Feuerstelle mit einem darüber angebrachten Rauchfang in den traditionellen Formen eines westfälischen
Bauernhauses. Hinter der Halle wurden ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer angeordnet. Die Ausstattung des Hauses war zunächst sehr einfach gehalten.
So war neben dem offenen Herdfeuer keine neuzeitliche Kochküche vorgesehen und das Wasser wurde
aus einem nahegelegenen Brunnen geholt.
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
31 Ein Sommerhaus von 1936 in Telgte (Kr. Warendorf). Das kleine Haus wurde für den in Köln-Nippes lebenden Kaufmann
Vandenhoff inmitten eines Waldgeländes errichtet. Der Bauherr wollte nach dem Bauantrag ein einfaches Sommerhaus in
naturschöner Gegend und im Stil des westfälischen Bauernhauses. Das Gebäude zitierte daher die für wesentlich gehaltenen
Elemente ländlicher Architektur: Im Äußeren Fachwerkwände mit Satteldach und Torbogen im Giebel sowie im Inneren einen
Dielenraum mit offenen Herdfeuer (Zustand 2011).
Zusammenfassung
Die vorgestellten, in den Details immer wieder unterschiedlich gestalteten und an das Pächterwohnhaus
angebauten Wohnteile zeigen Gemeinsamkeiten:
Wichtiges Element der Gesamtanlage ist der an den
Wohngiebel des Hauses anschließende Garten. Die
herrschaftliche Wohnung besteht jeweils aus ein oder
zwei Wohnsälen, die regelmäßig einen guten und zumeist repräsentativ gestalteten Zugang zum Garten
aufweisen.
Eine strikte Abteilung der herrschaftlichen Wohnung
von der Pächterwohnung besteht nur in den seltensten Fällen. Zumindest gab es regelmäßig keine eigenen Küchen, sodass die herrschaftlichen Haushalte
wohl von den (also in ihr sommerliches Landleben einbezogenen) Pächtern versorgt blieben. Eine vollständige Trennung der Haushalte setzte sich wohl sogar
erst in der Zeit nach 1900 durch.
Zweifel an bisherigen Thesen zur Nutzung von Wohn-
häusern, Wirtschaftsbauten und als Bauernhäuser
bezeichneten Gebäuden auf dem Land, die sich in der
Hand von in der Stadt lebenden Personen befanden,
werden vor allem durch die Auswertung von Quellen
genährt, die eher zufällig in den letzten Jahren in den
Blick gerieten. Bislang waren die auf den Gütern und
Pachthöfen Stehendenden Bauten in ihrer Bedeutung
auf der Basis vielfach kaum geklärter und oft auch
nicht klärbarer konkreter ökonomischer Hintergründe
interpretiert worden. In der Regel wurde hierbei der
Besitz eines Gebäudes durch eine Person auch gleichgesetzt mit der Nutzung durch diese Person. Dies gilt
für die unterschiedlichen in der Stadt lebenden Kreise,
etwa Kaufleute oder Ärzte, aber auch für den Adel.
Hier von Hallenhäusern der Beamtenaristokratie zu
sprechen - wie Baumeier 1988 den Begriff prägte129 verstellt aber eher den Blick auf konkrete Fragen: Sind
diese Häuser ausschließlich, nur gelegentlich oder gar
nicht von den nachgewiesenen Bauherren bewohnt
worden? Deutlicher dürfte daher zwischen Häusern
von Beamten und Häusern für Beamte zu unterscheiden sein, also zwischen Bauten, die Beamte besaßen
und solchen, die sie bewohnten. Im letzteren Fall ist
zudem zwischen einer Dauerwohnung und einer zeitweiligen Wohnung zu unterscheiden.
Als der zur Münsteraner Oberschicht gehörende Heinrich Warendorf 1575 gestorben war, wurde ein Nachlassverzeichnis seines Besitzes aufgenommen.130 Es
verzeichnete einen großen Stadthof in Münster mit
mehreren Nebenwohnhäusern, das nördlich der Stadt
gelegene Gut Haus Nevinghoff mit einer herrschaftli-
chen Wohnung, das südwestlich von Münster bei
Buldern gelegene und von ihm ausgebaute Gut Giesking mit einem Herrenhaus (mit herrschaftlicher Woh-
nung und Pächterwohnung) sowie einem bewohnbaren Torhaus, ferner eine Borg auf einem Hof bei
Handorf östlich von Münster. Wo befand sich die
267
268
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
32 Das Bauhaus auf der Wasserburg Kakesbeck bei Lüdinghausen (Kr. Coesfeld) wurde 1542 als Längsdielenhaus nach dem
Prinzip eines Vierständergerüstes, aber mit massiven Umfassungswänden errichtet. Das Gebäude steht neben der Zufahrt zur
Vorburg und ist - wie vielfach - mit zwei seiner Wände in die Umfassungsmauer der Vorburg einbezogen. Später ist die hofseitige Traufwand in Fachwerk erneuert worden. Anschließend (heute nicht mehr erhalten) ein ebenfalls massives Wirtschafts-
gebäude mit massiven Umfassungswänden (Foto um 1900).
Wohnung des Erblassers, welche Aufgabe hatten die
allein schon vier nachweisbaren herrschaftlichen
Wohnungen auf seinen verschiedenen Besitzungen?
Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob der
seit 1988 als geklärt geltende Bautyp der „Beamtenhallenhäuser" oder-wie später davon ausgehend all-
gemeiner definiert wurde - der „Hallenhäuser als
Gutshäuser"131 bestand bzw. in seiner Aussage zutreffend ist.132 Wie schon lange in der Literatur beschrieben, besaßen Städter landwirtschaftliche Betriebe mit
sog. Hallenhäusern (also Längsdielenhäuser als
Wohn- und Wirtschaftsgebäude) auf dem Land und
ließen solche Gebäude sogar noch bis weit in das 19.
Jahrhundert neu errichten.
Sie bewohnten diese Häuser auch, doch wohl von
Ausnahmen abgesehen, nicht als ihre Hauptwohnung. Die Bauten dienten zumeist unterschiedlichen
Zwecken. Um ihrer konkreten Nutzung auf die Spur
zu kommen, bedarf es nicht nur einer differenzierten
Klärung aller der auf der Hofstelle zu welchem Zweck
dauernd oder zeitweilig lebenden Personen, sondern
bereichen zu unterscheiden. Es gibt reine Wirtschafts-
bauten, solche, die nur einen Wohnbereich haben die wir gemeinhin als Bauernhaus bezeichnen - und
solche, die zwei Wohnbereiche haben. Darüber hinaus ist danach zu fragen, wie viele Wohnungen der
Eigentümer besaß und wozu diese dienten.
Lage und Anzahl der Wohnräume im Hallenhaus
als Indikator
Nachdem die verschiedenen Nutzer und Bewohner
der Pachtgüter benannt und in ihren Raumbedürfnissen beschrieben wurden, bleibt die Frage, ob sich
Kriterien erkennen lassen, wie die Anlage der im konkreten Fall notwendigen Wohnungen gelöst wurde.
Aus den bislang vorliegenden Befunden scheint sich
abzuzeichnen, dass Wohnungen im Torhaus oder
Speicher ältere Lösungen des vielschichtigen Phänomens sind, während sich seit dem späten 18. Jahr-
hundert vor allem Wohnungen in Anbauten an das
Pächterwohnhaus nachweisen lassen. Dies bedeutet
allerdings, dass entgegen der allgemeinen Sozialge-
auch der Analyse, wie viele Wohnungen oder
schichtsschreibung in diesem Fall die Verbindung von
bäuerlichem und herrschaftlichem Haushalt zu dieser
waren. Bei den der Wirtschaft dienenden Längsdielenhäusern ist zwischen solchen mit und ohne Wohn-
Zeit sogar enger wurde.
Wohnbereiche auf der Hofstelle insgesamt vorhanden
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen 269
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
33, 34 Das ehemalige Kuhhaus auf dem Gut Bexten bei Bad Salzuflen (Kr. Lippe). Der Meier zu Bexten lebte als Verwalter
eines bedeutenden Haupthofes des Bischofs von Paderborn in einer weit über die bäuerliche Kultur hinausreichenden Weise
(1771 wurde der Hof zu einer lippischen Landesdomäne). Einer der vielen großen Bauten auf seiner umgräfteten Hofanlage
wurde als Kuhhaus bezeichnet. Es war nach der 2011 durchgeführten Bauuntersuchung um 1565 (d) als Längsdielenhaus mit
einem Vierständergerüst über einer Breite von 11,50 m und einer Länge von sicherlich 28 m errichtet worden. Beide
Seitenschiffe hatten eine lichte Breite von 2,50 m. Erhalten ist heute nur noch ein Teil, der erkennen lässt, dass die drei letz-
ten Gefache durch eine Querwand abgeteilt waren und einen großen ungeteilten Raum bildeten. Dieser dürfte als
Wirtschafts- oder Brauküche gedient haben. Die Abbildungen zeigen Zeichnungen zur Rekonstruktion des bauzeitlichen
Zustandes (nach Bauuntersuchung Kaspar/Barthold 2011): Grundriss mit Rekonstruktion des erhaltenen Teiles von Längsdiele
und vermuteter Wirtschaftsküche sowie Ansicht vom Giebel und Längswand.
270
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
35-38 Das Bauhaus von Haus Brückhausen (Everswinkel, Kr. Warendorf) wurde 1607 (d) als Längsdielenhaus auf dem Landgut
des in Münster lebenden Landrentmeisters Caspar Höfflinger (um 1560 - 1623) errichtet. Das Gebäude nimmt einen großen
Teil der Nordseite des Wirtschaftshofes ein und stand zur Bauzeit mit nördlicher Traufwand und östlichem Giebel entlang der
den Platz einfassenden Gräfte. Das tragende Hausgerüst ist in seinen wesentlichen Strukturen überliefert, wurde aber später
mehrmals verändert, nach Osten (für eine Wirtschaftsküche) verlängert und nach Westen mit einem neuen massiven Giebel
versehen. Der Kernbau lässt sich noch weitgehend rekonstruieren: Es handelt sich um ein Vierständergerüst von 13 Gebinden
über einer Grundfläche von 24,40 x 13,85 m, das als Durchgangsdielenhaus konzipiert ist. Die über das Tor im westlichen
Giebel befahrbare Mitteldiele erhielt eine lichte Breite von 8,70 m, das nördliche Seitenschiff von 2,50 m und das südliche
Seitenschiff von nur 1,95 m. Beide Seitenschiffe dienten als Ställe mit Bühnen darüber. Ein Wohnbereich bestand in dem
Gebäude nicht. Foto der Gesamtanlage mit Herrenhaus und dem davor stehenden Bauhaus (2011). Die drei Zeichnungen
(Grundriss, Ansicht und Querschnitt) dokumentieren den rekonstruierten Zustand (Bauaufnahme Andreas Eiynck und Fred
Kaspar 1984; Rekonstruktionszeichnung Eiynck 1985; Dendrochronologie 2011 durch Peter Barthold / LWL-Denkmalpflege).
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
I. Das Längsdielenhaus ohne Wohnung bzw. mit
Wohnräumen für das Gesinde: Das Bauhaus
Längsdielenhäuser ohne Wohnung, also reine Wirtschaftsbauten, wurden zumeist als „Bauhaus" oder
einfach als Wirtschaftsgebäude bezeichnet. Daneben
taucht auch immer wieder der Begriff Kuhhaus auf,
der offensichtlich gleichbedeutend mit Bauhaus
gebraucht wird und sich darauf bezieht, dass bis in
das 19. Jahrhundert der Viehbestand eines landwirtschaftlichen Betriebes, vor allem wenn er am Markt
orientiert war, weitgehend aus (Milch-)Kühen und
(Mast-)Ochsen bestand. Weiterhin wurden nach 1600
mit unterschiedlicher regionaler Verteilung auch die
Begriffe Viehhaus oder der teilweise auch inhaltlich
abweichend besetzte Begriff Vorwerk gebraucht.133
Einer der frühesten Nachweise für ein solches Bauhaus auf einem großen Betrieb findet sich im Inventarverzeichnis aus dem Jahre 1450 der Burg Lüdinghausen (Kr. Coesfeld). Hier werden im Bauhaus neben
landwirtschaftlichem Gerät, das der Arbeit in dem
271
272
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
39 Das Haus Münsterstraße 33 in Wolbeck bei Münster wurde 1676 für den fürstbischöflichen Oberjäger Johann Hermann
Scharf errichtet, der als Hausvogt der Burg zu Wolbeck der ständige Vertreter des Landesherren vor Ort war. Das Haus wurde
als Längsdielenhaus mit einer großen repräsentativen Küche und einer unterkellerten Saalkammer als freistehender Bau auf
einem großen Hofgelände am Rande des befestigten Ortes errichtet und dient seit der Zeit um 1800 als Gasthaus und Hotel
(Aufnahme 2012).
großen Wirtschaftsteil diente, auch die üblichen Gerätschaften einer Herdstelle sowie drei einfache Betten verzeichnet. Aus diesen Nachrichten ist zu erschließen, dass das Bauhaus neben der Längsdiele mit
seitlichen Stallungen auch einen in der Gestalt nicht
bekannten Wohnbereich umfasste, in dem in der
Wirtschaft des Schlosses tätiges Gesinde lebte (das
ebenfalls beschriebene Brauhaus hingegen befand
sich neben dem Herrenhaus).134
Auch auf dem Wirtschaftsbetrieb des adeligen Gutes
Haus Hameren bei Billerbeck (Kr. Coesfeld) gab es
1491 ein Kuhhaus, in dem sich auch eine Schlaf-
kammer der Mägde befand.135 Im Jahre 1509 standen
in diesem Bau- oder Kuhhaus, einem Längsdielenhaus
mit zweigeschossigen Stallseitenschiffen, insgesamt
72 Rinder, wobei es für die etwa 12 Pferde und für
tragende Kühe weitere Ställe in getrennten Gebäuden
dass auf beiden Dielenseiten in jedem Fach des
Gebäudes vier Rinder standen, muss schon aufgrund
dieser Zahlen dieses Bauhaus mindestens neun
Gefache lang gewesen sein. Da es aber wohl auch
einen Wohnbereich für die „Bauleute" aufnahm,
dürfte es allerdings noch wesentlich länger gewesen
sein. Als 1608 der herrschaftliche Haushalt in Hameren aufgelöst und der gesamte Betrieb einem Burg-
grafen (Rentmeister) zur Verwaltung übertragen
wurde, wurde diesem seine Wohnung im Bauhaus
angewiesen.138 Das noch erhaltene und 1607 (d) errichtete Bauhaus von Haus Brückhausen (Everswinkel,
Kr. Warendorf) mit seinen 12 Gefachen hatte keinen
Wohnteil, sondern war ein reiner Wirtschaftsbau. Die
Stallbereiche hätten also ausgereicht, um auf jeder
der beiden Seiten jeweils 12x4 Kühe/Rinder, d. h. insgesamt 96 Tiere aufzunehmen.
Es solches hier wie vielfach im Land Lippe als „Vor-
gab.136 Auf diesem adeligen Betrieb arbeiteten zu dieser Zeit insgesamt 48 Personen, die drei unterschied-
werk" bezeichnetes Gebäude für 100 Kühe wurde
denen eine „Bauleutetafel" genannt wurde137. Geht
man bei dem überlieferten Viehbestand davon aus,
dielenhaus mit einer Grundfläche von 15,5x50 m er-
lichen Haushaltungen zugerechnet wurden, von
1690/1708 auf der lippischen Domäne Schieder (Schieder-Schwalenberg, Kr. Lippe) als dreischiffiges Längs-
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
richtet.'39 Auf dem nahebei befindlichen Gut Wöbbel
bestand neben dem Vorwerkhaus 1649 zusätzlich noch
das lange Hauß, Rinderhauß wie man es nennet.140
Auch im östlich anschließenden Niedersachsen wurden entsprechende Bauten als Vorwerk bezeichnet.141
Eines der ältesten noch erhaltenen Beispiele eines solchen Bauhauses dürfte das 1533 (d) errichtete Kerngerüst des heutigen Haupthauses des Gutes Haus
Amelsbüren südlich von Münster sein. Zur Bauzeit des
Gebäudes befand sich das Gut im Besitz der Münsteraner Erbmännerfamilie von Kerckerinck. Das Längsdielenhaus mit hohen Umfassungswänden wurde mit
14 Gebinden über einer Fläche von 31,50x1 1,95 m
errichtet.142
Obwohl nach dem Prinzip des Vierständerhallenhauses ausgeführt, erhielten die Bauhäuser auf den Gütern sowie den Ökonomien der Klöster statt Umfassungswänden aus Fachwerk143 vielfach auch massive
Wände.144 1 555/56 ließ das Stift Langenhorst (Ochtrup/Kr. Steinfurt) ein neues Bawhuiß für insgesamt
605 Rthl. errichten, das aber wohl schon im folgenden Jahr wieder abbrannte.145 Nach den erhaltenen
Baurechnungen wurde es als Längsdielenhaus mit
massiven Umfassungswänden ausgeführt.146 Das
Innere umfasste neben den Ställen auch Küche,
Kammer und Knechtebühne sowie eine Häcksel-
bühne.
1632 wurde das Bauhaus von Haus Giesking bei
Dülmen (Kr. Coesfeld) mit zwei Fachwerk- und zwei
massiven Umfassungswänden errichtet. Hier erhielten
die Stallseitenschiffe auf beiden Seiten der zehn Fach
langen Diele lichte Breiten von etwa 3,40 m. An die
Diele schloss sich eine große, drei Fach tiefe (Brau-?)
Küche und ein zwei Fach tiefes Kammerfach an, das
als Pächterwohnung interpretiert wird.147 Durch Überlieferung der Baurechnungen gut dokumentiert sind
das 1639 auf dem nicht mehr erhaltenen Haus Balken
in Gelsenkirchen-Buer und das um 1740 auf dem
ebenfalls in Gelsenkirchen-Buer liegenden Haus
Leythe errichtete und dort bis heute erhaltene Bauhaus.148 1802 wird das Bauhaus von Fachwerk auf der
Vorburg vom Haus Bevern (Ostbevern, Kr. Warendorf)
beschrieben: Ein Bauhaus mit daranstoßenden Backund Brauhaus, zusammen 16 Fach. Daneben stand
ein Pferdestall von 13 Fachen.149
II. Das Längsdielenhaus mit einer Wohnung:
Bauernhaus oder Pächterhaus?
Landwirtschaftliche Bauten mit nur einer Wohnung
machen den größten Bestand der ländlichen Architektur aus, denn hierzu zählen die Bauernhäuser. Dane-
ben sind hier aber auch die Bauhäuser der großen
Betriebe zu nennen, in denen zusätzlich eine Pächteroder Rentmeisterwohnung untergebracht war. In Ost-
westfalen und im Weserraum werden diese Bauten
seitdem 16. Jahrhundert als „Vorwerk" bezeichnet,150
wobei der Name einer üblichen Bezeichnung für den
gesamten Betrieb entspricht und verdeutlicht, dass es
sich um den zentralen Bau einer Meierei oder einer
Domäne handelt.151
Die unterschiedliche Funktion allein aus baulichen
Befunden abzulesen, mag im Einzelfall möglich
erscheinen, erweist sich aber vor dem Hintergrund
dessen, was sich bei Analyse der konkreten Geschichte vieler Güter und Pachthöfe bislang für unterschiedliche Entwicklungen zeigen lassen, zumeist doch als
gewagt. Nicht selten hat dies in der Vergangenheit zu
fehlerhaften Deutungen der Baubefunde geführt.
Hierzu sei für Westfalen auf das seit nahezu 100
Jahren in der Forschung immer wieder behandelte
Haus Rüschhaus bei Münster verwiesen,152 für
Niedersachsen auch auf das Haus Sondermühlen bei
Melle (Kr. Osnabrück). Seit vielen Jahrzehnten wird -
allerdings ohne konkreten archivalischen Beleg davon ausgegangen,153 dass das dort erhaltene 1576
(d) errichtete Bauhaus von Fachwerk154 mit einem
angeschlossenen massiven Kammerfach das alte
Herrenhaus des Gutsbetriebes gewesen sei.155 Allerdings geschah dieser Schluss ohne genauere Kenntnis
der Besitz- und Nutzungsgeschichte vor dem Hinter-
grund der lange verfolgten These, dass sich das
Bürger- und Herrenhaus aus dem Bauernhaus allein
aus dem Umstand entwickelt habe, dass das auf dem
Gut stehende Herrenhaus „erst" 1678 errichtet worden sei. Zum einen wurde nicht belegt, dass dieses
Herrenhaus keinen Vorgängerbau hatte und zum
anderen wurde nicht gefragt, ob auf dem Gut zuvor
überhaupt dauernd ein herrschaftlicher Haushalt
bestand und daher ein Herrenhaus benötigt worden
wäre.156 Das Bauhaus wurde um 1800 als Administra-
torwohnung bezeichnet und weist damit auf eine
Funktion hin, die mit der Kenntnis der nunmehr bekannten Zusammenhänge auch für die früheren Zei-
ten möglich ist.157
III. Das Längsdielenhaus mit mehreren
Wohnungen: Pächterhaus mit Sommerwohnung
Landwirtschaftliche Bauten mit zwei Wohnungen
konnten sehr unterschiedliche Gestalt bekommen.
Standard scheint gewesen zu sein, die herrschaftliche
Wohnung möglichst entfernt vom Wirtschaftsteil ein-
zurichten und diese an die auch der Herrschaft dienende Küche des Bauernhauses anschließen zu las-
sen. Naheliegend war daher die Lösung, das Haus mit
einem Kammerfach zu versehen und dieses der Herr-
schaft zuzuweisen. In diesem Fall musste allerdings
der Pächter einen Wohnbereich weiter unten im Haus
erhalten, wozu nach den inzwischen vorliegenden
baulichen Befunden oft der Bereich zwischen der
Küche und dem Stall ausgebaut wurde. Offensichtlich
hatte man hierzu schon früh eine räumliche Lösung
gefunden, die sich in entsprechenden Häusern über
mehr als zwei Jahrhunderte nachweisen lässt und als
eine eigene Ausbildung der Raumstruktur des Längs-
273
274
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
40 Das Haus Herfeld bei Wadersloh (Kr. Warendorf) war bis um 1720 ein selbständiger, von der Herrschaft bewohnter
Adelssitz. Das Haupthaus auf dem umgräfteten Hofplatz war 1597 als teilweise zweigeschosisger Fachwerkbau errichtet wor-
den. Nachdem das Gut um 1720 an die Herren auf dem nahegelegenen Schloss Hovestadt verkauft worden war, wurde es
nur noch von Pächtern bewirtschaftet. Zu diesem Zweck hat man das alte Herrenhaus 1721 zu einem Längsdielenhaus mit
aufwändigem Wohnteil umgebaut und es erst damit zu einem ländlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäude umgestaltet
(Aufnahme 2013).
dielenhauses bezeichnet werden kann: Es ist ein
Wohn-Wirtschaftsgebäude für Pachthöfe mit zwei
getrennten Wohnbereichen. Bei diesen Häusern weist
die traditionell große Herdküche des Hauses regelmäßig nur eine hohe Lucht auf, wobei es statt der zweiten Lucht eine Reihe von abgetrennten Wohnräumen
gibt. Auch in dem daran anschließenden Seitenschiff
des Wirtschaftsteils gab es einen oder mehrere weitere Wohnräume, teilweise sogar in beiden Seitenschiffen.
Diese Bauform ist schon verschiedentlich von der
Forschung festgestellt worden, doch reichten die Befunde bisher nicht dazu aus, sie in dem hier beschriebenen Kontext zu sehen. Dies war insbesondere dadurch erschwert, dass konkrete Nutzungsgeschichten
der Bauten wegen fehlender bzw. nicht ausgewerteter Quellen nicht bekannt waren. Baumeier beschrieb
solche Raumstrukturen 1988 erstmals ausführlicher.158
Hierbei wurde allerdings davon ausgegangen, dass
der Eigentümer oder Erbauer eines solchen Hauses in
der Regel auch mit dem Bewohner gleichgesetzt werden könne. Vor dem Hintergrund einer größeren Zahl
durch archivalische Quellen abgesicherter Einzelstudien lässt sich allerdings die Nutzung dieser Bauform
inzwischen genauer bestimmen und darüber hinaus
über mehr als zwei Jahrhunderte als üblich für Wohnund Wirtschaftsgebäuden auf Pächterhöfen nachweisen. Für Baumeier war das Haus auf dem Domhof in
Rheda von 1616 das früheste festzustellende Beispiel.
Da ihm kein älteres Vorbild bekannt war, vermutete
er, dass diese Bauform erst um 1600 entwickelt worden sei. Allerdings scheint das um 1590 (d) errichtete
Haupthaus von Haus Milte bei Telgte ebenfalls schon
einen solchen Grundriss besessen zu haben.
Das Haupthaus auf dem Gut Haus Westerhaus bei
Drensteinfurt (Kr. Warendorf) ist ebenfalls schon
1594/95 (d) fertig geworden: Auch dieses wurde von
einem Pächter bewohnt und hatte eine Sommerwohnung für seine in der Stadt lebende Herrschaft.
Dieses Haus erhielt keine „verbaute" zweite Lucht,
dagegen aber ein sehr großes, möglicherweise mehrere Räume umfassendes Kammerfach (eine Struktur,
wie sie sich in gleicher Weise auch bei dem Haus
Nevinghoff nördlich von Münster findet).
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
Das charakteristische Raumkonzept mit einseitiger
Lucht, einem repräsentativen Kammerfach und
Wohnräumen auch in den Seitenschiffen lässt sich
aber auch bei dem 1642 errichteten Pächterhaus auf
dem Gut Haus Kleine Getter in Münster-Albachten
nachweisen.159 Ebenso hat es das 1721 errichtete
Pächterwohnhaus auf dem Gutshof Haus Horst bei
Waltrop (Kr. Recklinghausen), hervorgegangen aus
einer ehemaligen Kommende der Johanniter zu
Münster und Steinfurt.160 Es dürfte daher als Pächter-
wohnhaus mit einer Sommerwohnung der Johanniter
zu interpretieren sein.161 Selbst das Gutshaus auf Haus
Rüschhaus bei Münster, das 1745/47 nach Plänen von
J. C. Schlaun in massiver Bauweise erneuert wurde, ist
dem um 1590 (d) errichteten Pächterwohnhaus auf
dem Haus Milte bei Telgte unverändert gewählt. Hier
ist die Nutzung zusätzlich durch Quellen belegt: Die
herrschaftliche Wohnung befindet sich hinter der
Herdwand und hat weitere Räume im Obergeschoss.
Die Pächter wohnen im linken Seitenschiff, wobei
deren Wohnräume statt der wiederum nicht vorhandenen südlichen Lucht der großen Herdküche bis an
die herrschaftliche Wohnung heranreichen.
Es ergibt sich damit die Frage, warum man das Konzept nachweisbar über nahezu 300 Jahre beibehielt.
Nach den Quellenbelegen muss davon ausgegangen
werden, dass dies insbesondere in der Haushaltsstruktur begründet ist, bei der die herrschaftliche
Wohnung ohne eigene Küche blieb und die „Be-
trotz seiner ungewöhnlichen architektonischen Gestalt im Inneren nach diesem Prinzip ausgeführt. Das
Konzept wurde noch bis in das 19. Jahrhundert weitgehend unverändert fortgeführt: Hierfür steht das
1828 weitgehend erneuerte Haus Lohfeld bei Everswinkel (Kr. Warendorf), das als Pächterwohnhaus mit
herrschaftlicher Sommerwohnung belegt ist.
Die gleiche Raumstruktur wurde auch noch 1833 bei
der weitgehenden Neugestaltung des Wohnteils an
Sommerwohnung aufgegeben zu haben.
Anmerkungen
die Einleitung bei Hugo Kempkes/Gerhard Theuerkauf/Man-
verhältnisse im Münsterland bietet noch immer Julius
fred Wolf, Die Lehensregister der Bischöfe von Münster bis
1379. Münster 1995.
1 Eine erste kurze Übersicht über die verschiedenen Rechts-
Schwieters, Die Bauernhöfe des östlichen Theils des Kreises
Lüdinghausen. Münster 1888, S. 3-13; weiteres Allgemeines
bei Werner Rösener, Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und
ländliche Gesellschaft im Mittelalter. München 1992; Peter
llisch, Aspekte der mittelalterlichen Agrargeschichte, in: Sen-
den. Eine Geschichte der Gemeinde Senden mit Ottmarsbocholt, Bösensell und Venne. Senden 1992, S. 17-160 bie-
tet S. 17-23 einen guten Überblick; Leopold Schütte, Die
Verfassung ländlicher Siedlungen in Westfalen vor 1800 im
Spiegel ihrer räumlichen Struktur, in: Claudia Maria Korsmeier (Hg.), Leopold Schütte: Schulte, Weichbild. Bauernschaft. Ausgewählte Schriften zu seinem 70. Geburtstag.
Bielefeld 2010, S. 17-46.
2 Einen Überblick über den Forschungsstand bietet Werner
Rösener, Grundherrschaft und Bauerntum im hochmittelal-
terlichen Westfalen, in: Westfälische Zeitschrift 139, 1989,
S. 9-41.
3 Die Rechtsgrundlage des Lehnsrechtes war seit dem 13.
Jahrhundert der Sachsenspiegel des Eike von Repgow.
4 Mark Mersiowsky, Niederadel, Großbauern und Patriziat.
Soziale Dynamik im spätmittelalterlichen Westfalen, in: Kurt
Andermann/Peter Johanek (Hg.), Zwischen Nicht-Adel und
Adel. Stuttgart 2001, S. 239-284. Er weist S. 262-263 darauf
hin, dass es sich hierbei vielfach um Einzelhöfe handelte, die
erst seit dem 12. Jahrhundert außerhalb der bisherigen
Villikationsordnung gegründet worden waren.
5 Zur Geschichte des Lehenswesen im Münsterland s. Gerhard Theuerkauf, Das Lehnswesen in Westfalen, in: Westfäli-
sche Forschungen. 17. Münster 1964, S. 14-27; s. jetzt auch
sucher" des Hauses durch die Pächterfamilie versorgt
wurden. Daher waren beide Wohnbereiche funktional
verbunden und auf die gleiche Küche bezogen und
mussten daher auch nebeneinander liegen.
Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts scheint man
diese „traditionelle" Grundrissform mit gemeinsamer
Küche für den Pächter und die herrschaftliche
6 Hierzu der breite Forschungsüberblick bei Mersiowsky
2001 (wie Anm. 4), hier insbesondere S. 251-255.
7 Peter llisch, Untergegangene Adelssitze in den Kirchspielen
Darup, Nottuln und Billerbeck - Beiträge zur Geschichte des
Niederen Adels im Münsterland, in: Geschichtsblätter des
Kreises Coesfeld. 15/ 1990, S. 55-75.
8 Theuerkauf 1964 (wie Anm. 4), S. 23.
9 Theuerkauf 1964 (wie Anm. 4), S. 26-27.
10 Gerhard Theuerkauf, Land und Lehnwesen vom 14. bis
zum 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Verfassung des Hochstifts Münster und zum nordwestdeutschen Lehnsrecht. Köln
1971. Die starke Fluktuation konnte inzwischen beispielhaft
für das Kirchspiel Hiltrup südlich von Münster dokumentiert
werden (s. Volker Jarren, Hiltruper Höfe und Familien im
Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Bielefeld 1999, S. 3640).
11 Dennoch wurde bislang bei dem Phänomen der Gräftenhöfe kaum berücksichtigt, um welche Art des Besitzes es
sich bei ihnen handelte. Nahezu die Hälfte der Höfe, die
Bockholt und Weber behandelten, sind freie Pachtgüter und
nicht zu Erbpacht vergebene „Bauernhöfe" gewesen (Werner Bockholt/Peter Weber, Gräftenhöfe im Münsterland. Eine
ländliche Siedlungsform an acht ausgewählten Beispielen.
Warendorf 1988). In der Detailstudie für das Kirchspiel
Hiltrup bei Münster konnte festgestellt werden, dass nahezu
alle der dort vorhandenen Gräftenanlagen zu freien Gütern
und Anlagen im herrschaftlichen Besitz gehörten, s. Jarren
1999 (wie Anm. 10), S. 58-60.
12 Die ältere Forschung ging davon aus, dass es einen engen
275
276
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Zusammenhang zwischen städtischem Patriziat und freiem
ländlichen Besitz gab und dieser wohl ihr älterer Besitz war
(Theodor Tophoff, Verzeichnis der münsterischen Erbmänner
19 Mehrere Triftwege von den Küsten trafen sich in Münster
und gingen weiter über Drensteinfurt und Dortmund. Weitere Driften führten östlich an Münster vorbei von Osna-
und deren Güter, in: Westfälische Zeitschrift. 35. Münster
brück über Warendorf und Ahlen. „Münster selbst war sei-
1877, S. 119-126, hier S. 125; Werner Wittich, Altfreiheit
und Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachen, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band 4 /
nerzeit der bedeutendste Viehumschlagsplatz Westfalens.
Seine Bürger waren so stark am Ochsenhandel beteiligt, dass
man in Köln unter einem Münsterer schlechthin einen Och-
1906, S. 1-127; Wilhelm Arnold, Zur Geschichte des
senhändler verstand" (Heinz Wiese/Johann Bölts: Rinderhan-
Eigentums in den deutschen Städten. Basel 1861, S. 9).
Jüngere Arbeiten sehen die Herkunft der Münsteraner
Erbmänner in den frühen Kaufleuten der Stadt, die ihren
biet vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1966, S. 33).
Landbesitz erst später erworben hätten (Wolfgang Weikert,
Erbmänner und Erbmännerprozesse. Ein Kapitel Münster-
scher Stadtgeschichte. Münster 1990, S. 33-38; Rudolfine
Freiin von Oer, Der münsterische „Erbmännerstreit". Zur Pro-
blematik von Revisionen reichskammergerichtlicher Urteile.
del und Rinderhaltung im nordwesteuropäischen Küstenge-
20 Peter Johanek, Handel und Gewerbe, in: Franz-Josef
Jacobi: Geschichte der Stadt Münster, Band 1. Münster
1993, S. 635-682, hier S. 662-663.
21 Othmar Pickl, Routen und Organisation des innereuropäi-
schen Handels mit Schlachtvieh im 16. Jahrhundert, in:
Alexander Novotny/Othmar Pickl (Hg.), Festschrift Hermann
Köln 1988, S. 6). Darüber hinaus gingen viele dieser - im
Wiesflecker. Graz 1973, S. 143ff. und S. 160. Zur Auswir-
Auflösungsprozessen der hochmittelalterlichen Villikationen
bäuerliches Selbstbewusstsein in der Wesermarsch vom 17.
Unterschied zu den einfachen, als hove bezeichneten
Siedlungsstätten - als curia bezeichneten Höfe aus dem
hervor.
13 Franz Irsigler, Die Auflösung der Villikationsverfassung
und der Übergang zum Zeitpachtsystem im Nahbereich niederrheinischer Städte während des 13./14. Jahrhunderts, in:
Hans Patze (Hg.), Die Grundherrschaft im späten Mittelalter,
Band I. Sigmaringen 1983, S. 295-31 1.
14 Zur jüngeren Forschung in Nordwestdeutschland zum
Thema: G. Ulrich Großmann (Hg.), Adelshöfe in Westfalen.
München und Berlin 1989; Michael Sprenger, Bürgerhäuser
und Adelshöfe in Rinteln. Marburg 1995; Der Adel in der
Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg
1996.
15 s. hierzu Mark Mersiowsky, Das Stadthaus im Rahmen der
kung des Ochsenhandels auf die bäuerliche Kultur auch
Christine Aka, Bauern, Kirchen, Friedhöfe. Sachkultur und
bis zum 19. Jahrhundert. Cloppenburg 2012, S. 66-68.
22 1530 betrieben die Ochsenhändler Johann Panßer und
Johann Graweloe aus Münster eine eigene Ochsenmast auf
Ländereien, die sie von dem der Münsteraner Erbmännerfamilie Travelmann als Lehen gehörenden Haus Soest (süd-
lich der Stadt im Kirchspiel Hiltrup) angepachtet hatten. Auf
dem Hof unterhielt die Familie Travelmann offenbar auch ein
als „Borg" bezeichnetes Sommerhaus (Jarren 1999 [wie
Anm. 10], S. 140, 227). 1605 verkaufte der münstersche
Viehhändler Bernd Lohmann dem Landesspital Haina in
Nordhessen 13 westfälische Kühe und 1612 verkaufte er in
Paderborn 21 münstersche Kühe (Ekkehard Westermann,
Zur Erforschung des mitteleuropäischen Ochsenhandels der
spätmittelalterlichen adeligen Wirtschaft, in: Der Adel in der
frühen Neuzeit (1480-1620) aus hessischer Sicht, in: Zeit-
Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg
1996, S. 199 - 214; Holger Rabe, „so haben auch etzliche
von Adel, die daherumb in der Nachbarschaft wohnen, in
Frankfurt/Main 1975, S. 1 - 31, hier 28ff. und Anlage IV). Bei
dieser Stadt ihre Handelung ...". in: wie zuvor, S. 261-277.
16 Erich Mulzer, Vor den Mauern Nürnbergs. Kunst und Geschichte der Vorstädte. Nürnberg 1961; Gabriele von Trauch-
burg, Häuser und Gärten Augsburger Patrizier. München
schrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie. Band 23.
diesem Viehhändler dürfte es sich um den auch als Bernd
Loißmann oder Loussingk genannten Kaufmann handeln,
der 1508 das in der Stadt exponierte Haus Alter Steinweg 1/
Alter Fischmarkt am Ende des Prinzipalmarktes erwarb. Seine
dort noch im 18. Jahrhundert lebenden Nachfahren verleg-
2001.
ten sich später auf den Weinhandel, einen ebenfalls kapital-
17 Tophoff 1877 (wie Anm. 12), S. 125, zählte 33 Güter im
Besitz der Erbmänner auf. Der heutige Stand der Forschung
serbuch der Stadt Münster Band 4]. Münster 2010, S. 41-
ist in einer Karte zusammengefasst in: Münster 800-1800.
1000 Jahre Geschichte der Stadt, Münster 1985, S. 191. Zu
den Besitzungen, die Erbmännerfamilien im Jahre 1700 in
die Matrikel der landtagsfähigen Güter eintragen lassen
wollten: Marcus Weidner, Die Matrikel der landtagsfähigen
Häuser des Fürstbistums Münster, in: Westfälische Forschun-
intensiven Fernhandel (Ralf Klötzer, Alter Steinweg [= Häu42).
23 Landesamt für Agrarordnung Nordrhein-Westfalen (Hg.),
Münster und seine Landschaft 793-1993, Düsseldorf 1993,
S. 51-55.
24 Landesamt für Agrarordnung 1993 (wie Anm. 23), S. 53.
Werner Dobelmann, Kirchspiel und Stift St. Mauritz in Müns-
gen. 147. Paderborn 1997, S. 93-178, hier S. 126.
18 Neben verschiedenen Studien zu einzelnen Familien ist
ter. Münster 1971, S. 54-55 und 59-60.
25 Raban von Spiegel von und zu Peckelsheim, Geschichte
für das Münsterland ungewöhnlich viel zu diesem Thema zu
finden in der zahlreiche Archive und Quellen berücksichti-
Honselmann, Piun - Bühne: Kulturgeschichte eines Dorfes in
genden Studie von Marcus Weidner, Landadel in Münster
1600-1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürst-
bischof. Münster 2000 (2 Bände).
der Spiegel zum Desenberg. Privatdruck 1956; Wilhelm
Ostwestfalen. Paderborn 1990.
26 Hierzu ausführlich Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 465468.
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
27 Bestimmt wird diese Kenntnis weniger durch eine syste-
39 1814 folgte der Neubau des Backspeichers für 949 Rthl.
und 1845 der Bau eines Holzhauses für 120 Thl.
matische Erfassung des überlieferten Bestandes, als vor
allem durch die langjährige Tätigkeit des Autors im Bereich
40 Helmut Richtering, Die Grundherrschaft Vischering, in:
der Denkmalerfassung und der baugeschichtlichen Grundla-
Burg Vischering. Wehrburg und Wohnsitz. Dülmen 1993,
genforschung zur Vorbereitung anstehender Baumaßnah-
S. 48-62, hier S. 53 und S. 60-61.
men.
41 Sonja Michaels, Leben auf einem Adelssitz im Niederstift
28 Dobelmann 1971 (wie Anm. 24), S. 30-41, hier S. 33-34.
Münster. Bauen, Wohnen, Arbeiten und Haushalten auf
29 Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 59.
Burg Dinklage zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Clop-
30 Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das seit dem 16.
Jahrhundert allode Gut Ossenbeck nordwestlich von Dren-
penburg 1998, S. 301-304.
42 Peter llisch, Zum Leben von Knechten und Mägden in
steinfurt (Kr. Warendorf). Es befand sich im Besitz einer in
vorindustrieller Zeit, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für
der etwa 20 km nördlich liegenden Stadt Münster lebenden
Volkskunde. 22. Münster und Bonn 1976, S. 255-265, hier
Besitz einer in dem ebenfalls etwa 20 km südlich liegenden
S. 256. Vgl. auch Peter llisch, Haus Hameren um 1500, in:
Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. 7. Coesfeld 1982, S.
Hamm lebenden Familie. Hierzu: Clemens Steinbicker, Her-
7- 19, hier S. 8.
ren und Pächter auf Ossenbeck, in: Auf Roter Erde, 45 Jg.
Münster 1989, S. 9-11 und 15-16.
43 llisch 1976 (wie Anm. 42), S. 258.
31 Sie konnten in den letzten Jahren durch den Autor in pri-
Oberstift Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 28,
vater Überlieferung erschlossen und aufgearbeitet werden.
wies darauf hin, dass Torhäuser auch die „Rentei" enthalten
32 Diese Güter sind in den letzten Jahren im Zuge denkmal-
konnten. Herr von Oer, der erste Landrat des Kreises Oelde,
pflegerischer Arbeit durch Fred Kaspar und Peter Barthold
legte noch um 1820 sein Büro im Torhaus seines Gutes Haus
baugeschichtlich untersucht worden (bei Haus Westerhaus
Nottbeck an (Oelde, Kr. Warendorf).
zusammen mit Axel Böcker - jetzt Saarbrücken). Ausführliche Dokumentationen zu diesen Gütern auch in den fol-
45 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch in 16
Erbmännerfamilie und kam danach durch Heirat in den
genden Aufsätzen.
33 Hierzu ausführlich die Einleitung des Autors zu diesem
Aufsatzband.
44 Schon Karl-Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im
Bänden. Leipzig 1854 ff. Band 16. München 1984, Spalte
1526-1527. Der Begriff erlebte zwar im 19. Jahrhundert
einen Bedeutungswandel - etwa als Bezeichnung für einen
heilklimatischen Kurort - ist allerdings keinesfalls erst zu die-
34 Ein eindringliches und gut dokumentiertes Beispiel ist die
Familie der Meier auf dem Schönhof zu Wiedenbrück. Sie
ser Zeit allgemein gebräuchlich geworden. Hiervon geht
lebten zwar in einer sozial besonderen Stellung innerhalb der
„Die Entstehung dieser bürgerlichen Praxis [Nutzung von
Sommerfrischen] ist ein Kind der Moderne" schreibt Daniela
Stadt, aber zu Erbpacht auf dem zu Lehen vergebenen Hof.
Vgl. Bruno H. Lienen, Geschichte des Schönhofes, in: Stefan
Baumeier/Kurt Dröge (Hg.), Beiträge zur Volkskunde und
Hausforschung. Band 3. Detmold 1988, S. 11-56.
allerdings die jüngere Literatur zur Tourismusgeschichte aus:
Seidl, Ein Ort und eine Zeit für die Familie. Bürgerlicher
Familienurlaub von der „Sommerfrische" zum Ferienhaus,
in: Voyage. Jahrbuch für Reise- und Tourismusforschung. 8.
München 2009, S. 46-56, hier S. 47. Ähnlich auch bei
35 Die rechtlichen Grundlagen der sich langsam entwickelnden Praxis wurden im Fürstbistum Münster in der 1783 erlas-
Andreas Mai, Touristische Räume im 19. Jahrhundert. Zur
senen Erbpachtordnung zusammengefasst. Hierzu: Bernhard
Entstehung und Ausbreitung von Sommerfrischen, in:
Schulze Pellengahr und Freiherr von Freusberg-Steinhorst,
Die Schultenhöfe Steinhorst und Aldrup in Fürstbistum
Münster in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Frank-
furt am Main 2011, S. 81-85.
36 Schwieters 1888 (wie Anm. 1), S. 6.
37 Vgl. etwa die Liste der Pachtpreise aller Güter, Höfe und
Pachtkotten, die zum Besitz des Münsterschen Studienfonds
gehörten: Wilhelm von Laer, Die Entwicklung des bäuerlichen Wirtschaftswesens von 1815 bis heute. Erster Abschnitt: Die wirtschaftlichen Verhältnisse, in: Engelbert Freiherr von Kerckerinck zur Borg (Hg.), Beiträge zur Geschichte
des westfälischen Bauernstandes. Berlin 1912, S. 164-223,
hier S.197 und 223.
38 Hinzu kamen die Versorgung von zwei Pferden sowie die
Bereitstellung von Lebensmitteln, was wohl mit dem noch im
frühen 19. Jahrhundert auf dem Hof nachweisbaren herrschaftlichen Haus als ein Sommerhaus für den Domdechan-
ten Zusammenhängen dürfte, s. Stiftung Westfälische Land-
schaft (Hg.), Gut Havichhorst - ein Porträt. Münster 2002,
S. 9 sowie 18-19.
Werkstatt Geschichte. 36. Essen 2004, S. 7-23.
46 Überblick über die umfangreiche Literatur zum Thema die allerdings zumeist von einem Aufblühen des Phänomens
erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgeht - bietet etwa
Willibald Rosner, Sommerfrische. Aspekte eines Phänomens.
Wien 1994; Wiebke Kolbe, Christian Noak und Hasso
Spode, Tourismusgeschichte(n) Voyage. München 2009.
47 Cord Meckseper, Kleine Kunstgeschichte der deutschen
Stadt im Mittelalter. Darmstadt 1982, S. 134-135.
48 Dietrich von Steinen, Westphälische Geschichte, Zweiter
Theil. Lemgo 1755, Kapitel 12-14, S. 1291-1292.
49 Christoph Metzger, Ulrich Heiß und Anette Kranz, Land-
sitze Augsburger Patrizier. München 2005; Gabriele von
Trauchburg, Häuser und Gärten Augsburger Patrizier. München 2001.
50 R. Freitag-Stadtler, Herrensitze im Bereich der Reichsstadt
Nürnberg unter Berücksichtigung des Problems der Weiherhäuser. Erlangen 1973; Robert Giersch, Herrensitze im Nürn-
berger Reichswald, in: Herbert May/Markus Rodenberg
(Hg.), Der Reichswald. Holz für Nürnberg und seine Dörfer.
277
278
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Bad Windsheim 2013, S. 120-145.
61 Michael Scheftel, Holz- und Steinbau am Beispiel der
51 Hierzu die Ergebnisse der baugeschichtlichen Tagung mit
Lusthäuser des Klerus und der vermögenden Bürgerschaft im
verschiedenen Beiträge, die in einem Sammelband zusam-
späten Mittelalter und der frühen Neuzeit in Lübeck, in:
mengefasst wurden: G. Ulrich Grossmann (Hg.), „Stadt und
Land. Novationen und Novationsaustausch am Zürichsee"
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des
(= Jahrbuch für Hausforschung. 45). Marburg 1997.
217.
52 Friedrich von Klocke, Das Patriziatsproblem und die
62 Michael Hecht, Patriziatsbildung als kommunikativer Pro-
Werler Erbsälzer. Münster 1965, hier insbesondere die Doku-
zess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittel-
mentation der seit spätestens seit dem 15. Jahrhundert
alter und Früher Neuzeit. Köln 2010, hier S. 288-295.
nachweisbaren Landgüter im Raum von Werl S. 274-286.
63 Solche insbesondere von stilgeschichtlichen und formalen
53 Hierzu folgender Beitrag von Kaspar.
Überlegungen geprägte Thesen finden sich vielfach in der
54 Eine Erfassung und kurze Beschreibung aller herrschaftlichen Sitze im Umkreis der Stadt Hamm bei: Helmut Richte-
Literatur und stellen die Nutzung eines Gebäudes als Som-
ring, Adelssitze und Rittergüter im Gebiet der Stadt Hamm,
Markowitz, Zur Formensprache des Gartenhauses in
Mittelalters und der Neuzeit. 24. Paderborn 2012, S. 209-
merhaus der Nutzung als Gartenpavillon gleich. Hierzu Irene
in: Herbert Zink (Hg.), 750 Jahre Stadt Hamm. Hamm 1976,
Deutschland. Köln 1955. Hierauf bezieht sich vielfach noch
S. 115-160. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass in
Uta Ribbert, Unser Weg ins Paradies. Gartenhäuser in Müns-
der Neuzeit viele der Sitze in die Hand der städtischen
ter und im Münsterland. Münster 2013, so etwa S. 24.
Oberschicht gelangten, die hier seit dem 17. Jahrhundert aus
dem preußischen Beamtentum bestand.
64 Tophoff 1877 (wie Anm. 12); Andreas Henkel, Beiträge
zur Geschichte der Erbmänner in der Stadt Münster. Borna-
55 Friedrich von Klocke, Alt-Soester Bürgermeister aus sechs
Leipzig 1910; Karl-Heinz Kirchhof, Die Erbmänner und ihre
Jahrhunderten, ihre Familien und ihre Standesverhältnisse
(= Studien zur Soester Geschichte. 2). Soest 1927.
Höfe in Münster. Untersuchungen zur Sozial-Topographie
einer Stadt im Mittelalter, in: Westfälische Zeitschrift, 11.
Band. Münster 1966, S. 3-26; ders.: Die Münsterischen Erb-
56 Fred Kaspar (Bearb.), Bau- und Kunstdenkmäler von
Westfalen, Band 50: Stadt Minden, Teil 1. Essen 2003, S.
393-397 mit weiterführenden Hinweisen. Vgl. auch die
exemplarische Untersuchung von Peter Barthold, Der Wen-
männer, in: Klaus Meyer-Schwickerath (Hg.), Der Landkreis
Münster 1816-1966. Oldenburg 1966, S. 32-33; Rudolfine
von Oer, Die Münsterischen Erbmänner, in: Helmut Richte-
trupsche Freihof in Hille-Rothenuffeln. Zum Aufstieg und
Niedergang einer Mindener Beamtenfamilie, in: Der Adel in
der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg
ring (Hg.), 1688-1988 Dreihundert Jahre Stiftung Rudolph
von der Tinnen. Münster 1988, S. 1-14; Wolfgang Weikert,
1996, S. 37-58; Beitrag von Peter Barthold in diesem Band.
scher Stadtgeschichte. Münster-New York 1990.
57 Ellynor Geiger, Die soziale Elite der Hansestadt Lemgo
65 Das Thema wurde z. B. bei der 1993 in Münster durchge-
und die Entstehung eines Exportgewerbes auf dem Lande in
der Zeit von 1450-1650. Detmold 1976, S. 108-113; Günter
Rhiemeier, Das adelige Gut Leese, in: Lippische Mitteilungen.
73 /2004, S. 109-132; Heinrich Stiewe, Der Traum vom
Rittergut: Bürgerliche Landsitze in Lippe, in: Arbeitskreis für
Hausforschung (Hg.), Wuppertal, das Bergische Land und
der Hausbau im 19. Jahrhundert (= Jahrbuch für Hausforschung. 55). Marburg 2013 (im Druck).
58 Christian Hoffmann, Die Warburger Patrizierfamilie
Erbmänner und Erbmännerprozesse. Ein Kapitel münster-
führten Tagung „Adel und Stadt" nicht angesprochen (Gun-
nar Teske [Hg.], Adel und Stadt. Vorträge auf dem Kolloquium der „Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e.V".
1993 in Münster. Münster 1998). Inzwischen liegt hierzu für
die frühe Neuzeit die ungewöhnlich breit angelegte Arbeit
von Weidner 2000 (wie Anm. 18) vor, die allerdings die städ-
tischen Wohnhöfe der Schicht in den Blick nahm, die
Landsitze hingegen meistens nur erwähnte und nicht in ihrer
baulichen Entwicklung untersuchte.
Reuber und das adelig-freie Landgut Engar, in: Westfälische
66 llisch 1992 (wie Anm. 1), S. 112-113.
Zeitschrift 151/152, 2001/2002, S. 259-320.
59 Der fürstbischöfliche Richter Johann von Derenthal er-
67 Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 369-371.
68 Martina Bäcker, 1 171-1996. 825 Jahre Albersloh.
warb 1680 ein Gut in Borgentreich-Körbecke, wo seine
Sendenhorst 1996, S. 88-90.
Nachfahren 1742 das bis heute erhaltene Gebäude errichte-
69 Mummenhoff 1951 (wie Anm. 44), S. 263-264; Franz
ten. Die Familie hatte auch Güter in Borgentreich-Borgholz
Mühlen, Der Speicher des Hofes Sieverding bei Altenberge,
und Borgentreich-Natzungen. Die Familie von Geismar besaß
schon ab 1410 den Dalpenhof bei Borgentreich-Lütgeneder
und ab 1553 auch Landbesitz in Warburg-Dössel. Dort errichtete man dann 1667 ein dauernd bewohntes Gut.
60 Hierzu die verschiedenen Beiträge in dem Sammelband
von Bärbel Sunderbrink (Hg.), Der Schlosshof. Gutshof Gasthaus - Jüdisches Lager. Bielefeld 2012. Ferner Lutz Vol-
mer, Bautätigkeit von Bürgern auf dem Lande im preußischen Westfalen. Das Umfeld von Bielefeld im 17. bis 19.
Jahrhundert, in: Arbeitskreis für Hausforschung. 2013 (wie
Anm. 57).
eine Villa des münsterschen Jesuitenkollegs, in: Westfalen,
Band 56. Münster 1978, S. 111-119; zur Besitz- und Nutzungsgeschichte des Hofes im 16. und 17 Jahrhundert s. ins-
besondere Andreas Eiynck, Steinspeicher und Gräftenhöfe -
Aspekte der Bau- und Wohnkultur der großbäuerlichen
Führungsschicht des Münsterlandes, in: Günter Wiegelmann/Fred Kaspar (Hg.), Beiträge zum städtischen Bauen
und Wohnen in Nordwestdeutschland. Münster 1988,
S. 306-374, hier S. 310-313.
70 Das Gebäude ist nicht mehr erhalten. 1780 wird es als
massiver Anbau an das Bauernhaus beschrieben, in dem sich
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
1835 zwei Stuben und eine Schlafstube befanden (Jarren
85 Hans Jürgen Rade, Die Geschichte der Familie Valepage,
1999 [wie Anm. 10], S. 394-395).
71 Werner Dobbelmann, Handorf. Gestern und heute. Ge-
in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung. 53. Münster 1995, S. 343-454, hier S. 416-417 und 421-422.
schichte einer dörflichen Siedlung. Münster 1974, S. 15 und
86 Hierzu der Aufsatz von Heinrich Stiewe in diesem Band
96.
(dort insbesondere Anm. 27).
72 Um 1700 errichtete Bernhard Gerdemann, Kaplan der
Domkellnerei, auf dem 1697 durch ihn erworbenen und ver-
87 Zur Geschichte des Begriffs: Josef Schepers, Haus und
Hof westfälischer Bauern. Münster 1960, S. 101-102 sowie
pachteten Erbe Wesseling der Bauernschaft Hansell
(Altenberge, Kr. Steinfurt) ein solches Sommerhaus (s. Eiynck
Alfons Eggert/Josef Schepers, Spieker, „Bauernburgen",
Kemenaden. Bäuerliche Speicherbauten im Münsterland.
1988 [wie Anm. 69], S. 367). 1735 erwarb Witwe Zurmüh-
Münster 1985, S. 22-26.
len aus Münster das verpachtete Gut Deitkamp bei Senden-
88 Diese Borg blieb jeweils (teils zusammen mit einem
horst (Kr. Warendorf), auf dem es eine den Verpächtern vor-
Stallgebäude und einem Bauhaus) bis in das 18. Jahrhundert
behaltene Wohnung gab. Das Anwesen gehörte wenig spä-
von der Verpachtung des Hofes ausgenommen. Ab 1660
diente die Borg der Witwe des früheren Eigentümers als
Leibzucht. Sie blieb dort auch ab 1665 mit ihrem zweiten
ter dem Kanoniker Heinrich Anton Zurmühlen an St. Ludgeri
(Wilhelm Kohl, Haus Deitkamp bei Sendenhorst, in:
Heimatkalender Kreis Beckum. Beckum 1963, S. 64-69).
73 Das Anwesen an der Weseler Straße 68 ist später mehr-
mals für veränderte Nutzungen umgebaut worden und
heute nicht mehr erhalten (Max Geisberg, Die Bau- und
Kunstdenkmäler der Stadt Münster, Teil IV. Münster 1935, S,
128-132; Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 803).
74 Er erwarb um 1765 verschiedene Ländereien östlich der
Stadt und richtete hier ein Gut mit Sommerwohnung ein.
Dieses blieb bis heute erhalten (heute Münster-Handorf,
Werse 17). Vgl. den Beitrag von Fred Kaspar und Peter
Mann wohnen (Werner Dobelmann, Hiltrup. Münster 1974,
S. 13; Jarren 1999 [wie Anm. 10], S. 226-232).
89 Nachweisbar ist zunächst die Familie Steveninck und im
17. Jahrhundert von Herding (Jarren 1999 [wie Anm. 10],
S. 308-310 und 314-318).
90 Diese Borg befand sich wohl auf dem zum Stift Oberwasser gehörenden und als Lehen ausgegebenen Hof Pröpsting
im Dorf und gehörte wohl zu dem Stadthof der Familie zwischen Salzstraße und Alter Steinweg. 1575 wird die Borg als
Gebäude mit zwei Räumen, einigen Betten, Feuerstätte und
Barthold in diesem Band.
wenigen Möbeln beschrieben, ein Raum- und Funktionspro-
75 Der sogenannte Kleine Schmiesingsche Hof an der Neu-
gramm, das dem eines Sommerhauses entspricht. 1587 wur-
brückenstraße (Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 878-885).
76 Walter Kutsch, Ein fast vergessener Gräftenhof. Die
Schnorrenburg in Münster, in: Auf Roter Erde, Heimatblätter
für Münster und das Münsterland. Juni 2013; Dobelmann
1971 (wie Anm. 24), S. 40.
de diese Borg dann von der Witwe des Lubbert Travelmann
aus Münster bewohnt. Seit dem späten 17. Jahrhundert
wurde die Borg vom Stift an ihren jeweiligen Vogt verpachtet. Vgl. Rudolf Lückmann, Haus Giesking - Geschichte und
Baudenkmale. Teil I, in: Geschichtsblätter des Kreises
77 Entsprechend allgemeiner Thesen meinte noch eine jün-
Coesfeld. 15. 1990, S. 89-100, hier S. 89 und 92-92; Wer-
gere Studie zur Geschichte der Naherholung in Münster her-
ner Dobelmann, Handorf gestern und heute. Geschichte
ausarbeiten zu müssen, dass in älterer Zeit die Münsteraner
vor allem „aus Gründen des Brauchtums" in organisierten
Eintages-Wanderungen von geschlossenen gesellschaftlichen Gruppen in das Umland aufbrachen (etwa beim sog.
Maigang) und sich allgemein übliche Ausflüge auf das Land
erst seit dem späten 18. Jahrhundert einbürgerten. Ein
wesentlicher Impuls sei hierbei von der Einführung des
Kaffees ausgegangen (Kerstin Ullrich, Die Entwicklung von
Naherholungsgebieten und Naherholungsverkehr im alten
Landkreis Münster bis zum Zweiten Weltkrieg. Münster
1999, S. 225).
78 Heutige Adresse ist Rinkhöfen 16. Zur Geschichte s.
Heinrich Peitzmeyer, Sendenhorst. Geschichte einer Klein-
stadt im Münsterland. Sendenhorst 1993, S. 726-727; Kohl
1963 (wie Anm. 72).
79 Heutige Adresse ist Sendenhorst, Elmster Berg 6.
80 Peitzmeyer 1993 (wie Anm. 78), S. 635-637 und 737-
738.
81 Eiynck 1988 (wie Anm. 69), S. 367.
82 Werner Dobelmann, Sendenhorst. Geschichte einer
Landgemeinde. Sendenhorst 1976, S. 21.
83 Archiv Haus Surenburg, M 378.
84 Archiv Haus Surenburg, M 379.
einer dörflichen Siedlung. Handorf 1974, S. 15.
91 Peter llisch, Beiträge zur Geschichte des Hauses Buldern
um 1600, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. Band
16. Coesfeld 1991, S. 13-41, hier S. 14.
92 Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 230-232.
93 Bekanntestes Beispiel hierfür ist das sogenannte
Toppierschlösschen im Taubertal unterhalb von Rothenburg
o. d. T. Der steinerne - kaum zu Wohnzwecken geeignete -
Turm wurde 1388 (d) errichtet, während der vorkragende
Wohnbereich erst im frühen 16. Jahrhundert aufgestockt
worden ist.
94 Uwe Albrecht, Princes et bourgeois ä la Campagne dans
l'Allemagne du Sud: le cas de Grünau et de Nüremberg, in.
Monique Chatenet (Hg.), Maison des chams dans l'Europe
de la Renaissance. Paris 2006, S. 181-190, hier S. 184-186;
Maurizio Paul, Wohntürme im Stadtgebiet von Magdeburg,
in: Schaufenster Archäologie - Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg. Magdeburg 2005, S. 44-57.
95 Scheftel 2012 (wie Anm. 61), S. 209.
96 Scheftel 2012 (wie Anm. 61), S. 215.
97 Eiynck 1988 (wie Anm. 69).
98 Hierzu Eiynck 1988 (wie Anm. 69), hier zur Forschungsgeschichte insbesondere S. 329-333.
279
280
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
99 Schon Eiynck 1988 (wie Anm. 69), S. 332, wies allerdings
auf Gräftenhöfen des Münsterlandes, in: Konrad Bedal (Hg.),
zusammenfassend darauf hin, dass zukünftig „weiterführen-
Hausbau im Mittelalter, Band III. Sobernheim 1988, S. 105-
de archivalische Untersuchungen zum Gebäudebestand und
142, hier S. 137; Schulze Pellengahr 2011 (wie Anm. 35), S.
zum Nutzungsgefüge münsterländischer Bauernhöfe" fol-
80, sowie Abbildungen S. 176-179.
gen müssten.
100 Damit hätte die sicherlich noch in der zweiten Hälfte des
114 Stiewe 1988 (wie Anm. 113), S. 137.
115 Es handelt sich um die lückenlos für die Zeit seit dem
19. Jahrhundert lebendige Tradition über die ehemalige
101 Fred Kaspar, Von der Casa Loreto bis zur denkmalpfle-
frühen 18. Jahrhundert erhaltenen Verwaltungsakten der
Familienstiftung Scheffer-Boichorst, die durch den Autor erfasst und ausgewertet werden konnten.
gerischen Rettungsaktion - Begriffe, Ursachen und Gründe
116 Westfälische Landschaft 2002 (wie Anm. 38), S. 9 sowie
für das Bewegen von Bauten, Bauteilen und Bauformen, in:
18-19.
Fred Kaspar, Bauten in Bewegung. Mainz 2007, S. 2-63, hier
S. 21-22.
117 Johannes Buschmeier, Straßen und Wege in Hövelhof.
Paderborn 1995, S. 85.
102 Heinrich Stiewe, „Bauernburgen". Spätmittelalterliche
118 Philipp Schniedertüns, Hövelhof. Paderborn 1952, S. 31.
Steinspeicher in Lippe und Ostwestfalen, in: Lippische
Mitteilungen. 71. Detmold 2002, S. 69-140. Nun auch
119 Abbildung des um 1910 abgebrannten Hauses bei
Schniedertüns 1952 (wie Anm. 118), S. 27.
Stiewe 2013 (wie Anm. 57).
120 Schniedertüns 1952 (wie Anm. 118), S. 27.
103 Stiewe 2002 (wie Anm. 102), S. 94-100.
121 Die überlieferten Beispiele werden besprochen bei
104 Stiewe 2002 (wie Anm. 102), S. 123-128, 134-135.
Ribbert 2013 (wie Anm. 63). Hier wird allerdings nicht aus-
105 Thomas Spohn, „ich habe einen Pfächtiger auf meinem
reichend zwischen den unterschiedlichen Aufgaben vom
Gartenpavillon, Gartenhaus, Sommerhaus und Haus inmit-
Nutzung solcher Bauten zumindest einen wahren Kern.
Rittersitz". Zur Bau-, Wohn-, Wirtschafts- und Lebensweise
auf dem kleinen Adelssitz Haus Steinhausen zwischen 1628
ten eines großen Gartens unterschieden. Die Aussagen ge-
und 1712, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der
Grafschaft Mark, Band 81/82. Dortmund 1990/91, S. 57-96,
hen insbesondere zurück auf: Benedikt Kraft/Wulf Rieger,
hier S. 76.
dere S. 22-36.
106 Thomas Spohn, Speicherähnliche Bruchsteinbauten mit
122 Hermann Schmitz, Münster. Leipzig 1911, S. 188-189;
Wohnfunktion entlang der mittleren Ruhr, in: Arbeitskreis für
Geisberg 1935 (wie Anm. 73), S. 476-478; Walter Kordt,
Hausforschung. 2013 (wie Anm. 57).
Adolph von Vagedes 1777-1842. Ratingen 1961, S. 24 und
107 Hierzu der folgende Beitrag von Böcker, Barthold und
Münster und seine Landschaft. Münster 1993, hier insbeson-
Abb. 11; Ribbert 2013 (wie Anm. 63), S. 92-94.
Kaspar.
123 Reinhold Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen
108 Der Hof war ein bischöfliches Lehen gewesen, das sich
nach Pyrmont. Göttingen 1984, S. 9-13, 27-28, 86-98.
124 Bauherr war der Bürgermeister Heinrich von Olfers. Zu
seit dem späten Mittelalter in der Hand der Münsteraner
Oberschicht befand. 1694 wird es an B. Zurmühlen übertra-
Runde und Hohenfelde s. Heinrich Brockmann, Die Bauern-
gen und um 1760 an Herrn von Forckenbeck (Dobelmann
Handorf 1974 [wie Anm. 90], S. 31).
109 Nach den Lebenserinnerungen des Bauherren schenkte
höfe der Gemeinden Stadt und Kirchspiel Billerbeck, Beerlage, Darfeld und Holthausen. Billerbeck 1891, S. 199.
125 Er ist heute ein Anbau an das 1902 durch ihren Schwie-
dieser dem stetig weiter ausgebauten Garten des Hauses
gersohn Landrat Maximilian Gerbaulet fertiggestellte Villen-
besondere Aufmerksamkeit.
gebäude.
110 Der Autor hat eine größere Zahl von Torhäusern des 16.
bis 18. Jahrhunderts auf Gütern, Pachthöfen und Herrenhäusern des Münsterlandes erfasst, in Bauaufnahmen doku-
mentiert und auf ihre Nutzungsgeschichte hin archivalisch
126 Wegen seiner politischen Haltung während der
Revolution 1848 hatte er Deutschland verlassen und lebte 13
Jahre in Ohio/USA, wo er ein Gut bewirtschaftete. 1862
kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm das elterliche Gut, zog aber nach zwei Jahren als Generalsekretär des
untersucht. Die Veröffentlichung dieses Materials in einer
eigenen Publikation ist in Vorbereitung.
111 Die Ausstattung des Torhauses von Haus Giesking bei
Buldern (Kr. Coesfeld) ist durch ein Inventarverzeichnis von
pe nach Münster. 1877 begründete er die Bodenkreditbank
„Westfälische Landschaft" und blieb deren Generaldirektor
1575 belegt, wobei allerdings die Nutzer unklar sind (in die-
bis zu seinem 90. Lebensjahr.
sem Fall wohl nicht die Herrschaft, da für sie ein eigenes
Haus zur Verfügung stand): Hier gab es im Obergeschoss
zwei Räume, von denen der eine als große Kammer mit
heide 1 für den Kaufhausbesitzer Wilhelm Rawe; 1905 Galg-
einem besseren Bett sowie Tisch und Stühlen und der ande-
re als eine kleinere Kammer mit Kamin und einem einfache-
ren Bett eingerichtet war (Lückmann 1990 [wie Anm. 90], S.
94-96).
112 Hierzu viele Beispiele bei Mersiowsky 2001 (wie Anm.
4), S. 268-270.
113 Heinrich Stiewe, Zwei Torhäuser des 16. Jahrhunderts
landwirtschaftlichen Provinzialvereins für Westfalen und Lip-
127 Nachweisbar sind folgende Neubauprojekte: 1904 Galg-
heide 8 für Dr. med. Franz Vonnegut; 1906 Galgheide 13 für
Privatier Gerhard Bröcker;1913 Kiebitzpohl 75 für Pferdeschlächter Fr. Schlehbusch; 1931 Jägerhaus 6 für Kaufmann
Ernst Bierschenk; 1932 Jägerhaus 11 für Chefarzt Dr. med.
Anton Sicking; 1935 Jägerhaus 10 für Bankdirektor Melchior
Westhoff; 1936 Jägerhaus 13 für Kaufmann Dr. W. Mundinger aus Münster; 1938 Galgheide 9 für Dr. med. Felix
Vonnegut (explizit als Wochenendhaus beantragt).
Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen
Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische
128 Diese und der darunter befindliche Torbogen wurden
1984, Heft 3/4, S. 9-13); 1508 (d) Schloss Brake bei Lemgo;
durch ein Familienmitglied mit Tierdarstellungen und mittig
1542 Haus Kakesbeck bei Lüdinghausen; um 1550 Haus
mit einer größeren Maske beschnitzt.
Vörde bei Castrop-Rauxel (hierzu der Beitrag von Fred Kaspar
129 Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie.
und Peter Barthold in diesem Band); 1558 Haus Byinck bei
Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück,
Ascheberg; um 1560 Haus Geist bei Oelde, 1569 Burg
in: Stefan Baumeister/Kurt Dröge (Hg.), Beiträge zur Volks-
Lüdinghausen; 1597 (d) Haus Klein Schönebeck bei Dülmen;
kunde und Hausforschung. Band 3. Detmold 1988, S. 57- 96
1617 Haus Brabeck bei Recklinghausen; 1632 Haus Giesking
130 Lückmann 1990 (wie Anm. 90), S. 92-99.
bei Dülmen; um 1660 Haus Vornholz bei Ennigerloh; ferner:
131 Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich Stiewe, Adelsgüter
Haus Ermelinghoff bei Hamm, Burg Raesfeld (weitere Bei-
und Domänen in Lippe. Anmerkungen zu einem brachliegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen. 73. Detmold 2004, S. 13-107, hier S. 60-63.
spiele für das Münsterland auch bei Mummenhoff 1961 (wie
Anm. 44), S. 28 sowie für das Weserbergland bei Albrecht
1995 [wie Anm. 141], S. 84-90).
132 Auch wenn sich jüngere Untersuchungen vielfach auf
145 Wilhelm Eiling, Zur Geschichte des Stiftes Langenhorst.
von Mummenhoff dokumentierte Beispiele beziehen, hat
Ochtrup 2012, S. 14-16.
dieser klargestellt: „Es ist kein Fall bekannt, wo ein Bauhaus
146 Der Maurermeister Matthias Wichmann aus Nottuln
als herrschaftliches Wohnhaus gedient hat" (Mummenhoff
1961 [wie Anm. 44], S. 28).
brauchte hierfür 12 000 Backsteine sowie für die Gliederung
133 Michaels 2008 (wie Anm. 41), S. 119.
(Waaterschlääge) und die Gewände der Öffnungen Sandsteine aus Gildehaus bei Bentheim. Das Dach wurde mit
134 Mark Mersiowsky, Spätmittelalterliches Leben auf einer
20 000 Pfannen eingedeckt. Das Innengerüst wurde von
westfälischen Wasserburg. Burg Lüdinghausen 1450/51, in:
Zimmerleuten erstellt, wobei man das Bauholz ebenfalls aus
Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. 18 / 1993, S. 25-63,
hier S. 37.
Nottuln bezog.
135 Peter llisch, Das Haus Hameren, in: Werner Freitag (Hg.),
148 Gustav A. Spürk/Helmut Weigel, Hausbau und Richtfest
Geschichte der Stadt Billerbeck. Bielefeld 2012, S. 513-532,
hier S. 521.
136 llisch 1982 (wie Anm. 42), S. 10.
137 Von ihnen aßen sechs an der herrschaftlichen Tafel, 28
an der Tafel der Knechte und Mägde und 14 an der
Bauleutetafel (llisch 1976 [wie Anm. 42], S. 256).
138 llisch 2012 (wie Anm. 134), S. 518.
139 Linde/Rügge/Stiewe 2004 (wie Anm. 131), S. 76-80.
140 Heinrich Stiewe, Die Kirche, das Rittergut und das Dorf,
147 Lückmann 1991 (wie Anm. 90), S. 56-66 und 81.
im Kirchspiel Buer Anno 1639/40, in: Vestische Zeitschrift.
90/91, 1991/92, S. 119-148.
149 Helmut Richtering, Haus Bevern, in: Franz Meier (Hg.),
Ostbevern - Geschichte der Gemeinde. Band 1. Ostbevern
2000, S. 392-422 , hier S. 414.
150 Der Begriff hatte allerdings eine komplizierte Bedeutungsgeschichte mit regionalen Besonderheiten. Hierzu aus-
führlich Leopold Schütte, Vorwerk - eine Sonderform grundherrlichen Besitzes in Westfalen, in: Westfalen. 57. Münster
in: Roland Linde, Wöbbel. Geschichte eines Dorfes in Lippe.
1980, S. 24-44.
Lage 2009, S. 197-262, hier S. 227.
151 Linde/Rügge/Stiewe 2004 (wie Anm. 131), S. 74-75.
141 Thorsten Albrecht, Die Hämelschenburg. Ein Beispiel
152 Dazu ausführlicher die Einleitung des Autors zu diesem
adeliger Schloßbaukunst des späten 16. und frühen 17. Jahr-
Band.
hunderts im Weserraum. Marburg 1995.
153 Die Thesen gehen zurück auf Roswitha Poppe, Das Wirt-
142 Das Gebäude erhielt einen dreischiffigen Stallteil von
neun Gefachen (mit Vorschauer am Wirtschaftsgiebel und
unterschiedlich breiten Seitenschiffen) und daran anschlie-
schaftsgebäude auf Sondermühlen, ein Herrenhaus aus dem
ßend eine große Wirtschaftsküche mit nur einem abgetrenn-
schien in erweiterter Form unter dem Titel: Das alte Herren-
ten Seitenschiff. Angaben nach der bislang nicht veröffent-
haus auf der Wasserburg Sondermühlen, in: Niedersächsische Denkmalpflege. 8. Hildesheim 1976, S. 99-107 und
Abb. 16-19.
lichten baugeschichtlichen Untersuchung durch Peter
Barthold und Fred Kaspar/LWL-Denkmalpflege, Landschafts-
und Baukultur in Westfalen während der Sanierung des
Gebäudes im Jahre 2008. Hierbei erfolgte auch die dendro-
chronologische Datierung (Auswertung durch Hans Tisje/
Neu-Isenburg).
143 So etwa das Bauhaus von 1542 auf Haus Kakesbeck
oder das 1584 errichtete Bauhaus auf Burg Vischering (beide
erhielten nur massive Fronten), ferner das Bauhaus von etwa
1600 auf Haus Holtfeld (Halle, Kr. Gütersloh).
144 Bekannte Belege sind insbesondere die folgenden Bauhäuser mit massiven Umfassungswänden: um 1495 (d) ehe-
maliges Kloster Weddern bei Dülmen, Weddern 14 c
(Thomas Spohn, Ein Gebäude aus der Gründungszeit des
Karthäuserklosters Marienburg, in: Dülmener Heimatblätter.
16. Jahrhundert, in: Osnabrücker Mitteilungen. 81. Osnabrück 1974, S. 186-191 und Tafel I bis IV. Dieser Aufsatz er-
154 Die dendrochronologische Datierung erfolgte 2006 im
Zuge einer durch Lea Rattmann und Maren Prüß erstellten
Abschlussarbeit an der Universität Bamberg über Wasserbur-
gen im Osnabrücker Land. Danach ist das Gebäude 1619 (d)
im Wirtschaftsteil verlängert worden und erhielt hierbei
einen neuen Schaugiebel.
155 Dies ist allerdings zumindest zweifelhaft, denn das Haus
wurde zu einer Zeit errichtet, als die Erbin des Gutes Marga-
rethe von Vincke (1535-1591) seit 1558 mit Hermann von
Neheim zu (Nieder-)Werries (1530-1591) verheiratet war
(seine Eltern dürften Johann von Nehem [*1480] und Else
von Bestrate [*1485] gewesen sein). Dieser stammte als jün-
gerer Bruder des Erben Dietrich von Neheim (1510-1571)
281
282
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
von dem 1733 abgebrochenen Haus Niederwerries bei
Hamm, das in etwa 75 km Entfernung von Sondermühlen
lag, aber ebenfalls Wohnort des Ehepaares gewesen sein
könnte. Erbe wurde ihr Sohn Dietrich von Nehem, Osna-
brücker Droste zu Gröneberg, Hunteburg und Wittlage.
Dieser dürfte aufgrund seines Amtes auf mehrere Wohnungen Zugriff gehabt haben. Die Tochter Margaretha von
Neheim (1550-1599) des älteren Dietrich von Neheim als
157 Es gleicht einem ähnlichen Gebäude auf dem Wirtschaftshof der Hämelschenburg (Kr. Hameln-Pyrmont), in
dem daher ebenfalls das alte oder ein zeitweilig genutztes
Herrenhaus vermutet wurde. Inzwischen konnte dies aller-
dings als ursprüngliches Kuhhaus mit Hofmeister- oder
Verwalterwohnung identifiziert und mit anderen ebensolchen „Vorwerkgebäuden" verglichen werden (Albrecht
1995 [wie Anm. 141], S. 84-88).
Erben von Werries heiratete 1570 Rudolf von Vincke (1540-
158 Baumeier 1988 (wie Anm. 129).
1585), Erbe der Güter Ostenwalde und Kilver. Das Gut
Sondermühlen diente vor diesen bislang nur andeutungs-
159 Es wurde von Peter Barthold bei der LWL-Denkmal-
pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen bauge-
weise erhellten, komplexen Familien- und Besitzverbindun-
schichtlich untersucht. Hierzu ist eine gesonderte Publikation
gen der Herrschaft möglicherweise vor allem als Jagdhaus
in Vorbereitung.
oder Sommerwohnung. Zur Klärung der Nutzung von Haus
Sondermühlen wären daher zunächst weitere archivalische
160 Hierzu Fred Kaspar/Peter Barthold, Das „Kommendenhaus" der ehemaligen Johanniterkommende Haus Horst bei
Untersuchungen notwendig. Ein (neues oder erstes?) Herrenhaus wurde dort wohl erst zu dem Zeitpunkt errichtet, als
der Besitz durch Erbschaft in die Hand eines zuvor wohl nicht
Waltrop, in: Westfalen. 81. Münster 2003, S. 115-122.
begüterten Hildesheimer Domherren kam, der danach sein
wie es bis zum Jahre 1745 bestand. Die verschiedenen Vor-
Amt aufgab, heiratete und nach Sondermühlen zog. 1677
wurde zudem über den Besitz der Herren von Neheim zu
Werries der Konkurs eröffnet.
161 Es ist eine Vogelschauzeichnung überliefert, die den
Zustand des Hauses Rüschhaus bei Münster dokumentiert,
bauten lassen vor dem Hintergrund vermuten, dass sich
dahinter individuelle Lösungen zur Unterbringung von zwei
156 Es befand sich im 16. und 17. Jahrhundert durchgängig
Wohnungen im Haus verbergen (Werner Lindner, Die bäuerliche Wohnkultur in der Provinz Westfalen und ihren nördli-
in Besitz von Herren, die weitreichende Besitzungen an ver-
chen Grenzgebieten, in: Engelbert von Kerckerinck zur Borg
schiedenen Orten der Region hatten (hierzu: Rudolf von
Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück. Osna-
(Hg.), Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Bauern-
brück 1930, S. 178-181).
standes.
283
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
Carolin Sophie Prinzhorn
Trotz der vorherrschenden Holzbauweise im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren auf dem Gebiet
der heutigen Bundesrepublik Deutschland steinerne
Wohn-Speicher-Bauten sehr weit verbreitet. Diese zumeist mit örtlich anstehendem Bruchstein errichteten
und regional unterschiedlich als Steinwerke, Kemenaten, Steinkammern etc. bezeichneten Bauten stellen sowohl in ihrer Bau- als auch Funktionsweise eine
eigenständige Gruppe im Profanbau dar. Im Osnabrücker Land finden sich Steinwerke nicht nur auf den
Anwesen der Bürger in der Stadt Osnabrück, sondern
auch auf den Bauernhöfen ihres Umlandes in ebenso
bemerkenswert großer Zahl wie bautechnisch außergewöhnlicher Ausprägung.
Die ländlichen Steinwerke
Die ländlichen Steinwerke im Gebiet des Landkreises
Osnabrück konzentrieren sich insbesondere auf das
sogenannte Osnabrücker Nordland.1 Im dortigen
Kirchspiel Ankum stehen allein elf der vierzehn bislang eindeutig identifizierten Steinwerke des Landkreises.2 Eine zweite Häufung ist am Nordrand der
Stadt Osnabrück festzustellen, die wahrscheinlich mit
der Osnabrücker Landwehr in Zusammenhang zu
bringen ist (Abb. 1).
Für eine Datierung der schmucklosen ländlichen
Steinwerke scheiden stilkundliche Vergleiche in der
Regel aus und eine gezielte Suche nach möglichen
archivalischen Quellen ist noch nicht erfolgt. Eine zeit-
1 Kartierung der ländlichen Steinwerke des Landkreises Osnabrück, 2006.
284
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Ankum-Westerholte, Steinwerk des ehemaligen Meierhofes Westerholte. Das Steinwerk ist das einzige erhaltene
Gebäude der Hofstelle, 2006.
liehe Einordnung auf der Grundlage von archivalischen Quellen ist bislang wegen fehlender Auswertung nicht möglich. Ihre Datierung der zeitlichen
Einordnung fußt allein auf bauhistorischen Beobachtungen und einigen wenigen dendrochronologischen
Untersuchungen.3 Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen eine Entstehungszeit der Bauwerke um
1400 im 15. und 16. Jahrhundert möglich erscheinen.
Die ländlichen Steinwerke Osnabrücks sind kompakte, auf annähernd quadratischem bis rechteckigem
Grundriss stehende Baukörper mit Einraumgrundriss.
Sie verfügen über zwei oder drei Vollgeschosse sowie
zwei bis drei Dachgeschossebenen unter einem steilen Kehlbalkendach (Abb. 2 u. 3). Von den erhaltenen
Bauten sind nur zwei Steinwerke unterkellert. In beiden Fällen werden die Kellerräume separat von außen
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
3 Ankum-Rüssel, Steinwerk des ehemaligen Schultenhöfes zu Rüssel. Das Steinwerk ist das einzige erhaltene Gebäude der
Hofstelle, 2003.
285
286
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
erschlossen. Anders als bei den städtischen Steinwerken, die als Rückgebäude einem zur Straße ausgerichteten Vorderhaus angeschlossen waren, wurden die ländlichen Bauten in der Art der bäuerlichen
Speicher allein stehend auf dem Hofgrundstück in
einiger Entfernung zum Haupthaus errichtet. Die
Speicherfunktion ist im Falle der Steinwerke um eine
Wohnnutzung im Obergeschoss erweitert worden,
die sich anhand offener Kamine, Ausgusssteinen und
mitunter auch Abtritten ablesen lässt. In diesem Zu-
sammenhang bleibt jedoch anzumerken, dass die
Kamine der Ankumer Steinwerke aufgrund der weiß
verputzten Schornsteininnenflächen ohne jegliche
Rußspuren offensichtlich nie in Benutzung waren. Die
übrigen Geschosse werden angesichts fehlender
Einbauten der Lagerhaltung vorbehalten gewesen
sein.
Die Durchfensterung der Gebäude ist äußerst spär-
lich, die Belichtung erfolgt lediglich durch kleine,
schlitzförmige Fenster. Einige der besonders schmalen
Öffnungen machen zwar den Eindruck, es habe sich
um Schießscharten gehandelt, die innere Nischengeometrie erlaubte die Benutzung als solche jedoch
nicht. Bei einigen wenigen Steinwerken sind allerdings quadratische Scharten mit in situ befindlichen
Prellhölzern vorhanden, die den Gebrauch von Ha-
4 Ankum-Westerholte, Steinwerk des Hofes GroßeHamberg. Detail des Giebeldreieckes mit Luke sowie den
beigeordneten Balkenlöchern und Konsolsteinen, 2003.
kenbüchsen ermöglichten. Diese Befunde dienen zugleich als Hinweis auf die Erbauungszeit der betreffenden Steinwerke, da in dieser Region mit Handfeuerwaffen dieser Art nicht vor dem 15. Jahrhundert zu
rechnen ist.
Eine weitere Auffälligkeit lässt sich indes an allen
erhaltenen ländlichen Steinwerken Osnabrücks finden: An wenigstens einer, in den meisten Fällen je-
doch an beiden Giebelseiten wurde am höchstmöglichen Punkt im Giebeldreieck eine Luke vorgesehen.
Jede Luke wird unterhalb ihrer Schwelle von zwei
Balkenlöchern mit darunterliegenden Konsolsteinen
begleitet (Abb. 3 u. 4). Die demnach vor der Luke zu
rekonstruierende balkonartige Plattform lässt sich als
ein möglichst hoch gelegener Aussichtspunkt deuten
(Abb. 5).4 Eine ähnliche Konstruktion, allerdings in
werksteinerner Ausführung, findet sich auch im nördlichen Hessen. Als Beispiele seien der Ratshof in Alien-
dorf, das Kloster Breitenau in Guxhagen und die Kirche in Bergheim (Edertal) genannt (Abb. 6).5
In gleicher Weise wie die Plattformen an den ländli-
chen Steinwerken Osnabrücks in der zu diesem
5 Rosheim/Elsass, beim so genannten Romanischen Haus
wurde eine balkonartige Aussichtsplattform nach Befund
rekonstruiert, 2007.
Thema spärlichen Literatur als Wehrerker gedeutet
wurden, wird den Gebäuden insgesamt eine Verteidigungsfähigkeit zugesprochen, die sie bei genauerer
Betrachtung nicht erfüllen können.6 Dies trifft nicht
nur auf die schartenartigen Fenster zu, sondern mitunter auch auf besagte Luken. An einigen Steinwerken verfügen sie zwar über sämtliche Konstruktions-
merkmale für einen balkonartigen Austritt, die
Lukenöffnung ist jedoch so klein, dass ein, noch dazu
287
6 Bergheim (Edertal), Michaeliskirche. Westfassade mit balkonartigem Austritt im Giebeldreieck. Die Funktion der Plattform
ist bislang nicht eindeutig geklärt, da sich als hoch gelegener Aussichtspunkt auch der Kirchturm eignen würde, 2008.
288
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
7 Osnabrück, rekonstruierter Stadtplan im Zustand um 1640. Verteilung und Charakteristik der Steinwerke (erarbeitet von
Bruno Switala und Michael J. Hurst, aktualisiert von C. S. Prinzhorn). Das rote Rechteck kennzeichnet die Lage des
Kartenausschnitts in Abb. 17.
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
8 Osnabrück, Marienstraße 3. Steinwerk mit Dachgewölbe.
9 Osnabrück, Ledenhof. Der Palas des Ledenhofes wurde
Das zugehörige Vorderhaus stand an der Parallelstraße
im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erbaut, zur gleichen
Hegerstraße 12 und wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört,
2010.
Zeit erfolgte wohl die Aufstockung des älteren Steinwerkes
um zwei Speichergeschosse. Das ehemals unter dem Dach
befindliche Gewölbe des Steinwerkes liegt seitdem über
dem 1. Obergeschoss. Das bauzeitliche Vorderhaus schloss
am heute frei stehenden Nordgiebel (rechts im Bild) an,
2010.
bewaffnetes, Hindurchtreten nahezu unmöglich war.7
Es erweckt den Anschein, als wären diese wehrhaft
anmutenden Baudetails lediglich auf eine abschreckende Wirkung hin konzipiert gewesen. Eingedenk
der eingeschränkten Möglichkeiten, die der bäuerlichen Bewohnerschaft zur aktiven Verteidigung von
Haus und Hof zur Verfügung standen, eine durchaus
kluge Taktik. Einen konkreten Anlass hierzu boten beispielsweise die Auswirkungen des Spanisch-Nieder-
ländischen Erbfolgekrieges, die besonders in den
1580er Jahren im Ankumer Raum für zahllose
Plünderungen und Drangsal sorgten.
In der Zusammenschau der vermeintlichen Scharten
und Austrittsluken mit den nie genutzten Feuerstellen
könnten diese Details aber auch als bloße Zitate
betrachtet werden, die offensichtlich zum allgemeingültigen Formenkanon eines durchaus repräsentati-
ven steinernen Speichers im Osnabrücker Land gehörten, ihren Zweck im Laufe der Zeit jedoch nicht mehr
erfüllen mussten.
Die städtischen Steinwerke
Die bau- und kulturgeschichtliche Beschäftigung mit
den Steinwerken der Stadt Osnabrück hat eine über
hundertjährige Tradition.8 In jüngster Zeit konnte die
Erforschung dieser besonderen Bauten durch die Initiative von Bruno Switala, bis zu seinem Ruhestand im
Januar 2010 städtischer Denkmalpfleger, und dem
Archäologischen Arbeitskreis für Stadt und Land
Osnabrück e. V. wiederbelebt werden. Bruno Switala
und Michael J. Hurst haben im Rahmen des Projektes
„Osnabrücker Steinwerke" in den Jahren 2004 bis
2007 neben baubegleitenden Untersuchungen an
Steinwerken durch die Sichtung und Sammlung historischer Fotos und Planzeichnungen aus dem Archiv
der Stadt vor allem dafür gesorgt, dass der bekannte
Bestand an nachgewiesenen Steinwerken auf nahezu
150 Gebäude in der Stadt angewachsen ist (Abb. 7).9
Nach Abschluss der Projektfinanzierung wurden die
gesammelten Daten zur weiteren Auswertung der
Verfasserin überlassen, die sich seit Herbst 2009 im
Rahmen ihres Dissertationsprojektes mit den
Osnabrücker Steinwerken beschäftigt.10
289
290
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Die zahlenmäßig größte Gruppe der Steinwerke
Osnabrücks unterscheidet sich nicht von den
Gebäuden gleichen Typs andernorts. Auch sie wurden
aus Bruchstein errichtet und befinden sich, einem an
der Straße stehenden Vorderhaus als Rückgebäude
angefügt, auf den Hinterhöfen der städtischen Anwesen. Lediglich bei Eckgrundstücken oder einer
rückwärtigen Gasse sind die Steinwerke vom Straßen-
raum aus zu sehen (Abb. 8, 9). Aus der Gesamtheit
der städtischen Steinwerke sticht eine kleine Gruppe
von Gebäuden mit besonderen Merkmalen hervor, die
sie nicht nur von den übrigen Steinwerken der Stadt
unterscheidet, sondern insgesamt im mittelalterlichen
Profanbau eine Sonderstellung einnehmen lässt:
Anstatt der zu erwartenden Dachböden im Gebälk
des Kehlbalkendaches wurde das oberste Geschoss
dieser Steinwerke mit einem Spitztonnengewölbe
überdeckt, das den darüber liegenden Dachraum
nahezu vollständig ausfüllt (Abb. 10, 11).Das auf
diese Weise allseits von Bruchstein umschlossene
Haus stellte insbesondere gegen die wiederkehrenden
Stadtbrände einen effizienten Schutz dar, worin wohl
auch der Grund für diese aufwändige Bauweise zu
suchen sein wird. Die Gewölbeschalen stellten keinen
Dachabschluss dar, sondern bedurften eines zusätzlichen Witterungsschutzes. Allerdings liegen über das
10 Osnabrück, Ledenhof. Spitztonnengewölbe über dem 1
Obergeschoss. Dicht unter dem Gewölbescheitel stecken
noch zwei ehemalige Kehlbalkenhölzer des bauzeitlichen
Dachwerkes im Bruchsteinmauerwerk. Sie wurden bei der
Aufstockung des Gebäudes im 16. Jahrhundert nicht ent-
fernt, 2011.
bauzeitliche Dachdeckungsmaterial bislang keine
Befunde vor. Möglicherweise ist die von den Bauherren als notwendig erachtete steinerne Überdeckung
des Gebäudes mit einem Dachgewölbe als Hinweis
auf eine bauzeitliche Strohdeckung der Steinwerke zu
deuten.
11 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Spitztonnengewölbe im Dachgeschoss aus der Zeit um 1200, 2010.
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
Ein weiteres Kennzeichen der überwölbten Steinwerke ist die überbreite Traufwand im Anschluss an das
zumeist giebelseitig hierzu ausgerichtete Vorderhaus.
Diese im Durchschnitt 2,50 m starke Bruchsteinwand
diente nicht in erster Linie als Widerlager des Gewölbeschubes, die gegenüberliegende Traufwand ist stets
über einen Meter dünner, sondern übernimmt zentra-
le Haustechnik- und Erschließungsfunktionen. Zu-
nächst sind hier die separaten Zugänge in den Keller
und das erhöht liegende Erdgeschoss angeordnet. Die
Wanddicke erklärt sich allerdings aus einem Wand-
gang, der den Treppenlauf vom Erdgeschoss des
Steinwerkes in sein Obergeschoss aufnimmt, sowie
einem im Wandquerschnitt angelegten Kaminzug für
12 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Querschnitt, Blickrichtung Osten, 2010.
291
292
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
10
Osnabrück . Steinwerk Bierstraße 7 . Grundriss EG . verformungsgetreues Bauaufmaß . März/April 2010 . Dipl. Ing. (FH) Carolin Sophie Prinzhom M.A.
13 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Grundriss Erdgeschoss, 2010.
die offene Feuerstelle des Vorderhauses, mitunter
auch für eine Feuerstelle im Steinwerk (Abb. 12, 13).
In ihrem äußeren Erscheinungsbild ist den Steinwerken zunächst nicht anzusehen, ob sie ein Gewölbe
besitzen oder nicht. Der kundige Betrachter kann
diese Gruppe der Gebäude dennoch anhand besonderer Fensterformen und Werksteinvarietäten von
den ungewölbten Steinwerken unterscheiden: Neben
vereinzelten spätromanischen bzw. frühgotischen
Biforienfenstern verfügt eine Reihe der fraglichen
Häuser über Fensteröffnungen mit einem charakteristischen Winkelsteinsturz (Abb. 8). Für die Tür- und
Fenstergewände, aber auch Konsolsteine, wurde
Karbonsandstein verwendet, der bei den ungewölbten Steinwerken nicht (mehr) anzutreffen ist. Dieses
Konglomeratgestein war während des Mittelalters das
einzige im nahen Umkreis der Stadt abzubauende
Steinmaterial, das zum Herstellen von Werkstein ver-
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
ft2ePfflj61DSRW? WLflUXT- LOKRUfflg ■■S0CK6T?:
-SKaGa.-1:100 J3I2. ,
14 Gotland, Lokrume. Mittelalterlicher Speicher bei Lauks, Querschnitt. Aufmaß: Gotland Fornsal 1912.
Rekonstruktionszeichnung von Jan A. Utas, ohne Datum.
wendbar war.11 Die Steinbrüche konnten zwar bis
zum beginnenden 17. Jahrhundert ausgebeutet werden, mit Blick auf sein Vorkommen an der Bausubstanz in der Stadt endete die Verwendung des Kar-
bonsandsteins jedoch schon weitaus früher.
Von den Steinwerken mit Dachgewölbe haben sich im
Stadtgebiet sieben Gebäude vollständig erhalten; ins-
gesamt lassen sich zurzeit 21 Steinwerke mit überwölbtem Dachgeschoss nachweisen. Für die Datierung der Gebäude können stilkritische Vergleiche des
spärlichen, spätromanischen bis frühgotischen Baudekors hinzugezogen werden; eine erste urkundliche
Nennung eines nicht näher beschriebenen Steingebäudes am Markt liegt aus dem Jahr 1177 vor.12 Im
Zusammenhang mit den Ergebnissen einer Grabung
am Steinwerk Bierstraße 7 im Jahr 2005 kann davon
ausgegangen werden, dass Steinwerke mit Dachgewölbe spätestens seit der Zeit um 1200 errichtet wurden.13 Innerhalb der großen Gruppe der Steinwerke in
Osnabrück ohne Dachgewölbe und ohne überbreite
Traufwände mit Wandgängen bietet keines der Gebäude Anhaltspunkte für eine Datierung vor 1400.14
Wir dürfen nach bisherigem Kenntnisstand daher
annehmen, dass die älteren Steinbauten dieser Art
stets mit überwölbten Dachgeschossen errichtet worden sind und sich möglicherweise noch im 14. Jahrhundert die Bauweise dieses Steinwerkstyps grundlegend änderte: Der profane Gewölbebau wurde aufgegeben und die Mauerwerksmasse insgesamt redu-
ziert. Vielfach erscheinen die jüngeren Steinwerke,
vom Dachstuhl des Vorderhauses überdeckt und mit
diesem zumeist auf jeder Geschossebene verbunden,
lediglich als Bauteil des Vorderhauses. Die Vereinfachungen werden spürbare Einsparungen bei den Bau-
kosten nach sich gezogen haben. Hierin mag ein
Grund für die große Masse an jüngeren Steinwerksbauten liegen, die sich nun nahezu auf jedem zweiten
altstädtischen Anwesen in Osnabrück finden lassen
(vgl. Abb. 7). Inwieweit das 1338 vom Osnabrücker
Magistrat erteilte Verbot von Strohdächern zu den
baulichen Änderungen an den Steinwerken führte
und ob darin ein Zusammenhang mit der Aufgabe
des Gewölbebaus zu sehen ist, gilt es noch zu unter-
suchen.15
Für die Osnabrücker Steinwerke mit Dachgewölbe finden sich im deutschen Profanbau keine Vergleichsbei-
spiele, nicht einmal in den frühen Städten Südwestdeutschlands oder der Nordschweiz, deren Steinbautradition im Profanbau mitunter bereits im 11. Jahrhundert einsetzte.16 In Regensburg, wo nicht nur der
Steinbau seit dem 11. Jahrhundert allgemeine Verbreitung fand, sondern auch der Gewölbebau im Pro-
fanbau früh Einzug hielt, sind zwar aufwändige
Kreuzgewölbe über den Erdgeschosshallen, mitunter
auch im Obergeschoss, zu finden, aber nicht als oberster Deckenabschluss unterhalb des Dachwerkes.17
Auf der Suche nach den Wurzeln oder Vorbildern für
293
294
15 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Ansicht von Südwesten, 2006.
die singulär auftretenden Dachgewölbe im mittelalterlichen Profanbau Osnabrücks führt bislang die einzige Spur nach Gotland. Dort wurden auf größeren
Hofanlagen Speichergebäude und Wohnhäuser aus
Bruchstein errichtet, deren oberste Geschosse ebenfalls von Spitztonnengewölben überdeckt wurden
(Abb. 14). Die Erbauungszeit der Gebäude wird bislang allgemein im 13. und 14. Jahrhundert vermutet.18 Seit dem 12. Jahrhundert betrieben insbesonde-
re westfälische Fernhandelskaufleute regen Handel
mit Gotland. Aufgrund der Baubefunde ist davon auszugehen, dass auch Osnabrücker Kaufleute Gotland
besuchten.19 Allerdings bleibt die Frage zu beantworten, ob es sich bei den Steinwerken mit Dachgewölbe
um eine Osnabrücker Entwicklung handelte, die mit
den Fernhandelskaufleuten nach Gotland gelangte,
oder ob der Wissenstransfer die umgekehrte Richtung
genommen hatte und eine volkstümlich gotländische
Bautradition im Gepäck der Kaufleute Osnabrück
erreichte. Im Falle der Entwicklungslinie Gotland Osnabrück müssten die gotländischen Steinhäuser
mit Dachgewölbe älter sein als bislang angenommen
und bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen.
16 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Blick auf das Funda-
ment. Im Grabungsprofil zeichnet sich deutlich die Baugrube mit dem an den Bruchsteinabschlägen erkennbaren
Bauhorizont ab, 2005.
Das Steinwerk Bierstraße 7
Am Beispiel des Steinwerkes im Hinterhof des Grund-
stückes Bierstraße 7 soll der bauzeitliche Zustand
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
eines Steinwerkes mit Dachgewölbe rekonstruiert
werden (Abb. 11-13, 15). Dieses Gebäude wurde im
Jahr 2000 unter Leitung von Frau Dr. Antje BuschSperveslage von Studierenden der Fachhochschule in
Hildesheim in Grundrissen und Längsschnitt erstmals
verformungsgetreu vermessen und in einem Raumbuch erfasst. Das erstellte Handaufmaß konnte von
der Verfasserin, die als Studentin an der damaligen
Baudokumentation beteiligt war, im Jahr 2010 mithilfe einer Tachymeter-Vollstation vervollständigt wer-
den. Die Verfasserin war weiterhin vom Archäolo-
gischen Arbeitskreis für Stadt und Land Osnabrück im
Jahr 2005 mit der Durchführung einer archäologischen Grabung vor dem Westgiebel des Hauses be-
traut worden.20
Die in ihrer Gesamtbreite noch nicht ausgewertete
Grabung brachte für die Baugeschichte des Steinwerkes zunächst die Erkenntnis, dass die Hoffläche vor
dem Westgiebel des Hauses zu keiner Zeit bebaut
gewesen ist, stattdessen diese Grundstücksfläche zu-
nächst als Gartenland und später als Platz für
Latrinenschächte genutzt wurde. Das Fundament des
Steinwerkes konnte auf einer Breite von etwa 1,50 m
freigelegt werden. Neben der Fundamentunterkante,
die wenige Zentimeter unter der Kellersohle liegt,
zeichnete sich auch die Baugrube deutlich im Grabungsprofil ab (Abb. 16). Die Baugrubenverfüllung
wurde durch eine homogene Schicht aus zahlreichen
Bruchsteinabschlägen und Mörtelresten abgeschlossen, die sich jenseits der Baugrube auf der Hoffläche
fortsetzte und den Arbeitsraum der Steinwerks-
baustelle kennzeichnete. Der bauzeitliche Laufhorizont auf dem Hof zeichnet sich nicht eindeutig ab,
das Geländeniveau muss jedoch zwischen der Sohlbank der Kellerfenster und der Oberkante des Bauhorizontes gelegen haben, demzufolge ca. 50-70 cm
unter der heutigen Hofbefestigung. Der wichtigste
Fund der Grabung konnte ebenfalls in der Baugrube
gemacht werden, fand sich doch in der Baugrube
unterhalb des Bauhorizontes eine Silbermünze Münsteraner Prägung aus der Zeit zwischen ca. 1160 und
1180. Da für die Umlaufzeit der Münzen dieses Typs
die kurze Zeitspanne bis vor 1200 ermittelt wurde,
dürfte der Bau des Steinwerkes an der Bierstraße 7
ebenfalls in dieser Zeit, spätestens um 1200 begonnen worden sein.21
17 Osnabrück, Ausschnitt aus dem aktuellen Katasterplan der Stadt. Das Grundstück Bierstraße 7 ist hellrot, das Steinwerk
dunkelrot eingefärbt. An der Einmündung der Bierstraße auf den Rißmüllerplatz befand sich das Natruper Tor, 2001.
295
296
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
18 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Innenraumrekonstruktion des Erdgeschosses. Die Form der Kamineinfassung und der
Mittelstütze sind nicht belegt, 2011.
Das 14 m lange und 10,10 x 10,70 m breite Gebäude
besetzt die Südostecke eines eigentümlich winkelförmigen Grundstückes am Ostrand der Altstadt, ehemals unweit des als Bocksmauer bezeichneten Abschnittes der Stadtmauer und des Natruper Tores gelegen (Abb. 17).22 Neben der Haupterschließungsrichtung von Norden, von der Bierstraße aus, verfügt
das Grundstück über eine weitere Zufahrt von Westen, in Richtung der ehemals hier verlaufenden Stadtmauer. Die lange Tradition dieser Zuwegung belegen
nicht nur historische Karten, sondern auch die auf-
wändige Durchfensterung der Westfassade des Stein-
werkes mit Biforienfenstern, die als Schaufassade
demzufolge von der Stadtmauer aus einsehbar war.
Die südliche Grundstücksgrenze markiert bis heute
eine Hofmauer, die in der Verlängerung der Steinwerkssüdwand an das Gebäude anschließt. Die
archäologische Untersuchung ihrer Fundamentierung
erbrachte den Nachweis, dass sie auf den Resten einer
Vorgängermauer aufsitzt, deren Fundamentunterkante in einer Tiefe von 2,70 m unterhalb des heutigen
Geländeniveaus noch nicht erreicht war. Sie gründet
damit mindestens 20 cm tiefer als das Steinwerk. Das
Alter dieser Substruktion konnte nicht ermittelt werden, sie diente jedoch bereits beiden Latrinenschächten als Rückwand, deren älteste Füllungsschichten aus
der frühen Neuzeit stammten. Es steht zu vermuten,
dass der Mauerzug in die Bauzeit des Steinwerkes
zurückreicht und die Konstanz der südlichen Grundstücksgrenze seit der Aufsiedelung dieses Stadtquartiers in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, spätestens um 1200, manifestiert.23 Im Hinblick auf den
aufwändigen Bau des Steinwerkes mit Gewölbe darf
sicherlich auf eine größere Kapitalkraft und Bedeutung des damaligen Bauherrn geschlossen werden.
Möglicherweise geht die eigentümliche Winkelform
des heutigen Grundstückes auf eine vormals große
quadratische Parzelle zurück, die das gesamte Quartier zwischen Bocksmauer, Natruper Tor und Bierstraße eingenommen hatte.
In der bisher zum Thema Osnabrücker Steinwerke
erschienen Literatur wird stets betont, dass die frühen
Steinwerke bauzeitlich keine Feuerstellen besessen
hatten. Der im Steinwerk Bierstraße 7 im Mauerwerk
der nördlichen Traufwand emporgeführte Kaminzug
besaß ehemals eine zartgliedrige Einfassung aus
Werkstein, die nur anhand einer historischen Fotografie überliefert ist. Aufgrund ihrer gotischen For-
mensprache wurde der Ursprung der gesamten
Kaminanlage erst in spätere Zeit datiert.24 Allerdings
lassen sich am freiliegenden Mauerwerk in Ober- und
Dachgeschoss keinerlei Indizien für ein nachträgliches
Anlegen des Kaminzuges finden, eine Maßnahme, die
umfangreiche Eingriffe in die massive Bruchstein-
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
Substanz bedeutet hätte. Auch eine chemische Analyse des Fugenmörtels im Bereich des Kaminzuges
und des ihn umgebenden Mauerwerkes hatte zum
Ergebnis, dass der Sand der Mörtelmischung angesichts auffälliger Pfadfinderminerale aus ein und derselben Grube stammen muss.25 Die Nutzung der gleichen Sandgrube sowohl zur Bauzeit als auch noch zur
Zeit einer späteren Umbauphase kann als sehr unwahrscheinlich gelten. Der Wandputz im Erdgeschoss
ermöglicht keine Untersuchung des Mauerwerkes, im
Fußbodenbereich vor dem Kaminzug haben sich allerdings zwei kümmerliche Steinreste aus Karbonsandstein erhalten, die als Überbleibsel einer Kamineinfassung gedeutet werden können. Da diese Werksteinvarietät ausschließlich bei den bauzeitlichen Tür- und
Fenstereinfassungen verwendet wurde, handelt es
sich bei den Steinfragmenten mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Reste der bauzeitlichen Kaminwangen.
Der Blick auf den Hausgrundriss zeigt, dass dieser
Rauchabzug exakt hinter dem Rauchabzug der
Feuerstelle des Vorderhauses angelegt ist (Abb. 13).
Die notwendige Öffnungsgröße der beiden zuglosen
Schornsteine ließ sich problemlos in der bis zu 2,80 m
messenden Traufwand anlegen, möglicherweise war
dieses haustechnische Detail sogar ursächlich für die
große Wandstärke verantwortlich.
Der Raum im erhöhten Erdgeschoss ist demzufolge
unterstützt und hatte sich offensichtlich bis zu den
alliierten Luftangriffen des Jahres 1944 erhalten.26
Über die Nutzung des Obergeschosses gibt es aufgrund der spärlichen Befundlage noch kein klares
Bild. Bislang wurde es stets als Lagergeschoss angesprochen, jedoch lassen die Ausstattung mit zwei
Biforienfenstern im Westen und drei großen Spitzwinkelfenstern nach Süden Zweifel an dieser These aufkommen (Abb. 15). Ebenfalls gegen einen Lagerraum
spricht das Fehlen einer Ladeluke. Diese ist lediglich
im Dachgeschoss vorhanden und konnte ausweislich
einer quadratischen Öffnung in der Giebelspitze für
einen Windenausleger auch als solche genutzt werden. Die Kaminhaube der Feuerstelle im Erdgeschoss
ragte weit bis in das Obergeschoss hinauf (Abb. 19).
Es kann zwar nicht von einer ausgesprochenen
Beheizbarkeit des Obergeschosses die Rede sein, aber
ein gewisser Kachelofeneffekt war durchaus gege-
ben. Wir können uns im Obergeschoss daher ebenso
eine untergeordnete Wohnfunktion (ggf. Schlafraum)
vorstellen. Als nachgewiesene Lagergeschosse dien-
ten wohl nur das Keller- und Dachgeschoss des
Hauses.
bereits bauzeitlich beheizbar gewesen und kann
angesichts des zu rekonstruierenden offenen Kamins
und der prominenten Biforienfenster mit Teilungssäul-
chen und Würfelkapitell als repräsentativer Wohn-
raum angesprochen werden (Abb. 18). Das Eingangs-
portal liegt zu ebener Erde in der Nordwand und
erschließt den Raum über einen massiven Treppenlauf
mit zehn Stufen. Jeweils zwei Biforienfenster in der
West- und Südfassade belichteten den Raum. Das
westliche Fenster der Südwand hat sich in situ erhalten, aus dem östlichen Fenster wurde zu unbestimmter Zeit das Teilungssäulchen mit den beiden aufliegenden Bogensteinen entfernt. Die beiden Fenster an
der Westfassade zeigen sich heute als Rekonstruk-
tionen des Jahres 1968. Im Verlauf der Spätgotik/
Renaissance waren diese Öffnungen aufgeweitet und
mit modernen Kreuzstockfenstern ausgestattet worden. Die Decke über dem Erdgeschoss kann analog
zur Obergeschossdecke wohl als Holzbalkendecke auf
Konsolsteinen und mittlerem Unterzug rekonstruiert
werden. Die Reste der abgeschlagenen Konsolsteine
aus Karbonsandstein können allerdings nur über dem
Obergeschoss nachgewiesen werden, da die heutige
Deckenkonstruktion über dem Erdgeschoss die Nachforschungen verhindert. Die bauzeitliche Decke musste bereits der Modernisierung des Hauses mit Kreuzstockfenstern weichen, da hierbei die Raumhöhe des
Erdgeschosses angehoben wurde. Diese jüngere
Decke wurde von einem Mittelunterzug auf einem
großen profilierten Holzständer mit Kopfbändern
19 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Blick auf die nördliche Traufwand mit Kaminzug im Obergeschoss. Der Pfeil
markiert die Ziegelzusetzung der ehemaligen Kaminhaube,
2010.
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298
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
20 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Ansicht von Norden als verformungsgetreues Bauaufmaß, 2010.
Im Hinblick auf die mit vielfältigen Funktionen ausgestattete nördliche Traufwand des Steinwerkes sollen
schließlich noch einige Befunde an der Nordfassade
setzten Wandnische mit geradem Sturz. Die Nische
liegt einen Meter über dem Hofniveau, ihre Öffnung
misst nur 40x65 cm. In gleicher Weise wie die Werk-
bauzeitlichen Vorderhauses von Bedeutung sind. Die
Nordfassade zeigt sich dem heutigen Betrachter als
unmittelbar an die Reste einer Kaminwange, die noch
vorgestellt werden, die für die Rekonstruktion des
weitgehend geschlossene, von den verheerenden
Bränden des Jahres 1944 stark gezeichnete Mauer-
fläche (Abb. 20, 21). Das einzige Fenster der Fassade
befindet sich im Obergeschoss und wurde erst in der
Nachkriegszeit eingefügt. Es sitzt in einer ehemaligen,
ebenfalls nicht bauzeitlichen Türöffnung, die eine
Verbindung zwischen dem Obergeschoss des vorkriegszeitlichen Vorderhauses und dem Steinwerk
herstellte. Alle bauzeitlichen Einbauten und Öffnungen in der Fassade liegen zu ebener Erde. Von rechts
nach links betrachtet befindet sich dicht vor der
Nordwestecke der von einem Rundbogen überdeckte
Zugang ins Erdgeschoss des Steinwerkes. Daran
anschließend zeigt sich eine weitere, mit 2,20 m
Breite und 2,50 m Höhe sehr große Rundbogenöffnung, die seit der Nachkriegszeit den Treppenabgang in das Kellergeschoss aufnimmt. Ursprünglich
war die Rückwand dieser 1,50 m tiefen Nische geschlossen. Die Werksteineinfassung der Nische berührt mit ihrer linken Laibung die Einfassung einer
demgegenüber sehr kleinen und nachträglich zuge-
steineinfassung auf der rechten Seite gegen die
Rundbogennische stößt, reicht ihre linke Laibung
einen abgeschlagenen Konsolstein trägt (Abb. 22).
Die zugehörige linke Kaminwange ist spätestens beim
Anbau des nachkriegszeitlichen Flügelbaues ver-
schwunden. Die ehemalige Feuerstelle im Bereich der
Wandfläche zwischen Kaminwange und Flügelbau
wurde mit Ziegelsteinen vermauert. Am linken, östlichen Rand der Nordfassade befindet sich, ebenfalls
vom Flügelbau verdeckt, als dritte Rundbogenöffnung
der bauzeitliche Abgang in das Kellergeschoss des
Steinwerkes (Abb. 21, 23).
Alle diese beschriebenen Öffnungen und Einbauten
an der Außenseite der Steinwerkswand wurden mit
Karbonsandstein eingefasst und sind ungestört in den
Bruchsteinverband der Fassade eingefügt. In der
Summe sprechen sie daher für ein bereits mit dem
Bau des Steinwerkes hier anschließendes Vorderhaus,
das die Traufwand des Steingebäudes als Rückwand
nutzte.27 Von diesem bauzeitlichen Vorderhaus hat
sich auf Höhe des Steinwerkobergeschosses zudem
eine Ortgangspur erhalten (Abb. 20). In der
Fotosammlung der heutigen Besitzerfamilie findet
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
sich für die Vervollständigung dieser Spur eine
Lösungsmöglichkeit, die bisher nicht in Betracht gezogen worden ist (Abb. 24, 25). Die Fotografien zeigen
die Reste einer Giebelscheibe aus Bruchstein, die auf
der Traufwand des Steinwerkes aufsitzt. Der Ortgang
dieses Giebels führte die bauzeitliche Ortgangspur in
der gleichen Dachneigung fort. Das dazugehörige
Vorderhaus war demzufolge ebenso breit wie das
Steinwerk lang. In einer späteren Bauphase wurde die
Dachneigung durch Aufmauern von Ziegelschalen
verringert. Dieses im Zweiten Weltkrieg zerstörte Vorderhaus trug eine Inschrift, die besagte, dass das Haus
nach dem großen Stadtbrand 1613 im Jahre 1619
neu errichtet worden war.28 Die bruchsteinerne Giebelscheibe wurde kurz nach der hier abgedruckten
fotografischen Dokumentation abgebrochen. Ihr Alter
ist nicht bekannt, da sie jedoch sowohl bezüglich des
Materials als auch der Dachneigung mit den Spuren
am Steinwerk übereinstimmte, ist nicht auszuschließen, dass es sich um die Giebelscheibe des zeitgleich
mit dem Steinwerk errichteten Vorderhauses gehandelt hat. Ein weiteres Indiz hierfür sind die beiden hintereinander angeordneten Kaminzüge aus den Erdge-
schossen in Steinwerk und Vorderhaus, die ohne
erkennbare Störungen oder Hinweise auf nachträgliche Veränderungen in der Giebelscheibe integriert
waren und diese am First verließen. Die großen Abmessungen des bruchsteinernen Schornsteines deuten darauf hin, dass beide Züge separat bis über Dach
geführt wurden, um einen gleichzeitigen Betrieb bei-
21 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Detail der Nordfassade. Das Bild schneidet auf der rechten Seite die große Rund-
bogennische an, in der Bildmitte ist die zugesetzte Rechtecknische zu sehen, die links von einer Kaminwange mit auf-
sitzendem Konsolsteinrest begleitet wird. Am linken Bildrand
markiert das Ziegelmauerwerk die Zusetzung der ehemaligen Feuerstelle des Vorderhauses, 2010.
22 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Kellergeschoss. Die Rundbogenöffnung an der Nordostecke des Raumes führt in den
Kellerhals mit dem bauzeitlichen Kellerabgang. 2010.
299
300
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
23 Osnabrück, Bierstraße 7. Blick von Norden vom Flachdach des neu errichteten Flügelbaues auf das Dach und Teile der nörd-
lichen Traufwand des Steinwerkes. In der Verlängerung der Traufwand ragt die Giebelscheibe des im Zweiten Weltkrieg zer-
störten Vorderhauses empor, die kurz nach der Aufnahme abgebrochen worden ist, um 1957.
der Feuerstellen zu gewährleisten. Der steinerne
Rückgiebel hatte eine Mauerstärke von ca. 50 cm und
saß auf der Traufwand des Steinwerkes bzw. wurde
aus ihrem Mauerwerk ausgespart.29 Die Mauerstärke
des Steinwerkes beträgt am Traufpunkt abzüglich des
Auflagers für das Spitztonnengewölbe noch einen
Meter und bot daher ausreichend Auflagerfläche für
die Giebelscheibe.
Auf Grundlage des verformungsgetreuen Aufmaßes
der Nordfassade lässt sich die Dachneigung des
Vorderhauses mit 48° ermitteln (Abb. 21). Über das
Material seiner drei Umfassungswände ist nichts
bekannt. Die maximale Wandstärke gibt der Abstand
zwischen der nordwestlichen Hausecke und der
24 Osnabrück, Bierstraße 7. Blick von Westen auf das Steinwerk. Auf der nördlichen Traufwand des Steinwerkes stehen
noch die Giebelscheibe des zerstörten Vorderhauses und der
große Schornstein mit den beiden Kaminzügen, um 1957.
Werksteineinfassung des Erdgeschosseinganges vor,
wonach sie max. 50-55 cm betragen haben kann. Da
es keine Anzeichen für eine Verzahnung vom Bruchsteinmauerwerk des Steinwerkes mit einem ehemaligen Vorderhaus gibt, war das bauzeitliche Vorderhaus
wohl als Fachwerkbau konzipiert.
Bei gleicher Breite des Vorderhauses zur Länge der
Steinwerkswand ergibt sich aus der Ortgangspur eine
Traufhöhe des Hauses von etwa 5 m. Dies spräche für
einen eingeschossigen Bau unter einem ebenfalls
etwa 5 m hohen Dachraum (Abb. 26). Der Laufhorizont auf der Hoffläche befand sich zwar zwischen 50
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
25 Osnabrück, Bierstraße 7: Rekonstruktionsaxonometrie von Steinwerk und Vorderhaus auf Grundlage der Befunde an der
Steinwerksnordfassade im bauzeitlichen Zustand um 1200. Die Längenausdehnung sowie weitere Baudetails des
Vorderhauses bleiben ungewiss, 2011.
und 70 cm unter dem heutigen Niveau, die Befunde
an den mit Werkstein gefassten Öffnungen am Fuße
der Nordfassade deuten jedoch an, dass das
Bodenniveau im Inneren des Vorderhauses bauzeitlich
nicht wesentlich tiefer gelegen haben kann als heute.
Demzufolge war der gegenüber dem Erdgeschosszugang etwa 90 cm tiefer liegende Kellerzugang nur
über einige Stufen vom Vorderhaus aus zu erreichen.
Die notwendige Dach-/Zerrbalkenlage des Vorderhauses spannte über eine Hausbreite von 14 m und be-
durfte folglich einer Unterstützung durch einen
Unterzug. Angesichts der mittig verlaufenden Kaminzüge und der zahlreichen Einbauten an der gemein-
samen Nordwand von Steinwerk und Vorderhaus
kommt für die Lage dieser Unterzugkonstruktion der
Bereich zwischen der Feuerstelle und dem Kellerab-
gang infrage. Hiermit hätte der Unterzug etwa im
Drittelspunkt der Spannweite gelegen.
Die bauzeitliche Nutzung der großen Rundbogen-
nische zwischen Kamin und Erdgeschossaufgang ins
Steinwerk, die sich bei mehreren Osnabrücker Steinwerken mit Dachgewölbe finden lässt, ist noch nicht
eindeutig bestimmt. Sie könnte eine Ausstattung mit
Wandregal besessen und zur Aufbewahrung vorzeig-
baren Ess- und Trinkgeschirrs gedient haben oder
wurde möglicherweise auch als Schlafplatz im Sinne
eines Alkovens genutzt. Die daran anschließende,
kleine rechteckige Nische direkt neben der Feuerstelle
wird gerne mit der Aufbewahrung des Salzfasses in
Verbindung gebracht. Dies würde voraussetzen, dass
die Kaminanlage als Herdstelle genutzt wurde.
Angesichts der eher zierlichen Form der erhaltenen
Kaminwange und -konsole darf die vorsichtige Vermutung geäußert werden, dass es sich möglicherweise nicht um einen Herd, sondern einen Wohnkamin
gehandelt haben könnte. In diesem Falle müsste die
Herdstelle des Anwesens noch an einer anderen Stelle
zu suchen sein.
Über die Länge des bauzeitlichen Vorderhauses liegen
keine Erkenntnisse vor. Die Entfernung zwischen dem
Steinwerk und der Grundstücksgrenze an der Bierstraße beträgt etwa 27 m und erscheint als Länge
eines Hauses vergleichsweise groß. Möglicherweise
gibt uns das letzte bestehende Dielenhaus an dieser
Stelle, das noch aus der Zeit nach dem Stadtbrand
von 1613 gestammt haben soll und den Bombenangriffen 1944 zum Opfer gefallen ist, einen Anhaltspunkt für die bauzeitliche Hauslänge. Es reichte eben-
falls nicht bis an die Bierstraße heran und war mit
etwa 14-15 m etwa ebenso lang wie breit.30
Betrachten wir das möglicherweise große quadratische Grundstück an der Bierstraße, im Anschluss an
301
302
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
das Natruper Tor und die Bocksmauer, auf dem das
Steinwerk mit Vorderhaus die südöstliche Ecke besetzte, ist eine ansonsten stadttypische straßenzeilige
Bebauung auszuschließen. Stattdessen können wir
uns für die Bauzeit um 1200 eine differenzierte Hof-
bebauung vorstellen, die neben den Wohnbauten
und dem archäologisch nachgewiesenen Gartenland
über eine unbekannte Zahl weiterer Gebäude für
Vieh, Pferde, Wagen und Gesinde verfügt haben wird.
Schlussfolgerungen
Die Ausstattung des Steinwerkes und auch des zu
rekonstruierenden Vorderhauses ist angesichts der
Abfolge von stets werksteingefassten Biforienfens-
tern, Rundbogenöffnungen, Nischen und den Feuerstellen als überaus repräsentativ zu bezeichnen. Die
bislang von der Forschung als Vorderhäuser der Steinwerke vorgeschlagenen kleinen Fachwerkhäuser fallen demgegenüber sicherlich zu unscheinbar aus und
dürfen im Hinblick auf die hier vorgestellten Befunde
möglicherweise auch andernorts größer rekonstruiert
werden. An archivalischen Nachrichten über diese
mehrteiligen Bauten aus Haus und Steinwerk liegen
aus Osnabrück sowohl eine Nennung mit Fachwerk-
haus und Steinwerk als auch mit steinernem Vorderhaus vor.31 Die schriftlichen Überlieferungen lassen
im Allgemeinen jedoch keine Rückschlüsse auf den
Stand der Bauherrenschaft dieser repräsentativen
Wohnanlagen des 13. Jahrhunderts zu. Angesichts
des Kulturtransfers von oder nach Gotland durch reisende Kaufleute liegt es nahe, das eine oder andere
Anwesen mit gewölbtem Steinwerk in Osnabrück
einem Fernhandelskaufmann zuzuschreiben. Die Errichtung eines Steinwerkes zu Speicherzwecken kann
für die älteren, gewölbten Steinwerke in Osnabrück
bislang jedoch nur am vorgestellten Beispiel in der
Anmerkungen
1 Die folgende Darstellung der ländlichen Steinwerke stellt
eine Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse zu
Bierstraße 7 anhand der Luke im Dachgeschoss nach-
gewiesen werden. Im Falle der Steinwerke auf dem
Ledenhof und an der Rolandsmauer sind aufgrund
der Befunduntersuchungen Luken im Dachgeschoss
auszuschließen.32 Beiden Gebäuden fehlt zudem das
Obergeschoss, sodass lediglich der Kellerraum als ausgewiesener Lagerraum angesprochen werden könnte.
Das Gewölbegeschoss des Steinwerkes an der
Rolandsmauer wurde überdies mit einem aufwändigen Biforienfenster sowie Vier- bzw. Sechspassfenstern ausgestattet. Die repräsentativen Fensterformen
und das Fehlen von Luken schließt eine Nutzung als
Speicherraum nicht grundsätzlich aus, deutet jedoch
an, dass die Räume nicht in erster Linie zu Lagerzwecken, sondern wohl vielfältiger genutzt wurden. Allen
drei Steinwerken ist gemein, dass sie auf Grund-
stücken liegen, die für das 13. Jahrhundert als ausgesprochen groß und in prominenter Ecklage rekonstruiert werden können. Der Ledenhof liegt zudem in der
südlichen Altstadt, einem Stadtbereich, der seit der
Aufsiedelungsphase bevorzugt von der städtischen
Führungsschicht, der bischöflichen Ministerialität und
dem Landadel für die Anlage raumgreifender Hofanlagen gewählt worden war.33
Es wird wahrscheinlich nicht gelingen, die Grün-
dungsfamilien der frühen Steinwerke mit Dachgewölben herauszufinden; ihre bautechnische Herausforderung, repräsentative Erscheinungsform und Lage
verweist auf finanzstarke Bauherren, die sicherlich aus
den Reihen der Handelsleute, aber ebenso aus der
gerade beschriebenen adligen und nichtadligen Ober-
schicht stammten. Mit Blick auf das Thema dieser
Tagung können die Steinwerke somit als baulicher
Ausdruck der Schnittmenge aus Adel und Bürgertum
angesehen werden.
Mehrzahl vom Büro Preßler (Gersten/Emsland) erstellt.
4 Für die Bereitstellung der Fotografie vom Romanischen
Haus in Rosheim danke ich Herrn Dr. Volker Gläntzer sehr
diesem Thema dar, die sich in ausführlicher Weise finden bei:
herzlich.
Carolin Sophie Prinzhorn, Die ländlichen Steinwerke des
Landkreises Osnabrück, in: Michael J. Hurst et. al. u. a.,
au und Bergheim sei an dieser Stelle Herrn Dr. Jürgen Römer
Steinwerke - ein mittelalterlicher Bautyp? Vorträge des Kollo-
quiums Steinwerke vom 2. bis 4. März 2006 in Osnabrück.
5 Für die aufmerksamen Hinweise auf die Bauten in Breiten-
vom Regionalmuseum Wolfhagener Land und Herrn Dr.-Ing.
Bernd Adam (Garbsen-Berenbostel) sehr herzlich gedankt.
Osnabrück 2008, S. 257-288.
6 Vgl. hierzu zuletzt Heinrich Siemer, Die Steinwerke im Dorf
steinernen Speichergebäudes im Osnabrücker Land erneut
Ankum-Grovern messen lediglich (bxh) 37,5 x 74 cm bzw.
2 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts und besonders im
ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde die Bauform des
aufgegriffen und erlebte einen regelrechten Bauboom, der
wohl mit der Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge im
Allgemeinen und dem vermehrten Kartoffelanbau im Besonderen zusammenhing. Diese jüngere Gruppe der Steinspeicher ist bei der Erfassung der ländlichen Steinwerke dieser
Region nicht berücksichtigt.
3 Die dendrochronologischen Gutachten wurden in der
und Kirchspiel Ankum. Ankum 2000.
7 Die beiden Lukenöffnungen am Steinwerk Schulte-Geers in
46x81 cm.
8 Eine erste baugeschichtliche Darstellung der Osnabrücker
Steinwerke lieferte Karl Brandi, Das osnabrückische Bauern-
und Bürgerhaus, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte
und Landeskunde von Osnabrück, 16, 1891, S. 265-314.
9 Hinzu kommen etwa 100 Verdachtsfälle. Im Rahmen des
Projektes „Osnabrücker S^einwerke" wurde im März 2006
Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück
ein Kolloquium zum überregionalen Steinwerksbestand und
Osnabrück 1937, S. 127-131.
seiner Erforschung veranstaltet. Die Vorträge des Kolloqui-
20 Vgl. zu den im Folgenden erläuterten Grabungsergebnissen Carolin Sophie Prinzhorn/Bodo Zehm, Osnabrück
ums sowie die Vorstellung des Projektes sind im Tagungsband veröffentlicht: Hurst (wie Anm. 1).
10 Für die uneingeschränkte Bereitstellung der gesammelten
Daten richtet sich auch an dieser Stelle der herzliche Dank
der Verfasserin an Herrn Bruno Switala (Osnabrück) und
Herrn Michael J. Hurst (Mettingen).
FStNr. 52 (Steinwerk und Hof Bierstraße 7), Gde. Osnabrück,
KfSt. Osnabrück, Reg. Bez. Weser-Ems, in: Fundchronik
Niedersachsen 2005. Nachrichten aus Niedersachsens
Urgeschichte, Beiheft 12, 2006, 180 ff., Kat.Nr. 216. [Anm.
CSP: Die Fundchronik wird üblicherweise als Periodikum
Prof. Dr. Georg Frebold, Technische Hochschule Hannover,
zitiert, also ohne Erscheinungsort; sollte nach Ansicht der
Red. dennoch einer genannt werden, wäre es „Stuttgart"]
lagen die zugehörigen Steinbrüche am Hüggel (bei Has-
21 Die numismatische Einordnung des Silberpfennigs wurde
11 Nach Ergebnissen von Dünnschliffuntersuchungen von
bergen) und bei Ibbenbüren (nach Adolf Ide, Die Steinwerke
der Stadt Osnabrück. Osnabrück 1939, S. 32, 53 f.).
12 Friedrich Philippi (Hg. u. Bearb.), Osnabrücker Urkunden-
vom Münzauktionshaus Künker GmbH & Co KG,
Osnabrück, durchgeführt.
buch, hrsg. von F. Philippi, Band 1. Osnabrück (1892), Nr.
22 Aufgrund des ersten Befestigungsprivilegs der Stadt Osnabrück wohl bereits aus dem Jahr 1171 sowie der dendro-
345.
chronologischen Datierung eines Pfahlrostes eines Stadttur-
13 Die Grabung in der Bierstraße 7 und die Datierung des
mes auf 1200/01 sei eine „Bauzeit des ersten Befestigungs-
dortigen Gebäudes werden im folgenden Kapitel näher er-
rings der Altstadt während des letzten Viertels des 12. Jahr-
läutert.
hunderts bzw. um 1200 [...] äußerst wahrscheinlich." Nach:
14 Vgl. hierzu Bruno Switala, Die frühen Osnabrücker Stein-
15 Erich Fink (Hg.), I. Das älteste Stadtbuch von Osnabrück;
Wolfgang Schlüter, Archäologische Zeugnisse zur Entstehung der Stadt Osnabrück, in: Zeitschrift für Archäologie des
Mittelalters, Beiheft 14. Bonn 2002, S. 37-103; hier S. 97 f.
23 Ebenda S. 49 ff.; 94 f.
II. Das älteste Legerbuch des Bürgermeisters Rudolf Ham-
24 Ide (wie Anm. 11), S. 39 Abb. 12. Die Kamineinfassung
macher zu Osnabrück. Im Auftrage des Historischen Vereins
war 1939 bereits abgebrochen, das Alter der Fotografie gibt
Ide nicht an.
werke - ein eigenständiger Gebäudetyp?, in: Hurst (wie
Anm. 1), S. 217-230, hier S. 218.
hrsg. von E. Fink. (= Osnabrücker Geschichtsquellen. IV).
Osnabrück 1927, Nr. 27.
16 Aus dem umfangreichen Literaturbestand zum südwestdeutschen Hausbau sei hier exemplarisch genannt: Marianne
Flüeler (Hrsg.), Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch - Die
Stadt um 1300. [Katalog zur Ausstellung Stadtluft, Hirsebrei
und Bettelmönch - die Stadt um 1300; Stadtarchäologie in
25 Die Probenentnahme erfolgte durch die Verfasserin im
März 2010, an der Technischen Universität München wur-
den anschließend am Lehrstuhl für Ingenieurgeologie die
Dünnschliffe der Mörtelproben angefertigt und Frau Dipl.
Rest. (Univ.) Laura Thiemann führte am Lehrstuhl für Restau-
rierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft
Baden-Württemberg und in der Nordostschweiz; eine
die Mörtelanalyse durch.
gemeinsame Ausstellung des Landes Baden-Württemberg
und der Stadt Zürich], Stuttgart 1992. - Frank Löbbecke, Das
26 Bei den Bombardierungen der Osnabrücker Altstadt zwischen 1942 und 1945 wurden bis auf das Steinwerk alle Ge-
„Freiburger Haus". Ein Wohnhaustyp des 13. Jahrhunderts
bäude des Quartiers vollständig zerstört. Das Steinwerk
brannte zwar vollständig aus, war nach Kriegsende jedoch
und seine Vorstufen, in: Südwestdeutsche Beiträge zur his-
torischen Bauforschung. Band 4. Stuttgart 1999, S. 193203.
17 Vgl. hierzu Karl Schnieringer, Das mittelalterliche
das einzige Gebäude mit intaktem Dach, da das Gewölbe ein
Überschlag der Flammen aus dem Inneren des Gebäudes auf
Bürgerhaus in Regensburg, in: Denkmäler in Bayern. III. 37,
das Dachwerk verhinderte. Den Vorkriegszustand des Steinwerkes hatte Karl Brandi 1891 zeichnerisch dokumentiert.
Stadt Regensburg. Regensburg 1997, S. LXXXVIII-CXII; sowie
Vgl. Brandi (wie Anm. 8), Taf. 6.
Heike Fastje, Bauforschung in Regensburg: Die Häuser
„Goldener Turm" und „Vor der Grieb 1, 3, und 5", in:
Jahrbuch der Bayerischen Denkmalpflege. 1985, S. 54-72.
18 Vgl. hierzu Gunnar Svahnström, Häuser und Höfe auf
Gotland während des Mittelalters, in: Jahrbuch für Hausforschung. 27, Bericht über die Tagung des Arbeitskreises für
Hausforschung e. V. in Visby/Gotland vom 31.08.-
27 In der älteren, aber immer noch vielzitierten Literatur zu
den Osnabrücker Steinwerken wurde stets postuliert, dass
Steinwerk und Vorderhaus erst im Verlauf des Spätmittelalters zusammenwuchsen. Bis dahin hätten die Steinwerke
als selbstständige Gebäude frei auf dem Grundstück gestanden. So beschrieben bei Ide (wie Anm. 11, S. 35) und bei
Roswitha Poppe, Wohnbauten des Adels und des Bürger-
03.09.1976. Detmold 1977, S. 1-39. An dieser Stelle geht
mein herzliche1- Dank an Dietrich Maschmeyer (Reckling-
tums in Osnabrück, in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, hrsg. vom Germanischen Nationalmu-
19 Hierfür sprechen auch Personennamen wie Gotland oder
seum Mainz. Band 43: Das Osnabrücker Land II. Beiträge zur
Geschichte der Stadt Osnabrück und ihres Umlandes. Mainz
de Gotlandia, die in Osnabrück allerdings erst für das späte
1979, 75-92, hier S. 75-80.
hausen), der mich auf diese Publikation hinwies.
13,/frühe 14. Jahrhundert belegt sind. Vgl. hierzu Hermann
Rothert, Osnabrück im Mittelalter. Mitteilungen des Vereins
für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück. Band 57.
28 Der Holzbalken mit der Inschrift ist zwar im Zweiten
Weltkrieg zerstört worden, der lateinische Wortlaut ist
jedoch überliefert durch: Brandi (wie Anm. 8), S. 309.
303
304
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
29 In der Verwaltungsakte der städtischen Denkmalpflege
Osnabrücks zum Anwesen Bierstraße 7 hat sich eine unda-
Abbildungsnachweis
tierte Aufmaßskizze des Steinwerkes erhalten, die den im
Foto festgehaltenen nachkriegszeitlichen Zustand zeigt. Der
Dr.-Ing. B. Adam (Garbsen-Berenbostel): 2;
neue Flügelbau war als Ersatz für das Dielenhaus bereits
Dr. Jürgen Römer (Lichtenfels-Dalwigksthal): 6;
errichtet, die massive Giebelscheibe stand aber noch auf der
Stadt Osnabrück, Fachbereich Städtebau, Fachdienst Geodä-
Steinwerkstraufe und wurde mit einer Dicke von ca. 50 cm
dokumentiert.
ten: 7, 17;
G. Svahnström (wie Anm. 18), Abb. 7b/e: 14;
30 Leider liegt zu dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten
Archäologischer Arbeitskreis für Stadt und Land Osnabrück
Vorderhaus kein aussagekräftiges Planmaterial vor und aus
e. V: 15 (Hurst); 16 (Prinzhorn);
den vorkriegszeitlichen Stadtkarten lässt sich seine Kubatur
nur abschätzen.
Familie Wunderling (Osnabrück): 23, 24.
31 Vgl. Max Bähr (Hg. u. Bearb.), Osnabrücker Urkundenbuch, hg. von Max Bähr, Band IV, Osnabrück (1902), Nr. 287
(1290 März 5), in der ein größerer Hofkomplex mit unterschiedlichen Gebäuden genannt wird, hierzu zählen u. a. ein
Holzhaus mit Kemenate sowie ein für die Weinlagerung
genutzter Keller und ein Steinhaus: „[...] ligneamdomum
cum caminata [...], celarium et domum totam lapidei edificii
ad usus vini". In einer anderen Urkunde ist dagegen von
einer Kemenate hinter einem Steinhaus die Rede: „[...] cam-
inata [...] retrodomumlapideam [...]". Vgl. hierzu HorstRüdiger Jarck (Bearb.), Osnabrücker Urkundenbuch, hrsg.
von Horst-Rüdiger Jarck, Band VI, Osnabrück(1989), Nr. 33
(1305 April 23). Für den Hinweis auf die letztgenannte
Urkunde sei Dr. Karsten Igel (Osnabrück) herzlich gedankt.
32 Die drei Steinwerke an der Bierstraße 7, der Rolandsmauer 23a und am Ledenhof konnten bislang von der Verfasserin
eingehend bauhistorisch untersucht werden. Die detaillierte
Beschäftigung mit den übrigen vier bestehenden sowie den
Überlieferungen zu den abgegangenen Steinwerken mit
Dachgewölben steht noch aus. Das Steinwerk an der
Rolandsmauer 23a wurde in der älteren Literatur unter der
Adresse Dielingerstraße 13 geführt. Die heutige Zuweisung
zur Rolandsmauer entspricht wieder der historischen
Ausrichtung des ehemals zugehörigen Vorderhauses.
33 Vgl. Schlüter (wie Anm. 23), S. 90 f. und Abb. 21.
C. S. Prinzhorn (Altenbücken): 1, 3, 4, 8-13, 18-22, 25;
Dr. V. Gläntzer (Hannover): 5;
305
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
Axel Böcker / Peter Barthold / Fred Kaspar
Forschungsstand und Fragestellung
Der steinerne Wohnteil von Haus Westerhaus ist
wegen seiner reichen Werksteindekorationen als
ungewöhnliche bauliche Erscheinung auf einem landwirtschaftlichen Anwesen schon seit über 100 Jahren
bekannt, wobei allerdings stets nur Fragen nach der
künstlerischen Einordnung und Datierung interessierten. Das Interesse haftete an der äußeren Gestaltung
des massiv ausgeführten Wohnteils, da dieser ungewöhnliche, der „Lipperenaissance" zugeordnete Formen zeigt. Das sich daran anschließende und aus
Fachwerk bestehende Bauernhaus fand hingegen
kein Interesse. Der steinerne Wohnteil wurde schon
1897 in dem Band der Bau- und Kunstdenkmäler des
Kreises Münster Land mit einer auf eine 1894 durch
den Konservator Albert Ludorff selbst erstellten
Fotografie1 zurückgehende Zeichnung dargestellt. Auf
die dort vorgelegten knappen Informationen gehen
alle weiteren Betrachtungen bis heute zurück.2
Lindner veröffentlichte 1912 zwei weitere Fotografien
des Wohnteils und versuchte eine Einordnung des
Hauses: Er sah es als ein „gesteigertes Bauernhaus"
und kommentierte, dass Vierständerbauten üblicher-
weise nicht zu herrschaftlichen Wohnzwecken gedient hätten.3 Aufgrund stilgeschichtlicher Vergleiche
schloss Klapheck 1915, dass der Wohnteil wohl im
frühen 17. Jahrhundert errichtet worden sei und es
sich um ein Werk des Heinrich Johannssen, einem
Sohn des Meisters Arndt Johannssen, handeln dürfe,
vielleicht aber auch einem Mitglied der Werkstatt des
Laurentz von Brachum. Beide Baumeister hatten wesentlichen Anteil am Bau von Schloss Horst.4 Geisberg
zog 1934 Haus Westerhaus als Vergleich für die zwei-
fache horizontale Gliederung von hohen Fenstern
heran und datierte es hierbei auf die Zeit um 1570.5
Mummenhoff erschloss 1961 über Stilvergleiche eine
1 Nördliche Traufwand des 1594 und 1595 an das ältere Bauernhaus von Fachwerk mit massiven Umfassungswänden ange-
bauten herrschaftlichen Wohnteils. Die älteste bekannte Abbildung des Hauses fertigte im Oktober 1894 Konservator Ludorff.
Im Vordergrund die hohen Fenster der großen Herdküche, dahinter die unterkellerte Saalkammer mit später veränderten
Fenstern.
306
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Die gleiche Ansicht im Jahre 1999.
geschätzte Bauzeit zwischen 1570 und 1630 und ließ
getreues Aufmaß der Fachwerkteile des Gebäudes im
Bauteil sah er als „baulichen Rest" (und damit als Teil
eines ehemals größeren Gebäudes) und das angebaute Bauernhaus als ein jüngeres Wirtschaftsgebäude,
das einen älteren Fachwerkbau ersetzt habe.7
nologische Untersuchungen vorgenommen.9 Der steinerne Wohnteil konnte hingegen nur in seinen grundsätzlichen Strukturen erfasst werden, da er bewohnt
blieb und daher keine tieferen Einblicke in die konstruktiven Details zuließ. Auch die erhaltene Fachwerk-
Obwohl das Gebäude also seit Langem durch die
architekturgeschichtliche Forschung bekannt ist,
scheune des späteren 18. Jahrhunderts wurde in die
die Frage des Baumeisters offen.6 Den steinernen
wurde es bislang keiner genaueren Betrachtung und
Analyse unterzogen. Es blieb bei kursorischen Hinweisen und Vermutungen, wobei auch nähere Angaben
zum Anlass der Errichtung und möglichen Bauherren
ausblieben. Selbst zum Versuch einer genaueren
Datierung kam es nicht. Auch von der Eintragung des
Gebäudes in die Denkmalliste im Jahre 1982 ging kein
neues Erkenntnisinteresse aus.
Anlass einer erstmaligen und hier in den Ergebnissen
vorgelegten baugeschichtlichen Untersuchung des
Hofes und seiner Gebäude waren dringende Sanierungsarbeiten, die insbesondere das seit Langem
schadhafte Dach des Haupthauses erforderte. Wäh-
rend mehrerer Termine in den Jahren 1999 und 2000
wurden durch die Autoren8 die zugänglichen bauhistorisch relevanten Merkmale des Gebäudes erfasst.
Hauptaugenmerk wurde hierbei auf den in Fachwerk
errichteten Wirtschaftsteil und das Dachwerk gerichtet. Zu diesem Zweck wurden ein nicht verformungs-
Maßstab 1:50 angefertigt und zugleich dendrochro-
Untersuchungen einbezogen.10
Die Bau- und Nutzungsgeschichte des Gutes und sei-
ner Gebäude konnte in ihren Grundzügen geklärt
werden und brachte völlig neue Erkenntnisse: Das
überlieferte Hauptgebäude ist in mehreren Bauphasen entstanden, wobei der bisher im Zentrum stehen-
de Steinbauteil einen späteren Anbau darstellt. Im
Kern besteht das Haupthaus aus einem Fachwerkgebäude in Vierständerbauweise, das nach dendro-
chronologischer Datierung in den Jahren 1554/55 errichtet worden ist. 1594-1596 wurde dann das bisherige, vermutlich in Fachwerk errichtete Kammerfach
durch den bis heute erhaltenen steinernen Wohnteil
ersetzt. Wohl zeitgleich hat man auch den Wirt-
schaftsteil verlängert. Aus dem bis zu diesem Zeitpunkt als Bauernhaus genutzten Gebäude wurde das
„Haus Westerhaus".
Parallel zu der Bauuntersuchung wurde versucht, die
Besitz- und Nutzungsgeschichte des Gebäudes zu klären und hierzu die schriftliche Überlieferung zu dem
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
Haus zu erfassen und zu erschließen. Hierbei stand die
Frage im Mittelpunkt, wer das um 1594 fertiggestellte Gebäude errichten ließ. Im Zuge der wegen der
komplexen Besitzgeschichte notwendigerweise umfangreichen Archivstudien gelang es,11 sowohl den
Bauherren zu benennen wie auch die weitere
Nutzungsgeschichte der Gebäude weitgehend aufzuhellen: Westerhaus wurde offensichtlich erst um 1594
von einem freien, wahrscheinlich verpachteten
Bauernhof zu einem größeren Pachtgut mit herr-
schaftlicher Sommerwohnung ausgebaut. Dieses
befand sich während dreier Generationen in den
Händen hoher landesherrlicher Beamte, die ihren ersten Wohnsitz in Münster hatten: Dem Pfennigmeister
Martin Schnell folgte der Geheime Rat und Vizekanzler Melchior Mensing und danach dessen Bruder Lic.
Ernst Melchior Mensing. Dessen Witwe und Erben
nutzten das Gutshaus nach dem Verlust ihres mün-
sterschen Wohnsitzes 1656/1657 erstmals als Dauer-
wohnung. Nach Verkauf in den Jahren 1670-1673
wurde das zu dieser Zeit schon nicht mehr neue Haus
zu einem nur noch von Pächtern bewohnten Gebäude und im 19. Jahrhundert zu einem von den
Eigentümern bewohnten und genutzten Bauernhaus.
Zur Besitz- und Nutzungsgeschichte
Aufgrund der zahlreichen Besitzerwechsel gibt es für
Haus Westerhaus keine einheitliche Archiv-Überlieferung mit geschlossenen Beständen von Urkunden und
Akten zur Besitz- und Nutzungsgeschichte. Die hier
erstmals rekonstruierte Geschichte wurde aus bruch-
stückhaften und zum Teil widersprüchlichen Überlieferungen in verschiedenen Archivbeständen zusammengeführt. Hierbei gelang es, die Besitzfolge des
Hauses und der wohl erst seit dem Bau des steinernen
Wohnteils um 1594 ausgebildeten kleinen Grundherrschaft in ihren Grundzügen zu rekonstruieren.12 Nur
ansatzweise erhellt werden konnten hingegen die davor liegenden Zeiten, sodass auch über den Bauherrn
des 1554/55 d errichteten Bauernhauses bislang keine
abschließende Gewissheit erlangt werden konnte.13
Der münsterische Pfennigmeister Martin Schnell,
Bauherr des Wohnteils 1594/95d
Die bislang erschlossene schriftliche Überlieferung zu
Haus Westerhaus beginnt mit dem Jahr 1592: Am
Mittwoch, dem 5. Juni 1592, schließen Martin Schnell
und dessen Ehefrau Anna von Amelunxen einen Kauf-
vertrag mit Johann Verendorpf und dessen Ehefrau
Margarethe Platen. Kaufgegenstand ist ein Gutt daß
Westerhauß genannt gelegen im Kirspell zu Rinnkenrodt mit seinem Zubehör, nichts davon ausbeschieden.'4 Schnell ist allerdings schon im Jahre 1591 in
der Bauernschaft Hemmer nachweisbar. Er musste
sich in diesem Jahr vor dem münsterischen Hofgericht
wegen Fischereirechten am Hemmerteich bei Rinkerode gegen die Ansprüche des Hermann Kerkerinck
zur Borg wehren. 1592 wurde das Verfahren in zweiter Instanz vor dem Reichskammergericht weiterge-
führt.’5 Im Jahre 1594 sind Baumaßnahmen an der
Gräfte von Haus Westerhaus, das Martin Schnells
Burg in Rinkerode genannt wird, nachweisbar16 und
3 Ansicht des Haupthauses im Jahre 2002 von der Zufahrt im Nordosten des Hofplatzes: Links das Bauernhaus von 1554d,
rechts dahinter der 1594 und 1595 errichtete herrschaftliche Wohnteil. Im Vordergrund der Rest des 1908 errichteten
Anbau mit Back- und Göpelhaus.
307
308
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
4 Die gleiche Ansicht 2013 nach Abschluss der Renovierungsarbeiten.
am 2. Juni 1599 vereinbarte Martin Schnell zum l/l/esterhauß mit seinem Nachbarn Johann Lütke Woestmann den Tausch einiger Flurstücke.17
Martin Schnell kann somit eindeutig als Bauherr des
1594 und 1595 angebauten steinernen Wohnteils
von Haus Westerhaus identifiziert werden. Er ist seit
1587 im Amt des fürstlich münsterischen Pfennigmeisters nachweisbar18 und wohnte in dem bemerkenswerten Haus Prinzipalmarkt Nr. 8 in Münster
direkt neben dem Rathaus. Dies hatte er von seinen
Eltern geerbt,19 wobei es aus der Erbschaft seiner
Mutter stammte.20 Schnell hatte aber mit einem Haus
an der Stubengasse noch weiteren Grundbesitz im
Zentrum der Stadt.21
Unmittelbar nachdem er sein großzügiges Neubau-
projekt zum Ausbau des Hauses Westerhaus beendet
hatte, wurde Pfennigmeister Schnell im Frühjahr 1596
der Veruntreuung im Amt beschuldigt22 und die Regierung des Fürstbistums Münster beschlagnahmte
alle seine Güter.23 Schnell erhob hiergegen Klage vor
dem Reichskammergericht24 und konnte die Beschul-
digungen offensichtlich entkräften. Trotz späterer
Nennungen als Pfennigmeister ist er allerdings nicht
wieder in das Amt eingesetzt worden, behielt aber
zeitlebens den Titel. Ab 1592 ist Martin Schnell Vogt
des bischöflichen Hofes zu Münster, nach 1596 häufig mit dem Zusatz gewesener fürstlich münsterischer
Pfennigmeister.25 Noch 1622 hatte er das Amt des
Hausvogtes in Münster (Verwalter des bischöflichen
Hofes am Domplatz 1).26 Martin Schnells Todesdatum
nach 1628 ist bislang unbekannt.27 An Nachkommen
aus seiner spätestens 1589 geschlossenen Ehe mit
Anna von Amelunxen28 sind mit Lucia und Eva zwei
Töchter bekannt, die in Klöster eintraten. Darüber
hinaus können drei weitere Kinder dem Paar zugeordnet werden.29 Die Witwe Schnells lebte noch 1635.30
Anna von Amelunxen war vielfach anstelle ihres Ehe-
manns in wichtigen Rechtsgeschäften tätig. Mehrfach
handelte sie als Pfenninckmeisterin, so z. B. 1589 oder
1591, als sie anstelle ihres Mannes eine Schatzung
quittiert.31 1607 führte sie auch die Verkaufsverhandlungen mit dem Rat der Stadt über das Haus am
Prinzipalmarkt.32 Nachdem Schnell schon 1603 sein
Elternhaus an den Rat der Stadt Münster als Weinhaus vermietet hatte, verkaufte er es, zusammen mit
seiner Frau, im Herbst 1614 diesem für den Neubau
des Stadtweinhauses.33 Hierbei wird er als fürstlicher
Vogt bezeichnet. Mit seinem Amt als Hofmeister dürfte eine Dienstwohnung im bischöflichen Hof verbunden gewesen sein, sodass nicht davon ausgegangen
werden kann, dass er in seinen alten Tagen Haus Westerhaus als Dauerwohnung nutzte. Es dürfte nach seinem Tod (zwischen 1628 und 1635) verkauft worden
zu sein.
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
Besitz der Familien Mensing und Zur Stegge
(um 1625-1680)
Als nächster Eigentümer ist der Jurist Melchior Mensing (1580-25. Oktober 1637) nachweisbar.34 Er entstammte einer einflussreichen Familie35 und ist seit
1609 als Geheimer Rat und Vizekanzler des Bischofs
von Münster in zahlreichen Münsterischen Urkunden
und Aktenvorgängen nachweisbar.36 Er heiratete Mar-
garethe von Höfflinger (+ 1635), die 1623 den benachbarten Besitz Hunenborg erbte.37 Vermutlich in
diesem Zusammenhang erwarb Melchior Mensing
auch das Haus Westerhaus, entweder bereits von
dem nach 1628 verstorbenen Martin Schnell oder erst
von seiner nach 1635 verstorbenen Witwe.38 Fortan
bezeichneten sie sich als Erbgesessene zu Westerhaus
und Hunenborg. Melchior Mensing war Sohn des Magisters Peter Mensing, der in Münster zwischen 1550
und 1586 nachweisbar ist.39 Dieser war mit Anna
Akolk verheiratet.40 und besaß umfangreichen Grundbesitz im münsterischen Martinikirchspiel. Zwischen
1581 und 1583 kaufte er den als Grael bekannten
Besitz in der Neubrückenstraße 4 von Hermann von
Kerssenbrock, den er allerdings schon 1591 wieder
verkaufte.41 Ebenfalls 1583 erwarb er das Haus Hörsterstraße 6 von der Witwe des Erbmannes Macharius
Schenking. Die Witwe war noch 1570 ebenfalls in
Besitz eines Hauses in der Neubrückenstraße 58
gewesen. Das Haus wird jedoch wenig später von der
Familie Mensing erworben, wohl weil dort schon sein
Sohn Melchior Mensing wohnte.42 Das Haus blieb bis
1713 in Besitz der Familie Mensing.43 In den im gleichen Jahr begonnenen Neubau wurde der steinerne
Saalbau aus der Zeit um 1580 integriert.44
Melchiors Bruder Johann Mensing (1585-1645 nach-
weisbar, verheiratet mit Elisabeth Ricke aus Ahlen)
war Osnabrücker Kanzler und kaufte 1641 in der
Königstraße 52 einen Besitz mit Steinwerk und jüngerem Vorderhaus. Dieses Gebäude war bis zum Jahre
1778 im Besitz der Nachkommen von Johann Mensing, die einen zweiten Familienzweig bildeten. 1783
ließ der neue Besitzer, der Geh. Rat Clemens August
von Ketteier zu Harkotten, einen Neubau errichten,
seitdem als „von Kettelerscher Hof" bezeichnet.45
Nach dem Tod Melchior Mensings erscheint dessen
Sohn Peter Mensing als Eigentümer in den Unterlagen. Er stand jedoch mit seinen zwei Schwestern
Anna Elisabeth und Margarethe Mensing in fortwährenden Auseinandersetzungen über das väterliche
Erbe.46 Umstritten war unter anderem die Verlängerung des Pachtvertrags über Haus Westerhaus mit
Johann Stroband. Es scheint, als seien auf Veranlassung der Gegenpartei vor 1646 etlich fenster zum
Westerhauß so allhie zu Munster gewesen. Das
Gutshaus stand zu dieser Zeit also offensichtlich ohne
Fensterverglasung, deren Rückbringung Peter Men-
sing im Verlauf des Zivilprozesses forderte.47
In dem 1649 verfassten Testament des Peter Mensing,
Erbgesessener zum Westerhaus und Hunenborg
bestimmte er unter anderem:48 Einen Teil seines Erbes
sollte sein Cousin Ernst Hoefflinger zum Brugh- und
Osterhauß (Eigentümer der Häuser Brückhausen und
Osterhaus in Alverskirchen) erben.49 Hierzu gehörte
das Gut Hunenborg.50 Seine zwei weiteren Schwestern, Margarethe Mensing, Ehefrau des Johann Grui-
ter zu Uhlenkotten, und Anna Elisabeth Mensing,
Ehefrau des Arnold Tegeder, sollten hingegen nur sehr
kleine Geldbeträge erhalten. Das Haupterbe mit dem
Gut Westerhaus erhielt sein (zu dieser Zeit schon verstorbener) Bruder Lic. Ernst Melchior Mensing, verheiratet mit Anna Catharina zur Stegge.51
Anna Catharina zur Stegge stammte aus einer
Offiziersfamilie.52 Ihr Vater war Johann von Gescher,
genannt zur Stegge, der 1636 Anna von der Ketten
geheiratet hatte.53 Diese war die Tochter des Michael
von der Ketten und der Anna von Bielefeld.54 TerStegge ist seit 1633 als Rittmeister und fürstlich-münsterischer Obrist in Münster nachweisbar und scheint
1638 maßgeblich an der Eroberung der Stadt Mep-
pen im Niederstift Münster beteiligt gewesen zu
sein.55 Er kaufte 1641 zusammen mit seiner Frau ein
großes, um 1590 errichtetes Renaissance-Haus auf
der Aegidiistraße in Münster,56 starb aber wenig später. 1657 geriet neben anderen auch das Haus der
Witwe Anna Zur Stegge bei der Beschießung der
Stadt Münster in Brand und war noch 20 Jahre später
eine Ruine.57 Witwe Zur Stegge hatte sich zudem
schon 1649 bei Melchior Schwerinck so verschuldet,
dass dieser 1656 in den Besitz des Hauses an der
Aegidiistraße eingewiesen wurde.58 Sie dürfte daher
spätestens 1656 in das von ihrem Schwager ererbte
Haus Westerhaus gezogen sein, das sie wahrschein-
lich fortan permanent bewohnte. Hier verstarb sie
auch am 16. Oktober 1661, am gleichen Tag wie ihre
Tochter. Erst einige Jahre später ist das Haus in
Münster wieder bewohnbar, wird aber nicht von der
Familie Zur Stegge genutzt, sondern zunächst an den
Juristen Ohmerloh (+ 1690) und dann bis mindestens
1728 an dessen Witwe vermietet.59 Am 2. Februar
1740 verkaufte Dr. Maximilian Heinrich Mensing das
Stadthaus schließlich an den Geh. Rat Anton Bernhard von Velen (1698-1767).60
Mitglieder der Familie Zur Stegge haben das Haus
Westerhaus wohl seit 1657 über längere Zeit dauerhaft bewohnt. Zahlreiche Taufen und Hochzeiten im
Castro Westerhauß6' dokumentieren diese herrschaftliche Wohnfunktion des Hauses. Das Gut blieb wohl
Besitz einer Erbengemeinschaft, denn um 1670 befand es sich im Besitz der minderjährigen Kinder des
verstorbenen Lieutenants Johann Bernhard zur
Stegge sowie der minderjährigen Kinder des ebenfalls
verstorbenen Lic. Ernst Melchior Mensing. Die Vormünder beider Parteien verkauften die jeweils von
ihnen verwalteten Hälften des Gutes 1670 bzw. 1673
309
310
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
5 1753 wurde der gesamte Besitz des Gutes Haus Westerhaus durch den Vermesser Johann Heinrich Berteling aus Telgte in
einem detailliert ausgearbeiteten und kolorierten Plan der zugehörigen Ländereien erfasst (Norden oben). Die Hofstelle liegt
ganz rechts mit den umgebenden Ländereien. Die auf der linken Seite (im Westen) befindlichen Ländereien waren den
Pachthöfen Hunnenkötter, Pfannenkötter und Nijehäuser zugeteilt.
für 2 500 Reichsthaler an Dietrich Heinrich von Ascheberg zu Göttendorf.52
seinen Wohnsitz. Allerdings entsprach der Lebensstil
nicht dem Einkommen, sodass die Schulden so anwuchsen, dass Arnold Heinrich Maximilian von Wes-
Pachtgut mit adeligen Eigentümern (ab 1670/73)
trem und seine Frau Rosina Wilhelmina von
zu Göttendorf lebte auf einem Gut, das sich wenige
Kilometer weiter südlich am Rand des Kirchortes Rinkerode befand und dürfte in dem Kauf eine Chance
zur Erweiterung und Arrondierung seiner Ländereien
gesehen haben. Haus Westerhaus dürfte daher seit
schuldung das Haus Westerhaus zusammen mit dem
Der neue Eigentümer Dietrich Heinrich von Ascheberg
diesem Verkauf nicht mehr als herrschaftliche
Wohnung genutzt worden sein. Im Jahre 1678 wurde
durch den neuen Eigentümer ein Verfahren am
Reichskammergericht Wetzlar angestrengt. Er klagte
gegen Ferdinand Mensing auf Schadloshaltung.53 Der
Kläger leitete dabei seine Ansprüche aus dem Ankauf
des halben Gutes Westerhaus von den Erben der
Anna von der Ketten her, Witwe des Johann Zur
Stegge.54 Über die Tochter des schon 1683 verstorbenen Käufers Dietrich Heinrich von Ascheberg gelang-
te das Gut später in den Besitz der Familie von
Westrem: Alexandrine Agnes Catharina von Ascheberg heiratete Johann Albert von Westrem zu Gutacker (+12. März 1 691).65 Ihr Sohn Alexander von
Westrem ließ sich bis 1704 auf Göttendorf ein neues
Herrenhaus errichten, nutzte also weiterhin dieses als
Ascheberg zu Göttendorf 1743 wegen ihrer ÜberGut Hunenborg an den münsterschen Domherren
Anton Heinrich Hermann von Velen veräußern muss-
ten.56 1746 wurde über ihr Gesamtvermögen der
Konkurs eröffnet und 1758 schließlich auch das Gut
Haus Göttendorf versteigert. Offensichtlich hatte man
das Haupthaus von Haus Westerhaus schon seit längerer Zeit nicht mehr gepflegt, denn es war so verfal-
len, dass der neue Eigentümer 1748 umfangreiche
Reparaturen ausführen lassen musste. 1752 gelangte
Gut Westerhaus (mit den zugehörigen Kötterhöfen
sowie dem Gut Hunenborg) durch Erbschaft dann an
den Freiherren Herrmann Anton Bernhard von Velen,67
der das Gut ebenso wie seine Nachfahren weiterhin
verpachtete.
Pächter und Bewohner
Das Herrenhaus des Gutes Westerhaus wurde nicht
von den Eigentümern selbst bewirtschaftet. Es wurde
verpachtet, wobei die Pächter wohl auch das Haus
kontinuierlich bewohnten. Es ist aber zu erschließen,
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
dass es in der Regel im Sommer temporär auch von
der Herrschaft bewohnt wurde. Eine Ausnahme dürfte die Witwe Zur Stegge gewesen sein, die das Haus
wohl von 1657 bis zu ihrem Tode 1661 dauerhaft bewohnte, nachdem ihr Haus in der Stadt Münster beschädigt worden war. Auch ihre Erben scheinen das
Haus zunächst weiterhin als Dauerwohnung genutzt
zu haben, bevor sie das Gut spätestens um 1678 an
die Herren von Ascheberg zu Göttendorf verkauften.
Seitdem wurde das Haus dann aber durchgehend nur
noch von Pächtern bewohnt.
Schon 1646 ist der Conductor Johannßen Stroband in
Erbstreitigkeiten der Verpächter verwickelt.68 Der
1740 genannte Pächter Johann Werland zahlte 70
Rthl. pro Jahr. Auch 1755 ist Werland als Pächter
überliefert, 1761 dann Knop und 1776 wird der ver-
storbene Pächter Johann Bernd Heidmann genannt.
1781 erscheint Kellinghoff als Pächter, bis 1798 dann
seine Witwe. 1799 folgte Hermann Anton Knopp und
1809 wurde ein Herr Rumphorst als Pächter eingesetzt, nachdem er kurz zuvor die Witwe Knopp geheiratet hatte.69 Der Pächter Rumphorst unterzeichnete
auch die Auflistung der zu Westerhaus gehörenden
Flurstücke, die 1832 zusammen mit der Urkatasterkarte angefertigt wurde. Zu dieser Zeit gehörten die
Kötterhöfe Hunenkötter, Niehus und Panhus allerdings nicht mehr zu den Ländereien des Gutes,70 da
sie wohl in Erbpacht ausgegeben waren und damit
inzwischen zu Eigentum gewandelt worden waren.
Wenig später verkauften die Freiherren von Landsberg-Velen das Gut Westerhaus mit dem Haus und
den noch verbliebenen Ländereien an ihren Pächter.
Bis 1882 waren dies die Erben Langkamp. In diesem
Jahr heiratete die Erbin Katharina Langkamp den
Landwirt Hubert Dabbelt.71 Seither befindet sich Haus
Westerhaus in Besitz der Familie Dabbelt. Erbe wurde
Melchior Dabbelt und danach dessen Sohn Ewald
Dabbelt.
Umfang und Lage des Hofes und seiner
Ländereien
Das Gut Haus Westerhaus liegt in der das Kirchspiel
Rinkerode nach Norden begrenzenden Bauernschaft
Hemmer.72 Die Bauernschaft wird von Süden nach
Norden von der historischen Fernstraße von Hamm
nach Münster (im frühen 19. Jahrhundert zur
Chaussee ausgebaut, heute B 54) durchschnitten und
nördlich von einem als Hohe Ward beziehungsweise
Davert bezeichneten Waldgebiet begrenzt. Dieses bildet eine natürliche Begrenzung zwischen dem direkten Umland Münsters und den südlich davon gelege-
nen Gebieten. Die Bauernschaft Hemmer ist aber
auch vom weiter südlich gelegenen Kirchdorf Rinkerode sowie dem etwa gleich weit entfernten Kirchdorf
6 Ausschnitt aus dem 1753 erstellten Plan des Gutes Haus Westerhaus mit der eigentlichen und umgräfteten Gutsanlage. Auf
der Insel mittig das Herrenhaus, nördlich davon ein Speicher und östlich eine Scheune.
311
312
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
7 Ansicht des Haupthauses von Südwesten, Zustand 1950.
Albersloh durch Waldstücke geschieden. Es kann daher von einer eher späten Besiedlung dieser von Wald
und Ödland umschlossenen Fluren ausgegangen werden. Die benachbarten Vollerbenhöfe dieser Bauernschaft finden sich alle schon in den Schatzungslisten
von 1498/99.73 Zu diesem Zeitpunkt war das Gebiet
daher schon weitgehend erschlossen. Einzelne Höfe
finden bereits vor diesem Zeitpunkt in Urkunden ihrer
Grundherren Erwähnung. Die frühe Geschichte der
Hofstelle selbst wie auch ihr Name bleiben ungeklärt,
da sich in den untersuchten Archiven keine Urkunden
oder Akten fanden, die in die Zeit vor 1599 zurückreichen und eindeutig zu Haus Westerhaus zugeordnet
werden konnten.
Die Ländereien der Hofstelle umfassten im 18. Jahrhundert eine geschlossene Fläche, die sich östlich an
die alte Fernstraße Hamm-Münster anschloss, wobei
die Hofstelle nicht inmitten dieser Ländereien liegt,
sondern unmittelbar an ihrem östlichen Rand. Nördlich schlossen sich die Ländereien der Höfe Große
Wöstmann (heute Hemmer 42)74 und Lütke Wöstmann (heute Hemmer 53),75 südlich und östlich die
Ländereien des Hofes Hofhamm (heute Hemmer 43)
an,76 während sich westlich der alten Fernstraße die
Hemmer Heide erstreckte.77 Auch an dieser hatte
Haus Westerhaus große Anteile.
1753 ließ der neue Eigentümer seinen Besitz erfassen
und hierbei durch den Vermesser Johann Heinrich
Berteling aus Telgte auch einen bis heute überliefer-
ten, detailliert ausgearbeiteten und kolorierten Plan
der zugehörigen Ländereien erstellen.78 Hier sind zum
Kernbestand die Hofstellen Hunnenkötter, Pfannenkötter und Nijehäuser dargestellt.79 Diese drei Kötter
bewirtschafteten zu dieser Zeit den größten Teil der
zum Haus Westerhaus gehörenden Ländereien.80 Es ist
anzunehmen, dass die Kötter eingesetzt wurden, als
man die Landwirtschaft auf dem Gut selber auf einen
kleinen Betrieb reduzierte, der nur noch vier Flurstü-
cke in unmittelbarer Nachbarschaft umfasste.81
Denkbar ist daher, dass die drei Kötterstellen um oder
wenig nach 1657 angelegt wurden, als das Herrenhaus von der Herrschaft zur Dauerwohnung bezogen
worden ist und damit der Gesamthof fortan nicht
mehr verpachtet werden sollte.82 Weiter gehörten in
der Mitte des 18. Jahrhunderts auch verschiedene
Kötterstellen in der westlich an die Ländereien
anschließenden Hemmerheide zum Gut: Thur, Stiegmann, Vogel, Stalljan, Voss, Witte, Kämper, Griese,
Schneider sowie die Zeller Landwehr und Vrojhe83
Haus Westerhaus scheint in der Heide jedoch nicht
der einzige Grundherr gewesen zu sein (oder die dortigen Kötterhöfe wurden in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts verkauft), denn in den Schatzungslisten
von 1802 werden für fünf dieser Kötter in der Bauern-
schaft Hemmer/Amt Wolbeck andere Grundherren
genannt: bei Griese Gograf Bischopinck; bei Thur,
Voss und Vogel die Domkellnerei in Münster und bei
Witte das Haus Borg in Rinkerode.84
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 313
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
BAUBESCHREIBUNG
Zur Anlage des Hofes
Die Gesamtanlage der wohl im späten 16. Jahrhun-
dert in seiner Struktur geschaffenen Gutsanlage lässt
sich mithilfe des erhaltenen Plans der zugehörigen
Ländereien von 1753 noch gut erfassen. Die wesentlichen hier erkennbaren Strukturen lassen sich noch
heute vor Ort nachvollziehen, auch wenn die Gräften
inzwischen in Teilen verschüttet worden sind und
etwa 100 m westlich des Gutes 1846-1848 die von
Süd nach Nord verlaufende Bahnstrecke HammMünster quer durch die Ländereien des Gutes trassiert
wurde (hierdurch sind in der Folge die meisten der
parallel zum Verlauf der Gräfte, sondern leicht nach
Norden verschwenkt und wurde zudem nahe dem zu
rekonstruierenden südlichen Gräftenarm gestellt.
Möglicherweise kann dieser Befund so gedeutet wer-
den, dass das im Kern von 1554/55 stammende
Hauptgebäude älter als die Gräftenanlage ist und diese daher erst im Zusammenhang mit dem Ausbau um
1594 gegraben wurde. So wurde 1594 nachweislich
auf der Burg des Pfennigmeisters Schnell in Rinkerode
gearbeitet, wobei es sich wohl um das Anlegen von
Gräften handelte.85
Das Haus weist seinen Wirtschaftsgiebel mit der Torzufahrt zur Diele nach Osten, wobei an dem Ostgiebel
im Jahre 1753 seitlich ein kleinerer Bau vorgesetzt
historischen Wegeführungen verlegt worden).
Kern der Hofanlage war eine längsrechteckige und
war, der (nach Vergleichsbeispielen) wohl ein Schwei-
einer etwa 10 m breiten Gräfte eingefasst ist (der zu
rekonstruierende südliche Graben war schon 1753
nicht mehr vorhanden und verschüttet). Dieser Wassergraben wurde von einem kleinen 1753 und noch
kleineres Gebäude, das als Scheune diente. Es wurde
wenig später durch einen ein wenig nach Norden verschobenen Neubau ersetzt, der noch heute erhalten
versorgt, der den als Zufahrt dienenden west-östlich
verlaufenden Weg südlich begleitete. Zwischen dem
Weg und der Gräfteninsel zog sich ein heute nicht
te. Er wurde durch eine hölzerne Zugbrücke von Norden erschlossen. Vor dem westlichen, zum Wohnteil
des Hauses gehörenden Giebel des Hauses befand
sich hingegen nach dem Plan von 1753 ein Baumgarten und vor der nördlichen Tür der großen Herdküche
der bis heute nachweisbare Hausbrunnen (1753 mit
einer Wippe zum Wasserschöpfen dargestellt). Nördlich an der Innenseite der Gräfte stand 1753 noch ein
rechtwinklige Fläche von etwa 40 x 90 m, die von
heute als Rieth-Graben bezeichneten Bach mit Wasser
mehr erhaltener schmaler Hofwald hin (1753 als
Busch bezeichnet), durchquert von der Hofzufahrt mit
hölzernen Brücken über den Bach und die Gräfte.
Zentrales Gebäude auf der Hofinsel ist das bis heute
erhaltene Hauptgebäude. Es steht allerdings nicht
nestall war. Parallel der Innengrenze des östlichen
Arms der Gräfte stand auf dem Plan von 1753 ein
ist. Diese Befunde verdeutlichen, dass die östliche
Hälfte der Gräfteninsel als Wirtschaftshof dienen soll-
8 Ansicht der nordwestlichen Ecke des Wohnteils von 1595 (d), Zustand 1950 (nach der wohl 1946 durchgeführten Renovierung des Westgiebels).
314
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
9 Querschnitt durch das Gerüst des 1554(d) errichteten
Vierständerhallenhauses mit Konstruktion des Dachwerks
(Aufmaß: F. Kaspar und A. Böcker, Reinzeichnung I. Frohnert).
weiteres kleines Gebäude, das in seiner Stellung zum
Haupthaus wohl als Speicher zu rekonstruieren ist.
Südlich dieser Hofinsel schloss sich im schrägen
Winkel eine weitere, ebenfalls umgräftete Garteninsel
an. Die Gräfte zwischen beiden Inseln war allerdings
schon 1753 zugeschüttet und einer schlichten Wiese
gewichen. Nach mündlicher Tradition vor Ort gab es
in der Gräfte zwischen den beiden Inseln am westlichen Ende ehemals eine kleine weitere Insel, die als
Kapellenkämpken bezeichnet wurde und als Hinweis
auf eine ehemals bestehende Hauskapelle gewertet
werden kann.
Der Wirtschaftshof wurde seit dem 19. Jahrhundert
ausgebaut, wobei an seiner Südseite ein massives
Stallgebäude für Schweine entstand und die Scheune
des 18. Jahrhunderts nach Zuschüttung der hier vorhandenen Gräfte nach Norden verlängert und 1935
nach Osten verbreitert worden ist. Weitere massive
Wirtschaftsgebäude wurden ab 1955 nördlich vor der
Gräfte errichtet.
Das Haupthaus
Das Haupthaus ist ein etwa 34 m langes Gebäude mit
west-östlicher Firstlinie, wobei der Wirtschaftsgiebel
nach Osten und der Wohnteil des Hauses nach Westen weist. Das Gebäude ist in mehreren Bauphasen
errichtet worden, wobei der Kernbau nachträglich
sowohl nach Westen wie nach Osten verlängert
wurde. Das Haus besteht aus einem Fachwerkgerüst
10 Grundriss des Haupthauses nach Errichtung der massiven
11 Rekonstruktion des wohl 1594 neu errichteten Wirt-
Bauteile von Herdküche und Saalkammer 1594 und 1595
schaftsgiebels des Haupthauses (Aufmaß: P. Barthold, Rein-
(d). Rekonstruktionsversuch nach Aufnahme durch A. Böcker
zeichnung I. Frohnert).
und F. Kaspar 1999 (Reinzeichnung I. Frohnert).
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 31 5
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
in Vierständerbauweise mit einem westlich daran
neben einem einfach gezapften Hahnenbalken jeweils noch einen hoch sitzenden Kehlbalken (lichte
anschließenden steinernen Wohnteil, der in den gleichen Proportionen ausgeführt wurde. Das Dachwerk,
das als Sparrendach mit doppelter Kehlbalkenlage
ausgeführt ist, zeigt vier verschieden ausgebildete Bereiche, die anhand der bisher vorhandenen dendrochronologischen Daten zwei wesentlichen Bauphasen
zugeordnet werden können.
Eine baugeschichtliche Untersuchung des Gebäudes
und seiner konstruktiven Details sowie seiner Grundrissentwicklung im Inneren war im Inneren wegen des
ausgebauten und in Nutzung befindlichen Zustandes
bzw. im Äußeren wegen der starken späteren Überarbeitungen einschließlich einer umfassenden Überziehung der Werksteinfronten mit Zementputz um 1946
sowie der im Zuge verschiedener Reparaturen weitgehend erneuerten Fachwerkwände bislang nur in Teilbereichen möglich.
schaftsteil mit Längsdiele von fünf Gefachen, sodass
(nach Vergleichsbeispielen) zu vermuten ist, dass sich
daran eine Flettküche von drei und ein Kammerfach
von zwei Gefachen anschloss. Nähere Befunde hierzu
konnten bislang nicht gemacht werden.
Eine den Außenwänden vergleichbare Ausbildung mit
nur einer mittleren Riegelkette besaßen die inneren
Längswände der Diele. Sie trennten die beiden mit
einer Zwischendecke unterteilten Seitenschiffe (die
Deckenbalken sind jeweils in die Ständerpaare eingezapft) mit einer lichten Weite von 2,25 m ab. Zumin-
Kernbau (1554d)
Der Kernbau umfasste nach den Befunden im Dachwerk ursprünglich mindestens neun Gebinde.86 Wesentliche Teile des tragenden und nach dendrochro-
Zwischengeschoss hinter dem Wirtschaftsgiebel eine
abgetrennte Kammer gegeben zu haben, wovon eine
nach Befunden zu erschließende Fenstergruppe neben dem Torbogen zeugt.
nologischer Datierung 1554/55 errichteten Gebäudes
sind noch vorhanden und lassen eine Rekonstruktion
des ursprünglichen Gerüstes zu: Danach wurde der
Fachwerkbau als Längsdielenhaus mit einem Vierständergerüst errichtet. Das Haus erhielt hierbei bei mäßi-
gen Abmessungen und bei einer lichten Höhe von
4 m unter den Balken mit 10,90 m eine unterdurchschnittliche Breite, wobei das südliche (linke Seitenschiff) eine lichte Breite von 2 m und das nördliche
(rechte Seitenschiff) eine lichte Breite von 1,90 m erhielt. Die Länge des Gebäudes dürfte zunächst etwa
22 m betragen haben. Die Dachbalken liegen auf den
Rähmen der vier Ständerreihen und waren im Querverband zu allen vier Ständerreihen durch Kopfbänder
gesichert. Das Gerüst ist mit Gefachbreiten von etwa
2 m verzimmert und mit einzelnen Kopfbändern in
jedem zweiten Gefach im Längsverband ausgesteift.
Die bauzeitlichen Außenwände aus Fachwerk des
Kernbaus sind bis auf Teile des Wirtschaftsgiebels
nicht mehr erhalten, sodass keine detaillierten Erkenntnisse zur Wandgestaltung und Ausfachung bekannt sind. Der Wirtschaftsgiebel kragte über Hakenbalken bzw. Rähmenden und zweifach geschweiften
Knaggen mit Stabprofil dazwischen um etwa 0,55 m
recht weit vor, wobei die Wand nur einfach verriegelt
wurde. Danach ist im Vergleich mit zeitgleichen Bauten davon auszugehen, dass die sehr großflächigen
Gefache mit Lehmflechtwerk ausgefacht waren. Der
Torbogen des Wirtschaftsgiebels mit einer lichten
Breite von 3,20 m ist wiederverwendet erhalten geblieben. Der Sturzbalken zeigt keine Inschrift.
Über dem Hausgerüst erhebt sich ein Sparrendach.
Die Sparrenfüße waren ursprünglich offensichtlich in
die Balkenköpfe eingezapft. Die Sparrenpaare haben
Höhe 3,85 m), der mit langen und leicht geschweiften
Kopfbändern zu den Sparren unterstützt wird. Das
Giebeldreieck erhielt eine in den Giebelsparren eingenutete Verbohlung.
Das Gebäude umfasste offensichtlich einen Wirt-
dest im nördlichen Seitenschiff scheint es im
Östliche Erweiterung (um 1594?)
Nachträglich wurde der bestehende Wirtschaftsteil in
den vorhandenen Proportionen um 4,40 m nach
Osten verlängert. Hierbei wurden der Wirtschaftsgiebel des Hauses verschoben und die Fachwerkkonstruktion mit zwei weiteren Gefachen fortgeführt. Die
Dachkonstruktion wurde um drei Sparrenpaare er-
gänzt, wobei diese weder Kopfbänder unter dem
unteren Kehlbalken noch Abbundzeichen erhielten.87
Die konstruktive Ähnlichkeit mit dem Kerngerüst lässt
vermuten,88 dass die Verlängerung noch im 16. Jahrhundert und damit möglicherweise etwa zur gleichen
Zeit wie die Erneuerung des Wohnteiles um 1595
erfolgte.89 Ziel der Baumaßnahme war offensichtlich
die Vergrößerung der Stallkapazitäten.
Westlicher Wohnteil (von 1594 und 1595d)
Nach dendrochronologischer Datierung erhielt das
Gebäude zwischen 1594 und 1596 anstelle des bis-
lang vorhandenen Wohnendes aus Fachwerk mit
einer Länge von etwa 10 m oder wohl 5 Gefachen
einen großzügigen und massiven Neubauteil. Dieser
erhielt eine Länge von 16,5 m, wodurch das gesamte
Haus (wenn zu dieser Zeit auch die östliche Verlän-
gerung des Wirtschaftsteils schon bestand) fortan
eine Gesamtlänge von fast 34 m aufweist. Der neue
Wohnteil mit steinernen Umfassungswänden besteht
aus zwei unterschiedlichen und offensichtlich nacheinander errichteten Bereichen. Das erkennbare Gesamtkonzept lässt allerdings darauf schließen, dass
schon zu Beginn ein Plan für die gesamte Baumaßnahme vorhanden war. So erhielt der gesamte Neubau eine bemerkenswerte einheitliche Fassade.
316
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Die senkrechten Streifen enden allerdings nicht auf
dem Sockel, sondern schon etwas höher auf einem
waagerechten, als Brüstung der Küchenfenster bzw.
als Sturz der Kellerfenster ausgebildeten Band. Unter
den senkrechten Bändern wurden (in der Art von
Konsolen) unterhalb der Fensterbrüstungen jeweils
Diamantquader aus Sandstein gesetzt. Oberhalb der
Küchenfenster ist ein ebenfalls aus Sandstein gefertig-
ter halbrunder Bogen mit einem weiteren Diamant-
quader im Feld aufgesetzt. Über den entsprechenden
Fenstern der Saalkammerfenster gibt es keine solchen
Bögen, da sie bis nahe unter der Traufe reichen. An
beiden Traufwänden gibt es eine Tür, deren Gewände
breiter ist und zudem stärker aus der Fassadenfläche
hervortritt (möglicherweise deutet dieser Befund darauf hin, dass hier die weitere Ausarbeitung mit plasti-
schem Dekor vorgesehen war). Zu einer ehemals
möglicherweise vorhandenen farbigen Gestaltung der
Fassade konnten keine Befunde ermittelt werden.
Die Fassadenausbildung mit farbigen, aus rotem
12 Südwand der großen Herdküche von 1594 (d) (Zustand
1999).
Fassadengestaltung
Die Umfassungswände wurden massiv ausgeführt
(das wohl seit 1946 nicht mehr erhaltene Dreieck des
westlichen Giebels war allerdings vorkragend in
Fachwerk): Über einem Sockel aus scholligem, wohl
örtlich gewonnenen Bruchstein bestehen die Wände
aus sorgsam aufgemauertem Backsteinmauerwerk,
wobei in dieses ein aufwändiges Dekorationssystem
aus Werkstein eingebunden ist: Es handelt sich aus
sorgsam allseitig behauene und an der Oberfläche
scharrierte Sandsteinblöcke, die man so versetzte,
dass sie etwa 5 cm aus der Wandfläche vorstehend,
durchgehende senkrechte und waagerechte Bänder
auf der Fassade bilden. Die hierdurch geschaffenen
Felder des nahezu gleichförmigen Rasters waren ent-
weder mit Backstein geschlossen und dann offensichtlich verputzt oder aber als Fensterflächen ausgebildet.
Backstein und gelben Sandstein gebildeten Flächen
und Streifen ist in der Form der sogenannten Specklagen zwar schon um 1400 aus bautechnischen Gründen entwickelt worden, wurde aber in dem Jahrhundert nach der Mitte des 16. Jahrhunderts insbesondere im niederländischen Raum zu einem bewussten
Gestaltungsmittel.90 Im Münsterland blieb die Fassadengestaltung mit Specklagen allerdings auf wenige
besondere Bauten im Gebiet rund um die Baumberge
mit dem dort vorkommenden hellgelben Sandstein
beschränkt.91 Diese sich aus der Gestaltung ergebende Wirkung der Wände gehört ebenso wie auch der
zur gleichen Zeit an Bauten anderer Regionen nachweisbare Streifenputz, die ornamentale Verwendung
unterschiedlich gefärbter Backsteine oder die plastischen gemauerten Rautenmuster an den Bauten der
sog. Lipperenaissance zu den Stilmitteln des Manierismus: Der horror vacui - die Scheu vor der leeren,
ungestalteten Fläche - bestimmte das Bild und vermittelte zugleich den Eindruck von Pracht und Aufwand.
Zwar steht die für Westerhaus gewählte spezielle Art
der Gestaltung in der Tradition dieser plastischen und
reichhaltigen Wandgliederungen, doch sind direkte
Vergleiche zu weiteren Bauten der Zeit in der Region
nur schwer zu ziehen.92 Hier sind vor allem Bauten der
heute durch die architekturgeschichtliche Forschung
als „Lipperenaissance" bezeichnende Gestaltungsform zu nennen. Allerdings unterscheiden sich diese
Fassaden von denen des Hauses Westerhaus dadurch,
dass man die Gliederung nicht aus Backstein fertigte
und anschließend verputzte und/oder farbig gestalte-
te, sondern aus Werkstein erstellte. Die größte
Verwandtschaft zeigen durch die hier ebenfalls verwendeten Werksteinbänder die Fassaden von Haus
Geist bei Oelde. Dieses im Wesentlichen zwischen
1560 und 1567 errichtete Herrenhaus geht auf den
bedeutenden Steinhauer-Meister Laurentz von Bra-
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
chum (Anfang 16. Jahrhundert-1586) zurück.93 Dieser war auch für einige weitere reiche Fassadengestaltungen verantwortlich, die zwischen 1560 und 1570
im südlichen Teil des Münsterlands verwirklicht wurden.94 Mummenhoff wies 1961 darauf hin, dass diese
spezifische Form opulenter Fassadengestaltung im
Münsterland offensichtlich nicht den Vorstellungen
breiter Kreise entsprach und daher weder größere
Verbreitung noch Nachfolge fand. Hierbei ging es
nicht um fehlende Fähigkeiten der in der Region vorhandenen Handwerker oder die finanziellen Möglichkeiten der Auftraggeber. Vielmehr bevorzugte man im
Münsterland bei Neubauten weiterhin eine stilistische
Haltung, die auf möglichst klaren und struktiv durch-
gebildeten Fassaden beruhte.95
Der Wohnteil von Haus Westerhaus wurde erst etwa
30 Jahre nach den großen Schlossbauten des Laurenz
von Brachum errichtet, wobei ihr Baumeister zu dieser
Zeit schon einige Jahre verstorben war. So ist zu ver-
muten, dass es sich bei der für Haus Westerhaus
gewählten Fassadengestaltung um eine dem inzwischen herrschenden Zeitgeschmack entsprechende
Übersetzung der schon länger bestehenden Fassaden
großer Renaissancebauten im südlichen Münsterland
in spezifisch strengere Formen vor dem Hintergrund
der niederländischen Mode der Specklagen handelt.
Hierbei reduzierte man die die Fassaden überziehende
13 Nordseite der 1594 errichteten großen Flettküche, Zu-
stand um 1910. Auf dieser Aufnahme sind die auf die
Bauzeit zurückgehende feststehende Bleiverglasung der
hohen Fenster, Türblatt und Hausbrunnen noch erhalten. Die
Gewände der Öffnungen und die die Wände gliedernden
Bänder sind aus Sandstein.
Gestaltung auf ihre reine Gliederung, auch wenn sie
weiterhin vollständig aus Werksteinen erstellt wurde.
Dass dies sogar im Unterschied zu vielen der weiteren
bekannten Bauten geschah (hier sind die plastisch auf
der Front vortretenden gliedernden Bänder zumeist
aus Backstein gemauert und wurden wohl durch
Verputz als Werkstein gestaltet), dürfte damit Zusammenhängen, dass die Baustelle nur in einer besonders
kurzen Distanz zu den Steinbrüchen der Baumberge
lag. Ob man für die Konzeptionierung und Ausführung dieser Fassaden einen besonders ausgewiesenen
Baumeister bemühte oder dieses Konzept von einem
Maurermeister zusammen mit den Steinhauermeistern aus den Baumbergen verwirklichte, die die zumeist schon mehr oder weniger zugerichteten Werksteine lieferten, entzieht sich unserer Kenntnis.
Die für den Wohnteil von Haus Westerhaus gewählte
Art der Fassadengestaltung vereint also verschiedene
Elemente: Die plastische Gestaltung der Lipperenais-
sance wurde mit dem sich aus den verwendeten
Materialien ergebenden Farbspiel der Specklagen ver-
bunden. Die Lösung fällt insbesondere durch die
strenge und rasterförmig durchgeführte, durch die
Schattenwirkung noch unterstrichene Gliederung
durch die hervortretenden Werksteinbänder auf, wobei man kaum Bildhauerarbeiten verwendete. Zumin-
dest nach der Kenntnis des noch überlieferten
Baubestandes hat man dem Haus Westerhaus damit
14 Blick in die nordwestliche Ecke der großen Küchendiele.
Die um 1910 entstandene Aufnahme zeigt ein auf die
Bauzeit 1594 zurückgehendes Türblatt und die feststehende
Bleiverglasung der hohen Fenster.
317
318
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
15 Sparrendach von 1594 d über der Herdküche mit Kopfbändern unter der unteren Kehlbalkenlage (Zustand 1999).
trotz aller Anpassung der Renaissancefassade an
regionale Traditionen eine eigenständige Gestaltung
gegeben, die in ihrer spezifischen Ausgestaltung ohne
unmittelbaren Vergleich ist. Es ist zu vermuten, dass
gerade dies das erklärte Ziel und der besondere
Wunsch des Bauherren Pfennigmeister Martin Schnell
aus Münster war.
Erster Abschnitt: Die Flettküche
Die Spuren eines Giebeldreiecks an dem Sparrenpaar
über der heutigen Herdwand lassen ebenso wie wei-
tere Befunde und die Daten der dendrochronologischen Datierungen auf zwei Bauphasen schließen, die
allerdings wohl in nur kurzem Abstand von einem
Jahr ausgeführt wurden: Zunächst errichtete man
1594 im Anschluss an den bestehen gebliebenen
Wirtschaftsteil von Fachwerk einen nicht unterkellerten Küchenbereich. Hiermit korrespondieren im Dach
die Sparrengebinde 12-16, die hochsitzende und von
nur kurzen Kopfbändern gestützte Kehlbalken erhielten. Die Abbundzeichen dieses Dachabschnitts zeigen
die Ziffern V bis II.96 Das westlich des Kaminblocks ste-
hende Sparrengebinde zeigt Spuren einer hieran ehemals befestigten Giebelverbretterung. Dieser im unte-
ren Bereich durch die Herdwand abgeschlossene
Bauabschnitt wurde also für den Winter mit einem
provisorischen Giebeldreieck gegen Westwind und
Regen geschlossen.
Der Neubau erhielt auf drei Seiten massive Umfassungswände und wurde stumpf vor das letzte erhaltene Gebinde des Wirtschaftsteils gestellt. Gegen diesen ist er wohl mit einer geschlossenen Fachwerkwand abgetrennt worden. Im Inneren bestand dieser
Bauteil nur aus einem ungeteilten und hausbreiten
Raum mit offener Balkendecke, der mit einer Grundfläche von etwa 67 qm (6,70x10 m) als großzügige
Herdküche diente. In Verlängerung der beiden Dielenseitenwände sind die jeweils drei offenen Dachbalken
von Luchtbalken unterstützt. Diese haben an ihren
beiden Enden Kopfbänder, die bei einer Höhe von
1 m auf der Stirn mit einem doppelten Karnisprofil
versehen wurden, jeweils unten und oben begleitet
von waagerechten Stäben. Die beiden massiven
Seitenwände der Herdküche sind durch Bogenstellungen unabhängig von dem Abstand der Dachbalken in drei Nischen unterteilt, von denen jeweils die
östliche mit einer Seitentür und mit Fenster darüber
und die anderen mit großformatigen Fenstern verschlossen wurden. Sie belichten den Raum ausreichend. Einen Eindruck von dem ursprünglichen (heute
durch junge Einbauten und eine abgehängte Decke
stark veränderten) Charakter der Küche vermittelt
noch eine vor 1913 aufgenommene und mehrmals
publizierte Fotografie der nordwestlichen Raumhälfte:97 Der mit quadratischen und diagonal verlegten
Sandsteinplatten ausgelegte Raum mit dunkler
Balkendecke erhielt sein Licht über die hohen, mit
Bleiverglasung verschlossenen Seitenfenster. Deren
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
feststehende Verglasung besteht aus kleinen hochrechteckigen Scheiben von weißem und nicht bemaltem Glas, wobei die meisten der Felder in den beiden
oberen Reihen in ihrer Mitte durch eine größere und
über Eck gestellte Scheibe akzentuiert sind. Auch hier
ist eine Bemalung nicht erkennbar, doch bauzeitlich
nach Vergleichsbeispielen mit Wappen naheliegend.
Die untere Reihe der drei jeweils übereinander befind-
lichen Fensterfelder konnte ehemals zudem von
Außen mit in Nuten der Sandsteingewände schlagenden Läden verschlossen werden; die obere Reihe war
durch jeweils zwei senkrecht in die Sandsteingewände
eingelassene Eisenstangen gegen Einbruch gesichert.
Die westliche Abschlusswand der Küche erhielt nur
eine Stärke von 0,30 m (ein Stein breit), wobei man in
ihrer Mitte unter dem First eine große Feuerstelle inte-
grierte (ihre Ausbildung ist nicht bekannt, da man
1882 an dieser Stelle ein neues Herdfeuer mit großem
hölzernen Bosen (Rauchfang) schuf.98 Weitere Details
der ursprünglichen Ausstattung sind nicht mehr erhal-
ten: Zwei wohl zum ursprünglichen Baubestand
gehörende, aufwändig gestaltete Türblätter (als
zwei weitere solche Fenster (dazwischen dürfte sich
eine Tür zum Garten befunden haben, die noch 1758
als hinterste Tür genannt wurde, vielleicht auch noch
ein Abort). Der Saal erhielt ebenfalls eine Balkendecke; ob diese unverputzt, bemalt oder stuckiert
war, ist nicht bekannt. Da dieser Bereich heute ausge-
baut und bewohnt ist, konnte er baugeschichtlich
nicht weiter untersucht werden. So bleibt auch unbekannt, ob eine Feuerstelle in der östlichen Trennwand
vorhanden und wie diese gestaltet war.
Reparaturen 1758
1758 wurde nach einer erhaltenen Abrechnung eine
Reparation zu Westerhues durchgeführt.100 Der
Zimmermeister Becker rechnete hierbei einschließlich
Material und Arbeiten insgesamt 57 Rthl. ab. Er
erneuerte eine sohle vom Hause in der Länge von 80
Fuß (etwa 26 m), wobei anschließend das hause wieder gerade zu schrauben war und 500 Backsteine zur
Ausmauerung der viehemauren benötigt wurden.
Daraus ist zu erschließen, dass der Wirtschaftsteil des
Rahmenwerk mit fünf Füllungen und den für diese
Zeit charakteristischen Abfasungen ausgeführt) haben
sich in Zweitverwendung noch im Keller des Hauses
erhalten. Auf der vor 1913 aufgenommenen Fotogra-
fie befand sich ein entsprechendes Blatt auch noch
am Zugang zur Saalkammer, der in dieser Form allerdings ebenfalls auf einen jüngeren Umbau in diesem
Bereich zurückging.
Zweiter Abschnitt: Der Wohnsaal
In einem zweiten Abschnitt wurde 1595 in weiterer
westlicher Verlängerung ein neuer Wohnteil in der
Form eines unterkellerten Kammerfaches errichtet.
Die Baumaßnahmen dürften wohl mit ihrem Innenausbau erst 1596 abgeschlossen worden sein. Befunde der Dachkonstruktion lassen erkennen, dass dieser
Bauteil selbstständig errichtet wurde: In diesem
Bereich haben die Sparrenpaare nur einen tief liegenden Kehlbalken und sind von Ost nach West getrennt
durchnummeriert.99 Auch dieser Bauteil umfasste
offensichtlich zunächst nur einen sehr großen Raum
von 80 qm (8x10 m), der als Wohnsaal bezeichnet
werden kann (er wurde 1758 als [Saal-]Cammer bezeichnet) und daher als herrschaftlicher Wohnbereich
dienen sollte. Darunter legte man einen halb eingetieften Keller mit Balkendecke über einem mittleren
Längsunterzug an (der darauf liegende Boden aus
Eichendielen wurde 1758 erneuert). Sowohl Saalkammer wie auch der Keller erhielten ihren Zugang
von der Herdküche über kurze Treppen, die man
nebeneinander auf der Nordseite zwischen der
Herdstelle und der nördlichen Traufwand anlegte. Der
Saal erhielt eine umfassende Befensterung: In seinen
beiden Längswänden schuf man jeweils vier Kreuz-
stockfenster und in der westlichen Giebelfront wohl
16 Türblatt aus dem herrschaftlichen Wohnteil von 1595,
heute in Zweitverwendung im Keller genutzt.
319
320
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
17 Gusseiserne Platte der Zeit um 1600, ehemals wohl Teil eines Ofens oder als Rückwand der Herdstelle genutzt. Heute in
die mehrmals veränderte Herdstelle des Hauses von 1882 eingemauert (Zustand 2013).
Hauses zu dieser Zeit aus älteren, zu reparierenden
Fachwerkwänden mit Backsteinausmauerung bestand
und dessen Umfassungswände durchgängig neue
Schwellen erhielten.
Auch in dem massiven Wohnteil des Hauses wurden
zur gleichen Zeit Teile des Innenausbaus erneuert. Die
Arbeiten deuten ebenfalls auf einen offenbar zuvor
bestehenden Verfall des Hauses hin. Es wurde abge-
rechnet: Auf die cammer eine neue Dielung von
Brettern, die hinterste thür für dem Haus, noch 2 thü-
ren an der küche und zwey fenster rahmen an der
kuche, so mursche sein in den Maßen 3 3/4 Fuß lang
und 2 1/4 Fuß breit.
321
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
Veränderungen seit dem 19. Jahrhundert
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Stallungen
im südlichen (linken) Seitenschiff durch Vorschieben
der Dielenwand verbreitert. Die verbleibende Diele
erhielt zudem einen Bodenbelag aus großformatigen
Sandsteinplatten. Möglicherweise gehen diese Bau-
maßnahmen auf das Jahr 1882 zurück, da man in die-
sem Jahr anlässlich einer Eheschließung auch das
Herdfeuer erneuert hat.
1908 errichtete der Zimmermeister Heinrich Horstköt-
ter101 entlang der nördlichen Traufwand ein größeres
Wirtschaftsgebäude aus Fachwerk.102 Es wurde mit
Backsteinen ausgefacht und erhielt ein parallel zum
Altbau ausgebildetes Satteldach mit Pfanneneinde-
ckung. Das Gebäude wurde im Bauantrag zwar
schlicht als „Backhaus" bezeichnet, nahm aber neben
Backkammer mit Backofen am westlichen Ende am
östlichen Ende auch Pferdeställe und in der Mitte vor
allem einen großen Göpelraum auf. Dieser Anbau
wurde 1984 wegen Baufälligkeit abgebrochen. Wohl
zugleich mit dem Bau des „Backhauses" wurde die
Gestalt des Wirtschaftsgiebels erneut verändert und
dem anschließenden Neubau angepasst. Die das ver-
bretterte Giebeldreieck tragenden, vorkragenden
giebels hat man auch die linke Traufwand unter
Zweitverwendung alter Bauhölzer (Riegel und Ständer) neu aufgerichtet.103
Nach mündlicher Tradition wurden die alten bleiverglasten Fenster der großen Küche um 1930 durch
einen Sturmregen mit Hagelschlag vernichtet. Sie
wurden durch große Scheiben in Holzzargen ersetzt.
Der Wohnteil soll um 1946 modernisiert worden sein.
Hierbei hat man das Giebeldreieck des Westgiebels
massiv aufgemauert, sodass die Arbeiten wohl auf die
Schaffung einer Notwohnung für Flüchtlinge oder
ausgebombte Bürger aus Münster im Dachgeschoss
zurückgeht. Im Zuge dieser Baumaßnahmen hat man
Teile der Werksteinfronten des Wohnteils mit Zementputz überzogen.
Weitere Modernisierungen können bislang nicht
datiert werden. Hierzu gehört die Schaffung der heute bestehenden kleinteiligen Aufteilung des Wohnteils, verbunden mit abgehängten Decken.
Im Jahre 2000 wurde das Gebäude mit öffentlicher
Förderung instand gesetzt. Hierbei wurde das Dach
statt der bislang vorhandenen handgestrichenen
Hohlpfannen mit Falzpfannen eingedeckt.
Knaggen wurden aufgegeben und unter Verwendung
des alten Torbogens eine neue vorgeschobene
Giebelwand in der Ebene des Giebeldreiecks errichtet.
Zeitgleich mit dieser Neugestaltung des Wirtschafts-
18 Plan des Zimmermeisters Horstkötter von 1908 zur Errichtung des nördlichen, als Backhaus bezeichneten und an den
Wirtschaftsteil des Bauernhauses angefügten Anbaus mit einer Göpelhalle.
322
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
19 Ansicht der im späteren 18. Jahrhundert errichteten Scheune von Südwesten. Das Gebäude wurde im 19. Jahrhundert
nach Norden verlängert und 1925 dann auch rückwärtig erweitert (Zustand 2013).
Die Scheune (Ende 18. Jahrhundert)
Der Fachwerkbau wurde mit der östlichen Längswand
parallel zur Innenseite der östlichen Gräfte errichtet
und später nach Norden erweitert sowie mehrmals in
Ausfachung und Dacheindeckung und innerer Aufteilung modernisiert. Die ursprüngliche Gestalt ist
allerdings in den wesentlichen Strukturen noch zu
erkennen: Das Gerüst über einer Grundfläche von
8,80x7,95 m erhielt fünf Gebinde und eingehälste
Balken, zweifach verriegelte Wände und ist im
Wandverband mit Ständer-Ständer-Streben unterschiedlicher Gestalt ausgesteift.104 Das Gerüst wurde
ohne Schwelle über einem gemauerten Sockel ver-
zimmert. Die Ausfachung mit Backstein ist erneuert.
In beiden Giebelfronten bestehen Toreinfahrten, wobei diese ohne Torbalken blieben.105 Die beiden Giebeldreiecke kragen leicht über Konsolknaggen und
Balkenüberstand vor und sind verbrettert (zu deren
Halterung ist das Giebeldreieck mit einer Hochsäule
und zwei Riegelketten verzimmert). Die konstruktiven
Details lassen auf eine Errichtung im späteren 18.
Jahrhundert schließen.
Das Innere wurde von einer Längswand bestimmt, die
östlich eine schmalere Zone mit verschiedenen
Räumen von der breiteren Durchfahrtsdiele auf der
Hofseite abtrennt. Die heute nur noch teilweise erhal-
20 Bestandsaufnahme der im späteren 18. Jahrhundert errichteten Scheune: Ansicht von Südgiebel und westlicher
Traufwand sowie Querschnitt und Grundriss (Bauaufnahme Barthold 1999, Rekonstruktion I. Frohnert 2013).
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
21 Plan von 1935 zur Erweiterung der Scheune.
tene Längswand war ebenfalls zweifach verriegelt
und lässt zwei nebeneinander befindliche Räume von
jeweils zwei Gefachen Breite erkennen: Der südliche
war von der Diele abgeschlossen, der nördliche als
Lucht zur Diele geöffnet (Wandrähm mit Kopfbändern zu den Ständern gesichert). In der südwestlichen
Ecke der Diele war neben dem Tor ein weiterer mit
einer Grundfläche von 2x1,15 m sehr kleiner Raum
nicht bekannter Funktion abgetrennt (als Abkleidung
einer Treppe zum Dachboden?).
Im späteren 19. Jahrhundert wurde die Scheune nach
Norden verlängert, wobei man den alten Nordgiebel
verschob und dahinter neue Gebinde einfügte. 1935
errichtete man entlang der östlichen Traufwand einen
weiteren schmalen Anbau mit angeschlepptem
Dach.106
Ergebnisse
Das Hauptgebäude des Gutes Haus Westerhaus
wurde 1554 (d) als ein Vierständer-Bauernhaus mit
Längsdiele errichtet und bis 1596 durch Um- und Anbauten zu einem Längsdielenhaus eines freien Pachthofes mit ungewöhnlich großem Wohnteil entwickelt.
Dieser erhielt massive Umfassungswände mit reicher
Fassadengestaltung und dokumentierte sich so als
herrschaftliche Sommerwohnung. Diese Nutzung
durch die in Münster lebenden Besitzer ist auch durch
Quellen belegt. Trotz der Größe umfasste dieser
Wohnteil allerdings nur zwei Räume: die große von
der Pächterfamilie genutzte Herdküche und eine weitläufige Saalkammer mit anschließendem Garten. Nur
diese dürfte der Nutzung durch die Verpächter Vorbehalten gewesen sein. Wo sich die Wohnräume der das
Haus dauernd bewohnenden Pächterfamilie befanden, konnte nicht geklärt werden. Sie befanden sich
aber nicht - wie durch Vergleichsbeispiele belegbar seitlich der hohen Küche, da diese in diesem Fall die
gesamte Hausbreite einnimmt. Daher ist zu vermuten,
dass sich diese Wohnräume von Anfang an im Bereich
zwischen der Küche und den Stallungen in den beiden Seitenschiffen befanden. Noch heute sind hier die
Wohnräume in den verbreiterten Seitenschiffen un-
tergebracht, wobei es allerdings im Zuge dieser
Untersuchung nicht möglich war, diese Räume in ihrer
baulichen Entwicklung detaillierter zu erfassen.
323
324
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
hausen: Bestand Mensing, Akten; Archiv Frhr. von Ketteler-
1 Diese historisch bedeutende Fotografie zeigt die nördliche
Längswand des Wohnteils und hat sich im Bildarchiv der
Harkotten I, Bestand Möllenbeck, Akten.
Wertvolle Hinweise sind Karl-Heinz Kirchhoff in Münster zu
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur erhalten.
verdanken, der im Jahre 2000 Auszüge aus dem in Bear-
2 Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises
beitung befindlichen Häuserbuch der Stadt Münster zur Ver-
Münster-Land. Münster 1897, S. 146.
fügung stellte. Ebenso ist Clemens Steinbicker zu danken,
3 Wilhelm Lindner, Die bäuerliche Wohnkultur in der Provinz
dessen Aufzeichnungen aus den Kirchenbüchern in Münster
Westfalen und ihren nördlichen Grenzgebieten, in: Engelbert
und Rinkerode verwendet werden konnten.
von Kerkerinck zur Borg (Hg.), Beiträge zur Geschichte des
westfälischen Bauernstandes. Berlin 1912, S. 635-840, hier
13 Ein Zusammenhang mit dem nur wenig weiter östlich in
S. 780-781 (mit zwei Abbildungen, die vom Freifräulein von
Kerckerinck zur Borg angefertigt wurden).
der zum Kirchspiel Albersloh gehörenden Bauernschaft Alst
liegenden Gut Westerhaus konnte nicht nachgewiesen werden. Dieses war im 14. und 15. Jahrhundert ein Lehen des
4 Richard Klapheck, Die Meister von Schloß Horst im Broi-
Bischofs von Münster. 1348 wird statt Johann Travelmann
che. Düsseldorf 191 5, S. 244-246 (mit zwei Abbildungen).
5 Es diente als Vergleich für das Haus Ägidiistraße 62 in
nun Johann Stevening aus Münster mit dem Gut parva
Westerhus belehnt (LA NW, Abt. MS Gesamtarchiv von
Münster (Max Geisberg, Bau- und Kunstdenkmäler von
Landsberg-Velen (Dep.), Velen - Urkunden, Nr. 4) und scheint
Westfalen. Bd. 41: Die Stadt Münster, Teil III. Münster 1934,
später seine Nachfolge in dem grundherrlich gebundenen
S. 230. Nach Geisberg ist diese Einzelform vor allem in
Bremen und Dänemark oft nachzuweisen.
Hof Westermann gefunden zu haben (Martina Bäcker:
1171-1996. 825 Jahre Albersloh. Sendenhorst 1996, S.
6 Er kannte das Haus seit spätestens 1950, wie einige von
137). Den Neubau des bäuerlichen Anwesens könnte Jo-
ihm angefertigte und in dieses Jahr datierte Fotografien der
hann Verendorp veranlasst haben, der 1592 zusammen mit
Werksteinfronten im Bildarchiv der LWL-Denkmalpflege,
seiner Frau das Gut verkaufte (hierzu weiter unten).
Landschafts- und Baukultur in Westfalen belegen.
14 LA NW, Abt. MS, RKG S 989 Bd. 1 BI. 114-115 Abschrift
7 Karl-Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 299-300.
des Kaufvertrags von 1592 zur Vorlage beim Reichskam-
8 Axel Böcker (jetzt Saarbrücken) übernahm federführend
die Darstellung der Familiengeschichte, Peter Barthold die
Dokumentation der Baubefunde vor Ort und Fred Kaspar die
mergericht im Verfahren von 1596. Der Verkäufer Johann
Verendorp (1519-1592) war ein angesehener münsterischer
Bürger, der in der Martinileischaft am Hörsterberg wohnte.
Er war Ziegelherr (1574), Bierherr (1576, 1579-1582), Hospi-
Darstellung der baugeschichtlichen Ergebnisse.
talherr (1 594) sowie Gruetherr (1586-1592). Sein Vermögen
9 Probenentnahme durch Peter Barthold. Gutachten vom
umfasste etwa 4 000 Rthl. (R. Po-chia Hsia, Society and Reli-
10. März 1999 und 7. Juli 1999 durch das Büro Tisje, Neu-
gion in Münster, 1535-1618. New Haven 1984, S. 250, Nr.
143). Aus seinem Vermögen, das er zusammen mit seiner
Isenburg. Die Datierungen im Einzelnen:
1554/55 Dachwerk, Südseite, 10. Sparren von Osten
1553/54 Torbogen, südlicher Ständer
1554 +-1 Dachwerk, Nordseite, 11. Sparren von Osten
(zweitverwendet)
1554/55 Dachwerk, Südseite, 12. Sparren von Westen
(BZ Illi)
Frühjahr
1594 Kopfband unter dem Luchtbalken
1587 +-6 Kopfband unter dem Luchtbalken
1593 +-1 Dachwerk, Südseite, 9. Sparren von Westen (BZ III)
1 594 +-1 Dachwerk, Südseite, 8. Sparren von Westen (BZ II)
1594/95 Dachwerk, Südseite, 4. Sparren von Westen (BZ III)
1591 +-8 Dachwerk, Nordseite, 2. Sparren von Westen
10 Hier konnte allerdings bei der dendrochronologischen
Datierung kein Ergebnis erzielt werden.
11 Durchgeführt von Axel Böcker. Die Überlieferung des 18.
und 19. Jahrhundert durch Fred Kaspar.
12 Insbesondere wurden folgende Bestände ausgewertet: im
Stadtarchiv Münster (STaMS): Gerichtsarchiv, Akten (nach
Frau gestiftet hatte, wurde 1592 nach seinem Tod das Waisenhaus am Wegesende gegründet, von dem umfangreiches
Archivgut im Stadtarchiv Münster überliefert ist.
15 LA NW, Abt. MS. RKG K 1117/ (diese Akten wurden nicht
detailliert ausgewertet!).
16 STaMS, Gerichtsarchiv Acta Criminalia Nr. 103, Nr. 6 vom
08.12.1594. S. auch Anm. 86.
17 STaMS, KuR 36 vom 2. Juni 1599: Joh. Lütke Woestmann
besaß die Hofstelle als Eigenhöriger des münsterischen Erb-
manns Rudolph (Roleff) von der Tinnen zum Kaldenhoff
(1540-1612/14). Mit der Vermessung werden Johann Schul-
te Pröbsting zu Rinkerode, Reinhold Brennsmann und Melchior Veldmann beauftragt. Weiterführende Personendaten
zu von der Tinnen bei Gerd Dethlefs, Rudolph von der
Tinnen (1612-1702), in: Dreihundert Jahre Stiftung Rudolph
von der Tinnen. Münster 1988, S. 15-73. Der Grundstücks-
tausch wurde am 20. März 1600 durch ein Protokoll abgeschlossen, das vermutlich unmittelbar nach der Vermessung
durch die im Vertrag von 1599 benannten Nachbarn ange-
Namenskartei Gerichtsarchiv). - Im Landesarchiv Nordrhein-
fertigt wurde (Archiv Frhr. v. Ketteler-Harkotten. Best. Möl-
Westfalen, Abteilung Münster (LA NW, Abt. MS): Reichskammergericht (RKG); Dep. Archiv Landsberg-Velen, Bestand Westerhaus; Dep. Altertumsverein Münster, Familien-
der fürstlichen Pfennigkammer vor, deren Aufgabe es war,
archiv Mensing; Manuskripte MSCR VI, Nr. 254: Stammtafel
Mensing. - Aus Privatarchiven wurden genutzt: Archiv Brück-
lenbeck. Akten 237).
18 STaMS, Gerichtsarchiv, c.d. 80 Der Pfennigmeister stand
die Einnahmen und Ausgaben des Landesherren aus allge-
meinen Landsteuern (Schatzungen) zu verwalten. Weiter-
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
mer der Kirchenprovinz Köln (= Germania Sacra NF. 37, 4).
1631 (Kohl 2004, wie Anm. 18, S. 200. Zu Morrien auch:
Helmut Lahrkamp, Über Münsters Protestanten im konfessionellen Zeitalter (1560-1620), in: Westf. Zeitschrift, Bd.
Das Bistum Münster. Bd. 7, 4. Die Diözese. New York-Berlin
142. Münster 1992, S. 139).
2004, S. 200-201.
19 Karl-Heinz Kirchhoff: Häuserbuch der Stadt Münster. Bd.
24 LA NW, Abt. MS, RKG S 989.
1 Prinzipalmarkt. Münster 2001, S.82-84. Weitere Daten
nach STaMS, Namenkartei Gerichtsarchiv bzw. Georg Kette-
Urkunden 251 (1600), STaMS, Gerichtsarchiv, KuR 76
(1607); c.civ.l. 72 (1613); Scab II. 56 (1615); c.civ.l 237
ler, Die Catharinen-Bruderschaft an St. Lamberti in Münster
(1629-1631).
von 1330. Münster 1993, S. 79 und 91. Die münstersche
26 Kirchhoff 2001 (wie Anm. 19), S. 82. Am Domplatz 1
Familie Schnell führte das gleiche Wappen wie die kölnische
befand sich auch die Pfennigmeisterei.
Bürgerfamilie Snellen oder Snelle. (Anton Fahne, Geschichte
27 Er wird zusammen mit seiner Frau noch 1618 als Gläu-
der Kölnischen, Jülichen und Bergischen Geschlechter, Erster
biger des Grafen Arnold Jobst zu Bentheim und Tecklenburg
Theil. Stammfolge und Wappenbuch (A-Z). Cöln-Bonn 1848
belegt (LA NW, Abt. MS, Fürstbistum Münster, Landesarchiv,
S. 391; Wilhelm Kohl, Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln.
Urkunden). Im Verfahren mit den Gebr. von Velen vor dem
Das Bistum Münster. Das Zisterzienserinnen-, später
Benediktinerinnenkloster St. Aegidii zu Münster-Berlin-New
Reichkammergericht tritt er noch bis mindestens 1628 aktiv
auf (LA NW, Abt. MS, RKG V 72, Bd. 2).
York 2009, S. 339). Der kölnische Namensvetter Martin
28 LA NW, Abt. MS, Dep. Landsberg-Velen, Akten Nr.
Schnell (1542-1601) war Jurist, Ordinarius an der juristischen
18631. Max von Spiessen setzt in seiner genealogischen
Sammlung (Tafel Familie von Amelunxen) die Hochzeit erst
für das Jahr 1601 an und bezeichnet Schnell in diesem Zu-
führend dazu: Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600-
1760. Münster 2000, S. 355-356; Wilhelm Kohl: Die Bistü-
Fakultät der Universität und Ratsherr. (Rita Wagner (Bearb.):
Kölnischer Bildersaal. Köln 2006, S. 62.) Sein Vater Johann
Snell stammte aus Büren und wurde 1535 Bürger in Müns-
25 Kohl 2004 (wie Anm. 18), S. 200. Archiv Haus Brincke,
ter. Spätestens 1562 war er Ratsschöffe von Deventer und
sammenhang noch als Pfennigmeister.
29 Während Eva 1640-1673 Äbtissin im Schwarzen Stift in
bewohnte dort ein Haus am Brink (Haus Nr. 45), dem Haupt-
Bocholt war, trat Lucia 1614 in das Stift St. Ägidii in Münster
platz (A.C.F. Koch: Het Bergkwartier te Deventer. Huizen-
ein, wo sie 1649 verstarb. Eine Anna Schnell wird 1607
boek van een middeleeuwse stadswijk tot 1600. Zutphen
1988, S. 89).
20 In dem Gebäude befand sich in der ersten Hälfte des 16.
genannt (STaMS KuR 76) und Gertrud Schnell 1605 (STaMS
T. II 1917). Ein für die 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts beleg-
Jahrhunderts auch die Leinenlegge. Es gehörte dem Doek-
ter Johann Schnell könnte ein Sohn gewesen sein (LA NW,
RKG 990. Verfahren 1652/55 um einen Besitz den Schnell
legger Johann von Vreden (t 1534) und seiner Frau Else.
von Engelbert von der Wick zu Neuhaus 1623 erhalten
Diese wird zwischen 1535 und 1545 als Witwe erwähnt. Ihre
Tochter Anna von Vreden (*1520) heiratete Johann Schnell
(t 1572), der als Krameramtsverwandter und Ratsherr seit
1554 bzw. 1555 in Münster öffentliche Ämter inne hatte.
Die Witwe Schnell lebte noch 1603 (Kirchhoff 2001 [wie
Anm. 19], S. 82-84). Neben ihrem Sohn Martin sind auch
zwei Töchter belegt: Elisabeth (Else), die mit Johann Garde-
man (STaMS c.civ. I 611) und Eva, die mit Gerhard Steck,
dem Rentmeister des Amtes Bocholt verheiratet war (STaMS
c.civ. 72; Po-chia Hsia [wie Anm. 14], S. 245, Nr. 123). Bei
den 1549 belegten Einwohnerinnen im Kloster St. Aegidii
Elisabeth wird Gertrud Snelle als Professjungfer genannt. Es
dürfte sich um eine der Schwestern des Vaters Johann
Schnell handeln (Kohl 2009, wie Anm. 18, S. 339 bzw. 370).
hatte).
30 LA NW, Abt. MS, Dep. Landsberg-Velen, Akten Nr.
19441.
31 LA NW, Abt. MS, Dep. Landsberg-Velen, Akten Nr. 14912
und Archiv Haus Harkotten II, Harkotten Akten Nr. 1073.
32 Der Vertrag wird am 13. Februar 1607 geschlossen
(StaMS, Kauf- und Rentenbriefe 76). Weidner interpretierte
den zum Verkauf des Hauses Prinzipalmarkt Nr. 8 an den Rat
der Stadt Münster erhaltenen Kaufbrief vom 9. Dezember
1614 (STaMS, Ratsarchiv, A VIII, Nr. 23 a) fälschlich so, dass
der Pfennigmeister Martin Schnell zuvor verstorben sei und
seine Witwe Anna von Amelunxen nun einen gewissen Vogt
geheiratet habe (Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 10941095).
21 Es muss sich hierbei um das Haus Nr. 4 oder 6 gehandelt
haben, da es 1589 in einer Verkaufsurkunde als neben dem
33 Geisberg III 1934 (wie Anm. 5), S. 313-323; Kirchhoff
Haus Nr. 5 gelegen beschrieben wird (LA NW, Abt. MS,
des 1615 errichteten Gebäudes, die Doppelnutzung als
Waage (Nr. 8) und Stadtweinhaus und die Weiterverwen-
Verein f. Gesch. u. Altertumskunde, Urkunde 1172).
22 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 1094-1095. Ob dies mit
dem Verkauf seiner Besitzung auf der Hundestiege (später
Clemensstraße 20-21) an die Familie von Raesfeld zu Hame-
ren zusammenhängt, der für das Jahr 1596 belegt ist, bedürfte einer genaueren Überprüfung.
23 Am 27. Mai 1596 wurde Dietrich Morrien, der Sohn des
Stadtlohner Richters Johann Morrien, mit dem Amt des
Pfennigmeisters bestallt. Dietrich Morrien wird 1611 Bürger
der Stadt Münster. Er resignierte als Pfennigmeister am 1. Juli
2001 (wie Anm. 19), S. 82. Die Zweiteilung im Erdgeschoss
dung beider Hausnummern machen deutlich, dass das neue
Gebäude auf zwei Hausstellen errichtet wurde.
34 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ.l. 696 (1646/47). Der verstor-
bene Melchior Mensing wird darin als Besitzer des Erbes
Westerhaus im Kirchspiel Rinkerode und eines Hauses in der
Neubrückenstraße, dem späteren sogenannten großen
Schmiesinger Hof, genannt. Weitere Lebensdaten Melchior
Mensings wurden freundlicherweise durch Karl Heinz Kirch-
hoff zur Verfügung gestellt.
325
326
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
35 Als Quellen wurden für diese Familie herangezogen: LA
frühen 19. Jahrhundert weiter mit Haus Westerhaus verbun-
NW, Abt. MS, Familienarchiv Mensing, Findbuch Einleitung.
den.
Zur Genealogie der Familie Mensing wurden herangezogen:
51 Die Hochzeit fand 1649 in der St. Aegidii-Kirche in
LA NW, Abt. MS, Manuskripte, MSCR VI, Nr. 254 Stammtafel
Münster statt (Kirchenbuchauswertung Clemens Steinbi-
Mensing. Clemens Steinbicker, Vom Geschlechterkreis der
cker).
münsterischen Rats- und Bürgermeistersfamilie Timmerscheidt, in: Westf. Zeitschrift. Bd. 111. Münster 1961, S. 95-
52 Kirchenbuch Rinkerode. Sterbefälle ab 1664 (Auswertung
Clemens Steinbicker). Die archivalische Überlieferung zur Fa-
117, hier besonders S. 107-111; Max Geisberg, Die Bau- und
milie des Johann von Gescher gnt. zur Stegge ist ungleich
Kunstdenkmäler der Stadt Münster, Band IV. Münster 1935,
S. 60 ff.
geringer. Ein Familienarchiv als gesonderter Bestand existiert
weder im Staatsarchiv Münster noch im Stadtarchiv Münster.
36 LA NW, Abt. MS, Gerichtsarchiv, a.j. 75 (1609).
53 Clemens Steinbicker: Die Liebfrauenbruderschaft an der
37 Das Anwesen Hunenborg hatte Margarethe von Höfflinger zusammen mit dem Gut Sandfort in Alverskirchen
1623 geerbt (Steinbicker 1961 [wie Anm. 36], S. 107-111;
Pfarr- und Klosterkirche St. Aegidii (1441-1941), in: Quellen
und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster. NF Bd.
Archiv Brückhausen, Bestand Mensing).
ten gibt einen Goldgulden, um die Privilegien der Bruder-
38 Eine Kaufurkunde konnte in den untersuchten Archiva-
schaft zu genießen.
lien nicht aufgefunden werden.
39 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 865, kann auch für Peter
54 Fahne 1848 [wie Anm. 19], Bd. 1, S. 221. Dort wird er mit
Johan von Steigen, Rittmeister bezeichnet.
Mensing die Funktionen Lic. Geh. Rat und Kanzler nachwei-
55 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ. I 265.
sen. Anscheinend ist Mensing 1586 auf der Burg Fürstenau
verstorben.
56 Das Gebäude ist nicht überliefert, da es später zusammen
40 Steinbicker 1961 (wie Anm. 36), S. 107-111: Als Vater
von Peter Mensing ist Johann Mensing (1540/50) Geheimer
Rat des Fürstbischofs Franz von Waldeck bekannt. Er war mit
3. Münster 1966, S. 287-382, hier S. 359: Anna von der Ket-
mit dem Nachbarhaus in die Neugestaltung des Velenschen
Hofes an der Aegidiistraße 63 einbezogen wurde. Der Besitz
bestand aus einem vermutlich in Stein errichteten Hinterhaus
und einem wohl jüngeren Vorderhaus: 1578-1586 gehörte
Elisabeth von Eilen verheiratet. Nach Kirchhoff ist darüber
es Hermann von Unna und spätestens seit 1595 dem Juristen
hinaus noch ein Peter Mensing (1529/34), Sohn von Bernd
Friedrich Otterstedde, der als Aldermann der Steinhauergilde
Mensing (ca. 1518) als Besitzer eines Hauses am Alten Fisch-
eine öffentliche Funktion ausübte. Am 20. Juni 1641 ver-
markt 11 bekannt. Dieses Haus befand sich ab 1578 im Be-
kaufte er das Haus an Joh. Zurstegge (nach Weidner 2000
sitz der Familie Bispinck.
[wie Anm. 18], S. 1027; Geisberg III 1935 [wie Anm. 5], S.
273-279). Schon 1642 wird seine Frau als Witwe bezeichnet
41 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 1023.
42 STaMS, Gerichtsarchiv, c.d. 349 (1628/35); Kirchhoff
2001 (wie Anm. 19).
43 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 894.
(Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 1027).
57 Noch 1676 bzw. 1678 wird Haus auf der Aegidiistraße in
Münster als wüst bezeichnet (STaMS, Archiv Mensing Akten
44 Geisberg IV 1935 (wie Anm. 35), S. 64.
25). Eine Witwe Zurstegge wohnt 1685 bei dem Bäcker
45 Geisberg IV 1935 (wie Anm. 35), S. 381 ff.; Weidner
Henrich Twehues in der Ludgeri-Leischaft.
2000 (wie Anm. 18), S. 865.
46 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ. 696 (1643); b.pup. 14
58 LA NW, Abt. MS, Dep. Verein f. Altertumskunde, Handschriften, Nr. 386, Bd. 7 und Nr. 539.
(1648).
59 Catharina Gertrud Mensing und die Witwe des Peter
47 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ. 696 Schreiben Nro. 3 Schreiben des Arn. Tegeder, Ehemann der Anna Elisabeth
1713 als Eigentümer des sog. Schmiesinger Hofs in der Stadt
Mensing (Transkription durch Peter Barthold).
48 Archiv Haus Brückhausen, Akten 71, bezeichnet mit:
Mensing, Maria Magdalena Hubin gen. von Gulichen, treten
Münster auf. Peter und Catharina Gertrud Mensing waren
Kinder von Anna Catharina zur Stegge und Ernst Melchior
Testament des Peter Mensing mit Legat für Ernst von
Mensing, also direkte Nachkommen der Eigentümer von
Höfflinger (Transkription mit freundlicher Unterstützung von
Claudia Kollbach, Westfälisches Archivamt, Münster).
60 Der Verkäufer war der Enkel Johann Mensings, der 1641
49 Für den Fall, dass sein Bruder ohne Nachkommen bleiben
sollte, wird dem Testamentsvollstrecker Höfflinger auch das
Gut Hunenborg zugesprochen.
50 Das Erbe Hunenborg war über Peter Mensings Mutter,
Margarethe Höfflinger (t 1635), verheiratet mit Melchior
Mensing (t 1637), die es 1623 geerbt hatte, in seinen Besitz
gelangt. Im Testament von 1649 wurde damit Ernst von
Höfflinger bedacht. Die ungenannten Erben von Haus Westerhaus scheinen den Besitz jedoch einschließlich des Erbes
Hunenborg veräußert zu haben (stattdessen wurde das Gut
Sandfort 1652 an die Familie von Höfflinger übergeben),
denn Hunenborg blieb bis zum Verkauf an die Pächter im
Haus Westerhaus.
das Haus in der Königstraße 52 erworben hatte (Weidner
2000 [wie Anm. 18], S. 1022; Steinbicker 1961 [wie Anm.
36], S. 107-111).
61 Für diese Zeremonien musste der Pfarrer von Rinkerode
jeweils Dispens erteilen, da sie nicht in seiner Kirche stattfan-
den. Ob auf Haus Westerhaus eine Kapelle bestand und wer
die Zeremonien durchführte, ist nicht bekannt.
62 LA NW, Abt. MS, Dep. Archiv Landsberg-Velen, Findbuch
Westerhaus - A 450 Wh II, Einleitung sowie Akten
Gesamtarchiv Landsberg-Velen Nr. 28289.
63 LA NW, Abt. MS, RKG M 726.
64 Anscheinend hatten die Erben Mensings die Erträge aus
Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594
Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf)
Haus Westerhaus für sich behalten. Vermutlich zog Ferdi-
82 Das im Kern noch aus dem 17. Jahrhundert stammende
nand Mensing, der als Sohn Johann Mensings den väterli-
Vierständerhaus auf dem Kötterhof Niehüser ist am Torbo-
chen Besitz in der Königsstraße 52 übernommen hatte, in
gen 1677 datiert. Eine weitere im Inneren des Hauses aufbe-
65 Daten durch freundliche Mitteilung von Herrn Raban von
wahrte Inschrift von 1677 nennt als Bauherren Bernhard
Niesmann auf der Woeste. Das Haus wurde in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts stark erneuert und erhielt hier-
Westrem/Seeheim.
bei am alten Torbogen eine neue Inschrift.
66 1746 wurde zur weiteren Schuldentilgung auch der ehe-
83 LA NW, Abt. MS-Archiv Landsberg-Velen, Bestand Wes-
mals zu dem Haus gehörende Kötterhof Niehus an die neuen
terhaus, Nr. 28294 und 28295.
Eigentümer verkauft (LA NW, Abt. Münster, Dep. Landsberg-
84 Bernhard Feldmann, Die Höfe des Münsterlandes und
Velen, Akten Nr. 28289).
ihre grundherrlichen Verhältnisse. Münster 1995.
67 Hierzu Besitzergreifungsprotokoll mit Beschreibung der
Güter (nicht eingesehen) in LA NW, Abt. Münster, Dep.
Alle anderen genannten Hof- und Kötterstellen wie auch
Haus Westerhaus tauchen dort in den nach Schatzungs-
Landsberg-Velen, Akten Nr. 28390.
registern erstellten Listen nicht auf. Das Gut Westerhaus und
68 STaMS, Gerichtsarchiv, c. civ. 696.
69 Bruchstückhafte Archivbestände zu Haus Westerhaus für
die von ihm abhängigen Kotten und Höfe waren also schatzfrei.
die Zeit zwischen 1670 und 1810 sind im LA NW, Abt. MS,
85 In einem Kriminalverfahren vor dem Stadtgericht in
Dep. Landsberg-Velen, Bestand Westerhaus erhalten.
Münster gegen den Stiftssoldaten Wilhelm Erdtman im Jahre
70 LA NW, Abt. MS - Katasterbücher Münster (Findbuch B
285 l),16. Rinkerode, 2 Bde, Nr. 118.
71 Datum nach Kaminplatte auf Haus Westerhaus.
1594 wird dargelegt, dass der Angeklagte bei der Befestigung von Rheine geholfen, an den Wällen von Ochtrup,
Schöppingen und Schöneflieth gearbeitet hat und bei dem
72 Heutige Adresse des Hofes ist Drensteinfurt, Hemmer 41
Pfennigmeister Martin Schnelle auf seiner Burg in Rinkerode
(von 1815 bis um 1980 trug der Hof die Bezeichnung Rin-
in Arbeit gestanden hat (STaMS, Acta Criminalia Nr. 103-6.
seiner Funktion als Vormund der Erben seines Cousins Ernst
Melchior Mensing die Klage auf sich.
kerode, Hemmer Nr. 25).
73 Joachim Hartig, Die Register der Willkommschatzung von
1498 und 1499 im Fürstbistum Münster, Band 1: Quellen.
Münster 1976.
74 Bis 1975 Hemmer Nr. 23.
75 Bis 1975 Hemmer Nr. 22.
76 Er war schon im 18. Jahrhundert - wie noch heute - ein
Pachthof der Herren von Droste-Vischering (Haus Lütgenbeek).
77 Die heutige Fernstraße wurde als Chaussee (B 54) im frü-
hen 19. Jahrhundert etwa 500 weiter östlich der alten Straße
durch die Hemmerheide trassiert.
78 LA NW, Abt. MS-Karten A 9146 (aus Archiv Landsberg-
Velen, Kartensammlung Nr. 688 - hier mit der alten
Bezeichnung Westerhaus Nr. 3).
79 In den überlieferten Akten zu Haus Westerhaus auch mit
„Huneborg", „Niehus" und „Panhus an der Heide" bezeich-
net. Die gleichen Hofstellen finden sich mit ähnlichen
Bezeichnungen auch auf der Urkatasterkarte von 1830 und
dem Messtischblatt von 1895 wieder. Bei der in den Akten
des 18. Jahrhunderts genannten Hofstelle Kellinghoff handelt es sich wohl um Haus Westerhaus selbst, da es in dieser
Zeit mit einem gleichnamigen Pächter besetzt war.
80 Der Kotten Niehues (heute Große Wöstmann, Hemmer
51) war zunächst 1743 nicht verkauft worden, ist dann aber
zur weiteren Schuldentilgung der Eigentümer 1746 ebenfalls
an Anton Henrich Hermann von Velen verkauft worden. Der
Kötterhof Pannhues wurde um 1900 Werth und heute
Tümler genannt und der Hunenkötter heute als Hülsbusch
bezeichnet (Hemmer 36).
81 Sie wurden 1753 bezeichnet als Eschkamp, Buschkamp
Hier nach den Regesten zitiert).
86 Es lassen sich noch Sparrenpaare mit Abbundzeichen von
Illi bis Vllll nachweisen.
87 Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde das Dach des
Wirtschaftsteiles repariert und teilweise durch neue Hölzer
ergänzt. Zudem wurde nach Abnahme der Sparrenpaare
hierbei eine Sparrenschwelle über den möglicherweise
geschädigten Balkenköpfen eingebaut: So erhalten einzelne
Sparrenpaare zweitverwendetes Holz, das bisher nicht
datiert werden konnte: bei den Nummern VI (8) und Vllll (5)
wurden Balken zweitverwendet, bei den Nummern VII (7)
und VIII (6) Kopfbänder. Der 11. Sparren auf der nördlichen
Dachseite wurde zwar ebenfalls um das Jahr 1554 gefällt, ist
allerdings an dieser Stelle zweitverwendet und trägt keine
Abbundzeichen. Daher kann er in dieser Lage nicht dem
Kernbau zugeordnet werden.
88 So wurde das tragende Gerüst der Dielenseitenwände in
der gleichen Weise wie beim Kerngerüst mit einzelnen
Kopfbändern im Längsverband verzimmert.
89 Eine dendrochronologische Datierung dieses Bauabschnitts brachte wegen fehlender geeigneter Hölzer bislang
kein Ergebnis.
90 Klaus Freckmann, Specklagenformationen - nur in den
Niederlanden? Zur zeitlichen und regionalen Verbreitung von
Specklagen, in: Naturstein als Baumaterial (= Jahrbuch für
Hausforschung. 52). Marburg 2007, S. 193-206.
91 In Horstmar (Kr. Steinfurt) auf zwei Giebel des Merfelder
Hofes (um 1560), in Billerbeck auf das im adeligen Besitz
befindliche Haus Münsterstraße 6 (um 1570) und zwei Türme des Hauses Niederhameren der Burganlage Haus Hameren (um 1600). Das späteste und zugleich reichste Beispiel ist
sowie der vorderste und der hinterste Kirschkamp. Ferner
gab es unmittelbar nordwestlich des Gutes auch einen klei-
der 1625 begonnene Neubau von Haus Alst bei Horstmar.
nen Busch (Waldstück).
vor allem angeführte „Ohmsche Haus" in Münster, Roggen-
92 Das hier von Klapheck 1915 (wie Anm. 4), S. 244 - 246,
327
328
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
markt 11/12 folgt allerdings prinzipiell einer anderen Gestal-
Abbildungsverzeichnis
tungsrichtung, da es vor allem mit einem vielfältigen Bild aus
bildhauerischer Arbeit beeindruckt. Diese Fassade wurde
Bildarchiv LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur
in Westfalen:
zudem nach heutiger Kenntnis um 1565 und damit schon
Kaspar 3, 4, 17, 19;
wesentlich früher im Auftrage des Hofgerichtsnotars
Ludorff: 1;
Magister Arnold Isfordinck errichtet (Geisberg III 1934 [wie
Anm. 5], S. 192-197; Ralf Klötzer, Häuserbuch der Stadt
Münster, Band III. Münster 2008, S. 189-198). Als Baumeis-
Mummenhoff: 7, 8;
Nieland 2, 12, 15, 16;
ter dieser Fassade wird Laurenz von Brachum vermutet
Landesarchiv NW, Abt. MS, Karten A 9146: 5, 6;
(Mummenhof 1961 [wie Anm. 7], S. 86).
Lindner 1912, Abb. 257: 13;
93 Auftraggeber war Franz von Loe für seinen Sohn Bertram
Lindner 1912, Abb. 258: 14;
von Loe und Palsterkamp und dessen Frau Margarethe von
Stadtverwaltung Drensteinfurt, Bauregistratur: 18.
der Horst (Franz Flaskamp, Die Brachums. Ein rheinisch-west-
fälisches Baumeistergeschlecht aus Renaissance und Barock,
in: Westfalen. 40. Münster 1962, S. 150-168).
94 Als sein erster Bau das Haus Horst im Fest Recklinghausen
sowie die Schlösser Haus Assen und Haus Crassenstein (bei-
de im Kreis Warendorf).
95 Mummenhoff 1961 (wie Anm. 7), S. 86-87.
96 Sie stehen heute in einer nicht der ursprünglichen
Nummerierung entsprechenden Reihenfolge (von Ost nach
West: V, III, II, Illi), ein Hinweis auf eine spätere Reparatur mit
Abnahme der Sparrenpaare.
97 Das Bild nicht nachgewiesener Herkunft wurde zunächst
publiziert bei Lindner 1912 (wie Anm. 3), danach bei
Klapheck 1915 (wie Anm. 4).
98 Mehrere Werkspolien in Renaissanceformen sind heute in
Zweitverwendung in der Front des erst im späteren 19.
Jahrhunderts entstandenen Kötterhauses Hemmer 32 (in der
Hemmerheide unmittelbar an der Chaussee) eingemauert.
Sie haben möglicherweise zu einer ehemaligen Gestaltung
der Feuerstelle gehört.
99 Mit römischen Ziffern von I bis V.
100 LA NW, Abt. MS, Dep. Archiv Landsberg-Velen, Bestand
Westerhaus, Nr. 28294.
101 Er lebte auf dem nahegelegenen Kötterhof Stotter in
der Hemmerheide.
102 Hierzu hat sich in der Registratur der Bauaufsicht bei der
Stadtverwaltung der Bauantrag erhalten (Akte aus dem ehe-
maligen Amt Wolbeck).
103 Die beabsichtigten Umbauten am alten Haus gehen
nicht aus dem Bauantrag hervor, lassen sich aber als eine
Baumaßnahme aus dem durchgehend verzimmerten Fach-
werkgefüge erschließen. Die rechte (nördliche) Traufwand
wurde durch den inzwischen abgebrochenen Anbau von
1908 ebenfalls stark verändert, ist aber nach seinem Abbruch heute auch in dieser Form nicht mehr erhalten.
104 Sie sind in den Giebelfronten gerade, in den Traufwänden geschweift
105 Kaum geschweifte Kopfbänder an den den Giebelbalken tragenden Torständern.
106 Hierzu hat sich in der Registratur der Bauaufsicht bei der
Stadtverwaltung der Bauantrag erhalten (Akte aus dem ehe-
maligen Amt Wolbeck).
Planarchiv LWL-Denkmalpflege: 9-11, 20-24;
329
Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommer-
wohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
Fred Kaspar / Peter Barthold
Einleitung
Haus Milte1 ist eine große Hofanlage, die in ihrer gesamten Struktur auf eine Neuanlage in der Zeit um
1590 mit Gräftenring, Haupthaus und Torhaus durch
Zusammenfassung verschiedener Besitzungen entstanden ist. Trotz der für solche nicht grundherrlich
gebundenen Besitzungen charakteristischen häufigen
Eigentumswechsel aufgrund komplizierter Erbwege
gelang die Rekonstruktion der Nutzungsgeschichte
als Pachtgut mit verschiedenen bis in die Mitte des 20.
Jahrhunderts genutzten Sommerwohnungen der in
Münster lebenden und zur bürgerlichen Oberschicht
gehörenden Eigentümer.2 Da der Hof zudem in seinen
wesentlichen Strukturen bis heute erhalten blieb, ist
er ein exemplarisches Beispiel der ehemals zahlreichen
vergleichbaren Anlagen im Umkreis von Münster. Zu-
dem ist das hier stehende Haupthaus eines der
größten bekannten Vierständerhallenhäuser im
Münsterland.
Baugeschichtliche Untersuchungen zum Haus Milte
und den verschiedenen dort überlieferten historischen
Bauten bzw. eine Würdigung der Gesamtanlage waren bislang ebenso unterblieben wie Untersuchungen
zur Geschichte und Entwicklung des Gutes. Nur das
große auf dem Hof stehende Haupthaus ist zwar
schon vor 1940 von der volkskundlichen Hausforschung hinsichtlich der bemerkenswerten Größe
und des aufgrund der Giebelgestaltung ersichtlichen
besonderen Alters in baugeschichtlicher Bedeutung
erkannt worden, doch blieben die Vorarbeiten von
Josef Schepers3 aus nicht bekannten Gründen bei
Skizzen zu einer Bauaufnahme4 und sind später nicht
mehr weitergeführt worden.
1 Gut Haus Milte bei Telgte; östliche Gräfte. Der Verlauf der wohl erst um 1590 angelegten Gräben ist streng rechteckig,
wobei entlang der Innenseite mehrere Gebäude gestellt wurden: Im Vordergrund der Wagenschuppen von 1834, dahinter
das Torhaus von 1599 (Aufnahme Kaspar 2012).
330
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Zur Geschichte und den Besitzern des Gutes
Das Gut scheint in seiner für die letzten vier Jahrhunderte gültigen Form erst um 1590 durch Zusam-
menlegung verschiedener Besitzungen entstanden zu
sein.5 Die mittelalterliche Geschichte eines hier gelegenen und wohl zunächst Graffhorst genannten Anwesens ist bislang nur in Ansätzen bekannt. Dieses lag
im Verband mit zwei unmittelbar benachbarten Höfen
(den heutigen Höfen Pollert und Austermann), die
gemeinsam den kleinen Drubbel Grafhorst unmittel-
bar außerhalb der städtischen Feldflur von Telgte im
Kirchspiel Telgte bildeten. Erst seit der Neuzeit zählten
die drei Höfe zu der innerhalb der Feldmark von Telgte
liegenden Flur Woeste6 und wurden Teil der Bauernschaft Schwienhorst.
Ob es sich bei der 1340 belegten Bezeichnung Graffhorst zunächst um den Namen eines großen Hofes
oder um die Bezeichnung des daraus hervorgegangenen Höfe-Drubbels handelt, ist bislang nicht sicher
geklärt. Letztere Entwicklung scheint sich allerdings
aus den Quellen erschließen zu lassen, wobei vermu-
tet wird, dass der Ursprung der freie Hof Sutbeke
gewesen sei.7 1379 wird eine curtem Sutbeke im
Kirchspiel Telgte genannt, mit dem Wessel Wettinchdorf belehnt ist.8 Dieser ist mehrmals als Freigraf bzw.
Richer in Telgte genannt. Der zunächst große Hof
Sutbeke wurde offensichtlich schon spätestens in der
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in mehrere Höfe
aufgeteilt. Zu ihrer Unterscheidung gebrauchte man
verschiedene Bezeichnungen, wobei wohl erst Ende
des 15. Jahrhunderts der ursprüngliche Name Sutbeke verschwand. 1411 ist eine Hälfte des Hofes Sutbeke dem Temme von Werne verlehnt, so wie sie früher ein Lehen von Wessel Wettinchdorf war. Er gibt
an, sie von Bernd von Lonne erworben zu haben.9
1427 ist das Erbe Sudbecke im Kirchspiel Telgte ein
Lehen des Roland von Lonne,10 womit vielleicht ein
weiterer Teil des Gutes gemeint ist. In den folgenden
Jahren bis zu seinem Tode um 1450 verkauft von Lon-
ne, der wohl auf dem Haus Lonne in der Telgte Bauernschaft Vechtrup lebte11, nach und nach zahlreiche
Flächen sowie sein Haus innerhalb der Stadt Telgte,12
wobei es möglicherweise auch zu einer Zersplitterung
des Gutes Sutbeke und dem folgenden Untergang
des Namens kam.
1340 wird das Haus Grafhorst (domus ton Grafhues)
und ein darauf lebender Miltmann als Zubehör der
Obödienz Bullersen genannt.13 1352 verkauft der Graf
von Tecklenburg dieses Haus Grafhorst im Kirchspiel
Telgte an Eckbertus, Sohn des Machorius, der das
Haus zuvor schon zu Lehen hatte.14 Der Hof Miltmann
(1412 domus ton Graffhorst per Bem. Miltmann) tradierte also Rechte des 1340 belegten freien Hofes
Graffhorst und scheint mit einem Bauern besetzt worden zu sein. Im 16. Jahrhundert befand sich der Besitz
an dem Hof (wohl durch Erbschaft) in zwei verschiedenen Familien. Im Zuge der Telgter Flurprozession
um die Stadt machte man 1541 auch auf der Graffhorst Station.15
Nach dem Viehschatzregister von 1547 lebten auf
dem Hof Miltmann zwei Familien und man hielt dort
6 Pferde, 5 Kühe, 4 Rinder, 6 Schweine und 10 Schafe. 1549 wurden neben der Bauernfamilie vier Knech-
te, drei Mägde sowie ein Jungknecht genannt, und
1589 hat Miltmann neun Volck. Erkennbar handelte
2 Gut Haus Milte bei Telgte; Plan der Gesamtanlage. Ausschnitt aus dem Urkatasterplan von 1829. Deutlich erkennbar ist die rechteckige Gräftenanlage mit dem zentralen gro-
ßen Haupthaus (der Wirtschaftsgiebel mit dem vorgelagerten Hof nach Nordwesten). Die Zufahrt auf die Gräfteninsel
erfolgt von Südwesten über eine Zugbrücke und das
Torhaus, das an die südöstliche Ecke der Gräfteninsel gestellt
ist. Entlang der östlichen Gräfte stehen zwei weitere kleine
Wirtschaftsgebäude. Einen zugehörigen Schafstall gab es
südlich der Gesamtanlage an der Zufahrtsstraße.
es sich noch immer um eine sehr große Hofanlage.
Die für die weitere Geschichte des Hofes entscheidende Familie von der Wyck (auch Wiek)16 gehörte seit
dem frühen 16. Jahrhundert zur Gruppe von Verwaltern und Beamten des Bistums Münster.17 Ein Zweig
der Familie war spätestens seit der Mitte des 15.
Jahrhunderts auch in Telgte ansässig und erwarb dort
Grundbesitz.18 1458 wird Maes von der Wiek mit der
Dauvenmühle vor Münster und damit auch mit de
Graffhorst im Kirchspiel Telgte belehnt.19 1484 besaß
Heinrich von der Wyck in Telgte Landstücke vor dem
Steintor,20 doch bleibt unklar, ob es sich hierbei um
Saalkammer und Torhaus. 331
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
3 Gut Haus Milte bei Telgte; das um 1590 errichtete Haupthaus. Der Fachwerkbau wurde mit einem Vierständergerüst errich-
tet und später in Gestalt mehrmals modernisiert (Aufnahme Kaspar, Zustand 2009).
Güter im Bereich vom späteren Haus Milte handelt.21
Dies scheint allerdings wahrscheinlich, denn 1505 stiftete Heidenreich von der Wyck zusammen mit seiner
Frau Sophia umfangreichen Besitz zur Einrichtung einer Vikarie an der neuen Kapelle des Rochus-Hospi-
den Fruchtgebrauch an seinen Gütern in Münster und
Telgte. Zeuge dieses Testaments war auch Heinrich
Stadt Telgte und dem Gut Grafhorst/Haus Milte lag.
Die Stiftung geschah zu ihrem und ihrer Verwandten
Seelenheil unter der Bedingung, dass die Vikarie für
drei Generationen nach ihm von der Familie besetzt
Wyck befunden hatte, hatte Heinrich von der Wyck
weiteren Grundbesitz 1584 durch Heirat erhalten und
konnte dann noch im gleichen Jahr auch die andere
Hälfte des freien Erbes oder Gutes, genannt die Milte
oder Grafhorst von Egbert Travelmann erwerben.
tals, das etwa auf dem halben Weg zwischen der
werden könne.22
Das später als Wohnsitz der Familie von der Wiek
genutzte Gut Haus Milte südwestlich von Telgte und
nahe der alten Landstraße nach Münster scheint in
der bis heute bestehenden Form auf Betreiben von
Heinrich III. von der Wyck aus Münster aber erst nach
mehreren seit 1584 betriebenen Ankäufen ab 1590
durch Ausbau des bisherigen Hofes Miltmann entstanden zu sein. Innerhalb von etwa 15 Jahren ließ er
den Hof zu einer repräsentativen umgräfteten Anlage
mit herrschaftlichem Torhaus um- und ausbauen.
Heinrich von Wiek hatte eine Ausbildung als Rechtsanwalt23 und war mit Ida Droste verheiratet, die in
erster (kinderloser) Ehe mit Dietrich von Merfeld und
in zweiter, ebenfalls kinderloser Ehe mit Everhard von
Schenking verheiratet gewesen war. Letzterer vermachte seiner Frau mit Testament vom 18. März 1579
von Wiek, den dann 1584 die Witwe Schenking in
dritter Ehe heiratete.
Nachdem sich mit dem Hof Miltmann eine Hälfte des
Gutes Grafhorst schon lange im Besitz der Familie von
Damit ließ er sich und seine Familie durch den Bischof
von Münster belehnen. Nachdem er zwei Jahre später
die andere Hälfte des Gutes von seinem Onkel Hein-
rich (I.) von Wyck (1496-13. Mai 1586) zu Neuhaus
bei St. Vit (Kr. Gütersloh)24 erbte, verfügte er schon
über einen größeren Komplex an Ländereien.
1581 hatte Bernd Oistermann, Eigenbehöriger des
Münsteraner Bürgermeisters Johann Bischopinck zu
Enkingmühle-Hacklenburg, einen Erdwall aufgewor-
fen, der zu einem Wasserstau in der Flur Woeste führte.25 1590 konnte Heinrich von der Wiek auch diesen
Teil des Gutes, genannt Ostermann oder Grafhorst
aus der Hand des Herrn Bischoping zu Enkingmühle in
Seppenrade26 erwerben. Beim Verkäufer handelte es
sich um ein weiteres Mitglied der städtischen Oberschicht in Münster.27
332
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Später vermerkte Heinrich von Wiek, er habe sein Gut
für über 2 000 Rthl verbessert und ausgebaut, wobei
das notwendige Geld die Familie seiner Frau Ida
Droste bereitgestellt habe. Ihre Familie bzw. Alhard
von Droste sollte es daher nach seinem ersten Testament von 1592 auch erben. Am 25. Dezember 1598
formulierte Ida Droste, Frau des (wohl verstorbenen)
Heinrich von Wiek zur Milte allerdings ein weiteres
Testament. Zu dieser Zeit war Arnold von der Wiek,
Bruder des Heinrich von Wiek, Mitinhaber von Haus
Milte, da er in großen Schulden ausgeholfen hatte. Er
wurde nun zum Erben bestimmt. Möglich ist, dass in
diesem Zusammenhang das 1599 datierte Torhaus
errichtet wurde, um einen zweiten herrschaftlichen
Wohnbereich auf dem Gut - etwa für die Witwe des
Bauherren - zu schaffen. Bei Abfassung eines dritten
Testamentes im Jahre 1619 waren alle Erben des Ehe-
paares bereits verstorben, sodass Heinrich von Wiek
(ein Sohn?) nun seine Cousine Else Bertling, verheiratet mit Hermann Grotegesen, als Generalerbin einsetzte. Durch dieses Testament sollte das Gut Milte als
Erbschaft an die Familie Berteling gelangen, die auf
dem Haus Berteling (bzw. später Haus Runde) bei
Billerbeck saß.30 Für die folgende Zeit ist die jeweilige
4 Gut Haus Milte bei Telgte; Wirtschaftsgiebel des
Haupthauses im rekonstruierten Zustand der Bauzeit um
1590 (Bauaufnahme F. Kaspar 2009, Zeichnung I. Frohnert
2013).
Nachdem er damit bis 1590 verschiedene Besitzungen
zu einem größeren Gut vereinen konnte, bezeichnete
sich Heinrich von der Wiek seit dieser Zeit mit dem
Zusatz zu Milte. Allerdings blieb der unmittelbar nördlich ohne weiteren Abstand der Hofflächen anschließende Hof Pollert (heute Grafhorst 1) auch weiterhin
ein selbstständiger grundherrlich gebundener Besitz.
Er baute seitdem das neu geschaffene, fortan als
„Haus Milte" bezeichnete Gut systematisch aus. Hier-
bei scheint es zu einer umfangreichen Erneuerung
bzw. auch einer Neuanlage der Gräften sowie einem
Neubau von Haupthaus und Torhaus gekommen zu
sein. Das wenig später noch einmal durch Zukauf
erweiterte Gut28 blieb als ungeteilter Besitz im Verband der Familie, die ihren Hauptwohnsitz allerdings
weiterhin in der Stadt Münster hatte.29 Es wurde verpachtet, diente daneben aber den Eigentümern noch
bis ins 20. Jahrhundert auch als Sommersitz. Hierzu
bestand neben dem um 1590 errichteten Pächterwohnhaus mit seiner herrschaftlichen Wohnmöglichkeit auch noch eine zweite herrschaftliche Wohnung
in dem 1599 errichteten Torhaus. Seit 1687 gab es
mit dem Umbau des Torhauses zu diesem Zweck wohl
nur noch den Wohnteil des Haupthauses, den man
um 1833 noch einmal völlig in zeitgemäßen Formen
erneuert und um 1903 wiederum durch einen villenartigen Ausbau des alten Torhauses ersetzte.
Nutzung der verschiedenen zum Familienverband
Bertling/Runde gehörenden Wohnsitze im Einzelnen
nur noch schwer nachzuvollziehen.31 Dennoch scheint
im 17. und 18. Jahrhundert auf Haus Milte zumindest
zeitweilig für Teile der Familie eine Dauerwohnung
bestanden zu haben.
Nachdem Else Bertling zur Universalerbin ihres Onkels
Heinrich von Wiek zur Milte geworden war, lebte sie
noch 1649 als Witwe Grotegese auf Haus Milte.32
Nach ihrem Tode 1666 gelangte das Gut an Maria
Bertling, Tochter ihres Bruders Caspar Bertling, der mit
Maria Lembeck verheiratet gewesen war. Maria
Bertling heiratete 1663 in Telgte Johann Caspar Runde, Landrentmeister in Meppen.33 Er wird schon 1664
als Besitzer von Haus Milte genannt (dieses ist schatzungsfrei) und 1665 wird Johann Caspar Runde zur
Milte als bischöflicher Sekretär in Münster bezeich-
net.34 Das Ehepaar lebte noch 1679/85 auf Haus Milte,35 unterhielt auch ein Haus im Zentrum von Münster36 und erbte 1693 auch das Haus Bertling bei Biller-
beck (später „Haus Runde"). Zu ihrer Zeit scheint
Haus Milte vernachlässigt worden zu sein, denn 1687
mussten am Torhaus wegen starker Bauschäden um-
fangreiche Bauarbeiten durchgeführt werden. Möglicherweise war dies mit einer Besitzweitergabe verbunden und ist damit Ausdruck des Generationenwechsels (in diesem Jahr heiratete ihr zweitältester
Sohn). Die Bauherren haben ihre Anfangsbuchstaben
in einer aus Eisenankern gebildeten „Inschrift" an
dem Gebäude hinterlassen: Diese sind leider wohl nur
teilweise erhalten (/ M /), sodass die Namen dieser Inhabergeneration bislang noch nicht entschlüsselt werden konnten.
Saalkammer und Torhaus.
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
1720 ist das Gut Milte im Besitz von Hermann Runde
zu Telgte. Er ließ in diesem Jahr umfangreiche Repara-
turen an dem Haupthaus des Gutes durchführen.
1738 werden als Inhaber Johann Caspar Runde37 und
seine Frau Anna Maria Elisabeth Frahling genannt.38
Nach dem Tode von Hermann Runde wurde das Gut
1774 von seiner Schwester Anna Sophia Runde über-
nommen, verheiratet mit Joan Bernard Olfers, Hofund Kammerrat und zeitweilig auch Bürgermeister zu
Münster. Mit dieser Ehe gelangte das Gut an die
Familie (von) Olfers, durch deren Mitglieder es über
150 Jahre genutzt werden sollte. Die Familie Olfers
zählte im 18. und 19. Jahrhundert zur Führungselite
in der Stadt Münster, deren Mitglieder sich als Juristen
und Mitinhaber eines Bankhauses, aber auch verschiedentlich als langjährig tätige Bürgermeister der
Stadt hervortaten.
Ebenso wie seine Nachkommen wohnte Joan Bernhard Olfers in guten Verhältnissen in der Stadt Münster.39 Das Landgut blieb verpachtet und wurde durch
die Familie als Sommersitz genutzt. Seiner Frau diente
Haus Milte später aber auch als Witwensitz. 1791 stiftete sie von dort zwei Memorialmessen für Mitglieder
ihrer Familie an der Pfarrkirche zu Telgte.40 Nach ihrem
Tode lebten Verwandte auf Haus Runde: Erben wurden die Nachfahren ihres Bruders Johann Caspar Runde (t 1788) aus seiner Ehe mit Clara Leimann.41 Sie
hatten nur zwei Töchter, von denen nur Anna Elisa-
beth (t 1799) heiratete. Aus ihrer Ehe mit Johann
Melchior Voltermann ging der Sohn Heinrich Balthasar Voltermann hervor, Rentmeister des Gutes Groß
Schönebeck bei Senden.42 Er erhielt als Universalerbe
das Gut 1807 nach dem Tode seiner unverheirateten
Tante, der Mademoiselle Clara Gertrudis Runde43 Von
dem vor 1820 verstorbenen Heinrich Voltermann
gelangte das Gut schon einige Jahre später im Erbgang an einen Verwandten der früheren Eigentümer,
den geheimen Legationsrat und Bankier, Hofrat Franz
Theodor Olfers (7. Juni 1755-10. Oktober 1828). Dieser hatte sich 1778 in Münster als Jurist niedergelassen, bald verschiedene Ämter übernommen und war
schnell in der staatlichen Verwaltung aufgestiegen.44
1798 legte er seine Stelle als Assessor am Hofgericht
nieder und trat in das seinem Schwager gehörende
Bankhaus Lindenkampf ein, dessen Leitung er bald
übernahm. Von seinen Nachfahren wurde es unter
dem Namen Lindenkampf & Olfers noch bis 1888
fortgeführt.45 Nach der Säkularisation 1803 konnte er
ein Adelsdiplom erwerben, hatte wesentlichen Einfluss auf die Neuordnung der Besitzverhältnisse bei
der Übernahme des Bistums Münster durch Preußen
und erhielt unter anderem bald auch den Titel „Geheimer Hofrat" des neu eingerichteten Herzogtums
Arenberg.46 Nach Übernahme des Hauses Runde vor
1820 erweiterte er seinen Namen um die Bezeich-
nung „Herr zu Haus Runde". Nach seinem Tode 1828
erhielt seine Witwe Maria Elisabeth (Liesette), geb.
5 Gut Haus Milte bei Telgte; Grundriss des Haupthauses im
rekonstruierten Zustand der Bauzeit um 1 590. Grundlage ist
eine baugeschichtliche Untersuchung durch die Autoren im
Jahre 2009, wobei allerdings für den - hier nur angedeuteten - Wohnteil dieser Zeit keine detaillierten Befunde mehr
vorliegen. Seine Größe und Struktur ergibt sich allerdings
aus der nachweisbaren Zahl der Gebinde und späteren
Baubeschreibungen (Bauaufnahme F. Kaspar/P. Barthold
2009, Zeichnung I. Frohnert 2013).
333
334
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Ihre Tochter Maria Göring (16. Mai 1884-1963) heira-
tete 1905 den Rechtsanwalt Philipp Haerten (12.
Dezember 1869 Rotterdam-3. April 1942 Münster),
der zunächst ab 1901 als Stadtphysikus von Münster,
dann von 1907 bis 1919 Bürgermeister von Limburg
und danach bis 1933 Oberbürgermeister von Pader-
born war. Auch von dem Ehepaar Haerten wurde
Haus Milte als Sommerhaus genutzt, selbst nachdem
man 1933 wieder das ererbte Haus der Familie an der
Zumsandestraße 15 in Münster bezogen hatte. Da der
Erbe Philipp Haerten 1944 gefallen und sein kranker
Bruder Karl ebenfalls schon 1946 verstorben war,
wurde Haus Milte von der dort noch lebenden Witwe
Haerten ihrer Tochter Maria Haerten überschrieben.
Sie adoptierte 1949 Gisbert Lensing-Hebben (13.
März 1930-27. Juli 2007), der auf dem Ortscherhof
bei Emmerich-Hürthum aufgewachsen war und übersiedelte nach dem Tode der Mutter 1952 in das wieder aufgebaute Haus nach Münster. Gisbert Lensing-
6 Gut Haus Milte bei Telgte; Querschnitt durch den Wirtschaftsteil des Haupthauses. Rekonstruktion des bauzeitli-
Hebben übernahm nach Renovierung des Hauses
1953 die Wirtschaft des Hofes, sodass fortan auch
kein Pächter mehr auf dem Hof lebte. 1961 heiratete
er Hildegard Schulze-Niehoff.
chen Gerüstes (Bauaufnahme: F. Kaspar/P. Barthold 2009,
Zeichnung I. Frohnert 2013).
Lindenkampf (10. August 1763-7. Februar 1848) das
Haus Runde zunächst zum Nießbrauch, gab es aber
vor 1833 als Erbe47 in die Hand ihres ältesten Sohnes48
Dr. Clemens August von Olfers (25. Juli 1787-5. Juli
1861) in gemeinsamen Besitz mit seinen zwei Töch-
tern aus erster Ehe.49 Dieser war ab 1812 als Jurist bei
verschiedenen Behörden in Münster tätig gewesen,
wurde vor 1836 Oberlandesgerichtsrat, 1846 zum
Vizepräsident und 1856 schließlich zum Präsidenten
des Oberlandesgerichtes in Münster ernannt.50 Nachdem er das Haus Milte erhalten hatte, ließ er dort eine
umfangreiche Erneuerung der Bauten durchführen
und schuf damit der Familie wieder eine zeitgemäße
Sommerwohnung, die man neben der Stadtwohnung
in Münster auch nutzte. Nach seinem und dem Tod
seiner Witwe zweiter Ehe Anna Driver (10. Juni 1794-
1. April 1869) erbte das Gut ihr Sohn Gerichts-
Assessor Franz von Olfers (24. April 1827-1 1. Mai
1891), seit 1858 verheiratet mit Maria Vonnegut (23.
Mai 1829-9. November 1918).51 Ihre Tochter Anna
von Olfers (18. August 1863-2. Dezember 1952) heiratete 1883 den Rechtsanwalt Dr. jur. David Bernhard
Göring (21. Mai 1850-12. August 1910) in Münster52
und erhielt Haus Milte als Erbe. Zu ihrer Zeit wurde
um 1902 das Torhaus umgebaut, erweitert und zu
einer herrschaftlichen Wohnung ausgebaut, um es
fortan als zeitgemäßes Sommerhaus zu nutzen.
Rechtsanwalt Dr. Göring starb dort 1910 während sei-
nes Sommeraufenthalts, wonach seine Witwe das
Haus bis zu ihrem Tode 1952 ganzjährig bewohnte.
Pächter des Gutes und Pachtbedingungen
(bis 1937)
Die Landwirtschaft des Gutes Milte wurde sicherlich
schon seit der Neuanlage um 1590 verpachtet (bzw.
von einem Rentmeister geführt), wobei davon auszugehen ist, dass die Pächter/Rentmeister im Hauptgebäude wohnten, aber verschiedene Räume für die
gelegentlichen Aufenthalte der Eigentümer bereithalten mussten: Während die Pächter wohl Räume nörd-
lich der Flettküche im Hauptgebäude bewohnten,
standen für die „Herren auf Milte" insbesondere Teile
des Wohnteiles vom Hauptgebäude sowie ab 1599
möglicherweise auch der größte Teil des Torhauses
(das neben einem herrschaftlichen Wohnsaal auch
eine große Küche bzw. das Brauhaus aufnahm) bereit.
Die Namen der Pächter sind allerdings für die Zeit vor
1800 bislang nicht bekannt. Wohl schon vor 1807
waren Mitglieder der Familie Heymann Pächter des
Gutes. 1807 trat Anton Heimann oder Huermann aus
dem Kirchspiel Lamberti in Münster in den bestehenden Vertrag ein. Dieser lief über 12,5 Jahre bei einer
jährlichen Pachtsumme von 210 Rthl. Der Vertrag
wurde 1820 wiederum für 12 Jahre erneuert, wobei
die Pachtsumme nun 219 Thl. betrug. In den ausführ-
lichen Verträgen wurden jeweils einige bei den
Verpächtern bleibende Rechte definiert, darunter insbesondere die Nutzung des Saales auf dem Pforthaus,
worauf bisher der Gottesdienst gehalten sowie die
dabei befindliche Käsekammer und die Nutzung der
zwei Schlafkammern hinter dem Saal im Prinzipalhau-
se, ferner auch die Nutzung des Schranks auf dem
Saalkammer und Torhaus.
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus derzeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
Saal. Hieraus dürfte wohl zu erschließen sein, dass zumindest der Saal bei Abwesenheit der Herrschaft von
wird der Hofplatz seit 1834 von einem Wagen-
den Pächtern genutzt werden konnte.
1832 sollte der Pachtvertrag mit Heumann nicht mehr
erneuert werden, da er sowohl im Rückstand mit den
Pachtzahlungen war als auch nicht im notwendigen
und vertraglich zugesicherten Maße Erhaltungsmaßnahmen an den daher inzwischen sehr verfallenen
Gebäuden durchgeführt hatte. Bis 1833 wurde er daher aus dem Haus und vom Anwesen geklagt. Nachdem die gesamten Bauten des Gutes in den folgenden drei Jahren umfassend renoviert und für den zeit-
ersetzte.
weiligen Gebrauch der Besitzerfamilie neue Räume
geschaffen wurden, verpachtete man das Gut ab
1837 wieder für 12 Jahre an Theodor Pohlmann und
seine Frau Clara Brockmann. Wieder waren von der
Nutzung durch den Pächter Räume ausgeschlossen:
Die Zimmer im Hause hinter der Küche, nähmlich der
Saal nebst den vier dahinter liegenden Zimmern und
Abtritt, eine Kammer auf dem Boden und eine weitere im Keiler - alles Bereiche, die man in den Jahren
zuvor hatte neu errichten lassen -, ferner einen Teil
des Gartens sowie Pferdestail und Wagenschuppen.
Das Torhaus kam hingegen im Unterschied zu den
älteren Verträgen in den Vereinbarungen nicht mehr
vor.
Die Namen der weiteren Pächter sind bislang nicht
bekannt. 1911 wird ein Herr Hellmer genannt.
Ab 1937 wurde das Gut nicht mehr verpachtet, sondern in Eigenwirtschaft betrieben (mit Ausnahme der
Jahre 1945 bis 1953, als man es von Hubert Pröbsting
und seiner Frau Anna, geb. Peperhove, bewirtschaften ließ)53.
Bauliche Analyse
Zur Anlage
Die heute von Norden über eine schmale Zufahrtsstraße erschlossene, abseits der Durchgangsstraßen
liegende Hofanlage war bis zum Bau der Chaussee
Münster-Telgte im Jahre 1811 in das historische We-
genetz von Süden eingebunden: Die alte Fernverbindung Münster-Warendorf (mit dem Werseüber-
gang am Nobiskrug), der Münsterweg, führt nur etwa
200 m südlich am Hof vorbei. Auf ihn wurde die wohl
ab 1590 geschaffene umgräftete Hofanlage ausgerichtet, wie es die Lage des an der Südseite der Gräfte
stehenden Torhauses verdeutlicht.
Die Anlage besteht im Kern aus einem nahezu recht-
ekkigen Hofplatz, der von einer etwa 8 m breiten
Gräfte umschlossen wird. Etwa mittig auf der
Gräfteninsel platzierte man mit west-östlicher Rich-
tung das große Haupthaus als Wohn- und Wirt-
schaftsgebäude, wobei der Wirtschaftshof die östliche Hälfte des umgräfteten Platzes umfasste. Dieser
wird südlich von dem Torhaus begrenzt, während
zumindest seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar an
der nördlichen Grenze Stallgebäude standen. Östlich
schuppen begrenzt, der wohl ein Vorgängergebäude
Bis heute hat sich nur dieser umgräftete Hofplatz er-
halten. Die Handrisse des 1829 aufgenommenen
Urkatasterplans lassen noch weitere, zu dieser Zeit
allerdings schon weitgehend verlandete Gräften
erkennen: Danach kann rekonstruiert werden, dass
dem umgräfteten Hofplatz südlich vorgelagert eine
ebenfalls von Gräften eingefasste größere Garteninsel
mit unregelmäßigem Zuschnitt bestand. Die gesam-
ten Gräftenanlagen dürften wohl in den Jahren um
1590 gegraben worden sein und wurden von einem
vorbeiführenden Bach gespeist.
Noch 1829 hatte der Hof nur südliche Zufahrten:
einen west-östlich verlaufenden Weg, der die äußere
Gräfte südlich tangierte und wohl als Nebentrasse des
alten Münsterweges gelten kann und zwei hierauf
senkrecht endende gerade Wegetrassen als kurze
Verbindungswege zum alten Münsterweg.
Das Hauptgebäude des Hofes (um 1590d)
Das Hauptgebäude ist ein großformatiges Wohn- und
Wirtschaftsgebäude, das als Längsdielenhaus von
Fachwerk in west-östlicher Richtung stehend mit Toreinfahrt im Ostgiebel errichtet wurde. Dieses wurde
als Vierständerhallenhaus mit aufgelegten Dachbal-
ken verzimmert, wobei das mit Eichenbohlen ver-
schlossene Giebeldreieck weit über zweifach gekehl-
ten Taubandknaggen und Hakenbalken vorkragt.
Allein schon diese konstruktiven Details ließen die
baugeschichtliche Forschung seit Langem von einer
Errichtung des Gebäudes im späteren 16. Jahrhundert
ausgehen, wobei diese bislang vermutete Bauzeit
durch eine dendrochronologische Untersuchung im
Zuge von 2009 durchgeführten Sanierungsmaßnah-
men bestätigt und die Errichtung genauer auf die
Jahre um 1590 eingegrenzt werden konnte.54 Damit
ist davon auszugehen, dass das Gebäude im Zusammenhang mit dem ab 1590 nachweisbaren Aufbau
des Gutsbetriebes neu errichtet wurde.
Um 1590 entstand eines der größten Längsdielenhäuser, das heute noch zumindest in Teilen aus der
Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg im Münsterland
überliefert ist. Entsprechend seines hohen Alters ist
das Gebäude allerdings später mehrmals modernisiert
und verändert worden, wobei man es nach Baubefunden und dendrochronologischer Datierung zumindest im Wirtschaftsteil 1720 modernisiert, nach dendrochronologischer Datierung sowie archivalischen
Quellen 1834 am Wohnende vollständig erneuert und
zugleich ein weiteres Mal umfassend modernisiert
und schließlich 1953 im Wirtschaftsteil erneut stark
verändert sowie im Wohnteil modernisiert hat.
Da das ursprüngliche Hausgerüst durch den Zimmermann durchnummeriert wurde, kann der Kernbau in
seinen wesentlichen Strukturen noch immer gut
335
336
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
erschlossen werden: Dieser erhielt 15 Gebinde (von
denen die ersten vier im Jahre 1834 entfernt wurden).55 Bei einer ungewöhnlich großen Breite von
14,20 m erhielt das Vierständergerüst eine Gesamtlänge von etwa 30,90 m. Das Wandgefüge der jeweils
etwa 1,95 m breiten Gefache war an beiden Traufwänden nur einfach verriegelt (die Riegel einfach ver-
nagelt) und wies an jedem zweiten Ständer im
Längsverband verdeckt verzimmerte paarige Kopfbänder auf; diese bauzeitlich sehr großen Gefache
dürften daher mit Lehmflechtwerk verschlossen
gewesen sein. Während im Querverband zwischen
den Ständern der Außenwände und den Dachbalken
keine Kopfbänder vorhanden waren, bestanden diese
zwischen den beiden inneren Ständerreihen und den
Dachbalken.
Das Dachwerk des Hauses bestand aus starken, auf
die Balkenköpfe gezapfte Sparren, die zwei hochsitzende und eingezapfte Kehlbalkenlagen aufwiesen.
Hierbei wurde die untere Kehlbalkenlage durch
Kopfbänder zu den Sparren gesichert56 und war daher
wohl als weiterer Lagerboden vorgesehen. Das erhaltene Giebeldreieck des Wirtschaftsgiebels kragt über
breiten Taubandknaggen und Hakenbalken bzw.
Rühmenden vor und ist verbohlt: Zur Halterung der in
eine Nut an der Unterseite der Giebelsparren eingenuteten Bohlen bestehen mehrere zurückgesetzt verzim-
merte Riegelketten, die von drei Ständern mit Fuß-
blättern gehalten werden.57
Der Wirtschaftsteil des Hauses umfasste neun Gefache, gefolgt von einer wohl nicht durch eine Scherwand abgetrennten Flettküche von drei und einem
Kammerfach von zwei Gefachen. Beide Seitenschiffe
erhielten eine lichte Breite von 2,30 m und dürften
daher als Kuhställe eingerichtet gewesen sein. Die
weitere Untergliederung des Wirtschaftsteiles in den
beiden Seitenschiffen kann in den Details heute nicht
mehr nachvollzogen werden, da man 1953 die inneren Ständerreihen nahezu vollständig entfernt hat.
Der ursprüngliche daran nach Westen anschließende
Wohnteil („Kammerfach") ist insgesamt nicht erhalten und in seiner Gestalt auch durch andere Quellen
kaum dokumentiert. Bei einem Umbau 1833 wurde
dieser zwei Gefache umfassende Bereich insgesamt
abgebrochen und auch der davor befindliche Bereich
der ehemaligen Flettküche von drei Gefachen stark
umgebaut. Baubefunde deuten darauf hin, dass das
Haus schon bauzeitlich im Flettbereich nur eine nörd-
liche hohe Lucht aufwies, während das südliche
Seitenschiff auch im Bereich der Flettküche fortge-
setzt war. Hier ist nach Vergleichsbeispielen ein
Wohnbereich für den Pächter anzunehmen (1807 als
Küchenstube und Küchenkammer genannt). Das
wohl mit einem Halbkeller versehene Kammerfach
scheint nach den Angaben in den Pachtverträgen des
frühen 19. Jahrhunderts aus einer großen Saalkammer bestanden zu haben, an die seitlich zwei kleine
Kammern anschlossen (sie wurden um 1800 als
7 Gut Haus Milte bei Telgte; Grundrissplan zum Umbau des Haupthauses im Jahre 1833. Hierbei hat man den gesamten alten
Wohnteil erneuert und massiv ummauert: Die Herdküche wurde verändert und das Kammerfach zu einer mehrräumigen
Wohnung mit Toilettenanbau erweitert. Die herrschaftliche Wohnung blieb ohne eigene Küche und erhielt mehrere Ausgänge
in der südlichen Traufwand zu dem davor angelegten Garten. Die Wohnräume des Pächters schlossen sich östlich an die herr-
schaftlichen Wohnräume an. Den Plan erstellte der Regierungs- und Baurat Teuto (1783-1856) bei der Regierung in Münster
(Archiv, Hs Runde).
Saalkammer und Torhaus. 337
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
Schlafkammern bezeichnet und könnten auch nach-
träglich von der Saalkammer abgetrennt worden
sein).
Modernisierung/Reparatur (1720d)
1720 wurde das Haus - wohl vor allem im Bereich des
Wirtschaftsteiles - renoviert und hierbei wohl auch
das gesamte Dachwerk bei Abnahme der Sparren und
Einbau einer Sparrenschwelle über den Balkenköpfen
saniert. Viele der Sparren und wohl auch einige Dachbalken hat man hierbei ausgetauscht, was auf einen
zuvor eingetretenen Verfall des Hauses hindeutet.
Wohl im Zuge dieser Erneuerung hat man zudem hinter dem großen Dielentor einen Vorschauer und seitlich davon jeweils abgetrennte Räume mit Zwischen-
geschoss von einem Gefach Tiefe geschaffen. Hier
dürften die 1807 genannten Kammern für Knechte
und Mägde untergebracht gewesen sein. Im Zuge
dieser Baumaßnahmen hat man den Vordergiebel
modernisiert, mit größeren seitlichen Fenstern versehen und wohl mit Backstein ausgemauert.
Bauspuren weisen auf eine weitere - allerdings wohl
erst später vorgenommene - konstruktive Veränderung der Dachkonstruktion hin: Nachträglich, aber zu
nicht näher bekannter Zeit, wurden zwischen allen
der weit gestellten Sparren über dem Wirtschaftsteil
jeweils vier Wechselbalken eingefügt: Sie wurden jeweils am östlichen Ende seitlich in die Sparren gezapft
und am westlichen Ende mit einem Jagdzapfen befes-
tigt. Denkbar sind sie als Unterkonstruktion für
Zwischensparren, um die Dachdeckung fester unterstützen zu können.58 Dieser Befund könnte auf eine
zunächst vorhandene Eindeckung mit Stroh hindeuten. 1807 wird das Dach des Prinzipalhauses bei Er-
8 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Haupthauses von
Südwesten im Zustand nach dem Umbau von 1833. Im
Vordergrund dargestellt ist der erneuerte Wohnteil des alten
Haupthauses mit der Sommerwohnung von Oberlandesge-
richtsrat Dr. Clemens August von Olfers in Münster. Darstellung auf einem Pfeifenkopf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; Miniaturmalerei auf Porzellan (Foto westfalia picta,
Deuker 1986).
neuerung der Lattung umgedeckt, wofür man 600
neue Pfannen und 4 000 Docken beschaffte. Zugleich
wurde der westliche Giebel neu verbrettert.59
Im Inneren scheint man zu einem nicht bekannten
Zeitpunkt vor 1830 beide Seitenschiffe durch Vorschieben der Ständerreihe in die Diele verbreitet zu
haben: Hierbei wurde das südliche um etwa 0,50 m
und das nördliche um etwa 0,75 m verbreitert.60
Möglicherweise geschah dies, um zumindest im Norden statt der Kühe die im späteren 18. Jahrhundert
nachweisbar größere Zahl von Pferden unterbringen
zu können.
Das Hausinnere lässt sich in seinen wesentlichen
Strukturen und Funktionen mithilfe eines überlieferten Inventarverzeichnisses aus dem Jahre 1807
genauer erfassen, da man hier die meisten der im
Haus angetroffenen Gegenstände mit ihrem Standort
verzeichnete: Auf der Diele standen zu dieser Zeit acht
hölzerne Futterkisten. Beidseitig wurde die Diele von
Ställen begleitet, wobei auf der einen Seite Kühe, auf
der anderen Seite Pferde aufgestallt waren. Die
Pferdeställe wiesen vier steinerne und einen hölzernen Trog auf, die Kuhställe acht hölzerne Tröge - die
9 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht der südlichen Traufwand des Haupthauses (Foto von 1963 aus: Der Landkreis
Münster. Münster 1963, S. 47).
338
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Kuhställe dürften daher die ganze Länge der zu dieser
Zeit acht Gefache langen Diele umfasst haben, während sich an die Pferdeställe möglicherweise Wohnräume im Bereich von drei Gefachen anschlossen. Sowohl über den Pferdeställen wie über den Kuhställen
gab es jeweils eine Knechtbühne, auf der Bettladen
standen - hierbei dürfte es sich um Kammern im
Zwischengeschoss der seitlichen Räume im Vorschauer handeln. In der offenbar von der Diele durch
eine Scherwand abgetrennten Küche befand sich
1807 ein offenes Herdfeuer mit zwei Brandruten.
Neben der Küche lag eine Küchenstube, in der ein
Plattenofen und ein ovaler Tisch standen, ferner eine
Kammer an dieser Küchenstube, in der eine Bettlade
mit Behang aufgestellt war. Auch in einer weiteren
Schlafkammer an der Küche befand sich eine Bettstelle mit Behang. Ferner wird noch eine Mägdekammer mit drei Bettladen und eine Waschkammer
mit einem steinernen Kump genannt. Alle diese genannten Nebenräume befanden sich nach der weiteren Beschreibung des Hauses nicht im westlichen
Kammerfach des Hauses und müssen daher - wie
dann für die Zeit vor dem Umbau nach 1832 nachweisbar - im nördlichen Seitenschiff gelegen haben.
Während im südlichen Seitenschiff nach den Baubefunden61 offensichtlich eine hohe Lucht von drei Ge-
fachen bestand, kann im nördlichen Seitenschiff
höchstens eine Lucht von zwei Gefachen Länge be-
standen haben, sodass auch eine hier durchgehende
Ständerreihe anzunehmen ist.52
Das Kammerfach am westlichen Ende des Hauses
bestand nach den schriftlichen Quellen aus einem
wohl unterkellerten Saal, an den sich (wohl seitlich
daneben) zwei Schlafkammern anschlossen. Auf dem
Saal stand 1807 ein großer Schrank, dessen Nutzung
den Eigentümern des Hauses vorbehalten war. Zwei
Fenster waren mit Gardinenstangen versehen, an
denen vier weiße Gardinen hingen. In der ersten, der
kleinen oder Eck-Kammer am Saal standen 1807 eine
Bettlade mit Behang, ein kleiner eckiger Tisch, ein
runder Tisch, sechs Binsenstühle und an der Wand
hing ein Spiegel. In der zweiten Kammer stand ebenfalls eine Bettlade mit Behang.
Das damit zumindest für die Zeit um 1800 noch fassbare Raumprogramm im Wohnteil des Hauses (auch
1832 wird es noch im gleichen Zustand beschrieben)
zeichnet sich durch eine ungewöhnlich große Zahl
von Wohnräumen aus, die sich teils im Kammerfach,
teils aber auch neben der Flettküche befanden. Diese
Struktur war möglicherweise in wesentlichen Teilen
noch bauzeitlich und dokumentiert die besondere
Nutzung, da der Bereich nicht nur der dauernd in dem
Haus lebenden Pächterfamilie dienen sollte, sondern
auch Raum für die Besuche der Besitzer bereithalten
musste, z. B. wenn sie ihr Gut und das Haus insbesondere als Sommerfrische aufsuchten.
10 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht der südlichen Traufwand des Haupthauses (Foto Kaspar 2009).
Saalkammer und Torhaus. 339
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
11 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht der Feldseite des Torhauses von Südosten mit vorgelagerter, im 19. Jahrhundert massiv
erneuerter Brücke über die Gräfte (Foto Kaspar 2011).
Umbau/Erneuerung (1832/34)
1832 befand sich das Haus in einem solchen Umstande, daß der obere Theil [= der Wohnteil] bis auf
den Grund abgebrochen und neu aufgebaut werden
muß ... bey dieser Gelegenheit habe ich [= der Eigentümer] es als zweckmäßig gefunden, in diesem oberen Theiel Wohnung für uns bauen zu lassen. Im Zuge
des Bauprogramms erhielt das Haus in den Jahren
1832/33 nicht nur einen vollständig erneuerten
Wohnteil mit massiven Umfassungswänden, sondern
im folgenden Jahr wurde auch das Fachwerk des
Wirtschaftsteils repariert: Hier baute man in den bislang weiten Gefachen der Außenwände Zwischenständer ein, schuf zudem statt der bislang zwei Riegel
am Wirtschaftsgiebel nun dort drei Riegelketten (seitlich der Torständer zudem jeweils eine lange Fußstrebe), sodass die durch die Maßnahmen erheblich
verkleinerten Gefache gut mit Backsteinen ausge-
mauert werden konnten. Das Hausgerüst erhielt
außerdem einen neuen höher gesetzten Sockel aus
Sandsteinschwellen. Die Öffnungen der neu und massiv erstellten Umfassungswände des Wohnbereiches
fasste man mit Werksteinen ein. Die Bauarbeiten wurden in den Jahren 1832 und 1833 nach Plänen und
unter Leitung des Bauinspektors Teuto aus Münster
durch Maurermeister Wickhoff und den Zimmer-
meister Philipp Lodde aus Telgte ausgeführt, wofür
insgesamt die umfangreiche Summe von 1 456 Thl.
abgerechnet wurde. Die große Zahl der hierbei notwendigen Backsteine bezog man von zwei nahegelegenen bäuerlichen Ziegeleien63 und den Kalk vom
Kalkbrenner Heukamp.
Den neuen Wohnteil orientierte man in den Höhenabmessungen am bestehenden Altbau, doch wurde
das Haus um etwa 5 m nach Westen verlängert, um
die nun gewünschten, separat zu nutzenden und
getrennt zu erschließenden Wohnräume für den
Aufenthalt der Herrschaft schaffen zu können: Der
neue herrschaftliche Wohnteil wurde im Kammerfach
in der Hausverlängerung untergebracht, während
man die neue Flettküche im Bereich des alten Kam-
merfaches unterbrachte. Der Bereich der alten Flettküche wurde im Bereich der Seitenschiffe zu Wohnzwecken eingerichtet und im mittleren Bereich der
Wirtschaftsdiele zugeschlagen, die damit um drei Gefache verlängert werden konnte. Die neue Balkenlage
über dem Wohnteil erhielt ebenso wie das darüber
ebenfalls neu verzimmerte Sparrendach einen bedeutend geringeren Gebindeabstand.64
Die innere Aufteilung folgte zwar den überlieferten
Formen, wurde jedoch modifiziert: Kern blieb zwar
noch immer eine große, allerdings nur von der rech-
340
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
ten (nördlichen) Traufwand belichtete Herdküche, die
nicht die ganze Hausbreite einnahm. Diese Herdküche
erhielt ein offenes Herdfeuer vor dem großen, in der
Hausmitte gestellten Kaminblock mit weitem hölzernen Rauchfang („Bosen") darüber und diente sowohl
den Pächtern als auch der Herrschaft und ihrem
Gesinde bei ihrem Aufenthalt. Die Balkenlage über
der Nordseite der Küche wurde in traditioneller Weise
von einem Luchtbalken unterstützt, der mit Kopfbän-
dern mit doppeltem Karnies getragen wird. In die
Küche eingestellt wurde eine offene Treppe zum
Dachboden, wobei ihr Wendepodest auch einen
Zugang zu den herrschaftlichen Räumen ermöglichte.
Auf dem Dachboden wurden über dem Kammerfach
drei von einem kleinen Vorflur erschlossene Wohnräume mit Fachwerkwänden abgetrennt: Nach Nor-
den ein schmalerer Raum unter der Dachschräge und
nach Süden zwei große und vom Giebel gut belichtete Kammern.55 Diese Räume waren auf Wunsch der
Hauseigentümer entstanden und wohl als Schlaf- und
Gästezimmer vorgesehen.
Entlang der Südseite des Hauses erfolgte eine um
zwei Gefache bis in den alten Wirtschaftsteil hineinreichende Raumfolge, die neben einem von einer in
klassizistischen Formen gestalteten und mit Oberlicht
betonten Haustür zugänglichen Durchgang zur Küche
mehrere mit großen Fenstern gut belichtete Räume
aufnahm. Die östlich des Durchgangs befindlichen
drei Räume hatten nur einen Zugang von der Küche
und waren daher wohl zur Wohnung des dauernd im
Haus lebenden Pächters mit Stube und zwei anschlie-
ßenden Schlafkammern vorgesehen. Zwei weitere zur
Pächterwohnung gehörende Schlafkammern (für das
männliche und das weibliche Gesinde?) schuf man im
Anschluss an die Küche im nördlichen Seitenschiff.
Der herrschaftliche Wohnbereich im Kammerfach war
getrennt von der südlichen Traufwand über einen kleinen Flur erschlossen und erhielt zudem eine (erhaltene) zusätzliche zweiflügelige und verglaste Gartentür
im südlichen Zimmer, doch konnten sämtliche Zimmer
auch über Innentüren von der Flettküche des Hauses
betreten werden. In der südlichen Hälfte des Kammerfaches befanden sich zwei größere Wohnräume,
jeweils von hohen vierflügeligen Fenstern gut belich-
tet. Die nördliche Hälfte des Kammerfaches wurde mit
einem niedrigen, wegen des Grundwasserspiegels nur
wenig eingetieften Keller mit Balkendecke versehen.
Hierüber befanden sich weitere etwas niedrige und
entsprechend nur mit zwei Flügeln versehene Fenster
belichtete Räume, von denen der vordere wohl als
Schlafkammer diente, der hintere nach Norden durch eine Trennwand unterteilt - als Vorraum zu
12 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Torhauses mit der 1902 geschaffenen Villa im westlichen Teil: Ansicht von Südwesten (Foto Kaspar 2011).
Saalkammer und Torhaus. 341
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
13 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Torhauses mit der 1902 geschaffenen Villa im westlichen Teil: Ansicht von Norden
(Foto Kaspar 2011).
einem dem Westgiebel vorgebauten Abort und einem
weiteren kleinen Raum unbekannter Funktion. Diesen
Zustand dokumentiert eine Ansicht, die als Erinne-
rungsbild auf einem Pfeifenkopf von Porzellan gemalt
worden ist.66
Während der Sanierung konnten 2009 einzelne Befunde zur ursprünglichen Gestaltung der Oberflächen
in den herrschaftlichen Räumen dokumentiert werden: Die Fenster des südwestlichen Wohnraumes
waren zunächst mit einer dünnen umbragrauen Farbschicht überzogen, auf die erst viele Schichten weißer
Farben folgten, die Fenster des östlich anschließenden
Raumes hingegen zunächst grün gefasst. Die zwischen diesen Räumen liegende Gartentür war einschließlich des Gewändes auf der Innenseite über
wohl als Grundierung gedachten leicht hellgrauen
Schicht zunächst grün gefasst und später darüber mit
einer rotbraunen Farbschicht mit Firnis als Holzimitation versehen worden.67
Weitere Umbauten/Reparaturen
1861 wurde das Dach des Hauses repariert, wofür
man 11 280 Strohdocken abrechnete. Es dürfte sich
um eine Umdeckung gehandelt haben. Der gesamte
Innenausbau des herrschaftlichen Wohnteils blieb bis
zum Jahr 2009 einschließlich der teilweise aufwändig
gestalteten Türblätter und Zargen, der Flügelfenster
(einschließlich ihrer Beschläge), die Flettküche mit Kaminstapel und Rauchfang (ohne Gesims) weitgehend
in den wesentlichen Strukturen erhalten. Seit 1902
dürfte allerdings die herrschaftliche Wohnung nicht
mehr ihrem ursprünglichen Zweck gedient haben, da
hierzu nun die neue Wohnung im Torhaus vorhanden
war.
Bei folgenden, im Umfang nicht näher bekannten und
datierten Umbauten im Laufe des 20. Jahrhunderts68
hat man ohne größere Eingriffe in die Substanz lediglich verschiedene Zwischenwände in die Flettküche
und unter dem Rauchfang Wände zur Abkleidung
einer Waschküche gestellt. Im südlichen Flur hat man
die beiden seitlichen Türblätter um 1900 erneuert.
Um 1930 erhielt der Boden der Küche neue Fliesen
und die Balkendecke wurde abgehängt. Zudem
wurde der Abortvorbau am Westgiebel abgebrochen.69
Die Kammern des Pächters in den Seitenschiffen des
Stallbereiches sind bei einem eingreifenden Umbau
des Wirtschaftsteils im Jahre 1952 abgebrochen worden. Hierbei hat man zur Schaffung breiterer Stallbereiche beide inneren Ständerreihen mit der Ausnahme
von jeweils einem Ständer entfernt und stattdessen
eine Stahlbetonkonstruktion mit Zwischendecken
342
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
14 Gut Haus Milte bei Telgte; Grundriss des Torhauses, rekonstruierter Zustand der Bauzeit 1599 (nach Bauaufnahme F. Kaspar
2009, Zeichnung I. Frohnert 2013).
15 Gut Haus Milte bei Telgte; Feldseite des Torhauses (Südfront). Skizze mit Baubefunden zum ursprünglichen Zustand von
Josef Schepers aus Münster um 1950 (Planarchiv LWL-Dankmalpflege, Landschafts- und Baukultur).
Saalkammer und Torhaus.
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus derzeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
über den Ställen eingebaut. Im Flettbereich wurden
die Haustür und die Fenster der Nordwand erneuert.
2009 wurde der Wohnteil umfassend modernisiert,
wobei man weitgehend alle baulichen Details wie
Türen und Fenster austauschte.
Das Torhaus (von 1599)
Das massive Torhaus wurde in der südöstlichen Ecke
der Gräfteninsel errichtet, wobei es mit seiner südlichen Traufwand und dem östlichen Giebel entlang
der Außenkante der inneren Gräfte gestellt ist.70
Damit ist es so gestellt, dass es sich mit seiner langen
Hauptfront jedem darbot, der über die historische
Erschließung von dem südlich an dem Gut vorbeikommenden Münsterweg ankam.
Das großformatige Gebäude hat eine Grundfläche
von 22,60x10,85 m und wird von einer Querdurchfahrt bestimmt. Diese wird von Torbögen mit nach
innen aufschlagenen Fiügeltoren erschlossen, wobei
der feldseitige Torbogen in der Südfront ehemals
zusätzlich von außen mit einer vor die Wand schlagenden hölzernen Zugbrücke über die Gräfte verschlossen werden konnte (hiervon zeugen noch die
sandsteinernen Öffnungen darüber für die Laufräder
der Brückenaufhängung).
Die ursprüngliche Gestalt des Gebäudes ist aufgrund
einschneidender Um- und Erweiterungsbauten in den
Jahren 1687 und 1902 nicht mehr erhalten und auch
nicht mehr in allen Details nachvollziehbar. Josef Sche-
pers vermutete aufgrund der am östlichen Giebel in
Zweitverwendung erhaltenen hölzernen Knaggen, die
auf den dortigen sandsteinernen Konsolen ruhen,
dass das Gebäude zunächst ein nicht weiter dokumentiertes Obergeschoss gehabt hätte.71 Dies ist aller-
dings nicht sicher zu belegen.72 Sollte ein solches
Obergeschoss vorhanden gewesen sein, wäre es als
aus Fachwerk verzimmertes und umlaufend leicht vor-
kragendes Stockwerk zu rekonstruieren und schon
1687 abgebrochen worden.73 Eine in der Mitte des
19. Jahrhunderts entstandene Ansicht des Gebäudes
auf einem Pfeifenkopf zeigt das Gebäude eingeschos-
sig und mit umlaufenden Knaggen unter dem
Dachansatz74 (siehe Abbildung 16).
Die Umfassungswände das Gebäudes bestehen über
dem Sockel aus schollenartigem, anstehenden Bruch-
stein aus sauber gearbeiteten Backsteinmauerwerk,
wobei alle Gebäudeecken aus groben Blöcken gelben
Sandsteins gebildet und die Öffnungen mit Sandsteingewänden eingefasst wurden (der Sandstein stammt
wohl aus den Baumbergen). Auch die rundbogigen
Torbögen haben Sandsteingewände,75 wobei der
Scheitelstein des feldseitigen Bogens die eingeschlagene Datierung 1599 aufweist (daneben heute nur
noch schwach erkennbar IHS).
Über den Mauern liegt eine Lage aus stark dimensio-
nierten Eichenbalken. Hierüber erhob sich bis 1902
ein Sparrendach, wobei die beiden Giebeldreiecke
allerdings nicht massiv ausgeführt waren, sondern als
mit Bohlen beschlagene Holzkonstruktion über
Konsolen vorkragten.
Links und rechts der Durchfahrt schlossen sich zwei
jeweils eigenständige, von der Durchfahrt durch
ebenfalls aus Backstein aufgemauerte Wände abgetrennte Bereiche an. Beide umfassen jeweils nur einen
großen Raum, sind allerdings deutlich unterschiedlich
ausgebildet. Der Auf- und Ausbau des westlichen
Bereiches ist heute nur noch aus den teilweise erhaltenen Umfassungswänden und den wenigen vorliegenden archivalischen Nachrichten zu erschließen:
Hier bestand ein ebenerdiger und daher sehr hoher,
bis unter die Dach-Balkenlage reichender Raum, der
wohl auch eine Feuerstelle besaß (sie ist im westlichen
Seitengiebel zu vermuten) und der daher wohl als
Küche diente. Im 18. Jahrhundert wurde dieser Raum
wohl nicht zuletzt wegen der Feuerstelle als Brau-
küche des Gutes genutzt, eine (zusätzliche) Nutzung,
die der Raum auch seit der Errichtung gehabt haben
kann. Der Raum war vom Hof durch eine großformatige Tür mit Sandsteingewände erschlossen (der Sturz
ist erhalten). Die Ansicht des Gebäudes aus der Mitte
des 19. Jahrhunderts lässt ein Zwischengeschoss
unter dem Dach erkennen; ob es später geschaffen
wurde, ist unklar. Weitere Befunde zur Gestalt der
Küche sind nicht bekannt.
Der östliche Bereich des Torhauses ist hingegen schon
bauzeitlich unterkellert worden (hierauf weisen die
kleinen Luken mit Sandsteingewänden auf allen drei
Seiten hin). Da der mit einer Balkendecke überspann-
te Keller wegen des Wasserspiegels der Gräfte nur
halb eingetieft ist, erhielt der darüber befindliche
Wohnraum eine noch immer respektable Höhe.
Sowohl der Keller wie auch der Wohnraum darüber
haben ihren Zugang von der Durchfahrt. Der obere
Raum dürfte ehemals in der Mitte des Ostgiebels wohl
einen Wandkamin aufgewiesen haben (dieser dürfte
schon im Zuge der 1687 notwendigen Erneuerung
der Wand entfernt worden sein; seitdem ist hier nur
noch eine Wandnische erhalten), neben dem sich
zwei Kreuzstockfenster befanden. Auch an den beiden anderen Außenwänden gab es jeweils ein bzw.
zwei Kreuzstockfenster. Die Balkenlage über diesem
Raum wird von zwei Längsunterzügen gestützt. Sie
sind ebenso wie alle Balken der Decke sauber verar-
beitet, auf Sicht gearbeitet und an den unteren
Kanten mit einem Stabprofil versehen. Befunde zu
historischen Putzen und Farbfassungen des Raumes
konnten bislang nicht erhoben werden.
Die wenigen noch nachweisbaren baulichen Details
sprechen dafür, dass der östliche Raum als eine unterkellerte und repräsentativ ausgestattete Saalkam-
mer dienen sollte: Es dürfte sich daher um einen
Wohnsaal gehandelt haben, der als Sommerwohnung
der wohl in Münster lebenden Verpächter ebenso
denkbar ist wie ihre Altenteilerwohnung.
343
344
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
16 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Torhauses von Südwesten im Zustand vor dem Umbau von 1903. Darstellung auf
einem Pfeifenkopf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; Miniaturmalerei auf Porzellan (Foto: westfalia picta, Deuker 1986).
Saalkammer und Torhaus.
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
17 Gut Haus Milte bei Telgte; Wagenschuppen von 1834 zur Unterbringung der herrschaftlichen Fuhrwerke auf der verpachteten Hofstelle. Zufahrt vom Torhaus in zwei Toreinfahrten des südlichen Giebels (Foto Kaspar 2011).
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346
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
1687 ist eine größere Reparatur an dem Gebäude vor-
genommen worden, wobei man offenbar auch die
Balkendecke über dem östlichen Kellerraum erneuerte oder zumindest reparierte (der Keller ist zumindest
seitdem durch eine Längswand aus mit Holzfeldern
verschlossenem Fachwerk in zwei Teile unterteilt).
Hintergrund der Baumaßnahme scheint ein starker
Bauschaden gewesen zu sein, sodass offensichtlich
der gesamte Ostgiebel einschließlich eines Abschnitts
der beiden anschließenden Traufwände erneuert wer-
den musste.76 Die Köpfe der im Zuge dieser Baumaßnahme eingezogenen Eisenanker zur Befestigung der
die Kellerdecke tragenden Balkenlage ergeben eine
umlaufende Inschrift: Auf der Südseite: R [= renoviert?] ANNO, dann auf der Ostseite: 1687 und auf
der Nordseite: [...] / M I [= wohl die Initialen der
Bauherren],
Die Einrichtung des damit stark erneuerten und veränderten Gebäudes ist durch ein Inventarverzeichnis von
1807 genauer zu erfassen: Zu dreser Zeit befanden
sich in der westlichen Hälfte, im Brauhaus alle zum
Brauen notwendigen Geräte und Gegenstände.
Ferner gab es - wohl in der östlichen Hälfte - einen
Keller sowie an nicht näher bekannter Stelle eine Käsekammer (wohl der nachweisbare zweite Kellerraum). Auch ein Raum zum Backen mit einem Ofen
lässt sich nachweisen (möglicherweise als Abtrennung
vom Brauhaus). Der Saal in der östlichen Hälfte war
(seit 1687?) als Hauskapelle eingerichtet; der Altar
dürfte vor der Ostwand gestanden haben, wozu man
möglicherweise 1687 eine dort noch vorhandene
mittlere Wandnische geschaffen hatte. Von dieser
Hauskapelle zeugt neben dem Inventar von 1807
auch ein weiteres von 1832. Beschrieben werden hier
14 Paar Bilder am Altar, zwei blecherne Wandleuch-
ten, vier weitere von Holz, zwei Kirchenbänke, eine
Bank, ein Sessel, sechs Brettstühle und sechs weitere
mit Leder beschlagene Sessel, ein runder Tisch und
weitere kleinere Gegenstände.
1807 wurde das Dach des Pforthauses umgedeckt,
wofür man auch 500 neue Pfannen benötigte. Die
sieben vorhandenen Dachfenster wurden abgenommen und erneuert. Ferner erneuerte Zimmermeister J.
Schmidt aus Münster die Verbretterung des westli-
chen Giebels.
1842 wurde die bislang vorhandene hölzerne Zug-
brücke abgebrochen und durch eine neue massiv aus
Backstein von Zimmermeister Lodde aus Telgte ge-
mauerte und bis heute erhaltene Bogenbrücke ersetzt.
te die Backöfen. Die Arbeiten wurden durch den Zimmermeister Wilh. Brinckschulte aus Münster und den
Maurermeister Ferdinand Wiese aus Münster ausgeführt.
1902 wurde das Torhaus einschneidend verändert:
Den westlichen Teil baute man als Landhaus für den
Justizrat Dr. Göring aus.77 Hierbei wurde unter teilwei-
ser Verwendung der alten Umfassungswände ein
zweigeschossiger Backsteinbau geschaffen. Darüber
entstand ein ausgebautes Mansarddach in malerisch
gebrochener Gestalt. Seit 1905 wurde das Gebäude
als Sommerhaus durch die Erbin Maria Göring und
ihren Ehemann Rechtsanwalt Philipp Haerten genutzt.
Er war zunächst Stadtphysikus in Münster, dann aber
über zwei Jahrzehnte seiner Laufbahn in anderen
Städten, wobei sie während dieser Zeit Haus Milte
regelmäßig im Sommer bewohnten.
Der Wagenschuppen (von 1834)
Der Schuppen wurde im Zuge der umfassenden
Erneuerung des Gutes errichtet, um hier die Fuhr-
werke der Besitzerfamilie unterzubringen, wenn diese
aus Münster anreisten. Der Fachwerkbau wurde mit
der Traufwand an der Ostseite des Hofplatzes als
Fachwerkbau von zehn Gebinden mit aufgelegten
Balken errichtet. Das beim Bau verwendete Eichenholz ist teilweise zweitverzimmert. Das Gerüst steht
auf einer Sandsteinschwelle über Bruchsteinsockel,
die Wände wurden zweifach verriegelt und mit Backstein ausgemauert. Das Dach ist mit Sparrenpaaren im
gebundenen System verzimmert, hat einen Kehlbalken und erhielt eine Eindeckung mit Holzpfannen auf
Docken.
Das Gebäude wurde als zweischiffiger Bau mit einer
mittleren Längswand ausgeführt. Die beiden nebeneinander befindlichen Dielen sind jeweils von beiden
Giebelfronten über die dort vorhandenen Torbögen
befahrbar.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die mittlere Längswand zum größten Teil entfernt worden und drei der
ursprünglichen Tore wurden durch Fachwerkwände
verschlossen. 1986 wurde das Gebäude instand gesetzt (hierzu wurde ein Inschriftenstein von Sandstein
in der westlichen Traufwand eingemauert) und das
Dach umgedeckt.
Holzschuppen (von 1863)
Auf der inneren Insel errichtete man 1863 zwei neue
Holzschuppen, die mit ihren Rückseiten entlang der
Für das Jahr 1870 sind Bauarbeiten an einer Stallung,
Gräften gestellt werden.78 Die weitere Geschichte des
Gebäudes ist nicht bekannt.
Torhaus. Denn in diesem Zusammenhang wurde nicht
nur das alte Braugerät verkauft (der Kessel sei ganz
Stallgebäude (von 1903/1928/1934)
Wagenremise und einer Bedienstetenstube überliefert. Offenbar handelt es sich um Umbauten im alten
unbrauchbar), sondern man brach auch ein neues
Einfahrtstor in bestehendes Mauerwerk und beseitig-
Im Jahre 1903 wurde entlang des nördlichen Randes
der Gräfte ein neues Stallgebäude als eingeschossiger
Backsteinbau errichtet.79 Die Pläne dürften von dem
Saalkammer und Torhaus.
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
Baurat Löfken, Leiter des Baubüros des Westfälischen
Bauernverbandes, gezeichnet worden sein.80
1928 wurde das Nebengebäude mit Ställen durch das
Baugeschäft von Heinrich Tumbrink/Münster in der
nordöstlichen Hälfte als eingeschossiger Backsteinbau
mit Drempelgeschoss unter Satteldach erneuert. 1934
wurde die südwestliche Hälfte des Gebäudes ebenfalls
durch das Baugeschäft H. Tumbrink mit einer
Grundfläche von 104 qm für 4 000 Mark erweitert,
allerdings ohne Drempel unter dem Satteldach.81
Das nicht mehr genutzte Stallgebäude wurde 1970/71
zu Wohnzwecken ausgebaut (Planung durch Wilhelm
Bellmann/Telgte).
Schafstall außerhalb der Gräfteninsel
(bis 19. Jahrhundert)
Bis 1733 unterhielt der Hof einen Schafstall auf der
nördlich gelegenen „Hohen Heide". Ein bestehender
Schafstall ist dann wieder 1833 nachzuweisen, der
nach Ausweis des Urkatasters von 1829 südlich außer-
halb des Gräftenringes neben der Zufahrt zum Gut
stand. Das Gebäude wurde zu nicht näher bekannter
Zeit abgebrochen.
Anmerkungen
Bischöfe von Münster 1379-1450. Münster 2007, F 2007.
1 Adresse 1769 bis 1975 Schwienhorst Nr. 10, seitdem Graf-
8 Zu dem Lehen gehört auch das Gut Dauvenmühle bei
horst 2.
2 Hierzu hatte schon der damalige Eigentümer Gisbert
Münster.
Lensing-Hebben nach 1950 viele Besitznachrichten für die
9 Kempkes/Wolf 2007 (wie Anm. 7), S. 67 (nach Pfarrarchiv
Lembeck, Urkunde 211), H 33.
Zeit zwischen dem 17. bis 20. Jahrhundert zusammengetra-
10 Hugo Kemkes, Gerd Theuerkauf und Manfred Wolf, Die
gen, die von seinem Sohn dankenswerterweise zur Auswer-
Lehnsregister der Bischöfe von Münster bis 1379. Münster
tung zur Verfügung gestellt wurden. Auf dieser Grundlage
wurden zwischen 2009 und 2012 durch die Autoren noch
zahlreiche weitere Quellen und im Einzelnen zitierte
Nachrichten zusammengetragen und ausgewertet werden.
3 Josef Schepers aus Münster war die Hofanlage und die
Bedeutung der dort stehenden Bauten schon um 1935
durch seine zahlreichen Erkundigungsfahrten mit dem
Fahrrad durch das Münsterland bekannt geworden. Er berei-
tete eine eingehende Untersuchung der Bauten vor, auf die
er später auch verschiedentlich hinwies (Josef Schepers, Das
Bauernhaus in Nordwestdeutschland. Münster 1943, S. 203,
Anm. 142; Wilhelm Schmülling, Hausinschriften in Westfa-
1995, E 759.
11 Ehemals Vechtrup Nr. 17 (heute Vechtrup 8).
12 Kempkes/Wolf 2007 (wie Anm. 7), J 305.
13 Friedrich Walter, Grundherren, Bauern und Kötter im
Kirchspiel Telgte vor 1820, in: Telgte - Chronik einer Stadt.
Telgte 1974, S. 51-76, hier S. 67.
14 1353 wird Machorius als genannt Schenking bezeichnet.
15 Werner Freitag, Die Telgter Marienverehrung und Wall-
fahrt, in: Werner Frese (hg.), Geschichte der Stadt Telgte.
Münster 1999, S. 295-318, hier S. 299.
16 Die Familie, die wahrscheinlich von dem gleichnamigen
Gut bei Albachten nahe Münster stammte, saß auf zahlrei-
len und ihre Abhängigkeit vom Baugefüge. Münster 1950,
S. 43, 50, 153 und 165; Josef Schepers, Haus und Hof west-
chen Gütern im Umkreis von Münster, so Vehoff im Kirch-
fälischer Bauern. Münster 1960, S. 103; Fred Kaspar,
im Kirchspiel Nienberge und Borcherdinghof, ferner auf
Fachwerkbauten in Westfalen vor 1600. Münster 1986, S.
220).
4 Die sorgfältig vermaßten Skizzen liegen im Archiv des ehemaligen Baupflegeamtes des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (heute LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Bau-
kultur in Westfalen), sind aber nie ausgearbeitet oder veröffentlicht worden.
5 Die jüngere Geschichte wird im Folgenden nach dem bis-
lang unverzeichneten Quellenbestand „Haus Milte" im
spiel Handorf, Arnhorst im Kirchspiel Albersloh, Rüschhaus
Neuenhaus bei St. Vit (Kr. Gütersloh). Mitglieder der Familie
zählten auch schon früh zu den führenden Kreisen in
Münster. Hierzu Anton Fahne, Die Herren und Freiherrn von
Hövel. Cöln 1860, Band 1, Abt. 2, S. 219-200; Franz Flas-
kamp, Die Herren von der Wyck auf Neuhaus und im Umkreis, in: Quellen und Forschungen zur Natur und Geschichte
des Kreises Wiedenbrück, Heft 7. Rietberg 1934; Franz
Flaskamp, Die adelige Familie von der Wyck auf Neuhaus
und im Umkreis, in: Quellen und Forschungen zur West-
Archiv von Haus Runde dargestellt. Hier haben sich für die
Baumaßnahmen des 19. Jahrhunderts alle Akten einschließ-
fälischen Geschichte, Heft 100. Gütersloh 1968, S. 98-101.
lich der Quittungen für die ausgeführten Arbeiten, ferner
zwei raumweise aufgenommenen Inventare von 1807 und
terscher Staatsmann der Reformationszeit, in: Westfälische
1832 erhalten. Die Grundakten des Hofes sind wegen
18 So werden 1503 Heidenreich und Bernd von der Wiek
Bombenschäden beim Amtsgericht in Münster nicht überliefert.
6 Etwa (nach STA Telgte, A. 615) 1653 Gut Graffhorst alias
Pollert in Woeste (dieser Hof heute unter der Adresse
Grafhorst 1).
7 Hugo Kempkes/Manfred Wolf, Die Lehnsregister der
17 Robert Stupperich, Dr. Johannes von der Wyck. Ein müns-
Zeitschrift. 123, Münster 1973, S. 9-50.
unter den führenden Schichten der Stadt genannt (STA
Telgte, L. 211) und 1506 Bernd tor Wiek auch als Bürger von
Telgte (STA Telgte, Urkunde 21 b).
19 Beide Güter waren schon 1379 als ein gemeinsames
Lehen unter der Bezeichnung Sutbecke genannt wurden. S.
Kemkes/Wolf 2007, S. 67.
347
348
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
20 PfA Telgte, Urkunde 204.
Hermann Grotegesen. (1586 wurde das bisherige Lehnsgut
Heidenreich von der Wycks Frau Hilleborg Buck 1484 in die
Bertling zu einem Pachtgut des Stiftes St. Mauritz, wobei
diese Bindung 1744 wieder gelöst werden konnte.)
Familie. Diese Telgter Güter hatte Sophia von Schönebeck als
31 So diente neben Haus Milte auch das Haus Runde in der
Brautschatz in ihre Ehe mit dem münsterschen Bürger Ger-
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Besitzer und des-
lach Buck, eingebracht. Die Tochter seiner zweiten Ehe, Hill-
sen Familie zum Sommer-Aufenthalt (Heinrich Brockmann,
borg Buck heiratete Heidenreich von der Wyck, wobei sie
den Telgter Besitz mit der Peperhove 1484 als Brautschatz
erhielt. Er heiratete 1497 in zweiter Ehe Sophia Vincke zu
Die Bauernhöfe der Gemeinden Stadt und Kirchspiel
Ostenfelde, die diese Telgter Güter als Morgengabe zur frei-
speicher 1889 zu einem Sommerhaus erweitert.
en Verfügung erhielt (nach: Bernd Feldmann, Geschichte der
32 STA Telgte, Urkunde 322.
Peperhove zu Telgte, in: Beiträge zur westfälischen Familien-
forschung. 54. Münster 1996, S. 257-334, hier S. 262).
33 Sie hatten zahlreiche Kinder: Caspar (*1663), Ludwig
(*1665, heiratete 1687 in Telgte Anna Christina Lorde-
22 Urkundenbuch Pfarrarchiv Telgte, Nr. 140.
mann), Johann Caspar (*1668), Franz Maurits (*1670); Anna
21 Weiterer Grundbesitz kam wohl als Brautschatz von
Billerbeck, Beerlage, Darfeld und Holthausen. Billerbeck
1891, S. 199). Zu diesem Zweck ist der dortige alte Stein-
23 Zur Geschichte W. Moorrees, het münstersche Geslacht
Catharina Runde (1673-nach 1733 Hohenholte, heiratete
von der Wyck. S'-Gravenhage 1911.
1693 in Telgte Wilhelm Rudolf Brockman) und Bernhard
Heinrich Runde (*1676) - Informationen aus dem Nachlass
24 In Neuhaus war die Familie von Wyck seit 1495 ansässig.
1546 hatten sich dort die drei Brüder Heinrich, Engelbert
und Jasper von Wyck geeinigt, dass sie das ererbte Gut
gemeinsam verwalten wollten und es dann der Letztüberlebende erben sollte. Dies Erbe trat schließlich der älteste Bru-
von Carl Knüppel in Billerbeck.
34 1668 gehörte zum Besitz des Hofes auch der Hof
Marquard (heute Markfort) in der westlich benachbarten,
zum Kirchspiel Handorf (heute Stadtteil von Münster) zäh-
der Heinrich an. Er hatte zunächst im Konkubinat mit seiner
lenden Bauernschaft Kasewinkel (Hof Nr. 14, heute
Köchin Else Osterbrock gelebt, die er aber nach der Geburt
mehrerer Kinder 1 545 heiratete. Nach seinem Tode musste
Kasewinkel 98). 1800 wurde er dann als Eigentum des
Geheimrates Forckenbeck Senior in Münster bezeichnet und
sich sein Sohn und Erbe Heinrich mit den Nachkommen der
1824 von seinen Erben an die Familie Hüffer in Münster ver-
Schwestern seines Vaters um die Rechtmäßigkeit des Erbes
kauft.
in langwierigen Prozessen streiten, konnte sich aber durch-
35 STA Telgte, Urkunde 322.
setzen. Bei seinem Tode 1601 war er dann aber völlig
verarmt (Rudolf von Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums
Osnabrück. Osnabrück 1930, S. 394-395).
25 STA Telgte, A 641.
26 Archivbestände zur Geschichte dieser Familie sind im
Archiv Haus Merlsheim/Kr. Höxter erhalten.
27 Gut und Mühle Enkingmühle lagen wenige hundert
Meter nördlich der Stadt Münster (im Bereich der heutigen
Kanalstraße) und waren ein Lehen des Bischofs von Münster.
Es befand sich seit etwa 1400 in der Hand der Erbmänner-
36 Es stand auf der Ostseite der Kirchherrengasse (Lamberti-
Leischaft 420). In diesem Jahr wohnen hier seine beiden 15
und acht Jahre alten Söhne Johann Caspar und Bernd
Henrich sowie verschiedenes Personal (Helmut Lahrkamp,
Münsters Bevölkerung um 1685. Münster 1972, S. 51).
Gestalt, Geschichte und Alter des seit Langem nicht mehr
erhaltenen Hauses sind unbekannt.
37 Es ist wohl der 1668 geborene Sohn von Johann Caspar
Runde und Maria Bertling.
38 Sie verkauften für 250 Rthl ein Stück Land mit einem dar-
familie Bischopink. 1877 wurde die Anlage von der Stadt
auf stehenden Schafstall auf der nördlich des Hauses gelege-
Schlachthof errichtet. J. Bischopink soll um 1560 ein Reiterblockhaus vor der Stadt Münster zu einem weiteren Gut aus-
Haus Kurze Rumphorst (auf diesem Land entstand dann
Münster erworben und an der Stelle wenig später der
gebaut haben, das den Namen Hacklenburg erhielt (heute
Hof Meckmann). Beide Güter fielen um 1700 an die Familie
von Wenge-Severinghausen und später an die Herren von
Graes zu Diepenbrock (Werner Dobelmann, Kirchspiel und
Stift St. Mauritz in Münster. Münster 1971, S. 36-38 und
90-91).
28 1664/72 als Halberbe mit 285 Morgen zugehörigem Land
nen „Hohen Heide" an die Stiftung Scheffer-Boichorst auf
1752 der Heugers-Kotten, Kiebitzpohl 19).
39 In dem Haus Ringoldsgasse 2 neben dem Erbdrostenhof
(Sabine Jarnot, Die Salzstraße. Häuserbuch der Stadt
Münster, Teil 2. Münster 2001, S. 305; Max Geisberg, Bauund Kunstdenkmäler von Westfalen. Stadt Münster, Band IV.
Münster 1935, S. 99).
40 1789/91 wird Haus Milte von der Jungfer Anna Sophia
Runde bewohnt. Sie verlieh 1789 von dort Geld (PfarrA
29 Die Lage des Wohnortes in Münster ist für die Zeit um
Telgte, Akte 155, S. 78 und Akte 157, 22).
41 Er war der einzige Sohn von Johann Caspar Runde und
1600 bislang unbekannt.
30 Das freie Erbe Bertling war 1574 dadurch entstanden,
42 Sein Vater Johann Melchior Voltermann war mit Anna
bezeichnet.
seiner 1762 geheirateten Frau Anna Maria Frahling.
Heinrich von Wyck auf Haus Milte) Heinrich Berteling seinen
Elisabeth Runde (t 1799) verheiratet.
43 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte auch
Hof zu freiem Eigentum überließen, da er Catharina von
Wyck, Schwester des Heinrich Wyck, auf Milte geheiratet
hatte. Tochter dieser Ehe war Else Bertling, verheiratet mit
zum Gut.
44 Zum Leben s. Wilfried Reininghaus, Die Familien Olfers
dass die Brüder Heinrich und Caspar von Wyck (Vettern des
der bei Telgte gelegene Kötterhof Schüttenkötter, Berdel 13,
Saalkammer und Torhaus. 349
Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf)
und Lindenkampf. Anmerkungen zur Geschichte des Wirt-
auf sehr feuchten Standorten gewachsen war. Die Proben
schaftsbürgertums in Münster (1780-1888), in: Westfälische
Zeitschrift. 157. Münster 2007, S. 163-175, hier S. 167-169.
ergaben im Einzelnen folgende sichere Datierungen (leider
45 Die zuletzt von Franz Theodor von Olfers betriebene Bank
Kerngerüstes ohne Ergebnis):
befand sich in dem ihm gehörenden Haus Prinzipalmarkt 3.
Die Bank wurde 1888 von der Osnabrücker Bank unter der
Bezeichnung „Münstersche Bank" übernommen und ging
wenig später in dem „Westfälischen Bankverein" auf.
46 Nach Eintritt in dieses Amt ließ er sein Elternhaus in
blieben drei weitere der untersuchten Sparren des
nach 1 580 4. Dachbalken von Norden (BZ X)
wenig nach 1587
Winter 1719/20
1991, S. 288-289).
47 Hintergrund dieser komplexen Entwicklung war eine
2. Dachbalken von Osten (BZ XII)
um 1715
(nach 1703)
Dachwerk, Nordseite, 11. Sparren von
Westen (zweitverwendet)
Münster an der Ringoldsgasse 2/3 durch den Architekten
August Reinking umfangreich umbauen und erweitern
(Karlheinz Hauke, August Reinking 1776-1819. Münster
Wirtschaftsgiebel, östlicher Torständer
nach 1686
Dachwerk, Südseite, 11. Sparren von
Westen (zweitverwendet)
Winter 1831/32
Dachwerk, Südseite, 3. Sparren von
Westen
schwierige und langwierige Erbteilung, die sich über Jahre
55 Die Gebinde des Baus wurden - wohl ohne die Giebel-
hinzog, da Franz Theodor von Olfers ohne Testament verstorben war (hierzu Reininghaus 2007, S. 170).
48 Er hatte drei Brüder: Johann Heinrich von Olfers (22. Mai
wände - vom Westgiebel (Wohnende) aus mit römischen
Zahlen von I bis XIII nummeriert, wobei man die Dielenstän-
1791 Münster-22. Dezember 1855 Münster) übernahm das
der und Kopfbänder auf der Nordseite jeweils mit Beistrich
versah. An der südlichen Traufwand sind ab Gebinde IV alle
elterliche Bankhaus in Münster, wurde 1835 Gründungsvor-
Ständer einschließlich dem darauf ruhenden Rähm erhalten,
sitzender des Münsterschen Vereins der Kaufmannschaft,
an der Nordwand nur etwa die Hälfte der ehemals vorhan-
war 1847 Mitglied des Vereinigten Landtages in Berlin und
Juli 1851 Oberbürgermeister). Er ließ sich 1850 westlich von
denen Ständer sowie das Rähm. Von den beiden inneren
Ständerreihen blieben nur die Ständer im Gebinde IV und
der südliche Ständer des Gebindes VI erhalten. Die auf den
Münster bei Roxel ein eigenes Sommerhaus mit der
Wandrähmen ruhenden Dachbalken und die Sparrenpaare
Bezeichnung Haus Hohenfelde errichten (die Anlage wird
heute als Hotel genutzt und ist völlig erneuert). Ignatz Franz
sind ab Gebinde IV vollständig überliefert. Allerdings stehen
Josef von Olfers (1793-1872) wurde Diplomat und 1839
zum Generaldirektor der königlichen Museen in Berlin ernannt. Benedikt von Olfers (1800-1876) wurde ebenfalls
Jurist und war später Oberlandesgerichtspräsident in Kob-
Verband, sondern sind sowohl im Zuge der Modernisierung
lenz.
unterschiedliche Verzimmerungen nachweisen: solche mit
von 1850 bis zu seinem Tode Bürgermeister in Münster (ab
49 Aus dieser Ehe mit einer Schwester des Landrates Mers-
mann in Coesfeld gingen die Töchter Maria Sophie und
Maria Elisabeth hervor.
50 Er veröffentlichte 1848 bei Coppenrath in Münster
"Beiträge zur Geschichte der Verfassung und Zerstückelung
des Oberstifts Münster".
51 Ihr Vater Clemens Vonnegut (*1788) war Rendant und
Rechnungsrat in Münster und von 1821-1840 Bürgermeister
von St. Mauritz bei Münster.
52 Er war 1876 zum Gerichtsassessor ernannt worden und
erhielt 1896 den Titel Justizrat. Von 1901 bis 1905 war er
die Sparren heute nicht mehr in ihrem ursprünglichen
1720 wie auch um 1834 abgenommen und neu aufgestellt
worden.
56 Aus nicht bekannten Gründen lassen sich hierbei zwei
zweifach vernagelten längeren Kopfbändern und solche mit
einfach vernagelten kürzeren Kopfbändern.
57 Die Gestaltung des seit Langem erneuerten westlichen
Giebels ist nicht bekannt.
58 Diese Wechselbalken sind heute nicht mehr erhalten und
durch eine wohl um oder nach 1900 eingebaute Konstruktion ersetzt. Diese besteht aus zwei stehenden Stühlen, deren Pfetten als Unterlage für in diesem Bereich gestoßene
Zwischensparren von Nadelholz dienen.
59 Durch Zimmermeister J. Schmidt aus Münster.
Mitglied des Magistrats der Stadt Münster und Stadtrat (zu
60 1832 wurden auf dem Bestandsplan als lichte Breite des
südlichen neun und als Breite des nördlichen Seitenschiffes
seinem 1964 im Haus aufgefundenen Nachlass s. LA NW,
zehn Fuß angegeben.
Abt. Münster, Nachlass Goering/Haerten).
61 Hierauf deuten fehlende bzw. vorhandene Zapfenschlitze
53 Sie wechselten danach auf dem Hof Biedendiek in der
Bauernschaft Versmar/Gmd. Everswinkel.
54 Durchgeführt durch Peter Barthold bei der LWL-
für ehemals vorhandene Kopfbänder im Querverband zwischen den Balken und den nicht mehr vorhandenen Ständerreihen hin.
Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen,
Referat Bauforschung/Inventarisation am 5. Februar 2009
62 Eine entsprechende Situation konnte in dem auch in der
sowie am 19. Februar 2009 (hierbei erfolgte zugleich eine
des 17. Jahrhunderts auf Haus Kleine Getter bei Münster-
Funktion vergleichbaren Vierständerhallenhaus aus der Mitte
Dokumentation von Baubefunden durch Fred Kaspar).
Amelsbüren nachgewiesen werden.
Auswertung der Proben durch Hans Tisje / Neu-Isenburg mit
63 Ziegeleien des Schulzes Schwienhorst (heute Telgte,
Gutachten vom 16. Februar 2009 und vom 2. März 2009.
Für eine Untersuchung erwiesen sich nur wenige Hölzer als
geeignet, da das verbaute Holz vielfach breitringig und wohl
Schwienhorst 26) bzw. des Bauern Pröbsting (heute Telgte,
Kiebitzpohl 44). Die neuen Umfassungswände wurden aus grob
abgestrichenen Backsteinen im Format 28,5 x 14 x 5,5/6 cm
350
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
aufgemauert, während die Backsteine, die man zur Ausmauerung der Innenwände benutzte, mit 27/28 x 13,5 x
wendig.
6,5/7 cm ein kleineres Format aufweisen. In diesen Formaten
73 Im Besitz der Familie gibt es eine historische Fotografie
dürften die beiden unterschiedlichen Produktionsstätten der
chen Dachboden wäre eine solche Konstruktion nicht not-
Steine deutlich werden.
des Bauzustandes vor 1902, die ebenfalls kein Obergeschoss
erkennen lässt.
64 Die untere Kehlbalkenlage der Sparrenpaare blieb in dem
74 Diese zweite Ansicht des Gutes auf der anderen Seite des
neu aufgebauten Bereich ohne aussteifende Kopfbänder.
Pfeifenkopfes ist nicht bei Schmitt 2002 (wie Anm. 66) doku-
65 Die Fachwerkwände wurden mit Backsteinen ausgemau-
mentiert und wird hier erstmals veröffentlicht.
ert und auf der Innenseite verputzt. Auf dem Putz konnten
75 An den Bogensteinen des äußeren Bogens sind Versatz-
noch im Januar 2009 Reste einer wohl bauzeitlichen
zeichen zu erkennen, die die Reihenfolge der Steine festle-
Ausmalung festgestellt werden: Danach waren die Wände
mit einer blauen Kalkfarbe versehen und erhielten rotbraune
gen und darauf hindeuten, dass der Bogen fertig aus dem
Begleitstriche.
Steinbruch angeliefert wurde: Von rechts nach links sind
beidseitig aller Stoßfugen jeweils lateinische Zahlen in auf-
66 Dokumentiert bei Micheal Schmitt, Münsterland (= west-
steigender Reihenfolge eingeschlagen.
falia picta, Band VI). Münster 2002, Nr. 552.
76 Im Unterschied zum Kernbau gibt es in den neu aufge-
67 Kurzbericht des Amts-Restaurators Beat Sigrist vom 19.
mauerten Bereichen keinen Sockel aus Bruchsteinen und die
Februar 2009 in den Akten der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen.
Gebäudeecken sind auch nicht aus grob zugerichteten
Sandsteinen, sondern aus weitgehend sauber bearbeiteten
68 Ältere Bauakten haben sich in den einschlägigen Archiven
Sandsteinblöcken aufgesetzt. In der hofseitigen Traufwand
nicht aufgefunden. Die Akten des Landratsamtes in Münster
wurden 1945 durch Bombenschaden vernichtet.
lässt sich die Baufuge zwischen der alten Bausubstanz und
69 Die Zugangstür blieb aber einschließlich des Türblattes
vermauert erhalten.
70 Die nur von den älteren Teilen des Gebäudes vorgenom-
dem neu aufgemauerten Giebel noch klar erkennen.
77 Baugenehmigung ohne Pläne hierzu in StA Telgte, C
2043. Weitere Unterlagen zu der Baumaßnahme konnten
nicht aufgefunden werden. Die Gestaltung des Gebäudes
mene und nicht datierte Bauaufnahme von Josef Schepers
hat sich mit mehreren detailliert vermaßten Skizzen - zusam-
könnte dafür sprechen, dass man die Planungen durch den
men mit der Bauaufnahme des Haupthauses - im Archiv des
schen Bauernverbandes in Münster erstellen ließ. Dieser ist in
ehemaligen Baupflegeamtes des Landschaftsverbandes
den nächsten Jahren nachweislich auf der Hofstelle tätig ge-
Münster erhalten (heute LWL-Denkmalpflege, Landschafts-
wesen.
und Baukultur in Westfalen).
78 StA Telgte C 2043.
71 Schepers 1960 (wie Anm. 3), S. 103.
79 StA Telgte C 2043.
80 Noch 1906 leitete das Bauamt des westf. Bauernvereins
72 Einziges Indiz hierfür könnte sein, dass die Balkendecke
Baurat Löfken, Leiter der Bauberatungsstelle des westfäli-
über der östlichen Saalkammer des Torhauses zwei Längs-
weitere Bauarbeiten auf dem Gut.
unterzüge aufweist, also auf eine starke Belastung ausgelegt
81 StA Telgte, C 3592.
ist. Für die Einlagerung von Korn auf dem darüber befindli-
351
Die Vasbach bei Kirchhundem
Aspekte der Baugeschichte
Josef Georg Pollmann
DIE VASBACH IM WANDEL DER ZEIT
1 Die Vasbach im Wandel der Zeit. Die Postkarte mit den Bauphasen wurde vom Bürgerverein Kirchhundem e. V. herausgegeben.
2 Gebäudegruppe Haus Vasbach vor 1960 (aus: Der Kreis Olpe in alten Ansichen, Olpe 1992, S. 24).
352
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Das Mühlengut Vasbach wird 1462 erstmals urkundlich genannt.1 Die anfänglich in verschiedene Besitzanteile aufgeteilte Mühle gehörte unter anderem den
adeligen Familien von Ole sowie von und zum Bruch.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts erscheint in mehreren Urkunden Hans Schmid zu Hundem als alleiniger
Eigentümer. Er gilt als Stammvater des Geschlechts
der Familie Vasbach.
Neben der Mühle mit ihrem alleinigen Mahlrecht für
viele Ortschaften der Umgebung sowie einer umfangreichen Landwirtschaft2 betrieb die Familie Vasbach
auch die Erzeugung bzw. den Handel mit Stahl. Mit
Anton Vasbach (1500-1590) setzte darüber hinaus
auch eine juristische Tradition der Eigentümer der Vas-
bach als Gerichtsschreiber oder Richter des Amtes
Bilstein und Amtmann des Amtes Kirchhundem ein,
die zu Kontakten zu den Adels- und Honoratiorenfamilien der Region führte und über mehr als 300
Jahre Bestand hatte. Bis 1960 war diese Familie im
Besitz des Gutes, wobei allerdings durch Heirat von
Erbtöchtern zweifach der Name wechselte: Maria Ber-
nardine Vasbach (1740-1817) heiratete Johann
Wilhelm Höynck (1723-1803) und Franziska Höynck
(1805-1866) Engelbert Brüning (1807-1872). Die einheiratenden Männer übernahmen auch die genannten öffentlichen Ämter.
Der Erbauer
Für die Baugeschichte des Gutes ist aus der Reihe der
15 zwischen 1500 und 1960 aufeinander folgenden
Generationen die Person Georg Vasbach (1635-1695)
am bedeutendsten.3 Noch während des Studiums am
3 Porträt von Georg Vasbach (Südsauerlandmuseum Attendorn).
Jesuitenkolleg in Köln, das er gemeinsam mit seinem
jüngeren Bruder absolvierte, starb der Vater Johannes
(1604-1653). Nach Abschluss des Studiums, das ihn
zur Übernahme des Gerichtsschreibers des Gerichts in
Bilstein qualifizierte, musste er im Alter von 25 Jahren
das Gut von seiner Mutter und gleichzeitig die Sorge
für seine acht zum Teil noch unmündigen Geschwister
übernehmen.
Sein Vater hatte das Gut hoch verschuldet und in
schlechtem Zustand hinterlassen. Wie das von Georg
geführte Bau- und Mauerregister4 ausweist, war er
zur vollständigen Erneuerung nicht nur aller Gebäude
des Gutes sowie des zugehörigen „Bettinghofes",
sondern auch sämtlicher Wasserbauten der Mühle
gezwungen. 1664-69 entstand das neue Gutshaus,
1669 eine Scheune, 1676 ein schiefergedecktes Back-
haus, Schafställe und Schweinestall, 1677 Immenhütte und Eishaus und 1681 als letztes ein Pferdestall.
1671 ließ Georg Vasbach zusätzliche Teiche auf der
Schellerwiese sowie beim Haus einen Garten anlegen,
0 / C Va i b ae
L/rti ck vf v * 0
au s Akte fit K,'vth kv
Afchi'i/ Yatbac h /k'r. ^l6o
^Yh2cich 2. G . Pt>H
'LolS'
4 Lageplan von Gut Vasbach im Jahre 1882 (Umzeichnung
nach GAK Archiv Vasbach, Nummer 260).
in dem u. a. eine Lindenhecke und eine Allee aus
Eschen sowie Pflaumen- und Apfelbäume gepflanzt
wurden. Darüber hinaus sorgte er für die Memoria,
indem er 1672 ein Marienbild für die Pfarrkirche des
nahe gelegenen Dorfes Kirchhundem stiftete, 1676
ein Barockepitaph für das dortige Erbbegräbnis der
Familie aufstellen und auf dem Gut Vasbach selbst
1677-1680 eine bruchsteinerne Kapelle über oktogonalem Grundriss und mit geschweiftem Dach errich-
ten ließ.5
Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte
5 Dachstuhl des Haupthauses, Grundriss mit Bauphasen nach Aufmaß Pollmann.
Georgs Erfolge um die wirtschaftliche Gesundung des
Guts, der auch das Braurecht - 1664 sind ein Braukessel und ein Hopfengarten sowie der Handel mit
Bier erwähnt6 - und ab 1693 dann auch das Brennrecht dienten, wurden 1689 durch einen Brand zunächst zunichte gemacht, der fast alle Neubauten zer-
störte. Nur die steinerne Kapelle und das schon in
Brand geratene Gutshaus konnten gerettet werden.
Zu neuerlichen Baumaßnahmen gezwungen, hinterließ auch er bei seinem Tod im Jahr 1695 das Gut
hoch verschuldet.
Während die von Georg Vasbach in der zweiten großen Bauphase bis 1692 erneut errichteten Gebäude
in den folgenden Jahrhunderten untergegangen bzw.
stark verändert worden sind, blieben aus der ersten
Bauphase das Gutshaus, das im Folgenden im
Mittelpunkt steht, sowie die Kapelle erhalten.
Das Gutshaus von 1664 und 1669 mit den späteren Erweiterungen
Die Baumaßnahmen Georg Vasbachs setzten unmittelbar mit der Übernahme des Gutes ein. Anlass war
seine am 1. August 1660 bevorstehende Hochzeit mit
Elisabeth Hoff (1641 -1683).7 Noch vor seiner Hochzeit
{ante nuptias meas) hatte er das alte Haus [...] for ein
geringes untermauern lassen.8 1664 hat er dann - die
beiden ersten Kinder waren geboren - hinter das alte
Haus mit Ausgrabung vieller Erden ein new Haus ...
gesetzet und auswendig künstlich aufgebaut mit
Mauren Thüren Tischen Fenstern und zwarn pretiös
kostet sehr viell0 Mit diesem sogenannten Achter-
haus'0 war ein neuer Wohnteil geschaffen, dem
knapp fünf Jahre später anstelle des alten Hauses ein
gleich breiter, neuer Wirtschaftsteil angefügt wurde:
Anno 1669 habe das alte Haus abgebrochen und
nach Flape verkauft u. das neue Gebau kontinuiert u.
ein vollenkomen Haus gebawet. Untermauren lassen
alles wie jetze befindlich. Was ein solches gekostet,
das weiss keiner er habe denn gebawet sonst versteht
solches keiner. Die Bauregister weisen in etwa den
weg seind über 150 beuhme darzue gangen."
Der 1664 errichtete Bau erhielt bei einer Breite von
10,45 m eine Länge von 7,50 m und wurde 1669 um
einen 9,40 m langen Wirtschaftsteil verlängert.
Sowohl der Wohnteil von 1664 wie auch der Wirtschaftsteil von 1669 weisen im Erdgeschoss massive
Umfassungswände aus Bruchstein auf, wofür wohl
Brandschutzgründe maßgeblich waren. Bereits beim
Bau des „Achterhauses" hatten laut dem Bau- und
Mauerregister12 im Jahr 1665 Arbeiten und Mauerleute zwei Tage Brandmauer gearbeitet. Aus Sorge vor
Bränden hatte Georg Vasbach seine Unterlagen teil-
weise als Duplikate auch an anderen, besonders
brandsicheren Orten deponiert.
353
354
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Auf den bruchsteinernen Umfassungswänden des
Erdgeschosses steht ein auffallend hohes und allseits
vorkragendes Stockwerk aus kräftigen Fachwerkhölzern. Lange Fußstreben, die über zwei Gefache aus-
greifen, dienen der Aussteifung. Die beiden Vorkragungszonen des Giebeldreiecks am Wirtschaftsgiebel
sind durch mit Schnürrollen beschnitzte Füllhölzer
zwischen profilierten Stichbalkenköpfen und Zahnschnittprofilen auf den darüberliegenden Schwellen
besonders geschmückt, während die Traufseiten des
Vorderhauses schlichter bleiben. Florale Schnitzereien
zeigt der jeweils mittlere Ständer in beiden Stockwerken des Giebeldreiecks, der durch die Aussteifung
mit Kopf- und Fußbändern zugleich die Unterstützung des Dachwerks durch einen mittig stehenden
Stuhl verrät.
Dazu treten am Wirtschaftsgiebel zahlreiche lateinische Inschriften, die - teils in der Form von Chronogrammen - vier Mal die Jahreszahl 1669 nennen und
hier in deutscher Übertragung wiedergegeben werden: „Selige Jungfrau, Johannes, Magdalena, Georg,
Franziskus, wendet Brandunglück ab von diesem unserm Haus", steht oben am Giebeldreieck. Auf dem
Sturz des erhaltenen der beiden Stürze’3 des auffallend schmalen Dielentores heißt es, zwischen den
Monogrammen IHS und MRA: „Von Gott ist des Himmels Anfang so sprich mit dem himmlischen Lichte,
der du hier wohnst." Auf den Schwellen des vorkragenden oberen Stockwerks links und rechts des Tores
ist zu lesen: „Was Du gebaut, wem wird es gehören?
Eitelkeit der Eitelkeiten und alles ist Eitelkeit." Die
Schwelle des Giebeldreiecks gibt - ebenfalls in Latein
- eine Anleitung zur Ermittlung des Erbauungsjahrs:
„Rechne zweimal 8 Jahrhunderte, zweimal 3 Jahrzehnte, ein Lustrum und zweimal 2 Jahr sowie die
Kaldenden des Juni, so wirst du finden, wann Georg
Vasbach aufgebaut hat."14
Ein nächster Anbau wurde bereits 1671 dem „Achterhaus" angefügt; er nimmt heute die Nordostecke
des Wohnteils ein: Hierbei entstand über einem Keller
mit Ziegelsteingewölbe das „Fürstenbergzimmer" (ca.
5x5 m), so genannt, weil hier Johann Adolf von Fürs-
tenberg (1631-1704), Domprobst in Paderborn und
Münster sowie Droste im Herzogtum Westfalen,
gewohnt haben soll, während er den Bau seiner
Adolfsburg im benachbarten Oberhundem beaufsichtigte.15
Georg Vasbach benennt in seinen Aufzeichnungen
auch die ausführenden Bauhandwerker am Gutshaus.16 1664 war Bauleiter Conpauerent Meister
Joseph accept Koch. Weiter nennt er Hermes von
Oberhundem, Peter auf dem Bettinghof, Hermes
Sohn, Hans Hauser (Knecht), Meinert zu Erlhof und
Tripman zu Flape als Bauhelfer. 1669 leitete Meister
Johann die Bauarbeiten (Zimmerarbeiten). 1671 arbeiteten beim Kellerbau mit Konrad Hauß, Johann
Müller, Dirk auf dem Bettinghof, Conrad Tripmann
und der alte Müller Conrad wiederum Bewohner der
näheren Umgebung Georg Vasbachs.
Ein weiterer Anbau mit einer Grundfläche von 9,40 x
4,70 m entstand 1776 westlich und quer zum First
des Vorderhauses unmittelbar am Wirtschaftsgiebel.
Hier lautet die lateinische Inschrift in Übertragung:
„Dir Josef als gutem Patron sei anvertraut dieses
Haus; behüte es vor schädlichen Bränden und sei gnä-
dig den Eheleuten Wilhelm Höynck und Bernhardine
Vasbach."17 Anlass zu diesem Anbau soll der steigende Wohnraumbedarf der schnell wachsenden Familie
dieser Eheleute gegeben haben; Maria Bernardine
Vasbach (1740-1817) hatte als Erbin des Gutes noch
nicht 14-jährig den Gerichtsschreiber zu Bilstein und
Patrimonialrichter zu Oberkirchen Johann Wilhelm
Höyinck (1723-1803) geheiratet und gebar 15
Kinder.18 Das massive Erdgeschoss dieses Bauteils ist
höher als das des Vorderhauses von 1669, das fachwerkene Obergeschoss dagegen niedriger; vermutlich
im Zuge dieses Anbaus hat man am Vorderhaus die
Zone links des Dielentors den Nutzungsmustern des
Anbaus angepasst, d. h. in seinem Fachwerk weitgehend erneuert.
Ihr Sohn Josef Theodor Höynck (1762-1840) ließ 1835
in den Zwickel zwischen dem Wohngiebel des „Ach-
terhauses" und dem „Fürstenbergzimmer" nach
Westen hin ein weiteres Wohnzimmer anbauen, wodurch erst der heutige, geschlossene Wohngiebel von
10 m Breite (bei 27 m Länge des Gesamtbaus) mit
einem gänzlich neuen Giebeldreieck entstand.
1854 erfolgte eine Modernisierung,19 die am äußeren
besonders durch die Entfernung des Dielentores bzw.
den Einbau einer doppelflügeligen Haustür mit
Oberlicht in neugotischer Formensprache erkennbar
wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurden landwirtschaftliche Nutzräume aus dem Haus verbannt.
1885 schließlich wurde als letzte Anbaumaßnahme
ein risalitartiger, verputzter Massivbau mit Küche und
darüber angeordneter Räucherkammer mittig vor die
rechte, östliche Traufwand gestellt.
Grundriss des Gutshauses und Raumnutzungen
im 20. Jahrhundert20
Erschlossen wurde das Gutshaus durch das geteilte
Deelentor an der Giebelseite des Vorderhauses, während das „Fürstenbergzimmer" einen separaten Eingang an der Ostseite besaß. Im Erdgeschoss betrat
man die Deele mit einem Fußboden aus Lesesteinen.
Im linken Anbau von 1766 befand sich die Bibliothek
und rechts wohl eine Kammer.
Am Ende der Diele befand sich eine Scheidewand. Da
das Haus in zwei Abschnitten errichtet worden war,
blieb sie als einziger Teil des Vorgängerbaus erhalten.
Hier in der Mitte befand sich vermutlich schon 1559
ein Kamin, später im 19. Jahrhundert eine Kochmaschine. In Richtung „Achterhaus" folgten die Küche
und die Kellerräume, in denen sich noch neben dem
Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte
6 Giebelseite des „Vorderhauses" von 1854 vor dem Umbau. Das Haus zeigt sich noch als ein Vierständerhallenhaus mit
geteiltem Deelentor, wie es vielfach im Sauerland zu finden war. Nach dem Umbau präsentierte sich das Gutshaus teilweise
im Stil der Neugotik (GAK, Archiv Vasbach, Nr 567).
Vorrat wohl auch der Braukessel befand. Über dem
alten Küchen-/Kaminbereich schloss sich im Obergeschoss bis 1885 die Räucherkammer an. Bei Umbauarbeiten im Jahre 1877 fand der damalige Besitzer
Friedrich Brüning im Bereich der Küche (bis 1885),
dem ältesten Teil des Hauses, Reste eines gemauerten
Rauchfangs. Dieser hatte schon einen Vorgänger aus
gestecktem Lehmfachwerk, wobei man im Inneren
des Rauchfangs auf die Jahreszahl 1559 stieß.21
Das Obergeschoss wurde durch eine Treppe in der
Mitte der Diele erschlossen und an beiden Seiten
lagen Schlafzimmer sowie ein Esszimmer. Zum „Achterhaus" hin folgten Räume, wie große Wohnzimmer
oder der „Blaue Salon", benannt nach der blauen
Seidentapete an den Wänden. Der Speicherboden
oberhalb diente immer nur als Abstellraum für
Gegenstände, die nicht mehr benötigt wurden.
7 Gutshaus Vasbach, Blick vom Speicherboden der Mühle
(Foto Pollmann 2010).
355
356
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
— J.
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8 Haupthaus Vasbach. Längsschnitt Vasbach (Aufmaß Pollmann).
9 Detail der Giebelgestaltung am Haupthaus Vasbach von 1664: Tauband-Füllhölzer zwischen profilierten Balkenköpfen (Foto
Pollmann).
Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte
Das Dachwerk
Im Dachwerk mit seinen 24 Gebinden lassen sich alle
Bauphasen von 1664 bis 1885 ablesen. Das Holz ist
bis auf den Bereich des Anbaus von 1835 schwarz
verräuchert, unter anderem durch die neue Räucherkammer an der Ostseite des Dachraumes. Das Dachwerk erhielt in den verschiedenen Bauphasen teils ste-
hende und teils liegende Dachstühle. Die Mittelständer der stehenden Konstruktion besaßen alle
gerade Fußbänder. Auffällig ist der schon 1671 teilweise und 1835 endgültig verbaute Giebel von 1664.
Er weist zur alten Außenseite hin eine lateinische Inschrift mit Chronogramm und eine auf die Erbauer
und das Baujahr 1664 hinweisende Inschrift auf. Der
Dachraum selbst blieb bis auf eine um 1900 einge-
richtete Bedientenstube (Grundfläche von 4,60 x
4,30 m) bis heute unausgebaut.
Im Bereich zwischen den 1664 und 1669 errichteten
Bauteilen steht eine Giebelfront, wobei unklar ist, aus
welcher Bauphase sie stammt. Im Gegensatz zum
Bereich des einfach stehenden Stuhles ist diese
Giebelfront dreifach stehend. Es handelt sich möglicherweise um den Giebel des 1669 angebrochenen
Vorgängergebäudes.
Bislang für das Sauerland ungewöhnlich sind die Ab-
bundzeichen, die während der Bauhasen 1664 und
1669 verwendet wurden. Der Zimmermann versah
hier alle römischen Ziffern mit einem oder zwei Beistrichen oberhalb, ähnlich dem französischen Zimmermannsalphabet.22 Die Abbundzeichen dieser
Phasen beginnen an jedem Giebel mit der Zahl eins.
Zur Einrichtung der Innenräume
Die Inneneinrichtung der Räume wurde bis zur
Modernisierung 1960 unter anderem von hochwertigen und kostbaren Möbelstücken aus verschiedenen
Jahrhunderten geprägt.23 Sie wiesen teilweise reiche
Schmuckschnitzereien auf. Auch eine Galerie von
Porträts der Ahnen sowie eine blaue Seidentapete
wiesen auf einen gehobenen Lebensstil hin. Leider
haben sich nur wenige Fotografien von dieser Innen-
Innovationen der Bautechnik
Nicht nur Georg Vasbach, sondern auch seine Nachfolger hinterließen als Bauherren ihre Spuren an den
Gebäuden des Gutes Vasbach. Verschiedene Mitglie-
der der Familie nahmen auch Einfluss auf die Ent-
wicklung des Bauwesens der Region.
Noch unter Georg Vasbach entstand 1692 das unweit
der Vasbach gelegene Pfarrhaus von Kirchhundem.
Dieses in Konstruktion und Dekor dem Haus Vasbach
ganz ähnliche Gebäude wurde laut Inschrift unter
„Georgi Vasbach iudicy scribae in Bilstein" errichtet.
Besonderes Interesse zeigte Georg Vasbach auch für
den Wasserbau. Neben der Wasserversorgung für
seine Mühle betrieb er ab 1671 auch den Bau einer
eigenen Frisch-Wasserleitung zu seinem Hof. Hierzu
schrieb er in seinem Bau- und Mauerregister 1671:
eodem anno habe ich das Wasser ins Haus leiten las-
sen durch Erden Feisten [Tonrohre], dasmal der
Wasserstein wie auch die anderen Steine dadurch die
bleiernen Feisten [Bleirohre] gehen verfertiget. 1674
vermerkte er: eodem anno weilen das Wasser den
peisten folget, habe ich in den Keller ein Puzze graben
lassen und darin in Quicksilber thuen lassen, damit
das Wasser in dem Keller nur einen nicht hindern
thete und Elstern lassen. Diese hauseigene Wasserleitung steht möglicherweise im Zusammenhang mit
dem engen Verhältnis, das zwischen den Familien
Vasbach und von Fürstenberg bestand. So sind schon
früh Wasserleitungen in zwei Schlössern der Familie
von Fürstenberg nachweisbar:24 1658 in der Küche
des alten Schlosses Herdringen und 1701 in der Küche auf Burg Schnellenberg. Für die Wasserversor-
gung des Gutshauses Vasbach nutzte man einen
namenlosen Bach, der sich oberhalb des Hauses von
der Vasbacher Hude fand. Er wurde angestaut und
mittels eines Grabens zum Haus geführt. Durch unter
der Straße oberhalb des Gutshauses geführte
Tonrohre gelangte das Wasser in die im Gutshaus
befindlichen Bleirohre und weiter zum Wasserstein.
Der Graben besaß auch einen Schützschieber,25 sodass
ausstattung erhalten. Einen Eindruck kann man
jedoch noch im Südsauerlandmuseum in Attendorn
erahnen, da dort einige wertvolle Einrichtungsgegenstände der Vasbachs ausgestellt werden. Hierzu
gehört ein Stuhl von 1662 oder ein Himmelbett von
1563. Letzteres gehörte zur Mitgift der wohlhabenden Margarete Wittemund in der Ehe mit dem kur-
fürstlichen Richter und Gutsbesitzer Hermann
Vasbach (1534-1624).
Bis 1960, als man eine Zentralheizung einbaute, wurde das Gutshaus durch eine Vielzahl von Öfen verschiedenster Art geheizt.
10 Haupthaus Vasbach. Erhaltene Teile der historischen
Ausstattung: Im Vordergrund das Bett von 1564
(Ausstellung im Südsauerlandmuseum Attendorn).
357
358
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
11 Haus Vasbach. Darstellung der historischen Wasserversorgung (Aufnahme Pollmann).
die zufließende Wassermenge geregelt und über-
schüssiges Wasser in den Graben neben der Straße
geleitet werden konnte.
Die Bedeutung des in diesem Zusammenhang 1674
genannten „Puzze" bleibt unklar. Es ist es möglich,
dass es sich um einen aus der französischen Sprache
übernommenen Begriff handelt, denn auch Georg
Vasbach bediente sich dieser Sprachmode. So wird er
nicht nur in einem Brief von einem Siegener Arzt
Monsieur Fassbach gerichtsschreiber present Kirch
Honnen angeschrieben,26 sondern benutzte auch selber französische Begriffe, etwa beim Hausbau. 1669
nennt er den Preteur meiner zu Erlhof.27 Der Begriff
„Puzze" könnte daher die niederdeutsche Form von
pousser [franz.] meinen und daher von „stoßen,
schieben" abgeleitet sein. Mit der „Puzze" dürfte er
daher einen Graben oder Schieber gemeint haben,
der möglicherweise austretendes Wasser aus den
wohl nicht immer dichten Wasserrohren in dem aus
als Vorratsraum dienenden Keller ableiten sollte. Ein
Hinweis darauf sind möglicherweise die in zwei
Reihen in gleichmäßigen Abständen in das Gewölbe
eingemauerten Flacheisen, welche unten zu einer Öse
gebogen sind und dort Eisenringe aufnehmen.
Rund 150 Jahre und damit sechs Generationen später
äußerte sich der Hüttenverwalter, Landwirt und
Amtmann des Amtes Kirchhundem Engelbert Brüning
(1807-1872), späterer Besitzer der Vasbach,28 ausführ-
lich nicht nur zu den landwirtschaftlichen Verhältnissen des Kreises Olpe, sondern legte in seinem amt-
lichen Bericht auch Vorschläge zur neuzeitlichen
Organisation ländlicher Gebäude vor. Er erteilt hier
dem Haustyp des niederdeutschen Hallenhauses in
der Art des vererbten Hauses Vasbach eine Absage
und schlägt stattdessen den Bau von Querdielenhäusern mit einer klaren Trennung von Wohn- und
Wirtschaftsteil vor.29 Eine diesem Bericht beigelegte
Zeichnung ist leider verloren gegangen. Es sei, so
schreibt er, dem Landmanne ...zu wünschen, dass die
Räume, die er bewohnt, gesund und bequem seyn
und das überhaupt die Gelasse, worin der die Früchte
seines Fleißes aufgespeichert hat und worin er sein
Vieh gestallet hat, so eingerichtet sind, dass sie allen
Anforderungen genügen, sowohl für die Geräumigkeit, für die Gesundheit, für Ersparung von Arbeit, für
Beaufsichtigung als auch für Feuersgefahr. Soll diesen
Bedingungen vollkommen entsprochen werden, so
kann man die erforderlichen Räume für Menschen,
Vieh und Früchte unter einem Dache nicht vereinigen,
man kann aber die verschiedenen so gruppiren, dass
sie vollkommen genügen.30
Die Nebengebäude
Mühle
Das Gebäude wurde nach dem Brand des Vorgängers
1689 vom Zimmermeister Hans Schulte errichtet.31 Er
war ebenfalls für den Neubau des 1692 errichteten
Pastorates in Kirchhundem verantwortlich. Beide
Fachwerkbauten erhielten einen Bruchsteinsockel.
Trotz der geringeren Dimensionen (Grundfläche von
Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte
14,20 x 9 m) und einer einfacheren Ausführung zeigt
das Fachwerkgerüst der Mühle von neun Gebinden
viele Merkmale des Haupthauses von 1664/69, wie
etwa die giebelseitige Vorkragung oder die floralen
Formen der Zierschnitzereien und die Art der
Inschriften. Das Dach besteht aus 19 Gebinden.
Von der Mühlentechnik hat sich nur die Aufzugsluke
mit Teilen der Aufzugstechnik erhalten, die an der
Längsseite etwa 1,80 m weit vorkragt.
Im 20. Jahrhundert erhielt die Mühle einen Anbau.
Nach 1945 wurde das Wasserrad durch eine Turbine
ersetzt und damit bis nach 1960 noch Strom erzeugt.
Scheune
Die Kenntnisse über die nicht erhaltene Scheune sind
gering. Die Gestalt ist nur durch eine Fotografie über-
liefert. Nach einem Mietvertrag, den der Amtmann
Fritz Brüning mit dem Ökonomiearbeiter Peter Beste
am 30. September 1877 abschloss, befanden sich in
dem Gebäude Kuh-, Schweine- und Rinderställe, eine
Dreschtenne sowie ein Dachboden.32 Giebelseitig gab
es eine Wohnung mit vier Zimmer für den Ökonomie-
arbeiter, der alle anfallenden Arbeiten auf dem Hof
7 Sie war die uneheliche, später legitimierte Tochter von
Peter Hoff, Pastor in (Meschede)-Remblinghausen, gebar
zehn Kinder und starb im Alter von 42 Jahren. S. o. BestVasbach (wie Anm. 4), S. 30f.
8 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 37.
9 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3).
10 Ernst Henrichs, Fachwerkhäuser in Kirchhundem, in:
Schwatt op Witt uit Hungeme, Neues und Altes, Geschichte
und Geschichte, Dorfzeitung für Kirchhundem und Umgebung Nr. 5, 1991, S. 7.
11 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 37.
12 Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 41.
13 Eine „Doppelung" des Dielentorgestells ist in jener Region des Sauerlandes üblich und technisch notwendig, wo
das Obergeschoss gegenüber dem Erdgeschoss vorkragt.
14 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 41.
15 GAK, Archiv Vasbach D 564; Anmerkung von Paula BestVasbach.
16 GAK, Archiv Vasbach D. 204.
17 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 41.
18 Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 53 f.
19 In den dazu erhaltenen Bauunterlagen befindet sich eine
Abbildung der Giebelseite des „Vorderhauses"; GAK Archiv
auszuführen hatte. Sein Lohn bestand aus freier Woh-
Vasbach 567.
nung in der Scheune und 45 Mark pro Monat. Ferner
erhielt er etwa 2 Morgen Ackerland als Garten und 40
Quadratruten Land an der Chaussee bei Fasbach zu
Zeitpacht.
20 Beschrieben werden die Zustände in der Zeit um 1960 bis
Noch bis etwa 1960 wohnten in der Scheune die
Ökonomen oder Faktoren, die den Wirtschaftsbetrieb
des Gutes leiteten.33
1990 aus Erinnerungen von Herrn Robert Erwes, Kirchhundem. Über die Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert liegen keine
Aufzeichnungen vor.
21 Henrichs (wie Anm. 10).
22 Simona Valeriani, Kirchendächer in Rom. Zimmermanns-
kunst und Kirchenbau von der Spätantike bis zur Barockzeit
Anmerkungen
(= Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege.
3). Petersberg 2006, S. 30.
1 Martin Vormberg, Das Rechenbuch des Hermann Vasbach.
23 Bei den Modernisierungen wurde das meiste der Innen-
Kirchhundem 2010, S. III ff.
2 Sie wurde zeitweise von einem Verwalter betrieben (Ge-
meindearchiv Kirchhundem [im Folgenden GAK], Archiv
Vasbach D 260). Zum Gut gehörten 1960 noch 360 ha Land
verschiedenster Bewirtschaftung.
ausstattung auf den Müll geworfen.
24 Durch Otto Höffer nachgewiesen. Hierzu die Quellen:
HSO 2/2004, S.109 - AFH (Archiv Fürstenberg Herdringen)
238, BI. 279 und AFH 562 S. 45, HSO 2007.
25 Ähnlich solchen Einrichtungen in Flößerwiesen.
3 Paula Best-Vasbach, Die Vasbachs auf der Vasbach. Müns-
26 GAK, Archiv Vasbach 558.
ter 1949, S. 29 ff. 1960 wurde das Gutshaus durchgehend
27 GAK, Archiv Vasbach D 204.
modernisiert und diente bis 1969 als Dienstwohnung des
28 Ehemann der Erbin Franziska Höynck.
Direktors. Nach langem Leerstand nutzte man das Gutshaus
als Asylunterkunft. Anschließend erwarb es, wie schon vorher die Mühle, eine Kartonagenfabrik. Heute wird das Gutshaus als Wohnhaus genutzt.
4 Ebd., S. 37 ff., sowie GAK, Archiv Vasbach D 204.
5 Nach den erhaltenen Verträgen wurde sie von Meister
Henrich Leist errichtet und von dem Bildhauer Johannes
Sasse (beide Attendorn) ausgestattet; Martin Vormberg,
Vasbachkapelle bei Kirchhundem, in: Heimatstimmen Kreis
Olpe. 195, 1999, S. 129-142.
6 ausführt feile Bier. Vgl. Martin Vormberg, Die Bier- und
Branntweinproduktion im Kirchhundemer Land, in: Brennen
und Brauen im kurkölnischen Sauerland (hg. vom Schieferbergbau - und Heimatmuseum Schmallenberg-Holthausen).
Schmallenberg 1991, S. 57-60.
29 Martin Vormberg, Ideen zur Verbesserung landwirtschaft-
licher Wohnverhältnisse im Kreis Olpe 1848, in: Rödger Belke-Grobe, u. a. (Red.), Bauern im südwestfälischen Bergland.
Schmallenberg-Holthausen. 2006, Bd. 2, S. 41-47.
30 Belke-Grobe 2006 (wie Anm. 29), S. 44 f.
31 Inschrift im Giebeldreieck: Meister Hans Schulte von
Heinsberg Baumeister.
32 GAK, Archiv Vasbach, D 260.
33 Nach Erinnerungen von Herrn Robert Erwes aus Kirchhundem.
359
360
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
Peter Barthold
Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird der
Begriff „Freihof" definiert als ein „freies Landgut, das
keiner Dienstbarkeit unterworfen" ist.1 Freihöfe sind
also landwirtschaftliche Höfe oder Güter, die sich im
freien Eigentum befinden. Zudem befinden sich diese
Betriebe nicht in den Städten.
Es stellt sich die Frage, ob und wodurch sich diese
Freihöfe von anderen Formen freien Besitzes landwirt-
schaftlicher Betriebe unterscheiden. Da der Begriff im
frühen 19. Jahrhundert seine Bedeutung verlor, weil
seitdem jeder Besitz an Grund und Boden frei eigen
war und nicht mehr mit bestimmten Rechten und
Pflichten verbunden war, wird der Blick insbesondere
auf die Jahrhunderte davor gelenkt.
Anhand von Beispielen des 16. bis 19. Jahrhundert im
Territorium des Fürstentums Minden soll ein Überblick
über Entstehung und Vergehen sowie die bauliche
Vielfalt von Freihöfen gegeben werden. Die zahlrei-
chen im Umkreis der Stadt Minden noch nachweisbaren Freihöfe boten sich für eine solche exemplarische
Untersuchung besonders an, da einige von ihnen
archivalisch ungewöhnlich gut überliefert sind. Dies
muss als besonderer Glücksfall gelten, da dieser freie
Besitz in der Regel kaum Niederschlag in öffentlichen
Archiven fand und wegen seiner oft zahlreichen Besitzerwechsel auch selten geschlossene private Archivbestände entstanden sind.2 Durch die exemplarische
Untersuchung von zehn Gutshöfen in chronologischer
Anordnung nach ihrer zumeist bekannten oder
1 Karte mit Eintrag der im Folgenden behandelten Freihöfe: 1. Hille-Eickhorst: Der Freihof, 2. Hille-Rothenuffeln: Das Wen-
trupsche Hofgut, 3. Minden: Gut Rodenbeck, 4. Minden: Gut Tietzels Denkmal, 5. Minden: Gut Kuhlenkamp, 6. Minden:
Gut Masch, 7. Minden-Aminghausen: Der Duxsche Freihof, 8. Minden-Aminghausen: Der Barkhausensche Hof, 9. Bücke-
burg-Cammer: Der Cammerhof, 10. Porta Westfalica-Lohfeld: Der Hof Kriete".
361
erschlossenen Gründung3 wurde es möglich, nicht nur
Näheres zu den Gründen zu ermitteln, die zur Einrichtung dieser Höfe im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts führten, sondern auch Einblicke in deren
Wirtschaftsweisen, ihre Bedeutung für die Inhaber sowie ihren Baubestand und die bauliche weitere Entwicklung zu bekommen. Neben der Klärung der Besitzgeschichte machte es eine Auswertung entsprechender Kirchenbücher4 und landesherrlicher Archive5
möglich, auch Nachrichten über Unterpächter, auf
dem Hof wohnende Verwandte und Gesinde zu bekommen.
Auffallend ist der teilweise häufige Wechsel der
Eigentümer der Freihöfe. Ermöglicht durch den Freibrief, wurden diese Höfe nicht nur zum Statussymbol,
Zeichen für den erfolgreichen Aufstieg einer Familie,
sondern auch zu Spekulationsobjekten, zu einer Möglichkeit der Geldanlage und war es zudem ermöglicht,
auch Teile oder einzelne Grundstücke davon zu verkaufen. Zumeist mit einem herrschaftlichen Haus ausgestattet, wurden die Höfe aber zunächst in der Regel
nicht von den Besitzern dauerhaft bewohnt, sondern
von ihnen als Sommersitz genutzt, während die
Landwirtschaft durch Bedienstete betrieben bzw. insgesamt oder in Teilen verpachtet war.
Der Unterhalt der oft auf den Freihöfen errichteten
umfangreichen Anlagen mit Herrenhaus, manchmal
auch mit Gärten und Teichen setzte größere Einkünfte
voraus. Von vornherein oft nicht groß genug, manch-
mal aber auch nachträglich verkleinert, hatten viele
der Freihöfe keine ausreichende Wirtschaftskraft, um
ihren Bestand dauerhaft zu sichern, insbesondere
nachdem sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die
Erträge aus landwirtschaftlicher Tätigkeit wesentlich
verschlechtert hatten. So sind sie vereinzelt schon
nach kaum mehr als einer Generation wieder zu dem
Bauernhof gewandelt worden, aus dem sie zumeist
hervorgangen waren. Aufstieg und Niedergang der
Freihöfe dokumentiert sich daher nicht zuletzt in der
Art und dem Aufwand der auf den Höfen stehenden
Hauptgebäude, die von den bäuerlichen Längsdielenhäusern bis zu selbständig stehenden, zweigeschossigen Herrenhäusern reichen konnten. Von diesen hat
sich allerdings nach dem Niedergang der Freihöfe
kaum noch etwas bis heute erhalten, wobei die
Beschreibungen in den überlieferten archivalischen
Quellen nur grobe Kenntnisse vermitteln. Danach
kam es nicht selten zu der charakteristischen Verbindung von herrschaftlicher Wohnung und landwirtschaftlichem Gebäude in der auch andernorts bekannten Form eines T-Hauses.
Nach der Definition kann ein Freihof nicht in der Stadt
liegen. Daher kann es nicht um die freien Höfe gehen,
die sich in den drei Städten des Fürstentums Minden,
in Minden, Lübbecke und Petershagen sowie dem
befestigten Amtsort Hausberge befanden, sondern
nur um die große Zahl von freien Höfen, die in den
Kirchdörfern, Dörfern und auf dem platten Land lagen. Hiervon sind allerdings die landtagsfähigen Rittergüter zu unterscheiden, da sie in einer anderen
rechtlichen Tradition stehen. Bei ihnen handelt es sich
in der Regel um Lehngüter, deren adelige Aufsitzer bei
jedem Wechsel neu belehnt werden mußten. Der
Erwerb eines Freihofes war für vermögende Bürger
oder den Militär- und Beamtenadel des 16. bis 17.
Jahrhunderts die entscheidende Möglichkeit, an steuerfreien und damit lukrativen Grundbesitz außerhalb
der Städte zu gelangen.6 Freihöfe waren sogenannte
Allodialgüter, die keinem Lehnsverband angehörten
und somit von ihren Eigentümern als freies Eigentum
ohne Zustimmung Dritter verkauft werden konnten.
Allerdings war ihre Zahl nicht feststehend, denn auch
im Fürstentum Minden war es möglich, ein Lehngut
gegen Zahlung einer bestimmten Summe zu Allodialgut wandeln zu lassen.
Die Zeit der von den Mindener Bischöfen vergebenen
Freihöfe scheint im späten 17. Jahrhundert zu Ende
gegangen zu sein. Hierbei spielte eine entscheidende
Rolle, dass die Freihöfe steuerfrei waren, was nach
1648 die Steuerdirektion der neuen brandenburgi-
schen Regierung in Minden schnell als großes Ärgernis empfand.7 Der Landesherr Friedrich Wilhelm von
Brandenburg, „der Große Kurfürst" (1640-1688) ließ
1684 von neun Höfen die Freiheiten aufheben lassen.
Grundsätzlich sollen die Freiheiten welche die vorigen
Bischöfe mit Conses des Thumb Capitulß ertheilet...
haben nicht länger als zu derselben Lebzeiten bestehen8 Tatsächlich haben viele der Freihöfe in der Regel
schon im Laufe des 18. Jahrhunderts ihren besonderen Charakter verloren und wurden wieder zu „normalen" Bauernhöfen.
In einem zweiten Teil werden dann einige Neugründungen von landwirtschaftlichen Betrieben im unmittelbaren Umkreis der Stadt Minden betrachtet, die
zwischen 1760 und der Mitte des 19. Jahrhunderts
entstanden. Diese gehen nicht mehr auf die Erteilung
von Freibriefen zurück, sondern wurden von Städtern
als Kapitalanlage außerhalb der Stadt gegründet, aber
von den Besitzern und Zeitgenossen ebenfalls als
„Güter" bezeichnet. Gerade diese jüngeren Gutshöfe
sind heute kaum noch erhalten, da sie inzwischen von
der sich ausweitenden Stadt verschluckt und durchgehend heute bebaut sind.
Duxscher Freihof in Minden-Aminghausen,
Breekamp 7, heute Bauernhof
Am 6. Juli 1563 bestätigt Herzog Georg von Braun-
schweig-Lüneburg als Bischof von Bremen und Minden seinem Neffen Erich Duxen, neben den schon
bestehenden Freiheiten umb geleisteder getreuwer
dienste willen auch die Aufhebung des Mahlzwanges
für dessen „Freien Hove zu Aminckhausen."9
Erich Dux war schon spätestens 1560 Droste des
bischöflichen Amtes Hausberge10 und hatte vermut-
362
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
2,3 Der Freihof in Minden-Aminghausen wurde durch Erich Dux und seine Frau Magdalene von Halle begründet. Ihrem
besonderen Stand entsprechend erinnern aufwändige Grabplatten, die in der Mindener Martinikirche und der ev. Kirche in
Porta Westfalica-Hausberge erhalten blieben.
lieh auch auf der dortigen Schalksburg seinen
Hauptwohnsitz. Zudem ist er 1558 als Besitzer eines
Hauses in Minden auf der Bäckerstraße belegt.11 Als
außerehelicher Sohn des Mindener Bischofs Franz I.
(1508-1529) hatte Erich Dux eine besondere gesellschaftliche Stellung,12 die bislang von der Forschung
nicht weiter beachtet worden ist, aber in seinem
Lebensweg deutlich erkennbar wird. Aus seiner ersten
Ehe mit der 1566 verstorbenen Amanda Ma(rgarethe)
Li(sbeth) von Halle,13 der Tochter des Mindener Dompropstes Thomas von Halle und der Anna Borries14,
gingen die drei erbberechtigen Kinder Elisabeth,
Georg und Thomas Dux hervor. 1570 wurde Erich Dux
herzoglich Braunschweig-Wolfenbüttelscher Rat und
Oberamtmann.15 Er heiratete 1571 in zweiter Ehe
Katharina von Dassel, Witwe des Curdt Warnecke,
und wurde unter Herzog Julius von BraunschweigWolfenbüttel zum ersten Amtmann des neu gegründeten Amtes Calvörde (nordöstlich von Helmstedt)
ernannt. Erich Dux geriet 1572 zusammen mit seiner
Frau in Gefangenschaft, da sie der Verschwörung zum
Giftmord an Herzog Erich II. zu Braunschweig-Lüneburg angeklagt war, was zu diplomatischen Verwick-
lungen der beiden Braunschweiger Herzogshäuser
führte.16 1581 starb Erich Dux17 und wurde in der
Mindener Martinikirche begraben (hier ist seine
Grabplatte noch erhalten).18 Nach seinem Tod wurde
Johan Rosenthaell, vermutlich für die zu diesem
Zeitpunkt noch nicht volljährigen Söhne, als Verwalter
„Duxischer Güter" eingesetzt. Zwischen den Brüdern
Georg und Thomas Dux sowie ihrem Schwager Johan
Clare kam es nach 1600 zu einer Reihe von Klagen,
die bis vor das Reichskammergericht gelangten. Hintergrund waren nicht nur unklare Erbschaftsverhältnisse, sondern offenbar auch ein früh vor Gerichten
verhandelter Fall häuslicher Gewalt:’9 Elisabeth Dux
war mehrfach vor ihrem Ehemann geflüchtet, zunächst in ihr innerhalb der Mindener Domfreiheit liegendes Vaterhaus und 1597 dann zu Verwandten
nach Lübbecke. 1624-1630 vermietete die Witwe
Elisabeth Clare, geborene Dux ihr Haus an der Bäckerstraße an den Bürgermeister Dr. Schreiber.20 Ihr Bruder
Georg Dux wurde 1591 Amtmann in Münden2' und
gründete dort eine Familie. Thomas Dux nahm den
Freihof in Aminghausen für sich und seine Frau Anna
Vogeler, Tochter des Mindener Bürgermeisters Kaspar
Vogeler, in Besitz. Da er aber aus militärischen Grün-
den oft und lange unterwegs war, dürfte er das Gut
wohl nicht selber bewirtschaftet haben.
1649 musste Anna Vogler, die Witwe Dux', die Freiheiten ihres Hofes in Aminghausen nachweisen.22
Einige Zeit nachdem die Witwe Dux 1666 verstarb,
scheint das Gut den Besitzer gewechselt zu haben,
denn 1693 gehörte es dem in Goslar lebenden Dr. jur.
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
David Kühnemann. Er klagte vor dem Reichskammergericht gegen die kurfürstlich brandenburgische Steu-
Chaussee, einzelne Häuser, Mühlen und Dörfer nebst
der Stadt Minden, der Porta und das Gebirge umfaßt
freiheit seines Hofes zu Aminghausen.23 Auch von ihm
gleich befriedigend für diejenigen, welche einen ruhigen ländlichen Aufenthalt wünschen, wie vortheilhaft
für Wirthe, Gärtner und Fabrikanten, da die Nähe von
erdirektion in Minden auf Beibehaltung der Steuer-
wurde der Hof offenbar verpachtet, denn 1681 lebte
Tönnies Deirberg mit seiner Familie auf der Duxin
Hoffe zu Aminckhausen.24 1754 ist der Mindener Regierungsrat Culemann Eigentümer des Freihofes, den
er 1756 an Johan Philipp Schlichthaber verkauft. Dieser hatte zuvor mit seiner Frau Henriette Maria Ledebur und den vier erstgeborenen Kindern als Verwalter
auf dem Gut Haddenhausen bei Minden gelebt. Erst
ab diesem Besitzwechsel scheint das Gut zum
Hauptwohnsitz seiner Inhaber geworden zu sein.25
1792 heiratete ihr Enkel, der Freisass Christopher
Friderich Schlichthaber die Kaufmannstochter Marie
Eleonore Wilhelmine Oldenburg aus Sulingen. 1810
scheint ihre Familie den Freihof als Hauptwohnsitz
aufgegeben zu haben und zog vermutlich nach Min-
den. 1812 verkaufte die Witwe des Kaufmanns
Schlichthaber geb. Sophie Dorothee Oldenburg26 den
Hof für 5410 Rthl. an den Tribunalrichter Jacob Josua
Rappard.27
1816 inserierte die Witwe des Kriminalrates von
Rappard in den Mindischen Intelligenzblättern den
Verkauf ihres Freihofes zu Aminghausen, den sie in
einzelnen Stücken oder im Ganzen anbot:28 Der Hof
liegt eine halbe Stunde von Minden, Ist mit einem
zweistöckigen Hause, worin 8 Zimmer nebst Küche
und andere Behälter, Scheunen und Stallungen,
Backhaus ec versehen. Das Haus hat eine gesunde
Lage, Gärten, Wiesen, Kämpe, fließendes Wasser und
Teiche umgeben es. Die Aussicht ist einzig reizend:
Wiesen und Ackerland liegen im Vordergrund, die
das Auge mit einem Blick. Die Lage des Hofes ist
Minden und das Eingehn der beliebtesten öffentlichen Gärten und Kaffeehäuser nicht allein, sondern
auch Gartenbau und Milchwirthschaft, wozu die
Vorbereitungen getroffen, den Wünschen und
Bedürfnissen der Stadt Minden und jedem Besitzer
entgegen kommt.
Der Verkauf kam allerdings nicht zustande. Erst 1822
verkaufte Oberlandesgerichtsrat Jacob Josua Rappard
den Hof für 8050 Thl. an den Cantons-Beamten Ernst
Weißhuhn.29 Wenig später fand die Hochzeit des sich
nun Gutsbesitzer nennenden Ernst Weißhuhn mit
Sophie Henriette Friderike Lisette Ebbeke aus
Wietersheim am 23. April 1823 auf dem Hofe des
Bräutigams statt.30 Neben dem Wohnhaus wies die
Hofstätte auch eine 1845 abgebrochene Leibzucht
auf. 1841 verstarb Daniel Ernst Weißhuhn 74jährig
und hinterließ neben seiner Frau fünf minderjährige
Kinder. 1858 ist der aus Minden stammende Ökonom
Johan Heinrich Böke Besitzer der Hofstätte. Auf der
Hofstätte wohnten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundertszusätzlich mehrere Einliegerfamilien, 1861 unter
anderem der Kutscher Wilhelm Krüger.
Bis in das 19. Jahrhundert stand auf dem Freihof in
Aminghausen ein zweistöckiges Wohnhaus. Näheres
über seine Gestalt ist nicht bekannt. Es wurde zu nicht
näher bekannter Zeit abgebrochen und durch ein
Längsdielenhaus mit Umfassungswänden ersetzt, wie
es für Bauernhöfe dieser Zeit charakteristisch ist.
4 Standort des ehemaligen Dux sehen Freihofes in Minden-Aminghausen. Die Hofanlage ist heute völlig erneuert und über-
formt. Auch die früher angepriesene gute Aussicht vom Hof zur Porta Westfalica wird durch Hochregallagerbauten des
angrenzenden Gewerbegebietes verstellt.
363
364
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
5 a-d Die Katasterpläne verdeutlichen die baulichen Veränderungen auf der Hofstätte des Cammerhofes in BückeburgCammer in den letzten 260 Jahren: links oben Zustand 1752, rechts oben 1795, links unten 1898 und rechts unten 1998.
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
Cammerhof in Bückeburg-Cammer,
Dankerserstraße 18,
später schaumburg-lippisches Vorwerck
Graf Otto IV. zu Holstein-Schaumburg (1544-1576)
ließ 1567 die sogenannte Cammer besiedeln, ein
Areal nordwestlich des Schaumburger Waldes, im
Grenzgebiet seiner Grafschaft zum Fürstentum Minden. Vor 1576 vergab er auch ein gudtken ahm Du-
dinghauser forde in der Karrieren und Schöwen-
burgeschen Walde gelegen. Dieses Gut befand sich
1605 im Besitz des Mindener Bürgers Curt Brüning
(Cürtt Bruningk). ' Dieser bat in einem Schreiben an
Graf Ernst zu Schaumburg-Holstein ... die gleichen
Gerechtigkeiten zu bekommen, die ein Haußman (in
Cammer) in gedachtem wolde alda im gebruch und
gerechtigkeitt had. Curt Brüning beruft sich auf einen
gesiegelten Brief den er und seine vorfederen ... von
Graf Ernst Her Vatter und Her Brüder Graff Adolff
Seliger erhalten habe.32 Zwar sei ihnen gestattet wor-
den, auf dem Gut ein Haus zu bauen, die Waldgerechtigkeiten wie die Schweinehude aber nicht aufge-
führt worden. Wegen einer Lanckwirigen Leibes
kranckheitt habe Brüning nicht auf sein guttken ...
achten können, und habe es etzliche Jahr zinslich
außthun müssen, es also vermieten müssen. Wenige
Jahre später wechselte der Eigentümer: 1607 stellt
Graf Ernst seinem Amtmann Adolf Waschen als Abfindung einen Hoffe in der Cammer gelegen, welchen
Cordt Brüning hiebevon besessen und noch jetzo
inhatt, mitt lenderei, wiesenwecht und allen zubehorungen, wie er den ersessen, erblich begnadet und
Ihme dem Amptman zugeeignet haben, in Aussicht.
Ihm sollte bei Antritt des Hofes außerdem die jährliche
Abgabe von 3 Thl. an das Amt Bückeburg erlassen
werden. Hauptmann Adolff Weschen verkaufte allerdings schon 1611 das Gut an die von Münchhausen,
die es durch Zukauf verschiedener Ländereien erweiterten. 18 Jahre später kam es zu einem weiteren
Besitzerwechsel: 1629 verkaufte Margarete von
Münchhausen als Kindsmutter und Vormund des
Hanses von Münchhausen mit Zustimmung des Gräfl.
Holstein Schaumburgischen Geheimrat und Landdrosten Statzes von Münchhausen33 für 5500 Rthl. an den
bayerischen Hauptmann Arnoldtes von Velstrum und
seiner Hausfrawen Ludovica geborener von Brinck zu
Innhausen (muß Iggenhausen heißen) daß Hauß und
gutt zur Cammeren ... neben alles und jedes dazu
gehöriges lendereien benenntlich funftzig sechs mor-
gen sadiger landerei, acht und zwantzig morgen
kuheweiden und dreizehen morgen wiesenwachs,
geholtz, mastungen, Viehe drifften, Schaffereien,
gebeuwden und anderen pertinentienW Auch sie
behielten das Gut nur wenige Jahre: Nach 1631
wurde es von Emst Ludwig von Ditfurth, Gr. Holstein
Schawenburgischen CammerJunckern und zu Danckersen Erbsäßen erworben. Ein letzter Eigentümer-
6 Die Gebäude des Cammerhofes wurden 1711 in einem
Protokoll anlässlich eines Grenzvergehens skizziert. Stark ver-
einfacht, aber dennoch erkennbar wird das Hauptgebäude
aus zwei Bauteilen bestehend dargestellt: Links wird der
Wirtschaftsteil von Fachwerk und mit Toreinfahrt dargestellt,
rechts das anschließende zweigeschossige Herrenhaus.
wechsel erfolgte Ostern 1662: Nun erwarb es Graf
Philipp zu Schaumburg, Lippe und Sternberg umb ein
gewiß Summ geldeß von Arendt Ludewig von Dittfurth auff Dankersßen, sein in unserm Ambt Bückeburgk belegenes freyes Erbguth die Cammer genand.35
Graf Philipp legt den Cammerhof mit der schon seit
1650 bestehenden herrschaftlichen Meierei Höckersau zusammen und verpachtete36 beide 1670 an den
Conductor Carl Wippermann.37 1 699 folgte als
Pächter der Mindener Kaufmann Johan Lipperding.
1727 wurde Jörg Henrich Wecke Pächter, dem 17291759 Carl Balthasar Gaden und 1763-1769 Balthasar
Gaden folgen. Von 1769-1786 wurde Kammerrat
Caspari Pächter der Meierei Höckersau und Cammerhof. Vier in den Jahren 1699,38 1729,39 176340 und
176941 erstellte Inventare ermöglichen einen Überblick
über den auf dem Cammerhof vorhandenen Baube-
stand, dokumentieren aber auch dessen langsamen
Verfall. Das Hauptgebäude wurde in allen Beschreibungen in die drei wesentliche Bereiche Vorwerk,
Küche und Wohnhaus unterteilt: Zunächst wird
jeweils das Vorwerck als ein 14 Fach langer, ursprüng-
lich wohl mit Lehmflechtwänden ausgefachter Fachwerkbau beschrieben, der als Längsdielenhaus mit
seitlichen Stallungen vorzustellen sein dürfte. Durch
eine Scherwand gelangte man vom Vorwerk in eine
365
366
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
3. Der Platz, worauf diese Gebäude stehen, benebst
dem Hofraum und kleinen Garten, kann jemanden
zum Anbau einer Colonie überlassen werden. 1775
wurden die Bauten versteigert.
Am 12. März 1775 bot der Zimmermann Scheife aus
Evesen 450 thl vor vorbesagtes Wohn und Viehhaus
nebst Schmiede und dem Hoff Platz, doch erbat er bei
der Bezahlung um ein Jahr Zeit. Der Kaufkontrakt
kam daher erst am 6. Februar 1776 zustande, wobei
Scheife wenig später die Gutsgebäude abbrach. Er
errichtete auf dem Hofplatz einen Neubau.45 Wesent-
lich kleiner als das alte Hauptgebäude erhielt der
näher an die Straße gestellte Neubau die Form eines
bäuerlichen Längsdielenhauses.46
1792 bewohnt Johann Wilhelm Scheive das für 275
Rthl. versicherte Wohnhaus welches auf den Cammer-
hof neu erbauet ist und keine Nummer hat. Nur in
dieser fehlenden Hausnummer war die 1776 endende
7 Das heute auf der Hausstätte in Bückeburg-Cammer vorhandene Gebäude lässt nicht mehr die besondere Bedeu-
tung des Cammerhofes erkennen und keine Rückschlüsse
mehr auf die frühere Bebauung der Freihofstätte zu.
Küche, der sich ein unterkellerter Wohnteil anschließt.
Erwies mehrere durch Kachelöfen beheizbare Stuben
auf und dürfte als ein wohl zweigeschossiges und
daher herrschaftliches Haus zu rekonstruieren sein.42
Johan Sigmund Moritz Wilckening ist mit seiner Familie als (Unter-)Pächter des Hochherrschaftlichen
Cammerhofes zwischen 1760 und 1769 nur durch
Einträge in die Friller Kirchenbücher nachgewiesen.
Wohl nach seinem Abzug kam es ab 1772 zu weitreichenden Änderungen in der Wirtschaft. Fortan wurden die zugehörigen Wirtschaftsflächen einzeln an
verschiedene Interessenten verpachtet. Im gleichen
Jahr hat man auch den zum Herrschaftlichen Vor-
wercke Kammerhof gehörige kleine Garte ad ’Z?
Morge 15 rutehn groß und die Wohnung auf dem
Vorwercke an Johan Diedrich Kruse aus Frille für jähr-
lich 5 thl verpachtet. Er habe den Garten und die
Wohnung nach seiner gutträglichkeit zu nutzen,
dahin aber zu sehen ..., daß die Gebäude nicht in
Verfall gerathen, sondern wenn daran Reparationes
vorzunehmen nötig, solches zu fernerer Verfügung
anzeige43 Doch bereits im Folgejahr 1773 beschließt
die Gräfl. Schaumburg Lippische Rentkammer, den
Cammerhof ganz aufzulösen.44 Die auf dem Herrschaftlichen Vorwerck zum Cammerhofe befindlichen
Gebäude sollten verkauft und auf Käufers Kosten
abgebrochen werden. Dabei 1. Ein Wohnhaus benebst dem daran befindlichen großen Viehgebäude,
worin eine Parthey steinerne Krippen befindlich und
überhaupt dieses weitläufige Gebäude annoch in
überaus in guten Bauholtze bestehet, auch mit Ziegelsteinen behangen. 2. Eine Scheune von sehr gutem
brauchbaren Holtze, so eben fals mit Ziegeln gedeckt.
Geschichte des Freihofes noch erkennbar geblieben.47
Bäcker Henrich Tönjes Schmidt, Schwiegersohn des
Schieve und späterer Besitzer des freyen Kammer
Hofes in Bückeburgischen, kaufte am 2. April 1806
für 1000 Rthl. im angrenzenden preußischen Päping-
hausen drei Ackerflächen von etwa fünf Morgen
Größe.48
Hof Kriete in Porta Westfalica-Lohfeld,
später Bauernhof
Die Gründung des Freihofes mit Umwandlung des
vorher als Hof in der Tilosen bezeichneten Anwesens
durch Vogt Daniel Kriete geht auf einen noch erhalte-
nen Freiheitsbrief von 1570 zurück.49 Da dieser in
anschaulicher Weise die wesentlichen Merkmale eines
Freihofes benennt, sei er im Folgenden wörtlich wiedergegeben (die wesentlichen und vielfach vorkom-
menden Formulierungen wurden fett hervorgehoben: Lage, Grund der Verleihung, Art und Umfang
der Freiheiten): Von Gottes gnadenn Wir Hermenn
Postulirter auch verordneter und Bestetigter Administrator des Stifftes Minden s. thuen kunt und bekennnen hiermit vor unß unser Nachkommen an diesem
unserm Stifft und jedermanniglichen. Nachdem unser
diener und lieber getrewer Daniell Krite bei uns
underthanig angehalten das ehr vorhabens vor sich
und seiner erben in der Vogtei Landtwehr, boven
dem Solenwege eine Hausstete und wonung zu
bawen. Mit underthaniger bitte wihr dafür unsern
Consens und bewilligung ertheilen mügten, Weß
haben wir nun auß vorbitte etzlichen unserer
verwanten Herrn und freundte, auch wegen viel-
fältiger unß und unßeren Stiffte geleisteten
getrewen dienste, die wir ferner von Ihm gewertig sein, seiner bitte Stadt gethan, thuen das auch
hiemitt und Crafft dieses vor uns und unser nachkom-
men, dieser gestalt und alßo das ehr die angewiese-
ne stedte forderlichst bebawen und mit einem
garten und vorhoffe befrietigen soll und magh
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
8 Freihof der Familie Wentrup in Hille-Rothenuffeln. Das Hauptgebäude ist eines der wenigen noch erhaltenen Herrenhäuser
der Freihöfe aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Johann Wentrup ließ es 1581 wenige Jahre nach Erhalt seines Freibriefes als
zweigeschossigen Steinbau errichten. Im 18. Jahrhundert (um 1779?) modernisierte man diesen Bau mit einem flacheren
Krüppelwalmdach.
9 Freihof der Familie Wentrup in Hille-Rothenuffeln. 1849 entstand ein neues Wirtschaftsgebäude, an die südliche Traufe des
alten herrschaftlichen Steinhauses angefügt.
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368
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Unnd haben Ihm daneben die begnadung wiederfahren laßen das ehr und seine Erben dieselben Dienst:
Schatz und andere uflage frei, mit sambt aller
des 17. Jahrhunderts unterhielten die Nachfahren der
Bauherren auch noch einen Stadthof in Minden, sodass das Herrenhaus von ihnen wohl nur zeitweilig als
Successorn wollen Ihm und seinen erben dieser unße-
worden ist. Erst nachdem das Gut in Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten und verschiedener Erbschaften
zu einem üblichen und von den Eigentümern selber
bewirtschafteten Bauernhof geworden war, entstand
1849 ein unmittelbar an das alte Herrenhaus angebautes Wirtschaftsgebäude, wodurch man ein Wohn-
gerechtigkeit deß orts in Holtz und grase, wie daß
nahmen haben konthe, jegen jemantz einkerr und
hlnderung gebrauchen sollen undt mögen und damit
gleich anderen Ihren erb: und eigentumblichen güttern geberen, und nach willen und gefallen thuen
und laßen sollen und mögen, und wir von unsere
rer vergoestigungk freiheit und begnadigung kennig
und geständig herent und wehrent Wesen, so offt des
von uns erfürdert wirt, Deßen in Urkundt haben wir
diesen brieff auf eigene Handt untergeschrieben und
unßer Fürstlich InsiegelI daran wißentlich hangen
laßen Der gegeben im Jahr nach Christi Unsers erlösers und Salichmachers geburtt, Im Tausent, fünfhun-
dert und siebenzigsten Jhare an dingstage nach
Visitationis Maria virginis Hermannus postulatus min-
densis e Maria propria.50
Es gelang Daniel Kriete seinen Hof in den Tilosen
boven dem Solenwege zwischen 1580 und 1592
durch Zukäufe von Wiesen und Ackerflächen zu
erweitern.51 Die spätere Geschichte dieses Freihofes
konnte allerdings bislang nicht nachvollzogen wer-
den. Im Hauptregister der Vogtei Landwehr wird 1667
unter Eißbergen der Churfürstlch freyer Meyer (später
Eisbergen Nr. 1) Henrich Kriete aufgeführt,52 doch ist
es fraglich, ob diese Hofstätte identisch mit dem
Freihof des Daniel Kriete ist, da die Fluren mit der
Bezeichnung Im Tilosen etwa 5 km entfernt liegen.
Sommerhaus oder von Teilen der Familie bewohnt
und Wirtschaftsgebäude in Form eines T-Hauses
schuf.
Barkhausenscher Hof in Minden-Aminghausen
Rußkamp 2, heute Bauernhof
Die Geschichte dieses Freihofes ist bislang erst in
Bruchstücken ermittelt worden.
1754 ist der Barckhausen Hoff einer von zwey freye
Höffe in Aminghausen, so die freyheit erhalten, und
davor bezahlet haben54 Wann dies geschah, wird
nicht überliefert, so dass über die Gründungsge-
schichte des Hofes bislang nichts bekannt ist.55 Eine
auf der Hofstätte noch erhaltene und 1583 datierte
Spolie aus Sandstein, vermutlich Teil eines Wandka-
mins, zeigt das Wappen des Mindener Bürgermeister
Johan Sobbe (um 1524 Hameln - um 1592 Minden).56
Es ist durchaus vorstellbar, dass dieser Johann Sobbe
die Rechte zur Anlage eines Freihofes erhalten hatte.
In den 1676 und 1678 erstellten Katasterregistern
werden Johan Dencker, später Barckhusen jetzo
Wentrupsches Hofgut in Hille-Rothenuffeln
Am Mühlenbach 7, heute Bauernhof
Exemplarisch konnte die Geschichte der Familie (von)
Wentrup und die Entwicklung ihres Haus-, Land- und
Grundbesitzes als Aufstieg und Niedergang einer
Beamtenfamilie untersucht werden.53 Daher reicht es
hier, die wesentlichen Informationen zu ihrem Freihof
in Rothenuffeln bei Hille (Kr. Minden-Lübbecke) zusammenzufassen: 1578 erhielt der Mindener Syndi-
kus Johann Wentrup aus Dankbarkeit für seine
Dienste von seinem Herren, dem Mindener Bischof
Hermann von Schaumburg, einen Freibrief. Hiermit
konnte er zwei bisherige Bauernhöfe in Rothenuffeln
(Hille, Kr. Minden-Lübbecke) zu einem Gutshof
zusammenfassen. Schon unmittelbar danach begann
er mit dem Bau eines 1581 fertig gestellten herr-
schaftlichen Wohnhauses. Freistehend, zweigeschossig und mit massiven Umfassungswänden ausgeführt
entsprach es der zeitgenössischen Bauform kleinerer
Herrenhäuser. Es erhielt um 1645 noch einen bemer-
kenswerten, neu mit Malereien ausgestatteten Raum
im Obergeschoss, der als Amtsstube genutzt wurde.
Abgesetzt hiervon gab es ein 1674 nach Brand erneuertes Wirtschaftsgebäude, das offenbar dem Pächter
der Landwirtschaft übergeben wurde. Bis in die Mitte
10, 11 Zwei Werksteinspolien sind die letzten baulichen
Zeugnisse des Barckhausenschen Freihofes in MindenAminghausen. 10 Auf dem Bruchstück einer Kaminplatte
befindet sich die Jahreszahl 1583 und das Wappen des
Mindener Bürgers Johann Sobbe.
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
11 Ein im oberen Teil zerstörter Ofenstein zeigt beidseitig einer sechsblättrigen Rose die Initialen von H(einrich) B(arckhausen)
sowie im oberen Teil die Reste einer Datierung des 17. Jahrhunderts.
Johan Hinrich Rösener als Eigentümer des Freihofes
genannt.57 1 672 läßt Heinrich Rösener von
Aminghausen, sonsten auch Barckhausen genand
seine Tochter beerdigen. Den 1.6.1677 sindt zu
Aminckhausen auff des Vogts hoffe copuliert worden
Caspar Heinrich Riepe (?), Jobst Riepen (?)
Bürgermeisters zur Bückeburg ehelicher Sohn undt
Anna Dorthea Catri na Rosen ers Seel. Heinrich
Röseners zu Aminckhausen nachgelassene Tochter.
Das erste in den Quellen eindeutig als Freisass
bezeichnete Mitglied der Familie war allerdings erst
Johan Heinrich Barckhausen gen. Rösener, der 1678
die Pastorentochter Sophia Catharina Elisabeth
Mebesia heiratete.58 1 837 heiratete die Anerbin
Sophie Eleonore Barkhausen, verwitwete Klöpper, in
zweiter Ehe Carl Friedrich Schäkel. Bis heute befindet
sich der Hof im Besitz der Familie Schäkel.
Über Art, Größe und Gestalt der auf dem Freihof zwi-
schen dem 17. und 19. Jahrhundert bestehenden
Bauten ist nichts bekannt. Das 1871 neu als Längs-
dielenhaus errichtete Haupthaus des Hofes ist schon
1910 abgebrannt; der danach errichtete Neubau ist
ein Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit einer Grundfläche von etwa 34 x 17 m.
Freihof in Hille-Eickhorst, Hiller Straße 36
seit 1655 Burgmannshof, heute Bauernhof
Nach der älteren örtlichen Geschichtsüberlieferung
kam das aus dem 13. Jahrhundert stammende Hofgut
Echhorst nebst Höfen, Kotten und Eigenbehörigen
1335 von der Familie von der Horst als Pfand in den
Besitz der Familie von der Sioen. In der Folgezeit sei es
in den Besitz der von Sioen gen. Tribbe und von diesen auf die Familie Derenthal gekommen.59
Grundlage des erst später mit Burgmannsrechten belegten Hofes bildete aber nach Aktenlage des 17. und
18. Jahrhunderts die 1626 erfolgte Zusammenlegung
der beiden Bauernhöfe Korff und Meyer durch deren
Grundherr und Eigentümer Reinike Amelingk von
Schlön gen. Tribbe,60 der 1628 als Besitzer der Fiegenburg bei Börninghausen (Preußisch Oldendorf) belegt
ist.61 Seine Söhne Hieronymus Henrich und Johan
Philip Tribbe werden um 1640 als Besitzer der Fiegenburg und eines Burgmannshofes in Lübbecke ge-
nannt. Zu dieser Zeit wurde ihr Vater Reinike Amelung
von Schloen gen. Tribbe nicht mehr erwähnt. Er nutz-
te möglicherweise die zusammengelegte Hofstätte
bei Eickhorst als Leibzucht, eine Vermutung, die sich
aus dem Aktenvermerk ergibt, er habe die Höfe
zusammen in einen Corpus gezogen und Persönlich
bewohnt.62
1655 erwirbt der mindische Vizekanzler Daniel Ernst
von Derenthal den Hof, der ihm dann vom Kurfürst
Friedrich Wilhelm von Brandenburg in Ansehung seiner treuen gehorsamen Dienste als Burgmannshof
eingestuft wurde. Er sollte als freier Burgmannshof
die gleichen Gerechtigkeiten besitzen wie andere zum
Petershagen und Hausberge belegene Burghöfe. Ob
von Derenthal den erworbenen Hof in Eickhorst allerdings jemals bewohnte, ist bisher ungeklärt. Zu seinem in Minden nachgewiesenen Stadthof in der Ritterstraße erklärte Derenthal 1650, dass seine Familie
369
370
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
diesen Hof seit 16 Jahren nicht mehr bewohnt hätte.63
Dieser wäre auf 20 Jahre an den Postmeister vermietet. Derenthal wohnte zu dieser Zeit als Vize-Kanzler
in Petershagen, wo bis 1669 auch die Regierung des
Fürstentums Minden untergebracht war.64
Nach dem Tod des Vizekanzlers von Derenthal ver-
kauften seine Kinder und Erben am 23. Juli 1682
ihren mit einer newen Mauwer umgebenen Burgmannshof für 5 800 Rthl. an Henrich Öxemann und
seine Frau Magdalene Agnese Tacken. Zu diesem Hof
gehörte ein Wohnhaus, das Vorwerk, ein Backhaus
und ein kleiner Stall, Kirchenstühle in Hille, 4 Fischteiche, Gärten, 74 Morgen zins- und zehntfreies Erbland, 9 Wiesen, Wald in den Netteistädter Bergen,
freie Erbäxte in der Lübber Mark, freie Hude und
Weide in der Eickhorster Bauerschaft und die auf dem
Felde gelegene freie Windmühle, mit allem was dazugehört, niet und nagelfest, davon niemand etwas zu
geben als jährlich einen Reichsthaler an das Amtsregister zu Hausberge.
Durch kurfürstliche Verfügung wurde 1684 die
Steuerfreiheit des Hofes aberkannt und bestimmt,
dass Öxemann fortan jährlich 1 Rthl. 12 gr. Abgaben
zu zahlen habe. Anscheinend reagierten Henrich Öxemann und Magdalene Agnese Tacken 1686 auf diese
Infragestellung ihrer Burgmannsgerechtigkeit mit
ven Wohnhauses. Wie der Plan des kurz zuvor im
Jahre 1680 auf dem Rittersitz Fiegenburg errichteten
Herrenhauses zeigt, steht der Neubau der Ochsmanns
dieser Ausführung in keinem Punkt nach.
Die Frage, wie die Öxemanns den Ankauf des Hofes
und den Neubau des Herrenhauses finanzierten, war
den Zeitgenossen bekannt, nicht aber den späteren
Chronisten:65 Magdalena Agnesa Tacken, Ehefrau von
Henrich Öxemann, war Nichte des den Zeitgenossen
sehr bekannten, aber später in Vergessenheit geratenen, aus Herford stammenden und zuletzt in Venedig
lebenden Arztes Otto Tachenius (1610-1680).66 Als
Universalerben seines umfangreichen Vermögens
setzte er seinen 1666 geborenen Großneffen Johan
Gerhard Öxemann ein. Otto Tachenius forderte bereits vor dem Tod seine Erben auf, von dem Vermögen
einen geeigneten Hof anzukaufen, diesen durch Zukauf von Grundstücken zu erweitern und als Gutshof
zu betreiben.67
Heinrich Öxemann starb während oder kurz nach
Fertigstellung des Neubaus. Seinen Kindern und deren Vormünder gelang es, die Burgmannsgerechtigkeit und die damit verbundenen Freiheiten durch ein
königliches Privileg vom 15./25. Januar 1693 bestätigen zu lassen.68 1 721 ist Carl Gerhard Öxemann
Eigentümer des Hofes.69
dem Neubau eines großen zweigeschossigen, massi-
12 Auf dem „Öxemannschen Burgmannshof" in Hille-Eickhorst blieb das 1686 für Henrich Öxemann und seine Frau errichtete Herrenhaus erhalten. Auf der Ansicht von Nordwesten ist im Vordergrund der Bereich zu erkennen, an dem sich nach
Norden im rechten Winkel das um 1917 abgebrannte Vorwerk anschloss (siehe die eingetragene gestrichelte Linie).
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
13 Um 1680 wurde anlässlich des Neubaus des Herrenhauses ein Grundplan des gesamten Rittersitzes Fiegenburg in
Lübbecke-Börninghausen gezeichnet. Während die eine Seite des rechteckig umgräfteten Platzes von dem so genannten
Vorwerck, dem landwirtschaftlichen Hauptgebäude mit Diele und einer Pächterwohnung am unteren Ende eingenommen
wird (links), stellte man das Herrenhaus an die andere Seite (rechts). Das Herrenhaus weist mit dreizonigem Erdgeschoss einen
ähnlichen Grundriss wie der nur wenig später errichtete Neubau auf dem Öxmannschen Burgmannshof in Hille-Eickhorst auf.
1745 wurden Wertgutachten über des Hern Oexe-
manns Wohnhaus in Eickhorst durch die beiden
(Maurer-)Meister Johan Andreas und Coron Zimmermeister Hirsche angefertigt.70 Sie erhalten zusammenfassend folgende Angaben zu den vorhandenen Ge-
bäuden: Es gibt ein zweigeschossiges (wohl 1686
errichtetes) Wohnhaus mit massiven Umfassungswänden, ein daran angebautes eingeschossiges und eben-
falls mit massiven Umfassungswänden errichtetes
Vorwerksgebäude sowie weitere kleine Wirtschafts-
gebäude und einen großen ummauerten Garten. Das
Wohnhaus ist 88 fuß lang und 49 fuß breit, mit 3 fuß
dicken Außenwänden und vier gewölbten Kellern. Im
Erdgeschoß befinden sich 3 Stubens mit Ofens, item
3 Cammers nebst einer großen Küche und Dehl. Im
Obergeschoß befindet sich ein Saal, ein Entree oder
Vorgemach, eine Stube mit einem Ofen und 2
Cammern. Der aus Fachwerk errichtete Westgiebel
war vollständig mit Bruchsteinen ausgefacht. Im rechten Winkel an den westlichen Fachwerkgiebel des
Wohnhauses war das 78 Fuß lange und 40 Fuß breite, eingeschossige Vorwerckshause angebaut. Es besaß 2 Fuß starke massive Außenwände, 14 Deckenbalken und im Inneren backsteinausgefachte Fach-
werkwänden. Außerdem befand sich auf dem Gut ein
Hause oder Wagen Schaur, ein Backhaus, Pferdestall
und ein wasche Häußchen. Um den Garten und Hoff
zog sich eine 1247 fuß (= etwa 392 m) lange und 12
fuß (etwa 3,75 m) hohe Bruchsteinmauer. Zwey
gewölbte Brücken führten über Bach und Fischteich
auf den Hof.
Das revidierte Kataster über die 45 Hofstätten umfassenden Bauerschaft Eickhorst von 1754 nennt unter
der Nr. 19 den freyen Jobst Ochsemann. Dieser besitzt
26 Morgen zehntfreies Ackerland, 2 Kühe und 3
Rinder.71 1769 betragen seine jährliche Gesamtabgaben 25 Rthl. 3 Ggr.72 1 801 ist Amtmann Gaden als
Besitzer vom Eickhorster Freyhoff genannt. Das Gut
wird auf 11 997 Rthl 22 Ggr. taxiert. Nach dem Abzug
der jährlichen Abgaben in Höhe von etwa 55 Rthl.
konnte in diesem Jahr ein Reingewinn von 479 Rthl.
22 Ggr. erwirtschaftet werden.73 1816 wollte die Frau
Amtmännin (= Witwe) Gaden ihren ... freien Burgmanns, genannt Oesemanns Hoff, ... wiederum auf
mehrere Jahre verpachten.741851 gelangte das Gut
dann in den Besitz der Familie Peper, denen es bis
heute gehört.
371
372
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Gut Denkmal oder Tietzels Denkmal
Minden, Stiftsallee 109
Das Gut geht nicht auf Erteilung eines Freibriefes
zurück, sondern entstand erst 1777 aus der soge-
nannten Kuhtorschen Schäferei.75 Diese Anlage umfasste einen Schafstall und ein kleines Schäferhaus
und war um 1747 durch verschiedene Mitglieder der
Hudegenossenschaft eingerichtet worden, da sich die
Schafhaltung zunehmend als lukrativ erwies. Nachdem allerdings die bislang genutzten Gemeinheiten
um 1775 aufgeteilt wurden und sich daher die Anlage
als nicht mehr kostendeckend erwies, ließ sie die
Gemeinschaft 1777 versteigern. Den Zuschlag erhielt
der Mindener Kaufmann Johann Dietrich Valentin
Tietzel76 für 6 450 Rthl. (wobei sich der Reg. Rat zur
Hellen in Vlotho bis 1786 mit 3 225 Rthl. als stiller
Teilhaber an dem Unternehmen beteiligte). Tietzel
wandelte die Schäferei zu einem Gutsbetrieb, wobei
er schon unmittelbar nach der Übernahme begann,
hier zahlreiche neue Gebäude zu errichten. Bemerkenswert war insbesondere das große Haupthaus von
Fachwerk, das den Vorstellungen eines Längsdielen-
hauses folgte, aber auch mit einem weitläufigen
Wohnteil als Sommerwohnung des Besitzers versehen
war. Nach den erhaltenen Fotografien des 1972 abge-
brochenen Hauses handelte es sich um ein ungewöhnlich großes und mit 42,80 m sehr langes Vier-
ständerhallenhaus mit Steilgiebeln. Das Tor der Diele
im Wirtschaftsgiebel war nicht ganz mittig, so dass
davon auszugehen ist, dass das rechte Seitenschiff
breiter ausgeführt war. Am Torbogen bestand eine
Inschrift mit der Datierung 1778. Das Wohnende war
mit einem fünfachsigen Giebel gestaltet, wobei der
erwähnte Saal im Dach drei Fenster in dem nur in der
Spitze verbretterten Dreieck erhielt. Nach Vergleich
der kurz nach der Errichtung angefertigten Baube-
schreibung77 mit dem letzten Zustand ist davon auszu-
gehen, dass der Bau in zwei Abschnitten errichtet
14 Gut Tietzel bei Minden. Als Ersatz für die zwei beidseits
des Zufahrtsweges stehenden Wirtschaftsgebäude (Schafstall und Viehhaus) baute man1904 einen 33 m langen und
10,5 m breiten Wirtschaftsflügel an das alte Hauptgebäude
an.
worden ist, wobei der Wohnteil offenbar nachträglich
um drei Zimmer verlängert wurde.
Bis 1805 wurden auf dem Gut insgesamt sieben größere Gebäude errichtet.
Auf einer Geburtstagsfeier des Bauherren im Mai
1797, zu der er viele Gäste auf sein Gut eingeladen
hatte, erhielt das Gut seinen bis heute prägenden
Namen: Tietzels Denkmal, woraus später auch die
15 Gut Tietzel bei Minden. Das Hauptgebäude wurde 1778 als Fachwerkbau in der Form eines Längsdielenhauses errichtet.
Zustand vor dem Abbruch 1956.
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
16 Carl Georg Tietzel lebte in dem ausgedehnten Wohnteil des Haupthauses von Gut Tietzel. Die Fotografie zeigt ihn als
Gutsbesitzer mit seiner ersten, 1866 verstorbenen Ehefrau Wilhelmine und ihren ältesten Kindern Hermann und Johanna.
Bezeichnung „Gut Denkmal" wurde. In der Entfernung einer halben Stunde, auf die Westseite von
auf dem er einen Namen für das Gut vorschlug. Der
zweitälteste Sohn las die Vorschläge vor und Tietzel
Häuschen und ein Schaaf stall stand, wo der schlech-
Vorschlag „Tietzels Denkmal".
Christian Gottlieb Tietzel (1769-1818), die 2. Gene-
Minden befindet sich ein Platz, die Kuhthorsche
Schäferey genannt, allwo vorzeiten ein kleines
teste Heideboden und nichts als unfruchtbarer
Heidegrund anzutreffen war Dieser Boden ist durch
unermüdlichen Fleiß, durch richtige Behandlung und
durch den schöpferischen Geist des Herrn Johann
Dietrich Valentin Tietzel zu einem irdischen Paradies
umgeschaffen worden, so daß, wo sonst wilder Heideboden, jetzt die schönsten nutzbarsten Anpflanzungen, wo sonst Sümpfe und Moraste, jetzt die blühendsten Fluren, wo sonst ein Schäferstall, jetzt die
ansehnlichsten Gebäude prangen, und jetzt also das
ganze eines der schönsten Landgüter ist. [...] Voll
Heiterkeit und Vergnügen, aber auch voll Ernst
beschloß die ganze Gesellschaft, das dieser ehemalige
Schafstall, dieses jetzige Elisium, nicht mehr Tietzels
Schäferey müsse genannt werden, sondern es verdiene einen Nahmen, welches der Entstehung deseiben
und seines Urhebers angemessen sey; und die
Gesellschaft verband sich, dieses nunmehrige
Landgut zu taufen. Der Eigentümer fand die Idee gut,
man bildete einen Kreis und jeder bekam einen Zettel,
senior entschied sich mit lauter Stimme für den
ration auf dem Gut Denkmal, erbte nicht das Gut,
sondern hat es 1797 von seinem Vater für 20 400 Rthl.
erworben. Der junge Tietzel zog sich aus der Stadt
zurück und betätigte sich fortan ebenso wie seine
Nachfahren als Gutsbesitzer; zugleich übernahm er
zahlreiche Ehrenämter. Den städtischen Handelsbetrieb baute sein Bruder Johann Dietrich Tietzel unter
eigener Regie weiter erfolgreich aus. Der Gutsbesitzer
Carl Georg Tietzel, die dritte Generation, war ab 1849
für über 50 Jahre Gemeindevorsteher von Minder-
heide und bekleidete in den Jahren 1872/82 auch das
Amt eines Provinzialabgeordneten.
Seit dem frühen 20. Jahrhundert wurde der Gutsbe-
trieb durch Verwalter geführt. 1955 wurde der gesamte im Bereich der sich ausweitenden Stadt Minden
gelegene Betrieb aufgegeben und von den nicht mehr
vor Ort lebenden Erben verkauft,78 wobei später alle
bestehenden Bauten abgebrochen wurden, so dass
die von altem Baumbestand umgebene Hofstelle
heute wüst liegt.
373
374
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Gut Kuhlenkamp
Minden, Stiftsallee 100
Das Gut befand sich in unmittelbarer Nähe zu Tietzels
Denkmal und entstand ebenfalls aus einer der Schäfereien vor der Stadt.79 Die Marienthorsche Schäferei
bestand 1781 aus einem Wohnhaus, Scheune und
Schafstall, die zusammen für 488 Rthl. veranschlagt
wurden. Nachdem die Mindener Fluren um 1775
separiert wurden, scheint man zwar auch hier die
gemeinsame Hude aufgegeben zu haben, doch wurden die Gebäude nicht verkauft, sondern durch die
Genossenschaft zunächst verpachtet. Erst 1827 wurden die Gebäude durch die Hudegenossenschaft zur
Gut Rodenbeck
bis 1908 Trippeldamm 47
Nachdem Grund und Boden zu einem freien Wirtschaftsgut geworden war, nutzte der aus Schmoditten in Ostpreußen nach Minden spätestens 1798 zugezogene Kaufmann Friedrich Wilhelm Seydel80 die
neuen rechtlichen Möglichkeiten und begann 1814
mit dem Aufbau eines Gutsbetriebes vor der Stadt
Minden. Hierzu erwarb er zunächst 210 Morgen Land
von Herrn von Bessel in der sogenannten Roden-
Stall an. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
beck.81 Zudem konnte er städtische Ländereien einschließlich einer Schäferei für 121 Thl. pro Jahr anpachten (dies konnte er erst 1826 von der Stadt für
2 975 Thl. erwerben). Erklärtes Ziel war offensichtlich
die Schaffung eines repräsentativen Gutsbetriebes,
denn schon 1820 lebte er in seinem inzwischen fertig
gestellten neuen Gutshaus. Es war nach seinen eigenen Plänen errichtet worden und dokumentiert in seiner für Häuser im Raum von Minden eher ungewöhnlichen Konzeption und Gestalt wohl seine heimatlichen Vorstellungen von Architektur. Das Haus wurde
als eingeschossiger und verputzter Massivbau über
Gutsgelände wurde nach 1934 nach und nach völlig
Untergeschoss und mit nicht ausgebautem Satteldach
Finanzierung des Ausbaus der heutigen Marienstraße
an einen Herrn Koch verkauft, der sich schon kurz
danach als Gutsbesitzer Koch bezeichnete und die
Anlage zu einem großen landwirtschaftlichen Anwesen ausbaute. Bis 1874 wuchs der Gebäudebestand
auf ein Wohnhaus/Oekonomiegebäude mit Anbau,
zwei Scheunen, Schweinehaus, Wagenremise, Remise
und Göpelschuppen sowie ein Heuerlingshaus mit
wechselte das Gut mehrfach den Besitzer. Das
besiedelt, wobei zunächst bis 1938 die Siedlung
Kuhlenkamp entstand (seit 1952 erweitert). Heute ist
der Gutshof verschwunden.
hohem und nur wenig in den Boden eingetieftem
über einer Grundfläche von 34,50 x 15,40 m aufge-
führt. Die Front wurde elfachsig und mit mittlerer
Haustür gestaltet, der ein Vorplatz mit geschwungener Freitreppe vorgelegt ist.
17 Gut Rodenbeck bei Minden. Ansicht des 1816/20 errichteten Gutshauses, das in seiner Gestalt als eingeschossiger
Massivbau über hohem Kellersockel an Vorbilder der Barockzeit erinnert. Rechts an der Traufe ein Renaissanceerker, der von
einem Mindener Bürgerhaus stammte.
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
18 Gut Rodenbeck bei Minden. Erdgeschossgrundriss des 1816/20 errichteten Gutshauses (Bestandsaufmaß von 1948).
19 Gut Rodenbeck bei Minden. Das Foto anlässlich des Erntefestes 1931 auf Gut Rodenbeck zeigt die Gutsherren mit ihren
Familienangehörigen und anderen auf der Anlage lebenden Mitarbeitern.
1836 umfasste das Gut Rodenbeck Wohnhaus, Windmühle, Rossmühle, Brennerei, Stall und Scheune und
ferner das 1835 durch Seydel neu errichtete Förster-
haus im Nordholz, alles zusammen mit 6000 Rthl.
taxiert.
Die drei Söhne des Kaufmanns Friedrich Wilhelm
Seydel gingen verschiedene Wege: Der älteste Sohn
Fritz erbte das Gut Lehnarten in Ostpreußen, das sein
Vater schon 1810 erworben hatte. Der zweite Sohn
Karl Theodor erbte das Gut Nordholz bei Petershagen,
zog dann aber aus Minden fort und war später Regierungspräsident von Sigmaringen und zuletzt Oberbür-
germeister von Berlin. Der jüngste Sohn Ferdinand
erbte Gut Rodenbeck, zog aber nach Minden in die
375
376
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
20 Gut Masch bei Minden. Das 1846 als zweigeschossiger Fachwerkbau errichtete Gutshaus ist schon 1881 wieder abgebrochen worden. Es ist nur durch eine um 1870 entstandene Ansicht von Südosten überliefert. Das Obergeschoss erhielt als herr-
schaftliche Wohnung einen umlaufenden Balkon.
Stadt und verkaufte das Gut 1890. Käufer wurde Otto
Quante. Seine Witwe verkaufte das Gutsgeiände an
die Stadt Minden, die hier ab 1938 die Siedlung
Rodenbeck auswies. Das Gutshaus blieb noch bis
1960 erhalten und wurde zuletzt von der Stadt als
Mietshaus genutzt.
Gut Masch
abgebrochene Gutshaus ist nur aus einer Zeichnung
und einer Beschreibung bekannt. Danach war es ein
zweigeschossiger Bau mit einem recht flach geneigten Satteldach. Während das Erdgeschoss in traditio-
neller Weise eine befahrbare Diele mit seitlichen
Ställen und einen Wohnteil für den Pächter/Wirtschaf-
ter erhielt, nahm das sowohl über eine Innen- wie
eine Außentreppe erschlossene Obergeschoss Wohn-
Minden, südlich Viktoriastraße 18
räume der Familie von Progrell für einen sommerlichen Aufenthalt auf und erhielt einen umlaufenden
Ufer der Weser. Das Gut Masch ist aus einem seit dem
Balkon.
Der Betrieb liegt östlich der Stadt auf dem anderen
Mittelalter zu belegenden Vorwerk hervorgegangen,
das Teil des Güterkomplexes des Domstiftes war.
Zuletzt war 1846 das hier stehende Wohnhaus an den
Steinhauer Karl Bock vermietet. Wohl im gleichen Jahr
wurde das Gut vom preußischen Staat an Stadtmajor
Leopold von Pogrell verkauft, der in dem Haus Markt
6 lebte und dort ein großes Handelsgeschäft unterhielt.82 Schon 1846 wird erstmals die Pogrellsche
Oekonomie genannt. In den nächsten Jahren gelang
es, das Gehöft durch Ankauf von weiterm Land zu
einem Gutsbetrieb auszubauen, so dass das Gut 1859
25 Morgen umfaßte.
Von Pogrell soll das Gut in erster Linie zur Versorgung
seiner ältesten und kranken Tochter Helene erworben
haben. Daher wurde das gesamte Gut schon 1861
nach ihrem Tode wieder verkauft.
Auf dem Gut wurde offenbar nach dem Ankauf 1846
im Auftrag von Leopold von Pogrell ein neues Gutshaus errichtet. Wegen der Lage im Rayon der Mindener Bahnhofsfestung konnte dieses nur als Fachwerkbau ausgeführt werden. Das schon 1881 wieder
1877 gelangte der Besitz an den durch Industrie-
ansiedlung vertriebenen Gutsbesitzer Heinrich Pleuger
aus Bochum-Stockum. Nach Auflösung der Festungs-
werke 1879 und mehreren schweren Weser-Hochwassern 1880/81 entschloss sich Pleuger zu einem
Neubau des Gutshofes auf dem nördlich anschließenden, hochwasserfreien Grundstück Viktoriastraße 18
im ehemaligen Festungsgraben. Nachdem eine noch
am alten Standort stehende Scheune des Gutes 1894
abbrannte, fiel der alte Siedlungsplatz endgültig wüst.
Anmerkungen
1 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4.
Leipzig 1863.
2 Einer der wenigen Ausnahmen, in denen sich für ein Gut
umfangreiche Archivbestände über Jahrhunderte überliefert
haben, ermöglichte die aufgrund ihrer Dichte und Vielfalt
der berücksichtigen Aspekte höchst anregende Studie über
das Gut Neuhof bei Petershagen nördlich von Minden:
Bernd-Wilhelm Linnemeier, Ein Gut und sein Alltag. Neuhof
an der Weser. Münster 1992.
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
3 Minden-Aminghausen, Duxscher Freihof (Freibrief vor
Heubtmhan zum Hauß Berge unnd lieben getreuwen Erich
1563), heute Bauernhof. Porta Westfalica-Lohfeld, Hof «rie-
Duxen umb geleisteder getreuwer dienste willen Ihme die
te (Freibrief von 1570) unklare Lage. Bückeburg-Cammer,
Cammerhof (Freibrief vor 1576), später Schaumburg-Lippi-
Jerlichen freien ausfur unnd Pflicht an seinem Freien Hove zu
Bauernhof. Hille-Eickhorst, Freihof (Freibrief von 1655/1686),
Aminckhausen gnedlich erlassen und nachgeben haben,
also das solches mitt unserem gutten wissen unnd willen,
wan sein mahlkorn in der rechnung nitt befunden geschehen und ausgelassen sey Ahne geferde, zu Urkunde haber
wir diese unsere bewilligunge mitt eigener Handt unther-
später Bauernhof. Gut Kuhlenkamp (ab 1827 auf freiem,
schrieben, unnd Mitt unserem fürstlichen Secrett bevestigen
angekauftem Land angelegt), später abgebrochen. Gut Tiet-
lassen, Geben zum Peterßhagen den sechsten July, AO p63
zels Denkmal (1778 auf freiem, angekauftem Land ange-
(Abschrift der Urkunde in LAV NRW W, RKG K Nr. 1027, Bl.
legt), später abgebrochen. Gut Rodenbeck (um 1820 auf
freiem, angekauftem Land angelegt), später abgebrochen.
Gut Masch (1846 auf freiem, angekauftem Land angelegt),
26).
später abgebrochen.
setzte Thomas Duvelshöft syn hues stede vnd alle des thobe-
4 Im Pfarrarchiv Frille (Petershagen, Kr. Minden-Lübbecke).
horinge belegen jn der Beckerstratenn twusschen Erick Dux
5 Vor allem aus dem Bestand „Fürstlich Schaumburg-
vnd Wedekynck Smedes husen dem Johann Sobbe als Pfand
Lippisches Hofkammerarchiv" im Landesarchiv Bückeburg
(KAM, Mi, A I, Nr. 636).
(fortan zitiert als LAV Bü) sowie Bestand „Kriegs- und
12 Erich und dessen Bruder Heinrich Dux, genannt Minder,
sche Meierei. Hille-Rothenuffeln, Wentrupsches Hofgut
(Freibrief von 1579/81), heute Bauernhof. Minden-Aminghausen, Barkhausenscher Hof (Freibrief von 1583?), heute
10 NLA Bü, L 0 c Bd. 3 Nr. 370.
11 Es lag neben dem Haus von Thomas Düwelshoft. 1558
Domänenkammer Minden" und den Akten des Reichskam-
konnten 1556 gegenüber dem Kölner Ritter und kaiserli-
mergerichtes im Staatsarchiv Münster, heute Landesarchiv
NRW, Abt. Westfalen (fortan zitiert als LAV NRW W). Weitere
Akten im Stadtarchiv Minden im Kommunalarchiv Minden
chem Rat Dr. Matthias Held glaubhaft machen, dass sie von
Franz I., Bischof zu Minden (1508-1529), Herzog zu Braun-
(fortan zitiert als KAM, Mi).
schweig und Lüneburg gezeugt sind und von einer ledigen
Person außerhalb der Ehe (vermutlich N. von Halle, eine
6 Dafür unterwarf man sich in einigen Fällen sogar der über-
Schwester des Dompropstes Thomas von Halle), abstammen.
lieferten Rechtsform der Burgmannsgerechtigkeit, die im
Mittelalter zur Verteidigung einer Stadt eine ganz andere
Bedeutung gehabt hatte, als in der 2. Hälfte des 17. Jahr-
Held, der das Recht hatte, unehelich Geborene zu legitimie-
hundert auf dem platten Land. Es gab auch Nichtadelige, die
Lüneburg ergaben sich daraus nicht, weil Bischof Franz darauf bereits verzichtet hatte. Die Brüder Dux ließen sich auch
Lehngüter, und Adelige, die Freihöfe erwarben, ferner gab
es landtagsfähige Rittergüter, die zu Freihöfen absanken,
und Freihöfe, die zu landtagsfähigen Rittergütern erhoben
wurden.
7 Bereits 1649 musste die Witwe Anna Dux den neuen
ren und ehelich Geborenen rechtlich gleichzustellen, legitimierte die Beiden. Ansprüche an das Haus Braunschweig-
ein eigenes Wappen anfertigen: Zwei aufeinander zuschrei-
tende Löwen mit ausgestreckten Pranken, aufgetanen
Mäulern und blauen Zungen.
Behörden die Steuerfreiheit ihres Hofes belegen (siehe hier-
13 Das 1551 datierte Epitaph vom Dompropst Thomas von
Halle ist im Mindener Dom erhalten. Sein Sohn Diedrich von
zu im Folgenden).
Halle (er war im Januar 1537 sieben Jahre alt), einziges Kind
8 LAV NRW W, RKG 0 307. In einem Schreiben vom
29.12.1681 an die „Mindener Accis=Directonio" (Steuerbehörde) erklärt der Kurfürst Friedrich Wilhelm, dass sich im
Fürstenthumb Minden ... unterschiedliche gefunden, die
sich für Steuer frey gehalten und dahero von Ihren Gütern,
gleich andern dero Unterthanen weder zu dem ordinär noch
extraordinär Contributionen etwas beygetragen, worüber
die andern sich beklaget. Er fordert deshalb eine genauere
Untersuchung und examination aller solcher Exemten und
aller anderen die bisher für Steuer frey gehalten. Diejenigen,
die Brieffe und Siegel! ihrer Freiheiten in Abschriften vorlegen könnten, sollen mit allem Fleiß examiniret werden. Alle
anderen sollen nach Ermessen der Steuerbehörde veranlagt
werden. Die Anzahl der hierbei insgesamt überprüften steu-
erfreien Höfe wird in der Akte nicht vermerkt. Aus der
Aufzählung ergibt sich aber, dass es mindestens 16 Höfe
gewesen sein müssen.
9 Von Gottes gnaden, Wir Georg Confirmirter der Ertz unn
Stiffe Bremen unnd Minden, Administrator zu Verden,
Hertzog zu Braunschweig unnd Leunneburgk ect Bekennen
hiemitt vor unß unnd Jedermenniglich, das wir unserem
aus der Ehe mit Anna Borries, starb 1559 in der Schlacht bei
Heide und wurde im Chor der Kirche von Meldorf bestattet
(J. Hanssen und H. Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen,
Hamburg 1833, S. 340).
14 In der Lübbecker Andreaskirche ist das Epitaph der Anna
Borries, Witwe des Thomas von Halle (1514 - 9.2.1593
Lübbecke) erhalten.
15 NLA Hannover, Cal. Br. 15 Nr. 1028. Die umfassende Akte
wurde aus konservatorischen Gründen bis auf weiteres
gesperrt, so dass eine ausführliche Auswertung nicht möglich ist.
16 Dazu siehe: Helga-Maria Kühn, Eine „unverstorbene
Witwe". Sidonia Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg gebo-
rene Herzogin von Sachsen 1518-1575. Hahnsche Buchhandlung. Hannover 2009 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Band
247).
17 Seine Witwe Katharina von Dassel zog auf ihr Altenteil.
1592 stand ihr ein halber Hof auf Pattensen wegen ihrer Ehe
mit Curdt Warncke zu (NLA Hannover, Cal Br. 8 Nr. 1592).
Unklar ist, ob der gleiche Hof gemeint ist bei Max Burchard,
377
378
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Die Bevölkerung des Fürstentums Calenberg. Göttingen ge-
zelfelde, Pfandhalter zu Wölpe und Uchte; verh. mit Agnesa
gen Ende des 16. Jahrhunderts. Die Calenbergische Muste-
von Ripperda (1577-08.10.1647 Steyerberg). Sein Grabstein
rungsrolle von 1585. Leipzig 1935. S. 11: Claus Weiger,
ist an und sein Epitaph in der Kirche Steyerberg erhalten
(Gebhard von Lenthe und Hans Mahrenholtz, Stammtafeln
Geboren zu Hohnstedt, hat einen an das Kloster Wiebrechts-
der Familie von Münchhausen. Rinteln 1976, S. 133). Statius
hausen gehörigen Weierhof von 5 Hufen, an dem Erich Dux
Witwe die Leibzucht zusteht.
war möglicherweise ein Bruder (?) des Hans von Münchhau-
18 Ulf-Dietrich Korn, Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt
sen, dem Inhaber des Freihofes in Cammer.
Minden. Die Stifts- und Pfarrkirchen (= Bau- und Kunstdenk-
mäler von Westfalen, Band 50, Teil III). Essen 2003, S. 415-
34 NLA Bü, F 3 Nr. 833 (alte Signatur L 1 III D Nr. 51a F 1):
Kaufkontrakt zwischen den von Münchhausen und von Vels-
416.
trum über den Kammerhof... 1629.
19 Hans Seehase, Ehesachen vor dem Reichskammergericht.
35 NLA Bü F 2 Nr. 2920.
Die Ehe im Spannungsfeld zwischen Recht und Theologie
36 NLA Bü, K 1 M 90, S. 33, Der erhaltene Pachtbrief wurde
sowie zwischen Reich, Territorien und Kirche am Beginn der
von Graf Philip, Caroli Wippermann und seinem Bürgen
Neuzeit. (Diss.). Münster 1999. S. 60-63. Elisabeth Dux
erklärte 1600 in einem ausführlichen Bericht, dass sie von
Hermann Hecker gesiegelt.
37 NLA Bü, K 1 M 90, S. 41 Carl Wippermann ist der
ihren Eltern gezwungen worden sei, den Mindener
Schwiegersohn des abgetretenen Verwalter Lambrecht.
Stadtsyndicus Johannes Clare zu heiraten. Dieser habe ihrem
38 NLA Bü, K 1 M 90 S. 168ff.
Vater als Gegenleistung lukrative Geldgeschäfte verspro-
39 NLA Bü, K 1 M 92.
chen.
40 NLA Bü, K 1 M 92 Vol. III.
20 KAM, Mi, B 56 alt.
21 NLA Wolfenbüttel, 3 Alt Nr. 300.
41 NLA Bü, K 1 M 93.
22 Johan Schering, der zum Hasenkamp wohne und sich des
42 Als zwei wesentliche äußere Unterscheidungsmerkmale
zum bäuerlichen Wohnbau dieser Zeit sind die weithin sicht-
Thomas Duxens Hoff oder Guth, zum Bogen genant, alhir in
bare Pfannendeckung auf den Dachflächen und das Vorhandensein von zwei Aborten am Wohnteil zu nennen.
der Vogtey übern Stiege, Stifft Minden belegen eingehabt
43 NLA Bü, K 1 M 95 S. 40.
Ackerlandes ernähre, bestätigte ,daß seel. Hauptman
genoßen und besessen habe. Ein weiteres Zeugnis stellte der
über 60 Jahre alte, auf der Mindener Fischerstadt lebende
44 NLA Bü, K 1 M 97.
45 Da die Kenntnis über den Standort des herrschaftlichen
Hauses im Laufe der Zeit weitgehend verlorengegangen war,
Johan Rose aus. Er habe für 35 Jahren (also um 1614) bey
sei. Haubtmann Thomaß Duxen für einem Knecht vier Jahr
wurde der hintere Teil der alten Freihof-Stätte 2005 ohne
lang gedienet, In welcher Zeit keine dienste, contributation
archäologische Begleitung neu bebaut.
oder andere beschwer vom hoffe gangen (LAV NRW W, RKG
K Nr. 1027).
46 Es ist unklar, ob in dem heute rundum versteinerten Haus
möglicherweise noch wiederverwendete Bauhölzer aus den
23 Diesen habe früher (1563) Erich Dux besessen und gehö-
1776 abgebrochenen Bauten des Cammerhofes vorhanden
re jetzt dem Kläger (LAV NRW W, RKG K Nr. 1027).
sind.
24 Pfarrarchiv Frille.
47 Die Hofstätte erhielt erst zwischen 1906 und 1911 eine
25 Dies wird besonders durch die zahlreichen Kirchenbuch-
Hausnummer.
eintragungen in Frille deutlich.
48 LAV NRW W, KDK Minden 626.
26 Möglicherweise wohnte sie weiterhin auf der zum Hof
gehörenden und erst 1845 abgebrochenen Leibzucht. Am
Juli 4).
06.05.1836 heiratet ihre Tochter, die 35jährige Sophie Marie
49 LAV NRW W, Fürstentum Minden Urkunde Nr. 478 (1570
50 Auf der Rückseite ist zusätzlich vermerkt: nA No. 1 Fun-
Charlotte Schlichthaber vom Hof Aminghausen Nr. 7 den
datio des Höffes Tilose, undt Bischoffs Hermanni gegebene
24jährigen Carl Heinrich Rabe, Einlieger in Leteln.
gnädig Freiheit.
51 LAV NRW W, Fürstentum Minden Urkunden Nr. 505, 525,
27 Oberlandesgerichtsrat Jac. von Rappard, geb. 1770 in
Hamm, wohnte 1815 in seiner Mindener Stadtwohnung im
Haus Brüderstraße 20 (Haus 564 c). Siehe STA Dt, Grundakte Kreis Minden Bd. 1 Blatt 35.
28 KAM, MIB 1816, S. 611.
29 LAV NRW OWL, Grundakte Kreis Minden Bd. 1 Blatt 35.
30 PfA Frille.
31 NLA Bückeburg, L 1 Nr. 9497.
32 Der Vater Graf Otto IV. zu Holstein-Schaumburg regierte
von 1544 bis 1576, der Bruder Graf Adolf XI. zu HolsteinSchaumburg von 1576-1601.
33 Statius von Münchhausen (Februar 1582 - Steyerberg
10.6.1646) war ein Sohn von Hans von Münchhausen
(1550-602); 1622 Gräflich Schaumburgischer Geheimrat
und Landdrost zu Bückeburg, Herr auf Steyerberg und Ren-
527.
52 LAV NRW W, KDK Minden 595, BI.16R Kriete besaß 73
Morgen Land (davon 35 Morgen als schlecht bezeichnet), 4
Pferde, 2 Kühe und 1 Rind, und zahlte ZI gr. Giebelschoß.
Im Katasterprotokoll der Vogtei Landwehr von 1680 (LAV
NRW W, KDK Minden 558, S. 69 ff.) gab Henrich Crite
seinen Grundbesitz mit 79/2 Morgen an, davon 31 Morgen
freies Land und 43 Morgen zinspflichtiges Land auf der
anderen Weserseite. Kriete war leibfrey und dienet nicht.
27/2 Morgen waren an sieben verschiedene Gläubiger mit
insgesamt 810 Rthl. belieben. 3 Morgen von Otto Lübker
Sterbfal 60 ThL, 2 Morgen Johan Stemeyer 70 Thl., 4 Morgen Obristin Kreksch 100 Thl., 5 Morgen Johan Homöller
200 Thl., 8 Morgen Probst Pfeil 200 Thl., 3/2 Morgen Levin
Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden
Struckmeyer 100 Thl., 2 Morgen Jobst Powe 80 Thl.
53 Siehe hierzu: Peter Barthold, Der Wentrupsche Freihof in
Hille-Rothenuffeln. Zum Aufstieg und Niedergang einer
Mindener Beamtenfamilie, in: Der Adel in der Stadt des
Mittelalters und der Frühen Neuzeit (= Materialien zur Kunst-
70 LAV NRW W, KDK 304. Hintergrund der Taxation war,
dass Oexemann sein Eickhorster Gut als Kaution für die
Anpachtung der Hauß Himmelreichischen Pacht einsetzen
wollte. Der den Antrag prüfende Kriegsrat Rieschmüller
erklärte hierbei, dass auf dem Gut in Eickhorst keine
und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland, Band
Schulden haften würden. Der Wert des Gutes wurde mit
25). Marburg 1996, S. 37-58.
54 LAV NRW W, KDK Minden 595, S. 13r, 14.
11260 Rthl taxiert.
71 LAV NRW W, KDK Mi 490.
55 Heutige Adresse ist Minden-Aminghausen, Rußkamp 2
72 LAV NRW W, KDK Minden 2584.
(ehemals Aminghausen Nr. 8, kurzzeitig um 1832 auch
73 LAV NRW W, KDK Minden 292.
Aminghausen Nr. 7).
74 Kommunalarchiv Minden, MIB 1816. ...Zu diesem Hofe
56 Johann Sobbe war seit 1549 mit Anna Kohlwose (um
1528-1608?) verheiratet. In der Mindener Martinikirche ist
gehören 8O/2 Morgen der schönsten Saatländereien, 5
ein 1610 datiertes Epitaph der Familie Sobbe erhalten. Dazu
Johann Karl von Schroeder, Eine Nachfahrentafel Sobbe mit
Fischteiche, 2 Torfwiesen, jährlich 12 Fuder Brannt-Holz aus
der Lübbecker Mark.
Porträtdarstellungen aus dem Jahre 1610, in: Westfalen 47.
75 Zur Geschichte siehe die ausführliche Darstellung in Fred
Münster 1969, S. 131-133, hier S. 131, Abb. S. 132. Zuletzt: DI 46, Stadt Minden, Nr. 153 (Sabine Wehking), in:
www.inschriften.net.
Kaspar, Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Minden, Band V,
Teil 1: Minden außerhalb der Stadtmauern. Essen 1998,
S. 877-879. Abbildungen bei Fred Kaspar, Bau- und Kunst-
57 LAV NRW W, KDK Minden 591 und 592. Die bewirtschaf-
denkmäler der Stadt Minden, Band I, Teil 1: Einführung und
tete Hoffläche beträgt nach dem Landprotokoll von 1678
140 Morgen. Damit ist es die zweitgrößte Hofstätte in der
Darstellung der prägenden Strukturen. Essen 2003, S. 396397.
Bauerschaft Aminghausen.
76 Dieser wohnte in Minden im Haus Königstraße 41 (zu sei-
58 Am 03.08.1681 wird ihre Tochter Catharina Margreta
ner Biografie: Fred Kaspar/Barthold 2000, wie Anm. 63,
Morgen Gartenland, 5 Heu- und 2 Weide-Wiesen, 4
getauft. PfA Frille.
S. 1030).
59 Zuletzt Heinrich Wesemann, Die Hiller Rittersitze in ihren
77 1780 wird berichtet: hat der Herr Regierungs-Rath zur
Hellen und der Worthalter Tietzel außer dem Neyen Thor
Beziehungen zur Hiller Kirche, in: Mitteilungen des Mindener
Geschichtschichtsvereins, Jahrgang 27. Minden 1955, 1 12115, hier S. 114/115.
jenseits den Gärten an der Heyde ein neues Gebäude erbau-
60 LAV NRW W, RKG O Nr. 307.
und 12 Fuß hoch, aus Fachwerk und 25 Gebinde lang.
61 Dieter Besserer, Die Fiegenburg im Eggetal. Beiträge zur
Geschichte eines Rittersitzes derer von Schloen gen. Tribbe in
Börninghausen, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins, Jahrgang 64. Minden 1992, S. 7-47, hier S. 18.
62 LAV NRW W, RKG O Nr. 307.
63 Fred Kaspar/Peter Barthold, Bau- und Kunstdenkmäler
der Stadt Minden, Teil IV, 2: Die Profanbauten (= Bau- und
Kunstdenkmäler von Westfalen, Band 50). Essen 2000, S.
1884 ff.
64 KAM, Mi B57alt.
en lassen. Es ist 132 Fuß lang, 40 Fuß breit (38 x 11,50 m)
Eingang am unteren Ende, zwei Stuben, drei Kammern und
Küche, Keller und ein Saal in der Dachetage. Ferner enthält
das Haus Stallungen für Pferde und Kammern für die
Vorzucht. Der Wert wird mit 2 295 Thl. angegeben.
78 Von dem Verkaufserlös erwarb die Familie das „Rittergut
Bockerode" bei Springe am Deister. Durch stetigen Zukauf
erreichte dieses Gut mit 130 ha (520 Morgen) bis 1995 in
etwa die Größe des ehemaligen Gutes Denkmal der Familie
Tietzel.
65 Aus Eickhorsts Geschichte. Was erzählt die Chronic und
79 Zur Geschichte s. Kaspar 1998 (wie Anm. 75), S. 877.
80 Er lebte in Minden in dem Haus Bäckerstraße 65.
was erzählt das Volk von Oxemann?, in: Die Heimat. Heimat-
81 Zur Geschichte s. Kaspar 1998 (wie Anm. 75), S. 239-
kundliche Beigabe zum Mindener Tageblatt vom 04.11.1936.
66 Heinz H. Take, Otto Tachenius (1610-1680). Ein Wegbe-
reiter der Chemie zwischen Herford und Venedig. Herforder
Forschungen. 16. Herford 2002.
240.
82 Zur Geschichte s. Kaspar/Barthold 2000 (wie Anm. 63), S.
1415.
67 In diesem Zusammenhang ist auch eine Kanzleiabschrift
des 18. Jhs. zu sehen. Demnach haben Hinrich Öchßeman zu
Bildnachweise
Eikhorst und dessen Frau Magdalena Agnesen Tach nach
2, 3, 8, 9, 15, 16 (Bildarchiv), 4, 7, 10, 11, 12 (Barthold);
1677 zuerst versucht, das Wentrupsche Hofgut des seeligen
Georg Wentorp, weyland Erbgesessen zu Rohdenufelln für
4500 Rtl. zu kaufen (Barthold 1997, wie Anm. 53, S. 50).
Möglicherweise wurde über diesen Weg das Wentrupsche
Herrenhaus auch die Vorlage für den 1686 errichteten eigenen Neubau.
68 LAV NRW W, KDK 304.
69 LAV NRW W, KDK 304.
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur: 1 (Bange);
Niedersächsisches Landesarchiv Bückeburg 5a, 5b, 6;
Kreiskatasteramt Rinteln 5c, 5d;
Landesarchiv NRW Westfalen 13;
Kommunalarchiv Minden 20;
Mindener Museum 2, 3, 8, 9, 17,18.
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren
Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus, (Kreis Paderborn)
Fred Kaspar
„Die Nachtigall" (heute Wald-Hotel Nachtigall), Hatzfelder Straße 45, Paderborn-Schloss Neuhaus), ist seit
Langem als Landgasthaus ein beliebtes Ziel für Ausflügler, doch blieb die Geschichte des einsam gelegenen Anwesens bislang unbekannt. Das alte Gebäude
galt schon spätestens 1957 als Baudenkmal1 und wurde 1990 förmlich in die Denkmalliste der Stadt Paderborn eingetragen, wobei man allerdings nur wenige
allgemeine Aussagen zur Geschichte und Bedeutung
machen konnte. Das Gebäude wurde aber bislang
nicht zum Gegenstand baugeschichtlicher Untersuchungen.
Zur Vorbereitung einer denkmalpflegerischen Beratung bei der geplanten Sanierung des Gebäudes wurden daher 2002 durch den Autor als Bauhistoriker bei
der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur,
baugeschichtliche Untersuchungen in dem leergeräumten Gebäude durchgeführt.2 Die Ergebnisse der
Bauuntersuchung, ergänzt durch eine erst später erfolgte Auswertung weiterer archivalischer Quellen,
wird hier vorgestellt.
Lage
Das schon um 1700 unter der Bezeichnung
„Nachtigall" geführte Gut3 liegt im südlichen Bereich
des sogenannten Mastbruches, einer feuchten und
bis in das 19. Jahrhundert fast menschenleeren Wiesenlandschaft östlich von Neuhaus. Die seit dem 17.
Jahrhundert nachweisbare Bezeichnung Mastbruke
weist auf die Beschaffenheit der Landschaft und ihre
besondere Funktion hin: Mit Bruch bezeichnete man
eine feuchte, sumpfige Wiesenlandschaft und Mast
ist gleichbedeutend mit Mästung. Der Mastbruch war
also eine Weidelandschaft mit Heideflächen, die von
den Bürgern von Neuhaus als Gemeindehude, als
Viehweide genutzt wurde.
Im 17. Jahrhundert wurde am Südrand des Mast-
bruchs ein erster größerer Hof errichtet. Als zunächst
einzige Ansiedlungen entstanden danach im späten
17. Jahrhundert das Gut Nachtigall sowie 1689 in der
Nähe ein weiterer umgräfteter - heute nicht mehr
bestehender - Hof (Hatzfelder Straße 64). Sie lagen in
einer als Sandberg bezeichneten Flur. In den feuchten
1 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Das Gutshaus von 1715 nach Umbau zum Gasthaus von Südosten. Ansicht der
ehemaligen Gartenfront (2011).
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Hausstätten an der Hatzfelder Straße an, wobei diese
alle zur politischen Gemeinde Neuhaus und der dorti-
cherweise auch der Bauherr gewesen ist. Aus seiner
Ehe mit Elisabeth Schultze ging die Tochter Cordula
Stumpff als Erbin hervor. Als diese am 23. Juli 1703
Franz Dietrich Junffermann heiratete, wurde das Gut
die Nachtigall genannt dem Bräutigam von der Witwe
Bezeichnung „Dorfstraße" zusammengefasst wur-
Franz Arnold von Wolff-Metternich zur Gracht am 15.
Niederungen der Nachbarschaft des Gutes wurden
zudem Fischteiche angelegt.4 Erst seit dem späten 18.
Jahrhundert legte man nach und nach weitere
gen Mühlenbauernschaft gezählt unter der
den.5
Nachrichten zur Geschichte
Die Entstehungsgeschichte des Gutes Nachtigall
konnte bislang nicht vollständig aufgehellt werden.6
Es scheint um 1680 angelegt worden zu sein, wobei
die seit etwa 1700 nachweisbare Namensgebung darauf hindeuten dürfte, dass es sich um den Landsitz
einer in der Stadt lebenden Familie „inmitten frischer
Natur" handelt. Zu dem Gut gehörte seit dem 18.
Jahrhundert7 auch ein Heuerlingshaus.8 1803 wurde
das Gut Nachtigall als schätz- und dienstfrei bezeichnet.9
Allerdings ist es gelungen, die weitere Geschichte des
Gutes seit dem späten 17. Jahrhundert in wesentlichen Zügen zu klären. Wesentlich ist, dass sich das
Anwesen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts immer in
der Hand von Personen befand, die auf dem fürstbischöflichen Residenzschloss in Neuhaus beschäftigt
waren:10 Schon 1688 gehörte das Gut dem hochfürstlichen Hoftrompeter Hans Jacob Stumpff," der mögli-
Stumpff übertragen. Wenige Monate später wurde
September 1703 zum Coadjutor des alten Fürstbi-
schofs von Paderborn bestimmt. Nach dessen Tod im
folgenden Jahr ernannte man ihn zum neuen
Fürstbischof (1704-1718) und bestellte Junffermann
zu seinem Kammerdiener. Der Bischof bestätigte am
27. Februar 1715 nicht nur die Übertragung des Gu-
tes Nachtigall, sondern bewilligte 1 000 Rthl. als
Baukosten. Nach seinem Wunsch sollte damit auf der
Nachtigall ein gantz newes gebäw auff unsere kosten
herauffgerichtet werden. Es solle sich um eine Schenkung an seinen langjährigen Kammerdiener Junffermann handeln, die auch von seinen Nachfolgern nicht
bestritten werden könne. Junffermann erwarb nach
und nach weitere Grundstücke zur Vergrößerung des
Anwesens.12
1728 ließ der gewesene hochfürstliche Premier-Cammerdiener Franz Diedrich Junffermann aus Paderborn
durch seinen Schwiegersohn Dr. Johann Bernhard
Witte dem Fürstbischof (1719-1761) Clemens August
von Bayern die ohnweith der hochfürstl. Residentz
Neuhaus belegene Nachtigall sambt allem Zubehö-
2 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Das Gutshaus von 1715 nach Umbau zum Gasthaus von Westen. Ansicht der
ehemaligen Hoffront. Das mittige Einfahrtstor ist nach den verschiedenen Umbauten des 20. Jahrhunderts nicht mehr erhalten (2013).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
rangen und der Braugerechtigkeit für 5 000 Rthl. zum
Verkauf anbieten. Das nicht meierstättische, sondern
freie Gut umfasse sechs Morgen und habe zwei teils
mit groben Steinen und teils mit Backsteinen aufgeführte Gebäude. Ferner habe es einen großen Garten
Anton Grundmeier, 1965 von Witwe Bernhardine
Grundmeier und ihrer Tochter Käthe Rempe, geb.
Grundmeier, 1990/2000 von Katharina Rempe und
Flecken Neuhaus 116 Rthl. sowie 21/2 Taler Schatzung
Der Hofplatz wurde nördlich der als Damm ausgebildeten Straße durch die feuchten Wiesen angelegt.
Zunächst scheint man hier im späteren 17. Jahrhun-
und einen Bleichplatz. An Abgaben seien nur dem
jährlich zu leisten. Zugehörig zum Gut sei ein 416
Morgen großer Kamp, eine 716 Morgen umfassende
Ackerfläche sowie weiter entfernt in der Senne ein
Kamp von 15 Morgen. Der Fürstbischof ließ das An-
gebot untersuchen, wobei seine Verwaltung verschie-
dene Nachrichten über die Entstehung zusammenstellte. Man versuchte zudem, den Wert der Grundstücke und der Bauten zu ermitteln. Daher liefen noch
1732 die Verkaufsverhandlungen. Mittlerweile war
Junffermann allerdings verstorben, sodass als Verkäu-
fer nun seine Witwe auftrat.
Um 1730 soll das Gut durch den Kammerherren des
2003 von Käthe Rempe.
Zur Anlage des Gutes
dert ein kleineres Wohn- und Wirtschaftsgebäude
errichtet zu haben, das schon im 18. Jahrhundert als
einfach und unbedeutend beschrieben wurde. Nachdem man daneben um 1705 das bis heute erhaltene
Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet hatte, diente das alte Haus als Wirtschaftsgebäude mit Gesindewohnungen und wurde als Scheune bezeichnet.
In einer Spezification der Nachtigäller Güter vom 10.
November 1732 wurde das noch erhaltene Haupthaus sowie das Wirtschaftsgebäude beschrieben:18
Fürstbischofs von Hanxleden angekauft worden sein.13
Zwischen ihnen liege ein weiter und breiter, mit
Rheder (bei Brakel/Kr. Höxter) stammenden Ferdinand
Moritz von Mengersen (1706-1788).14 Er hatte zahl-
Das Gut die Nachtigall bestehe aus:
1734 gehörte das Gut Nachtigall dem vom Haus
reiche öffentliche Ämter: Seit 1731 war er Ritter des
Deutschen Ordens, von 1737 bis 1746 Komtur der
Kommende Brakei, wurde 1740 auch Komtur zu
Osnabrück und schließlich 1741 zum Landkomtur der
Ballei Westfalen mit Sitz in Mühlheim ernannt. Darü-
ber hinaus war er geheimer Rat, General-Major des
Paderbornischen Infanterieregiments und kurkölnischer Generallieutenant.15 Er dürfte das Gut nicht
selbst bewohnt haben. Seit seinem Ankauf haben die
Eigentümer das Gutshaus nicht mehr selber genutzt,16
sodass „die Nachtigall" fortan verpachtet und von
den Pächtern bewohnt wurde. 1787 wird als Pächter
des Gutes Herr Becker und 1804 Heinrich Baukel als
Hofmeister des Gutes genannt, der also der örtliche
Verwalter gewesen zu sein scheint. Um 1830 ist ein
Herr Stockebrand Pächter (zu dieser Zeit sind 153
Morgen Land zugehörig).
Nach dem Tod des Generalmajors von Mengersen
wurde das Gut 1796 dem protestantischen Stifts-
Amtmann A. Röttken (auch Rötteken oder Röttcken)
verkauft. Er war 1791 Rentmeister des Stiftes Cappel
bei Lippstadt gewesen und übernahm 1801 das Gut
Johanettental bei Detmold im Fürstentum Lippe für
21 Jahre zur Pacht. Ebenfalls noch 1796 erwarb er zu
Erbpacht den neben den Ländereien des Gutes Nach-
tigall liegenden Dümmerteich, um eine Teichwirt-
Eichenbäumen besetzter Wirtschafts- und Vorhof.
Einem Gutshaus: In Mitte aus 8 Zimmern, 3 Cam-
mern, guthen Balken, rauchbühne, auch Küche, nebst
einem beneben dem Feuerherdt in einem gewölbe
belegenen Backofen, aufgeführter Wohnung, brauhause, samt der eingemauerten kupfernen brauwpfan, die 300 Rthl gekostet, feststehender Büdden,
einer Wasserpumpen, nebst anderer brauwgereldtschaften, undt gleich darvor liegender brauhaus-,
apfel- odero speisen auch molcken Keller [...]
Zur rechten in der zum Dreschen und schlachten be-
quemen mit einem Camine aufgeführten Scheuren
samt zwey großen mit quadraten hoxersteinen belleygten Zimmers wiehe Dreschehaus, balkens sambt
zwey kleine Stuben oder cammeren [...] Dieses
Scheuren genannte Wirtschaftsgebäude diente als
Wirtschaftsgebäude und zu Verwaltungszwecken des
Gutes und war nach der weiteren Beschreibung be-
quem zum waschen undt schlachten eingerichtet,
hatte einen Kamin und zwei große, mit quadratischen
Höxter-Steinen ausgelegte Zimmer mit angefügten
Scheißhäusern, ein Vieh-Dreschhaus, und im Obergeschoss zwei kleine Stuben und Kammern, von denen
eine dem Schreiber diente. Ferner gab es einen Treib-
Keller sowie Kuh- und Pferdeställe und in einem
Anbau auch einen Schweinestall.
Das Gutshaus (von 1715 a)
Das mit einer Grundfläche von 15,50x23 m recht
schaft einzurichten.’7 Noch 1816 wird der Amtmann
Rötteken zu Nachtigall genannt.
Um 1850 wird als Besitzer und Bewohner des Gutes
Nachtigall ein Strohtmann genannt, dem 1891 die
Familie Grundmeier folgte. Spätestens seit dieser Zeit
Nachrichten19 wohl um 1705 durch Franz Dietrich
Junffermann, bischöflicher Kammerdiener in Schloss
Neuhaus, errichtet worden, wozu er einen Zuschuss
1925/29 als Hatzenfelder Schützenkrug (Besitzer H.
Grundmeier) bezeichnet. 1935 ist es im Besitz von
binierten Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet,
wird das Haus als Gastwirtschaft genutzt und
großformatige Gutshaus ist nach archivalischen
seines Dienstherren, des Fürstbischofs erhalten hatte.
Das Haus wurde in traditionellen Formen eines kom-
Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren
Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn)
allerdings nicht mehr (wie auch das wohl etwa 25
Jahre zuvor auf dem Gut stehende alte Haus) als ein
Längsdielenhaus, sondern als Querdielenhaus ausgeführt.
Das freistehende und traufseitig erschlossene Haus
wurde weitgehend symmetrisch mit einer mittleren
hohen Diele und seitlichen zweigeschossigen, jeweils
fünf Gefache breiten Bereichen (Fenster jeweils im 2.
und 4. Gefach) gestaltet und mit einem hohen Krüp-
pelwalmdach abgedeckt. Die möglichst axiale und
symmetrische Gliederung der Ansichten und das
Krüppelwalmdach entsprechen dem zur Bauzeit herrschenden Geschmack für einen zeitgemäßen Neubau.
Nur die Erdgeschosse der beiden seitlichen, zweige-
schossig ausgebauten Abschnitte, die als Wirtschaftsräume eingerichtet waren, erhielten massive Umfas-
sungswände, während der gesamte übrige Bau als
Fachwerkbau aus stark dimensioniertem Eichenholz
errichtet ist.
Die hohe zentrale Diele des Hauses wurde von der
westlichen Längswand erschlossen. Noch heute liegt
vor dieser Front der baumbestandene Wirtschaftshof
(der dort schon 1732 beschrieben wurde), während
sich vor der östlichen Längswand ein Gartengelände
anschließt. Heute dient allerdings die östliche Längsfront als Vorderansicht mit Zugang. Da die Fachwerkfront des Dielenbereiches auf der Westseite inzwi-
schen weitgehend erneuert wurde, ist die zur ur-
3 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Das Gutshaus von 1715 nach Umbau zum Gasthaus von Südosten. Ansicht der
südlichen Giebelfront (2011).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
sprünglichen Gestaltung des Baus gehörende axial
ausgebildete und dreigeteilte Gestaltung der Längsfronten heute nicht mehr erkennbar. In der Mitte der
westlichen Front bestand eine Toreinfahrt, die in das
zwischen den neben den seitlichen massiven Bauteilen wandhohe Fachwerkgerüst von sechs Gefachen
Breite eingestellt war.20
Das Gerüst des Baus ist weitgehend gebindeweise
errichtet worden, wobei sich Ständeranordnung, Balkenlage und Sparrenstellung aufeinander bezogen.
Balken- und Stichbalkenlagen wurden auf starke Rühme gelegt. Die erhaltenen, nur ein Stockwerk hohen
seitlichen Bereiche des Fachwerks sind ebenso wie die
darüberstehenden Giebeldreiecke zweifach verriegelt
und mit Fußstreben unter den oberen Riegeln ausgesteift. Die recht kleinen Gefache wurden mit Backsteinen ausgefacht. Für die Fenster besteht ein Riegelversprung der oberen Riegelkette.
Der Bau ist mit einer aufgelegten Balkenlage abgedeckt, in die zu den Giebeln lange, die leicht vorkragenden Giebeldreiecke tragende Stichbalken einge-
zapft sind. Die Vorkragung wurde zwischen den
Stichbalkenköpfen mit profilierten Füllhölzern geschlossen. Im gesamten Gerüst gibt es allerdings
keine Kopfbänder im Querverband. Im Wohnteil wurden die Balken schon bauzeitlich verputzt,21 wobei als
Träger des Kalkputzes Stroh verwendet wurde, das
mit auf den Balken festgenagelten Weidenruten befestigt ist.
Über dem Bau erhebt sich ein aufwändig und aus
ungewöhnlich stark dimensionierten Hölzern verzimmertes Dachwerk (die Sparren bestehen aus Nadelholz, Stühle und Kehlbalken aus Eiche). Es wurde als
Sparrendach mit tiefen Krüppelwalmen und elf Paaren von Vollsparren verzimmert. Die Sparren sind in
die Dachbalken gezapft, haben drei gezapfte Kehlbal-
kenlagen und werden unter den unteren mit etwa
2,8 m im Lichten sehr hoch sitzenden Kehlbalken
durch eine Stuhlkonstruktion über dem mittleren
Hausteil unterstützt. Mit ihrer Hilfe wurde das Dachwerk für die Lagerung von großen Lasten ausgebildet,
wobei wohl zumindest in den unteren beiden Etagen
eine Kornlagerung vorgesehen war (hierzu ist der
unterste Dachboden noch heute in weiten Flächen
mit sehr breiten und durch eingenutete Federn dicht
miteinander verbundenen Eichenbohlen ausgelegt).
Unter jeden zweiten Vollsparren wurde zudem ein liegender Stuhl gestellt, wobei im mittleren Hausteil (der
Bereich über der hohen Diele) vier große Stühle ent-
standen, die die Lasten von den in diesem Bereich
nicht unterstützten Dachbalken ableiteten. Seine
Stuhlsäulen sind durch Spannbalken verbunden,
wobei lange Kopfbänder der Aussteifung im Querverband dienen. Diese vier Stühle sind jeweils durch
Strebenkreuze und zwischengespannte Längshölzer
miteinander verbunden. Daran anschließend folgte
bis zu den Sparrenpaaren unter den Walmspitzen je-
weils noch ein einfacher gestalteter Stuhl, wobei diese
4 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Rekonstruktionsversuch des bauzeitlichen Grundrisses vom Erdgeschoss mit
den Wirtschaftsräumen in den seitlichen Bereichen (2011).
Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren
Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn)
zum großen Teil nachträglich abgebrochen worden
sind. Zur Beförderung der Lagerlasten bestand bauzeitlich ein innerer Aufzug von der mittleren Diele, für
den ein Wechsel von zwei Gefachen Breite in der
Mitte des Hausgerüstes vorgesehen war.
Das nördliche Seitenschiff des Hauses dürfte Wohn-
zwecken gedient haben. So ist hier das kaum in den
Erdboden eingetiefte Erdgeschoss mit einem langen
Tonnengewölbe überdeckt, während darüber ehemals eine Saalkammer bestanden haben dürfte. Zudem war in der anschließenden mittleren hohen Diele
auf der nördlichen Seite westlich des Firstes ehemals
ein Herdfeuer angeordnet, dessen nicht mehr erhaltener Schornsteinzug sich noch im Dachwerk abzeichnet.22 Das Tonnengewölbe hatte einen Zugang von
der Diele im östlichen Bereich und wird durch mehrere Fenster in den Umfassungswänden belichtet. Es ist
zu vermuten, dass es als Lagerraum und (wie in der
1732 erstellten Beschreibung genannt) als Brauhaus
Verwendung finden sollte.
Auch das Erdgeschoss des südlichen Seitenschifffes
dürfte Wirtschaftszwecken gedient haben, wobei hier
von Stallräumen auszugehen ist. Hier zeigt das Erdgeschoss nur eine Balkendecke, während man darüber drei hintereinander angeordnete Wohnräume
einrichtete. In der Trennwand zwischen dem ersten
und zweiten Raum von Osten besteht ein weiterer
noch bis zum Dach erhaltener Schornstein, der zum
Abzug von Wandkaminen in den Wohnräumen dien-
te. In der westlichen Trennwand bestand ehemals
ebenfalls ein weiter, besteigbarer Schornstein (für ihn
gibt es einen Wechsel in der Dachbalkenlage).
Die zu Wohnzwecken eingerichteten Obergeschosse
der beiden Seitenschiffe wurden durch eine breite
Galerie erschlossen, die sich vor der Ostwand der hohen mittleren Diele befand. Sie ist noch weitgehend
erhalten, wird von an der Unterseite profilierten Balken getragen, von Geländern mit Sagebalustern eingefasst und über eine gewendelte Treppenanlage er-
schlossen.
Am Obergeschoss des Nordgiebels haben sich in
einem von einem späteren Anbau verdeckten Bereich
umfangreiche Farbbefunde zur Gestaltung der Fachwerkaußenwände erhalten.
Spätere Umbauten
Größere Umbauten scheint das wohl lange nicht
wesentlich veränderte Gebäude erst im Laufe des 20.
Jahrhunderts erfahren zu haben: 1925 entstand vor
der östlichen Längsfront ein Balkonvorbau. Zu dieser
Zeit wurden die Bereiche des südlichen Erdgeschosses
in der Mitte als Küche, vor den Längswänden als Stube genutzt. Im Jahre 1929 wurde die hohe Diele aufgegeben. Hierbei baute man im Anschluss an die Galerie auf der ganzen Fläche eine Zwischendecke aus
Eisenbeton ein und erneuerte zugleich bei Aufgabe
des westlichen Torbogens die westliche Traufwand in
großen Teilen massiv. Vor der Front entstand zudem
5 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Rekonstruktionsversuch des bauzeitlichen Grundrisses vom Zwischengeschoss
(2013).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
ein zweigeschossiger Vorbau, der Toiletten aufnahm.
Während im Erdgeschoss mehrere Gastzimmer einge-
richtet wurden, entstand darüber im ehemaligen
Bereich der Diele ein Saal, dem nach Abbruch von
Innenwänden auch die beiden westlichen Zimmer des
südlichen Obergeschosses zugeschlagen wurden.23
Dieser neue Saal erhielt zudem an der Westwand
einen eigenen äußeren Zugang.
1954 entstand nördlich des Gebäudes ein neuer
Saalbau. Um diesen an das Gasthaus anzuschließen,
mussten das östliche Drittel des nördlichen Kellergewölbes abgebrochen und in diesem Bereich auch die
östliche Front des Baus verändert werden. Der 1929
im Obergeschoss geschaffene Saal wurde durch
Zwischenwände zu Gästezimmern umgestaltet. 1991
hat man die Gästezimmer im Obergeschoss modernisiert.24
2007 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft ein Hotelneubau mit 50 Zimmern errichtet, der mit einem
Zwischenbau an den historischen Altbau angeschlos-
sen ist. Dieser ist in diesem Zusammenhang ebenfalls
erneut einer umfassenden Modernisierung unterzogen worden. Hierbei wurde das Fachwerk der westlichen Längswand insgesamt erneuert.
Zur Bedeutung des Gebäudes
Das Haus wurde für den Kammerdiener des Fürst-
bischofs nach Dienstantritt beider errichtet. Der
fernten Schloss lebte. Das Gutshaus und das Gut
dienten vor diesem Hintergrund wohl vor allem der
wirtschaftlichen Absicherung und als Basis für ein
Leben nach dem Ende der Tätigkeit als Kammerherr
(was gewöhnlich mit dem Tod des Dienstherren verbunden war). Vor diesem Hintergrund dürfte es sich
um ein vor allem temporär von den Gutsherren (etwa
im Sommer oder bei Abwesenheit des Fürstbischofs
als Dienstherren) bewohntes Haus gehandelt haben.
Das um 1705 errichtete Gutshaus war - vergleichbar
einem traditionellen Bauernhaus - sowohl Wirt-
schafts- als auch Wohngebäude. Allerdings wurde der
Bau nicht mehr in den hierfür seit langen erprobten,
traditionellen Formen eines Längsdielenhauses errich-
tet, sondern als Querdielenhaus. Hierdurch konnte
man dem Haus nicht nur eine modernere Gestaltung
mit symmetrischer Traufansicht verleihen, sondern es
wurde auch möglich, eine ausschließlich Wohnzwecken vorbehaltene Zone in dem von der hohen zen-
tralen Diele über eine Galerie erschlossenen Zwischengeschoss zu schaffen. Im Erdgeschoss befanden
sich seitlich der wohl in erster Linie als Verkehrs- und
Küchenraum dienenden hohen und über ein Tor noch
immer befahrbaren Diele Wirtschaftsräume: Auf der
einen Seite Stallungen, auf der anderen Seite wohl
Lagerräume. Das Dach war zur Einlagerung großer
Erntemengen vorgesehen, die mittels eines Aufzuges
in der Diele transportiert werden konnten. Die
„Wohnung" der Hausherren hingegen erstreckte sich
Bauherr war trotz seines gesellschaftlich nicht besonders privilegierten Standes ein enger Vertrauter des
Landesherren. Das auf engem Vertrauen aufbauende
Dienstverhältnis dürfte sich zum einen in der großzügigen Förderung der Neubaumaßnahme durch den
Landesherren ausdrücken, aber auch darin, dass der
Zwischengeschosse, erschlossen über eine Treppe mit
verbindender Galerie in der hohen Diele. Dass dieser
Kammerherr bei Anwesenheit seines Herren wohl
zumindest persönlich - oder aber mit seiner Familie nicht auf dem Gut, sondern in dem etwa 2 km ent-
sein, dass der Hausherr wohl zumeist nicht anwesend
war, sondern im Residenzschloss Neuhaus lebte.
Anmerkungen
Hausinschriften an Fachwerkhäusern im Kirchspiel Neuhaus.
Landeskonservator bezuschusst. 1966 und 1991 erfolgten
6 Die wenigen bislang bekannten Nachrichten zur Ge-
1 1957 wird ein Neuanstrich der Außenfronten durch den
über die schmalen Bereiche der beiden seitlichen
Wohnbereich nur ein begrenztes Raumprogramm
aufwies, dürfte insbesondere darauf zurückzuführen
Paderborn 1986, S. 10-12.
Beratungen bei weiteren Neuanstrichen.
schichte stellte der Ortsheimatpfleger M. Pavlicic zur Verfü-
2 Die Untersuchung mit dem Ziel, den Kernbau näher zu
erfassen, wurde am 25. Juli 2002 (mit Ergänzungen am 5.
Juli 2003) durchgeführt. Ergebnis war, dass trotz der verschiedenen, ab 1929 in dem Bau vorgenommenen und das
Innere in seiner historischen Struktur heute kaum noch er-
gung.
7 Das Haus entstand möglicherweise um 1728, da im Zuge
lebbar machenden Umbauten sich große Teile der Kernsubstanz erhalten hatten.
3 Mit diesem Namen wurden häufiger Gebäude bezeichnet.
Für den Dorfkrug von Schieder in der Grafschaft Lippe ist er
schon vor 1658 belegt. Walter Schmidt, Schieder. Die Geschichte eines lippischen Dorfes. Schieder 1964, S. 255-262.
4 Elisabeth von Kanne, Mastbruch in der südlichen Senne.
Ein Ortsteil von Schloß Neuhaus. Paderborn 1985.
5 Micael Pavlicic, Elisabeth von Kanne und Josef Leiwen,
der in diesem Jahr einsetzenden Verkaufsverhandlungen ein
Fachwerkhaus errichtet wurde (hierzu sind der Akte mehrere
Abrechnungen mit dem Zimmermann beigelegt).
8 Das Haus (ab 1768 Neuhaus Nr. 147) trug den Namen
Bockei (später Busch), wobei die Familie Bockel/Baukel lange
als Verwalter des in auswärtigem Besitz befindlichen Gutes
nachweisbar ist.
9 Pavlicic 1986, S. 15.
10 Das spiegelt sich auch darin wider, dass der Besitz bis
nach 1800 ohne Hausnummer blieb, also als frei galt und
nicht bei der 1769 im Fürstbistum Paderborn gegründeten
und für die Einwohner pflichtweisen Brandversicherung auf-
Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren
Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn)
genommen war. Erst 1815 erhielt das Gut die Hausnummer
Neuhaus Nr. 173.
Abbildungsnachweis
11 Zur Besitzgeschichte zwischen dem späten 17. Jahrhundert und 1732 siehe LA NW, Abt. Münster, Paderborn, Hof-
Westfalen: Kaspar 1-3;
kammer Nr. 1817.
12 Hierzu liegen die Kaufverträge und weitere Auszüge den
Akten von 1768/73 bei. Einer der Verkäufer war der Corpora! Müssing.
13 Er habe zuvor den Hof Meier zu Hövel als seine Eremitage
angepachtet (s. Philipp Schniedertüns, Hövelhof. Paderborn
1952, S. 31).
14 LA NW, Abt. Münster, Paderborn, Hofkammer Nr. 1899.
15 Friedrich Keinemann: Das Hochstift Paderborn am Aus-
gang des 18. Jahrhunderts. Verfassung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit und soziale Welt. Bd. 1, 1996, S. 308.
16 Die Familie von Mengersen besaß zudem schon seit
Langem ein Wohnhaus in Neuhaus an der fürstbischöflichen
Residenz. Dieses wurde 1754 von C. B. Platz verwaltet (er
war auch für die Verwaltung der Nachtigall zuständig und
wies in diesem Jahr auf notwendige Reparaturen hin). Der
Drost von Mengersen verkaufte das Mengersche Haus in
Neuhaus 1764 an den Fürstbischof (s. hierzu einen größeren
Aktenbestand im Archiv Haus Rheder).
17 Hierzu war die Anlage von Entwässerungsgräben notwendig, die einen Straßendamm querten. Vgl. LA NW, Abt.
Münster, Paderborn, Hofkammer Nr. 3898. In der Akte eine
Skizze zur Lage der Grundstücke und der neuen Gräben.
Weitere Akte zur Pacht des Dümmertteiches s. LA NW, Abt.
Münster, Paderborn, Hofkammer Nr. 250 und 2474.
18 LA NW, Abt. Münster, Hofkammer Paderborn Nr. 1817.
19 Für diese nun aus archivalischen Quellen erschlossene
Bauzeit sprechen auch die Ausführung der konstruktiven De-
tails und die Ausführung der Gestaltung.
20 Denkbar ist, dass ein ebensolches Tor auch in der in die-
sem Bereich ebenfalls völlig veränderten östlichen Längswand bestand. Hier kann aber auch eine große Fensterfront
angenommen werden.
21 Sie haben daher bis heute eine helle Oberfläche und sind
an den Unterkanten teilweise nicht scharfkantig ausgebildet.
22 Reste der vermauerten Feuerstelle dürften in der unteren,
massiven Wand vor dem Keller noch erhalten sein; der zwei
Gefach breite und auf der Innenseiten einschließlich der
Balken verputzte weite Bosen zeichnet sich ebenfalls noch
an der Balkenlage ab
23 Zur Abfangung der Balken in diesem Bereich baute man
darüber ein firstparalleles Sprengwerk ein.
24 Erst hierbei wurden die noch erhaltenen Türen der Bauzeit ausgebaut und durch schlichte Türblätter ersetzt.
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in
Reinzeichnung Ingrid Frohnert/LWL-Denkmalpflege nach
Aufmaß Kaspar und älteren Bauplänen: 4 und 5.
387
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)1
Fred Kaspar
Der Beitrag geht insbesondere auf die Erschließung
des der Forschung bislang völlig unbekannten Archivs
der 1734 eingerichteten Münsteraner Familienstiftung „Exekutorium Scheffer-Boichorst" zurück, dessen Existenz an entlegener Stelle dem Autor im Jahre
2009 zufällig bekannt wurde. Es handelt sich um
einen sehr umfangreichen, mehrere hundert Aktenbände umfassenden Quellenbestand, wobei insbesondere auf die geschlossen überlieferten Jahresrechnungen von 1740 bis 1920 einschließlich aller beiliegenden Quittungen und anderer ergänzender Belege
sowie das 1767 angelegte und bis weit in das
19. Jahrhundert fortgeführte Rentenbuch (das
Hauptkontobuch der Stiftung) hinzuweisen ist.2 Dieser bislang nicht bekannte und auch nicht verzeichnete Bestand wurde für die folgende Darstellung erstmals erschlossen und in Auszügen ausgewertet.3 Da
eine umfassende Dokumentation zur Geschichte der
Stiftung, ihrer Bedeutung in der Geschichte der Stadt
Münster und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen durch
den Autor in Arbeit ist, konnte der Beitrag hier auf
das zum Stiftungsvermögen gehörende Gebäude der
Borg beschränkt werden. Die hierzu erhaltene umfangreiche Aktenüberlieferung ermöglicht einen für
das Münsterland bislang einzigartig detaillierten
Einblick in die Nutzungs- und Baugeschichte eines
bürgerlichen Sommerhauses auf dem Lande.
Das von allen Mitgliedern der Familie bis heute stets
als Borg bezeichnete Gebäude bildete über mehrere
Jahrhunderte einen wichtigen Baustein in dem Vermögen der bis heute existierenden Familienstiftung.
Dieses auf dem Hof Lütke Rumphorst südlich von
Telgte stehende, heute allgemein als „Haus Rumphorst" bezeichnete Gebäude ist in seiner ungewöhn-
lichen Gestalt der baugeschichtlichen Forschung zwar
schon länger bekannt,4 blieb allerdings mangels datie-
render Inschriften und anderer detaillierterer Kenntnisse bislang in seiner Baugeschichte, seiner Bedeutung und Nutzungsgeschichte ungeklärt.
Zur Geschichte der Familie Scheffer-Boichorst
und ihrer Stiftung
Das freie und zu Lehen vergebene Bauerngut Kurze
Rumphorst soll Ende des 15. Jahrhunderts durch Abtrennung von Teilflächen des unmittelbar benachbarten Hofes Rumphorst (dieser wird seitdem als Große
Rumphorst bezeichnet) entstanden sein, doch sind
nähere Quellen hierzu bislang nicht bekannt. Beide
Höfe galten als grundherrlich frei. Im frühen 17. Jahrhundert befanden sich beide Teile in der Hand des in
Groningen geborenen Kaufmanns Johann Lancelot
Witton in Münster,5 wurden aber nach seinem Tod
1626 unter den Erben aufgeteilt. Hierbei fiel das Gut
Kurze Rumphorst an seinen Schwiegersohn Dr. Albert
Boichorst (1600-1665), dessen Nachkommen noch
heute Nießbrauch an dem Besitz haben. Es ist zu vermuten, dass der Hof schon zu dieser Zeit nicht nur als
Renditeobjekt diente, sondern auch als sommerlicher
Aufenthaltsort der Besitzer,6 denn das Ehepaar lebte
zu dieser Zeit in Münster in dem von Witton neu errichteten Haus Alter Fischmarkt 5. Da alle Söhne vom
Dom-Syndikus Dr. Albert Boichorst in den geistlichen
Stand traten bzw. vor ihm und seiner Frau verstarben,
fiel das Erbe nach seinem Tode 1665 an die beiden
Töchter Katharina Genovefa und Brigitte Elisabeth
Boichorst. Die jüngere der Schwestern verkaufte aller-
dings ihren Teil fünfzehn Jahre später an ihre ältere
Schwester Katharina Genovefa (1635-1692), Witwe
des fürstlichen Hofrates und Notars Dr. Adam von der
Beek (1630-1680). Noch vor ihrem Tode teilten sich
1688 ihre beiden Töchter das Erbe Gut Kurze
Rumphorst, wobei beide ihre mit je 2 000 Rthl. bewerteten Hälften an Dr. Henning Scheffer (16571734) in Münster verkauften, seit 1684 mit Maria
Anna von der Beek gnt. Boichorst verheiratet. Da
keine Namensträger mehr vorhanden waren und der
Käufer das Familienerbe weiterführte, übernahm er
die Bezeichnung Boichorst als Beinamen. Bis heute
blieb es bei der damit 1688 entstandenen Namensgebung Scheffer-Boichorst. Der Hof bei Telgte dürfte
weiterhin als Sommeraufenthalt gedient haben, wozu
man einen möglicherweise zu dieser Zeit schon vor-
handenen Kammeranbau an das dortige Pächterwohnhaus nutzen konnte. Der Hofgerichts-Amtsverwalter bzw. Hofgerichtsrat und spätere Münsteraner
Bürgermeister Dr. Henning Scheffer gnt. Boichorst
begründete zusammen mit seiner Frau durch Testament vom 31. Januar 1717 eine Familienstiftung. Diese wurde mit der Hälfte ihres Gutes Kurze Rumphorst
im Kirchspiel Telgte ausgestattet und mit seinem Tode
eingerichtet. Zweck dieser Stiftung sollte es sein, die
Erträge aus dem Gut männlichen Nachkommen
zukommen zu lassen, sofern sie Priester würden.
Erster Nutznießer war ihr Sohn Dr. jur. Adam Jacob
Scheffer-Boichorst (1687-1744), Kanoniker am Stift
St. Ludgeri in Münster und in Leyden. Er bestimmte
1741 in einem weiteren Testament eine Erweiterung
dieser Stiftung, indem auch seine geerbte Hälfte an
dem Gut Kurze Rumphorst der Stiftung zufallen sollte, sodass die Benefizien fortan nicht nur aus einem
389
Betrag von 100 Rthl. jährlich bestehen würden, son-
dern aus den gesamten Einkünften des Gutes.
Nutznießer sollten die Nachfahren Söhne seines älte-
sten Bruders, des Hofgerichts-Amtsverwalters Dr.
Friedrich Christian Scheffer-Boichorst (1685-1746) als
dem einzigen Agnaten seiner Eltern sowie deren
männliche Nachkommen werden. In dem Testament
wurde ferner geregelt, dass dem Inhaber des praestimonii [d. i. der Nießbruch der Stiftung] die Nutzung
der Borg auf dem Gut Hof Kurze Rumphorst und weitere Rechte zustehen würde. Er habe allerdings auch
die Pflicht, für Erhalt und Einrichtung des Gebäudes
zu sorgen. Dieses sollte nicht nur dem Sommeraufent-
halt (für den Aufenthalt in der Vacanz) der aus der
1 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Ansicht der in der Gräfte stehenden Borg von Südwesten mit dem Zugang über eine hölzerne Brücke (2013).
390
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Familie stammenden Priester dienen, sondern auch
dazu, dass sich der Stiftungsvorstand dort während
Wie die Hofanlage vor der Übernahme durch die Familienstiftung im Jahre 1734 aufgeteilt, bebaut und in
nachten könne. Nach dem schon 1746 eingetretenen
Tode von Dr. Friedrich Scheffer-Boichorst wurde die
bekannt, kann aber in Ansätzen aus Hinweisen in der
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sehr gut nachweisbaren Struktur der Anlage erschlossen werden. Offenbar sind mit der Übernahme des gesamten Hofes in
der Besichtigung der Stiftungsländereien und der
Abrechnung mit den Pächtern aufhalten und überStiftung zunächst von seiner Witwe verwaltet, bis
1767 durch Erbschaften ihrer beiden Söhne die
Stiftung mit weiteren Teilen des Familienvermögens
reformiert und um eine Studienstiftung für männliche
Nachfahren der Familie erweitert wurde.
Zur Anlage und Struktur
des Hofes Kurze Rumphorst
Die heute recht abgelegene Hofstelle wird von Nordwesten über einen historischen Weg erschlossen, der
von Telgte nach Wolbeck führte. Der Weg verbindet
den Hof mit dem etwa 100 m weiter nördlich westöstlich verlaufenden alten Fernweg von Münster nach
Warendorf (der alte Münsterweg). Der Hof lag also
ehemals sehr nahe der Hauptstraße, sodass er gut von
Münster erreichbar war.
ihrer Umgebung gestaltet war, ist nicht im Detail
die Verwaltung der Stiftung 1746 Baumaßnahmen
eingeleitet worden, von denen sich noch der Neubau
der Borg in den Jahren 1748-1750 und der Scheune
im Jahre 1750 aus den Akten belegen lässt.
Detaillierte Informationen hierzu liegen für das Jahr
1751 vor: In diesem Jahr wurde ein Gesamtinventar
des Stiftungsgutes aufgenommen, wozu auch vor Ort
neu vermessene Pläne gehörten.7 Sie dokumentieren
die Größe, Lage und Umgebung der einzelnen
Ländereien sowie die eigentliche Hofanlage mit der
Gestaltung ihrer umgebenden Wege, Wasserflächen,
Gärten und Wiesen sowie den dort befindlichen Bauten. Die Zeichnung scheint den Zustand nach Abschluss der in den Jahren zuvor vorgenommenen
Ausbauten auf der Hofanlage festzuhalten: Doku-
2 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Ausschnitt aus dem 1751 gezeichneten Gesamtplan des Gutes mit Darstellung der
Hofanlage (Norden oben): Die westliche (linke) Hälfte der Anlage umfasst den verpachteten Bauernhof mit einer zu diesem
Zeitpunkt nur noch teilweise erhaltenen Gräfte. Das im Jahre 1800 durch einen Neubau ersetzte Haupthaus zeigt einen östlichen Anbau, der nach archivalischen Nachrichten einen der Herrschaft vorbehaltenen Wohnsaal aufnahm. Die östliche Hälfte
der Hofanlage wird von der umgräfteten „Borg" mit anschließendem Garten eingenommen und sollte dem Sommeraufenthalt eines Priesters aus der Familie dienen.
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
3 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Lageplan der Hofstätte im Jahre 1904 (gezeichnet anlässlich von Umbauten in dem 1930
abgebrannten Haupthaus in der Bildmitte). Die Gräften um die Hofstätte sind zu dieser Zeit nicht mehr vorhanden und vor
dem Wirtschaftsgiebel des Haupthauses wurde eine Durchfahrtsscheune errichtet. Hinter dem Wohnteil des Haupthauses
befindet sich die umgräftete „Borg" mit anschließendem Garten.
mentiert werden auf der Hofstelle vier Gebäude: die
Borg, das Hauß des conductoris Rumphorst, die
Scheune und das Backhauß. Als fünftes Gebäude ist
auf der Karte auch ein Torhaus dargestellt, wird aber
in ihrer Legende und in der Beschreibung nicht erwähnt. Ebenso wird an der südlichen Ausfahrt des
Hofes auch noch ein kleiner quadratischer Bau darge-
stellt, aber nicht im Text behandelt, bei dem es sich
um die noch bis in das 20. Jahrhundert erhaltene
Hofkapelle gehandelt haben dürfte. Das Verzeichnis
der zum Gut gehörenden Ländereien nennt als erstes
den Herrengarten ohne, was hinten mitt bäume
besetzet ist, 2) der Garten beym Hause [..].
Die schon 1744 genannte und kurz danach erneuerte
und vergrößerte Borg steht inmitten eines langgezogenen Teiches nordöstlich des Haupthauses, sodass es
naheliegend ist, hierin die Reste einer älteren und größeren Gräftenanlage zu sehen, die wohl ehemals den
Hofplatz mit dem Haupthaus (das sogenannte Päch-
terwohnhaus) umgrenzt haben dürfte. Zu dieser
Gräftenanlage dürfte ebenso auch ein 1751 noch vorhandener kleiner Abschnitt an der nördlichen Grenze
des Hofplatzes zu gehören wie auch ein weiterer
Teich, der zu dieser Zeit noch im Südwesten des Hofes
lag. Die 1748/50 erneuerte Borg ersetzte innerhalb
dieser Struktur einen wohl kleineren und als Speicher
dienenden Vorgänger an gleicher Stelle, der in dieser
Position - wie bei solchen Bauten üblich - nahe dem
Wohnteil mit der Küche des Bauernhauses innerhalb
der Gräfte gestanden hätte.
Entsprechend der besonderen Bedeutung, die die
Besitzer dem Hof schon spätestens im 17. Jahrhun-
391
392
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
dert zugewiesen hatten, lassen sich in den 1751 vor-
handenen Bauten und den hier funktional deutlich
unterscheidbaren Bereichen der Hofstelle offensichtlich zwei Bestandsschichten der Entwicklung erkennen: Zum einem gibt es charakteristische Elemente,
wie sie sich in der Regel bei einem größeren umgräfteten Bauernhof des Münsterlandes schon seit dem
Spätmittelalterfinden lassen. Hierzu gehört innerhalb
des mehr oder weniger rechteckig umgräfteten
Hofplatzes als Zentrum das längs aufgeschlossene
Bauernhaus, das sich hier mit seinem Wirtschaftsgiebel und der Toreinfahrt nach Westen orientiert.
Dem diesem Giebel vorgelagerten Wirtschaftshof
steht quer die 1750 errichtete Scheune, bei deren
Errichtung der westliche Teil der Gräfte schon verschüttet gewesen sein muss. Nördlich des Haupthauses steht - wie üblich aus Brandschutzgründen abgesetzt - das Backhaus, offensichtlich ebenfalls im Bereich der ehemals hier wohl vorhandenen Gräfte. Im
Nordwesten stand an der Zufahrt ein kleines, mit
einem Dach versehenen Gebäude, das als ein Torhaus
interpretiert werden kann. Glaubt man der Darstel-
lung auf der Zeichnung, stand dieses Bauwerk an der
Außenseite der zu rekonstruierenden Gräfte.
Zum anderen gibt es Bereiche, die nicht zu den charakteristischen Elementen eines bäuerlichen Gräften-
hofes gehören: Das Bauernhaus hatte am östlichen
Giebel einen schmaleren Anbau. Er scheint nachträglich errichtet worden zu sein, da auch in diesem Bereich die alte Gräfte schon 1752 zugeschüttet gewe-
sen sein muss. Dass dieser Anbau den Verpächtern als
Sommerwohnung diente, ist zwar nicht explizit belegt, ist aber - wie auch bei vergleichbaren Bauten
nachzuweisen - zu erschließen, da die in dem Bauteil
1768 vorhandene Einrichtung nicht dem Pächter des
Bauernhauses zustand, sondern der Herrschaft gehörte. Durch die dort verzeichneten Möbel lässt sich eine
behalten blieben. Seit wann diese besonderen Bereiche bestanden, ist nicht bekannt, doch ist zu vermuten, dass der herrschaftliche Kammer-Anbau an
das Wohnhaus aus einer anderen Zeit als die 1748/50
erneuerte Borg in der Gräfte stammte. Naheliegend
ist, dass der Hof schon vor seiner Übertragung an die
Familienstiftung im Jahre 1734 Möglichkeiten gebo-
ten hatte, den jeweiligen in Münster lebenden
Besitzern Aufenthaltsmöglichkeiten für einen Sommeraufenthalt zu bieten. So waren beispielsweise
schon 1687 die Pächter dazu verpflichtet, den Hof-
besitzern neben 20 Hühnern sowie Mist und die halbe
Obsternte des Hofes frei Haus nach Münster zu liefern. Bei den verschiedenen Ausbauten des Hofes, die
insbesondere dazu dienten, einen Aufenthalt der
Herrschaft zu ermöglichen, scheint man vor der Mitte
des 18. Jahrhunderts damit begonnen zu haben, die
umgebende Gräfte zuzuschütten (etwa durch den
Anbau einer der Herrschaft dienenden Wohnung an
das Bauernhaus).
Seit Erweiterung der Familienstiftung im Jahre 1744
war der Hof insbesondere dafür bestimmt, eine Sommerwohnung für einen aus der Familie stammenden
Priester bereitzuhalten. Zu dem damit einsetzenden
Ausbau gehörte neben dem 1748-1750 neu errichteten und die Borg genannten Gräftenhaus auch der
nordöstlich daran anschließende rechteckige Herrengarten, der als regelmäßige Barockanlage mit vier von
geschnittenen Hecken eingefassten Beeten gestaltet
war. Die verschiedenen Generationen der die Stiftung
verwaltenden Familienmitglieder haben sich zwar mit
sehr unterschiedlicher Sorgfalt für Pflege und Erhalt
der Gesamtanlage eingesetzt, sodass es immer wieder
auch zum Verfall kam und nicht zuletzt deswegen
später verschiedene Bauten innerhalb der Anlage erneuert werden mussten,9 doch blieben die spätestens
Nutzung als herrschaftlicher Wohn- und Schlafraum
seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestehenden
Strukturen der Hofanlage bis 1930 (als man nach
die Borg genannte Gebäude, das damit spätestens
seit deren Neubau im Jahre 1748 eine zweite herrschaftliche sommerliche Wohnung auf der Hofstelle
Die Borg
Südöstlich des durch den Pächter des Hofes genutz-
erkennen.8 Einer gleichen und hier zudem durch Quellen belegbaren Nutzung diente auch das umgräftete,
bot.
Südöstlich der Gräfte schloss sich ein größeres, von
einer Hecke umgebenes Gartengelände an, das südlich von einem kleinen Bachlauf umgrenzt wurde. Der
nördliche Teil dieses Gartengeländes ist von dem übrigen, zum Haushalt des Pächters gehörenden Garten
abgetrennt und wird schon 1751 als herrschaftlicher
Garten bezeichnet.
Die Hofanlage wies also schon vor der Mitte des 18.
Jahrhunderts Bereiche auf, die deutlich einen „herrschaftlichen" Charakter aufwiesen und die in den seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts vorliegenden Pachtverträgen stets nicht dem Hofpächter überlassen waren, sondern den Verpächtern zu ihrer Nutzung Vor-
Brand ein neues Haupthaus in anderer Lage errichtete) weitgehend unverändert.
ten großen Bauernhauses befand sich schon vor 1744
ein umgräftetes Gebäude, das als Borg bezeichnet
wurde. Die Bezeichnung erhielt das Gebäude wohl,
weil es in seiner Form einem Gräftenspeicher ähnelte
(es ersetzte möglicherweise einem hier zuvor stehenden Gräftenspeicher des Hofes). Eine entsprechende
Nutzung von Bauten mit der Bezeichnung Borg ist seit
dem 15. Jahrhundert auch bei anderen vergleichbaren
Pachthöfen mit Sommerwohnungen im Umkreis von
Münster belegt.10
1744 wurde im Zusammenhang mit der Erweiterung
der Familienstiftung geregelt, dass dem Nutznießer
aus den Einkünften der Stiftung auch die Nutzung der
Borg auf dem Gut Hof Kurze Rumphorst und weitere
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
4 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Die in der Gräfte stehende Borg von Nordwesten (2013).
Rechte zustehen sollten. Nach den Statuten der
Stiftung konnte allerdings nur ein Priester Nutznießer
des Stiftungsvermögens werden. Da sich aber seit
1744 hierzu nie ein Mitglied der Familie entschloss,
blieb das Gebäude mehr oder weniger ungenutzt und
wurde von der Stiftung zumeist auch nur soweit un-
terhalten, dass man hier die Verwaltung der Güter
und die Abnahme der Rechnungen durchführen
konnte. Den Verfall begünstigend musste das Ge-
bäude zwischen 1748 und 1900 in einem nur 50-jährigen Rhythmus dreimal einschneidend erneuert werden. Erst nachdem man nach 1800 die Bestimmungen der Stiftung nicht mehr so eng auslegte und das
Gebäude von einzelnen Generationen als Sommerhaus genutzt wurde, ist der Bauunterhalt intensiviert
worden. Dies geschah aber wohl auch deswegen,
weil mit dem Neubau 1798-1803 des auf der Hofstelle befindlichen großen Bauernhauses für die
Pächter die bislang dort angebaute und ebenfalls den
Verpächtern vorbehaltene Saalkammer nicht mehr
bestand.
Die so genannte Borg wurde in den Verträgen zur
Verpachtung des Gutes Rumphorst über mehrere
Jahrhunderte regelmäßig ausgenommen. Sie blieb mit
einigem zugehörigen Gartenland bis ins frühe 20.
Jahrhundert ein besonderer Besitz und war der Nutzung durch die Vorstände der Familien-Stiftung Vorbehalten.11 Die Nutzung der an die Borg anschließen-
den, als Herrengarten bezeichneten Gartenflächen
fand allerdings bei den Nutzungsberechtigten der
Stiftung sehr unterschiedliches Interesse: So unterblieb zwischen 1807 und etwa 1850 eine intensivere
Pflege des Gartens durch die Stiftung und seine
Nutzung wurde den Pächtern des Hofes übertragen.
Bei der Gesamtaufnahme des Gutes Rumphorst 1751
wird die Borg kartiert und auch verzeichnet, aber
sonst nicht weiter erwähnt. Auch in einem Vertrag mit
dem neuen Pächter des Hofes von 1768 wird sie nur
kurz genannt. Später wird berichtet, die Borg sei nach
dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) verfallen und
später durch Dr. Adam Scheffer als zeitigem Inhaber
der Nutzungsrechte ganz wiederhergestellt und eingerichtet worden (dies geschah nach den Rechnungen der Stiftung in den Jahren 1789 bis 1792). 1807
wird dann aber sehr ausführlich in einem Pachtvertrag
über den Hof ausgeführt: Das neben dem Pfächtiger
Hauß befindliche Haußgen die Borg genannt, wird
von der Guthsherrschaft zum eigenen Gebrauch vor-
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394
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
5 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Die in der Gräfte stehende Borg von Osten. Im Wandgefüge erkennbar die zwei
Querwände und die Abortanlage vor den nördlichen Wohnräumen (2013).
behalten und sind Pfächtiger verpflichtet, dasselbe
beßern und rein zu halten, danebst vorschaltenen sogenannten Herren Garten, wie auch dahinter liegen-
der Hoffkamps Garten, können Pfächtiger bis zur
extra Aufforderung des Gutsherren zum Gemüßziehen und respective Besamung nutzen und daß im Fall
die Guthsherrschaft davon Gebrauch machen will,
diese dem Pfächtigern mit halb Jahre vorher angekündigt. Formulierungen in späteren Pachtverträgen sind
wiederum wortkarger und weitgehend formalisiert,
doch wechseln verschiedentlich die Zusätze: 1822
nennt ein Pachtvertrag neben den Gartenflächen wiederum das Häusgen, die Borg genannt, die der Pächter des Hofes selber auf keine Art ohne Genehmigung
nutzen dürfte. Er wurde darüber hinaus verpflichtet,
das Gebäude besenrein zu halten. Zusätzlich gibt es
nun die Bestimmung, dass der Hofpächter einmal im
Jahr die Gutsherrschaft einschließlich der bei sich
habenden Gesellschaft mittags zu bewirthen habe.'2
Auch 1857 wird die sogenannte Borg und der daran
liegende, zu einer kleinen Anlage geschaffene Theil
des Herrengartens im Pachtvertrag von der Verpach-
tung des Hofes ausgenommen. Auch 1883 ist die
sogenannte Borg nebst der dieselbe umgebende Teich
und eine vor ihr liegende Anlage wiederum von der
Verpachtung ausgeschlossen (allerdings wird nun der
Herrengarten mit verpachtet, kann aber bei einer
Kündigungsfrist von sechs Monaten wieder vom Verpächter übernommen werden).
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
Zwischen 1800 und 1855 wurde die Nutzung der
Borg jeweils dem Emonitor (der Verwalter) der Stif-
tung ohne Berechnung überlassen, wohl insbesondere, weil das Gebäude als Verwaltungssitz der Stiftung
genutzt wurde, hier auch deren Buchführung geschah
und das Archiv untergebracht war. Allerdings hatten
die in der Zeit zwischen 1820 und 1841 tätigen Emonitoren nur wenig Interesse an einer eigenen Nutzung
des Gebäudes, sodass es erneut vernachlässigt wurde.
Zu dieser Zeit scheinen die Familienvorstände statt der
Borg bei Telgte ein anderes vergleichbares und eben-
falls um 1800 erneuertes Sommerhaus genutzt zu
haben, das sich durch Erbschaft des Hofes Haus Reithaus (Münster-Wolbeck, Kasewinkel 230) ebenfalls im
Besitz der Familie befand und nur wenige Kilometer
südlich von Telgte stand. Nach einer durch den Verfall
notwendig gewordenen grundlegenden Reparatur
der Telgter Borg fasste der Stiftungsvorstand am 12.
Dezember 1855 einen Beschluss, der wohl auch vor
dem Hintergrund geschah, dass seit über hundert
Jahren kein Mitglied der Familie Priester geworden
war und dies auch für die nächsten Jahre nicht in
Aussicht stand: Es ist bisher als zweckmäßig angese-
hen, daß der Emonitor als Beaufsichtiger und
Verwalter der Rumphorster Grundgüter die restaurierte s.g. Borg bei Rumphorst in Benutzung nehmen und
solche namentlich zur Herbstzeit mit seiner Familie
beziehen und sie auf diese Weise auch zum
Sammelplatz für die gesamte Familie machte. - Um
jedoch für die Zukunft diese Benutzung nicht als
Zur Baugeschichte der Borg
Bau (bis 1748)
Über die bauliche Gestalt und das Alter des bis 1748
bestehenden und als Borg bezeichneten Gebäudes ist
nichts bekannt. Es ist zu vermuten, dass es ein speicherartiges Gebäude war, das innerhalb der Gräfte
stand.
Sommerwohngebäude (1748-1789)
Das als Borg bezeichnete Gebäude wurde in den
Jahren 1748 bis 1750 völlig neu als ein zweigeschossiger Fachwerkbau über einem massiv aufgemauerten
und wohl nicht als Keller ausgebautem Sockel errichtet und erhielt seinen Zugang über eine hölzerne Zugbrücke über die Gräfte: 1748 mauerte man zunächst
ein neues hohes Fundament auf.14 1749 wurde darüber das Fachwerkgerüst erstellt und ausgemauert.15
Der Innenausbau konnte im folgenden Jahr fertig
gestellt werden.
Ab 1765 sind mehrmals kleinere und größere Reparaturen an dem Gebäude durchgeführt worden.16 Da
allerdings kein Familienmitglied Priester wurde und
das Gebäude als Sommerhaus nutzten konnte, unterblieb ein kontinuierlicher Unterhalt, sodass die Borg
nach 1780 offenbar schnell verfiel. Schon 1789 muss-
te sie daher wieder durch einen Neubau auf dem
alten Sockel ersetzt werden.
Neubau als Sommerhaus (von 1789/92)
Das wiederum als Borg bezeichnete Gebäude wurde
einen Ausfluß aus dem Amte des Emonitors erscheinen und als eine ihm zustehendes Recht aufkommen
zu lassen, so hat der Vorstand sich veranlaßt gefunden, die Benutzung der Wohnung etc. dem Ferdinand
auf Initiative von Dr. Adam Scheffer-Boichorst (24. Dezember 1736-17. Mai 1808) nach seiner Übernahme
der Stiftungsverwaltung neu errichtet. Er war Canoni-
überlassen. Auf der Grundlage dieser Regelung blieb
das Gebäude für die nächsten 45 Jahre dem jeweiligen Emonitor der Stiftung für die geringe Miete von
4 Thalern jährlich zur Nutzung überlassen,13 wobei die
chen münsterschen Hofgerichtes.
Nach eigenem Bericht ließ er die Borg wieder ganz so
herstellen, wie er das Gebäude aus seiner Jugend vor
dem siebenjährigen Krieg gekannt habe. Bei der Baumaßnahme ging es ihm also nicht darum, ein größeres oder moderneres Haus zu schaffen, sondern es in
Niedieck, derzeitigen Emonitor der Stiftung für die
jährliche Miete von 4 Thalern bis zum Widerruf zu
Unterhaltungs- und Renovierungskosten der Borg
aber weiterhin die Stiftung trug: Bis 1869 nutzte
Rechtsanwalt und Bankier Niedick in Münster das
Gebäude und danach Theodor Scheffer-Boichorst (13.
Dezember 1819-20. Oktober 1898), der von 18791886 Bürgermeister von Münster war, später zum
preußischen Geheimrat ernannt wurde und zuletzt als
Rentner bezeichnet wurde. Erst mit seinem Tode
endete die bisherige Nutzungsregelung; fortan wurde
die Borg Mitgliedern der Familie Scheffer-Boichorst als
Dauerwohnung überlassen. Zunächst lebte hier nach
einer umfangreichen Renovierung ab 1902 der entfernte Vetter Theodor Scheffer-Boichorst (11. Dezember 1837-2. März 1906) und nach seinem Tode 1906
über lange Zeit seine unverheiratete Tochter Maria
Scheffer-Boichorst (*11. Dezember 1865).
cus am Domstift und ab 1761 Mitglied des Hofrates
in Münster sowie Amtsverwalter des fürstbischöfli-
den bestehenden Formen wieder zu erneuern. Den
Fachwerkbau scheint man über dem alten Sockel
weitgehend in den alten Formen kopiert zu haben.
Anhand der Jahresrechnungen lässt sich Verlauf der
Bauarbeiten weitgehend nachvollziehen: 1786 begann man mit mehrjährigen Vorbereitungen, in dem
man das notwendige Baumaterial beschaffte und dieses vorbereitete.17 Erst im Sommer des Jahres 1790
scheint man den Fachwerkbau verzimmert, aufgerichtet und ausgemauert zu haben.18 1791 war der Rohbau ausgetrocknet, wobei noch ergänzende Arbeiten
erfolgten19 und 1792 wurde offensichtlich der Innenausbau fertig,20 sodass der der Neubau bewohnt wer-
den konnte. Die Gesamtkosten des Neubaus betrugen etwa 225 Rthl.
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Es wurde ein zweistöckiges Fachwerkgebäude mit
Vollwalmdach errichtet, das auf dem vom Vorgängergebäude übernommenen massivem Sockel inmit-
ten der Gräfte steht. Entsprechend den Zielen der Stif-
tung kann davon ausgegangen werden, dass das
neue Haus in seinen wesentlichen Strukturen das vorher hier stehende Gebäude wiederholte, hierbei allerdings in zeitgenössischer Konstruktionsweise errichtet
wurde. So ist das Hausgerüst von neun Gebinden
ohne geringste Vorkragung der Stockwerke zweistö-
ckig verzimmert. Die Geschoss- und Dachbalken sind
aufgelegt. Das Gerüst ist in beiden Stockwerken zweifach verriegelt (mit Riegelversprung für die zu dieser
Zeit üblichen großen Fensteröffnungen) und an den
Eckständern mit langen und geraden Fußstreben ausgesteift; im Obergeschoss finden sich stattdessen an
den Giebelwänden kürzere Kopfstreben, mit denen
an den Längswänden auch die Ständer der Zwischenwände ausgesteift sind. Über dem Gebäude steht ein
für „herrschaftliche Gebäude" im 18. Jahrhundert
charakteristisches Vollwalmdach recht flacher Neigung mit einer Pfanneneindeckung, wobei die Sparrenpaare eine gezapfte Kehlbalkenlage erhielten. Die
Fenster wurden mit kleinen in Bleiruten gefassten
Glasscheiben versehen und erhielten Läden.
Das Innere ist in der Mitte der nördlichen Längswand
von einer Haustür (mit vorgelegter hölzerner Brücke
über die Gräfte) erschlossen und offensichtlich in beiden Stockwerken von zwei in das Hausgerüst eingebundenen Querwänden bestimmt, durch die vor den
beiden Giebelwänden jeweils Wohnräume von zwei
Gefachen Breite abgetrennt sind. Die mittlere, vier
Gefach breite Zone dazwischen dient im Erdgeschoss
als große Eingangsküche und im Obergeschoss als
eine durchgehende Flurdiele. Offen eingestellt. In der
südwestlichen Ecke gab es eine zweimal gewendelte
hölzerne Etagentreppe mit einem Geländer aus
Sägeballustern. In der östlichen Seitenwand der Eingangsdiele steht bis heute der große gemauerte Kaminblock mit einer offenen Herdfeuerstelle; ihre Front
wurde mit Werksteinen aus Sandstein verkleidet. Der
Feuerstelle vorgelagert ist ein hölzerner Rauchfang
mit einem breiten umlaufenden und profilierten Gesims.
An der südlichen, vom Hof abgewandten Längswand
des Gebäudes gibt es über massiv in der Gräfte auf-
gemauerten Pfeilern einen zwei Gefache breiten
Fachwerkvorbau mit Pultdach, in dem zwei Aborte
mit Fallschächten zur Gräfte untergebracht sind: Im
östlichen eingeschossigen Teil befindet sich ein von
6 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Die Eingangs- und Herdküche der Borg um 1910. Die Küche war zu dieser Zeit mit vie-
len historischen Gegenständen als „romantischer" Raum eingerichtet und konnte so von Mitgliedern der Familie und ihren
Besuchern als traditionsreicher Platz mit ländlichem Flair empfunden werden. Das Foto wurde von der Familie als Postkarte
verschickt und zeigt zwei historische Trachten tragende Familienmitglieder.
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
dem nördlichen Raum des Erdgeschosses zugänglicher Abort (dieser Raum sollte daher sicherlich als
Schlafraum dienen) und im südlichen, zweigeschossigen Teil gibt es einen vom Obergeschoss zugänglichen Abort. Er befindet sich an der dortigen mittleren
Diele und diente damit den beiden anschließenden
Schlafräumen.
In den Jahren 1800/02 befand sich die Borg nach verschiedenen Berichten in den Akten während des Baus
des benachbarten Pächterwohnhauses in einem
guten Zustand. Sie wurde von den Exekutoren der
Stiftung während ihres Aufenthaltes auf dem Hof und
bei den stetigen Besuchen auf der Baustelle öfters
genutzt. Es folgten nun kontinuierlich kleinere Arbeiten zur Bauunterhaltung.21 Zwischen etwa 1820 und
1841 scheint die Borg dann allerdings von dem Nutzungsberechtigten nicht mehr als Sommerhaus genutzt worden zu sein und wurde wiederum kaum
noch unterhalten, sodass das Gebäude entgegen den
Bestimmungen der Familienstiftung schnell wieder
verfiel und schon nach 50-jährigem Bestand erneut
als baufällig galt.22
Modernisierung 1844-1845
Im Herbst 1840 wurden erste Reparaturen an dem
Gebäude durchgeführt.23 Trotz dieser auf das Äußere
beschränkten Unterhaltungsarbeiten wurde das Haus
1842 als verwahrlost beschrieben: Die Einrichtung sei
zerstört oder fortgebracht. Daher beschloss der Stiftungsvorstand, das Gebäude unter Hinzuziehung des
Bauinspektors Teuto in Münster gründlich instand set-
zen zu lassen und auch wieder zum Bewohnen notwendiges Inventar zu beschaffen. Die Kosten in Höhe
von 446 Thl. der 1844 bis 1845 durchgeführten
Baumaßnahmen wurden von der Stiftung ebenso
übernommen wie die 239 Thl., die im folgenden Jahr
für die Innenausstattung und die Neugestaltung des
Gartens anfielen. Insgesamt wurden die Kosten zum
Schluss mit 701 Thl. berechnet.
Bei den Arbeiten wurde nicht nur der gesamte Bau in
seiner Konstruktion saniert, sondern auch das Raum-
programm modernisiert. Hierbei hat man von der
breiten mittleren Diele im Obergeschoss durch eine
Querwand einen zusätzlichen Raum abgetrennt und
alle Fenster mit großen Scheiben und hölzernen
Sprossen erneuert. Alle Räume wurden zudem neu
ausgestaltet.24 In der Abrechnung werden verschiedene Räume genannt: Küche mit dem Rauchfang, Zimmer der Kinder, Vorratskammer, der Entree oben. In
jeder Etage gab es fünf Zimmertüren. Das große und
ein kleines Zimmer wurden grün, ein kleines Zimmer
blau, zwei Zimmer rot und ein Zimmer gelb gestrichen. Der Schreiner Philipp Rumphorst führte nicht
nur den gesamten Anstrich aus,25 sondern lieferte
auch die meisten der neu beschafften Möbel. Hierfür
rechnete er insgesamt 208 Thl ab.25 Er lieferte an
Einrichtungsstücken: einen großen Kleiderschrank mit
acht Schubladen, zwei zweischläfrige und zwei einschläfrige Bettstellen, drei Garderoben, einen ovalen
Tisch, eine Kirschbaumkommode, einen Spiegelschrank, 18 Zimmerstühle, zwei Küchenstühle und
einen kleinen Küchentisch mit Schublade. Weitere
Einrichtungsgegenstände beschaffte man in Münster:
Bei Fr. Koch kaufte man für 7 Thl. einen großen und
zwei kleinere Spiegel. Brüggemann lieferte für 12 Thl
den im Haus aufgestellten Friedrichsofen Nr. 1 und
Schmitz für 1 Thl. 15 sgr. einen Ofenstein als seine
Unterlage. A. Ewertz aus Münster rechnete 3 Thl. 5 gr.
dafür ab, dass er ein Wappen auf Glas gemahlt und
noch drei kleine Wappen gemalt habe, von denen
eines zusätzlich mit Schrift versehen sei. Ferner wurden Roleaux für die Fenster und Lambris beschafft.
Um zu verhindern, dass das Haus fortan wieder verwahrloste, beschloss der Stiftungsvorstand, jährlich
ein Inventar über das vorhandene Mobiliar anfertigen
zu lassen. Hierbei blieb man allerdings nur bis 1851,
als man die Borg an den Banquier Niedik aus Münster
vermietete. Zuvor hatte man noch eine umfassende
Renovierung für etwa 150 Thl. durchführen lassen.27
Fortan lässt sich ein kontinuierlicher Bauunterhalt
nachweisen.28 1 898 werden die im Gebäude vorhan-
denen Räume aufgezählt: Küche, Wohnzimmer,
erstes und zweites Schlafzimmer sowie zwei
Kammern.
Reparaturen 1900
1898 wurde beschlossen, die Borg gründlich reparieren zu lassen.29 Nachdem der Vorstand der Stiftung
aufgrund des von Handwerkern festgestellten Verfalls
zunächst im September 1899 einen kompletten
Neubau beschlossen hatte, entschied man sich nach
Einholung verschiedener Gutachten und einer Skizze
des Baudirektors Löffken aus Münster sowie einer von
diesem vorgelegten Kalkulation über die Kosten für
einen Neubau von etwa 25-30 000 Mark im Januar
1900 doch dazu, den bestehenden Bau zu reparieren
und wieder so bewohnbar zu machen. Er sollte
danach dem derzeitigen Stiftungsvorstand Theodor
Scheffer-Boichorst vermietet werden. Das Gebäude
wurde im Inneren einer eingehenden Renovierung un-
terzogen, wobei die Wände teilweise einen neuen
Verputz, die Böden und teilweise auch die Wände
einen Linoleumbelag erhielten, andere Wände tapeziert wurden und man die alten Möbel mit einem
Anstrich versah.30
Im Zuge der Neuvermietung 1906 erneuerte man die
schlechte Dacheindeckung und den Außenanstrich.
Im Inneren wurde die Küche verlegt.31 In den nächsten
Jahren folgten weitere Modernisierungsarbeiten vor
dem Hintergrund der zu dieser Zeit umfangreichen
Einkünfte der Familienstiftung.32 Als ihre Erträge spä-
ter zurückgingen, wurde das Gebäude nur noch geringfügig unterhalten. Erst 1990 erfolgte eine erneute Sanierung des Gebäudes.33
397
398
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Nachrichten zum Hof- und Herrengarten
Der Hofgarten
Das wohl weitgehend als Obstgarten genutzte Ge-
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich
lände war von einer Hecke eingefasst.
keine Pflegemaßnahmen am Herrengarten in den
Rechnungen der Stiftung nachweisen. Vielmehr
wurde der Garten 1807 den Hofpächtern bis auf
bäume für 6/2 Thl. 1831 wurden durch Maurer-
Samenzucht überlassen. Möglicherweise unterblieb
eine intensivere Pflege, sodass die Anlage mit den
Hecken fortan verwilderte. Erst im Zusammenhang
mit der grundlegenden Erneuerung der Borg wurde
1844 auch der anschließende Garten neu angelegt
Im Jahr 1791 kaufte man 9 französische Pflaumenbäume für 6 Rthl. Die regelmäßige Pflege der Obstbäume mit Beschneiden durch den Gärtner Dumme
lässt sich schon vor 1800 und bis 1821 nachweisen.
1817 lieferte Dumme im März auch 16 neue Obst-
meister Alfermann aus Telgte für 2 Thl. wilde Obststämme geliefert und gepflanzt.
Vor 1800 bis 1821 übernahm Gärtner Dumme das
Schneiden und Instandsetzen der Hecken. Er erhielt
hierfür jährlich etwa 1/2 Rthl. Nach 1821 scheint man
die Pflege durch einen Gärtner allerdings eingestellt
zu haben, denn ab 1822 übernahm Maurermeister
Alfermann aus Telgte im Zuge seiner jährlichen Reparaturarbeiten an den Bauten auch das Scheren der
Hecken. 1826 pflanzte er auch Hecken nach. Auch
1830 reparierte Maurermeister Alfermann aus Telgte
die Hecken am Fruchthof für 4 Thl. und 1833 arbeitete er mit einem Gehilfen 2 Tage bei der Hecke.
Der Herrengarten
der Hofanlage ist möglicherweise erst in den Jahren
um 1750 nach Abtrennung einer Teilfläche vom Hofoder Baumgarten angelegt worden. Auf dem 1751
gezeichneten Plan des Hofes wird er als rechteckiges
Parterre dargestellt, das durch ein Wegekreuz in vier
Felder eingeteilt ist. Der Plan deutet an, was sich für
spätere Zeiten auch durch weitere Quellen belegen
lässt: Die vier Felder wurden von Buchsbaumhecken
eingefasst.
Die Anlage bedurfte einer kontinuierlichen Pflege:
Nach der Jahresrechnung der Stiftung von 1776 (wie
auch in allen weiteren Jahren) wurde beispielsweise
den Gärtnern, welche zum Rumphorst Hecken und
Widerruf zum Anbauen von Gemüse und zur
und war in den nächsten Jahrzehnten auch nicht
mehr den Hofpächtern zur Nutzung überlassen. Die
Neugestaltung übertrug man dem Gärtner Bernhard
Schuhmacher, der für etwa 16 Thl. auch den hierfür
nötigen Buxbaum und den Blumensamen lieferte.
Zusätzlich beschaffte man vom botanischen Gärtner
Revermann in Münster sieben verschiedene Rosen-
ströcke und weitere Blumen für 1 Thl. 15 sgr. Bei
Peters erwarb man acht Apfelbäume für 4 Thl. 12 sgr.,
die Schuhmacher dann einpflanzte. Auch beschaffte
man 12 Gartenstühle. In den nächsten Jahren pflegte
dann Gärtner Schuhmacher den Garten kontinuierlich.34
Nachdem man die Borg und den zugehörigen Garten
1851 dem Rechtsanwalt Niedik in Münster mietweise
zur Nutzung übertragen hatte, beschäftigte sich die-
ser offensichtlich intensiv mit dem Zustand des
Gartens und seinem weiteren Ausbau. Im Sommer
1852 gab man den westlichen Teil des Herrengartens
in seiner bislang noch immer bestehenden barocken
Gestaltung auf und gestaltete den übrigen Bereich
nahe der Borg zu einer kleinen Anlage im romanti-
schen Geschmack.35 Nur noch diese neue kleine An-
lage wurde fortan von den Verpächtern genutzt und
unterhalten, während der übrige Herrengarten den
Hofpächtern überlassen blieb und zum Teil des Hofgartens wurde.
1871 errichtete man eine Gartenlaube unter der
Buchsbaum geschoren, jeweils über einen halben
Esche' 1891 reparierte man die Gartenlaube sowie die
Gartenmöbel und 1895 die Laube aus hölzernen Lat-
genannt. Gelegentlich waren auch grundlegendere
ten grundlegend.
Taler Lohn gezahlt. 1779 wurde der Gärtner Schivede
Arbeiten wie das Neupflanzen der Buchsbaumhecken
notwendig: 1787 wurden wegen Umlegen des Buchsbaums 1 Rthl. 18 sch. verbucht.
7 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Schematischer Plan der Gartenanlagen mit dem westlich anschließenden Bauernhaus
sowie der umgräfteten Borg. Der Plan mit Angabe der zu pflanzenden Bäume, Sträucher und Blumenstauden entstand 1852
zur Vorbereitung einer Neugestaltung des von der Herrschaft bei ihren Besuchen auf dem Land genutzten Gartens.
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
399
400
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
1 Bis 1975 war das Gebäude Teil des Hofes Kirchspiel Telgte,
größeren Blatt, das in zwei identischen Exemplaren überliefert ist.
Schwienhorst Nr. 2; heute wird es unter der Adresse Telgte,
8 In einem wegen Konkurs des Pächters im Jahre 1768
Schwienhorst 3 a geführt.
erstellten Inventarverzeichnis des gesamten Bauernhauses
2 Weiterhin sind zahlreiche Aktenbände zum Ankauf von
wird vermerkt: Auf der großen Kammer eine ßette-Stelle,
Grundstücken und Höfen sowie zum Unterhalt, Baumaßnahmen und Rechtsstreitigkeiten auf den Besitztümern der
Stiftung erhalten. Hierzu gehören vereinzelt auch Akten, die
eine weitere Bette-Stelle, ein kleines Schapp, ein großes
Schapp, eine große und eine kleinere Kiste ... ein Tisch, so
aus Vorarchiven stammen und im Zuge des Ankaufs von
Höfen und Grundstücken in das Archiv gelangten (etwa Akten zu dem in einem weiteren Beitrag vom in diesem Band
ebenfalls in einem eigenen Beitrag vom Autor dargestellten
Hof Haus Lohfeld). Andere Akten betreffen die von der Stif-
9 1788/91 Erneuerung der Borg, 1800/02 Neubau des
tung zu Zinsen vergebenen Geldbeträge, wozu auch bis in
das 17. Jahrhundert zurückreichende Obligationen gehör-
11 1688 wird die Borg nicht im Pachtvertrag angeführt, was
darauf hindeuten könnte, dass sie zu dieser Zeit noch nicht
ten.
in der Form eines Wohnhauses bestand.
3 Da eine Erschließung des Bestandes durch ein Verzeichnis
12 Ferner musste der Pächter achtmal im Jahr Spanndienste
oder Findbuch nicht vorhanden ist, musste auf den Ein-
mit vier Pferden leisten, unter anderem, um die Hälfte des
zelnachweis der Nachrichten verzichtet werden. Die Quellen
auf dem Gut anfallenden Obstes zu den Verpächtern nach
für die angeführten Belege ergeben sich allerdings in aller
Münster zu bringen.
Regel daraus, dass sie in der Regel den jährlichen Rechnun-
13 1871 wurde die Miete auf 15 RM jährlich umgestellt.
14 Diese Arbeiten führte Maurermeister Renvers von Steinen
gen bzw. den zugehörigen Quittungen bzw. Sitzungsprotokollen und Beschlüssen entnommen wurden.
aber dem Herrn Scheffer zugehörig.
Haupthauses und 1814 eines größeren Backspeichers, 1889
und 1907 Erweiterung der Scheune.
10 Hierzu der einleitende Beitrag von Fred Kaspar in diesem
Band.
4 Albert Ludorf, Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen,
aus, die man für 20 Rthl. von dem Bauern Frommelt erwarb
und durch den Zeller Dankbar für etwa 12 Rthl. hatte anfah-
Münster-Land. Münster 1897, S. 179; Karl Eugen
ren lassen. Den notwendigen Kalk lieferte für fast 30 Rthl.
Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von
Grimmeismann.
1450 bis 1650. Münster 1961, S. 8; Fred Kaspar, Stand und
15 Nach den Rechnungen wurde das Holz durch Zimmer-
Aufgaben historischer Hausforschung in Nordwestdeutsch-
meister Wilhelm Heinrich Haesch zugeschnitten und über
dem Sockel verzimmert. Maurermeister Renfers mauerte es
land, in: Westfälische Forschungen. 39. Münster 1989, S.
543-572, hier Abb. 13.
5 Witton lässt sich erstmals in Münster 1603 als Mieter des
anschließend aus.
16 1765 wurde das Dach mit Pfannen und Docken neu ein-
Hauses Prinzipalmarkt 6 und dann 1604 als Mieter des
gedeckt. 1771 ist das Gebäude zugleich mit allen anderen
Hauses Alter Fischmarkt 8 nachweisen. Seit 1605 besaß er
Bauten des Gutes mit einem Wert von 200 Rthl. in die Brand-
dann das Haus Alter Fischmarkt 5, das er bis zum Bezug des
versicherung aufgenommen (die Versicherungssumme wur-
1616 angekauften und dort bis 1617 errichteten aufwändigen Neubaus mit Renaissancefassade am Roggenmarkt 14
de 1781 auf 300 Rthl. erhöht). 1776 wurden wegen der aus-
gebesserten Gläsern auf der Borg 5/2 Rthl und 1778 wegen
mit seiner Familie bewohnte (Max Geisberg, Bau- und Kunst-
reparierter Schlösser auf der Borg 13 Schilling ausgezahlt. Im
denkmäler von Westfalen. Stadt Münster, Band III. Münster
gleichen Jahr erhielt Zimmermann Holtkötter zur Brücke auf
1934, S. 323-327; Ralf Klötzer, Häuserbuch der Stadt Müns-
Rumphorst 10 Rthl. 18 sch. 1786 wurde das Dach für 5 Rthl.
ter, Band III. Münster 2008, S. 208 und 249).
repariert und umgelegt.
17 Zunächst wurden 300 Pfannen für das Dach auf der Borg
6 Im Erbe des Kaufmanns Witton befanden sich große
Besitztümer in der Stadt Münster: Der Orden der Jesuiten
für etwa 20 Rthl. sowie Kalk geliefert, den man einsumpfte.
erhielt das Haus Alter Fischmarkt 5, während der restliche
Im folgenden Jahr rechnete Zimmermann Hermann Holtköt-
Besitz unter seinen drei Kindern aus seiner 1596 geschlosse-
ter aus Telgte für seine Arbeiten zur Bauholzbeschaffung etwa 28 Rthl. ab. Er hatte zunächst mit drei Mann an sieben
nen Ehe mit Gese Berends verteilt wurde: Der einzige Sohn
Johann Lancelott Witton erbte die Häuser am Roggenmarkt
und das Haus an der Voßbrede in Münster. Die Tochter
Katharina, verheiratet mit Dr. Lennep, erbte den Hof Lange
Rumphorst in Telgte und die Tochter Maria (1605-1677) den
Tagen Holz geschlagen und beschnitten und dann noch ein-
mal mit vier Mann an 24 Tagen Holz behauen und beschnitten. 1788 schnitt der Zimmermann noch einmal für 7 Rthl.
8 sch. Holz für die Brücke und die Bänke zu und verarbeite-
benachbarten Hof Kurze Rumphorst, ferner das Haus Alter
te das Holz.
Fischmarkt 5 und das von Witton um 1640 angekaufte Anwesen Neubrückenstraße 20 in Münster.
7 Der Text sowie der von dem fürstlichen Landmesser und
ration der borg zu Rumphorst mit 94 Rthl. 20 sch. mit dem
wohl den Bau überwachenden Pächter des Hofes Rumphorst
Notar Johann Henrich Berteling in Telgte aufgenommene
Plan der zum Stiftungsvermögen gehörigen Grundstücke ist
abgerechnet. Der Zimmermeister Holtkötter erhielt 32 Rthl.,
der Maurermeister Bernd Venne, der 18 Tage mit vier Mann
im Archiv der Familienstiftung erhalten. Die kolorierten
Zeichnungen befinden sich zusammengefasst auf einem
ebenfalls 32 Rthl., der Schmiedemeister H. Werning für die
18 Im Herbst des Jahres wurden Rechnungen wegen Repa-
und dann 14 Tage mit drei Mann auf der Baustelle tätig war,
Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause
Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)
benötigten Dielennägel, Anker und Bänder 11 Rthl. und der
mit 10 Thl. 15 sgr. ab. Für die Fenster bezog man bei
Pächter Rumphorst für zwei Fuder Stroh, Pliesternägel und
Christian Becker in Telgte 102 Scheiben doppelt weiß glaß,
vieles andere durch ihn besorgtes Material 18 Rthl.
die bei einem Preis von 12 sgr. pro Scheibe allein 20 Thl. 24
19 Maurermeister Venne stellte noch einmal eine Rechnung
sgr. kosteten. Ferner wurden drei runde Scheiben für das
Oberlicht [der Haustür] geliefert. Alle Scheiben wurden für
über 9 Rthl. 22 sch. für neun Tage Arbeit mit drei bis vier
Mann aus. Ferner rechnete der Pächter weitere kleinere
Auslagen behuf der reparation mit über 6 Rthl. 7 sch. ab.
51/2 Thl. eingesetzt und von innen verkittet. Ferner wurde das
Rthl. 21 sch., der Schlossermeister Johannes Schäffer aus
Oberlicht über der Haustür in Blei eingefasst mit blau und
roth Glas, was noch einmal 1 Thl. 20 gr. kostete. Abschließend wurde das Haus außen und innen neu gestrichen,
wobei man die Fenster und Innentüren weiß (bleiweiß in Öl)
Telgte 13 Rthl. 22 sch., der Schlosser Johann Hermann Otloh
und die Blendläden und Außentüren grün fasste. Das
20 Der Schreinermeister Johann Engelbert Hontes aus Telgte
erhielt für mehrere Wochen Arbeit mit zwei Personen 15
12 Rthl. 6 sch. und Engelbert Harteug für Färbung der
Fenster und Tür zu Rumphorst 17 Rthl. 25 sch. Diese Kosten
wurden in den Jahresrechnungen für 1790/91, 1791/92 und
1792/93 abgerechnet. In den Rechnungen der folgenden
Jahre finden sich hingegen keine weiteren Kosten für den
Bau mehr. Die jeweils angegebenen und zu den Abrechnungen gehörenden Belege wurden allerdings nicht aufgefunden.
21 1806 erneuerte Philipp Fockenbrock die Brücke an der
Borg und 1807 reparierte man die Dacheindeckung mit Kalk
und Stroh für 14 Rthl.
Brückengeländer erhielt einen Anstrich aus Mineralteer.
25 Die Plafonds aller Zimmer erhielten einen weißen Anstrich. Auch nahezu alle neu beschafften Möbel erhielten
einen Anstrich.
26 Er fertigte auch das Brückengeländer, eine Doppeltür von
Eiche vor dem Eingang, die äußere Verkleidung des Abtritts
mit Eichenbrettern und den Deckel auf dem Abtritt.
27 Hierbei erhielt das gesamte Fachwerkgebäude durch F. H.
Laukamp neue Sohlsteine aus Sandstein, sodass auch die
Gefache darüber erneuert und andere repariert werden
mussten. Ferner wurde auch der Beschuss auf der Wohn-
22 Nur die nötigsten Arbeiten führte man an dem leerstehenden Gebäude durch: 1819 wurde der hohe gemauerte
stube erneuert. Bei der großen Reparatur wenige Jahre zuvor
Sockel wegen Verfalles ebenso wie bei den anderen Bauten
nun allerdings als Bedürfnis empfunden. Ferner wurde das
Dach mit 600 Pfannen neu eingedeckt.
auf der Hofanlage durch Maurermeister Joachim Alfermann
aus Telgte repariert und 1830 das Dach von Borg und Päch-
terwohnhaus mit Kalk umgedeckt, wozu man auch 1000
neue Pfannen ankaufte. Schon im November 1834 erlitten
die erneuerten Dachdeckungen schwere Sturmschäden,
sodass Maurermeister Alfermann aus Telgte das Dach der
Borg im folgenden Frühjahr für 15 Thl. wieder ausbessern
musste. 1835 folgte eine Erneuerung der Brücke.
23 Maurermeister Heinrich Laukamp arbeitete ab August mit
zwei Männern etwa vier Wochen in dem Gebäude. Er ver-
brauchte hierbei größere Mengen von Steinen, Wasserkalk,
Rohrdraht und Nägeln und rechnete alles mit etwa 30 Thl.
ab. Der Glaser H. Wielage aus Telgte reparierte die in Blei
gefassten Fenster, wobei er viele der kleinen Scheiben neu in
Blei setzte, teilweise auch die Rahmen erneuern musste.
Anschließend führte der Schreiner Philipp Rumphorst aus
Telgte für etwa 13 Rthl. einige Reparaturen an den Fenstern
(jeweils mit Klappen) und den Türen durch und strich diese
auch an.
24 Im Sommer 1844 wurde das Gebäude durch Zimmermann Ringemann im Rohbau für 42 Thl. repariert, wozu der
Schmied Bernhard Zumbrock verschiedene eiserne Anker lieferte. Im Inneren wurde der Grundriss teilweise verändert: Im
unteren Geschoss wurden Türen versetzt und im Obergeschoss Zwischenwände gemacht. Mit den angekauften 150
Fuß Flursteine aus Ibbenbüren dürfte das Erdgeschoss, insbe-
sondere die Eingangsküche ausgelegt worden sein. Der
Maurermeister Laukamp führte umfangreiche Arbeiten an
der Gefachausmauerung durch, die er mit 67/2 Thl. abrechnete. Er lieferte auch Zinkblech und gläserne Pfannen, um in
dem neu eingedeckten Dach eine Belichtung zu ermöglichen. Die Schlosserarbeiten rechnete Schlosser Frölinghaus
hatte man diese Arbeiten nicht für notwendig erachtet, dies
28 1855 wurde der Anstrich repariert und 1865 das Haus
innen (genannt wird insbesondere das grüne, blaue, gelbe
Zimmer und die Küche) und außen sowie die Fenster mit den
Blendläden und das Brückengeländer durch den Schreiner
Philipp Rumphorst für 32 Thl. neu angestrichen. Schon 1867
wurde der Anstrich teilweise durch Rumphorst für 15 Thl.
erneuert. 1871 reparierte Maurermeister H. Laukamp die be-
sonders dem Schlagregen ausgesetzte Westwand des Gebäudes und versah sie anschließend an der Außenseite mit
einem Zementputz über Drahtgeflecht. 1872 fertigte Schrei-
ner Rumphorst für 67 Mark eine neue Brücke. 1875 wurde
das Dach durch Maurer H. Laukamp umgedeckt. 1878 wur-
de der Putz mit Wasserkaik repariert und danach das Gebäude durch den Maurer Laukamp mit einem neuen Außenanstich versehen. Auch 1880 flickte Laukamp für 14 Mark
einige Tage an der Borg, wobei er insbesondere Zement, Öl
und Farbe benötigte. 1891 wurden durch den Schreiner B.
Bücker aus Telgte alle Fenster und 1892 durch Maurer
Wilhelm Deiters für 40 Mark unter Verwendung von Zement
das Fundament repariert. 1893 strich er das Wohnzimmer
neu und reparierte das Brückengeländer und 1895 strich er
ein weiteres Zimmer (hierzu benötigte er 10 Pfund Grün, 19
Pfund Bleiweiß und 6 Liter Öl). 1898 wird durch Schreiner
Bücker aus Telgte die Brücke für 226 Mark erneuert.
29 Maurermeister Gerdemann und Zimmermeister Horstmann aus Telgte legten hierzu im Sommer 1899 Kostenanschläge vor.
30 1903 ließ man die Wetterseite des Gebäudes mit Brettern
beschlagen und 1904 wurde das Äußere und Innere des
Gebäudes durch den Dekorationsmaler Bernhard Bockmann
aufgearbeitet.
401
402
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
31 Die bislang wohl noch in der Eingangsdiele befindliche
Koch-Feuerstelle wurde damit zu einem romantischen Sitz-
Abbildungsnachweis
platz. Die Küche wurde in den östlichen Schlafraum verlegt.
Die Arbeiten führte Zimmermeister A. Gerdemann und an-
falen: 1, 4, 5 (Kaspar);
dere für insgesamt 2 270 Mark aus.
32 1908 wurde die Kellertreppe repariert und das Closett
erneuert. Schon im Frühjahr 1909 wurden im Inneren weite-
re umfassende Reparaturen ausgeführt (Baugeschäft H.
Horstmann/Telgte) und auch 1911 führte man weitere Arbeiten im Inneren des Gebäudes aus. Hierfür erhielt der
Dekorationsmaler Bernhard Bockmann aus Telgte 100 Mark.
Er brauchte für die Renovierung des Wohnzimmers 20 Rollen
Tapete, Bordüren und goldene Dekorationsleisten und für
das Fremdenzimmer 14 Rollen Tapete und Bordüren. Andere
Räume wurden gestrichen, etwa die Garderobe und das Po-
dium in Blau und der Abort in Steinfarbe. Zugleich scheint
man einen neuen Schornsteinkopf aufgemauert zu haben.
Der Unternehmer H. Horstmann rechnet für seine Arbeiten
insgesamt 105 Mark ab, wobei er 400 Zechensteine, 20 Sack
Zement und weitere Materialien benötigte. 1916 lieferte der
Bildhauer Bernhard Stuchtei aus Münster ein Wappenschild
für 30 Mark. 1921 wurde das Innere modernisiert. Die Wände beschlug man mit Rohr und versah sie danach mit einem
Gipsputz. Auch das Dach wurde repariert (Firma August
Bäumer/Telgte). Die meisten Räume wurden tapeziert, ande-
re Wände auch nur gestrichen (Dekorationsmaler Bernhard
Bockmann/Telgte).
33 Das Gebäude wurde zusammen mit der umgebenden
Gräfte im gleichen Jahr in die Denkmalliste der Stadt Telgte
eingetragen. Erneuerung der Dacheindeckung sowie der im
Holz weitgehend verfaulten Westfassade (sie wurde neu ver-
zimmert) sowie Reparatur der Fenster und der Brücke über
die Gräfte (hierzu Zuschuss des Amtes für Agrarordnung). Im
Inneren wurde die historische Treppe in der Hausmitte ent-
fernt und in den in einen Treppenraum und eine Küche unterteilten östlichen Raum verlegt. Ferner wurden einige Türen versetzt.
34 1848 erhielt er für Gartenarbeit 15 sgr. und 1850 für das
Pflanzen und Anlagen 7 Thl. 6 sgr., zudem wurde jemand
anderem 7 Thl. für Bäume gezahlt. 1851 wurden seine Pflegearbeiten mit 1 Thl. 10 sgr. verrechnet.
35 Von den Überlegungen und den verschiedenen Planungszuständen zeugt ein umfangreiches erhaltenes Konvolut von
Skizzen, Plänen, Bestands- und Pflanzlisten im Archiv der
Familienstiftung.
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West-
Archiv Stiftung Scheffer-Boichorst (Telgte): 2, 3, 6, 7.
403
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
Fred Kaspar / Peter Barthold
Die in den Quellen des 19. Jahrhunderts als „Gut" bezeichnete Anlage wurde in dieser Form erst ab 1764
von dem aus der Münsterschen Oberschicht stammenden und in seiner Heimatstadt als Stiftsherren
lebenden Joan Caspar Osthoff geschaffen. Mit der
Begründung und speziellen Ausgestaltung des Gutes
knüpfte Osthoff an die bis in das Spätmittelalter zu-
rückreichende Tradition der Münsterschen Ober-
schicht, vor den Toren der Stadt Landsitze zu erwerben, die nicht nur als Kapitalanlage, sondern auch der
Standesrepräsentation und zum gelegentlichen Aus-
flug oder sommerlichen Aufenthalt der Familie auf
dem Land dienten. Die Ländereien der Landsitze wa-
ren in der Regel einem Rent- oder Baumeister zur
Bewirtschaftung übergeben oder insgesamt verpachtet, wobei die auf dem Gut als Bauern Lebenden den
Eigentümern für ihre Besuche einen besonderen
Wohnbereich vorhalten und diese dort auch versorgen mussten. Die herrschaftlichen Wohnbereiche auf
solchen Gütern wurden in den meisten Fällen als ein
kleinerer Anbau an das bäuerliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude gestaltet oder aber in einem besonders aufwändigen Bereich innerhalb des Wohnteils
untergebracht.
Auch Osthoff und seine Nachfolger haben das Gut
nicht als ständigen Wohnsitz genutzt, sondern verpachtet. Deutlichster Beleg für die gelegentliche Nutzung durch die Eigentümer ist der hoch gelegene
Saalteil, der über eine Freitreppe von außen zu erreichen und mit einer repräsentativen Eingangstür ausgestattet ist.
Das Gut dürfte eines der letzten Anlagen dieser Art
gewesen sein, die im Umkreis von Münster neu entstanden. Im Unterschied zu den übrigen, in der Regel
wesentlich älteren Anlagen konnte sich dieses Gut daher auch nicht mehr mit einem festen Namen verbin-
den. So wurde es bis zum 20. Jahrhundert immer
nach den momentanen Besitzern zunächst als Gut
Osthoff bezeichnet, wurde dann im frühen 19. Jahrhundert Hof Hammer bzw. Offerhaus, später Gut
Waldeck und danach Hof Terner genannt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielt der
zuvor private Sommersitz über mehrere Generationen
hinweg wie auch vergleichbare Anlagen im Umkreis
von Münster einen öffentlichen Charakter, da er nun
als Kaffeehaus für Ausflügler genutzt wurde.'
1 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der Baugruppe von Osten: rechts das Längsdielenhaus mit späterer Auf-
stockung, links das daran angebaute Pächterwohnhaus (Zustand 2010, vor Beginn der Sanierung).
404
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
2 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der Baugruppe von Südosten: im Vordergrund das Pächterwohnhaus
mit dem links anschließenden herrschaftlichen Sommersaal (Zustand 2010, vor Beginn der Sanierung).
Anlass und Ziel der Untersuchung
Die Geschichte des Gutes war bislang ungeschrieben.
Weder in der ortsgeschichtlichen Literatur2 noch in
der Besitzerfamilie waren hierzu Informationen bekannt. Im Zusammenhang mit der Eintragung der
Gebäude in die Denkmalliste der Stadt Münster wur-
den daher in den Jahren 2000 und 2001 erstmals Re-
cherchen zur Besitzgeschichte durchgeführt.3 Zudem
führten Fred Kaspar und Peter Barthold bei der LWLDenkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, eine erste baugeschichtliche Untersuchung des Hauptgebäudes durch, wobei die zugleich entnommenen dendrochronologischen Proben allerdings leider alle ohne belastbare Ergebnisse blieben.
Nachdem die seit Längerem vernachlässigte Hofanlage im Jahre 2009 den Besitzer gewechselt hatte und
eine Sanierung sowie neue Nutzungen in den Gebäuden vorgesehen waren, sollte die weitere Klärung der
Baugeschichte und der Bedeutung der Anlage zur
Vorbereitung denkmalpflegerischer Entscheidungen
dienen. Nachdem die Bauten im Inneren von den um-
fangreichen jüngsten Einbauten und Verkleidungen
befreit worden waren, bot sich die Möglichkeit, hierzu notwendige Untersuchungen durchzuführen. Sie
erfolgten einschließlich dendrochronologischer Probenentnahme durch Peter Barthold und Fred Kaspar
im Februar 2010. Leider blieben auch die hierbei
erneut entnommenen dendrochronologischen Proben
ohne Ergebnis.4
Zur Geschichte und Anlage des Gutes
Joan Caspar Osthoff erwarb die „Kleppelshove" zu
einem freien Besitz, eine Stätte, die zuvor vom Dom-
kapitel als Grundherren zur Erbpacht ausgegeben
worden war.5 Sie lag am östlichen Rand der ehemali-
gen Mauritzheide, noch bis um 1800 ein nahezu
unbesiedeltes Gebiet östlich von Münster, das weitgehend zur Bauernschaft Werse gehörte.6 Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) hatte man das Gebiet zur
Anlage von Heerlagern und als Aufmarschgebiet bei
den verschiedenen Belagerungen der Stadt Münster
genutzt. Es wird vermutet, dass die beiden im rechten
Winkel aufeinander stoßenden, sich lang durch das
Gelände ziehenden geraden Gräften, die westlich und
nördlich das Gelände begrenzen, noch auf die um
1760 entstandenen Verteidigungsanlagen zurückgehen.
In Folge dieser Entwicklungen waren etliche Höfe der
Bauernschaft unbewohnt, wurden nicht mehr bewirtschaftet und deren Bauten verfielen. Die Kriegsverhältnisse sind wohl auch der Grund dafür, dass Ost-
hoff die wüst gewordene Hofstelle „Kleppelshove"
erwerben konnte. Zusätzlich konnte er durch Tausch
mit dem Domkapitel einige Ländereien des an der
Mauritzheide gelegenen Hofes Riecke hinzuerwerben,
sodass er in den Besitz eines genügend großen Gebietes kam, um ein Gut anlegen zu können7.
Die bauliche Anlage dürfte aufgrund dieser Nachrichten in den Jahren nach 1764 und vor 1774 ge-
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
schaffen worden sein. Wie aus dem Urkatasterblatt
von 1829 hervorgeht, umfasste sie das Haupthaus,
ein heute nicht mehr erhaltenes, durch die heutige
große Scheune ersetztes kleineres Wirtschaftsgebäude sowie Gräften und Garten mit einem Gartenhaus.
Das Haupthaus, ein Teil der Gräfte und die Gartenfläche sind noch vorhanden.
Nördlich des Gebäudes hat sich ein Teil einer ursprünglich rechteckigen Gräftenanlage erhalten, die
eine Gartenfläche umschloss, nach barocker Art als
architektonischer Garten angelegt gewesen sein dürfte und offenbar nur über eine Brücke über den östlichen Gräftenarm zugänglich war. Nach mündlicher
Überlieferung stand in diesem Garten bis etwa
1943/44 ein als „Tempelchen" bezeichnetes Garten-
haus, das während des Zweiten Weltkriegs durch
einen Bombentreffer zerstört wurde. Von ihm stammt
angeblich die Wetterfahne, die das Datum 1774 auf-
weist und die sich heute auf dem modernen Gar-
tenhaus befindet. Heute besteht der Garten aus einer
großen Rasenfläche sowie einigen alten Großbäumen
und Sträuchern unbestimmten Alters und einem um
1960 erbauten Gartenhaus.
Die Einbindung des Gutes in das Straßen- und Wegenetz der Landschaft hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts einschneidend verändert, wobei es durch
den Bau des Dortmund-Ems-Kanals und insbesondere
durch den Bau der sogenannten Ringbahn in den Jahren um 1920 in eine eher abseitige Situation geriet.8
Zuvor hatte das Gut eine direkte und als Allee sicher-
lich auch repräsentativ ausgebaute Zufahrt von der
Stadt Münster, die von Südwesten auf die Gutsanlage
zuführte und damit den herrschaftlichen Wohnbe-
reich in die Ansicht rückte: Diese (namenlose) Trasse
ist heute nur noch in Teilbereichen erhalten; sie ver-
läuft wenig östlich der Kanalüberführung von der
Warendorfer Straße (bei Haus Nr. 271) diagonal bis
zur Wienburgstraße.9
Besitzer
Joan Caspar Osthoff entstammte einer Familie, die
seit Langem zur städtischen Oberschicht gehörte und
aus der verschiedene Domherren hervorgegangen
waren; er selbst war Kanoniker am St. Martini Stift in
Münster.10 Nachdem Osthoff offensichtlich schon früh
verstarb, fiel sein erst wenige Jahre zuvor gegründe-
tes Gut schon vor 1770 an seine Erbin, die Witwe
Eueren, geb. Osthoff (eine Schwester oder Nichte?).
Nach ihrem Tod erbten 1806 Ernestine von Plönnies
und ihre Geschwister das Gut. Ernestine von Plönnies
war seit 1801 mit Lambert Hammer (20. Februar 1763
Haselünne - 19. Mai 1831 Münster) verheiratet, einer
3 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Grundriss vom Erdgeschoss des Hauptgebäudes, Rekonstruktion des Zustandes
im frühen 19. Jahrhundert.
405
406
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
für die Neuorganisation der staatlichen Verwaltung
und politischen Organisation nach 1800 in Münster
bedeutenden Persönlichkeit. Er hatte zunächst im
fürstbischöflich-münsterschen Militärdienst gestanden und avancierte bis zum Hauptmann.11 Durch die
Heirat mit der jüngsten Tochter seines Vorgesetzten,
des Majors Alexander von Plönnies, der aus einer alt-
eingesessenen und bedeutenden münsterschen
Familie stammte, war Hammer in den Kreis der mün-
sterschen Oberschicht aufgestiegen.12 Nach der
Auflösung der Regimenter 1802/03 machte er eine
Verwaltungsausbildung und wurde 1809 im Zuge der
„napoleonischen" Verwaltungsreformen zum Maire
(Bürgermeister) von St. Mauritz und 1813 von der
preußischen Regierung in der Funktion der bisherigen
Unterpräfekten mit der Leitung des Arrondissements
Münster beauftragt. 1816 folgte die Ernennung zu-
nächst zum kommissarischen, 1819 dann zum ersten
Landrat des neu geschaffenen Landkreises Münster.
Er behielt dieses Amt, das ebenso wie zuvor als Maire
nicht dotiert war und eigene Einkünfte aus einem entsprechend großen Vermögen voraussetzte, bis zu seinem Tod 1831,13 Als Landrat führte er 1824 die Aufteilung der bis dahin zum Gemeineigentum der Bauernschaften gehörenden Marken durch. Hierbei ent-
wickelte er selbst den Teilungsplan für die Mauritzheide,14 wobei seiner eigenen Besitzung Gut Osthoff
24 Anteile zufielen. Lambert Hammer hatte seinen
ständigen Wohnsitz nicht auf seinem Gut, sondern in
der Stadt Münster: Er wohnte zunächst an der König-
straße 42, später an der Ludgeristraße, wobei sein
Privathaus gleichzeitig als Landratsamt diente. Nach
seinem Tod erbte sein Sohn den inzwischen als „Gut
Offerhaus in St. Mauritz" bezeichneten Besitz.
1871 wurde das auch als „Gut Hammer" bezeichnete Anwesen von den Erben an die Familie Waldeck
verkauft. Es wurde wohl seit dieser Zeit von der
Pächterfamilie Meckmann bewohnt. Sie betrieben in
dem Haus auch eine öffentliche Kaffeewirtschaft,
wozu man den ehemaligen herrschaftlichen Gartensaal umbaute. Noch 1931 befand sich das Gut im
Besitz der in Münster lebenden Witwe Elisabeth
Waldeck. Später kam es durch Erbgang an die Familie
Terner. Die Landwirtschaft wurde weiterhin verpachtet und das Haus nun auch wieder von den Besitzern
als Landsitz genutzt, aber nicht ständig bewohnt. Um
1950 ließ man an den Wirtschaftsflügel einen
Pferdestall und um 1960 im Garten ein großzügiges
Gartenhaus errichten. Nachdem die Nutzung der
Anlage durch die Eingentümer aufgegeben worden
war, vermietete man den Saal. Um 2008 wurde das
Gut von der Erbengemeinschaft Waldeck (Prof. Dr.
Rudolf Terner und Miterben) an Sebastian Schneeberger verkauft.
4 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Grundriss vom Obergeschoss des Hauptgebäudes, Rekonstruktion des
Zustandes im frühen 19. Jahrhundert.
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
5 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Rekonstruierter Querschnitt durch den zweischiffigen Wirtschaftsteil nach dessen Aufstockung durch eine zusätzliche Lagerbühne.
Baubeschreibung
Das heutige Haus ist ein baulich komplexes Gebilde,
das - obwohl sicherlich erst in den Jahren nach 1764
entstanden - erkennbar aus drei selbstständig errichteten Bauteilen besteht, die wiederum teilweise mehrmals umgebaut worden sind.
In der grundsätzlichen Struktur entspricht der Kom-
plex einem traditionellen Haupthaus eines Bauern-
hofes, insbesondere in der Trennung in ein dem land-
wirtschaftlichen Wirtschaften dienenden Längsdie-
lenhaus und einem daran anschließenden, der Haus-
wirtschaft und dem Wohnen dienenden Wohnteil,
hier unter einem guer zum Wirtschaftsteil stehenden
Krüppelwalmdach. Als zugleich herrschaftlicher
Wohnsitz vor der Stadt erhielt der Wohnteil eine
besondere Gestalt und Ausformung: Er besteht aus
zwei selbstständigen, aber zugleich errichteten Teilen.
Die Entwicklung des Komplexes erfolgte in folgenden
Schritten: Um 1764 wurde ein zweischiffiges Längsdielenhaus errichtet. Hierbei verwendete man möglicherweise ein älteres Hausgerüst, dessen Erstverzimmerung wohl 1654(d) erfolgt war. An dieses landwirt-
schaftliche Gebäude wurde wohl nur wenig später
um 1765 östlich ein zweiteiligerWohnteil unter quergestelltem Krüppelwalmdach angebaut, wobei man
den südlichen herrschaftlichen Wohnteil als massiven
Flügelbau aus der Baugruppe hervortreten ließ. Im
frühen 19. Jahrhundert ist das Wirtschaftsgebäude
nach Westen verlängert und zugleich mit einem zu-
sätzlichen Speichergeschoss versehen worden (diese
Baumaßnahme dürfte im Gefolge der 1824 erfolgten
Teilung der gemeinen Mark geschehen sein). Wohl
nach dem Besitzwechsel 1871 erfolgte ein eingreifender Umbau der Pächterwohnung und Ersatz ihrer öst-
lichen vom Schlagregen besonders betroffenen
Längswand aus Fachwerk durch verputztes Back-
steinmauerwerk. Die neue Wand und auch die Fassaden des massiven Wohnflügels erhielten eine einheitliche Putzgestaltung. Der ehemalige herrschaftliche
Gartensaal wurde nun zu einer Kaffeewirtschaft für
Ausflügler aus der nahen Stadt Münster eingerichtet
und hierbei mit einer neuen Ausstattung versehen.
Um 1900 kam es als Vergrößerung der Pächterwohnung zum Einbau von zusätzlichen Wohnräumen in
der Wirtschaftsdiele und Ersatz der südlichen Fachwerkwand des alten Wirtschaftsgebäudes. Um 1950
wurde der Wirtschaftsteil umgestaltet und durch
einen Anbau als Pferdestall erweitert. Um 1970 er-
neuerte man auch die nördliche Längswand des alten
Wirtschaftsgebäudes massiv.
Da bislang keine festen Datierungen für die einzelnen
Bauteile vorlagen und sich auch keine verlässlichen
datierenden Inschriften an den Bauteilen erhalten haben, wurden im Zuge der baugeschichtlichen Untersuchungen auch dendrochronologische Untersuchungen veranlasst, die allerdings bislang ohne Ergebnis
blieben.15
407
408
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Das Stallgebäude
ehemals Schafscheune von 1654(d)?
Das Gebäude besteht im Kern aus einem eingeschossigen Fachwerkbau von zunächst sieben Gebinden.
Das Gerüst dieses Gebäudes mit einer Grundfläche
von etwa 13x9,50 m war zweischiffig verzimmert,
wovon sich allerdings heute nur noch die Dachbalken
in ihrer alten Lage erhalten haben, während das
Dachwerk durch Aufstockung um 1825 und alle Stän-
der im Zuge der verschiedenen Umbauten des 20.
Jahrhunderts entfernt worden sind. Im Querverband
waren die Ständer der beiden Traufwände und der
tragenden Innenwand jeweils zur Gerüstmitte mit
gezapften Kopfbändern ausgesteift. Die auf der südlichen Seite befindliche Diele hatte eine lichte Breite
von etwa 6,70 m, das nördliche Seitenschiff von etwa
2,20 m.16
Es wird durch mündliche Tradition auf Grundlage
heute nicht mehr sicher nachvollziehbarer Belege vermutet, dass das Gerüst aus dem Jahre 1654 stammt
und daher um 1764 wiederverwendet und nach hier
versetzt worden ist. Hierauf deutet ein heute noch
erhaltener Rest einer Inschrift an dem vermutlichen
ursprünglichen Torbalken mit der Aufschrift SALUS
HUIC DOMUS sowie ein heute an anderer Stelle auf
dem Grundstück verwendetes Kopfband (mit der
Datierung 1654) hin, das möglicherweise ebenfalls
zum Torbogen gehörte. Da Inschriften mit lateini-
schen Texten im ländlichen und bürgerlichen Bereich
nicht üblich waren, lässt sich vermuten, dass dieses
Gebäude im Einflussbereich des Klerus entstand. Vergleichbare zweischiffige Gerüste sind nicht als Gerüste
von Bauernhäusern bekannt,17 wohl aber von Schafscheunen. Möglicherweise diente daher auch dieser
Bau an seinem ersten Standort als ein Schafstall.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das
Gebäude einschneidend verändert worden. Hierbei
ging es erkennbar um die Vergrößerung der Kapazitäten an Stallraum und an Lagerfläche. Anlass hierfür
könnte daher die ab 1824 durchgeführte Teilung der
gemeinen Marken gewesen sein, die zu einer Erhöhung der bewirtschafteten Flächen führten. Möglich
ist daher, dass die Bauarbeiten in den Jahren um 1825
durchführt worden sind.18 Auffällig ist, dass man bei
Das bestehende Stallgebäude wurde um etwa 2,80 m
nach Westen verlängert.20 Konstruktive Details hierzu
sind aufgrund der Umbauten des 20. Jahrhunderts,
bei denen alle Wände ersetzt wurden, nicht mehr
bekannt. Über dem verlängerten Gebäude wurde
durchgehend ein zusätzliches Lagergeschoss errichtet.
Es erhielt Umfassungswände aus Fachwerk (die in
ihrer Ständerstellung dem darunter befindlichen Gerüst folgten) mit einer Riegelkette sowie Fußstreben
an den Gebäudeecken und wurde mit Backsteinen
ausgemauert. Dieses neue Lagergeschoss erhielt mit
einer lichten Höhe unter den Balken von 1,78 m nur
eine geringe Höhe. Allerdings blieb die auf den
Wandrähmen (im engeren Abstand als bei dem darunter befindlichen Hausgerüst) aufliegende Balkenlage nicht nur ohne einen Belag von Dielen, sondern
erhielt auch eine besondere Ausprägung: Nur jeder
zweite Balken der insgesamt 12 Dachgebinde wurde
zu einem der sieben Hauptgebinde ausgebildet, die
große Zugkräfte aus dem Dachwerk aufnehmen
mussten. Die dazwischen als Auflager der Sparren liegenden Balken sind in Wechselbalken eingezapft, die
in einem Abstand von etwa 0,75 m zu den
Traufwänden in die Hauptgebinde gezapft sind.21
Die Sparren stehen im gleichen Abstand wie die darunter befindliche Balkenlage und sind nur durch eine
hoch sitzende Lage von Kehlbalken miteinander verbunden. Der Winkel zwischen den Sparren und den
Kehlbalken ist zusätzlich durch lange gerade Kopf-
bänder ausgesteift.
Der Grund für die Verwendung dieser bei Wirtschafts-
gebäuden in dieser Zeit insgesamt ungewöhnlichen
Konstruktion22 ist offensichtlich darin zu suchen, dass
durch den Fortfall der Hälfte der Balken, die fehlende
Decke und die hoch gesetzte Kehlbalkenlage große
balkenfreie Zonen für die Erntebergung entstanden.
Diese im Allgemeinen erst im späteren 19. Jahrhundert bei bäuerlichen Scheunen üblich werdende Bau-
weise ermöglichte es bei Fortlassung einer Dielung
des Dachbodens, ungedroschenes Getreide hoch aufzustapeln.
Um 1900 baute man in das rückwärtige (östliche)
Ende der Wirtschaftsdiele zwei Wohnräume ein, die
von den beiden Traufseiten her belichtet und von
dem Um- und Erweiterungsbau moderne, vom Ingenieurwesen beeinflusste konstruktive Lösungen anwandte, die darauf hindeuten, dass ein geschulter
Planer an der Baumaßnahme beteiligt war.19 Hier ist
deren Diele aus erschlossen wurden. Sie dienten der
beamten zu denken. Bauinspektor Friedrich Wilhelm
Müser, der Bauinspektor, der bei der Regierung in
wand unterhalb der unteren Balkenlage massiv mit
Backsteinmauerwerkersetztworden. Um 1950 errich-
Münster für den Hochbau und die Bauaufsicht im
tete man vor der südlichen Traufwand einen massiven
Landkreis Münster zuständig war, dürfte bei den jährlich zahlreichen öffentlichen Baumaßnahmen (insbesondere für Schulen, Kirchenreparaturen) oft mit dem
Bauherrn, dem Münsteraner Landrat Lambert Hammer, zusammengekommen sein.
Stallanbau unter eigenem Satteldach, der zur Unterbringung von Pferden diente. Zugleich dürfte die innere Ständerreihe von Fachwerk in dem alten Wirt-
schaftsgebäude entfernt und durch eine massive
Konstruktion ersetzt worden sein. Hierdurch wurde
daher insbesondere an einen ausgebildeten Bau-
Erweiterung der nur kleinen Pächterwohnung. Zu-
gleich ist das Fachwerk der südlichen Traufwand und
des westlichen Vordergiebels sowie im Bereich des
neu eingebauten Zimmers an der nördlichen Trauf-
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
die Breite der Stallräume im Seitenschiff erhöht. Ebenfalls zu dieser Zeit23 dürften drei der Hauptbinder der
Dachkonstruktion durchtrennt und durch eiserne
Anker ersetzt worden sein, womit offenbar eine weitere Erhöhung der Lagerkapazitäten erreicht werden
sollte. Dieser konstruktive Eingriff hat zu massiven
Schäden geführt, da die neuen Anker ein Ausweichen
der nördlichen Traufwand nicht verhindern konnten.
Um 1970 ist auch das Fachwerk der nördlichen
Traufwand unterhalb der unteren Balkenlage massiv
mit verputztem Kalksandsteinmauerwerk ersetzt worden.
Das Pächterwohnhaus
Das Gebäude wurde als geschossig verzimmerter
Fachwerkbau über einer Grundfläche von 9,40x7,90 m
errichtet und bei gleicher Breite mit seiner Traufwand
vor das östliche Ende des Bauernhauses gestellt (die-
ses scheint man in diesem Zusammenhang um ein
Gefach verlängert zu haben).24 Das Hausgerüst aus
Eiche wurde aus sechs Gebinden mit eingehälsten
Balken verzimmert und ist in den Wänden dreifach
verriegelt. Im Querverband waren die Ständer mit den.
Balken durch Kopfbänder gesichert.25 Die Gefache des
Gebäudes wurden mit Backsteinen ausgemauert und
offensichtlich schon bauzeitlich verputzt.26
Über den Rähmen des Gerüstes wurde ein Dachgerüst
von neun Sparrengebinden aus Eiche mit einer Kehl-
balkenlage aufgeschlagen, das nach Norden einen
Krüppelwalm erhielt. Die Sparrenpaare stehen heute
nicht mehr in dem vom Zimmermann vorgesehenen
Verband27 und dürften bei einem einschneidenden
Umbau um 1870 abgenommen und neu aufgeschlagen worden sein. Hierbei wurden auch die wohl bauzeitliche Lattung aus Eichenholz (Querschnitt 7/8x4 cm)
erneut verwendet (auf der Ostseite erhalten).
Das Innere des Gebäudes wird weitgehend von einer
im Lichten etwa 5,7 m hohen, bis unter die Balkenlage reichenden Wohndiele eingenommen. Nur in der
nordöstlichen Ecke war ein zwei Gefache langer und
zweigeschossig aufgeteilter Einbau mit einer lichten
Grundfläche von 3,40x4,20 m abgetrennt (die beiden
Ständer der inneren Längswand hatten ehemals
ebenfalls Kopfbänder zur Balkenlage). Der untere
Raum des Einbaus wurde als Stube mit einem
Vorderladerofen in der südwestlichen Raumecke ein-
gerichtet, wobei der Rauch über ein Rohr - mittels
eines erhaltenen Rohrsteins aus Sandstein im Gefach
der Wand - auf die hohe Diele abgeleitet wurde. Der
Raum darüber scheint zunächst als Lager- oder Speicherraum gedient zu haben, da sich im Nordgiebel an
der Stelle eines Fensters zunächst eine Ladetür
befand.
Das Hausgerüst zeigt im ersten südlichen Gebinde
keine Fachwerkwand, was darauf schließen lässt, dass
es zugleich mit dem anschließenden, allerdings mas-
siv aufgeführten herrschaftlichen Wohnsaal errichtet
6 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der
westlichen Hauptfront des herrschaftlichen Sommersaales
(Zustand 2010, vor Beginn der Sanierung).
wurde. Zudem befindet sich in dem massiv aus Backsteinen aufgeführten Nordgiebel dieses anschließen-
den Gebäudes ein (heute weitgehend erneuerter)
Schornstein, der den Rauch aus einer großen Herd-
feuerstelle der Wohndiele ableitete.28
Nach Besitzwechsel hat man um 1871 das Gebäude
einer umfassenden Modernisierung unterzogen. Hier-
bei gab man den südöstlichen Bereich der hohen
Küchendiele einschließlich des offenen Herdfeuers auf
und teilte ihn zweigeschossig auf. Das Herdfeuer und
der sicherlich zugehörige, nicht mehr nachweisbare
Rauchfang wurden abgebrochen. Die Wand des Einbaus wurde mit schlichtem Fachwerk aus Nadelholz
mit Backsteinausmauerung bis zur südlichen Wand
verlängert. Vor der südlichen Innenwand des alten
Einbaus wurde eine schmale Treppe eingebaut, die
das neu geschaffene Zwischengeschoss erschloss.
Zudem wurde die östliche Traufwand auf der ganzen
Länge aus massivem Mauerwerk erneuert, erhielt
Fenster für die neue Geschosseinteilung dahinter und
409
410
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
wurde mit einem Quaderputz versehen. Die Zwischendecke über der vorderen älteren Stube wurde
um etwa 0,7 m angehoben; im dem oberen Raum
schuf man eine Stuckvoute.29 Der umgestaltete Raum
im Erdgeschoss erhielt zunächst ein Fenster in der öst-
lichen Wand, das man allerdings zu nicht näher bekannter Zeit zumauerte.
Zu nicht genau bekannter Zeit im 20. Jahrhundert hat
man auch den noch verbliebenen hohen Bereich der
Diele mit einer Zwischendecke aufgeteilt, sodass zwei
durchgehende Wohnetagen in dem Gebäude entstanden.30
Der herrschaftliche Gartensaal (um 1765)
In der südlichen Verlängerung des Pächterwohnhauses wurde bei gleicher Höhen- und Breitenentwicklung und nach verschiedenen Befunden im Pächterwohnhaus (s. o.) auch zugleich damit um 1765 ein
weiterer Bauteil errichtet. Diesen führte man allerdings mit massiven von Backstein aufgemauerten
Umfassungswänden aus (sie sind mit etwa 0,48 m
Querschnitt 1 !6 Stein stark). Über dem Gebäude wur-
de ein Dachwerk aus sieben Sparrengebinden mit
einer Kehlbalkenlage aufgeschlagen, wobei das südli-
che Gebinde in dem massiv aufgemauerten Giebel
eingebunden ist. Das nördliche Gebinde ist in eine geschlossene und mit Backsteinen ausgemauerte Fachwerkwand eingebunden, deren Bundseite nach Nor-
den zeigt. Die Wand wird mittig unterbrochen durch
ein breites Feld für einen Schornsteinstapel,31 ist aber
ohne Krüppelwalmkonstruktion.32
Dieser Bauteil ist in seiner Bautechnik sowie der äuße-
ren und inneren Gestaltung deutlich aufwändiger
ausgeführt als die beiden übrigen, dem landwirtschaftlichen Betrieb dienenden Bereiche. Er nimmt
über einer quadratischen Grundfläche von 7,95x
7,95 m einen herrschaftlichen Wohnbereich auf. Das
Gebäude erhielt ein niedriges, mit einer Balkendecke
abgeschlossenes Untergeschoss, das nur mit kleinen
Fenstern versehen und als Wirtschaftsraum und Keller
von der Küche des Pächterwohnhauses erschlossen ist
(einen zweiten Zugang gibt es in der südlichen Giebelwand). Darüber befindet sich ein hoher und geräumiger herrschaftlicher Wohnsaal mit einer Grundfläche von 7x7 m (etwa 49 Quadratmeter), der in den
drei freien Wänden mit jeweils drei Fensteröffnungen
(ihr Abschluss mit Stürzen aus Backstein mit gerundeten Stichbögen) gut belichtet wurde; die mittlere Öffnung des südlichen Giebels ist als Zugang von außen
gestaltet und dort durch ein geohrtes aufwändiges
7 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht von Südwesten nach Abnahme des um 1870 aufgebrachten Putzes.
Das bauzeitliche Backsteinmauerwerk des westlichen Herrensaales unterscheidet sich stark von dem nachträglich an Stelle des
Fachwerks aufgemauerten Mauerwerk am Pächterwohnhaus (2012).
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
8 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der westlichen Hauptfront des herrschaftlichen Sommersaales (Zustand
2012, nach Abnahme des nachträglichen Putzes auf den Backsteinwänden).
Sandsteingewände betont, wobei in der Mitte des
Sturzes eine Kartusche mit einem heute leider völlig
verwitterten und nicht mehr erkennbaren Allianzwappen eingearbeitet ist. Dieser „Garten-Tür" ist eine
einläufige Freitreppe aus Sandsteinplatten mit geschmiedetem Geländer vorgelegt. In der Nordwand
gibt es im westlichen Teil einen zweiten großen
Zugang über eine - nicht mehr erhaltene - Treppe von
der hohen Küchendiele des Pächterwohnhauses.33 Der
Boden des Wohnsaals besteht über der Balkendecke
aus breiten, sorgfältig mit eingenuteten Federn ver-
bundenen Eichendielen.34 Im östlichen Teil der
Nordwand gab es ehemals einen etwa 2,25 m breiten
Schornsteinstapel mit einer offenen - nicht mehr erhaltenen - Feuerstätte,35 die allerdings scheinbar nicht
als Herdfeuer mit Bosen, sondern als Wandkamin
gestaltet war.36 Die Balkendecke wurde offensichtlich
schon bauzeitlich mit einer geputzten Spiegeldecke
versehen, die eine besondere Gestaltung durch
umlaufende, schlicht geputzte Vouten erhielt.37
Wohl nach Verkauf des Anwesens 1871 hat man auch
den großen Saal umgebaut, wobei man durch eingestellte dünne Fachwerkwände das nördliche Drittel
abtrennte und dahinter zwei kleinere quadratische
Räume schuf.38 Der verbliebene größere Raum wurde
als eine Kaffeewirtschaft eingerichtet, erhielt eine
Stuckdekoration der Decke, ein umlaufendes hölzernes Lambris und in der alten Zugangstür ein neues
Türblatt in historistischer Gestaltung. Zu nicht
bekannter Zeit wurde der Saal durch einen Windfang
vor dem Zugang ergänzt.
411
412
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
Alexander von Plönnies im Jahre 1817 wurde das Anwesen
Münster zu nennen, das schon um 1785 zu einem bis heute
in Münster 1600-1760. Stadtverfassung,
1 Hier ist insbesondere das Gut Wienburg nördlich von
genutzten Kaffeehaus eingerichtet wurde.
2 Ausführlich insbesondere: St. Mauritz. Münster, Westfalen
wieder von der Familie verkauft (Marcus Weidner, Landadel
Standesbehauptung und Fürstbischof. Münster 2000, S.
728).
- neun Jahrhunderte. Münster 1970; Werner Dobelmann,
13 Füser 1966 (wie Anm. 11), S. 320 f.
Kirchspiel und Stift St. Mauritz in Münster. Ursprung und
14 Nach: Heinrich Geisberg, Die Anfänge der Stadt Münster.
Werdegang eines Stadtviertels in Münster. Münster 1971.
Studien zur Geschichte ihrer Entstehung und ältesten Verfas-
3 Durch Josef Lammers/LWL-Denkmalpflege, Landschafts-
sung, in: Westfälische Zeitschrift. 47. Münster 1889, S. 1-40,
und Baukultur in Westfalen, sowie durch Mechthild
hier S. 19.
hörde. Beiden sei für die Vorarbeiten gedankt.
auch die weitere Probenentnahme am 4. Februar 2010
4 Eine Sondage restauratorischer Befunde nahm am 4. Janu-
brachte ebenfalls kein Ergebnis. Die Proben wurden durch
ar 2010 Restaurator Beat Sigrist/LWL-Amt für Denkmalpfle-
Peter Barthold entnommen und durch das Büro Hans Tisje/
ge in Westfalen vor.
Neu-Isenburg ausgewertet.
Mennebröcker bei der Stadt Münster/Untere Denkmalbe-
5 In dem Kaufvertrag vom 13. November 1764 in LA NW,
Abt. MS, Domkellnerei, Nr. 1987 wird nur von Kleppels Garten gesprochen, ein Hinweis, der den zu dieser Zeit wüst gefallenen Hof erkennen lässt.
15 Sowohl die erste Untersuchung vom Dezember 2000 wie
16 Das Gerüst wurde vom Zimmermann von Osten nach
Westen gebindeweise mit römischen Zahlen durchnummeriert.
17 Nicht zu klären ist, ob das Gerüst ehemals eine rechtssei-
6 175 Jahre Schützenverein Werse von 1821. Beiträge zur
Geschichte der Bauernschaft Werse. Die Bildstöcke und
tige niedrige Abseite hatte und damit ehemals zu einem
Wegekreuze. Münster 1996; Heinz Pape, Die Kulturlandschaft des Stadtkreises Münster um 1828 aufgrund der
Katasterunterlagen. Remagen 1956 (= Forschungen zur
lassen allerdings keinen hierzu gehörenden ehemaligen
dreischiffigen Bau mit Dreiständergerüst gehörte. Die Balken
Balkenüberstand erkennen.
deutschen Landeskunde. 93).
18 Sicherlich erfolgte die Erweiterung vor 1829, da das Gebäude auf dem in diesem Jahr erstellten Urkataster schon die
7 Alle Angaben nach: Werner Dobelmann, 150 Jahre Schüt-
heutige Länge zeigt.
S. 24-25.
19 Um 1825 ist die gleiche Konstruktion auch an der gleichen Stelle in der ebenfalls zum Kreis Münster gehörenden
Scheune von einem Gasthof in Telgte an der Emsstraße 24
8 Für die nur dem Güterverkehr dienende, knapp westlich
am Gut vorbeiführende, nord-südlich verlaufende Bahntras-
angewandt worden.
20 Hierbei ist allerdings nach Ausweis des noch an der alten
zenverein Werse von 1821. Geschichte der Bauernschaft
Werse und Beiträge zur Vereinschronik. Münster 1971,
se mussten alle historischen Wegetrassen unterbrochen werden. Als neue Erschließung der Region schuf man durch Aus-
bau und teilweise Verlegung eines alten Weges die Wienburgstraße, von der aus (unmittelbar neben der Unterführung der Ringbahn) von Nordwesten das Gut einen neuen
Zugang erhielt.
9 Auch die weitere nördlich parallel west-östlich zur Warendorfer Straße verlaufende Erschließungsachse der Region ist
heute nur noch in Teilabschnitten westlich als Coppenrathsweg und östlich als Werseesch erhalten.
10 Werner Hülsbusch (Hg), 800 Jahre St. Martini. Münster
1980. Darin: Alois Schröer, Aus der Geschichte von St. Marti-
ni, S. 65-74 mit Erläuterungen über die Kanoniker. A. Bink-
hoff, Dekane und Kanoniker der Kollegiatkirche St. Martini
in Münster (Mskr.).
Stelle liegenden alten Giebelbalkens nicht der bestehende
Giebel verschoben worden. Ob man bei der Erweiterung
allerdings das ausgebaute alte Torgestell erneut verwendete,
ist bislang nicht untersucht, wird allerdings bislang aufgrund
der Inschriftreste vermutet.
21 Eine Unregelmäßigkeit in diesem Gerüst ergab sich dadurch, dass bei insgesamt 12 Gebinden sieben Hauptgebin-
de geschaffen wurden und damit zwei Hauptgebinde direkt
nebeneinander zu liegen kamen. Da man diese Unregelmäßigkeit nicht vor einem der beiden Giebelfronten in das
System einbaute, sondern hierzu das dritte und vierte
Gebinde von Osten wählte, kann vermutet werden, dass
man hier auch einen inneren Aufzug einbauen wollte.
22 Bislang ist aus dem ländlichen Bereich kein früheres Bei-
spiel für diese Bautechnik in Westfalen bekannt. Vergleich-
11 Monika Lahrkamp, Münster in napoleonischer Zeit 1800
-1815. Administration, Wirtschaft und Gesellschaft im Zei-
chen von Säkularisation und französischer Herrschaft.
bare konstruktive Lösungen waren allerdings schon länger
bekannt und können als Vorbilder gedient haben: Hier sind
die Unterkonstruktionen von Dachstühlen über den Gewöl-
Münster 1976 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte
der Stadt Münster. NF 7/8); Heinrich Füser, Persönlichkeiten
ben von Kirchen seit dem Mittelalter ebenso zu nennen, wie
etwa große Bansenscheunen auf Gutsanlagen und die Lö-
aus der Kreisgeschichte, in: Der Landkreis Münster 18161966. Münster 1966. S. 320 f.
12 Er war der Sohn des Mathias von Plönnies (1738-1814),
der 1786 das Anwesen Alter Steinweg 13 in Münster für
4 000 Rthl. angekauft hatte. 1804 wurde dieser Besitz seinen Kindern übertragen. Nach dem Tode von Mathias
sungen, die sich noch heute im Siedehaus der Saline Gottes-
gabe bei Rheine erhalten haben.
23 Möglicherweise erfolgte der Eingriff allerdings auch
schon früher.
24 Erkennbar darin, dass der Balken des ersten westlich
anschließenden Gebindes des Bauernhauses ohne Numme-
Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764
Münster-St. Mauritz, Werse 17
rierung blieb - erst das westlich danach folgende Gebinde
Abbildungsnachweis:
trägt die Nummerierung I - und an der Unterseite Zapfenschlitze (für die ursprüngliche Giebelwand?) aufweist.
falen:
25 Das Gerüst wurde durch den Zimmermeister gebindewei-
1, 2 (Kaspar);
se mit römischen Zahlen von Süden nach Norden durchnum-
3-5 (Aufmaß Fred Kaspar/Peter Barthold 2010, Reinzeich-
meriert. Daher kann vermutet werden, dass die Aufstellung
nung Ingrid Frohnert 2012);
des Fachwerkgerüstes nach Fertigstellung des südlich anschließenden massiven Wohnteiles von Süden nach Norden
6, 7 (Barbara Seifen).
erfolgte.
26 Hierzu hat sich ein wohl bauzeitlicher Befund im obersten
Gefach am nördlichen Ende der Westwand erhalten, der
erkennen lässt, dass die offene Wand oberhalb der hier bis
etwa 1825 anschließenden Dachfläche des Bauernhauses
einen groben, sehr sandigen Putz aufwies.
27 Von Nord nach Süd zeigen die Gebinde folgende Nummerierung: III, I, VI, II, II, [erneuert], ohne Nummer.
28 Diese Feuerstelle ist zwar nach 1871 beseitigt worden,
lässt sich aber noch an der in diesem Bereich etwa 0,20 m
vorspringenden Wand und dem hierin integrierten Kamin
aus erhaltenen Resten mit einer Breite von fast 3 m rekons-
truieren.
29 Sie weist die gleichen Formen wie die Stuckdecke in dem
verkleinerten Saal auf.
30 Hierbei dürften die Kopfbänder unter der Balkenlage zur
Gewinnung einer ausreichenden Kopfhöhe auf dem oberen
Flur entfernt worden sein; zudem wurde die alte Zugangstreppe zum Saal abgebrochen und durch ein schlichtes, einmal mit schmalem Wendepodest versehene Etagentreppe
ersetzt.
31 Heute befindet sich hier ein wohl im frühen 20. Jahrhundert als Ersatz aufgemauerter schmalerer Schornstein.
32 Da die Sparren heute nicht mehr in der vom Zimmermann
gekennzeichneten Reihenfolge stehen, dürfte das Dach im
Zuge einer Sanierung (um 1870?) abgenommen und erneut
aufgeschlagen worden sein. Heute tragen die Sparren von
Norden nach Westen folgende Bezeichnungen: (Giebelge-
binde), lll, Illi, V, I, II (Giebel). Bei der erneuten Aufstellung
sind auf der östlichen Seite auch die alten aus Eiche gesäg-
ten Lattungen wieder verwendet worden (mit dem enormen
Querschnitt 10x4 cm).
33 Der erhaltene Türstock ist aus Eichenbalken gefügt und
mit einer Abfassung an den inneren Kanten.
34 Sie haben eine Breite von etwa 0,40 m (vergleichbar ist
auch der gut erhaltene Boden darüber auf dem Dachboden
ausgeführt).
35 Die Maße sind noch heute an der Ausnehmung in den
bauzeitlichen Dielen des Fußbodens ablesbar.
36 Diese Feuerstelle wurde im frühen 20. Jahrhundert zusammen mit dem breiten besteigbaren Kaminblock abgebrochen und durch einen schmaleren Schornstein ersetzt.
37 Eine anzunehmende farbige Gestaltung der Wände und
Decke ist bislang nicht durch Untersuchung belegt worden.
38 Die mittlere Trennwand endet nicht vor dem heutigen
Schornstein, sondern deutlich davor und deutet darauf hin,
dass zu dieser Zeit die historische Schornsteinanlage mit
Kamin bestehen blieb.
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West-
413
414
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann)
bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
Fred Kaspar
Die Geschichte des Hofes war bislang weitgehend
unbekannt und nicht zum Gegenstand historischer
Nachrichten zur Geschichte des Hofes
Der recht große Bauernhof, der zum Kirchspiel von
recht grundherrlich gebundenen „Bauernhof" han-
im 14. Jahrhundert Wiggering, später Wiggermann
Forschungen geworden. Dies erscheint insbesondere
deswegen erstaunlich, weil es sich nicht - wie weitgehend im Münsterland üblich - um einen nach Meier-
Everswinkel gehört, war nicht nach Meierrecht grundherrlich gebunden, sondern ein freies Erbe, das als
Lehen des Bischofs von Münster galt. Er wurde schon
delte, sondern um ein freies Gut. Zudem befindet sich
genannt. 1844 genehmigte die preußische Regierung
Bauernhaus ein für das Münsterland sehr ungewöhnliches Wohngebäude aus dem späteren 18. Jahrhundert, das zusammen mit allen anderen Hofgebäuden
tragte Namensänderung von Wiggermanns Erbe zum
auf der Hofanlage als Anbau an das zentrale
schon seit 1983 in die Denkmalliste der Gemeinde
Everswinkel eingetragen worden ist.1
Mit der folgenden Darstellung wird erstmals versucht,
auf der Grundlage einer Erfassung der überlieferten
Quellen zum einen die Geschichte des Hofes darzustellen,2 zum anderen die auf dem Hof erhaltenen
historischen Gebäude zu dokumentieren und in ihrer
Bedeutung einzuordnen.
in Münster die - vom damaligen Eigentümer, dem
ehemaligen BürgermeisterZumloh in Münster-beanColonat Lohfeld. Erst seitdem trägt der Hof die Be-
zeichnung Haus Loh feld.
Während auf den zum Hof gehörenden Ländereien
noch 1630 keine Kotten standen, wurden 1747 zwei
zu dieser Zeit schon länger bestehende und ein weiter, jüngst entstandener Kotten genannt. 1773 hatte
sich die Zahl der zum Hof gehörenden Kotten auf vier
erhöht.
1 Haus Lohfeld. Ansicht der Anlage von Südwesten im Winter 1900. Das Foto zeigt das herrschaftliche Sommerhaus als
Anbau an das Bauernhaus noch ohne die wenig später errichteten seitlichen Anbauten. Das älteste bekannte Bild der Anlage
ist offensichtlich von einem durchreisenden Fotografen (am Rand „Velophot Porträt" bezeichnet) angefertigt und den
Eigentümern verkauft worden.
415
Vor 1379 wurde Heinrich von Langen durch den
Münsteraner Bischof Florenz mit verschiedenen
Erben aufgeteilt hatte.7 Hierzu gehörte durch die Hei-
rat seiner Tochter auch die Familie Voss.8 Heinrich Voss
Gütern belehnt. Darunter befand sich das domum to
Wicgerinc in parochia Euerswincle. 1381 wurden die
Brüder Heinrich und Hermann von Langen als Inhaber
des Hofes genannt. Das hus to Wiggerinch in den kerspel Euerswinkel wird zu dieser Zeit als in der burschap von Lakestyn gelegen bezeichnet.3 Diese wohl
im 16. Jahrhundert aufgelöste Bauernschaft Lakesten
oder Loxten befand sich im Grenzbereich der Kirchspiele von Everswinkel und Telgte4 und scheint in den
beiden benachbarten Bauernschaften Raestrup und
Müssingen aufgegangen zu sein.
1420 verkaufte Henrich de Voget aus Warendorf verschiedene Ländereien aus dem Erbe seines Vaters,
dem Warendorfer Vogt Wulfhard Vogt (mit Zustimmung seines Bruders Lüdecke Voget), an die Äbtissin
von Freckenhorst. Darunter befand sich auch das domum Bernahrdi des Langhen in dem Kirchspiel Everwinkel, das offenbar zuvor aus dem Besitz der Herren
von Langen angekauft worden war.5 Der 1498 wieder
aus Telgte trat das Erbe vor 1613 an, worüber es
lange im Besitz des Klosters.6 1604 wird in einem Erb-
Wiggermann mit dem gesamten zugehörigem Land14
sowie den beiden Kotten Eschkämper (heute Müssingen Nr. 4) und Nippstädt (heute Raestrup Nr. 24) und
weiteren Ländereien auf dem Rott, auf dem zuvor der
Kotten Haverkamp (Müssingen Nr. 18) errichtet worden sei, sowie einem Kirchensitz und einen Begräb-
Wiggermann genannte Hof blieb allerdings nicht
streit deutlich, dass der Hof Wiggermann mit weiteren Höfen zum Erbe des zu dieser Zeit schon verstorbenen Everhardt von Langen auf dem im Kirchspiel
Everwinkel liegenden Haus Köbbing (ein Lehen des
Stiftes Freckenhorst) gehört hatte, das er unter seinen
ebenfalls zu einem lange währenden Erbstreit kam.9
Hierdurch gelangte der Hof ebenso wie die zwei benachbarten großen Höfe10 zum Besitz der in Telgte
ansässigen Adelsfamilie von Voss. 1630 wird der Hof
als Wiggermanns Erbe genannt11 und 1665 als wüst
bezeichnet, dürfte also gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges von den Pächtern verlassen worden
sein. Auch 1668 gehört Wiggermanns Erbe den Herren von Voss zu Telgte.12
Nachdem die Familie Voss im späten 17. Jahrhundert
ausgestorben war, verkauften ihre Erben die ererbten
Güter im Jahre 1702 an Franz Wilhelm von Galen,
Erbkämmerer des Bistums Münster. Das Erbe
Wiggermann gelangte wenig später von diesem auf
bislang nicht bekanntem Wege an die Telgter Familie
Evens.
1747 verkaufte Christina Elisabeth Baumhove, Witwe
des Nikolaus Ferdinand Evens zu Telgte,13 im Namen
ihrer Miterben den alloden (d. h. freier) Besitz Hof
2 Haus Lohfeld. Ansicht der umgräfteten Gesamtanlage von Süden um 1903: zentral die Längsfront des von der vorbeifüh-
renden Straße zurückgesetzten Längsdielen-Bauernhauses mit dem westlich anschließenden Sommerhausanbau (links).
Diesem vorgelagert eine Gartenanlage (Ausschnitt aus einem 1903 entstandenen Gemälde des Malers Riebel im Besitz der
Familie).
416
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
nisplatz in der Kirche zu Everswinkel für 3 710 Rthl. an
die Gebrüder Dütting in Münster: Käufer waren Hermann Heinrich Dütting, Kanoniker in Collegio ad fontem salientem, das Frater-hauß genannt15 und der
Doktor beider Rechte Arnold Henrich Dütting, der in
Münster auf dem Bült lebte.
Seit 1747 befand sich der Hof dann durchgängig im
Besitz von Bürgern, die in Münster lebten und den
verpachteten Hof auch als ihren Sommersitz nutzten:
1756 werden als Eigentümer des Hofes Hermann
Heinrich Dütting und seine Schwägerin, die Witwe Dr.
Dütting genannt, 1762 aber nur noch Maria Catharina Poll, Witwe von Dr. Arnold Dütting. Nach ihrem
Tode verkauften 1773 die erbenden Töchter Catharina Elisabeth Eickholt,'6 geb. Dütting, mit ihren sie-
ben Kindern sowie Anna Elisabeth Temme, geb.
Dütting) den Hof mit den zugehörigen vier Kotten17
für 3 400 Rthl. an Theodora Martha Cormann,18
Witwe des Hofkammerrichters Christoph Anton
Buchholtz (starb 1769) in Münster.19 Erbin wurde vor
1782 ihre Tochter Maria Magdalena Elisabeth Buchholtz (19. Mai 1746-13. September 1781), seit 1769
verheiratet mit dem Juristen Johann Anton Theodor
zur Mühlen (27. Februar 1742-1. Dezember 1791).
Zunächst Hofkammerrat, stieg er bis zum Landrentmeister des Fürstbistums Münster auf. Das Ehepaar
zur Mühlen lebte in Münster20 in einem großzügigen,
von ihnen 1779 angekauften und danach erneuerten
Haus an der Mauritzstraße 23.21 Nach dem frühen Tod
beider Eltern wurde 1791 ihr Sohn Franz von Zur-
mühlen (1774 Münster-2. Februar 1825) Erbe sowohl
des Hofes in der Stadt Münster wie auch des freien
Erbes Wiggermann. Er bezeichnete sich daher 1803
auch als „Gutsbesitzer".22 Auch er bekleidete hohe
Ämter: 1802 war er bei einem jährlichen Gehalt von
fast 1 700 Rthl. Offizial und Vizekanzler des Geheimen Rates im Fürstbistum Münster.23 1818 wurde der
im Wert nun auf 8 590 Rthl. geschätzte Hof in einer
Erbteilung mit Dr. Caspar zur Mühlen (10. Januar
1777-2. Dezember 1859) dessen Schwester Ernestine
Theodora zur Mühlen zugeschlagen,24 verheiratet mit
Franz von und zur Mühlen25. Dieser war Bürgermeister
des Bezirks Roxel (heute Stadtteil von Münster) und
Besitzer von Haus Ruhr bei Senden-Bösensell (Kr.
Coesfeld), wohnte aber in Münster. 1826 verkaufte
dessen Witwe Theodora von und zur Mühlen26 Wiggermanns Colonat in der Bauernschaft Müssingen
Nr 5 für 5 000 Thl. innerhalb der angeheirateten Verwandtschaft an Kaufmann und Leinenhändler Bernhard Christian Zumloh (1. November 1769 Warendorf-14. Februar 1845 Münster) in Münster und dessen Ehefrau Maria Anna Zurmühlen (8. November
1773 Münster-22. März 1842 Münster). Er war zeitweilig bis 1821 auch Mitglied des Magistrats der Stadt
Münster und Bürgermeister.27 Zugehörig zu dem Hof
waren zu dieser Zeit drei Kotten und das Obereigentum an dem Eschkotten.28 Der Hof hatte ein Wohn-
haus, zwei Schoppen, ein Backhaus und einen Kirch-
stuhl in der Pfarrkirche zu Everswinkel. 1829 und
1832 wird der Bürgermeister Bernhard Christian Zumloh in Münster als Besitzer des Hofes genannt.29 Die
neuen Eigentümer ließen zunächst umfangreiche Er-
neuerungen an den Bauten durchführen und 1832
wurden dem Hof bei der Teilung der Gemeinheit Große Heide weitere Flurstücke zugewiesen. Nach dem
Tod der Eltern wurde ab 1846 Erbe ihr jüngster Sohn
Andreas Martin Zumloh (*11. November 1815). Er
bezeichnete sich fortan als Ökonom Andreas Zumloh
zu Lohfeld bzw. ab 1861 als Andreas Zumloh in Dorsten.30 Mit Urkunde vom 5. März 1864 übertrug er das
Gut seinem Sohn Louis Zumloh, wobei er seiner Frau
Lina geb. Wilkes ein lebenslanges Wohnrecht mit Verpflegung auf dem Hof und einem jährliches Taschengeld von 200 Mark zusicherte.31 Auf dieser Grundlage
lebte sie als Witwe noch 1896 auf dem Hof.
Ab dem Winter 1870/71 wurde der Hof nicht mehr
verpachtet, sondern von Louis Zumloh fortan selber
bewirtschaftet, der sich daher nun als Ökonom auf
Lohfeld bezeichnete. Er heiratete 1874 Franziska
Schulze Bockholt, die als Mitgift aus einer früheren
Ehe den benachbarten Hof Wegmann32 zu den bewirtschafteten Ländereien beibrachte.33 Nach seinem
frühen Tode vor 1886 wurde der Hof von ihrem Sohn
Bernhard Ludwig Zumloh übernommen, nachdem
dieser seiner Mutter 1887 in der Stadt Telgte an der
zu dem soeben neu eröffneten Bahnhof führenden
Straße ein Wohnhaus (Bahnhofstraße 31) als ihren Alterssitz hatte errichten lassen.34 1 891 lebte Gutsbe-
sitzer Ludwig Zumloh mit Familie sowie seiner Großmutter auf dem Hof. Nach dem frühen Tod des Ehepaares Zumloh wurde das Gut Lohfeld im Jahre 1900
durch Rentmeister Schütte in Münster verwaltet, der
es spätestens seit dem Frühjahr dieses Jahres zum
Verkauf anbot.
Mit Datum35 vom 21. Dezember 1900 wurde der
gesamte Hof mit 188 Morgen Land und anderen
Zubehörungen (darunter auch das noch bis nach
1909 von der Witwe Zumloh bewohnte Wohnhaus in
der Stadt Telgte) von den Vormündern der fünf minderjährigen Kinder36 des verstorbenen Ehepaares
Zumloh für 66 500 RM an die Familienstiftung
Scheffer-Boichorst verkauft37 und von dieser danach
an ihren Vertreter Fritz Scheffer-Boichorst (18651931) für 500 Mark jährlich verpachtet.38 Nachdem
dieser 1904 geheiratet hatte, wurde für ihn das auf
dem Hof stehende Wohnhaus zunächst renoviert und
dann nach mehrjähriger Planung in den Jahren
1907/08 wesentlich erweitert. Die bewirtschafteten
Flächen des Hofes wurden von der Stiftung zudem in
diesen Jahren durch Zukauf weiterer Grundstücke in
der Umgebung ergänzt, darunter der Aulickskotten39
und 1910 für 1400 Mark Land des Anwesens
Röttgermann.40 Nachdem Fritz Scheffer-Boichorst
schon früh starb, wurde der Hof zunächst von seiner
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
3 Haus Lohfeld. Giebel des Bauernhauses von 1827. Zustand um 1910.
Witwe Clara, geb. Friedrich (1883-1946), weiterge-
führt und dann ihrem Sohn Reinhard Scheffer-
Boichorst (1908-1997) übergeben. Er war ebenfalls
Emonitor der Familienstiftung Scheffer-Boichorst und
betrieb die Landwirtschaft des Hofes bis zum Jahr
1960. Danach wurde sie verpachtet. Reinhard Scheffer-Boichorst ließ sich eine neue kleinere Wohnung in
einem Anbau einrichten, sodass die bisherige Wohnung mit den Stallungen an den Pächter vermietet
werden konnte.
Pächter des Hofes und Pachtbedingungen
Als freies Eigentum wurde der Hof - wie im Münsterland üblich - von den Eigentümern einem Bauern in
Pacht zur Bewirtschaftung übergeben. Die Namen der
als Wiggermann bezeichneten Pächter sind für die
Zeit vor 1762 nicht bekannt. In diesem Jahr wurde der
Hof neu an Henrich Haverkamp aus der Bauernschaft
Raestrup verpachtet. Zugehörig zum Pachtgut war
nach dem Pachtvertrag das dort erbaute Haus sambt
dem garten, schaafstal und plaggenmath [...] Mit
Ausnahme der zwei hintersten Zimmer, die sie für sich
und ihren Gebrauch ein- und unterhalten wollen. Der
Pächter habe das Haus in guten Stand zu halten.
1773 wurde der Hof an Anton Brockmann, jetziger
Zeller Wiggermann verpachtet, wobei der Pachtvertrag gleichlautend mit dem 1762 abgeschlossenen
Vertrag war. 1782 wurde Wiggermanns Erbe an Johann Franz Wilhelm Achtermann aus dem Kirchspiel
Alverskirchen und seine Braut Anna Gertrud Marfort
auf Lebenszeit ihrer Kinder (d. h. für zwei Genera-
tionen) verpachtet.41 Zugehörig zum Pachtgut waren
Wohnhaus mit Schoppen und Schafstall sowie ein
Backhaus und ausgenommen blieben wiederum die
beiden hintersten Zimmer und Stallung für die Pferde
im Backhaus.
1815 wurde als Pächter von Wiggermanns Colonat
statt Johann Franz Wilhelm Achtermann dessen Sohn
Bernhard Theodor Achtermann als Nachfolger angenommen. Die Pachtzeit blieb auf vier Jahre begrenzt.
Von der Pacht wiederum ausgenommen waren die
beiden hintersten Zimmer Im Haus und die Stallung
für vier Pferde im Backhaus. Die Pachtsumme bis
1827 betrug 36 Thl. jährlich und umfasste auch die
drei zum Hof gehörenden Kotten. 1829 wurde als
Pächter Achtermann, gnt. Wiggermann verzeichnet.
1858 wurde das Gut Lohfeld für 12 Jahre an den Öko-
nomen Johann Große Lackmann aus Buer verpachtet.
Ausgenommen wurde das sogenannte Herrenhaus,
der unter dem Backhaus gelegene Keller, der oberste
Boden, wo die Glocke hängt, die zwei mittleren
Scheunen und eine daneben befindliche Bedienstetenstube. Große Lackmann zog allerdings schon 1862
aus nicht bekannten Gründen wieder ab und lebte
fortan in Wolbeck. In seinen Pachtvertrag trat ein Herr
Barthels für 260 Mark jährlich ein.
Nach Auslauf des Pachtvertrages im Herbst 1870 wur-
de der Hof von den nunmehr dauerhaft dort leben-
den Besitzern selber bewirtschaftet und bewohnt. Erst
von 1960 bis 1975 verpachteten die weiterhin hier
lebenden Besitzer die Landwirtschaft wieder an Herrn
Ruch. Seitdem werden die Ländereien nicht mehr vom
Hof aus bewirtschaftet, sondern in Teilflächen an umliegende Höfe verpachtet.
417
418
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
4 Haus Lohfeld. Straßenansicht der Gesamtanlage von Nordosten. Im Vordergrund das Bauernhaus von 1827 mit dem rück-
wärtig anschließenden Sommerhaus, rechts davon das Wirtschaftsgebäude (Brauhaus und Scheune) von etwa 1830 (um
1930).
Zur Anlage des Hofes
Die Hofanlage ist heute von einer inzwischen stark
wurde die bisherige östlich am Hof vorbeiführende
die eigentliche Hofstelle gefasste Gräftenanlage
kleine Straße durch die Amtsverwaltung Everswinkel
als Chaussee ausgebaut42 und schließlich 1891 mit
Ausnahme der Passage durch den Wald mit Obstbäumen bepflanzt. Nur die letzte kurze Strecke vor dem
Bahnhof (zur Telgter Bauernschaft Raestrup gehörend) erhielt eine Bepflanzung mit Ulmen.
Nördlich parallel zum Bauernhaus und als nördliche
Grenze des Wirtschaftshofes stand bis in das 19. Jahrhundert ein Wirtschaftsgebäude (1826 werden zwei
Der eigentliche Hofplatz liegt im Südosten der
Wohnteil des Haupthauses ein kleines Nebengebäude
als Hauptgebäude des Hofes bestimmt, wobei der
Wirtschaftsgiebel mit seiner Toreinfahrt nach Osten
weist. Von dieser Seite dürfte der Hofplatz auch seit
Langem von einem kleineren örtlichen Weg von
Haupthaus wurde um 1774 ein Sommerhaus für die
in Münster lebende Besitzerfamilie angebaut, das sich
verlandeten Gräftenanlage umgeben. Diese wird von
dem an der Nordseite vorbeiführenden Bachlauf versorgt. Die regelmäßige, rechteckige und weitläufige
Anlage, die auch weite Gartenflächen südwestlich des
Wohngebäudes einschließt, dürfte in dieser Gestalt
wohl erst im 18. Jahrhundert entstanden oder neu gestaltet worden sein und könnte eine ältere, enger um
ersetzt haben.
Schoppen genannt), während südlich neben dem
Gräftenanlage und wird durch das große Bauernhaus
stand, das wohl als Speicher mit Backofen diente
(1826 als Backhaus bezeichnet). Westlich an das
Everswinkel nach Norden erschlossen gewesen sein,
der weiter nördlich auf den alten Münsterweg von
Münster nach Warendorf stieß. Diese historische Erschließung der Hofanlage sollte sich durch den Bau
der Chaussee Telgte-Warendorf im Jahre 1832, der
dieser seit 1886/87 folgenden Eisenbahnstrecke und
dem wenig nördlich des Hofes angelegten Bahnhofes
Raestrup-Everswinkel wesentlich ändern. 1890/91
auf drei Seiten zu den recht weitläufigen Gartenanlagen innerhalb des Gräftenringes öffnete. Alle
landwirtschaftlichen Gebäude sind im 19. Jahrhundert abgebrochen und durch Neubauten ersetzt worden, wobei statt der Scheune und dem Stall ein vielen
Zwecken dienender Neubau entstand, der den
Hofplatz westlich von dem westlich anschließenden
Gartengelände abschirmte.
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
5 Haus Lohfeld. Giebel und anschließendes Bauernhaus nach den Erneuerungen 1955 und 1984 (Zustand 2011).
Das Bauernhaus (von 1827)
Das Wohn- und Wirtschaftsgebäude als Hauptge-
bäude der Hofanlage ist nach Hinweisen in den
Schriftquellen nach Besitzwechsel des Hofes im Jahre
1827 völlig erneuert worden.43 In der Stellung auf
dem Hofplatz und in der Größe dürfte es allerdings
dem schon zuvor bestehenden Pächterhaus entsprochen haben, da man das neue Gebäude wiederum an
das schon seit um 1774 bestehende herrschaftliche
Sommerhaus anbaute und dieses mit einer bis heute
erhaltenen und zum Sommerhaus gehörenden massiven Brandwand gegen das Bauernhaus abgeschlossen
ist.44 Das erneuerte Pächterhaus errichtete man in der
traditionellen Form eines Längsdielenhauses mit
Vierständergerüst unter steilem Satteldach über einer
Grundfläche von 18,90x13,80 m: Das Hausgerüst mit
eingehälsten Balken wurde über einem Schwellenkranz aus Sandsteinblöcken aus Eichenholz verzimmert, in den Umfassungswänden dreifach verriegelt
und mit langen Fußstreben ausgesteift. Entsprechend
den Vorstellungen der Zeit erhielt der Wirtschaftsgiebel mit dem mittleren Torbogen zur Einfahrt auf
die Diele (ohne Vorschauer) keine Vorkragung des mit
ausgemauertem Fachwerk verzimmerten Giebeldreiecks und ist im oberen Drittel abgewalmt.
Seitlich der Diele schlossen sich die üblichen schmale-
ren zweigeschossigen Stallbereiche an (sie sind nicht
mehr erhalten und in ihrer Detailausbildung nicht bekannt). Der rückwärtige Teil des Hauses wird von einer
hausbreiten Küche mit beidseitigen hohen Luchten
eingenommen, wobei die Luchtbalken von geschweiften Kopfbändern getragen werden. Die
Herdstelle der Küche befindet sich in der Mitte der
Wand des dahinter befindlichen Wohnhauses und ist
in für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts typischen
Formen gestaltet: Die Herdwand besteht aus einer
Rahmung aus Sandsteinplatten mit seitlichen Kragsteinen für den Hahlbaum und ist von einem großen
aus Fachwerk gezimmerten Bosen mit abgeschrägten
Ecken überspannt. Diese den Mittelpunkt des Hauses
bildende Herdstelle wird beidseitig begleitet von Verbindungstüren zum erdgeschossigen Saal des angebauten Herrenhauses. Die Herdküche wurde von bei-
den Traufseiten des Hauses belichtet und zum
Wirtschaftsteil schon bauzeitlich von einer durchgehenden Fachwerkwand begrenzt. Der Wirtschaftsteil
reichte allerdings mit den die Diele begleitenden
schmalen Stallseitenschiffen nicht bis zu dieser Wand.
Zwischen den Ställen und der Herdküche gab es einen
Bereich, der zu breiten seitlichen Wohnräumen und
einem mittleren Flur aufgeteilt war, wobei der Flur die
419
420
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Verbindung zwischen der Diele und der Herdküche
herstellte. Zur Erschließung des Flures gibt es von der
Herdküche eine breite Tür, deren beide Flügel im oberen Bereich verglast sind und daneben jeweils ebenso
gestaltete einflügelige Türen zu den beiden seitlichen
Tiefställen mit einem kleinen Tor. Hierbei gestaltete
man die Giebelfront mit Klinker ausgemauertem
Fachwerk in Formen heimatverbundener Bauformen.
In der Mitte der nördlichen Traufwand entstand ein
neues Tor zu einer kurzen Quer-Wirtschaftsdiele.
Wohnräumen. Diese dürften der den Hof bewirtschaftenden Pächterfamilie gedient haben. Nach-
Am 11. November 1983 brannte der Dachstuhl über
dem Wirtschaftsteil erneut teilweise ab und wurde
danach im Frühjahr 1984 neu verzimmert.
die trennende Fachwerkwand an den Luchtbalken anblattete. Die Herdküche wurde 1907 und 1955 im Zu-
Das Sommerhaus oder
„Herrenhaus" (von 1774d)
Vor dem westlichen Giebel des bäuerlichen Haupt-
träglich vor 1900 wurde linksseitig (südlich) von der
großen Küche ein Esszimmer abgetrennt, wobei man
sammenhang mit Umbauten des Herrenhauses modernisiert.
Das Bauernhaus erhielt am Wirtschaftsgiebel südlich
einen niedrigeren Anbau unter eigenem Satteldach.
Er dürfte als zusätzlicher Stall gedient haben und ist
1956 im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Brand
abgebrochen worden.
Nach einem Brand im Herbst 1955 erneuerte man
den gesamten Bereich der Wirtschaftsdiele einschließlich des östlichen Wirtschaftsgiebels im Frühjahr 1956
nach Plänen des Warendorfer Architekten Theodor
Altefrohne45 in den bestehenden Proportionen durch
das Bauunternehmen W. Brandhofe in Warendorf.46
Hierbei erhielt das Gebäude nun massive, mit Klinker
verkleidete Umfassungswände und einem inneren
Traggerüst aus Beton. Statt Längsdiele mit Dielentor
schuf man nur noch einen Futtergang zwischen
hauses steht ein zweigeschossiger und massiver Anbau. Dieser wurde nach verschiedenen Quellen in der
Tradition Münsteraner Bürger als durch sie genutztes
Sommerhaus errichtet. Nach den überlieferten Pachtverträgen, die die Eigentümer des Hofes mit dem diesen bewirtschaftenden Pächtern abschlossen - stand
ebenso wie bei anderen vergleichbaren Höfen - ein
Teil der im Haus vorhandenen Wohnräume nicht den
Pächtern zur Nutzung zur Verfügung; diese blieben
als eine eigenständige Wohnung den Eigentümern
vorbehalten. Schon in Pachtverträgen von 1762 und
1773 sind die zwei hintersten Zimmer des Bauern-
hauses zum Gebrauch der Vermieter vorbehalten. Das
bis heute erhaltene Sommerhaus scheint demnach
eine schon zuvor bestehende Sommerwohnung an
gleicher Stelle ersetzt zu haben. Sie dürfte wesentlich
6 Haus Lohfeld. Zustand des Sommerhausanbaus von um 1774 nach Ausbau zum Wohnhaus 1908. Die zeitgenössische
Postkarte wurde von der Familie der Bewohner verschickt und zeigt ihr Haus inmitten einer aufwändigen sommerlichen
Gartenanlage.
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
7 Haus Lohfeld. Zum Wohnhaus erweiterter Sommerhausanbau von um 1774 aus Nordwesten (Zustand 2010).
einfacher gewesen sein und aus Räumen im Kammer-
fach des Hauses bestanden haben. Auch 1782 blieben wiederum die hintersten Zimmer des Bauernhauses (nun in dem erneuerten Sommerhaus) von der
Verpachtung ausgenommen, ferner auch Stallung für
die Pferde im Backhaus. Diese Formulierungen lassen
erschließen, dass die in Münster lebenden Verpächter
zur längeren oder kürzeren Nutzung ihrer an das verpachtete Bauernhaus angebauten Sommerwohnung
mit einer Kutsche anreisen wollten. Auch ein neuer
Vertrag mit den Pächtern aus dem Jahre 1815 lautete
entsprechend, wobei nun angegeben wird, dass die
Stallung für vier Pferde ausreichen würde. Entsprechende Formulierungen tauchen zum letzten Mal
in einem Pachtvertrag aus dem Jahre 1858 auf, wobei
nunmehr statt von den beiden Räumen von dem
sogenannten Herrenhaus gesprochen wurde. Ferner
beanspruchte die Herrschaft nun auch einen in dem
Backhaus befindlichen Keller sowie den obersten
Boden, wo die Glocke hängt, ferner auch einen Teil
der Scheune (wohl für Kutsche und Pferde) und auch
die daneben befindliche Gesindestube (diese sicherlich für die mitreisenden Bediensteten). Erst nachdem
ab 1870 der Hof nicht mehr verpachtet, sondern
durch die Eigentümer selber bewirtschaftet wurde,
stand wohl auch das Herrenhaus in ihrer kontinuierli-
chen Nutzung. Da zu dieser Zeit über mehrere Jahrzehnte neben der Familie des Inhabers auch dessen
verwitwete Mutter auf dem Hof lebte und sie dort
nach Erbschaftsverträgen versorgt werden musste,
kann vermutet werden, dass man das ehemalige Herrenhaus nunmehr als ihre abgetrennte (Altenteiler-)
Wohnung nutzte.
Sowohl die Bauzeit des Gebäudes wie auch die Bauherren sind bislang nicht durch archivalische Nachrichten oder eine Inschrift mit Datierung am Gebäude
bekannt geworden. Zur weiteren Klärung der Bauzeit
wurde 2012 eine dendrochronologische Untersuchung des im Dachwerk verbauten Holzes vorgenommen.47 Hierbei konnte als wahrscheinliche Zeit für die
Aufrichtung der heutigen Dachkonstruktion das Jahr
1774 ermittelt werden. Da die architektonischen Formen für eine Errichtung nach der Mitte des 18. Jahrhunderts sprechen, dürfte es sich um das Baudatum
handeln. Da die später als Herrenhaus bezeichnete
Wohnung nach Aussage älterer Pachtverträge aber
schon spätestens 1762 vorhanden war, dürfte der
errichtete Neubau der Verbesserung der herrschaftlichen Wohnverhältnisse gedient haben. Der Neubau
erfolgte unmittelbar nach dem Verkauf des Hofes im
Jahre 1773. Als Bauherrin wäre demnach die Witwe
des Hofkammerrichters Buchholz in Münster anzu-
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
nehmen. Ob sie den Neubau für ihren Schwieger-
sohn, den Hofkammerrat und späteren Landrentmeis-
ter Johann Anton Theodor zur Mühlen, in Münster
durchführte oder dieser selber der Bauherr war, ist
nicht zu klären.
Das 1774 in der bis heute überlieferten Form entstandene Sommerhaus wurde in überlieferter Weise, allerdings in ungewöhnlicher Gestaltung an der Stelle des
zu erschließenden, hier zuvor vorhandenen Wohnteils
als westliches Ende des Fachwerk-Bauernhauses errichtet: Der Neubau unterschied sich nicht nur in der
Bautechnik vom Bauernhaus, sondern setzte sich
auch in seinen Proportionen und seiner Gestalt deutlich davon ab. Man erstellte einen zweigeschossigen
und verputzten Bau von Backstein über einem hohen
Sockel (darunter ein Keller mit nicht mehr erhaltener
gewölbter Decke). Der Bau einer Länge von 9,20 m
erhielt mit einer Breite von 8,10 m eine deutlich geringere Breite als das Bauernhaus. Das westliche, dem
Garten zugewandte Ende gestaltete man durch abgeschrägte Ecken mit gebrochenem Grundriss und gab
ihm damit eine Form, wie sie Gartenfronten zu dieser
Zeit moderner herrschaftlicher Häuser hatten. In bei-
den Stockwerken erhielt der Bau in den seitlichen
Wänden jeweils zwei Fenster und an den drei westlichen Stirnseiten jeweils ein Fenster (in der Mitte der
westlichen Stirnwand stattdessen eine Gartentür).
Alle Öffnungen erhielten Gewände aus breiten
Blöcken von Baumberger Sandstein. Das abgewalmte
Dach wurde aus starken, teilweise zweitverwendeten
Eichenbalken mit einer Kehlbalkenlage verzimmert
und erhielt eine Eindeckung mit Tonpfannen. Über
allen Fenstern der Fassaden erhielt es Gaupen.48
Entsprechend der nach Westen abgeschrägten Ecken
nahm der Bau in jeder Etage nur einen Wohnsaal mit
sechs oder achteckiger Grundrissfläche auf. Der Boden des Erdgeschosses befand sich etwa 0,50 m über
dem Erdboden, sodass der Eingangstür vom Garten
mehrere Stufen vorgelegt waren. In der Ostwand der
beiden Wohnräume wurde jeweils ein offener
Wandkamin eingebaut, der den gleichen Schornsteinblock wie das Herdfeuer des östlich anschließenden
Bauernhauses nutzte. Der Kamin in dem achteckigen
Erdgeschossraum erhielt eine sandsteinerne Einfassung in spätbarocken Formen. In die beiden diesen
flankierenden dreieckigen östlichen Zwickelräume
führten ehemals Türen, durch die die Flettküche des
Bauernhauses erreicht werden konnte. Der Raum des
Obergeschosses erhielt östlich gegen die Brandwand
zum Bauernhaus keine dreieckigen Abmauerungen,
aber ein umlaufendes niedriges, sorgfältig aus
Rahmen und Füllungen geschreinertes Lambris (es ist
heute nur noch unter den Fenstern erhalten, wo es
kleine Wandschränke in den Fensternischen verdeckt).
Der Zugang zu diesem Raum erfolgte über eine Tür
auf der Nordseite des Kaminblocks, die über eine
offen in der Herdküche des Bauernhauses verlaufen-
de Treppe erschlossen war. Durch mehrere Umbauten
im Laufe des 20. Jahrhunderts sind allerdings alle weiteren Details (etwa die Gestaltung der Decken) verändert.49 Sowohl im Dachboden des Herrenhauses wie
auch des Bauernhauses über der Flettküche sind spätestens mit dem Neubau des Bauernhauses im Jahre
1827 mehrere bis heute in Resten erhaltene Kammern
eingebaut worden.50
Beispiele für ovale oder achteckige, aber immer aus
den Gartenfronten hervortretende Gartensäle lassen
sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in und um
Münster mehrfach nachweisen.51 Als Vorbilder dienten den Bauherren wohl in erster Linie französische
Landhäuser, die Interessierten durch mehrere weit verbreitete Tafelwerke bekannt waren.52 Bemerkenswer-
te Beispiele dieser Bauten mit einem sog. „gefaltetem
Mittelrisalit" als Zeichen des wichtigen Bezugs zwi-
schen Gartensaal und Garten aus dem Raum Münster
sind die Orangerien bei Schloss Tatenhausen (1751)
und Schloss Eggersmühlen (um 1754), die alle von
dem Münsteraner Architekten Joh. Conrad Schlaun
(1695-1773) geplant worden waren. Gleiches zeigt
sein eigenes 1753 errichtetes Wohnhaus in Münster
und 1754 entstand nach seinen Plänen auch ein entsprechendes Sommerhaus der Familie Schücking in
Sassenberg bei Warendorf. Das auf dem Hof Wig-
gering wohl in Nachfolge solcher Beispiele 1774
errichtete kleine Sommerhaus erhielt jedoch im
Gegensatz zu den Vorbildern eine völlig auf den Kern
eines ländlichen, auf einen Garten ausgerichteten
Besuch reduzierte Struktur und besteht daher nur aus
dem Gartensaal mit gebrochener Fassade. Möglicherweise stammt der Entwurf vom Nachfolger Schlauns,
dem Münsteraner Oberbaudirektor Ferdinand Lipper
(1733-1800). Er war für den Ausbau des Münsteraner
Schlosses zuständig, wobei er mit dem Hofkammerrat
Zurmühlen zusammen gearbeitet haben muss.53
Die Reduktion des Hauses auf den Gartensaal selber
dürfte weniger mit dem möglicherweise nur begrenzt
zur Verfügung stehenden Kapital der Bauherren
Zusammenhängen, sondern den speziellen Reiz deutlich werden lassen, der mit dem ländlichen Aufenthalt
verbunden war: Das „Sommerhaus" bestand nur aus
einem einzigen herrschaftlichen Wohnraum mit direk-
tem Zugang zum Garten und einem ebenso großen
Raum darüber, der wohl als herrschaftlicher Schlaf-
raum gedient hat.54 Dessen Zugang kann nur über die
hohe ländliche Küchendiele des unmittelbar anschlie-
ßenden Bauernhauses erfolgt sein, die auch der Essenszubereitung gedient haben muss und ebenso Zugangsraum war. Da diesem „Sommerhaus" jegliche
Wirtschafts- und Nebenräume fehlten, war eine enge
Verbindung mit der traditionellen ländlichen Lebens-
welt und dem Leben der auf dem Hof lebenden
Pächterfamilie nicht zu umgehen. Diese besondere
und kontrastreiche Spannung, die zwischen dem
herrschaftlichen Wohnsaal und dem bäuerlichen
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
8 Haus Lohfeld. Eintreffen der Herrschaften mit ihrer Kutsche auf dem Hof, um 1910.
Leben im Bauernhaus bestand, kann die Bauherren
demnach bei der Planung nicht gestört haben und
war Teil ihres Aufenthalts auf dem Land.
Umbau des Sommerhauses
zum Wohnhaus/Landhaus (1904/08)
Das „Herrenhaus" am westlichen Ende des Bauernhauses blieb offensichtlich bis zum frühen 20. Jahrhundert unverändert. Anlässlich der Heirat von Fritz
Scheffer-Boichorst wurde es durch den Telgter Bauunternehmer A. Gerdemann für 1150 Mark umfassend repariert. Allerdings beschäftigte sich der auf
dem Hof lebende Vertreter der neuen Eigentümer des
Hofes nach seiner Heirat 1904 im Zuge der bald größer werdenden Familie mit einem Bauprojekt, das
einem kontinuierlichen Aufenthalt in einem gesellschaftlich zeitgemäßen Rahmen sicherstellen sollte.
Nachdem der Bewohner im Frühjahr 1906 zum
Vorstand der Stiftung wurde, legte das Baubüro des
Westfälischen Bauernvereins Vorschläge für notwendige Reparaturen am Haus vor, die eine gewünschte
großzügige Erweiterung des Wohnbereiches erkennen lassen. Diese ersten Planungen erstellte der in
Münster ansässige Baurat Löfken,55 Leiter des
Baubüros des westfälischen Bauernvereins, das zwischen 1906 und 1908 auch Planungen zur Modernisierung vieler weiterer Wohn- und Wirtschaftsbauten
der Familienstiftung „Executorium Scheffer-Boichorst" übernommen hatte. Zunächst wurde die Aus-
führung der ausgearbeiteten Pläne aber von dem Stiftungsvorstand zurückgestellt, wohl nicht zuletzt deswegen, weil Fritz Scheffer-Boichorst als Pächter des
Hofes weitere Überlegungen zum Raumprogramm
anstellte und überlegte, ob und wie man eine Wohnung mit dem Wirtschaftsteil des Bauernhauses verbinden könne. Endgültige, zur Ausführung bestimmte Pläne für die Erweiterung des alten Wohnteiles
lagen erst im November 1906 vor.56 Sie hatte der dem
Kunsthandwerk verpflichtete Münsteraner Architekt
Jobst-Hans Muths erstellt.57 Der Bauschein zum „Um-
und Erweiterungsbau des Wohnhauses" wurde am
20. März 1907 ausgestellt. Baukonzept war nun, den
bisherigen Wohnbau beidseitig durch jeweils nur
einen Raum tiefe, zweigeschossige und unterkellerte
Flügelbauten so zu erweitern, dass sie über die Flucht
der Seitenwände des anschließenden Bauernhauses
423
424
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
9 Haus Lohfeld. Grundriss aus dem Plan des Architekten Muths aus Münster von 1906 zur Erweiterung des
Sommerhausanbaus am Bauernhaus zu einem Dauer-Wohnhaus. Hierbei erhielt der achteckige Gartensaalbau jeweils nach
Süden und Norden Anbauten. Deutlich erkennbar der alte Bestand: Unmittelbar an den Gartensaal schließt sich die große
Herdküche des Bauernhauses sowie in Richtung auf die Stallungen danach die Wohnräume der Pächterfamilie an. Der folgende Wirtschaftsteil - auf dem Plan links - ist nur angedeutet, (aus Kreisarchiv Warendorf, Gemeinde Everswinkel, B 76).
hinausreichten. Der nördliche Anbau wurde unterkellert, wobei man das Niveau der Kellerdecke auch im
alten Bereich des Wohnteils, als „Mittelbau" bezeichnet, absenkte: Hier wurden Decken aus Zementbeton
bis in das Dach hochgezogene Fensterfront belichtet
wurde. Hierunter entstand der Wohnungszugang mit
einer großen sandsteinernen Wappentafel der Familie
über der Tür (das Wappenschild wurde 1907 von dem
Bildhauer Bernhard Stuchtei aus Münster für 80 Mark
Wohnteil nach Norden ein Herrenzimmer, in der Mitte
ein Speisezimmer und nach Süden ein Wohnzimmer
auf.
Die beiden neuen Flügelbauten führte man im Erdgeschoss massiv und in den Ansichten verputzt aus,
geliefert).
mit T-Eisen eingebaut. Im Erdgeschoss nahm der
gestaltete sie darüber aber mit hintermauerten
Fachwerkwänden und gab ihnen im Anschluss an das
alte Dach geringfügig niedrigere Vollwalmdächer.58
Die alte Flettküche des Bauernhauses gestaltete man
als zentralen Eingangs- und Wohnraum, der einen
dunklen Terrazzoboden erhielt. Hierbei entstand im
nördlichen Flettarm eine neue repräsentative Treppenanlage, die das Obergeschoss des vergrößerten neuen
Wohnteils erschloss und nördlich über eine große und
Den Rohbau erstellte im Frühjahr 1907 der Telgter
Bauunternehmer Heinrich Horstmann für 12 700
Mark,59 während sich der Ausbau wohl noch bis zum
nächsten Jahr fortsetzte. 1908 wurde der fertiggestellte Erweiterungsbau mit insgesamt 22 067 Mark
Gesamtkosten abgerechnet. Da man das Kellerge-
wölbe unter dem alten Sommerhaus abbrach, um den
Fußboden des Gartensaales auf das Niveau des
Gartens absenken zu können, mussten auch alle Türund Fensteröffnungen im Erdgeschoss verlängert werden. Der Kupferschmied Josef Günther in Telgte übernahm den technischen Innenausbau für 1100 Mark,
wozu insbesondere der Einbau einer kompletten
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
Fließwasseranlage gehörte. Da kein Wasserwerk im
Umkreis mit Anschlussmöglichkeiten an eine Druckwasserleitung vorhanden war, lieferte er eine Wasserpumpe, mit der ein eisernes Wasserbassin gespeist
werden konnte, das man mit einer Isolierung auf dem
Dachboden aufstellte (es ist bis heute erhalten geblieben) sowie das umfangreiche Leitungsnetz aus Eisen
und Blei. Hiermit wurden zwei Spülklosetts und eine
Badewanne mit kupfernem Badeofen versorgt.
Das durch die Um- und Erweiterungsbauten zu einem
herrschaftlichen Wohnhaus ausgebaute Sommerhaus
erhielt eine aufwändige und allen zeitgenössischen
Ansprüchen als Wohnkomfort in einem Landhaus
entsprechende Inneneinrichtung. Hierzu haben sich
einzelne Rechnungen überliefert: Architekt Hans
Muths legte auch Detailzeichnungen für eine Hängelampe für die Diele in Formen des Jugendstils vor. Sie
wurde aus Eisen geschmiedet (sie ist bis heute erhalten). Ferner liegt der Kostenanschlag der Firma Clemens Kaltenbach in Münster über 3 Roll-Jalousien vor
und in dem neuen südlichen Wohnraum wurden im
Erdgeschoss zwei sog. Stumpfsche Reformschiebe-
fenster für 290 Mark eingebaut. Die neuen Türen
bezog man von der Firma Ostermann & Proctor in
Münster. Die innere Ausgestaltung (Bemalung, Putz
und Stuck) lieferte der Dekorationsmaler Bernhard
Bockmann aus Telgte.
1917 erhielt die Küche eine Wandverkleidung mit
Mosaikwandplatten. Auch der Raum des Abortes erhielt nun eine Verkleidung mit Wandplatten (Lieferung und Einbau durch die Firma Carle in Warendorf
für 585 Mark). Um 1930 wurde der erst 1907 zu
einem breiten und oben gerundeten Fenster umgebaute mittlere Gartenzugang von dem alten Herrenhaus wiederhergestellt. Wohl 1949 erhielt der nördliche Flügelbau eine eingeschossige Erweiterung für die
notwendigen Wirtschaftsräume, insbesondere die
Küche. Dieser Bauteil wurde mit einem flachen Pappdach versehen. Hierdurch konnte unter Einschluss der
in dem nördlich anschließendem alten Wirtschaftsgebäude befindlichen Abschnitt untergebrachten Räu-
me eine zweite abgetrennte Wohnung geschaffen
werden.
Als man im Frühjahr 1956 den gesamten Wirtschaftsteil des Hauses nach Brand erneuern musste,
sind auch die Traufwände im Bereich des erhalten
gebliebenen Wohnteils massiv von Backstein aufgemauert; zudem wurde die Treppenanlage im nördli-
10 Haus Lohfeld. Die großzügige Herdküche im Bauernhaus von 1827. Auf der Abbildung schließt sich rechts hinter dem offe-
nen Herdfeuer unmittelbar der große Saal der herrschaftlichen Sommerwohnung an. Der historische Herdraum wurde im 20.
Jahrhundert stimmungsvoll in „alt-westfälischer" Art mit Möbeln, Hausgerät und Jagdwaffen ausgestaltet (Zustand um
1930).
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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
chen Flett verändert und die repräsentative Front mit
dem großen Fenster über der Haustür entfernt.50
Hierbei wurde auch eine Modernisierung des
Wohnbereiches durchgeführt: Im Gartensaal baute
man Bauteile ein, die aus dem 1945 ausgebrannten
Schloss in Münster stammen sollen:61 zwei qualitätvolle zweiflügelige Türen in Formen des frühen Rokokos
mit Kastenschlössern aus Messing sowie als Fensterbänke zwei geschweifte Marmorplatten und profilierte Kanten.
2004 wurde das obere Geschoss des Wohnteils als
Hebammenpraxis umgestaltet.
Gartenanlage
Über die Größe und Gestalt des sicherlich mit Bezug
auf das um 1750 errichtete Herrenhaus auch schon
seit dem 18. Jahrhundert vorhandenen herrschaftlichen Gartens ist vor 1900 nichts Konkretes bekannt.
Nach Abschluss an die Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen des Herrenhauses wurde im Herbst 1907
der Garten durch die Gärtnerei Theodor Brüggemann
in (Münster-) Pleistermühle für 300 Mark neu gestal-
tet, wobei man die gesamte Pflanzung erneuerte.
Hierzu wurden Buxbäume, Taxusbäume und Ilex,
Magnolien, Azaleen sowie Glyzinien und andere
Pflanzen geliefert.
Bauhaus/Scheune (um 1830)
Der langgezogene Fachwerkbau unter Satteldach
besteht aus einem nördlichen, als Scheune dienenden
und mit drei Querdurchfahrten und einem Stallbe-
reich am südlichen Ende versehenen Wirtschaftsteil.
Dieser hat eine Länge von zehn Gefachen und ein
zweifach verriegeltes Fachwerkgerüst aus Eichenholz
mit eingehälsten Dachbalken und einem Sparrendach.
Die Gefache sind mit Backstein ausgemauert. Da die
Konstruktion weitgehend derjenigen des 1827 errichteten Haupthauses der Hofanlage gleicht, dürfte das
Gebäude auch zur gleichen Zeit entstanden sein und
war damit Teil einer umfassenden Erneuerung des
Gehöftes.
An diesen Wirtschaftsteil von Fachwerk schließt sich
südlich ein kleiner Bereich mit massiven, aus Backstein
aufgemauerten Umfassungswänden. In der Mitte der
ebenfalls massiv zum Stall ausgeführten Trennwand
befindet sich eine Kaminanlage; daher dürfte der südliche Teil wohl als Wirtschaftsküche und Backhaus mit
anschließender Gesindestube eingerichtet worden
sein. Unter der Stube bestand ein halb eingetiefter
Keller,62 mit einem Tonnengewölbe aus Bruchstein versehen.
1904 wurden die Stallungen durch den Bäljurrter-
11,12 Haus Lohfeld. Historische Ausstattungsdetails im Erdgeschosssaal des Sommerhausanbaus von um 1774: Kamin-
rahmen aus Sandstein und zweiflügelige Tür (Zustand 2011).
nehmer A. Gerdemann/Telgte für etwa 200 Mark repariert.
1939 wurde der Gewölbekeller am südlichen Ende
durch eine westlich vorgebaute Rampe zur Garage
ausgebaut.63 Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind die
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 427
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
Dachbalken im Wirtschaftsteil zur besseren Einlagerung von Ernte teilweise entfernt worden.
Brennerei (von 1846)
1846 wurde durch den Ökonomen Andreas Zumloh
der Neubau und der Betrieb einer Branntweinbrennerei mit einem Feuerungsapparat über Dampf beantragt. Das in diesem Jahr errichtete Gebäude dürfte
der bis heute erhaltene Bau sein, der sich östlich an
das Nordende des Wirtschaftsgebäudes anschließt
und noch immer als Brennerei bezeichnet wird.
Es handelt sich um einen Bau über quadratischem
Grundriss. Das hohe, halb in den Boden eingetiefte
Sockelgeschoss hat massive Umfassungswände, die
aus Bruchsteinen aufgemauert sind. Darüber befindet
sich ein recht niedriges aus Fachwerk verzimmertes
Stockwerk. Dieses zeigt eine stabile Konstruktion aus
Eichenbalken in traditioneller Verzimmerung (eine
Riegelkette, Fußstreben zu den Eckständern) und eine
haben, während darüber wohl ein Lagerraum
bestand. Wohl um 1900 ist das Fachwerk der nördlichen Wand durch Backsteinmauerwerk ersetzt worden (es ist heute verputzt). Zudem brach man in dieser Wand ein Tor in das massive Untergeschoss und
legte davor eine Zufahrtsrampe an.
Das Brennereigebäude dürfte zu den frühesten früh-
industriell geprägten landwirtschaftlichen Produktionsgebäuden gehören, die in weiterer Umgebung
auf dem Lande errichtet worden sind. Daher kommt
den erhaltenen Teilen dieses Gebäudes trotz der späteren Veränderungen eine hohe Zeugniskraft zu.
Pferdestall (von 1902)
Das Gebäude wurde nach Erwerb des Hofes durch die
Familienstiftung Scheffer-Boichorst im Jahre 1902
errichtet.64 Anlass des Neubaus dürfte gewesen sein,
eine adäquate Unterbringung der für die Kutsche der
neuen Inhaber notwendigen Pferde zu schaffen. Das
Gebäude wurde östlich an das Brennereigebäude an-
Ausfachung mit Backsteinen. Über dem Bau schlug
man ein recht flach geneigtes Walmdach auf.
Die technische Einrichtung der wohl schon nach wenigen Jahrzehnten wieder eingestellten Brennerei ist
nicht mehr vorhanden. Offenbar wurde der Betrieb
gebaut und erhielt ein „Frackdach", wobei man der
Vorderfront eine wesentlich höhere Trauflinie gab:
Während man die nördliche Traufwand und den östlichen Giebel von Fachwerk aufführte, erhielt der Bau
Jahresrechnung des Gutes Lohfeld wurden für dieses
Jahr als Einnahmen der Erlös von 271 Thalern für an
nach Süden zum Hofplatz im Erdgeschoss eine Backsteinfront, darüber eine verbretterte Front.
Das Innere weist eine massive Mittelwand auf, wobei
kurz vor 1865 aufgelöst, denn in der erhaltenen
Happe verkaufte Brennereigeräte verbucht. Es kann
davon ausgegangen werden, dass das massive
Untergeschoss zum Teil der Lagerung diente, wozu
zwei in rechtem Winkel aneinander stoßende und mit
Backsteintonnen überwölbte Kellerräume vorhanden
sind. Zudem dürfte hier der Brennraum bestanden
die beiden Räume massive Decken aufweisen: Die
preußischen, aus Backstein aufgemauerten Kappen
werden von gusseisernen Säulen und Eisenträgern
getragen. Im westlichen Stallraum hat sich die wohl
noch bauzeitliche Einteilung für Pferdeställe aus Eisen
erhalten.
Anmerkungen
3 Hugo Kemkes/Manfred Wolf, Die Lehnsregister der
1 Eine erste baugeschichtliche Erfassung und Beschreibung
Bischöfe von Münster bis 1379. Münster 1995, E 488.
der Gebäude erfolgte schon im Jahre 1972 durch Stefan
4 Hugo Kemkes/Manfred Wolf, Die Lehnsregister der
Baumeier, Bauhistorische Häuserliste der Gemeinde Everswinkel, Band 1 (Mschr.). Detmold 1972, S. 3-6 (im Kreisarchiv
Bischöfe von Münster 1379-1450. Münster 2007, H 21, H 35
und J 378.
Warendorf und als Kopie in der Bibliothek der LWL-
5 Kempkes/Wolf 2007 (wie Anm. 4), F 246.
Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen).
6 Der Hof findet in der Auswertung der überlieferten archi-
2 Es hat sich ein größerer Bestand an Akten und Urkunden
zur Geschichte des Hofes für die Zeit seit der Mitte des 18.
valischen Quellen des Klosters keine Berücksichtigung.
Jahrhunderts im Archiv der Familienstiftung „Executorium
S. Wilhelm Kohl, Das freiweltliche Damenstift Freckenhorst
(= Germania sacra. N.F. Band 10). Berlin 1975.
Scheffer-Boichorst" auf Haus Lütke Rumphorst in Telgte
erhalten (Eine Publikation dieses Gesamtbestandes durch
7 Landesarchiv NW, Abt. MS, Dep. Verein für Geschichte,
Urkunden 1281.
den Autor ist in Vorbereitung). Die Stiftung hatte den Hof im
8 Anna von Langen, Erbin von Haus Köbbing, heiratete um
Jahre 1900 angekauft, wobei auch die dort vorhandenen
Archivalien übernommen wurden. Hierzu gehören auch eini-
1600 Rotger von Voss aus Telgte. Ihr Sohn Heinrich von Voss
ge wenige erhalten gebliebene Jahresrechnungen des Hofes
zu Köbbing lebte wohl ebenfalls in Telgte auf dem ererbten
Burgmannenhof und heiratete Catharina Droste.
(für die Jahre 1862-1865). Der Quellenbestand ist bislang
ungeordnet und nicht verzeichnet. Ferner konnte der um-
9 A. Brüning, Mittelalterliche Burganlagen im Kreise Warendorf, in: Warendorfer Blätter für Orts- und Heimatkunde, 2.
fangreiche historische Bestand an Fotografien der Zeit seit
Jg. 1905, Nr. 9.
dem Jahre 1900 aus der Familie Scheffer-Boichorst gesichtet
10 Es handelte sich um die Höfe Schulze Revering, Raestrup
werden, was freundlicherweise Frau Rosemarie Berger, geb.
Nr. 28 und Große Dahlmann, Raestrup Nr. 17. Hierdurch
besaß die Familie Voss in der Bauernschaft ein großes und
Scheffer-Boichorst, in Telgte im Dezember 2011 ermöglichte.
428
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
nahezu zusammenhängendes Gelände.
26 Zusammen mit ihrem Sohn Peter von und zur Mühlen.
11 In einer Liste der zum Hof gehörigen Pertinentien wird
noch kein zugehöriger Kotten genannt.
12 Bernhard Feldmann, Die Höfe des Münsterlandes und
27 Lebensdaten nach Bernd Walter: Die Beamtenschaft in
ihre grundherrlichen Verhältnisse. Münster 1995, S. 401-
28 Dies waren die beiden in der Gemeinde Telgte liegenden
402.
Kotten Jülkenbeck gnt. Nippstädt (Raestrup Nr. 24) und
13 Sie wohnten in Telgte wohl im Eckhaus Kirchplatz/Kapel-
Vennekotten (Raestrup Nr. 25) sowie die beiden in der Ge-
lenstraße, heute Kardinal-von-Galen-Platz 5.
meinde Everswinkel liegenden Kotten Haverkamp (Müssin-
14 Hierüber fertigte der Landmesser Bertelink aus Telgte im
gen Nr. 18) und Eschkötter (Müssingen Nr. 4).
Jahre 1746 ein Verzeichnis an (als Beilage dem Kaufvertrag
29 1840 wurde er vertreten durch Dr. Franz von und zur
beigegeben).
Mühlen in Münster und 1842 bezeichnete er sich als Rentier.
15 Der zuletzt nur noch fünf Brüder umfassende Konvent
des Fraternhauses (es lag an der Neustraße südlich des heu-
30 Er lässt den Hof vom Amtmann Schütte in Everswinkel
verwalten.
tigen Schlossplatzes in Münster) wurde im Jahre 1766 mit
31 Nach Vertrag mit dem Sohn Louis vom 27.4.1881.
der Pensionierung der letzten Insassen aufgelöst. Schon seit
32 Telgte, Raestrup Nr. 22.
1661 stand der größte Teil des Gebäudekomplexes dem
33 Dieser wurde allerdings 1891 von Ludwig Zumloh für
4 500 Mark verkauft.
Konvent nicht mehr zur Verfügung, sondern wurde als
bischöfliche Residenz genutzt (Max Geisberg, Bau- und
Kunstdenkmäler von Westfalen. Stadt Münster, Bd. I.
Münster 1932, S. 323-330; Karl-Heinz Kirchhof, Die Ent-
Münster zwischen ständischer und bürgerlicher Gesellschaft,
Münster 1987, S. 481.
34 Seit 1886 verkaufte die Witwe Zumloh verschiedene grö-
ßere Grundstücke, die nahe dem in diesem Jahr auf ihrem
stehung des Fraternhauses „Zum Springhorn in Münster",
Land errichteten neuen Bahnhof Raestrup-Everswinkel
lagen. In seiner Nachbarschaft entstanden hierbei neue
in: Westfalen. 51. Münster 1973, S. 92-114; Hubert Höing,
Häuser. Möglicherweise wurde durch diese Verkäufe auch
Kloster und Stadt ... dargestellt besonders am Beispiel der
Fraterherren in Münster. Münster 1981).
16 Es dürfte sich um die Ehefrau vom Notar Eickholt han-
der Neubau ihres Hauses in der Stadt Telgte finanziert.
deln.
schaftsgerichtes im Januar 1902 erfolgen.
17 Niepskötter und Hülsmann (Vennekötter) im Kirchspiel
36 Oskar, Leopold, Fernande, Renate, Maria und Franziskus.
Telgte sowie Haverkamp und Eschkötter im Kirchspiel Evers-
37 Als Vormünder der minderjährigen Kinder handelten der
winkel.
Kaufmann Joseph Zumloh in Düsseldorf und der Gutsbesit-
18 Es dürfte sich um eine Tochter von Franz Andreas Cor-
zer Hermann Bernhard Tyrell.
38 Der Pächter war sehr stolz auf sein von ihm bewirtschaf-
mann handeln, der Rentmeister des Stiftes Borghorst (Stein-
furt, Kr. Steinfurt) war.
19 Er war der jüngere Bruder des Franz Caspar Cajetan
Buchholz, der als Herr auf Haus Welbergen (Ochtrup, Kr.
35 Die grundbuchliche Besitzübertragung an die Stiftung
konnte allerdings erst nach der Genehmigung des Vormund-
tetes Gut. Er ließ es unmittelbar nach Bezug von einem Maler erfassen und noch im Winter 1900 auch eine Postkarte
mit der Ansicht des Hauses von der Gartenseite aus erstellen.
Steinfurt) Rentmeister des Stiftes Metelen war (s. H. Bremer,
39 Telgte, Raestrup Nr. 76 - heute Am Raestruper Bahnhof
Haus Welbergen. Aus der Geschichte einer münsterländi-
47.
schen Wasserburg, Gronau 1931).
40 Telgte, Raestrup Nr. 89.
20 1777 bis zum Bezug des erneuerten Hauses 1780 lebten
sie in dem Haus Salzstraße 60 (s. Max Geisberg, Bau- und
Kunstdenkmale von Westfalen. Stadt Münster, Bd. III.
Münster 1934, S. 309).
21 Das Haus war zuvor der Stadthof der Familie von Ketteier
gewesen und ist 1911 abgebrochen worden (s. Marcus
Weidner, Landadel in Münster 1600-1760. Münster 2000, S.
860). Der Neubau wurde von dem Architekten Clemens
August von Vagedes geplant (s. Max Geisberg, Die Bau- und
41 1820 wird Franz Wilhelm Achtermann als Erbpächter bezeichnet.
42 Der kurze, zur Gemeinde Kirchspiel Telgte gehörende
nördlich an den Hof anschließende Abschnitt der Straße bis
zum Bahnhof folgte erst einige Jahre später.
43 Nachrichten zu dieser Baumaßnahme oder ein Plan hier-
zu konnten in den für diese Zeit einschlägigen Quellen zu
Baugenehmigungen beim Landratsamt Warendorf bzw. der
Gemeindeverwaltung (Kreisarchiv Warendorf, Everswinkel, A
404-406; Thorsten Albrecht, Pläne und Bauten. C. A. von
887 und 793) nicht aufgefunden werden.
44 Diese Brandwand mit einem doppelten Schornsteinzug
Vagedes. Architekt und Schaumburg-Lippischer Landbaumeister, 1760-1795. Bückeburg 1995, S. 26).
Wand eine Stärke von einem Stein (etwa 30 cm) und hat die
Kunstdenkmäler der Stadt Münster, Bd. IV. Münster 1935, S.
22 In diesem Jahr scheint die Erbengemeinschaft das Haus in
der Stadt verkauft zu haben.
23 Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Göttingen
1979, S. 464.
24 Sie werden 1810 vertreten durch seinen Rentmeister
Anton Verloh.
25 Er trat schon 1810/15 als Vertreter der Erben auf.
ist aus Backstein aufgemauert (im Bereich des Daches hat die
Breite des Bauernhauses. Sie lässt zudem erkennen, dass die
Firste beider Gebäude die gleiche Höhe hatten.
45 Theodor Altefrohne (5. Februar 1904-24. Dezember
1990) arbeitete ab 1928 als freier Architekt in Warendorf
und war Mitglied in der Reichskammer der Bildenden Küns-
te. Mit einer Vielzahl von Entwürfen wurde er für über 50
Jahre prägend für ein architektonisch anspruchsvolles Bau-
Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774
Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5
46 Hierzu sind die Akten beim Bauordnungsamt der Kreis-
ter in Münster (s. Christian Schulze Pellengahr, Der Direktor
des Bauamtes des Westfälischen Bauernvereins Albert Josef
verwaltung Warendorf erhalten: Akte 1040/6.
47 Entnahme von sieben Proben durch Peter Barthold, LWL-
feld, Band 35, 2010, S. 209-214).
wesen im Kreis Warendorf.
Löfken (1855-1932), in: Geschichtsblätter des Kreises Coes-
achten vom 20. Juli 2012. Es konnte hierbei nur eine Probe
56 Die Vorgänge zur Baugenehmigung sind einschließlich
des erhaltenen, zur Genehmigung vorgelegten Plansatzes in
Kreisarchiv Warendorf erhalten: Gemeinde Everswinkel, B
(Dachwerk, Nordseite, 1. Sparren von Westen) auf das Fäll-
76.
Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, am 13. Juli
2012. Auswertung durch Erhard Preßler/Gersten mit Gut-
datum Herbst/Winter 1773 fest datiert werden.
57 Er erhielt 1908 als Honorar insgesamt 1296 Mark. Seine
48 Erhalten ist hiervon nur die Gaupe in der westlichen Stirn-
Pläne waren vor der Ausführung noch einmal von dem Bau-
seitlichen Ausnehmungen der Sparren nachweisen lassen.
rat Löfken in Münster begutachtet und teilweise verbessert
worden.
49 Die Decke des Obergeschossraumes wurde 1906 an
einem bemerkenswerten, aus Eisenstangen gebildeten
Schermbecker Thon- und Falzziegelwerke.
wand, während sich die übrigen Öffnungen nur noch an
Sprengwerk aufgehängt.
50 Die Gestaltung der teilweise ebenfalls noch erhaltenen
Türblätter legt eine Datierung in diese Bauphase nahe.
51 Johann Conrad Schlaun plante einen entsprechenden
Gartensaal schon um 1744 für den nicht verwirklichten Neu-
58 Alle Dächer erhielten eine Eindeckung aus Falzziegeln der
59 Alle Stundenzettel des Unternehmers haben sich in der
Akte der Belege zur Jahresrechnung der Stiftung 1907/08
erhalten.
60 Die Wappentafel wurde ausgebaut und ist seitdem auf
bau des Schlosses Senden.
der Hofstelle eingelagert.
61 Die Herkunft der Bauteile ist nach mündlicher Tradition
52 Karin Zinkann, Die Landhäuser, in: Klaus Bußmann/Florian
der Familie belegt. Die abgebeizten Türblätter aus Eiche ent-
Matzner/Ulrich Schulze (Hg.), Johann Conrad Schlaun 1695-
sprechen tatsächlich den überlieferten, allerdings durchgän-
1773. Stuttgart 1995. S. 523-534. Kristin Püttmann, zur
gig farbig gefassten Türblättern der ersten - noch von J. C.
noth und zur lust." Orangerien und Gewächshäuser in den
Gärten westfälischer Schlösser. Münster 1988; dies.,
Schlaun selber begonnenen - Phase der Ausstattung des
Schlosses, die heute im Landesmuseum für Kunst- und Kul-
Orangerien und Fasanerien, in: Bußmann/Matzner/Schulze
turgeschichte in Münster verwahrt werden (freundlicher Hin-
1995, S. 535-539.
weis von Markus Kamps M.A./Münster 2011).
53 Der Architekt Clemens August Vagedes, der zur entfern-
62 Die Begriffe „Backhaus" sowie „Gesindestube" werden
ten Verwandtschaft des Bauherren gehörte und 1780 auch
in dem Pachtvertrag von 1858 genannt, wobei die Stube
den Umbau des Stadthauses der Familie zur Mühlen in
und ein Keller im Backhaus der Herrschaft vorbehalten blie-
Münster plante, war zu dieser Zeit erst 14 Jahre alt war und
ben.
begann gerade mit seiner Lehre bei Lipper.
63 Bauantrag mit Zeichnungen hierzu beim Bauordnungs-
54 Entsprechende „einräumige" Gartenhäuser sind in der
Mitte des 18. Jahrhunderts auch mehrfach in den Gärten
amt der Kreisverwaltung Warendorf: Akte 680/10.
unmittelbar vor den Befestigungen der Stadt Münster errich-
Stiftung nachgewiesen werden, während der Bauantrag in
der Aktenüberlieferung des Kreisarchives Warendorf, Everswinkel B 76 nicht nachzuweisen war.
tet worden (s. etwa die von Johann Conrad Schlaun geplanten Beispiele bei Bußmann/Matzner/Schulze 1995 (wie Anm.
52), Bd. II, S. 510-516).
55 Albert Josef Löfken (19. März 1855 Wetter/Ruhr - 4. No-
vember 1932 Münster) war von 1895-1920 Leiter der Bau-
64 Der Bau konnte nur über die Aktenüberlieferung der
Abbildungsnachweis:
Alle historischen Abbildungen entstammen dem Besitz der
beratungsstelle des westfälischen Bauernvereins und prägte
Familie Scheffer-Boichorst bzw. Rosemarie Berger, die übri-
während seiner langen Dienstzeit das ländliche Bauwesen in
gen von Fred Kaspar, LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und
Westfalen nachhaltig durch hunderte von ihm ausgearbeitete Entwürfe. Von 1899 bis 1917 war er auch Stadtverordne-
Baukultur in Westfalen.
429
430
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Wohnen in der Feldmark
Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780
Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf)
Laurenz Sandmann
Der Major und Regimentskommandeur Franz Xaver
von Tönnemann hatte nach seinem Umzug von
Münster nach Warendorf nach 1780 vor dem dorti-
gen Emstor in der Feldmark ein Grundstück erworben
und darauf ein Landhaus errichtet. Ein nur wenig später von dem 14-jährigen Sohn Christoph Tönnemann
1789/90 verfasstes Tagebuch gibt einen ungewöhnli-
chen Einblick von dem Leben einer wohlhabenden
Familie auf dem Land. Er beschreibt das kurz zuvor
fertiggestellte Haus mit Garten, nennt Familienangehörige und Dienerschaft, berichtet von Besuchen
und Reisen. Da der Verfasser des Tagebuches auch
Einblick in das Soldatenleben bekam, schrieb er auch
diese Eindrücke nieder. In einem weiteren Kapitel
befasste er sich mit der gesellschaftlichen Position der
Familie und nimmt Bezug auf den Adelsstand. Das
Tagebuch von Christoph Tönnemann wird in den
Geschichtsblättern „Warendorfer Blätter für Orts- und
Heimatkunde" von 1919 durch den Autor Brüning
ausführlich beschrieben,' ist aber im Original heute
nicht mehr erhalten.
Der Familienname Tönnemann geht auf den Namen
Thöne, genannt Thönemann, später auch von Tönne-
mann zurück. Die Familie hat ihre Wurzeln in Warburg,2 die vor allem als Wollweber zu Reichtum kam.
In einem Verzeichnis, das die Bürgermeister und
Ratsherren der Stadt Warburg auflistet, ist erstmals
für 1283 ein Thöne erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte finden sich die Mitglieder der Familie im
städtischen Patriziat, als Akademiker in gehobenen
Positionen, im Offizierscorps oder im Adelsstand.3
Wilhelm Xaver von Tönnemann, am 1. März 1745 in
Wetzlar geboren, machte Karriere als Oberst und
Regimentskommandeur in münsterschen Diensten. Er
führte das Regiment in fürstbischöflicher Zeit und
auch noch nach der Säkularisation des Bistums Müns-
ter weiter. Zunächst in Münster ansässig, bewohnte er
ab 1775 den von ihm für 2 000 Rthl. erworbenen
alten Drostenhof in der Grünen Gasse.4 Der vorherige
Bewohner, Freiherr von Droste zu Vischering, hatte
sich durch den Baumeister Johann Conrad Schlaun
statt dessen ein neues Stadtpalais bauen lassen (den
heutigen „Erbdrostenhof"). Er bewohnte das stattli-
che Anwesen mit dem großen Park bis zu seiner
Berufung nach Warendorf im Jahr 1778 und veräußerte 1782 den münsterschen Besitz an die schon
zuvor hier als Untermieterin lebende Fürstin von
Gallizin.
Tönnemann zog mit seiner Familie zunächst nach Warendorf in die Emsstraße. Das Haus mit der Nummer
18 befindet sich in unmittelbarer Nähe des Emstores
an einer der vier Hauptdurchgangsstraßen der Alt-
stadt, an denen sich überwiegend Kaufleute und Gastronomen niedergelassen hatten. Das zweigeschossi-
ge Gebäude war um 1770 zu einem modernen
1 Fürstbischöflich-münsterischer Infanterie-Offizier aus der
Zeit um 1800, Blatt in Privatbesitz.
Mittelflurhaus ausgebaut worden.5 Küche und Kammer im hinteren Hausteil waren bei der Renovierungsmaßnahme des 18. Jahrhunderts erhalten geblieben.
Das Steinhaus besaß ein Hinterhaus und hob sich in
431
der Bauart von den meist in Fachwerkbauweise errich-
teten Gebäuden der Nachbarschaft deutlich ab.
Später bekam die Straße durch das Vorblenden von
massiven Mauerschalen einen Ensemblecharakter.
Vor 1785 erwarb Tönnemann ca. 2 km vor dem Ems-
tor einen Grundbesitz von ungefähr 500 Morgen und
errichtete dort ein barockes Landhaus mit Ökonomie
und Gartenanlagen.6 In direkter Nachbarschaft befand sich der Exerzierplatz der Soldaten. Fortan lebte
die Familie ganzjährig auf ihrem Landsitz.
Eine Kaserne gab es in Warendorf weder in der fürstbischöflichen noch in der preußischen Zeit. Einige der
rekrutierten einfachen Soldaten schliefen in Dachkammern oder kleinen Nebenzimmern der Warendorfer Bürgerhäuser. „Viele der Soldaten waren ver-
heiratet und hatten ein beweibtes Quartier in der
Stadt und vielfach auch eine größere Familie. [...] In
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten 75
Soldatenfrauen und 126 Soldatenkinder in der Stadt.
[...] In engem gesellschaftlichem Kontakt stand das
Offizierscorps zur bürgerlichen Oberschicht."7 Das
acht Kompanien umfassende Infanterie-Regiment in
Warendorf wurde von ca. 30 Offizieren zwischen Generalleutnant und Fähnrich geführt. Der letzte fürstbischöfliche Stadtkommandant Oberst Xaver von Tönnemann führte ein gastfreundliches Haus auf dem
Land, das Bürger und Militär verband.8
Brüning, der das 1885 durch einen Brand zerstörte
Landhaus des Kommandanten von Tönnenmann noch
aus eigener Anschauung kannte, beschreibt 1919 in
seinem Aufsatz die „Tönneburg", wie dieses Haus bis
heute in Warendorf genannt wird: „Es war ein sehr
solider, eingeschossiger Ziegelsteinbau im einfachen
Barockstil, der mit dem satten Rot seiner Wand- und
Dachflächen zu dem dunklen Grün der ihn umgebenden Nadelholzwälder außerordentlich gut passte und
einen wohltuenden Eindruck hervorrief. Burgartig
befestigt war die Tönnenburg nicht [...]. Nach dem
[...] Grundplane hatte das Wohnhaus 10 Zimmer;
Küche, Keller und die Wirtschaftsräume für die Ökonomie befanden sich in einem großen Anbau."9 Die
Tönneburg hätte bei aller Einfachheit doch den herrschaftlichen Charakter nicht verkennen lassen.10
Der Sohn des Majors, Christof Tönnemann, gibt mit
seinem Tagebuch einen Einblick in den Alltag der Familie auf dem Land: Der zugehörige Hof wurde von
einem Verwalter geführt, der die An- und Verkäufe
leitete. Zu den Mitarbeitern gehörten ein Kutscher,
ein Ochsenknecht und mehrere „Burschen". Zur Pflege des Gartens und der Obstbäume wurde jeweils ab
2 Ausschnitt aus der Preußischen Kartenaufnahme von 1841
mit der Lage der Tönneburg in der weitgehend unbesiedel-
ten Feldmark nördlich der Stadt. Das Original befindet sich
im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kultur-
besitz (Nachdruck Hg. vom Landesvermessungsamt NRW
1994).
Für die häusliche Küche wurden jedes Jahr vier
Schweine geschlachtet, was allerdings zur Fleischversorgung des großen Haushaltes nicht ausgereicht
hat.
Immer wieder wurden dem Major zu Hause junge
Leute vorgestellt, die um die Aufnahme als Rekruten
baten. Aber nicht alle hielten den Soldatendrill aus
und desertierten über die benachbarte Grenze nach
Osnabrück. Der Tagebuchschreiber beschreibt das
Spießrutenlaufen ergriffener Deserteure, das oft
schwere Verletzungen oder sogar den Tod zur Folge
hatte. So erging es auch einem entlaufenen Soldaten,
der als gelernter Friseur für die Haarpflege der Familie
April eines jeden Jahres ein Gärtner aus Holland ange-
Tönnemann zuständig gewesen war. Nach den
Vorkommnissen wurde an seiner Stelle ein Zivilist
Hauswirtschafterin, die eine weitgehende Vertrauensstelle einnahm und von mehreren Mägden unterstützt
angestellt.
Weil die Familie Tönnemann nicht zum sogenannten
stellt. Die „Frau Oberst" hatte an ihrer Seite eine
wurde. Zur typischen Winterarbeit gehörte das
Spinnen von selbstgezogenem Hanf, Flachs und
Hasenwolle.11
Geburts- oder Blutadel gehörte, sondern nur zum
„Verdienstadel", gab es auch keinen gesellschaftli-
chen Verkehr mit den in ihrer Nähe wohnenden Ade-
432
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
3 In dem Haus Emsstraße 18 mit der klassizistischen, heute rot eingefärbten Fassade wohnte der Major Tönnemann vorüber-
gehend mit seiner Familie (Sandmann 2010).
ligen. Wenn Kinder eine „Staatsstellung" anstrebten,
mussten sie adliger Herkunft sein oder studieren. Das
Ehepaar Tönnemann war bestrebt, seinen Kindern
eine möglichst hohe Ausbildung zu ermöglichen. Der
Oberst hatte seine vier Kinder teilweise selbst unterrichtet. Für den regelmäßigen Unterricht sorgte allerdings ein Lehrer aus Warendorf. Später wurden sie
zum Studieren in die Stadt geschickt.12
Darüber hinaus war den Tönnemanns das Familienleben sehr wichtig. Zusammen machten sie Ausflüge
in die Region: Im Kloster Vinnenberg besuchten sie
eine dort lebende Tante, blieben eine Nacht und ließen sich mit dem Fuhrwerk des Klosters nach Hause
kutschieren. Mit den Eltern nahmen sie an den Hoch-
festen der Kirche teil und fuhren jährlich auch zur
Prozession nach Freckenhorst. Der Vater fuhr gerne
nach Münster, speiste dort meistens beim General
und besuchte die Bälle. Manchmal durften die Kinder
ihren Vater begleiten. Dann wurden Sehenswürdigkeiten angesteuert. Besondere Abwechslung brachte
der Besuch des Wachsfigurenkabinetts. Eine Reise mit
der eigenen Kutsche nach Münster dauerte auf den
noch nicht chaussierten Wegen vier Stunden.
Auch auf der Jagd nahm der Major seine Kinder mit.
Zum Abschuss kamen Hasen, Füchse, Marder, wilde
Enten, Schnepfen, Tauben und Rebhühner. Ausflüge
in die Natur und das Beobachten von Tieren und
Brutplätzen gehörte zum Zeitvertreib der Kinder. Der
Vater wollte seinen Kindern die Vorzüge des Land-
lebens aufzeigen. Die Kinder besaßen daher eine
Fasanerie. Regelmäßig wurden die zahmen Tiere nach
Münster, Osnabrück und bis hin nach Holland ver-
kauft. Zum Hof gehörten auch Schafe und eine große
Anzahl von Truthähnen. Jedes Familienmitglied hatte
darüber hinaus mindestens einen eigenen Bienen-
stock.13
In den eisigen Wintermonaten vergnügten sich die
Kinder mit Eisläufen und die Eltern fuhren abends
nach Warendorf und besuchten die Soldatenbälle, die
in verschiedenen Lokalen stattfanden. Hohe Gäste
aus Münster wurden zum Essen in das renommierte
Hotel zur Kaiserlichen Reichspost begleitet.
Für Abwechslung im Soldaten- und Hofalltag sorgten
die Tönnemanns mit ihrer großen Gastlichkeit selbst.
Kaffeehäuser, wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert um Warendorf zahlreich entstanden, gab es um
1790 noch nicht auf dem Land. Schuld war eine
Verordnung, die das Kaffeetrinken nur wenigen bevorzugten Ständen gestattete. Die Tönneburg entwickelte sich zu einem ersten Ausflugslokal. Fast täglich
Wohnen in der Feldmark-Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780
Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf)
kamen Besucher und stürmten die Kuchentafel, tranken Kaffee oder spielten Schach und Karten. In der
Gästeliste finden sich alle Namen der gehobenen
Warendorfer Gesellschaft und benachbarter Ortschaften.14
Das Familienleben änderte sich mit den wachsenden
Erfolgen der französischen Freiheitskämpfer. Weil die
Fürstbischöfe in Münster ihre Positionen gefährdet
sahen, kam es zur Dämpfung des Aufruhrs auch zu
militärischen Handlungen: Am 21. Oktober 1789
wurde der Oberst über einen bevorstehenden Krieg in
Kenntnis gesetzt. Am 17. November marschierte Wil-
helm Xaver von Tönnemann mit seinem Regiment
nach Münster. Bis dahin hatte ihn seine Familie beglei-
tet und dann verabschiedet. Drei Tage später zogen
die beiden Regimenter aus Münster und Warendorf
gemeinsam mit 15 Kistwagen, 6 Munitionswagen
und 6 Kanonen Richtung Lüttich. Erst Ende August
1791 kam das Regiment nach Warendorf zurück.
In der Abwesenheit des Familienoberhauptes blieb
der Lehrer auf der Tönneburg und kümmerte sich um
die Bildung und die Erziehung der Kinder. Der Vater
verließ sich nicht auf die Post, sondern entsandte
Boten, die Nachrichten und Geschenke an die Familie
direkt weiterleiteten. Ab 1791 wurden die älteren
Kinder in die Stadt zum Studieren geschickt.15
Mit dem Ende der täglichen Notizen von Christoph
Tönnemann enden 1790 auch die Überlieferungen
mit den Einblicken in das Leben in der Familie Tönnemann.
Am Ende der fürstbischöflichen Zeit war das
Münstersche Heer weitgehend überaltert. Beim
Einmarsch der Preußen im August 1802 wurde kein
Widerstand geleistet. Nur geringe Teile des Offizierscorps und der Truppen sind später von den Preußen
übernommen worden. So auch Franz Xaver von
Tönnemann.
In der zwischenzeitlichen Franzosenzeit von 1807-
1813 war der Sohn und Tagebuchschreiber Christoph
Tönnenmann zum Bürgermeister der Stadt Warendorf
ernannt worden. Auch dessen Bruder Karl bekleidete
zu dieser Zeit ein städtisches Amt. Gemeinsam mit
einigen Mitgliedern der städtischen Oberschicht gründeten sie im Jahr 1810 die Bürgergesellschaft „Har-
monie". Der Herrenclub, der 1811 ein Clubhaus an
der Münsterstraße errichtete und 1846 einen stattlichen Saal hinzufügte, besteht noch heute.
Nach 1830/40 kam die Tönneburg in verschiedene
andere Hände, es wurde mit wenig Erfolg versucht,
hier eine Brennerei und eine Stärkefabrikation zu
betreiben. 1887 brannte das Haus ab, das Grundstück
wurde verkauft und von dem neuen Besitzer
Linnemann aus Ahlen neu bebaut. Der neue Hausherr
richtete dort eine Kaffeewirtschaft ein, in deren
Nachfolge man heute Pizza und Pasta genießen kann.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Major
Tönnemann zwar auf dem Land wohnte und durch
seine Angestellten eine Landwirtschaft betrieb, er
selbst mit seiner Frau und den Kindern aber weiter am
städtischen Leben teilnahm. Er ermöglichte seinem
Nachwuchs ein freies ungebundenes Leben mit Tieren
in der Natur. Er verband die Erziehung der Kinder mit
einem hohen Anspruch auf Bildung und pflegte mit
ihnen städtische Kontakte. Das gesellschaftliche Leben in der Stadt holte er sich mit seiner Gastfreundschaft in das Landhaus.
4 Das barocke Landhaus „Tönneburg" brannte im Jahre 1887 ab. Das danach als Gasthaus neu errichtete Fachwerkhaus präsentiert sich heute mit zahlreichen Anbauten (Sandmann 2010).
433
434
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Anmerkungen
1 Brüning, Die Tönneburg. Nach dem Tagebuch des Chris-
toph von Tönnemann, in: Warendorfer Blätter für Orts- und
Heimatkunde. 14. Jg. 1919, Nr. 4, S. 15 f; Nr. 5, S. 17f; Nr.
6, S. 22f.
2 Wilhelm Thöne, Nachrichten zur Soziologie der Familie
Thöne genannt Thönemann, v. Tönnemann aus WarburgAltstadt, in: Mitteilungen der Westdeutschen Gesellschaft
für Familienkunde, Bd. VIII. 1933-1936, Sp. 375-418, hier
Sp. 376.
3 Thöne 1933 (wie Anm. 2), S. 376. Weitere biografische
Hinweise über die Familie finden sich bei Wilhelm Thöne,
Nachrichten über die Familie von Thönemann auf der Thöne-
burg bei Warendorf, in: Warendorfer Blätter. NF 1934, S.
47ff. und bei Martha Gotting, Über die Familie von Tönnemann, in: Westfälischer Heimatbund (Hg.), Westfälischer
Heimatkalender, 10. Jg. 1956, Münster 1955, S. 203-205.
4 Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600-1760.
Münster 2000, S. 774-775.
5 Stefan Baumeier, Das Bürgerhaus in Warendorf. Münster
1974, S. 39, s. dort auch Anmerkung 17.
6 Thöne datiert den Erwerb zwischen 1787 und 1790.
(Thöne 1933, wie Anm. 2, S. 416), Büning nennt als
Baudatum des Hauses vor dem Emstor das Jahr 1780 (Brü-
ning 1919, wie Anm. 1,14. Jg. Nr. 4, S. 15). Dethlefs konn-
te weitere Quellen erschließen und datiert die Anlage des
Gutes in die Jahre vor 1785, da es schon in diesem Jahr als
fertig beschrieben wurde (Gerd Dethlefs, Zur Geschichte der
„Tönneburg" und der Familie von Tönnemann in Warendorf, in: Paul Leidinger, Geschichte der Stadt Warendorf,
Band III). Warendorf 2000, S. 733-736).
7 Paul Leidinger, Warendorf als Garnisonstadt in fürstbischöflicher und preußischer Zeit, in: Warendorfer Schriften.
11/12. Warendorf 1981/82, S. 105.
8 Leidinger 1981 (wie Anm. 7), S. 105.
9 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15.
10 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15.
11 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15.
12 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 16.
13 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15.
14 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 16.
15 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 16.
435
Orts- und Objektregister
Ortsregister
Ahlen (Kr. Warendorf)
Haus Vorhelm
Alfhausen (Landkreis Osnabrück)
Meppenburg
Meierhof Heeke
Altenberge (Kr. Steinfurt)
Haus Bödding
Hof Wesseling (bei Hansell)
Hof Niermann
Hof Sieverding
Ankum (Landkreis Osnabrück)
Haus Brüning
Meierhof Westerholte
Schultenhof Rüssel
Hof Große Hamberg in Westerholte
Bad Bentheim (Kr. Grafschaft Bentheim)
Gut Esche
Bad Driburg (Kr. Höxter)
Stift Neuenheerse
Bad Essen (Landkreis Osnabrück)
Schloss Hünnefeld
Bad Iburg (Landkreis Osnabrück)
Haus Scheventorf
Bad Salzuflen (Kr. Lippe)
Gut Ahmsen
Gut Bexten
Gut Papenhausen
Gut Sylbach bei Holzhausen
Bakum (Landkreis Vechta)
Haus Bakum
Haus Harme
Barsinghausen (Landkreis Hannover)
Gut Langenreder
Beverungen (Kr. Höxter)
Gut Blankenau
Bielefeld
Gut Brodhagen
Stift Schildesche
Billerbeck (Kr. Coesfeld)
Haus Hameren
Haus Runde
Bissendorf (Landkreis Osnabrück)
Schloss Ledenburg
Blomberg (Kr. Lippe)
Gut Gröpperhof
Gut Nassengrund
Bohmte (Landkreis Osnabrück)
Haus Lagelage
Borchen (Kr. Paderborn)
Malinckrodthof / Gut Oberhaus
Borgentreich (Kr. Höxter)
Gut Bühne
Borken (Kr. Borken)
Haus Engelrading
Bocholt (Kr. Borken)
Haus Büling
Brakei (Kr. Höxter)
Klosterökonomie Gehrden
Bramsche (Landkreis Osnabrück)
Haus Limbergen
Haus Rothenburg
Bückeburg (Kr. Schaumburg)
Cammerhof in Cammer
Büren (Kr. Paderborn)
Klostergut Böddeken
Buldern (Kr. Coesfeld)
Haus Buldern
Haus Giesking
Castrop-Rauxel (Kr. Recklinghausen)
Haus Vörde
Delbrück (Kr. Paderborn)
Gut Espenlake bei Boke
Valepagenhof
Dinklake (Landkreis Vechta)
Haus Dinklake
Ledebursches Haus
Dörentrup (Kr. Lippe)
Domäne Oelentrup bei Schwelentrup
Drensteinfurt (Kr. Warendorf)
Haus Ossenbeck
Haus Venne
GutWesterhaus
Dülmen (Kr. Coesfeld)
Haus Giesking
Haus Visbeck
Gronau (Landkreis Hildesheim)
Gut Heinsen bei Deilmissen
Ennigerloh (Kr. Warendorf)
Haus Diek bei Westkirchen
Haus Vornholz bei Ostenfelde
Extertal (Kr. Lippe)
Gut Vallentrup
Essen (Kr. Oldenburg)
Haus Groß Arkenstede
Everswinkel (Kr. Warendorf)
Gut Lohfeld
Haus Brückhausen
Fröndenberg (Kr. Unna)
Stift Fröndenberg
Fürstenau (Landkreis Osnabrück)
Haus Wegemühlen
Gelsenkirchen
Haus Balken (bei Buer)
Haus Leythe (bei Buer)
Geseke (Kr. Soest)
Stift Geseke
Gevelsberg (Ennepe-Ruhr-Kreis)
Damenstift Gevelsberg
Greven (Kr. Steinfurt)
Schulze Aldrup
Göttingen
436
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Gut Geismar
Gyhum (Landkreis Rotenburg)
Gut Bockei
Hagen
Stift Elsey
Haltern am See (Kr. Recklinghausen)
Stift Flaesheim
Hannover
Herrenhausen, Hardenbergsches Haus
Am Markt 13, Hardenbergsches Haus
Linden, Küchengarten, Pavillon
Haselünne (Landkreis Emsland)
Haus Hamm
Haus Lotten
Havixbeck (Kr. Coesfeld)
Haus Hülshoff
Stift Hohenholte
Herdecke (Ennepe-Ruhr-Kreis)
Stift Herdecke
Hille (Kr. Minden-Lübbecke)
Freihof in Eickhorst (Öxmannscher
Burgmannshof)
Wentrupscher Hof in Rothenuffeln
Hövelhof (Kr. Paderborn)
Jagdschloss
Höxter (Kr. Höxter)
Domäne Corvey
Thonenburg
Holdorf (Landkreis Vechta)
Haus Ihorst
Hoya (Landkreis Nienburg)
Amtshaus Hoya
Siebenmeierhof in Magelsen
Siebenmeierhof in Wührden
Hof Hecht in Dahlhausen
Kirchhundem (Kr. Olpe)
Gut Vasbach
Langwedel (Landkreis Verden)
Gut Koppel bei Etelsen
Legden (Kr. Borken)
Stift Asbeck
Leopoldshöhe (Kr. Lippe)
Gut Dahlhausen (von Exterde)
Lichtenau (Kr. Paderborn)
Klosterökonomie Dalheim
Lingen (Landkreis Emsland)
Haus Spyck bei Bramsche
Lippstadt (Kr. Soest)
Stift Lippstadt
Stift Cappel
Lohne (Landkreis Vechta)
Haus Hopen
Lübbecke (Kr. Minden-Lübbecke)
Fiegenburg bei Börninghausen
Lüdinghausen (Kr. Coesfeld)
Haus Kakesbeck
Burg Lüdinghausen
Burg Vischering
Marienmünster (Kr. Höxter)
Klosterökonomie Marienmünster
Melle (Kr. Osnabrück)
Haus Auburg
Gut Gesmold
Haus Sondermühlen
Menslage (Landkreis Osnabrück)
Haus Mundeinburg
Metelen (Kr. Steinfurt)
Stift Metelen
Minden (Kr. Minden-Lübbecke)
Barkhausenscher Hof in Aminghausen
Duxscher Freihof in Aminghausen
Gut Denkmal (Tietzels Denkmal)
Gut Kuhlenkamp
Gut Masch
Gut Rodenbeck
Moisburg (Landkreis Harburg)
Vorwerk Moisburg
Münster
Friedrichsburg
Gut Werse (in St. Mauritz)
Gartenhaus Wilhelmstraße 11
Haklenburg
Haus Amelsbüren
Haus Daerl (bei Wolbeck)
Haus Enkingmühle
Haus Hohenfelde (bei Roxel)
Haus Markfort (bei Handorf)
Haus Kleine-Getter (bei Albachten)
Haus Nevinghoff
Haus Rüschhaus
Haus Soest (bei Hiltrup)
Haus Wienburg
Hof Groß Kaldeloe (bei Hiltrup)
Hof Rotland (bei Hiltrup)
Hof Lütke Lengerich (bei Handorf)
Hof Fronhof (bei Wolbeck)
Hof Wegmann (bei Hiltrup)
Schnorrenburg
Schulte Havichhorst bei Handorf
Haus Münsterstraße 33 in Wolbeck
Nordwalde (Kr. Steinfurt)
Haus Althaus
Nörten-Hardenberg (Landkreis Northeim)
Gut Hardenberg
Nottuln (Kr. Coesfeld)
Stift Nottuln
Ochtrup (Kr. Steinfurt)
Stift Langenhorst
Oebisfelde (Landkreis Börde)
Gut Seggerde bei Weferlingen
Oelde (Kr. Warendorf)
Haus Geist
Ostbevern (Kr. Warendorf)
Haus Bevern
Orts- und Objektregister
Ostercappeln (Landkreis Osnabrück)
Haus Schwegerhoff
Osnabrück
Ledenhof
Steinwerk Bierstraße 7
Steinwerk Marienstraße 3
Paderborn (Kr. Paderborn)
Gut Nachtigall bei Neuhaus
Porta Westfalica (Kr. Minden-Lübbecke)
Hof Kriete in Lohfeld
Rheda-Wiedenbrück (Kr. Gütersloh)
Haus Aussei
Haus Bosfeld
Domhof in Rheda
Schönhof in Wiedenbrück
Ronnenberg (Landkreis Hannover)
Gut Bettensen
Rotenburg a.d. Wümme (Landkreis Rotenburg)
Gut Mulmshorn
Sassenberg (Kr. Warendorf)
Haus Schücking
Schieder-Schwalenberg (Kr. Lippe)
Domäne Schiedet
Domäne Schwalenberg
Gut Wöbbel
Schlangen (Kr. Lippe)
Jagdschloss Oesterholz
Schledehausen (Landkreis Osnabrück)
Schelenburg
Senden (Kr. Coesfeld)
Wallbaum, Gräftenhof bei Ottmarsbocholt
Zumberge, Gräftenhof
Sendenhorst (Kr. Warendorf)
Ahlenkotten
Gut Deitkamp
Hemisburg (bei Albersloh)
Hof Horstmann (bei Albersloh)
Hof Klostermann (bei Albersloh)
Schulze Dernebockholt (bei Albersloh)
Soest (Kr. Soest)
Kloster Paradise
Walburgisstift
Sögel (Landkreis Emsland)
Haus Campe
Steinfurt (Kr. Steinfurt)
Stift Borghorst
Steinheim (Kr. Höxter)
Haus Vinsebeck
Stemwede (Kr. Minden-Lübbecke)
Stift Levern
Tecklenburg (Kr. Steinfurt)
Stift Leeden
Telgte (Kr. Warendorf)
Haus Milte
Haus Ostdorsel
Jägerhaus (Gasthaus)
Lütke / Kurze Rumphorst
Sommerhaus Vandenhoff
Unna (Kr. Unna)
Gut Brockhausen bei Königsborn
Vechta (Landkreis Vechta)
Haus Bakum
Haus Füchtel
Haus Welpe
Wadersloh (Kr. Warendorf)
Haus Herfeld
Waltrop (Kr. Recklinghausen)
Haus Horst
Warburg (Kr. Höxter)
Amtmannhaus in Nörde
Klosterökonomie Hardehausen bei
Scherfede
Warendorf
Kloster Freckenhorst
Haus Hoetmar
Schulze Affhüppe
Hof Waldmann (bei Freckenhorst)
GutTönneburg
437
438
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
Objektregister
Affhüppe, Hof
Ahlenkotten, Hof
Ahmsen, Gut
Althaus, Haus
Amelsbüren, Gut
Asbeck, Stift
Auburg, Haus
Aussei, Haus
Bakum, Haus
Balken, Haus
Barkhausenscher Hof
Bettensen, Gut
Bevern, Haus
Bexten, Gut
Bierstraße 7, Steinwerk
Blankenau, Gut
Böddeken, Klosterökonomie
Bödding, Haus
Bockei, Gut
Borghorst, Stift
Bosfeld, Haus
Brockhausen, Gut
Brodhagen, Gut
Brückhausen, Gut
Brüning, Haus
Büling, Haus
Bühne, Gut
Buldern, Gut
Cammerhof
32
252
10, 28, 56, 144-148
56
273
81
56
56, 58, 140
54, 55, 57, 58
273
368-369
212
273
269
290-302
18, 20
22
57
10, 24, 26, 88-104
74, 75, 80
57
249
24, 249
31, 270-272
57
57
19, 21
255
364-366
52, 53, 56
73, 74
Campe, Haus
Cappel, Stift
20
Corvey, Domäne
Daerl, Haus
260, 262
Dahlhausen, Gut
10, 24, 28, 57, 149-152
199
Dahlhausen, Hof Hecht
21
Dalheim, Klosterökonomie
252, 279
Deitkamp, Gut
Dieck, Haus
29, 224-238, 249
Dietrichsburg siehe Haus Dinklage
52, 54, 56, 58, 59
Dinklage, Haus
274
Domhof in Rheda
Duxscher Freihof
361-363
Elsey, Stift
71
Engelrading, Haus
Enkingmühle, Gut
17
Esche, Haus
Espenlake, Gut
Exterde, Gut
Fiegenburg
Flaesheim, Stift
Füchtel, Haus
Freckenhorst, Stift
Freckenhorst, Stiftskurie von
Freihof in Eickhorst
Friedrichsburg, Gut
Fröndenberg, Stift
348
54, 56
29
24
371
81
52, 57
Hanxleden 227
65
369-371
252
81
Fronhof, Hof
Gehrden, Klosterökonomie
Geismar, Gut
Geist, Haus
Gesmold, Gut
Geseke, Stift
Gevelsberg, Stift
Giesking, Haus
Gröpperhof
Groß-Arkenstede. Haus
Groß Kaldeloe, Hof
Gut Denkmal
Haklenburg, Gut
Hameren, Haus
Hamm, Haus
Hardehausen, Klosterökonomie
Hardenberg, Gut
Hardenbergsches Haus in Hannover
Harme, Haus
Heeke, Meierhof
Heinsen, Gut von Hardenberg
Hemisburg (Heimburg), Haus
Herdecke, Stift
Herfeld, Haus
Herrenhausen, Hardenbergsches Haus
Herbortsburg, Haus
Hövelhof, Jagdschloss
Hoetmar, Haus
Hohenfelde, Haus
Hohenholte, Stift
Hopen, Haus
Horst, Haus
Horstmann, Hof
Hoya, Amtshaus
Hülshoff, Haus
Hünnefeld, Schloss
Ihorst, Haus
Jägerhaus, Gasthaus
Kakesbeck, Haus
Kleine-Getter, Haus
Klostermann, Hof
265
20
217-219
22
42, 45
78, 79, 80
68, 70
267, 273, 280
57
54, 57
251
372-373
348
272
52, 57
22
215-218, 221
214-215
54
47
211-213
226
81, 83
274
213-214
57
140, 261
56
263, 349
68
54, 56
275
252
197
23
46
54, 57
265
268
275
251
Koppel, Gut 10, 24, 26, 127-139
Kriete, Hof
Kuhlenkamp, Gut
Langelage, Haus
Langenhorst, Stift
Langenreder, Gut
366, 368
374
45, 56
82, 273
Leeden, Stift 64, 65, 68, 69, 81
Ledenhof in Osnabrück
Ledebursches Haus zu Dinklage
Ledenburg, Schloss
Levern, Stift
Leythe, Haus
Linden, Küchengarten
Limbergen, Haus
25
43, 289, 290
54, 58
43
71, 72, 78
273
220
52, 57
Lippstadt, Stift 65, 66, 77, 78, 79
Lüdinghausen, Burg
271
Orts- und Objektregister
Lohfeld, Gut 27, 248, 255, 262, 275, 414-429
Lotten, Haus 54, 56
Lütke (bzw. Kurze) Rumphorst, Gut 247, 248, 249,
251, 259, 388-402
251
Lütke Lengerich, Hof
10, 24, 28, 190-209
Magelsen, Siebenmeierhof
247
Mallinckrodthof, Haus
j 22
Marienmünster, Klosterökonomie
289
Marienstraße 3, Steinwerk
245, 258, 348
Markfort, Haus
376
Masch, Gut
46, 47
Meppenburg, Haus
67, 74, 81
Metelen, Stift
24, 26, 56, 248, 256, 258, 263,
Milte, Haus
274, 275, 329-350
Moisburg, Vorwerk 10,16,105-126
Münsterstraße 33 in Münster-Wolbeck 272
Mundeinburg, Haus
Mulmshorn, Gut
Nachtigall, Gut
Nassengrund, Gut
Neuenheerse, Stift
Nevinghoff, Gut
Niermann, Hof
Nörde, Haus des Amtmanns
Nörten-Hardenberg, Gut
Nottuln, Stift
Oelentrup, Domäne
Oesterholz, Jagdschloss
Öxmannscher Burgmannshof
Ossenbeck, Gut
Ostdorsel, Haus
Paradiese, Kloster
Papenhausen, Gut
Rodenbeck, Gut
Rothenburg, Haus
Rotland, Hof
57
24, 26, 88-104
10, 28, 380-386
10, 28, 57, 155-156
75, 78
252-255, 267, 274
363
239-240
215-218, 221
82
57
140
369-371
254, 276
250, 263
78
57
374-376
53, 56
251
Rüschhaus, Haus 10-15, 240-243, 273, 275
Rüssel, Schultenhof
Runde, Haus
Schelenburg
Scheventorf, Haus
Schieder, Domäne
Schildesche, Stift
Schnorrenburg, Gut
285
263, 348
42
33
57, 272
76
251
Schönhof in Wiedenbrück
Schücking, Haus
Schulze Affhüppe
Schulze Aldrup
Schulze Dernebockholt
Schulze Havichhorst
Schwalenberg, Domäne
Seggerde, Gut
Sieverding, Hof
Soest, Haus
Sondermühlen, Haus
Spyck
Schwegerhoff, Gut
Sylbach, Gut
Thonenburg, Gut
Tietzels Denkmal
Tönneburg, Gut
Valepagenhof, Gut
Vallentrup, Haus
Vandehoff, Sommerhaus
Vasbach, Gut
Venne, Haus
Vinsebeck, Schloss
Visbeck, Haus
Vischering, Haus
Vörde, Haus
Vornholz, Haus
Vorhelm, Haus
Waldmann, Hof
Wallbaum, Gräftenhof
Walburgisstift Soest
Wegemühlen, Haus
Wegmann, Hof
Welpe, Haus
Wentrupscher Hof
Werse, Gut
Wesseling, Hof
276
259
263
259
259
248, 250, 261, 262
57
19
251
255, 276
12, 47, 52, 56, 273
52, 56
57
10, 28, 57, 152-155
20
372-373
28, 430-434
10, 28, 140-145, 252, 254
57
265-267
26,351-359
57
243-244
29, 168-189, 248, 249
171-174
29, 161-166
ZI
57
265, 266
14, 56
80, 81
48
255
53, 54, 57, 58
367-368
ZI, 262, 403-412
252, 279
Westerhaus, Gut 24, 26, 248, 258, 274, 305-328
Westerholte, Meierhof
284-285
Wienburg, Gut 256-257, 263
Wilhelmstraße 11 in Münster, Gartenhaus 262, 264
273
Wöbbel, Gut
198
Wührden, Siebenmeierhof
250
Zumberge, Hof
439
i
i
j
i
i
tion für den denkmalpflegerischen Alltag ein wichtiges Handbuch dar und
f besitzt zugleich Bedeutung für künftige Forschungen.
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Heft 43
ISBN 978-3-8271-8043-8
783827 180438
Wohnen in der Feldmark - Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780
Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf)
kamen Besucher und stürmten die Kuchentafel, tranken Kaffee oder spielten Schach und Karten. In der
Gästeliste finden sich alle Namen der gehobenen
Warendorfer Gesellschaft und benachbarter Ortschäften.14
Das Familienleben änderte sich mit den wachsenden
Erfolgen der französischen Freiheitskämpfer. Weil die
Fürstbischöfe in Münster ihre Positionen gefährdet
sahen, kam es zur Dämpfung des Aufruhrs auch zu
militärischen Handlungen: Am 21. Oktober 1789
wurde der Oberst über einen bevorstehenden Krieg in
Kenntnis gesetzt. Am 17. November marschierte Wil-
helm Xaver von Tönnemann mit seinem Regiment
nach Münster. Bis dahin hatte ihn seine Familie beglei-
tet und dann verabschiedet. Drei Tage später zogen
die beiden Regimenter aus Münster und Warendorf
gemeinsam mit 15 Kistwagen, 6 Munitionswagen
und 6 Kanonen Richtung Lüttich. Erst Ende August
1791 kam das Regiment nach Warendorf zurück.
In der Abwesenheit des Familienoberhauptes blieb
der Lehrer auf der Tönneburg und kümmerte sich um
die Bildung und die Erziehung der Kinder. Der Vater
verließ sich nicht auf die Post, sondern entsandte
Boten, die Nachrichten und Geschenke an die Familie
direkt weiterleiteten. Ab 1791 wurden die älteren
Kinder in die Stadt zum Studieren geschickt.15
Mit dem Ende der täglichen Notizen von Christoph
Tönnemann enden 1790 auch die Überlieferunqen
mit derE
Widerstand geleistet. Nur geringe Teile des Offizierscorps und der Truppen sind später von den Preußen
übernommen worden. So auch Franz Xaver von
Tönnemann.
In der zwischenzeitlichen Franzosenzeit von 1807-
1813 war der Sohn und Tagebuchschreiber Christoph
Tönnenmann zum Bürgermeister der Stadt Warendorf
ernannt worden. Auch dessen Bruder Karl bekleidete
zu dieser Zeit ein städtisches Amt. Gemeinsam mit
einigen Mitgliedern der städtischen Oberschicht gründeten sie im Jahr 1810 die Bürgergesellschaft „Har-
monie". Der Herrenclub, der 1811 ein Clubhaus an
der Münsterstraße errichtete und 1846 einen stattlichen Saal hinzufügte, besteht noch heute.
Nach 1830/40 kam die Tönneburg in verschiedene
andere Hände, es wurde mit wenig Erfolg versucht,
hier eine Brennerei und eine Stärkefabrikation zu
betreiben. 1887 brannte das Haus ab, das Grundstück
wurde verkauft und von dem neuen Besitzer
Linnemann aus Ahlen neu bebaut. Der neue Hausherr
richtete dort eine Kaffeewirtschaft ein, in deren
Nachfolge man heute Pizza und Pasta genießen kann.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Major
Tönnemann zwar auf dem Land wohnte und durch
seine Angestellten eine Landwirtschaft betrieb, er
selbst mit seiner Frau und den Kindern aber weiter am
städtischen Leben teilnahm. Er ermöglichte seinem
Nachwuchs ein freies ungebundenes Leben mit Tieren
in der Natur. Er verband die Erziehung der Kinder mit
einem hohen Anspruch auf Bildung und pflegte mit
ihnen städtische Kontakte. Das gesellschaftliche Leben in der Stadt holte er sich mit seiner Gastfreund-
mann.
Am E
Einmar
schaft in das Landhaus.
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387 ab. Das danach als Gasthaus neu errichtete Fachwerkhaus prä3010).
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