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ILllMpJiorjt Wttcn | Güter, Pachthöfe und Sommersitze zwischen Stadt und Land Niedersachsen Für die Menschen Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land bearbeitet von Fred Kaspar und Volker Gläntzer Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 43 Arbeitsheft der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen 14 Herausgeber: Stefan Winghart (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege) Markus Harzenetter (LWL-Denkmalpflege, Landschaftsverband Westfalen-Lippe) Redaktion der Reihen: Dietmar Vonend, Jost Schäfer Wissenschaftliche Konzeption: Fred Kaspar, Volker Gläntzer Textredaktion: Dietmar Vonend, Jost Schäfer Gestaltung, Bildredaktion und Satz: Petra Gotting Gesamtredaktion: Dietmar Vonend, Jost Schäfer Titelbild: Petra Gotting Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 43 Arbeitsheft der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen 14 © 2014 Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, LWL-Denkmalpflege, Landschaftsverband Westfalen-Lippe Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Herausgeber Druck: Quedlinburg Druck GmbH, Quedlinburg Vertrieb: CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln ISBN 978-3-8271-8043-8 Inhalt Vorwort 6 Fred Kaspar Einleitung 9 Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 42 Nicolas Rügge 42 Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück Sonja Michaels 51 Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland Ein Beitrag zur Typologisierung Thomas Spohn 64 Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts Vorbilder ländlichen und kleinstädtischen Bauens? Wolfgang Dörfler 88 Bockei und Mulmshorn Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg/Wümme Nils Kagel 105 Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg unter besonderer Berücksichtigung bauhistorischer Aspekte Heinz Riepshoff 127 Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 Heinrich Stiewe 140 Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Beispiele des 16. bis 18. Jahrhunderts aus Ostwestfalen und Lippe Fred Kaspar / Peter Barthold 161 Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde Castrop-Rauxel-Habinghorst, Vördestraße 10 (heute Hafenstraße 10) Fred Kaspar 168 Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) Ein Gut, nur kurz im Interesse der Familie Droste zu Vischering Dietrich Maschmeyer 190 Der Siebenmeierhof in Magelsen Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht Bernd Adam 210 Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg Fred Kaspar / Peter Barthold 224 Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck (Ennigerloh-Westkirchen, Kr. Warendorf) Inhalt Landgüter von Bürgern und Beamten, Lebens- und Wirtschaftsformen 239 Fred Kaspar 239 Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Was macht der Städter auf dem Land? Carolin Sophie Prinzhorn 283 Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück Axel Böcker / Peter Barthold / Fred Kaspar 305 Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) Fred Kaspar / Peter Barthold 329 Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) Die Vasbach bei Kirchhundem Aspekte der Baugeschichte Josef Georg Pollmann 351 Peter Barthold 360 Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden Fred Kaspar 380 Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn) Fred Kaspar 388 Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) Fred Kaspar / Peter Barthold 403 Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 Fred Kaspar 414 Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774. Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 Laurenz Sandmann 430 Wohnen in der Feldmark Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780 Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf) Orts- und Objektregister 435 6 Vorwort Seit nunmehr 25 Jahren treffen sich jährlich Hausforscher aus Nordwestdeutschland zu einer Tagung und pflegen hierbei fachlichen Austausch, der vom kleinen Einzelbefund bis zu übergreifenden Fragen zur Kultur des ländlichen Raumes reicht. Bei jährlich wechselnder Themenstellung werden Forschungsergebnisse zusammengetragen, Thesen diskutiert, Meinungen ausgetauscht und neue Impulse zur Klärung der vielen offenen oder bislang nicht beachteten Fragen gegeben.1 Nur informell zum „Arbeitskreis für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland" zusammengeschlossen, ist das Treffen dieser Arbeits- gruppe damit zu einem der zentralen Ereignisse für alle geworden, die sich mit historischen Bauten im ländlichen Raum beschäftigen. Die Arbeitsgruppe ging 1990 aus der Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V. (IGB) hervor und gilt seit 1993 zugleich als eine Regionalgruppe des mittlerweile über Deutschland hinaus tätigen Arbeitskreises für Hausforschung e.V. Denkmalschutz und Denkmalpflege sind auf Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen, benötigen aber auch stets aktualisiertes Fachwissen. Entsprechend ihrer Bedeutung für die Forschung zur ländlichen Baukultur erfährt die Arbeitsgruppe seit ihrem Entstehen große Unterstützung durch Mitarbeiter der Landesämter für Denkmalpflege in Niedersachsen und Westfalen. Neben einer Vielzahl von Aufsätzen zum ländlichen Bauen und Wohnen, die in Sammelwerken, Zeitschriften oderJahrbüchern erschienen sind, haben sieben der Jahrestagungen inzwischen zu eigenständigen Publikationen geführt, die thematisch zentriert zu grundlegenden Werken und im denkmalpflegerischen Alltag wichtigen Handbüchern wurden. Entsprechend der Initiative der wechselnden Ausrichter und Organisatoren der Tagungen sind diese in verschiedenen Publikationsreihen erschienen, davon einer von ihnen auch in der Schriftenreihe Denkmalpflege und Forschung in Westfalen der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. vorgestellt werden. Eine Kooperation der beiden hier tätigen Landesämter für Denkmalpflege bot sich an. Sie begann bei der Unterstützung in der Vorbereitung der Tagung und mündete in der gemeinsamen Herausgabe des hier vorgelegten Bandes. Die Tagung wurde hervorragend von Elisabeth Sieve beim Landkreis Osnabrück vorbereitet. Ihr ist herzlich zu danken. Der 23. Jahrestagung der nordwestdeutschen Hausforscher im März 2011 wurden von ihren Initiatoren klug gewählte Fragen als Leitlinie der Betrachtungen und Diskussionen gestellt. Klug deswegen, weil das Thema vor allem Fragen aufwarf, aber kaum schnelle und klare Antworten ermöglichte und damit der Forschung neue Impulse geben konnte. Wie nicht nur die einzelnen Vorträge deutlich gemacht haben, hat dieser Ansatz nicht nur durch neue gewählte Perspektiven auf den historischen Baubestand auch Erfolge gezeitigt, sondern auch zu vielfältigen Diskussionen im Plenum geführt.2 Vieles hiervon ist in die durch die Referenten ausgearbeiteten und im Folgenden abgedruckten Aufsätze geflossen. In den Blick genommen werden sollten von den Tagungsteilnehmern insbesondere größere landwirtschaftliche Betriebe, die umgangssprachlich gemeinhin als „Güter" bezeichnet werden. Im Vorfeld der Tagung hatte man als sozialen Rahmen der zu betrachtenden baulichen Phänomene zunächst den Titel „Bauen und Bauten des niederen Adels" verwendet. Schon im Laufe der weiteren Vorbereitung weitete sich allerdings die Fragestellung, da neben „Bauten des Kleinadels" nun auch Güter von Städtern auf dem Lande bzw. Wohn- und Wirtschaftsbauten auf adeligen und staatlichen Gütern in den Blick gerieten, sodass die Tagung schließlich unter dem Titel „Adeliges und bürgerliches Wohnen auf dem Lande" durchgeführt wurde. Im Aufruf zur Teilnahme an der Veranstaltung wurde daher formuliert, man wolle als Ziel der Tagung „kein Themenfeld eingrenzen, sondern Grenzen überschreiten, Übergänge ermöglichen, Beziehungen erkennen [...] an der Nahtstelle zwi- Als Ort der Tagung wählte man auf Einladung der unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises schen bäuerlicher und nichtbäuerlicher Oberschicht, ländlichem Adel und städtischem Patriziat".3 ren und kleineren Landgütern der Burgmänner und Beamten. Der Landkreis Osnabrück im Grenzbereich Die Notwendigkeit, die beobachteten baulichen Phänomene unter einem Sozialschichten übergreifenden Blickwinkel zu betrachten, war eines der Diskussionsergebnisse der Tagung. Sie floss in die von den Refe- Osnabrück Bad Iburg, ehemals Residenz der Bischöfe von Osnabrück und umgeben von zahlreichen größe- von Niedersachen und Westfalen erwies sich als idea- le Tagungsregion, konnten doch auf dem Exkursions- tag eindrückliche Beispiele zum Thema sowohl im Osnabrücker Land wie auch im anschließenden Müns- terland aufgesucht und den etwa 100 Teilnehmern renten danach ausgearbeiteten und erweiterten Aufsätze ein. Verbunden mit weiteren Einzelbeiträgen, die zumeist aus der Alltagsarbeit der Denkmalpflege bei anstehenden Baumaßnahmen zurückge- 7 hen, ist der hier vorgelegte Aufsatzband entstanden, der sich mit einer bislang kaum beachteten Frage beschäftigt: Ist das im alltäglichen Umgang mit historischen Phänomenen angewandte Schichtenmodell der vorindustriellen Welt für Bauern auf dem Land, Städter in der Stadt und Adelige zutreffend? Denkmalpflegerischem Denken ureigen und für Historiker methodisch spannend ist hierbei die Perspektive, die Frage insbesondere mithilfe überlieferter baulicher Quellen zu beantworten. Baudenkmale sind wesentliche, allerdings immer noch sowohl von der Gesellschaft als auch der Wissenschaft vielfach unterschätzte Geschichtsquellen. Der Band erhielt schließlich den auf den ersten Blick sicherlich etwas sperrigen Titel „Güter, Pachthöfe und Sommersitze - Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land." Die Bearbeitung des Bandes und die Vorbereitung der Aufsätze zur Publikation übernahmen Fred Kaspar schaftsformen aufbauen. Die Norddeutsche Tiefebene mit den südlich anschließenden Mittelgebirgen westlich und östlich des zentralen Flusslaufes der Weser ist wesentlicher Bestandteil von Nordwestdeutschland. So wird die Publikation von den beiden hier als Fachämter zuständigen Einrichtungen herausgegeben. Wie fast immer führt der genaue Blick auf die Denkmäler zu einer differenzierteren Kenntnis und zu einer Infragestellung - oder zumindest Relativierung - gemeinhin als sicher geltender Kenntnisse. So wurden und werden sowohl Westfalen wie auch Nieder- sachsen oftmals als „Bauernland" wahrgenommen, während die weiter östlich anschließenden Landschaften als „Gutsland" gesehen werden, eine Vergröberung, die der historischen Wirklichkeit keineswegs immer entspricht. und Volker Gläntzer, die beide ausgewiesene Kenner der Materie und langjährig auch an der Forschung Dr. Stefan Winghart mit den Beiträgen ausgebreitet wird. So werden in Leiter des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege 30 Güter, adelige Sitze und große Bauernhöfe ausführlicher behandelt, darunter allein 20 Längsdielenhäuser in bäuerlichem, adeligem und bürgerlichem Dr. Markus Harzenetter Landeskonservator beteiligt sind. Bemerkenswert ist die Materialfülle, die den 23 Beiträgen neben vielen Vergleichsbauten-über Besitz. In vielen Beiträgen wurden zudem archivalische Quellen neu ausgewertet. Schon diese Dokumentationsleistung bislang zumeist unbekannter Bauten stellt einen entscheidenden bleibenden Wert der Publikation für zukünftige Forschungen dar und wurde deshalb durch ein Register erschlossen. Es gelang, jenseits von ehemaligen Territorialgrenzen und heutigen Verwaltungseinheiten bauliche Erschei- nungen als Ausdruck wesentlicher wirtschaftlicher Strukturen in einem zusammengehörenden Kulturraum darzustellen. Dieser definiert sich durch Lebens- und Wirtschaftsweisen, die auf vergleichbaren Wirt- Präsident Leiter der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen 1 Zur Geschichte Wolfgang Dörfler/Thomas Spohn/ Heinrich Stiewe, 25. Treffen des Arbeitskreises für ländliche Hausfor- schung in Nordwestdeutschland. Martfeld 2013. 2 Dies arbeitete auch ein von Dietrich Maschmeier verfasster Bericht über die Ergebnisse der Tagung heraus: Bauhäuser und Steinwerke. Ländliche Adelsbauten im Visier der Hausforscher, in: Der Holznagel, Heft 2, 2011, S. 18-26. 3 Hier zitiert nach Dörfler/Spohn/Stiewe 2013 (wie Anm. 1), S. 78. 9 Einleitung Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land Fred Kaspar Zur Forschungsgeschichte und zu den Fragestellungen Unter dem Begriff „Güter" werden im Folgenden alle größeren landwirtschaftlichen Betriebe verstanden, die nicht von Bauern in eigener Regie betrieben wurden. Sie sind in Nordwestdeutschland bislang erstaunlicherweise kaum zum Gegenstand historischer Unter- suchungen geworden. Das gilt für die Agrar- und Wirtschaftsgeschichte, noch mehr aber für die bei dieser Tagung im Zentrum stehende Bau- und Kultur- geschichte. Neben den Wirtschaftsbetrieben der Klöster und der Sitze von Adeligen (die Güter im engeren Sinne) betrifft dies insbesondere die landwirt- schaftlichen Betriebe, die sich in der Hand von Bewohnern der Städte befanden. Nur landesherrliche Wirtschaftsbetriebe (die „Domänen")1 bzw. staatliche Gutsbetriebe2 sind im letzten Jahrzehnt vereinzelt in den Blick der Forschung geraten.3 Diese bislang weitgehende Ausblendung des Themas betrifft den gesamten nordwestdeutschen Raum. Wenn, dann wurden große landwirtschaftliche Betriebe eher als regionale Sonderheit bewertet,4 wohl insbesondere weil in diesem Kulturraum das Land ge- meinhin als Land mit bäuerlicher Kultur, kurz als „Bauernland" betrachtet wird.5 Eine systematische Erfassung oder Übersicht der vorhandenen Güter und Adelssitze unterblieb mit Ausnahme ihrer geschichtlichen Darstellung für einzelne Regionen.6 Hinzuweisen ist nur auf vereinzelte Studien, wie die zu den Adelsgütern und Domänen im Lande Lippe, von den Autoren selber im Untertitel bezeichnenderweise als „An- merkungen zu einem brachliegenden Forschungsfeld" betitelt.7 Vor diesem Hintergrund mussten sowohl bei Über- sicht der in diesem Band vorgelegten zahlreichen Beiträge zu einzelnen Betrieben, wie auch bei den Überblicksdarstellungen zu einzelnen Fragestellungen an vielen Stellen die bislang nur geringen Grundlagenkenntnisse zum Thema deutlich werden. Es konnte auch kaum auf methodische Vorgaben zurückgegriffen werden. Wie schwierig sich diese fachlichen Traditionen teil- weise für die heutige Forschung erweisen, wurde durch die gewählte Fragestellung immer wieder er- sichtlich, denn sie erwies sich konträr zu vielen bishe- rigen Argumentationssträngen der Forschung und den Darstellungen in der vorhandenen Literatur: Einmal mehr wird deutlich, dass es bei der Konzeptio- nierung hausforscherischer Studien nicht nur nützlich, sondern unumgänglich ist, die zu wählenden Betrachtungsebenen zu definieren und schärfer voneinander zu scheiden. Form, Gestaltung und Funktion von Ge- bäuden sind differenziert zu betrachten. Das hierzu von Joachim Hähnel und Konrad Bedal ab 1969 entwickelte Modell vier getrennter Betrachtungsebenen8 ist noch immer ein guter Wegweiser für die Forscher in das Dickicht des für den Einzelnen unüberblickbaren Baubestandes, der damit zusammenhängenden kulturgeschichtlichen Fragen und schon vorliegenden Bestandserhebungen und Interpretationen. Allerdings dürfte es nicht ausreichend sein, dieses Modell nur als Legitimation zu zitieren, sondern es muss auch konkreten Eingang in die Arbeitsweisen finden. Forschung zu bzw. über die Vielfalt historischer Realitäten ist gezwungen, festgestellte Phänomene syste- matisch zu ordnen, hierzu auch zu typisieren und damit notgedrungen auch zu vereinfachen. Nach wie vor wird vor diesem Hintergrund für den Bereich der Haus- und Bauforschung vor allem versucht, Bauten und baugeschichtliche Befunde durch Heraus- arbeitung von „Bautypen" zu durchdringen, vielfach definiert in erster Linie auf der Grundlage einer bestimmten Raumstruktur, oft verbunden mit Formen der äußerlichen Gestaltung. Allerdings unterbleibt hierbei zumeist eine - zumindest ergänzend durchgeführte - Analyse der Nutzungs- und Sozialgeschichte der untersuchten Bauten. Diese Beschränkung dürfte nicht zuletzt auf den höheren Arbeitsaufwand bei Verfolgung solcher Fragestellungen zurückzuführen sein. Funktionale Aufgaben der untersuchten Bauten sind in der Regel nicht allein aus der architektonischen Form sicher zu erkennen, sondern erschließen sich erst vor dem Hintergrund detaillierter Kenntnisse zur Nutzung. Die ursprünglich beabsichtigten Nutzungen können aber nur selten eindeutig aus dem historischen Baubestand abgelesen werden und werden daher vielfach nur über Indizien im Groben erschlossen. Im verstärkten Maße gilt dies für spätere, einem Objekt zugewachsene Nutzungen. Vor diesem Hintergrund erwies sich selbst die Analyse einer Geschichte der Besitzverhältnisse bei den Gütern vielfach als nicht ausreichend, da diese nicht mit einer Nutzungsgeschichte kongruent gewesen sein muss. Besitz ist vor dem 19. Jahrhundert nicht gleich Besitz, da unterschiedliche Rechtsformen zu unterscheiden sind. Dennoch wurde und wird in der 10 Einleitung Regel in baugeschichtlichen Untersuchungen im Ver- hältnis zwischen Bauherr bzw. Besitzer und einem Gebäude nicht zwischen freiem Besitz, Pacht, Lehen und anderen Rechtsformen wie dem Meierrecht unterschieden, zumal alle Formen auch in einem Besitzkomplex nebeneinander bestehen konnten, insbesondere aus der Tradition der Bauernhausforschung erwachsen sein, die den Hofbesitzer mit dem Hofbewohner gleichsetzte. Ob der Besitzer eines Her- ren- oder Landhauses dieses aber auch selber be- aber jeweils unterschiedliche Auswirkungen auf die Funktion bestehender Bauten hatten. Um hier zu größerer Sicherheit in der Interpretation und zu differen- wohnte, erschließt sich allerdings nur aus einer eingehenderen Analyse seiner Lebens-, Besitz- und Familiengeschichte. Vereinzelt ist zwar von der Forschung eine solche Perspektive behandelt worden, doch blieb es die Ausnahme: Noch immer ein gutes, aber selte- gänglich, wozu insbesondere die Auswertung der Angermann schon 1966 zu Georg von Holle vorgelegt hat.9 Andere Beispiele behandelte Irmintraut Richarz, zierteren Erkenntnissen zu kommen, ist also die Bearbeitung anderer Quellen als die Bauten selber unum- archivalischen Überlieferung gehört. Wie aber nicht zuletzt bei dem hier anstehenden The- menkomplex in manchen der vorgelegten Untersuchungen deutlich wird, müssen in der Gestalt ver- gleichbare oder vergleichbar wirkende Bauten keines- falls gleichen Zwecken gedient haben, auch wenn sich ein solcher Zirkelschluss immer wieder in die Interpretations-Überlegungen einschleicht. Auch wird in manchen der Untersuchungen deutlich, dass es unzutreffend und für die Bewertung nicht selten auch irreführend ist, den Besitzer eines Gebäudes mit seinem Nutzer gleichzusetzen. Dieses Vorgehen dürfte nes Beispiel ist die Untersuchung, die Gertrud etwa die Besitzverhältnisse und Bauentwicklungen der Güter in der Hand des Familienverbandes von Münchhausen während des 16. und 17. Jahrhunderts.'0 Bei eingehender Betrachtung besaß ein sol- cher Eigentümer zumeist mehrere Wohnungen, deren Nutzungen im Lebens- und Jahreslauf und im familiären Gefüge sich nur aus der Gesamtkenntnis seiner Lebensverhältnisse erkennen lässt. Plakativ die folgenden Ausführungen zusammengefasst, wird es Leitlinie zukünftiger Forschungen sein müssen, klarer zwischen Adelsbesitz und Adelssitz, zwischen Gutsherr, Gut und Betreiber zu unterscheiden. Der umgräftete Hof Haus Rüschhaus bei Münster-Nienberge wurde zwischen 1745 und 1748 durch den Architekten Johann Conrad Schlaun nach eigenen Plänen vollständig erneuert. Als Hauptgebäude ließ er hierbei - wie auf solchen Pachthöfen üblich - ein traditionelles Längsdielenhaus errichten. Dieses wurde allerdings mit massiven Umfassungswänden versehen, die ebenso wie die flankierenden Wirtschaftsgebäude in ihrer Gestaltung Idealen barocker Architektur folgen. Das Gebäude dien- te dem landwirtschaftlichen Betrieb der hier dauernd lebenden Pächterfamilie, ist allerdings durch ein groß dimensioniertes Kammerfach erweitert, das dem in der Stadt Münster lebenden Besitzer und Bauherren als Sommerwohnung zur Verfügung stand. (Foto Hartwig Dülberg 2009). Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land In den folgenden Beispielen wird das Baugeschehen auf solchen ländlichen Betrieben behandelt, die nicht als „normale" Bauernhöfe gelten; Damit ist die These in den Raum gestellt, dass die Bauherren dieser Bauten nicht zu den Bauern zu rechnen sind. Daher ist danach zu fragen, welche weiteren Sozialgruppen auf dem Lande auch noch wirtschaftlich handelten und landwirtschaftliche Bauten errichteten. Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes behandeln ein breites gesellschaftliches Spektrum, sowohl was die Besitzer als auch was die Nutzer der betrachteten Bauten betrifft. Ebenso vielfältig ist das Spektrum unter- schiedlicher Nutzungen dieser Bauten. Die Beiträge stellen Bürger, Beamte sowie in der Stadt oder auf dem Land lebende Adelige, aber auch den ritter- schaftlichen, höheren Adel oder adelige bzw. bürgerliche Stiftsdamen als Betreiber der landwirtschaftli- chen Betriebe in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Die einzelnen Beiträge des Bandes wurden in zwei großen Gruppen der adeligen und bürgerlichen Güter unterteilt. Innerhalb dieser beiden Betreibergruppen wurden die einzelnen Beiträge soweit möglich so geordnet, dass eine chronologische Entwicklung der baulichen Zeugnisse und der wirtschaftlichen Verhältnisse erkennbar wird. Hierdurch sollte es dem Leser ermöglicht werden, durch Vergleiche Entwicklungslinien erarbeiten zu können. Diese sicherlich plakative Unterteilung erschien sinn- voll, um die angesprochenen Fragestellungen und vor diesem Hintergrund entwickelten neuen Thesen und Ergebnisse deutlicher herausarbeiten zu können: Auf der einen Seite stehen die Güter im engeren Sinne, landwirtschaftliche Betriebe der Adeligen im An- schluss an ihre Burgen und Schlösser und auf Vorwerken sowie die landwirtschaftlichen Betriebe der Klöster. Auf der anderen Seite gab es aber auch eine erstaunlich große Zahl von landwirtschaftlichen Betrieben, die von in der Stadt Lebenden unterhalten wurden. Wenn sich damit eine bislang kaum in den Blick geratene Gruppe von städtischen, fern ihrer Betriebe lebenden „Unternehmern" abzeichnet, stellt sich zugleich auch die Frage, was die Motive für ihre Investitionen waren und wie und von wem sie ihre landwirtschaftlichen Betriebe bewirtschaften ließen. Um Vergleichsmöglichkeiten auch unter einer regionalen Perspektive aufzuzeigen, folgt hier eine kurze Übersicht, die die behandelten Objekte jeweils den regionalen Oberzentren zuordnet und zugleich auf funktionale Vergleichsmöglichkeiten hinweist. Der Umraum der Stadt Münster in Westfalen (und als Unterzentrum auch Warendorf) als Mittelpunkt der reichen Agrarlandschaft des Münsterlandes bildet einen besonderen Schwerpunkt. Auf kleinadeligen Sitzen Torhäuser mit Rentmeisterwohnungen (Visbeck 1674/75 und Dieck 1745/1760) oder Bauhäuser (16. Jahrhundert Haus Vörde). Auf bürgerlichen Landgütern große Längsdielenhäuser mit unterschiedlichen Wohnteilen (um 1590 Haus Milte, 1595 Haus Westerhaus, um 1765 Gut Werse, 1774 Haus Lohfeld, um 1785 Gut Tönneburg) oder dort stehende Sommerhäuser (insbesondere 18. Jahrhundert Lütke Rumphorst). Wohnhäuser nicht verheirateter Schwestern der adeligen und bürgerlichen Gutsbesitzer (Kurienhäuser in verschiedenen Damenstiften). Der Umraum der Stadt Minden: Sechs Freihöfe des 16. und 17. Jahrhunderts mit herrschaftlichen Wohnungen und ihrer späteren Entwicklung zu Bauernhöfen sowie vier bürgerliche Güter des 18. und 19. Jahrhunderts mit Sommerwohnungen. Der Umraum der Stadt Osnabrück: Dargestellt werden exemplarisch die rechtlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des in die Landesherrschaft eingebundenen Adels sowie der Zusammenhang zwischen städtischen und ländlichen Steinwerken. Der Umraum der Stadt Paderborn: Dargestellt werden Güter der landesherrlichen Beamtenschaft (1577 Hof Valepage, um 1715 Gut Nachtigall). Der Umraum der lippischen Städte Detmold, Lemgo, Blomberg und Salzuflen: Dargestellt werden Landgüter des Dienstadels. Große Längsdielenhäuser des 16. bis 18. Jahrhunderts mit unterschiedlichen Wohnteilen (1555 Ahmsen, 1561 Dahlhausen, 1660 Sylbach, 171 5 Nassengrund). Sauerland: Ein Gutsbetrieb bei Kirchhundem, bewohnt von einer landesherrlichen Beamtenfamilie (17. bis 19. Jahrhundert). Der Umraum der Stadt Hannover: Dargestellt werden verschiedene Bauten, die ein Repräsentant adeliger Lebensweise sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts für eigene Zwecke in Stadt und Land errichten ließ. Der Umraum der Städte Hamburg, Bremen und Verden: Dargestellt wird ein landesherrliches Amtsvor- werk (Moisburg), mehrere adelige Güter (um 1560 Mulmshorn, 18. Jahrhundert Koppel, 1783 Bockei) und ein bürgerliches Gut (1612/13 Siebenmeier Magelsen), jeweils mit ihren Längsdielenhäusern. Exkurs: „Haus Rüschhaus" bei Münster und das „herrschaftliche Hallenhaus" Erneut wurden bei der hier dokumentierten Tagung mehr oder weniger unausgesprochen die „Hallen- häuser" als ein angebliches verbindendes Element der Lebensformen verschiedener Sozialgruppen in den Blick genommen. Hierbei stand allerdings weniger der Wirtschaftsbereich dieser Bauten im Zentrum des Interesses, sondern das, was sich dort darüber hinaus an Räumen und Funktionsbereichen findet. Immer wieder wird in der Literatur darauf hingewiesen, und auch auf dieser Tagung war wieder zu hören, dass das Hallenhaus eine prägende, über alle Sozialschichten hinweg genutzte Bauform gewesen sei. Diese Haus- form sei daher eines der Elemente, an dem sich die 11 12 Einleitung ehemals schichtenübergreifenden Lebensformen aufzeigen ließen. Diese These wird insbesondere gern mit Aussagen belegt, dass im Spätmittelalter selbst der niedere Adel (noch) in solchen Bauten gelebt habe und darüber hinaus Hallenhäuser noch bis in das 18. Jahrhundert auch von „der Beamtenschicht'' genutzt worden seien. Schon 1912 hatte Werner Lindner „nichtbäuerliche Hallenhäuser" erkannt und für diese den Begriff des „gesteigerten Bauernhauses" gebraucht.’1 Bei erster Beobachtung baulicher Erschei- benden Person, die man dort zu den führenden Schichten zählte. Das Gut wurde von ihm verpachtet, wobei der Pächter in „seinem" Bauernhaus eine nur nungen scheinen diese Thesen auch naheliegend und temporär genutzte Sommerwohnung für den Vorstellungen die historischen Zustände ausreichend erklären oder ob sie nicht eher den Blick auf die komplexe Wirklichkeit verstellen. Diese seit Langem kontrovers diskutierte Fragestellung mit weiteren Quellen und Grundlagen weiter zu präzisieren und zu verfolgen, war wesentliches Anliegen der Tagung. schichtlicher, kunstgeschichtlicher und hauskundlicher Forschung auf den Punkt zu bringen, denn bei den Argumentationen der vielfachen, seit über 100 Jahren zu diesem .Baukomplex vorgelegten Betrachtungen und Untersuchungen wurde an entscheiden- richtig. Dennoch sind nach wie vor Zweifel angebracht, ob die im Detail sehr verallgemeinernden Eine in diesem Zusammenhang seit nunmehr 100 Jahren immer wieder gern bemühte Inkunabel für das Thema des herrschaftlichen Hallenhauses ist das Hauptgebäude auf dem Gräftenhof „Haus Rüsch- (r haus" nahe von Münster, in den Jahren 1745-1748 für den „Architekten" Johann Conrad Schlaun (16951773) nach seinen eigenen Planungen erneuert und durch ihn als eigene Besitzung genutzt. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der im Folgenden dokumentierten Beiträge handelt es sich bei Haus Rüschhaus um ein Landgut im Besitz einer in der Stadt le- Verpächter vorhielt. Dieses allseits bekannte Beispiel ist daher bestens dazu geeignet, ein bis heute alltägliches Problem bauge- den Punkten der damit umrissenen Betrachtungsebe- nen stets unscharf und damit letztlich mit weit über das Ziel reichenden Folgen argumentiert: Von einem Forscher geäußerte Vermutungen werden später von anderen als gegeben und bewiesen akzeptiert und nicht mehr ausreichend kritisch überprüft. Durch wiederholtes Zitieren wird Vermutetes allmählich zur Gewissheit, sodass das entsprechende Objekt später für viele und zum Teil auch gegensätzliche Argumentationen herhalten muss. Haus Rüschhaus wurde wohl erstmals 1897 als historisches Gebäude beschrieben. Hierbei reichte aller- dings noch die Charakterisierung, dass es sich um einen Ziegelrohbau von 1745 handele und dort die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff gelebt habe.12 1900 wurde anhand dieses Gebäudes erstmals darauf hingewiesen, dass auch Herrenhäuser dem „Stile des ländlichen Wohnhauses" gefolgt seien. Schlaun „errichtete den jetzigen Bau, wobei er sich die Aufgabe stellte, die Form des altwestfälischen Bauernhauses [siel] beizubehalten und dabei doch einerseits den Renaissancestil zur Anwendung zu bringen, andererseits genügende Wohnräume für Auf der Schlossanlage Sondermühlen bei Melle (Lkr. Osna- brück) wurde 1576 (d) an der Innenseite der massiven Um- fassungsmauer im Auftrag von Hermann von Nehem und seiner Frau Margarethe von Vincke - der Erbin des Besitzes - ein großformatiger Längsdielenbau mit unterkellertem Kammerfach errichtet. Die ursprüngliche Nutzung des Ge- bäudes ist ungeklärt, zumal der Wohnsitz der Bauherrenschaft nicht bekannt ist. Bislang wurde das Gebäude vielfach als Beleg gewertet, dass Herrenhäuser noch im 16. Jahrhundert den großen Bauernhäusern glichen. Die Gestalt lässt allerdings nach heutiger Kenntnis eher vermuten, dass es der Wohnsitz eines Pächters oder eines Rentmeisters gewesen ist. (Fotos Volker Gläntzer 2012). Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land einen herrschaftlichen Haushalt zu schaffen".13 Diese Aussage übernahm 1906 Wilhelm Peßler.14 1909 schloss Heinrich Hartmann im Zuge der „Wiederentdeckung" der heimischen Barockarchitektur seine Dis- sertation ab, die sich erstmals mit dem Werk von Johann Conrad Schlaun beschäftigte und 1910 in erweiterter Form publiziert wurde.15 Haus Rüschhaus wurde hierbei mit einem kürzeren Kapitel bedacht, wobei er meinte, dass das Hauptgebäude und die zwei Nebengebäude „mit dem Charakter des westfälischen Bauernhauses Schlaunsche Barockelemente" vereinigen würden. Für ihn war die Anlage ein Zeugnis dafür, dass es Schlaun verstanden hatte, „sich in seinen Bauten trefflich dem Charakter der Gegend anzupassen."16 Die Nutzung der in seinen speziellen funktionalen Elementen nicht weiter untersuchten Hausform wird also vor allem als ein gestalterisches Element verstanden. Hier schloss sich 1912 Werner Lindner an, der als Erster das Haupthaus des Gutes ausführlicher dokumentierte. Er bezeichnete es „allen Feinden des Sachsenhauses zum Trotz als die schöpferische Tat eines Mannes" [d.h. des Architekten Johann Conrad Schlaun], „der sich in ihm als ein Kind seiner Zeit erwies und doch seine Ehrerbietung vor der Überlieferung bezeugte".17 Der von ihm eingenommene Blick auf die Anlage als Zeugnis traditionsbewussten Handelns und einer eigenwilligen Entscheidung einer Persönlichkeit wurde fortan prägend und nicht mehr infrage gestellt. Hierauf aufbauend setzte sich im Laufe der nächsten Jahrzehnte allgemein die Vorstellung durch, dass es sich bei Haus Rüschhaus um ein „ganz ungewöhnliches und ganz persönliches"18, zudem künstlerisch eigenständiges Beispiel eines Landhauses handeln würde. Noch jüngst ist diese These auch von der Hausforschung zur Grundlage allgemeinerer Überlegungen gemacht worden.19 Schon 1936 meinte man fern der Kenntnis über die Umstände, die zur Errichtung des Hauses geführt hat- ten, es zusammenfassend als „eine in Deutschland einzigartige Erscheinung" werten zu können.20Später folgende Wertungen und Bewertungen waren noch freier: So wurde behauptet, es sei ein ikonografisches Ziel des Bauherren gewesen, „ein deftiges Bauernhaus" zu schaffen21 oder es wäre dem Bauherren Schlaun darum gegangen, „in der schlichten Würde des Rüschhauses" noch einen Hauch seines Elternhauses wach werden zu lassen.22 Ferner wurde in Ver- kennung der Traditionen münsterscher Landhäuser proklamiert: „Haus Rüschhaus ist der wohl außergewöhnlichste Bauernhof der Barockzeit."23 Der archi- tektonischen Formengeschichte verhaftet ist es aber auch, Haus Rüschhaus als sich „rustikal gebenden Sproß der palladianischen" Villa zu sehen und zu meinen, sich im 18. Jahrhundert als Angehöriger höherer gesellschaftlicher Kreise ein Bauernhaus zu errichten, falle „aus allen Gewohnheiten völlig heraus."24 Ebenfalls schlicht eine Fehldeutung des Objektes ist die Meinung, die sorgfältigen Architekturgestaltungen von Schlaun „nobilitieren den Bauernhof, ohne dass die Grenzen der Schicklichkeit zu einer adeligen ,maison de plaisance' überschritten würden [...]. „Die Tradition des seit Jahrhunderten existierenden Gräf- tenhofes fortzuführen, aber sicher auch die Erinnerung an das Bauernhaus seiner Eltern, waren Motive für diese Wohnform, die Schlaun jedoch auf der Gartenseite mit der Bequemlichkeit französischer Wohnkultur verbindet."25 Zuletzt wurde das Haus 1995 in Zusammenfassung der bisherigen Forschung als „eigenwillig von der für das 18. Jahrhundert typischen Form eines Landhauses" abweichend beschrieben.26 Zwar sei vermutet worden, Schlaun habe diese architektonische Form als Sentiment gegenüber seiner Herkunft oder aus Verbindung mit den Bauern gewählt. Dies sei aber ebenso wie die typologische Verbindung mit dem sogenannten Bauhaus abzulehnen, einer angeblichen Sonderform des Bauernhauses, die vom niederen landständischen Adel entwickelt worden sei. Vielmehr sei Hansmann zu folgen, der im Rüschhaus „einen sich rustikal gebenden Sproß der palladianen Villa" sehe und versucht habe, den Entwurf von Schlaun von der 1570 errichteten Villa Barbaro in Maser abzuleiten.27 In der Raumstruktur und der äußeren Gestaltung von Haus Rüschhaus konnten die Interpreten offensicht- lich weder lokale Traditionen noch heimische Vorbilder sehen. In eklatanter Weise wird damit deutlich, wie weit sich die architektonische, von der Kunstgeschichte dominierte Forschung sowohl von Untersuchungen entfernt hatte, die sich mit historischen Zusammenhängen in der Region und ihrer Wirt- schaftsgeschichte beschäftigten, aber auch von solchen, die sich der Bauforschung oder der volkskundlichen Hausforschung widmeten. Nur so konnten über Jahrzehnte teils atemberaubende, über weite Räume hinweg und mit großen Zeitsprüngen behaftete Thesen entwickelt werden, während man es versäumte, sich eingehender mit den regional- und kulturgeschichtlichen Zusammenhängen der Anlage zu beschäftigen. Dies erscheint umso sträflicher, als hierzu durchaus schon Teiluntersuchungen vorgelegt worden waren, die allerdings anderen Fachbereichen ver- bunden und daher offenbar in diesem Zusammen- hang unbeachtet geblieben waren. Vor dem Hintergrund der in den verschiedenen Aufsätzen ausgeführten Kenntnisse zu ländlichen, verpachteten oder in Eigenwirtschaft betriebenen, aber in der Hand von in der Stadt Lebenden befindlichen Gütern erscheinen die vorgestellten Thesen zur architekturgeschichtlichen Bedeutung von Haus Rüschhaus fragwürdig. Es ist gerade nicht erstaunlich, dass Haus Rüschhaus die Gestalt eines Bauernhofes erhielt, da es ja ein vollwertiger „Bauern"-Hof sein sollte und von einem Bauern (als Pächter) bewirtschaftet wurde. Zwar ist die Bedeutung des Gutes in seiner doppelten 13 14 Einleitung Bedeutung als landwirtschaftlicher Betrieb wie als Sommersitz der Besitzer schon seit Langem wahrgenommen und auch immer wieder angesprochen wor- den, doch wurde es trotzdem stets vor allem unter formalen und architekturgeschichtlichen Perspektiven (etwa als Beispiel einer „Villa") diskutiert. Die spezielle Aufgabe und die damit zusammenhängende komplexe Nutzung eines solchen Gutes und seiner Bauten durch den Besitzer und damit auch das Verhältnis zwi- schen dem Verpächter und dem Pächter blieb in der Diskussion hingegen weitgehend unberücksichtigt. Nur so konnte das Haupthaus von Haus Rüschhaus zu einem Wohngebäude der „Beamtenaristokratie" oder J. C. Schlaun sogar zu einem Bauherrn bürgerlicher Herkunft werden.28 Letzteres ist nach seit Langem publizierter Forschung faktisch falsch, da er gerade nicht dem Bürgertum, sondern einem speziellen sozialen Milieu entstammte, das zwischen ländlichen Amtmännern und bäuerlicher Oberschicht angesiedelt war. Er entstammte damit gerade der sozialen Gruppe, die in der Bewirtschaftung von größeren Pachtgütern erfahren war.29 Warum wurde hier so ausführlich auf die Forschungs- geschichte und die Interpretationsebenen dieses allseits für bekannt gehaltenen und in seiner Ikonografie als entschlüsselt geltenden Objektes eingegangen? Es geht nicht darum, die unbestreitbar vorhandene Einzigartigkeit von Haus Rüschhaus infrage zu stellen. Aber vieles, was die Architektur- und Kunstgeschichte für Haus Rüschhaus herausgearbeitet hat, erweist sich vor dem Hintergrund der im Folgenden dokumentier- ten Entwicklungen und noch immer erhaltener Vergleichsbauten als weit über das Ziel hinausgegangen. Die Beiträge des vorgelegten Bandes eröffnen viel- mehr neue Wege, um die Bedeutung von Haus Rüschhaus noch deutlicher zu erkennen und herauszuarbei- ten. Es geht auch nicht darum, sich von den vielfältigen vorgelegten, teils auch originellen, Deutungen zu distanzieren oder deren Autoren zu diskreditieren. Vielmehr sollte verdeutlicht werden, dass die vielfältigen Deutungen des Gutes vor einem nur für allge- mein gültig und auch für ausreichend gehaltenen Erfahrungshintergrund geschahen. Kenntnisse der regionalen Traditionen, in denen das Projekt des Bauherren stand, wurden hierbei allerdings weder gefordert noch erarbeitet. Bei aller Besonderheit im Reichtum seiner Gestaltung steht der von J. C. Schlaun entwickelte Neubau von Haus Rüschhaus völlig in einer seit Jahrhunderten nicht nur im Umkreis der Stadt Münster geübten Tradition. Vergleichbare Objekte sind nicht nur schon wesentlich früher in einem jeweils der damaligen Zeit Das Haupthaus auf dem Gräftenhof Haus Wallbaum bei Senden-Ottmarsbocholt (Kr. Coesfeld) südwestlich von Münster ist seit Langem der Forschung bekannt als ein Längsdielenhaus herrschaftlichen Zuschnitts, das sich in Hand einer in der Stadt lebenden Kaufmannsfamilie befand. Das wohl um 1600 errichtete Gebäude ist nicht mehr erhalten, allerdings durch eine rekonstruierende Zeichnung aus der Zeit um 1950 von Gerhard Eitzen überliefert. Danach dürfte es sich um ein Pächterwohnhaus mit integrierter herrschaftlicher Sommerwohnung gehandelt haben (nach Josef Schepers, Haus und Hof westfäli- scher Bauern. Münster 1960, Abb. 31). Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land entsprechendem Geschmack errichtet worden, son- dern auch noch wesentlich später. Das Besondere von Haus Rüschhaus ist daher weder' die Entscheidung, das Landgut mit Sommerwohnung als Gräftenhof zu gestalten, noch das Konzept, das Hauptgebäude des landwirtschaftlichen Betriebes als ein Längsdielenhaus (als „Bauernhaus" bzw. als „Hallenhaus") auszuführen, sondern die Konsequenz, mit der diese höchst traditionellen, allseits bekannten und geübten Formen in eine „moderne" oder „zeitgenössische" Gestaltung gebracht und mit der damit das überlieferte Konzept zeitgemäß interpretiert wurde. Damit bleibt die Frage, ob die Wahl für diese - schon zuvor auf dem Gut bestehende - Architekturform nicht auch auf eine ständische Vorstellung von Angemessenheit zurückgeht. Haus Rüschhaus steht also durchaus exemplarisch für das, was auch eine wesentliche Essenz der verschiede- nen hier im Folgenden dokumentierten Studien ist. Diese Untersuchungen decken große Teile des weiten Kulturraumes ab, der heute abstrakt als „Nordwestdeutschland" als Teil von Niederdeutschland bezeichnet wird. Er wird allzu oft nicht in seiner Gesamtheit betrachtet, da er sich über die heutigen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen erstreckt. Eigentümer, Besitzer, Betreiber und Bewohner Ein Ergebnis der Einzeluntersuchungen ist, dass es wenig hilfreich ist, jeden Besitzer eines Gutes auch als dessen Bewohner oder sogar als dessen Leiter zu betrachten. In verschiedenen Beiträgen wurden auf der Grundlage umfangreicher Quellenstudien tiefere Einblicke in die oft komplexen familiengeschichtlichen Zusammenhänge erarbeitet.30 Hierbei konnte verdeut- licht werden, dass zur Ausstattung vieler Adelsfamilien mehrere Wohnungen gehörten. Wenig anders verhielt es sich aber auch in den Familien der bürgerlichen Oberschicht und des Beamtentums. Mit stetig neuen Gewichtungen (abhängig von den Zufälligkeiten unterworfenen demografischen Faktoren, wie den geschlossenen Ehen und den daraus erwachsenen Kindern oder den erreichten Lebensaltern sowie den zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen Grundlagen) konnte diese Mehrzahl der zur Verfügung stehenden Wohnungen als Haupt- und Nebenwohnung, Stadtwohnung, Sommerwohnung, Witwensitz oder als Wohnung für unverheiratete Mitglieder oder für einen anderen Zweig der Familie genutzt werden. In diesem Spektrum kommt den Landgütern ungeachtet ihrer meist großen ökonomischen Bedeutung für die Familie in der Regel eine eher untergeordnete Bedeutung zu, da man sie zumeist nicht als Dauerwohnung wählte, sondern vor allem als Sommerwohnung nutzte. Besitzer und Nutzer der Güter Ende des 18. Jahrhunderts gab es allein in Branden- burg-Preußen etwa 700 staatliche Domänenämter, die etwa 4,5 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflächen bewirtschafteten. Ihre Verteilung in den einzelnen Ländern war allerdings sehr unterschiedlich: Nur in Ostpreußen standen über 50 % der Bauern unter königlicher Domänenherrschaft.31 Zur Bezahlung von Staatsschulden wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allerdings Teile der staatlichen Domänen verkauft, sodass um 1850 die Zahl trotz der umfangreichen Neuzugänge in einigen Provinzen aufgrund der Säkularisation auf insgesamt nur noch 849 Güter zurückgegangen war, die 1,2 % der gesamten Nutzfläche bewirtschafteten. Die Eingliederung der neuen Provinzen nach dem Krieg von 1866 brachte dann allerdings noch einmal einen Zuwachs von 301 Gütern.32 Neben diesem großen Bestand an staatlichen Gütern stand die noch weitaus größere Zahl von Gütern des regionalen Adels, der kirchlichen Einrichtungen und des Bürgertums. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der in den einzelnen Aufsätzen vorgestellten und darüber hinaus hier angesprochenen Beispiele zeichnet sich damit ab, dass Umfang, Zahl und Bedeutung von Gütern als einer landwirtschaftlichen Betriebsform für Nordwestdeutschland bislang wohl unterschätzt wurde. Für die Regionen, für die nun detailliertere Studien vorliegen, wurde als Ergebnis nahezu regelhaft auf die erstaunlich hohe Zahl solcher landwirtschaftlichen Betriebe hingewiesen.33 Weiterhin wurde festgestellt, dass sich die Zahl der Güter insbesondere im Laufe des 16. Jahrhunderts stark vermehrt habe.34 Auch wenn bislang vielfach der Zeitpunkt nicht bekannt ist, zu dem die einzelnen Güter angelegt wurden, so können die im Folgenden vorgelegten Untersuchungen doch belegen, dass es zu allen Zeiten zur Neuanlage solcher Güter kam.35 Als Schwerpunkt zeichnet sich auch in den folgenden Untersuchungen das Jahrhundert zwischen 1550 und 1650 ab. Aufschlussreich sind die verschiedentlich angesprochenen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Vorgänge, die zur Schaffung dieser Betriebe geführt haben,35 wobei sie insbesondere als Ausdruck einer Ökonomisierung der landwirtschaftlichen Produktion gesehen werden können. So sprach schon Richarz 1971 in die- sem Zusammenhang von „Adelskapitalisten".37 Ebenso wurden aber auch immer wieder solche Güter aufgelöst, etwa wenn sich - wie bei Domänenbe- trieben - die Vorstellungen über staatliche Ökonomie änderten oder - wie bei Gütern in der Hand von Bürgern -, da der Verkauf der zugehörigen Flächen wegen ihrer besonderen Rechtsqualität als freier Besitz jederzeit möglich war. So war es üblich, im Zu- ge von Erbauseinandersetzungen die Ländereien unter verschiedenen Erben aufzuteilen. In anderen Fällen interessierten sich aus unterschiedlichen Gründen spätere Eigentümer nicht mehr für ihre Güter mit ländlichen Sommerwohnungen, sodass man sie etwa 15 16 Einleitung zu Ausflugsgasthäusern umnutzte oder aufteilte und zu Bauernhöfen wandelte.38 Dennoch sind manche dieser Landsitze noch bis in das 20. Jahrhundert in ihrer traditionellen Weise weiter genutzt worden.39 Auch den Auswirkungen, die die Auflösung solcher Betriebe für die Gutsanlagen und die einzelnen dort stehenden Bauten, aber auch für die Ortschaften mit sich brachten, wird verschiedentlich nachgegangen.40 Betreiber der Güter Die Frage nach den Besitzern und Trägern dieser Betriebe bildet nur den notwendigen Hintergrund für die im Folgenden im Mittelpunkt stehenden bau-, funktions- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen. Auf allen Höfen größerer landwirtschaftlicher Betriebe gab es neben den Hauptgebäuden und verschiedenen, speziellen Zwecken der Landwirtschaft dienenden Bauten (wie Scheunen, Ställen und Speichern) regelmäßig Bedarf zur baulichen Unterbringung weiterer spezifischer Funktionen und Aufgabenbereiche. Hier ist zunächst einmal an die Bedürfnisse der auf dem Betrieb lebenden Menschen zu denken. Sie gehörten unterschiedlichen Sozialgruppen an, hatten verschiedene Aufgaben innerhalb des Betriebes und unterschiedliche Lebensweisen. Zu ihrer Befriedigung benötigte man teilweise eine größere Zahl sozial differenzierter Wohn- und Wirtschaftsbereiche. Die hier- zu für notwendig gehaltenen Räume konnten je nach regional bzw. sozial als verbindlich geltenden Traditionen und individueller Entwicklung der Anlage und Größe des Betriebes, aber auch seiner speziellen wirtschaftlichen Ausrichtung - auch unabhängig von dem Besitz am Boden oder bestehenden rechtlichen 1566 zu einem braunschweig-lüneburgischen Vor- werk mit Sitz eines Amtsmannes. Diesem wurden seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert die umfangreichen Wirtschaftsbetriebe auf eigene Rechnung ver- pachtet. Hierzu gehörte ein vielfältiger Gebäudebestand, wozu im 17. Jahrhundert neben dem herrschaftlichen Schloss und dem üblichen „Vorwerk" einem Zweiständer-Längsdielenhaus von 22 Fach mit Wohnräumen für das Personal - auch weitere Längs- dielenhäuser zur Lagerung von Erntegut und zur Unterbringung von weiterem Vieh gehörte. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts wurde zur Erhöhung der Erträge der staatliche Gutsbetrieb ständig modernisiert, durch Erschließung weiterer Landflächen ausgebaut sowie der Baubestand weitgehend erneuert. Ab 1859 wurde der Domänenbetrieb verpachtet und 1928 schließlich aufgelöst. Danach sind die Bauten vielfältigen neuen Nutzungen zugeführt oder abgebrochen worden. Rentmeister Rentmeister, Amtmänner, Hofmeister und Conduktoren führten die Hof- und Wirtschaftsbetriebe der Domänen, der adeligen Güter und die Landwirt- schaften der Klöster auf eigene oder fremde Rech- nung. Entsprechende Funktionsträger sind schon seit dem Spätmittelalter bekannt.4' Sie mussten nicht nur in der Lage sein, einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb mit Personal zu leiten, Entscheidungen über Nutzung des Bodens oder die mögliche zu versorgende Menge und die Weiterzüchtung des Viehs zu treffen, sondern beschäftigten sich auch mit der Weiter- verarbeitung der erwirtschafteten landwirtschaftli- Aufgaben in den Mittelpunkt der Betrachtungen chen Produkte. Schon seit der frühen Neuzeit gehörte zu den Gütern häufig der Betrieb einer Bierbrauerei (hierzu im Folgenden viele Beispiele), die seit dem 17. Jahrhundert dann zunehmend durch die Brennerei von Branntwein ersetzt wurde.42 Entsprechend ver- zugeordnet werden. Manche der hier im Laufe der Käse bzw. Fleisch zu Wurst und Räucherwaren. Nach- Strukturen - unterschiedlich kombiniert werden. Die in Raum und Zeit zu beobachtende Vielfalt hierbei gefundener baulicher Lösungen wird allerdings nur dann deutlich, wenn ihre jeweiligen Funktionen bzw. gestellt und den vorkommenden baulichen Lösungen edelten Güter mit Viehhaltung Milch zu Butter und Zeit regional, sozial und bautechnisch unterschiedlich dem diese Personengruppe zunächst verschiedene gefundenen Lösungen werden in den einzelnen Beiträgen behandelt. Exemplarisch gelang es Nils Kagel, die Geschichte des „Amtsvorwerks" bzw. der Domäne Moisburg südlich von Hamburg-Harburg als landwirtschaftlicher Großbetrieb in seinen unterschiedlichen Facetten zwischen dem 14. und dem 20. Jahrhundert aufzuhellen. Es war hier möglich, bauliche Entwicklung und Wandel vor dem Hintergrund der Entstehung, immer wieder geänderter besitzrechtlicher und wirtschaftlicher Bedingungen bis zur Auflösung mit Nachnutzungen zu verfolgen und die Wechselbeziehungen zwischen Landwirtschaft, Wohnen und Verwaltungsgeschichte aufzuzeigen: Zunächst meist in der Hand verschiedener Landes- oder Pfandherren bzw. von die Herrschaft vertretenden Vögten bewohnt, wurde Moisburg nach Bezeichnungen trug (insbesondere Hofmeister, Schreiber oder Fruchtschreiber), setzte sich im 18. Jahrhun- dert hierfür allgemein der schon kurz nach 1500 nachweisbare Titel Rentmeister durch43 (bei anderem Arbeitsschwerpunkt teilweise aber auch Förster).44 Neuere Studien zur Verwaltungselite in den nordwestdeutschen Territorien legen es nahe, dass diese in aller Regel nicht adeligen Personen zumindest eine juristische Grundausbildung aufwiesen bzw. Familien ent- stammten, die über lange Zeit auch Richter oder Rechtsanwälte stellten, also zur unteren Verwaltungselite gehörten.45 Allein das Fürstbistum Münster be- schäftigte zwölf bürgerliche Amtsrentmeister, die jeweils ihrem adeligen Amtsdrosten zuarbeiteten.46 Sie machten etwa 8 % aller Beschäftigten in der weltlichen Verwaltung des Bistums aus.47 Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land Zwischen verschiedenen Ausprägungen des Berufs- bildes ist zu unterscheiden: Zum einen gab es die Rentmeister, die größere Eigent'umskomplexe (wie landesherrliche Ämter) verwalteten,48 zum anderen aber auch solche, die nur einem einzelnen größeren landwirtschaftlichen Betrieb vorstanden.49 Ebenso wie in den landesherrlichen Verwaltungen konnte es bei größeren Adelsbesitzungen auch zu komplexeren Verwaltungsstrukturen kommen: Einem Oberrentmeister Adeligen und Bürgern das Amt des Rentmeisters auch von einem in der Nähe wohnenden Geistlichen (insbesondere Vikaren) bzw. fast regelmäßig von dem - falls vorhandenen - Hausgeistlichen übernommen, da diese ebenfalls zu dem Kreis studierter Personen auf dem Land gehörten.53 Zudem mussten Rentmeister ebenso wie Pächter in der Regel auch eigenes Vermögen nachweisen und vor Vertragsbeginn eine Kaution zur Verfügung stellen, damit die Verpächter darauf bei konnten hier auch mehrere örtliche Rentmeister unterstellt sein.50 War dem Rentmeister auch die Verwaltung der grundherrlichen Einkünfte übertra- Veruntreuung der verwalteten Einnahmen zurückgreifen konnten.54 hend geschlossener Kreis speziell durch Erfahrung gebildeter Männer und damit ein besonderer Berufsstand erkennbar wird. Nur zu wenigen dieser offen- nicht auf dem Gut oder Hof - Lebenden erworben gen, trug er in der Regel die Bezeichnung Amtmann.5' In den Quellen tauchen bei den Rentmeistern häufig die gleichen Familiennamen auf, sodass ein weitge- sichtlich mit speziellen Kenntnissen versehenen Rentmeister-Dynastien liegen bislang familiengeschichtliche Untersuchungen vor.52 Nicht selten wurde bei den kleineren (nicht staatlichen) Gütern in der Hand von Pächter Landwirtschaftliche Güter und freie Höfe wurden in der Regel von nicht auf dem Lande - zumindest aber und von diesen Eigentümern zur Bewirtschaftung verpachtet. Als weitere Gruppe der Betreiber sind daher die Pächter zu nennen, die landwirtschaftliche Betriebe anpachteten und auf eigenes wirtschaftliches Risiko betrieben.55 Während diese Wirtschaftsform bei den Gütern in städtischem Besitz schon während des Haus Engelrading bei Borken (Kr. Borken) war ein umfangreicher adeliger Besitz, der allerdings durch Erbschaft schon seit 1638 nicht mehr von einer Herrschaft bewohnt, sondern verpachtet wurde. Nachdem durch ausbleibende Bauunterhaltung das alte Schloss um 1700 schließlich für den Pächter unbewohnbar geworden war, errichteten die Herren von Landsberg- Velen für einen neuen Pächter auf der Vorburg 1704-1707 ein Pächterwohnhaus. Es ist zwar nur ein eingeschossiger Fachwerkbau, doch unterscheidet er sich durch das Vollwalmdach und das Fehlen von Räumen für die Landwirtschaft deut- lich von einem bäuerlichen Haus und entspricht damit dem Anspruch eines kleinen landwirtschaftlichen Unternehmers. Die zentrale Bedeutung des Hauses wird durch den aufgesetzten Glockenturm unterstrichen, mit dem die Arbeitszeiten signalisiert werden konnten. (Foto Fred Kaspar 2011). 17 18 Einleitung Das Gutshaus in Blankenau bei Beverungen (Kr. Höxter). Nachdem die Fürstabtei Corvey ihr Vorwerk und Amt Blankenau aus über 200 Jahre währender Pfandschaft hatte lösen können, wurde dieser Besitzkomplex ab 1703 als Gutsbetrieb verpachtet. Für die neue Einrichtung ließ man 1707 bis 1710 ein neues Gutshaus herrschaftlichen Zuschnitts errichten. Es erhielt mit einer Grundfläche von 15 x 45 m enorme Abmessungen, da das Gebäude vielen unterschiedlichen Zwecken dienen sollte: Während im Westen (rechts auf dem Bild) als „Conductorenhaus" eine Wohnung mit Wirtschaftsbereich für den Gutspächter geschaf- fen wurde, ist der östliche Teil als „Amtshaus" im Untergeschoss als Kornbrennerei und Bierbrauerei und darüber mit Verwaltungsräumen und einer herrschaftlichen Wohnung eingerichtet worden, die dem Abt des Klosters als Sommerwohnung zur Verfügung stand. Über dem gesamten Gebäude entstanden zudem ausgedehnte Lagermöglichkeiten für Getreide. (Foto Fred Kaspar 2011) Spätmittelalters üblich war, wuchs die Zahl der landwirtschaftlichen Pächter insbesondere seit dem 17. Jahrhundert ständig an (von durch Umwandlung von bislang durch Rentmeister geführten Eigenbetriebe zu Pachtbetrieben). Auch die Pächter rekrutierten sich Gruppe der Pächter: Schon im Jahre seines Regierungsbeginns 1713 ließ König Friedrich Wilhelm I. (1688-1740) alle königlichen Domänen und Forsten in Familien.56 Gerade die seit dem 17. Jahrhundert zumeist als Conduktoren bezeichneten Pächter konnten nur auf der Grundlage eigener Kapitalien handeln, da sie bei Pachtantritt in der Regel große Kautionen zu leisten hatten. Darüber hinaus fiel oft auch die jährlich für den Betrieb an den Verpächter zu leistende Pacht an, bevor die Ernte, das aufgezogene Vieh oder ande- Generalpacht auch für die staatlichen Domänen der westlichen preußischen Provinzen Nordwestdeutschlands (Minden-Ravensberg, Kleve und Mark) eingeführt.58 Fortan wurden die Ämter mit ihrer Verwaltung der grundherrlichen Einkünfte zusammen mit den Domänen und den dort eingesetzten Dienstpflichten Missernten waren für sie ein weiteres wirtschaftliches Risiko. Gerade Mitglieder dieser Gruppe erwiesen sich te wie auch der Organisation und den wirtschaftli- aus einer kleinen Gruppe hierauf spezialisierter re Erträge zu Geld gemacht werden konnten. aber als ein wesentlicher Motor für die Modernisierung der Landwirtschaft im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts.57 Zunahme der Pachtbetriebe in der Neuzeit Im Zuge der Ausbildung merkantilistischer Vorstellun- gen setzte Preußen besonders konsequent auf die den preußischen Landen zum unveräußerlichen Staatseigentum zusammenfassen und führte 1717 deren „Generalverpachtung" ein. 1722 wurde die verpachtet. Damit war der Staat sowohl von der Verwaltung der grundherrlichen Rechte und Einkünf- chen Risiken der landwirtschaftlichen Betriebe entlastet und konnte fortan mit festen Einnahmen kalkulieren. Für die Pächter war wirtschaftlich insbesondere die Nutzung der von der Bevölkerung zu leistenden Dienste interessant, da damit die Domänengüter ge- winnbringend bewirtschaftet werden konnten. „Generalpächter" konnten nur Bürgerliche werden, während der Adel davon ausgeschlossen war. Gene- Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land ralpächter konnten allerdings Teile der angepachteten großen Güterkomplexe als „Vorwerke" auch an Afterpächter vergeben.59 Auch wenn die Entwicklung in den zahlreichen anderen Territorien jeweils differenziert verlief, entsprach dieser preußische Weg allgemeinen Tendenzen: Ab 1721 ließ auch der Fürstbischof von Paderborn alle seine zu den „Tafelländereien" gehörenden Ökonomien öffentlich verpachten. Hierbei handelte es sich um mehr als 15 Domänen und Vorwerke.60 Auch in der Grafschaft Lippe wurden seit dem 18. Jahrhun- dert zunehmend die landesherrlichen „Meiereien" verpachtet.6' Im Kurfürstentum Hannover entwickelte sich auf- grund regionalspezifischer Bedingungen seit dem 17. Jahrhundert ein eigenes Staatspatriziat. Diese neue sich aus dem Bürgertum rekrutierende und neben dem sich weitgehend abgrenzenden Adel bestehende Schicht sicherte die Zukunft ihrer Familien durch den Erwerb von Grund und Boden, der fortan durch Pächter, seit dem 18. Jahrhundert aber auch - als gegenläufige Entwicklung - wieder unter der Leitung von Rentmeistern selber bewirtschaftet wurde. Da- neben wurden von ihnen die zahlreichen landesherrlichen/staatlichen Domänen zur Pacht übernommen.62 Trotz jeweils anderer gesellschaftlicher und rechtlicher Grundlagen verliefen in anderen deutschen Land- schaften die Entwicklungen vergleichbar.63 So übernahmen etwa auch in Kursachsen im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend Bürgerliche die großen landwirtschaftlichen Betriebe der Rittergüter.64 Staatliche Beamte, aber auch Studierte und Kaufleute wur- den zur größten Gruppe von Ankäufern landwirt- schaftlicher Betriebe aus der Hand der Landesherrschaft und des Adels.65 Von Generalpächtern oder Amtspächtern sind diejenigen Pächter zu unterscheiden, denen nicht die grund- herrlichen Einnahmen übertragen wurden, oft allerdings die von der Bevölkerung zu leistenden Dienste. In dieser Weise wurden kleinere adelige Güter, Höfe und klösterliche Besitzungen verpachtet, nachdem auch ihre Eigentümer und Besitzer seit dem späten 17. Jahrhundert allmählich die Eigenbewirtschaftung aufgaben. Der damit verbundene wirtschaftliche und soziale Aufstieg der Berufsgruppe der (Zeit-)Pächter in Nordwestdeutschland in der Neuzeit soll anhand eini- Werner Adolf Freiherr von Spiegel (1754 Seggerde-1828 Helmstedt) lebte auf seinem Gutsbetrieb Seggerde bei Oebisfelde (Kr. Börde) und in seinem Kurienhaus in Hildesheim, verfügte über einen umfangreichen Grundbesitz, der sich über viele Gutsbetriebe zwischen der Magdeburger Börde und dem Sauerland verteilte. Er versuchte durch Neuordnung der Verwaltung, Ausbau der Gutsbetriebe und neue Pachtverträge die Erträge aus seinen Besitzungen zu steigern. In diesem Zusammenhang ließ er nach 1810 auch die weitgehend verfallenen Bauten auf dem Gut Burg Bühne bei Borgentreich (Kr. Höxter) erneuern. 1820 bis 1824 wurden alle Bauten des Gutsbetriebes um einen rechteckigen weiten Hofplatz neu errichtet. Vor dem Kopf dieses Platzes entstand hierbei - die Zufahrt flankierend - nördlich ein großformatiges Pächterwohnhaus herrschaftlichen Zuschnitts und südlich der Zufahrt in der gleichen Gestalt ein sogenanntes Fruchthaus (2013 nach Einsturz abgebrochen). Neben Wächterwohnung und Brauerei sowie Gesindestube nahm es vor allem Lagerböden auf. Am linken Bildrand ist die zur gleichen Zeit errichtete große Bansenscheune zu sehen. (Foto Christoph Heuter 2010). 19 20 Einleitung ger Beispiele beleuchtet werden: Das aus einem Gut und einer Verwaltung grundherrlicher Einkünfte bestehende „Amt Blankenau" bei Beverungen an der Weser (Kr. Höxter) ließ der Corveyer Abt ab 1703 als Conduktion verpachten.66 Als Pächter wurde nicht nur eine in der Führung des großen Betriebes befähigte und für die wirtschaftliche Grundlage des Klosters entscheidenden Pachtgüter während des 18. Jahrhunderts entspricht allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen dieser Zeit in der Region. Voraussetzung hierfür war die Lösung der Ländereien aus auch über ein umfangreiches Eigenkapital verfügen.67 Der Pächter hatte - wie später auch seine Nachfolger Entwicklung beförderten alle, die Zugriff auf den Vertrauensperson benötigt, sondern diese musste - bei der Übernahme nicht nur eine Kaution zu stellen, sondern musste nahezu das gesamte in dem Amtshof vorhandene bewegliche Inventar übernehmen und bezahlen. Erster Pächter wurde Ferdinand Henrich Mertens, bisher kaiserlicher Postmeister zu Höxter.58 Er erhielt für seinen Wirtschaftsbetrieb wie üblich das Recht, umfangreiche Hand- und Spanndienste zu nutzen69 und zur Verbesserung seiner Einkünfte darüber hinaus das Recht der Branntweinbrennerei und des Bierbrauens. Hiermit verbunden war auch das Monopol zum Handel mit diesen Produkten und zur Betreibung von Krügen in mehreren Dörfern. Allerdings erwies sich der erste Pächter dem erkennbar umfangreichen Aufgabenspektrum einer Conduktion nicht gewachsen. Er kam bald in erheblichen Zahlungsrückstand und verließ Blankenau noch vor Ende der Pachtzeit im Winter 1708/09. Erst der nächste Pächter sollte wirtschaftlich erfolgreich sein. Insbesondere die Weiterverarbeitung von Getreide wurde als Grundlage einer Ertragssteigerung des Gutsbetriebes systematisch ausgebaut. Damit konnte der wirtschaftliche Erfolg der Pachtung gesteigert werden, sodass in den nächsten Jahrzehnten auch stetig die an Corvey abzuführende Pacht über das Maß der Geldentwertung hinaus angehoben werden konnte: Betrug sie 1703 zunächst 450 Rthl. jährlich, so stieg sie bis 1760/69 auf 1400 Rthl. und 1796 dann bis auf 1650 Rthl. an. Die Einnahmen aus dem verpachteten Gut und aus den Erträgen des Amtes Blankenau bildeten im Haushalt der Abtei Corvey einen wesentlichen Einnahmeposten.70 Schon im Jahre 1720 zum Beispiel betrugen die Reineinnahmen des Amtes 4038 Rthl., wobei nach Abzug aller Unkosten (insbesondere Löhne für die etwa 20 auf Blan- kenau arbeitenden Personen) immerhin noch 3033 Rthl. nach Corvey überwiesen werden konnten.7' Das Amt Blankenau hatte damit im 18. Jahrhundert eine ähnliche Wirtschaftskraft wie die Ökonomie, die unmittelbar dem Kloster Corvey angeschlossen war.72 Die ebenfalls zur Abtei Corvey gehörende Thonenburg nördlich von Höxter hatte man nach Lösung aus der Pfandschaft schon ab 1679 verpachtet. Die Pacht- summe, die die bürgerlichen Pächter zu entrichten hatten,73 betrug ab 1679 während des ganzen 18. Jahrhunderts jährlich 500 Rthl. und wurde danach auf 1300 Rthl. erhöht.74 Der hier beispielhaft dargestellte Ausbau von Corveyer Besitzungen und Vorwerken zu ertragreichen Pfandschaften oder Lehen, um sie dann gegen feste Einkommen als Gutsbetriebe zu verpachten. Diese Besitz von Grund und Boden hatten. Hierbei entstanden in vielen der Dörfer des Wesertales zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert vielfach neue, aber zumindest vergrößerte Gutsanlagen. Sie ersetzten kleinere in Eigenwirtschaft betriebene Adelssitze und eingezo- gene Höfe. Nicht nur das Bild der bewirtschafteten Landflächen veränderte sich hierbei einschneidend, sondern die Ortsbilder wurden durch Anlage großer Wirtschaftshöfe mit ihren umfangreichen Wirtschaftsgebäuden und neuen Gutshäusern nachhaltig geprägt. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr die Gruppe der zur Leitung größerer landwirtschaftlicher Betriebe geeigneten Rentmeister und Pächter noch einmal eine erhebliche Stärkung ihrer Stellung im Gefüge der landwirtschaftlichen Produktion: Im späteren 18. Jahrhundert gingen in den katholischen Regionen auch Klöster75 zunehmend dazu über, ihre landwirtschaftlichen Betriebe nicht mehr in eigener Regie (unter Leitung eines Rentmeisters) zu bewirtschaften, sondern gegen feste Pachtzahlungen an landwirtschaftliche Unternehmer zu verpachten: Im Zuge der Umwandlung der Abtei Corvey zum Domstift wurde ab 1796 auch die bislang dort bestehende umfangreiche Klosterökonomie mit 900 Morgen Acker- und. Gartenland verpachtet. In der Wahl des Pächters wird deutlich, dass wegen der Größe des Betriebes nur wenige „Unternehmer" infrage kamen und daher diese auch aus fernen Landschaften stammen konnten. Als erste Pächter wurden der in Corvey lebende Amtsrat Anton Rubach zusammen mit dem Stifts-Hildesheimischen Amtsrat Heinrich Christoph Kerl auf zwölf Jahre für 6400 Rthl. jährlich angenommen. 1806 kam es zu einer Neuverpachtung. Nachdem man den Betrieb zunächst interimsweise dem Ökonom Plather aus Johannisberg im Rheingau übertragen hatte, trat 1807 der Kammerrat Barthels die Pacht für 7995 Rthl. jährlich an.76 Die Ökonomie des Klosters Gehrden bei Brakei (Kr. Höxter) wurde unter der Regierung der seit 1797 neu eingesetzten Äbtissin Maria Victoria von Burchard ab 1798 erstmals auf zwölf Jahre für jährlich 1907 Rthl. verpachtet.77 Im frühen 19. Jahrhundert nahm durch die Säkularisation der meisten Klöster und Stifte die Zahl und die Größe staatlicher Domänen in Westfalen schlagartig zu (in anderen Territorien verliefen diese Entwicklungen aufgrund staatlicher und konfessioneller Bedingungen teilweise auch sehr anders). In der Regel wurden nun diese zu den ehemaligen Klöstern gehören- Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land den „Ökonomien" als staatliche Domänen sofort verpachtet. Da in Preußen der Adel von den Domänenpachtungen ausgeschlossen war,78 kamen insbeson- dere Mitglieder der in der Führung eines solchen Großbetriebes erfahrenen Familien zum Zuge. Als Beispiel für die Entwicklung dieser neuen Güter sollen die Klöster des ehemaligen Bistums Paderborn vorgestellt werden, das 1802 an das Königreich Preußen fiel. Im Frühjahr 1803 hatte man fast alle Klöster aufgelöst und deren Einkünfte der neu eingerichteten Kriegs- und Domänenkammer in Münster übertragen. Die neuen Behörden wählten die zukünf- tigen Pächter der ehemaligen Klosterbetriebe mit Bedacht aus. So führte etwa der Kriegs- und Domänenrat von Beughem 1803 bei der Ausschreibung des Klosteramtes Dalheim aus: Die Pacht muß ein Mann übernehmen, dessen umfassende ökonomische Einsicht im Lande bekannt ist, der Erfahrung mit Lokalkenntnis verbindet, ein Vermögen von 20-30000 Rthl zu seiner Disposition hat und gleich beim Antritt des Amtes mit einem veredelten Viehstand aufziehen kann79 1815 schrieb Freiherr von Vincke, Präsident der Provinz Westfalen, rückwirkend: Man hatte die Absicht, das Amt Dalheim zum Muster einer verbesserten Landwirthschaft zu erheben und dadurch auf diesen im Fürstenthum Paderborn noch so sehr vernachlässigten Zweig der Landes-Cultur vortheilhaft zu wirken80 Schwierig war es, die benötigte Zahl geeigneter Pächter in der Region selber zu finden. Daher nahm man vielfach Personen aus den östlich anschließenden preußischen Provinzen.81 Ab 1804 verpachtete man das Domänenamt Dalheim auf zwölf Jahre an den aus dem Magdeburgischen stammenden Oberamtmann Gottfried Nordmann82 für jährlich etwa 7000 Rthl. Nordmann pachtete zusätzlich sogar noch in der Nachbarschaft drei weitere Güter des Grafen von Westfalen an.83 Der Staat verpflichtete sich hierbei, die alten Klostergebäude für etwa 10000 Rthl. entsprechend den neuen Zwecken umzubauen sowie ein neues Vorwerk zu errichten.84 Nachfolger wurde 1816 Simon Müller aus Lemgo, der hierbei neben vielem Unmittelbar neben der neuen Gutsanlage Burg Bühne hatte Freiherr von Spiegel schon 1813/14 als Ersatz eines baufälligen Hauses ein neues Wohnhaus für seinen Förster errichten lassen. Er vertrat den auf dem Gut Dalheim bei Warburg lebenden Oberrentmeister im Namen des weit entfernt lebenden Gutsherren vor Ort. (Foto Fred Kaspar 2012). 21 22 Einleitung anderen allein fast 3000 Morgen Ackerland, 146 Milchkühe sowie 2600 Schafe übernahm. Das „Klosteramt Hardehausen" wurde ab 1804 auf sechs Jahre dem bisherigen Klosteradministrator Wahnschaffe85 als Generalpächter für eine Zahlung von 12365 Rthl. übertragen.86 Er hatte zuvor als Hofkammerrat in Peckelsheim zur Beamtenschaft des aufgelösten Fürstbistums Paderborn gehört und sich auch schon als Administrator des aufzulösenden Klosters Hardehausen beworben.87 Ihm folgte 1810 als Pächter Herr von Ruxleben, der das Gut ab 1815 an einen sogenannten Afterpächter gab. Die Wirtschaft des aufge- lösten Klosters Böddeken wurde ab 1804 auf vier Jahre für jährlich 1783 Rthl. und einer Kaution von 2000 Rthl. an Herrn Gunst aus Paderborn verpachtet. Der Staat ließ das Kloster auf seine Kosten von etwa 8500 Rthl. für die Zwecke der neuen Ökonomie umbauen. Gunst war Sohn des in Schloss Neuhaus täti- gen Landvogtes Gunst und hatte zuvor in Zeitpacht ein Gut der Familie von Metternich bewirtschaftet. Er wurde von allen Seiten als ein solider, verständiger und für die Aufgabe brauchbarer Mann beschrieben, der sich in der Thaerschen Schule gebildet hat und mit dem Geiste der neueren Erfahrungs-Ökonomiekunde gruppe der Rentmeister, Pächter und Baumeister in den Blick zu nehmen. Hierzu liegen allerdings bislang kaum Untersuchungen vor. Mit dem Ziel, auf diese Thematik hinzuweisen, seien daher neben Beispielen aus den folgenden Einzeluntersuchungen auch weitere, dem Autor bekannt gewordene Belege (insbesondere aus dem Münster- land) aufgeführt - allerdings, ohne den Anspruch, damit für Nordwestdeutschland allgemein Gültiges erarbeitet zu haben: Zunächst waren Güter eher selten, die zwar in Eigenwirtschaft durch die nicht oder nur zeitweilig anwesenden Inhaber betrieben wurden und daher einen angestellten Rentmeister aufwiesen. Üblich war zunächst eine direkte Leitung durch die Besitzer unter Hilfe von Baumeistern. Seit der Neuzeit stieg ihre Zahl als erste Stufe einer Professionalisierung der Betriebsführung aber stetig an, insbesondere weil es zur Konzentration solcher Betriebe inner- halb der besitzenden Familien kam. Hierzu trugen neben Verschuldung einzelner Familien und folgendem Verkauf ihrer Güter auch das durch die Heiratspolitik in geschlossenen Kreisen bedingte Aussterben von Familien und der folgende Erbgang an Verwandte bei.90 Die ererbten oder angekauften Güter dienten in der Regel nicht mehr herrschaftlichen Haushalten.91 immer fortschreitet. 1809 erneuerte er die Pacht auf zwölf Jahre unter der nunmehrigen französischen Verwaltung für jährlich 1830 Thl.88 Das Klostergut Marienmünster wurde 1804 an Herrn von Röder verpachtet, der zuvor als Administrator des Paderborner Klosters Abdinghof tätig gewesen war. Nachdem ein Teil der Ländereien verkauft worden war, erwarb von Röder 1817 den übrigen Bestand (ohne die Forsten) für 27 000 Thl. zu freiem Eigentum.89 terhin und bis heute ihre Bezeichnung „Haus X" Bedeutung der landwirtschaftlichen Betriebe für ihre Eigentümer schon im 18. Jahrhundert kein Bedarf mehr für die Schaffung eines neuen zeitgemäßen Herrenhauses. lich, konnten in der Regel aber nicht beantwortet hunderte und bis ins 20. Jahrhundert - unterhalten, um sie bei Bedarf als Nebenwohnsitz (etwa für jüngere Geschwister der Herrschaft oder als Altenteil) oder Die Aufgabe der Güter und der einzelnen dort errichteten Bauten ist allerdings nicht durch eine Analyse der überlieferten Bauten selber zu erschließen. Die für die Interpretation der Bauten als geschichtliche Quelle zentralen Forschungsaufgaben werden zwar bei vielen der im Folgenden beschriebenen Beispiele deutwerden. Nicolaus Rügge weist daher in seinem einleitenden Beitrag zum ritterschaftlichen Adel im Hochstift Osnabrück auch darauf hin, dass bislang zu we- nig auf die wirtschaftsgeschichtlichen Zusammen- hänge geachtet worden ist. Ergänzt sei hier, dass bei der Frage nach der Nutzung eines Gebäudes auch klarer zwischen Besitzer, Nutzer und Bewohner unterschieden werden muss. Um zu fundierteren Begründungen und tiefergehenden Interpretationen zu kommen, ist aber sicherlich noch nicht einmal eine Analyse des wirtschaftlichen Zwecks und der wirtschaftli- chen Organisation des betreffenden Hofes ausreichend. Vielmehr ist im Falle der diskutierten „herrschaftlichen Hallenhäuser" insbesondere die Berufs- Im 18. Jahrhundert dürfte im Münsterland schon mehr als die Hälfte der ehemals adeligen Häuser diese Entwicklung genommen haben, auch wenn sie wei- behielten und als „Wasserschlösser" im Bewusstsein blieben. Gerade der in dieser Landschaft noch immer erhaltene reiche Bestand an älteren kleineren Herrenhäusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert dokumentiert diese Entwicklung deutlich: Auf vielen Sitzen war Die vorhandenen Herrenhäuser (in der Regel zweigeschossige Steinbauten unter Satteldach mit einer oder zwei Querwänden) verloren vielmehr ihre ursprüngliche Funktion, wurden aber vielfach noch über mehrere Generationen - teilweise sogar über mehrere Jahr- auch als gelegentliche Unterkunft bei einer Durchreise bzw. häufig auch zur Unterkunft bei Ausübung der herrschaftlichen Jagdrechte92 (als „Jagdhaus")93 nutzen zu können. Vielfach wurden sie auch den nun die Herrschaft vertretenden Rentmeistern oder später auch diese ablösenden Pächtern der Gutswirtschaft zur Bewohnung überlassen.94 Das große herrschaftliche Anwesen Haus Geist bei Oelde (Kr. Warendorf) hatte Bertram von Loe (1542-161 1) ererbt, der allerdings mit seiner Frau auf einem anderen Besitz lebte (zunächst auf Schloss Holte bei Dinslaken, ab 1585 auf Schloss Horst bei Gelsenkirchen) und daher nur selten sein Haus Geist besuchte. Das dortige Gut Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land wurde daher schon 1578 von einem Rentmeister ver- waltet. Er wurde auch als Droste bezeichnet und scheint im leerstehenden Herrenhaus gelebt zu haben. Mit ihm lebten dort sein Knecht, ein Herr Jürgen, der Schreiber, der Kellner, der Hoppener (Bier- Jahrhundert war dies der Lebensmittelpunkt, während man das Herrenhaus nur während der Sommermonate besuchte und die dortige Gutswirtschaft verpachtet hatte.103 Damit entsprachen dieser Lebenszyklus und die Wirtschaftsformen dem, was die übrigen brauer), ein Küchenjunge, ein Pförtner, zwei Hausknechte, die Kammermagd, ein Student und ein Fin- Wohlhabenden in den Städten schon seit Langem Schulte (also der die Landwirtschaft leitende Baumeister), ein Futterknecht, ein Kuhhirt, ein Schweinehirt, ein behinderter Junge, die Wiersche (Köchin) Das Längsdielenhaus als Leitmotiv der Hausforschung? Entsprechend der übergeordneten hauskundlichen Fragestellungen steht im Mittelpunkt der meisten im Folgenden vorgelegten Monografien über einzelne delkind. Im Kohuise auf der Vorburg lebten der und zwei Mägde.95 Vor diesem ständig weitergeführten Prozess der Kon- zentration überlebte nur ein Teil der alten Herrenhäuser nach dem Verlust ihrer herrschaftlichen Bewohner die folgenden Jahrhunderte.96 Mancher der Bauten blieb leerstehend erhalten oder wurde in Teilen von Angestellten bewohnt. Dieses Schicksal traf viele der noch heute erhaltenen älteren Bauten.97 Schon im 18. Jahrhundert waren manche der Herren- häuser wegen ihres langen Leerstandes so baufällig, dass sie einstürzten oder vor ihrem Einsturz abgebrochen und seitdem allein die der Wirtschaft dienende Vorburg unterhalten wurden. Dort wohnte der Rentmeister oder Pächter nun in einem Teil des zumeist älteren Bauhauses oder man errichtete ihm in manchen Fällen daneben ein einfaches neues Haus.98' Unterstützt wurde dieser Prozess der Betriebskonzen- tration auch durch die Tendenz insbesondere der Adelsfamilien, größere Besitzkomplexe zu bilden und diese seit dem 17. Jahrhundert in Familienstiftungen (Fideikommisse) als unteilbaren Besitz rechtlich abzusichern.99 Im Ergebnis besaßen einzelne Adelsfamilien im Münsterland im 18. Jahrhundert mehr als zehn sol- cher Güter, jeweils mit herrschaftlichen Wohnmöglichkeiten, zu deren Bewirtschaftung-wenn nicht der Weg der Verpachtung gewählt worden war - sie nun auch mehrere Rentmeister beschäftigten.'00 Darüber hinaus ließen die Familien zunehmend Kurienhäuser insbesondere für ihre weiblichen unverheirateten Mitglieder innerhalb der Stiftsanlagen errichten.101 Das Ideal von der Vorstellung eines adeligen Familienverbandes mit zahlreichen zugehörigen Bauten dokumentiert das Testament Heinrichs II. von Droste zu Haus Hülshoff (1597-1666), in dem er die Versorgung seiner insgesamt zwölf Kinder regelte. Danach wurde sein ältester Sohn Universalerbe der gesamten Familiengüter, wobei er aber jeder seiner sieben unver- heirateten Schwestern ein völlig eingerichtetes Stiftshaus sowie 600 Rthl. garantieren musste und diese alternativ auch das Recht erhielten, unentgelt- lich auf dem Stammsitz der Familie mit einer Magd zu leben. Auch die unverheirateten Brüder des Universal- erben hatten Anspruch auf Bereitstellung eines Stiftssitzes und Auszahlung von 2000 Rthl..102 Neben dem ländlichen Herrenhaus als Stammsitz der Familie unterhielt man auch ein Haus in der Stadt. Im 18. vorgelebt hatten. Betriebe mehr oder weniger ausgesprochen die Frage nach der Bedeutung und Aufgabe der jeweils dort vorhandenen „Hallenhäuser". Formenvielfalt und Entwicklung des Hallenhauses gehörten seit vielen Jahr- zehnten zur zentralen Thematik der Haus- und Bauforschung in Nord- und Westdeutschland.104 Eine der in einem großen Teil der folgenden Untersuchungen angesprochenen Fragen dreht sich um das The- ma, ob das Hallenhaus als Bauernhaus bezeichnet werden muss bzw. welche Bedeutung diese Bauform für andere Sozialgruppen gehabt hat: Gab es „adelige" oder „herrschaftliche" Hallenhäuser? Es ist zur fachwissenschaftlichen Konvention geworden, mit dem Begriff des Hallenhauses nicht nur eine Baustruktur (Gerüstbau als Zwei-, Drei- oder Vierständerbau) mit charakteristischer Raumstruktur (Längs- diele) zu umschreiben, sondern dieses mit Wirt- schafts- und Lebensformen zu verbinden, sodass der Begriff'ohne klare Abgrenzungen auch eine funkti- onsstrukturelle Bedeutungsebene aufweist.105 Insbesondere wird in der Regel eine enge Beziehung zwischen „Hallenhaus" und „Bauernhaus" gesehen, sodass von einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude ausgegangen wird. Gemeinhin werden Längsdielenhäuser, an deren Wirtschaftsdiele sich eine Herdküche und Wohnräume (in unterschiedlichen Formen) anschließen, als Hallenhaus bezeichnet und als Bauernhaus verstanden. Die vorgelegten Beiträge weisen allerdings nach, dass entsprechende Raumstrukturen mit ganz unterschiedlichen Funktions- und Sozialstrukturen gefüllt werden konnten. Ist vor diesem Hintergrund ein (adeliges) Bauhaus mit anschließendem Kammerfach (als Wohnbereich des Bauschulten oder des Rentmeisters) ein Bauernhaus, nur weil dieses vergleichbare Raumstrukturen aufweist? Vergleichbare Raumstrukturen weist aber auch ein Pächterwohnhaus mit Kammerfach auf, das hier allerdings nicht dem Bauern, sondern dem Aufenthalt der Verpächter dient und daher bestens ausgestattet sein kann. So lange die damit komplexe Definition des „Bautyps" Hallenhaus weder klar benannt noch in ihrer Tragweite ausreichend geklärt ist, scheint es in dem hier bestehenden baulichen Kontext angebracht, 23 24 Einleitung stattdessen den neutraleren und „nur" bau- und raumstrukturell gemeinten Begriff „Längsdielenhaus" zu gebrauchen. Die Frage nach der Nutzung der Raumstruktur der festgestellten verschiedenen Ausprägungen des Längsdielenhauses führt zwar zu differenzierteren Ergebnissen, ist allerdings vielfach nur schwierig zu beantworten, denn hierzu sagen die überlieferten Bauten selber in der Regel nur wenig. Solche Studien sind nur unter der Bedingung guter archivalischer Überlieferungen möglich und in der Durchführung vielfach sehr aufwändig. So bleibt es Je nach Fokussierung der Untersuchungen auf Konstruktion/Bautechnik oder auf Fragen zur Raumstruktur bzw. Sozialstruktur der Längsdielenhäuser ergeben sich abweichende Ergebnisse. Die folgenden Einzelbeiträge bringen viele Belege dafür, welch breites Spektrum unterschiedlicher Lösungen im Längsdie- bei Vermutungen aufgrund von Vergleichen oder oft nur scheinbar lesbarer Indizien. Einem großen Herdfeuer ist es allerdings nur schwerlich anzusehen, ob es als Herdstelle eines Haushaltes, nur oder auch als Braustelle bzw. nur oder auch als Herdstelle der Leuteküche diente. Auffallend ist die Vergleichbarkeit der Abmessungen vieler der bislang nachweisbaren, als Pächterwohn- häuser mit integrierter herrschaftlicher Wohnmöglichkeit errichteten Längsdielenhäuser. Regelmäßig handelt es sich um Bauten mit einer Breite von über 14 m und einer Länge von mehr als 30 m, wobei diese Bauten in ihren Maßen deutlich die Abmessungen der meisten Haupthäuser überschreiten, wie sie sich auf Bauernhöfen finden: lenhaus zwischen Raumstrukturen und Funktions- strukturen nachzuweisen sind. Sie könnten daher eine bislang ausgebliebene, aber notwendige Diskussion um den Gehalt des Begriffes „Hallenhaus" anregen. Ehe der Frage nach der Ausgestaltung der Wohnbereiche in und an den Längsdielenhäusern weiter nach- gegangen wird, sind einige Bemerkungen zu den Wirtschaftsbereichen dieser Bauten notwendig, da sich in ihnen die wirtschaftlichen Grundlagen der Güter spiegeln. Diese getrennte Betrachtung der beiden prägenden Raum- und Funktionselemente eines Wohn- und Wirtschaftsgebäudes in der Form eines Längsdielenhauses ist nicht nur den methodisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten geschuldet, sondern entspricht durchaus auch der historischen Realität.108 In vielen der dargestellten Beispiele wurden Belege beigebracht, dass die Stallungen beidseitig der mittleren Längsdiele der Unterbringung von Kühen dienten.109 Dieser Feststellung entsprechend lässt sich schon seit dem späteren 15. Jahrhundert der Begriff 1555 Grafschaft Lippe Hof von Exterde 32,80 x 14,60 m 16 Fach (Diele 8, Küche 4, Kammer 4 Fache) Um 1560 Stift Verden Gut Mulmshorn 43,7 m lang, Breite nicht genannt 1561/1563 Grafschaft Lippe Gut Dahlhausen 34,50 x 14,30 m 15 Fach (Diele 10, Wohnen 4 Fach, seitlicher Raum) Um 1590 Umkreis Münster Haus Milte 30,90 x 14,20 m 15 Fach (Diele 8, Küche 3, Kammerfach 3 Fach) 1594 Umkreis Münster Haus Westerhaus 32 x 10,90 m106 1613 Grafschaft Hoya Siebenmeierhof Magelsen 37,50 m lang 1686 30 x 14,10 m massiv Grafschaft Ravenberg Bielefeld, Gut Brothagen107 Stall 10, Küche 2, Kammer 5 Fach 1727 Stift Verden 1783 11 Fach (Vorschauer,.Diele 9 und Kammer 2 Fache) 11 Gebinde 30/35 m x 13 m Gut Koppel Diele 5 Fach und Vorschauer, Flett mit T-Haus Stift Bremen Gut Bockei 43 x 15 m Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land Das Gut in Langreder bei Barsinghausen (Lkr. Hannover) gehörte zum Besitz der Familie von Klenke, die ihren Hauptsitz aller- dings auf der Hämelschenburg zwischen Bad Pyrmont und Hameln hatte. Das Gutshaus ist in der Mitte des 18. Jahrhunderts als so genanntes T-Haus errichtet worden und dürfte durch einen Pächter genutzt worden sein. An dessen zweigeschossiges Wohnhaus schließt sich ein traditionelles Viehhaus in der Form eines Längsdielenhauses an, das heute ebenfalls zu Wohnungen ausgebaut worden ist. (Foto Fred Kaspar 2009)r „Kuhhaus" (oder auch „Rinderhaus") für viele der großen Bauhäuser landwirtschaftlicher Gebäude auf adeligen Gütern Nordwestdeutschlands nachweisen.110 Hintergrund für diese Ausrichtung der Wirt- schaftsteile dürfte insbesondere die Ochsenmast als Grundlage des lukrativen Viehhandels gewesen sein, der dazu diente, die Großstädte des europäischen Binnenlandes mit Fleisch zu versorgen.’11 Andere Betriebe hatten ihre wirtschaftliche Grundlage in der Milchwirtschaft und unterhielten große Kuhherden. Nicht zu unterschätzen ist, dass diese - im Unterschied zu den vielfach mehr auf die Versorgung des Nahmarktes mit Lebensmitteln oder sogar nur auf die Eigenversorgung ausgerichteten kleineren Bauernhöfen - auf den Verkauf landwirtschaftlicher Produk- te orientierten Güter den sich ändernden Märkten immer wieder angepasst werden mussten. Seit dem 17. Jahrhundert nahm in Nordwestdeutschland der Getreideanbau auf Kosten der Hornviehhaltung zu, der zuvor nur in bestimmten Regionen wie etwa dem Weserbergland dominant gewesen war. Dies musste weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaftsräume der Längsdielenhäuser haben. Der Getreideanbau brachte auch weitere Gewerbezweige der Weiterverarbeitung oder Veredelung auf die Großbetriebe und Güter, zu denen insbesondere Branntweinbrennereien und die Brauereien, aber auch Mühlen oder Stärkefabriken gehörten. Längsdielenhäuser ohne Wohnteil Es gibt Längsdielenhäuser, die nur als Wirtschafts- gebäude dienten. Sie werden zumeist - entsprechend den Nennungen in historischen Quellen - als Bauhaus oder Viehhaus/Kuhhaus oder auch als Vorwerk bezeichnet. Es kann sich hierbei sowohl um Bauten mit Zwei-, Drei- oder Vierständergerüsten handeln, um Fachwerkbauten oder solche mit massiven Umfassungswänden. Allerdings wurden Längsdielenhäuser in Vierständerbauweise mit massiven Umfassungswänden keineswegs nur als Bauhäuser der herrschaftlichen Wasserburgen oder auf den Wirtschaftshöfen der Klöster und Stifte errichtet. Offenbar sind die mas- siven Umfassungswände nur eine Form soliderer Bauweise gewesen, sodass sowohl Bauhäuser auf adeli- gen Sitzen aus Stein wie aus Fachwerk als auch Längsdielenhäuser auf Pachthöfen beider Techniken bekannt sind. Unabhängig von ihrer Konstruktion und Bautechnik können diese Bauten ausschließlich zur Unterbringung von Vieh konzipiert sein - dann in der Regel mit einer Durchfahrts-, Durchgangs- oder Sackdiele -112 oder aber (zusätzlich) auch noch andere Funktionen und weitere Wirtschaftsräume aufgenommen haben. Insbesondere sind hier Back- oder Brau- und Brennräume zu nennen, sodass es sich in diesen Fällen um Längsdielenhäuser mit einem mehr oder weniger etwa durch eine Scherwand - abgetrennten rückwär- 25 26 Einleitung tigen Bereich handelt. Bauten mit entsprechender der Herrschaft bewohnt werden sollte, ist allerdings aufweisen, etwa für das Hofgesinde oder für den Heinz Riepshoff untersuchte mit dem Gut Koppel einen weiteren Betrieb im Kreis Verden. Es hat eine Raumstruktur können zusätzlich aber auch noch Aufenthalts- und Schlafräume für beschäftigtes Personal eher unwahrscheinlich. Kuh- bzw. Pferdeknecht oder den Schäfer. Das Spektrum entsprechender Unterkünfte im Längsdielenhaus reicht von einem vorderen seitlichen Einbau (als Stubeneinbau oder als Vorschauer) bis zu einem Kammerfach mit oder ohne Küche. Es ist zweifelhaft und bedarf weiterer Diskussionen, wesentlich ältere Geschichte als adeliger Besitz und sollte. Sie unterscheiden sich in Baustruktur und Erbin geheiratet, dürfte das Gut als Droste zu Ottersberg allerdings nicht dauernd bewohnt haben. Obwohl ein Beispiel aus einer ganz anderen Region, dokumentiert Georg Pollma.nn 'in seinem Beitrag mit dem Gut Vasbach bei Kirchhundem (Kr. Olpe) im südlichen Westfalen vergleichbare Entwicklungen. Dieses ob man Bauhäuser als eigenen Bautyp bezeichnen Raumstruktur nicht von den Wirtschaftsbereichen der Bauernhäuser mit Längsdielen. Die Unterschiede zwischen diesen Varianten des Längsdielenhauses liegen vor allem in der Funktions- und Sozialstruktur. Diese raumstrukturellen und funktionalen Unterschiede zwischen Bauhäusern und Bauernhäusern beschränken sich zudem weitgehend auf den hinteren Bereich der Bauten, in dem vom Dielentor entgegengesetzten Ende. Die Längsdielen der Bauhäuser reichen entweder bis zum rückwärtigen Giebel oder an ihre Diele schließt sich eine große Küche an, die vielfach als Brauküche bezeichnet wird, aber auch oder zugleich als Leuteküche oder anderen wirtschaftlichen Zwecken gedient haben kann. Hierin gleichen sie im Raumgefüge den Bauernhäusern ohne Kammerfach. Längsdielenhäuser mit zweigeschossigen Wohnbereichen/-häusern Bauten dieser Ausprägung wurden in verschiedenen Ausführungen (vielfach daher als L- oder T-Häuser bezeichnet) über mehr als zwei Jahrhunderte errichtet. Beispiele hierzu bringen die verschiedenen Beiträge seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.113 Bislang allerdings nur spröde Hinweise sprechen dafür, dass insbesondere diese Bauform dazu diente, eine kontinuierlich nutzbare herrschaftliche Wohnung zu schaffen. Wolfgang Dörfler dokumentierte die Geschichte zweier Güter südlich von Bremen und der dort errichteten Längsdielenhäuser. Das Gut Mulmshorn im Stift Verden wurde um 1560 für Johann von Holle, einen Bruder des Verdener Bischofs, angelegt. Zentrum wur- de ein großes, in späteren Quellen als Vorwerk be- zeichnetes Längsdielenhaus mit Kuhställen in den Sei- tenschiffen, an das sich ein zweigeschossiger, als Querhaus bezeichneter Wohnteil für den Gutsherrn anschloss. Später wurde das Gut zumeist als landes- herrliches Vorwerk genutzt, wobei hier zeitweilig auch ein Landrat lebte. 1780 wurde das Gut aufgelöst und später hat man auch die Bauten abgebrochen. Das Gut Bockei im Stift Bremen wurde um 1650 durch den adeligen Otto von Düring eingerichtet. Zentraler Bau ist ein im Kern noch erhaltenes, 1783 erneuertes Längsdielenhaus mit Kuhställen in den Seitenschiffen. Dass das neu errichtete Haus auch von erhielt 1578 ein neues Längsdielenhaus. Dieses wurde 1727 durch den noch bestehenden Bau mit Kuh- ställen seitlich der Diele ersetzt. Der angeschlossene, zu nicht bekannter Zeit errichtete zweigeschossige Wohnteil wich 1765 aus nicht bekannten Gründen einem ebensolchen Neubau. Dessen Bauherr hatte die befand sich über Jahrhunderte im Eigentum einer Beamtenfamilie im kurkölnischen Dienst und wurde auch Ausgangspunkt verschiedener wirtschaftlicher Aktivitäten (Mühle, Stahlhandel). Zentral ist das ab 1664 in mehreren Phasen bis 1835 erneuerte Gutshaus, ein Längsdielenhaus in Sauerländer Gestalt mit großformatigem und zweigeschossigem Kammer- fach. Längsdielenhäuser mit eingeschossigen Wohnenden Solche Bauten sind seit dem 16. Jahrhundert im Bau- bestand nachweisbar, in der Regel in der Form eines Längsdielenhauses mit einem unterkellerten Kammerfach. Diese Wohnteile scheinen im Zusammenhang mit Pachtgütern eher Belege für eine nur zum temporären Aufenthalt vorgesehene herrschaftliche Wohnung zu sein. Hierfür spricht, dass diese Bauten oder Baugruppen in der Regel nur eine Küche aufweisen, also in ihnen kein abgeschlossener herrschaftlicher Haushalt bestand. Die kontinuierlich in dem Haus lebenden Pächter, Rentmeister oder Verwalter mussten also die Herrschaft bei ihrer Anwesenheit versorgen. Hierauf gehen mehrere Beiträge mit exemplarischen Untersuchungen ausführlicher ein: Haus Westerhaus bei Rinkerode wurde um 1590/95 für den in Münster lebenden Pfennigmeister Martin Schnell, Leiter der landesherrlichen Finanzbehörde, ausgebaut. In dem Beitrag von Axel Böcker u. a. wird der Aufbau des Gutes aus einem hier zuvor bestehenden Gehöft, seine bauliche Struktur, die zugehörigen Ländereien und die weitere Entwicklung einschließlich der späteren Wandlung zum Pachtgut und schließlich zu einem „normalen" Bauernhof nachgezeichnet. Einzigartig ist das 1594/95 (d) an das alte Bauernhaus von 1554 (d) - ein Vierständer-Längsdielenhaus - angefügte, besonders weitläufige Kammerfach mit seinen in Renaissanceformen geschmückten Steinfronten. Haus Milte bei Telgte wurde ebenfalls um 1590/95 für die in Münster lebende Beamtenfamilie von der Wyck Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land als Pachtgut mit Sommerwohnung errichtet und blieb In einem weiteren Beitrag stellen Fred Kaspar und Pächter zu geben und auch deren Wohnbedingungen ter am Stift St. Martini lebenden Geistlichen angelegte Gut Werse am Rande von Münster vor. Dabei nutzte man als Längsdielenhaus eine alte Schafscheune weiter (sicherlich ein Hinweis darauf, dass das Gut von ihren Erben noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in dieser Weise genutzt. Die gute Quellenlage ermöglicht es Fred Kaspar und Peter Barthold, Einblicke in das Verhältnis zwischen Verpächter und zu analysieren. Zentral auf der umgräfteten Hofanlage ist das bis heute erhaltene Längsdielenhaus, eines der größten überlieferten Längsdielenhäuser im Münsterland. Das Kammerfach blieb der Nutzung durch die Herrschaft vorbehalten und wurde 1832 großzügig erneuert. Eine weitere herrschaftliche Wohnmöglichkeit bestand in dem ebenfalls noch erhaltenen massiven Torhaus von 1599, das 1902 zu einem Sommer-Landhaus erweitert wurde. Haus Lohfeld, ein weiterer Pachthof nahe der Stadt Telgte im Münsterland, diente wohl über mehrere Jahrhunderte verschiedenen in umliegenden Städten lebenden Familien als Sommerwohnung, wozu man sich im Kammerfach des Bauernhauses Wohnräume, Stallungen im Nebengebäude und einen Garten vorbehielt. Dank einer außergewöhnlich guten Quellen- lage kann Fred Kaspar nicht nur die Nutzungs- geschichte und die rechtlichen Bedingungen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts detailliert nachzeichnen, sondern auch die bauliche Weiterentwicklung mit der Erneuerung der Sommerwohnung 1774 (d) und 'des Bauernhauses 1827. Peter Barthold das erst um 1760 durch einen in Müns- nicht zum Aufbau einer umfangreichen Landwirt- schaft gegründet wurde) und fügte ein kleines Pächterwohnhaus an. Daran schloss sich ein unterkel- lerter Gartensaal mit massiven Umfassungswänden an. Er tritt als seitlicher Flügelbau aus dem ländlichen Gebäude hervor. Peter Barthold beleuchtet das Thema exemplarisch mit einer anderen Quelle: Aufgrund umfangreicher archivalischer Recherchen kann er für den Umkreis der ehemaligen Hauptstadt des Fürstbistums Minden an der Weser mehrere Dutzend Landgüter nachweisen, die im Laufe des 16. bis 19. Jahrhunderts neu angelegt wurden. Nur die wenigsten dieser Anlagen sind heute erhalten oder auch nur noch im Bewusstsein der Bevölkerung vorhanden. Diese Güter befanden sich in der Regel in der Hand von Adeligen, Beamten und Bürgern, die in Minden oder dem nahen Amtsort Hausberge lebten und ihre Besitzungen in der Regel durch Verwalter oder Pächter führen ließen. Be- merkenswert ist die große Zahl der „Freihöfe", die im Laufe des 16. und frühen 17. Jahrhunderts aufgrund von landesherrlichen Privilegien durch Aufkauf beste- Außerhalb der umgräfteten Anlage von Haus Vornholz in Ostenfelde bei Ennigerloh (Kr. Warendorf) ließ Freiherr Hermann Adolf von Nagel-Vornholz Ende des 18. Jahrhunderts ein Haus für seinen Oberrentmeister errichten, der von hier aus die über 15 verschiedenen zum Besitz gehörenden Gutsbetriebe verwaltete. Das Haus erhielt mit seinen massiven Umfassungswänden, dem hohem Kellersockel und dem Mansarddach den Charakter eines kleinen Herrenhauses (Foto Fred Kaspar 2012). 27 28 Einleitung hender Bauernhöfe oder Erschließung bislang nicht genutzter Flächen angelegt wurden. Sie hatten in ihrer besonderen Funktion oft keine lange Existenz und wurden später zu „normalen" Bauernhöfen. Eine weitere Gruppe von Gütern entstand nach der Mitte des 18. Jahrhunderts durch systematischen Landaufkauf, der insbesondere durch die Aufteilung der städ- von Paderborn auf einem freien und umgräfteten Hof als Längsdielenhaus mit einer großen unterkellerten Saalkammer hinter der Herdküche errichten. Auf dem Gut Sylbach bei Bad Salzuflen (Kr. Lippe) wurde 1660 im Auftrag von Rabe von Wrede ein neues Haupthaus als Längsdielenhaus errichtet. Allerdings ist dessen Vielfach ist nachweisbar, dass die Besitzer ihre Güter zeitweilig bewohnten, in der Regel wohl als Sommerhaus. Zumeist blieben Längsdielenhäuser mit unter- kannt. 1715/16 verlagerte Johann Philipp von Donop seinen in der Stadt Blomberg (Kr. Lippe) liegenden Burgmannshof auf ein neu arrondiertes Gelände vor der Stadt. Er ließ sich auf diesem neuen Gut Nässen- tischen Gemeinheiten möglich geworden war. Wohnteil nicht mehr erhalten und auch in seiner Bedeutung als Wohnung für die Herrschaft unbe- schiedlich ausgeprägten Wohnteilen die Hauptgebäude der Güter, während separate Wohngebäude grund ein Gutshaus errichten, das in traditioneller offensichtlich nur dann entstanden, wenn die Besitzer das Gut als dauerhaften Wohnsitz einrichteten. Dietrich Maschmeier untersucht den Siebenmeierhof Magelsen (Kr. Nienburg) an der Unterweser. Der ehemalige Haupthof des Stiftes Bücken wurde 1588 privatisiert und zum freien Gut. Die neuen Eigentümer bauten den Hof in den folgenden Jahrhunderten zu einem großen und gebäudereichen landwirtschaftlichen Betrieb aus, dessen Hauptgebäude aber bis in Weise als Längsdielenhaus mit angebautem Kammer- erhaltene, 1613 fertiggestellte Längsdielenhaus von über 37 m Länge blieb. Es scheint den Inhabern des Hofes auch als Dauerwohnung gedient zu haben. Fünf weitere Beispiele dieser Bauweise aus Ostwestfalen-Lippe stellt Heinrich Stiewe im Vergleich vor: Alle diese Bauten wurden entsprechend regionaler Tradition als Längsdielenhäuser mit einem Vierständergerüst errichtet, wobei drei dieser Bauten noch aus Seit dem 18. Jahrhundert entwickelte man die überkommene Bauform der Längsdielenhäuser zuneh- die Mitte des 19. Jahrhunderts das im Kern noch dem 16. Jahrhunderts stammen: Das heute nicht mehr erhaltene, 1555 errichtete Haupthaus vom Gut Ahmsen bei Bad Salzuflen (Kr. Lippe) hatte hinter der abgetrennten Flettküche mit hohen Luchten einen bemerkenswerten Wohnteil, der offenbar aus zwei übereinander befindlichen Saalkammern bestand. Bauherr des Hauses war Johann von Exterde, Spross einer an mehreren Orten und auch in den umliegenden Städten in der Grafschaft Lippe begüterten, ur- sprünglich aus der Stadt Detmold stammenden Familie. Die konkrete Nutzung des Hauses auf dem Corveyer Lehnsgut durch die Familie ist bislang unklar. Auch das 1561/63 (d) errichtete Haupthaus auf dem Gut Dahlhausen bei Leopoldshöhe (Kr. Lippe) war ein Lehen im selben Familienverband. Hier erhielt das große Längsdielenhaus kein Kammerfach, sondern wies am Ende nur eine sehr große und hohe Küche und in einem der Seitenschiffe davor einen größeren abgetrennten Raum auf. Stiewe vermutet, das Gebäude sei trotz des reduzierten Raumprogramms dennoch nicht nur als Wirtschaftsgebäude errichtet wor- den, sondern auch mit einem herrschaftlichen Wohnbereich. Das heute im Freilichtmuseum Detmold stehende Haupthaus vom Valepagenhof bei Delbrück (Kr. Paderborn) ließ sich 1577 der Richter und Gograf Jost Valepage als örtlicher Vertreter des Fürstbischofs fach ausgeführt wurde. Das Haus wurde um 1750 erheblich vergrößert, wobei der Wirtschaftsteil verlängert und das Kammerfach ein Obergeschoss erhielt, sodass der Wohnteil fortan als selbstständiges Wohn- haus wirkte. 1755 (d) wurde zudem daneben ein großformatiger Speicher errichtet, der wohl auch eine Kornbrennerei aufnahm. Vielfalt baulicher Lösungen mend weiter bzw. ersetzte sie auch durch andere Bauformen mit abweichender Gestalt und Raumstrukturen. So stellt Fred Kaspar das Gut Nachtigall bei Paderborn vor, auf dem man 1715 für einen Hofbeamten des Fürstbischofs ein traufenständiges Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit einer mittleren Durchgangsdiele errichtete. Hiermit versuchte man offensichtlich, das Raum- und Funktionskonzept des überlieferten Längsdielenhauses in der Gestalt mit den Ideen barocker Architektur in Einklang zu bringen. Das Haus scheint nicht für einen dauerhaften Aufenthalt der Eigentümer vorgesehen gewesen zu sein und diente wohl eher als ihr Landsitz. Um 1785 ließ der Regimentskommandeur Franz Xaver von Tönnemann nördlich von Warendorf einen neuen Landsitz mit der Bezeichnung „Tönneburg" anlegen. Laurenz Sandmann dokumentiert die Geschichte des schon seit Langem nicht mehr erhaltenen Gutes und konnte nachweisen, dass das dortige, nur im Sommer zeitweilig von der Herrschaft bewohnte Hauptgebäude ein eingeschossiger Backsteinbau mit Wohn- und Wirtschaftsräumen war. Verbunden mit der Geschichte der Güter ist ihr steti- ger funktionaler Wandel, wozu auch ihre spätere Auflösung gehören konnte. Insbesondere im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wandelte man viele klei- ne Adelssitze - inzwischen durch Heirat oder Erbschaft in die Hand anderswo lebender Adelsfamilien gelangt - in landwirtschaftliche Betriebe um, die unter der Regie eines Rentmeisters liefen oder verpachtet wurden. Blieben die alten Herrenhäuser hierbei überhaupt erhalten, dienten sie fortan vielfach als Güter, Pachthöfe und Sommersitze 29 Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land nur noch selten von der Herrschaft genutzte Jagdhäuser, wobei dem Pächter oder Verwalter eine neue standesgemäße Wohnung zur Verfügung gestellt werden musste.114 Hierzu konnte etwa das alte Bauhaus eines Adelssitzes ausgebaut werden. Diese Entwicklung dokumentiert der Beitrag von Fred Kaspar und Peter Barthold über das Haus Vörde bei Castrop-Rauxel im nördlichen Ruhrgebiet. Dieser adelige Sitz hatte wohl nur bis 1632 einen herrschaftlichen Haushalt und wurde seitdem verpachtet. Die Ländereien sind dann seit 1897 nach und nach zur Ausweitung von Fabriken aufgegeben worden. Nicht immer wurden die Wohnungen der Pächter oder Rentmeister zusammen mit einem Längsdielenhaus, dem großen Wirtschaftsgebäude oder Vorwerk errichtet, sondern entstanden auch an anderer Stelle eines Betriebes. Dies geschah insbesondere bei den Gütern, deren herrschaftlicher Wohnsitz erhalten blieb (ganz gleich ob weiterhin in Gebrauch, als Nebenwohnung oderJagdhaus). Hierzu werden zwei Beispiele eingehender vorgestellt: Um 1676 begann der Droste zu Vischering das ererbte und wohl verfallene Haus Visbeck bei Dülmen westlich von Münster großzügig zu einem neuen Familiensitz auszubauen. Hierbei entstand als erster Bauabschnitt die Hälfte einer neuen weitläufigen Vorburg, die neben Pferdeställen und einer Brauküche insbesondere eine kleine, aber anspruchsvoll ausgestattete Wohnung für den Rentmeister aufnahm. Da allerdings schon wenig später um 1680 die Familie ihr Interesse an dem Gut ver- lor, blieb es bei dieser Baumaßnahme, wobei der Betrieb noch bis Ende des 18. Jahrhunderts von Rent- meistern geführt und danach verpachtet wurde. Nach den Untersuchungen von Fred Kaspar und Peter Barthold hatte Haus Dieck südlich von Warendorf im Münsterland während des 17. Jahrhunderts keinen herrschaftlichen Wohnsitz, sondern wurde als Gut von einem Rentmeister oder Pächter bewirtschaftet, aber um 1740 aufgrund erbrechtlicher Bedingungen wieder zum Wohnsitz der Eigentümer. Hierzu errichtete man ein kleines zweigeschossiges und umgräfte- tes Wohnhaus und ein als Wirtschaftsgebäude genutztes Torhaus. Als man das Gut aufgrund der weiteren Familiengeschichte schon wenig später wie- der verpachtete, ist 1760/61 für den die Herrschaft vor Ort vertretenden Rentmeister eine als Jägerwoh- Das adelige, erst im 17. Jahrhundert gegründete Gut Espenlake bei Delbrück (Kr. Paderborn) wurde 1809 in einer Versteigerung von der Kaufmannswitwe Wilhelmine Ferrary erworben. Sie führte das Handelshaus ihres Mannes in Paderborn fort. Da sie das Gut daher nicht dauerhaft bewohnte, sondern wohl als Sommersitz für sich und ihre Kinder benutzte, wurde der landwirtschaftliche Betrieb wie schon zuvor durch einen Pächter verwaltet. Witwe Ferrary ließ sich ein schon von den Vorgängern errichtetes kleines eingeschossiges Wohnhaus zu einem zweigeschossigen Sommerhaus ausbauen und es zudem mit einem Park umgeben (Foto Fred Kaspar 2013). 30 Einleitung nung bezeichnete Unterkunft als Anbau an das Torhaus gebaut worden. Sie wurde entsprechend neuer Vorstellungen von Gestalt und Raumstrukturen als Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit Querdiele errichtet. Als die nächste Generation das Gut wieder neben dem Stadthof in Münster als sommerlichen Wohnsitz wählte, errichtete man ab 1771 ein neues Herrenhaus (und wenig später auch eine Stiftsdamenkurie in Freckenhorst für eine Tochter aus der Familie). Die Vielfalt der angesprochenen Möglichkeiten der führenden ländlichen und städtischen Schichten, einen Wohnsitz nach individuellen Bedürfnissen auszuwählen und zu gestalten, wird nur dann deutlich, wenn neben den bekannten Phänomenen des Stadthofes oder Stadthauses auch die hier im Mittelpunkt stehenden Landgüter, Herrensitze und Stiftskurien sowie die weiteren möglichen Wohnorte und Wohnformen gemeinsam betrachtet werden. Dies erhellen die Beiträge mehrerer Autoren: Thomas Spohn gibt einen Überblick über die Bau- und Wohn- strukturen der Stiftskurien in den aus Stiften und Klöstern entwickelten Damenstiften. In diesen Kurienhäusern konnten Damen des niederen und höheren Adels individuell wohnen und ihnen auch unverheira- tet ein standesgemäßes Leben ermöglicht werden. Diese Lebensform wurde in der Neuzeit in einzelnen Stiften auch Damen aus Kreisen der Beamten und Bürger möglich. Bauliche Beispiele sind in Westfalen zwar seit dem späten 15. Jahrhundert nachweisbar, doch stammt der Großteil der überlieferten Gebäude aus dem Zeitraum zwischen dem ausgehenden 17. und dem frühen 19. Jahrhundert. Errichtet zumeist auf Kosten der Stiftsdame bzw. ihrer Familie handelt es sich vielfach um reine Wohnhäuser, die Vorstellungen barocker Architektur (und nicht selten dem Vorbild größerer Herrenhäuser) folgen und in denen zumeist eine zweite Stiftsdame zur Untermiete lebte. Kurienhäuser konnten aber auch als traditionelle Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet sein. Nicht zuletzt diese bislang kaum beachteten Bauten dürften prägend für die Weiterentwicklung neuzeitlicher Wohnbauten geworden sein. Eine wiederum andere Perspektive auf die mögliche Vielfalt adeliger Wohnformen bietet Bernd Adam mit seinem Beitrag. Er behandelt die Bauten, die sich der Oberhofbau- und Gartendirektor Friedrich Karl von Hardenberg als die für das staatliche Bauwesen im Königreich Hannover über zwei Jahrzehnte bis 1763 zentrale Person sich für seine eigenen Zwecke errichten ließ. Sie dürften in besonderer Weise seine Vorstellungen und Visionen dokumentieren. Neben einer Fülle möglicher Wohnorte gehörte hierzu ein weites Bauprogramm anderer Bauaufgaben: Es umfasste Stadtpalais, Landhaus, Gartenhäuser, mehrere Guts- betriebe mit neuen Wirtschaftsbauten, Brau- und Brennerei und zugehörigem Vorwerk. Auch das Wohnen im auf dem Landgut vorhandenen Speichern ist in dem angesprochenen Kontext relevant. Entgegen ihrer formalen Vergleichbarkeit sind Speicher in unterschiedlichster Weise genutzt worden. Die Hausforschung hat sich seit Langem mit dieser Bauform auseinandergesetzt und konnte belegen, dass man sie zu ganz unterschiedlichen Aufgaben errichtete und nutzte.115 Als Bauherren wurden Bürger bzw. Klerus116, Bauern117 oder der Adel118 nachgewie- sen. Die Errichtung und die dabei gewählte Gestalt dieser Bauten kann als Zeichen nur eines sozialen Anspruchs der Bauherren gemeint sein. Speicher dienten den Bauherren aber auch zum Lagern von Getreide, als Altenteil, zur Versammlung, aber auch als Sommerhaus der Städter. Gerade für Bauten in letzterer Aufgabe scheint zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert allgemein der Begriff „Borg" üblich gewesen zu sein. Die Geschichte eines solchen noch bis heute als „Borg" bezeichneten umgräfteten Wohngebäudes auf dem Gut Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) und dessen Nutzung als Sommerhaus hat Fred Kaspar auf der Grundlage eines einzigartigen archivalischen Quellenbestandes minuti- ös nachzeichnen können. In einem weiteren Beitrag von Fred Kaspar über „Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen" konnte anhand vieler konkreter Beispiele aus dem Münsterland die Nutzung großer, möglichweise umgräfteter und vielfach aus Stein errichteter, in der Regel als Borg bezeichneter Speicher als Sommerhaus von Münsteranern seit dem Spätmittelalter nachgewiesen werden. Hingegen schließt Carolin Sophie Prinzhorn in ihrem Beitrag über die Steinspeicher in Stadt und Land Osnabrück, gerade diese Nutzung der ländlichen Speicher insbesondere aufgrund von Baubefunden aus, auch wenn sicherlich die in der Regel dort vorhandenen, aber ungenutzten Kamine nicht gegen eine geplante Nutzung als Sommerwohnung sprechen. Die im Umkreis der Stadt Osnabrück auf dem Land vorhandenen Steinspeicher werden in Gestalt, Geschichte und Hinweisen zur Nutzung vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren erhellten Geschich- te des großen Bestandes von Steinwerken des Hochmittelalters in der Stadt Osnabrück analysiert. Im Ergebnis will Prinzhorn die bemerkenswerten städtischen Steinwerke des 13. Jahrhunderts als Zeugnis gesellschaftlicher Entwicklungen in der zu dieser Zeit noch nicht durch Befestigung gesicherten Stadt sehen, wobei deren Bauherren zwischen Bürgertum und Adel standen. Die ländlichen Steinwerke seien hingegen erst mehrere Jahrhunderte später zum Schutz der Bauern entstanden und spiegeln insbesondere in ihrer Form die alten Vorbilder. Vergleichbar differenziert, vielfältig, aber auch verwirrend sind die Ergebnisse, die bislang zur Bedeutung von Torhäusern auf umgräfteten ländlichen Anwesen vorgelegt wurden. Auch sie hatten offensichtlich viel- Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land fach besser ausgestattete und (auch) zum Bewohnen geeignete Räume, wobei für deren Bewohner schon verschiedene Interpretationen vorliegen.119 Hierzu gab nen blieben. Sie bewohnten auf kleineren Gütern in der Regel Räume am Ende des Hauptgebäudes und führten demnach ein den Bauern vergleichbares Le- Beiträge, sodass auf diese Bauform und ihre Nutzung in diesem Rahmen nicht weiter eingegangen werden Ein wichtiges Ergebnis dieser beschriebenen Beobach- es auf der hier dokumentierten Tagung keine soll.120 Bauliche Realität jenseits von Längsdielenhaus und Herrenhaus, von Bauer und Adel Schon seit dem 16. Jahrhundert wurden über den Impuls zur Professionalisierung der Landwirtschaft hinaus insbesondere die adeligen Güter zur Ertragsund damit Gewinnsteigerung zunehmend als agrarische Produktionsbetriebe um- und ausgestaltet.121 Ausdruck hiervon dürfte die große Zahl von Neubauten der als Bauhäuser bezeichneten Wirtschaftsgebäude sein, die zwischen der Mitte des 16. Jahr- hunderts und dem frühen 17. Jahrhundert in der Form von großformatigen Längsdielenhäusern errichtet wurden. Diese Betriebe wurden offensichtlich vor- bildgebend für die bürgerlichen Landgüter, aber auch für die größeren Höfe der Bauern. Als eindringliches Beispiel des Aufbaus eines solchen Betriebes von einer aus dem aufgestiegenen und später nobilitierten Bürgertum kann das in den Jahren um 1600 aus einem älteren Hof neu ausgebaute Gut Haus Brückhausen bei Everswinkel (Kr. Warendorf) gelten. Es wurde von Caspar Höfflinger, seit 1591 Landrentmeister des Bistums Münster, angelegt und mit neuen Bauten versehen. Die besondere imposante Gestalt des 1601 fertig gestellten Herrenhauses - das im Erdgeschoss als Sommerhaus der in Münster lebenden Familie dienen sollte - geht insbesondere darauf zurück, dass der Bau vor allem als riesiges Kornlagerhaus diente, die Erträge des Gutes also als Spekulationsgut dem Markt zugeführt werden sollten. Die weitläufigen Lagerböden sind einschließlich der gesamten weiteren Einrichtung noch erhalten, ebenfalls das wenige Jahre später 1605 (d) neben diesem Neubau errichtete große Bauhaus zur Viehhaltung aus Fachwerk. Das Gut scheint zu dieser Zeit von einem Rentmeister geführt worden zu sein; wo er lebte, ist allerdings nicht bekannt. Im Unterschied zu den Rentmeistern mussten Pächter auf ihre eigene Rechnung Überschüsse und damit Umsätze produzieren, um die den Hofbesitzern inte- ressierende und in der Regel unabhängig vom konkre- ten jährlichen Ertrag festgesetzte Pacht zu erwirtschaften. In der Regel wurden ihnen die Güter auf längere Zeit verpachtet, damit ihnen ein konzeptvolles Wirtschaften auf den Höfen möglich war. Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert sind vielfach Pachtver- träge mit einer Laufzeit über 12 Jahre nachweisbar.122 Die Pächter nahmen in der Regel bei ihrer Übernahme des Hofes dessen Namen an, zumal sie bei erfolgrei- chem Wirtschaften dort oft über mehrere Generatio- ben. tungen ist, dass es schon spätestens seit dem Spätmittelalter eine besondere Personengruppe gab, die sich auf die Pachtung solcher Gutshöfe spezialisiert hatte. Es war eine kleine, aber professionell arbeitende Schicht von Landwirten, die vergleichbar professionell arbeiteten wie die Rentmeister, Amtmänner, Hof- meister oder Conduktoren, die die Hof- und Wirt- schaftsbetriebe der Güter, adeligen Anwesen und die Landwirtschaften der Klöster auf eigene oder fremde Rechnung führten. Diese professionellen Landwirte dürften ebenso wie die schon in den Blick der Forschung geratenen Lehrer und Pfarrer123 zu den entscheidenden und innovativen, kulturtragenden Gesellschaftsschichten auf dem Lande gehört haben. Für viele Entwicklungen in der Landwirtschaft dürfte es erhellend sein, diese zwischen Stadt und Land lebende Gruppe näher zu betrachten. Ebenso wie es bisher schon insbesondere für die Schulhäuser124 und die Pfarrhäuser125 diskutiert worden ist, dürften sich hierbei auch die Wohnungen und Betriebe der Pächter und Rentmeister als eine für die Landwirtschaft und die ländliche Wohnkultur prägende Kraft erweisen. Auf dem Lande gab es nicht nur den Bauernhof und den Adelssitz. Selbst in einer ständisch gebundenen Gesellschaft war jenseits rechtlicher Strukturen die Realität der bestehenden Lebens- und Wirtschaftsformen vielfältig und von Zwischenformen geprägt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Hausforschung intensiv darum bemüht, die bäuerliche Welt differen- zierter zu sehen, was auch das Bild des Bauernhauses stetig vielfältiger werden ließ. Die Forschung zur „Herrenarchitektur" hat sich allerdings bislang nicht in der gleichen Weise weiterentwickelt. Noch immerwie es etwa Sonja Michaels beispielhaft in ihrem Beitrag herausgearbeitet hat - sind die kleinen Häuser des niederen Adels kaum in den Blick genommen. Die in diesem Band zusammengestellten Beiträge gehen insbesondere der Frage nach, welche weitere Formen von Wirtschaftsbetrieben und Wohnanlagen es auf dem Lande neben den bislang durch die Forschung fokussierten „Typen" Bauernhof und Adelsgut gab und welche charakteristischen baulichen Zeugnisse hiervon erhalten sind. Eine besondere Perspektive legen viele Beiträge auf die Architektur, die Städter auf dem Lande errichteten. Zunächst ist hier auf die Sommer- und Landhäuser der städtischen Oberschicht hinzuweisen. Schon 1982 stellte Meckseper zu solchen städtischen Sommerhäusern auf dem Lande fest: „Der ganze Themenkreis bedürfe über die wenigen ortsmonogra- 31 32 Einleitung Der ehemalige Schulzenhof Affhüppe östlich vor der Stadt Warendorf kam durch Heirat der Erbin um 1850 an den Kaufmann Anton Scheffer-Boichorst. Da das Ehepaar in der Stadt Warendorf lebte, ließ es um 1860 an Stelle des alten Bauernhauses einen eingeschossigen Backsteinbau errichten, den es als Sommerwohnhaus nutzte. 1900/02 wurde das kleine Haus als dau- ernder Wohnsitz seines Schwiegersohnes Landrat Maximilian Gerbaulet wesentlich erweitert (Foto Arnulf Brückner 2000). phischen Darstellungen hinaus einer zusammenfassenden Bearbeitung."126 In den seitdem verflossenen 30 Jahren ist allerdings keine grundlegend neue Literatur zu dem Thema erschienen. Durch die Zentrierung des Blicks der Forschung auf entsprechende Bauten ergeben sich allerdings nun hier viele neue Impulse für weitere Fragestellungen. Hier ist insbesondere an landwirtschaftliche Betriebe in der Hand städ- schaft und-städtische Kultur gemeinhin als kaum ver- einbar gesehen wurden und werden und in der Hausforschung vor allem unter dem heute als überholt geltenden Thema der Ackerbürgerstadt und des „Ackerbürgerhauses" in den Blick geriet. Solange der Blick der in der Stadt lebenden Forscher auf das Land sich vor allem auf den polaren Blick „Bauer oder Adel" beschränkte, musste auch versucht werden, die tischer Bevölkerungskreise zu denken. Auch zu diesen von den hier angesprochenen Themen zeugenden keine systematischen Forschungen vor,127 nicht Adelssitz zuzuordnen, um den bisherigen Forschungs- besonderen Stadt-Land-Beziehungen lagen bislang zuletzt, da in Nordwestdeutschland bislang die Wohnund Lebensverhältnisse des landsässigen Adels im Mittelpunkt standen. Dies betraf insbesondere ihre Häuser in den Städten,128 während erst im letzten Jahrzehnt die Perspektive wechselte und das Leben des Adels auf seinen Landsitzen wieder verstärkt in den Blick geriet.129 Die bislang bekannten Belege für Landhäuser anderer städtischer Sozialgruppen sind daher eher zufällige Beispiele, dokumentieren aber die breite Nutzung ähnlicher und in langer Tradition entwickelter Regelungen. Die Perspektive eines Stadt-Land-Bezuges litt auch darunter, dass in einer langen Tradition Landwirt- Bauten einer der beiden „Pole" Bauernhof bzw. thesen zu entsprechen. Während sich die Kunstge- schichte lange Zeit vor allem für Schlösser und Herrenhäuser interessierte, hatte die volkskundliche Hausforschung vorrangig die Bauernhäuser im Blick und in den letzten Jahrzehnten vor allem das Bürgerhaus. So wurden z. B. auch „herrschaftliche Hallenhäuser" lange Zeit nicht oder nur kaum wahrgenommen. Eine weitere seit Langem geübte Traditionslinie der Forschung verfolgte allerdings eine hiervon ganz abweichende Perspektive: Ausgehend von der Kulturkritik der Zeit um 1900 und der wachsenden Bestrebungen der landschaftlichen Heimatpflege Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land wurde hier versucht, das Leben der Bauern in den Mittelpunkt der Kulturgeschichte zu stellen. Insbe- sondere die in volkskundliche Fragestellungen eingebundene Hausforschung sollte zu einem starken Protagonisten dieser noch bis vor einer Generation sehr lebendigen Forschungsrichtung werden. Allerdings blieben diese beiden Fragestellungen gegensätzlich. Je nachdem, aus welcher Perspektive heraus gearbeitet wurde, galten die Ergebnisse der anderen als nicht zutreffend. Seit 1912 wurde ausgehend von der These, dass das „Hallenhaus" für alle Schichten auf dem Lande in Nordwestdeutschland prägend gewesen sei, auch von einem „gesteigerten Bauernhaus" gespro- chen. Lindner verstand hierunter Häuser wie das schon anfangs besprochene „Haus Rüschhaus", also Hallenhäuser, die sich durch eine besonders aufwän- dige Ausgestaltung auszeichneten und sich in der Hand der adeligen oder bürgerlichen Oberschicht befanden.130 Allerdings verneinte Mummenhoff 1961 in einem bis heute grundlegenden Überblick über die westfälischen Adelssitze die These, dass diese in der Form von Bauernhöfen errichtet worden seien, sah aber in den Bauhäusern der kleinen Burgen und Schlösser eine Übernahme des Bauernhauses.131 Roswitha Poppe stellte „das Vierständerhallenhaus" des 16. Jahrhunderts auf Gut Sondermühlen bei Melle (Kr. Osnabrück) nach 1970 in den Mittelpunkt mehrerer Publikationen und prägte hierbei mit ihren weitgehenden Vermutungen zur Funktion und Bedeutung des Gebäudes die weitere Forschung nachhaltig, zumal sie versuchte, die Thematik mit aktuellen ge- sellschaftlichen Fragestellungen zu verbinden.132Trotz' ihrer aus heutiger Sicht sozialromantischen Thesen blieb sie bis heute ohne kritischen Widerspruch:133 „In dem alten Herrenhaus auf Sondermühlen blieb ein Bau erhalten, der für uns, am Zusammenleben der verschiedenen Gesellschaftsschichten so interessierte Menschen, sehr aufschlussreich ist. In der Wasserburg Sondermühlen haben der Patron, seine Familie, das Gesinde und das Vieh unter einem großen, bergenden Dach zusammengelebt. Erst im aufkommenden Absolutismus [...] wurde die alte patriarchalische Ordnung aufgelöst."134 Poppe versuchte, auch bislang geltende, insbesondere auf den Münsteraner Hausforscher Josef Schepers zurückgehende Thesen zu revidieren. Dies geschah allerdings, in dem sie selber neue Thesen aufstellte: „Die Vorstellung, dass das Bauernhaus seine Anregung von den kleinen Ackerbürgerstädten der Oberweser direkt übernahm, wird dann etwas fragwürdig. Die frühe Entwicklung des Fachwerkkammerfaches hinter dem Flett im Osnabrücker Raum macht die gebende Rolle der bäuerlichen Adelshöfe nach Kenntnis von Alt-Sondermühlen besonders naheliegend."135 Stefan Baumeier stellte 1988 weitere solcher Hallenhäuser in einer breiter angelegten Untersuchung in den Mittelpunkt und bezeichnete die von ihm festgestellte Bauform als „Hallenhäuser der Beamtenaristo- kratie."136 Mit diesem Begriff prägte er die weitere Forschung bis heute nachhaltig, wobei sich mit dieser griffigen Formulierung der Bautyp des Hallenhauses so eng mit einer Sozialgruppe verband, dass es fortan nicht mehr fraglich schien, dass diese Beamten nicht nur Besitzer, sondern auch Bewohner der Häuser waren. So wurde seine Beschreibung entsprechender Bauten in der folgenden Rezeption bald zu einem eigenen Bautyp, dessen Existenz im historischen Baubestand nicht mehr verifiziert oder bewiesen wer- Haus Scheventorf bei Bad Iburg (Lkr. Osnabrück) wurde als kleiner umgräfteter Herrensitz in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- hunderts baulich erneuert. Seit 1664 gehörte das Gut zur Ökonomie des bischöflichen Schlosses Iburg, sodass das Gut fort- an nur noch von Pächtern oder Verwaltern bewohnt und kaum noch modernisiert worden ist (Foto Fred Kaspar 2011). 33 34 Einleitung den musste, sondern zur Grundlage weiterer Analy- sen wurde.'37 Baumeier ging von der These aus, dass Hallenhäuser bis in die frühe Neuzeit eine schichten- übergreifende Bauform gewesen seien, wobei nach ihm das Haus des Bauern wohl letztlich als Mitte der Entwicklung zu sehen sei: „Ein beachtlicher Teil des kleinen westfälischen Dienstadels bewohnte noch im 16. und 17. Jahrhundert, wahrscheinlich auch im 18. Jahrhundert, auf dem Lande Häuser, die sich von denen der Großbauern wie Schulte und Meier äußerlich nur unwesentlich unterschieden. Manches noch vorhandene sogenannte Bauhaus, manches großzügige Bauernhaus auf der Stelle eines Festen Hauses wird heute als Wirtschaftsgebäude der Burg oder Nachfolgebau des Herrensitzes interpretiert, dürfte in Wahr- heit aber das ursprüngliche Herrenhaus gewesen sein."138 Diese Thesen wurden allerdings nicht von allen geteilt: Andreas Eiynck beschäftigte sich im gleichen Jahr wie Baumeier mit der Frage, in welchem Maße Verbindungen der Lebensformen zwischen den ver- schiedenen auf dem Lande lebenden Schichten bestanden, kam hierbei aber zu dem Schluss, dass die Bauten auf den landwirtschaftlichen Betrieben der ten, sondern als durch Adelige oder andere „Herren" bewohnt zu begreifen, blieb allerdings ebenso wie in der Literatur zum Thema auch in den einzelnen Beiträgen dieses Bandes weitgehend außerhalb der Diskussion. Bislang kann kaum eines der in den Beiträgen dokumentierten Beispiele solcher „herrschaftlichen Hallenhäuser" eindeutig als eine dauerhafte herrschaftliche oder adelige Hauptwohnung belegt werden.144 Der Nachweis, dass ein Bau sich in herr- schaftlichem Besitz befand, dürfte hierzu ebenso wenig ausreichend sein wie der Nachweis, dass das Hallenhaus zeitweilig oder unter bestimmten Bedingungen auch von der Herrschaft bewohnt worden ist. Ebenso wenig ausreichend ist der Nachweis, dass die Herrschaft auf dem entsprechenden Hof lebte, denn hier gab es in der Regel verschiedene bewohnbare Gebäude. Es wird deutlich, dass die damit in den Blick genom- menen Phänomene baulich, sozial und funktional weitaus komplexer sind, als bislang angenommen und eigener Betrachtungen wert sind. Den Blick der Forschung schärfend dürfte es sein, den Begriff des Hallenhauses stärker vom Wirtschaftsteil her zu sehen bäuerlichen Oberschicht und des Kleinadels deutlich erkennbare Unterschiede aufwiesen, insbesondere da in einem Adelshaus Stallteile grundsätzlich nicht vorhanden gewesen seien.139 Als Verbindung dieser Thesen versucht Sonja Michels in ihrem hier vorgelegten Beitrag, den Bautyp eines „herrschaftlichen Hal- und die Möglichkeiten des Wohnens als einen vielfältig differenzierten und zusätzlich angefügten Bauteil In weiterer Auseinandersetzung mit diesen Fragen Nebenwohnung ist. Die damit aufgeworfenen Fragen lenhauses ohne Stallteil" zu definieren.140 versuchte Helmut Ottenjann 2004 die Perspektive auf diesen „Bautyp" wieder in den Blickwinkel von Roswitha Poppe zu rücken. Er schlug vor, die Lebensformen des Adels in den Mittelpunkt weiterer Betrachtungen zu stellen und vertrat nun die These, die großen bäuerlichen Hallenhäuser des Spätmittelalters seien eine Übernahme von Bauformen aus der Lebenswelt des niederen Adels. Hintergrund dieser Thesen war seine Beobachtung, dass sich Wohnen und Wirtschaften beider gesellschaftlicher Gruppen noch bis um 1600 in vergleichbaren Hausformen abgespielt hätten.141 Diesen Überlegungen folgte 2008 Hermann Kaiser,142 allerdings mit Relativierung bisheriger Thesen, in dem er ausführt: „Die Notwendigkeit des Bewohnens des ehemaligen Bauernhauses beschränkte sich mithin wohl weitgehend auf das Ziel, das steuerlich belastete Bauerngut zum steuerfreien Adelssitz umgewandelt zu bekommen. Ein solcher Adelssitz aber konnte dann innerhalb des Familienvermögens eines Geschlechtes u. a. auch als Leibzucht dienen, als Sitz einer Witwe oder eines alleinstehenden Familienmitgliedes .,."143 Ob es zutreffend ist, einen Teil der überlieferten Längsdielenhäuser nicht nur als Besitz hoher Schich- zu begreifen. Es sollte daher - um auf das zentrale Thema der Tagung zurückzukommen - vom Längsdie- lenhaus ohne oder mit Wohnung gesprochen wer- den, wobei eine der vielen Möglichkeiten das Längsdielenhaus mit herrschaftlicher Haupt- oder sind nur zu beantworten bei eingehender Klärung verschiedener auf die Ausgestaltung des Hauses einwirkender Umstände. Notwendig ist die Klärung: 1. der gesamten zur Bauzeit eines Längsdielenhauses vorhandenen Bausubstanz auf dem Anwesen; 2. der Frage nach der Anzahl der gesamten Wohnungen und Wohnbereiche im Hauptgebäude (Längsdielenhaus) bzw. in dem Wirtschaftsbetrieb; 3. möglichst aller dem Bauherren zur Bauzeit zur Verfügung stehenden Wohnmöglichkeiten. D. h., besaß dieser mehrere Wirtschaftseinheiten und welche Funktionen hatten diese, z. B. als Altenteil, NebenwohnsitzA/orwerk, Pachtgut, Versorgung von Geschwistern. Im Laufe der Zeit kann sich das Gewicht zwischen den unterschiedlichen Wohnbereichen auch kontinuierlich wieder verändert haben. Darüber hinaus konnte der Besitzer auch über weitere Nutzungs- ansprüche an Bauten verfügen, die z. B. mit einem ausgeübten Amt oder einer übernommenen Funktion Zusammenhängen (etwa als Droste, Vogt, Richter oder Verwalter); welche und wie viele Sozialeinheiten waren zu einer bestimmten Zeit auf dem Wirtschafts- betrieb unterzubringen? Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land Anmerkungen im Herzogtum Bremen. Stade 1938; Ritterschaft im Herzog- 1 Von lateinisch dominium („Herrschaftsbereich"). Der Be- tum Bremen (Hg.), Die Güter der Ritterschaft im Herzogtum griff setzte sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts durch und Bremen. Stade 2001; Ingeborg Leister, Rittersitz und adeliges ersetzte die älteren, in verschiedenen Regionen weiterhin ge- Gut in Holstein und Schleswig. Remagen 1952; Deert nutzten Bezeichnungen Vorwerk oder Meierei. In anderen Landschaften wurden solche Betriebe auch als Kammergut Petersberg 2014. bezeichnet, da ihre Erträge in den Haushalt der Landesver- 7 Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich Stiewe, Adelsgüter waltung flössen. In Preußen bestand diese begriffliche Unter- kel „Domäne" im Lexikon des Mittelalters, Band 3. München und Domänen in Lippe. Anmerkungen zu einem brachliegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen 73. Detmold 2004, S. 13-107. 1986, Spalte 1175. 8 1969 hatte Joachim Hähnel vorgeschlagen, den seit Lan- 2 Einen Forschungsüberblick geben folgende Publikationen: Der Sammelband von Heinrich Kaak und Martina Schatt- gem gebräuchlichen Begriff der „Gefügeforschung" in die drei zu unterscheidenden Betrachtungsebenen Baugefüge, kowsky (Hg.), Herrschaftliche Machtentfaltung über adligen Raumgefüge und Funktionsgefüge zu differenzieren. Darauf scheidung allerdings nicht. Zur Begriffsgeschichte siehe Arti- Lafreuz, Gutshöfe und Herrenhäuser in Schleswig-Holstein. und fürstlichen Grundbesitz in der Frühen Neuzeit. Köln aufbauend schlug Konrad Bedal 1976 vor, in Abgrenzung 2003; Kurt Andermann, Adelige Landwirtschaft in der frü- zur bisherigen Gefügeforschung den Begriff „Gefüge" durch den allgemeineren der „Struktur" zu ersetzen und hen Neuzeit - Zur Bedeutung des Eigenbaus beim ritterschaftlichen Adel, in: Kurt Andermann und Sönke Lorenz (Hg.), Zwischen Stagnation und Innovation. Landsässiger Adel und Reichsritterschaft im 17. und 18. Jahrhundert. führte zugleich als vierte Betrachtungsebene die der Sozialstruktur ein. Es werden Bau-, Raum-, Funktions- und Sozial- Ostfildern 2005, S. 57-71. struktur eines Hauses unterschieden. Diese Betrachtungsebenen bilden nach Bedal keine Hierarchie, sondern bedin- 3 Für den niedersächsischen Raum wird der Forschungsstand gen und beeinflussen sich in jeder Richtung gegenseitig. Da zusammengefasst bei Susanne Rappe-Weber, Neuerungen in sich dieses Beschreibungs-Modell als tragfähig erwies und der Gutswirtschaft um 1700. Zwei niedersächsische Ritter- zur klareren Darstellung untersuchter Bauten beitrug, galt es güter im Vergleich, in: Jochen Ebert/Cindy Baierl/Ilke Marschall (Hg.), Landwirtschaftliche Großbetriebe und Landschaft im Wandel. Bielefeld 2005, S. 104-119. Für den hes- wie bei jeder Arbeit, die sich der „historischen Hausfor- sischen Raum wird der Forschungsstand zusammengefasst thodischen Einleitung vorangestellt, doch kaum mehr weiter bei Jochen Ebert, Frankenhausen im regionalen Wirtschafts- und Sozialgefüge, in: Ebert/Baierl/Marschall 2005 (wie zuvor), S. 19-49. 4 Wolfgang Rüther, Hausbau zwischen Landes- und Wirtschaftsgeschichte. Die Bauernhäuser der Krummhörn vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. (Diss.) Münster 1999. 5 Nicht selten lässt sich vor diesem Hintergrund in der ortsgeschichtlichen Literatur der hier betrachteten Landschaften eine eklatante Missachtung der Güter und adeligen Wirtschaften beobachten. Dort wird dann der Eindruck erweckt, die dörfliche Wirtschaft sei „eigentlich" nur von den Bauern getragen worden, obwohl sich vielfach weniger als 50 % der bewirtschafteten Flächen in ihrer Hand befunden hatten. schnell als allgemein verbindlich und wird bis heute so gut schung" verpflichtet fühlt, fast gebetsmühlenartig jeder me- auf seine Tragfähigkeit hin befragt bzw. vor dem Hintergrund der in den letzten zwei Jahrzehnten immensen neuen Forschungsergebnisse nach Notwendigkeit einer Modifika- tion gefragt. Das Modell wurde später durch verschiedene Forschungsansätze, die über das einzelne Bauwerk hinausse- hen, um die zusätzliche Betrachtungsebene der Hausstätte weiterentwickelt. Vgl. Konrad Bedal, Gefüge und StrukturZu Standort und Arbeitsweise volkskundlicher Hausfor- schung, in: Zeitschrift für Volkskunde 72. Münster - Bonn 1976, 161-176; Joachim Hähnel, Zur Methodik der haus- kundlichen Gefügeforschung, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 16. Münster - Bonn 1969, 51-69; Fred Kaspar, Hausforschung im Kontext. Gefüge und Struk- 6 Hierzu liegen mehrere jeweils eine historische Landschaft erfassende Studien vor, die nicht selten auch Hinweise auf tur jenseits des Bauwerks, in: Kilian Kreilinger/Georg Walde- die auf den Gütern stehenden Bauten erhalten. Zu nennen Bedal zum 60. Geburtstag). Petersberg 2004, S. 73-85. insbesondere Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Emslandes. Münster 1962; Friedrich Ernst Hunsche, Rittersitze, adelige Häuser, Familien und Vasallen der ehemaligen Obergraf- schaft Lingen, Amt Bevergern und weitere Tecklenburger Lehensträger. 2 Bände. Tecklenburg 1988 und 1989; Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück. Os- nabrück 1930; Gustav Stölting/Börries von Münchhausen, Die Rittergüter der Fürstentümer Calenberg, Göttingen und Grubenhagen. Osnabrück 1912. - Victor Jürgen von der Osten, Die Rittergüter der Calenberg-Grubenhagenschen Landschaft. Hannover 1966; Thorsten Neubert-Preine, Die Rittergüter der Hoya-Diepholz'schen Landschaft. Nienburg 2006; Arthur von Düring, Ehemalige und jetzige Adelssitze mer (Hg.), Alles unter einem Dach (= Festschrift für Konrad 9 Gertrud Angermann, Der Oberst Georg von Holle 15141576. Ein Beitrag zur Geschichte des 16. Jahrhunderts (= Mindener Beiträge 12). Minden 1966, hier insbesondere das Kapitel zu Besitz, Bauten und Lebensverhältnissen S. 225-248. Er besaß zu Eigen als Hauptwohnsitz das Haus Himmelreich bei Minden, daneben aber auch das Haus Marek bei Tecklenburg (beide Bauten ließ er neu errichten) und den elterlichen Burgmannshof zu Lübbecke. Zu Pfand hatte er das Amt Grohnde an der Weser, dessen Herrenhaus er ebenfalls erweiterte und das später durch das Amt Forst abgelöst wurde. 1566 bis 1575 hatte er auch das Tecklenburger Lehen Haus Velpe. Zu den verschiedenen Herrenhäusern gehörten jeweils auch Stadthäuser, unter 35 36 Einleitung anderem in Osnabrück und Minden, die ebenfalls für ihn 1954, S. 26. und sein Umfeld eingerichtet bereitstanden. 10 Irmintraut Richarz, Herrschaftliche Haushalte in vorindus- 22 Elisabeth Korn, Woher stammte Johann Conrad trieller Zeit im Weserraum. Berlin 1971, hier S. 25-45, 65-85 (= Schlaunstudie I). Münster 1973, S. 278-300, S. 294. und 100-103. 23 Wilfried Hansmann, Die Wohnhäuser Johann Conrad 11 Er hat sich hierbei aber auch skeptisch zu der These geäu- Schlauns, in: Klaus Bußmann (u.a.), Johann Conrad Schlaun ßert, dass diese Vierständerbauten zu herrschaftlichem 1695-1773. Stuttgart 1995, S. 501-516, hier S. 510. Wohnen genutzt worden seien. Darauf wurde allerdings 24 Werner Hager, Schlaun, Versuch eines Umrisses, in: Bußmann 1973 (wie Anm. 22), S. 13-44, hier S. 40. Dieser Überlegung folgte auch Hansmann 1995 (wie Anm. 23), S. später nicht mehr geachtet. Werner Lindner, Die bäuerliche Wohnkultur in der Provinz Westfalen und ihren nördlichen Schlaun?, in: Klaus Bußmann (Hg.), Johann Conrad Schlaun Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Bauernstandes. 510 und Holger Schulten, Haus Rüschhaus, in: Bußmann 1995 (wie Anm. 23), S. 517-522, hier S. 520. Berlin 1912, S. 635-840, hier S. 780-795 sowie Abb. 327 f. 25 Bußmann 1993 (wie Anm. 18), S. 495. 12 Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmale des Kreises 26 Schulten 1995 (wie Anm. 24), S. 517. Münster-Land. Münster 1897, S. 121 und 123 sowie Tafel 27 Schulten 1995 (wie Anm. 24), S. 520-521. 75. 28 Dies wohl nur deswegen, weil er zu dieser Zeit in der 13 Joseph Vaders, Haus Rüschhaus und Haus Hülshoff bei Stadt lebte (Michels 2010 [wie Anm. 19], S. 63 und 64). Münster, in: Niedersachsen. Illustrierte Halbmonatsschrift für 29 S. hierzu die Beschreibung seines Elternhauses bei Korn Geschichte, Landes- und Volkskunde, Sprache, Kunst und 1973 (wie Anm. 22), hier insbesondere S. 280-290. Schon S. Literatur Niedersachsens, Band V. Bremen 1900, S. 165-167, 294 wurde von ihr angedeutet, dass Schlaun beim Neubau hier S. 165. Professor Dr. Joseph Vaders gehörte zu den Begründern des Baumberge-Vereins e. V. von 1896 (einem von Haus Rüschhaus auch durch die Erfahrung seines Grenzgebieten, in: Engelbert von Kerckerinck zur Borg (Hg.), Elternhauses Anregungen gefunden haben könnte. touristischenWanderverein), dem er von 1898 bis 1931 auch 30 Insbesondere ist hier auf die Beiträge von Axel Böcker vorstand. u. a. zum Haus Westerhaus, Fred Kaspar zu Bauernhöfen mit 14 Willi Peßler, Das altsächsische Bauernhaus in seiner geo- Zweit- und Drittwohnungen sowie zur „Borg" auf dem Hof Lütke Rumphorst und dem Haus Lohfeld sowie auf den graphischen Verbreitung. Braunschweig 1906, S. 89. 15 Heinrich Hartmann, Johann Conrad Schlaun. Münster Beitrag von Fred Kaspar und Peter Barthold zum Haus Milte 1909. zu verweisen. 16 Heinrich Hartmann, Johann Conrad Schlaun. Ein Beitrag zur Geschichte der westfälischen Architektur des 18. Jahr- 31 Hans Heinrich Müller, Domänen und Domänenpächter in hunderts. Münster 1910, S. 55-58, hier S. 56 und 58. Wirtschaftsgeschichte IV, 1965, S. 152-161, hier S. 152. Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für 17 Lindner 1912 (wie Anm. 11), S. 780. Er hatte hierzu eine 32 Hans-Heinrich Müller, Domänenpächter im 19. Jahrhun- detaillierte Bauaufnahme durch den bedeutenden in dert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1989, S. 123- Münster ansässigen Architekten Alfred Hensen (1869-1931) 130. erstellen lassen. Vgl. Karl Eugen Mummenhoff, Bemerkungen zu Bauten Alfred Hensens in Münster, in: Westfalen 56. 33 S. hierzu für das Fürstbistum Osnabrück den Beitrag von Nicolas Rügge, für das nördliche Niedersachsen die Beiträge Münster 1978, S. 193-212; Otto Sarrazin, Regierungsbau- von Dörfler und Riepshoff, für Westfalen den Beitrag von Münster 1978, S. 189-192. 18 Klaus Bußmann, Architektur der Neuzeit, in: Franz-Josef 34 Rügge stellt fest, dass im Bistum Osnabrück etwa 30 % meister Alfred Hensen (1869-1931), in: Westfalen 56. Fred Kaspar und für Lippe den Beitrag von Heinrich Stiewe. Jacobi (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Band III. Münster der Güter Neugründungen des 16. Jahrhunderts seien, die entweder durch den Adel als Rittersitze oder aber durch 1993, S. 463-522, hier S. 494-496. Bürger angelegt wurden. 19 Hubertus Michels, Hallenhaus goes baroque. Johann Conrad Schlaun und das Rüschhaus bei Münster, in: Jan beiträgen behandelten Beispielen: Um 1550 Gut Dahlhausen Carstensen (Hg.), Menschen - Ideen - Migrationen. Neue Blicke auf Baukultur im Rheinland und in Westfalen - Lippe. Essen 2010, S. 62-73. 20 Dies sei der Fall, da Schlaun hier „zwei Gedanken in genialer Weise in die Wirklichkeit umgesetzt habe: Erstens die Verbindung eines bäuerlichen Bedürfnissen entsprechenden Hauses mit einer auch städtischen Ansprüchen entspre- chenden Wohnung, zweitens die Durchdringung der bäuer- lichen Bauart des Niedersachsenhauses mit barocken Stilelementen" (Karl Schulte-Kemminghausen, Haus Rüsch- haus, in: Westfalen Bd. 21. Münster 1936, S. 200 ff., hier S. 200 f.). 21 Theodor Rensing, Johann Conrad Schlaun. München 35 Belegt ist der Zeitpunkt bei folgenden in den Einzel- bei Leopoldshöhe (Beitrag Stiewe); vor 1563 Duxscher Freihof in Minden-Aminghausen (Beitrag Barthold); um 1560 Gut Mulmshorn südlich von Bremen (Beitrag Dörfler); 1570 der Freihof Kriete in Porta Westfalica-Lohfeld (Beitrag Barthold), vor 1576 der Cammerhof in Bückeburg-Cammer (Beitrag Barthold); 1579 das Wentrupsche Hofgut in HilleRothenuffeln (Beitrag Barthold); um 1583 der Freihof Bark- hausen in Minden-Aminghausen (Beitrag Barthold); um 1590 Gut Haus Milte bei Telgte (Beitrag Kaspar); um 1590 Gut Haus Westerhaus bei Rinkeorde (Beitrag Böcker u. a.); 1626 der Freihof in Hille-Eickhorst (Beitrag Barthoid); um 1640 Gut Bockei südlich von Bremen (Beitrag Dörfler); um 1680 Gut Nachtigall bei Paderborn (Beitrag Kaspar); um Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land 1715 Gut Nassengrund bei Blomberg (Beitrag Stiewe); um Bernd Walter, Die Beamtenschaft in Münster zwischen stän- 1764 Gut Haus Werse bei Münster (Beitrag Kaspar/ discher und bürgerlicher Gesellschaft. Eine personenge- Barthold); 1778 Gut Tietzels Denkmal bei Minden (Beitrag schichtliche Studie zur staatlichen und kommunalen Barthold); um 1780 Gut Tönneburg bei Warendorf (Beitrag Beamtenschaft in Westfalen (1800-1859). Münster 1987. - Sandmann); um 1820 Gut Rodenbeck bei Minden (Beitrag van den Heuvel 1984 (wie Anm. 43); Thomas Klingebiel, Ein Barthold); 1827 Gut Kuhlenkamp bei Minden (Beitrag im Nordwesten Westfalens zu Beginn der Neuzeit. Münster Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel. Hannover 2002 (im Anhang einer Zusammenstellung aller Amtsträger der Zeit zwischen 1630 und 1806 1995, S. 79 f. mit ausführlichen Hinweisen auf ihre Lebensläufe und sozia- 37 Richarz 1971 (wie Anm. 10), S. 28 und 58-66. Sie behan- len Verflechtungen). delte insbesondere Statius von Münchhausen, der verschie- 46 Eine vollständige Liste der Wolbecker Amtsrentmeister ab Barthold); 1846 Gut Masch bei Minden (Beitrag Barthold). 36 Zur Geschichte der Gutsgründungen im Raum MindenRavensberg und Lippe auch Gertrud Angermann, Volksleben dene Güter und Schlösser erwarb und von dort einen schwunghaften Getreidehandel unterhielt, daneben aber auch Bergwerke im Harz und Verarbeitungsbetriebe wie einen Hochofen sowie Drahtrollen und Hämmer bei 1404 bei Wolf Lammers, Gutsherrschaft und Bauernbefreiung in Angelmodde. Münster 1999, S. 46. Ausführlicher teilweise bei Wilhelm Kohl, Bistum Münster, Die Diözese (= Germania Sacra, NF 37,4). Berlin 2004, S 263-266. Wernigerode betrieb. 1618 ging er mit seinem Imperium in 47 Thomas Kleinknecht, Die münstersche Stiftung Sieverdes Konkurs. von 1768, in: Franz-Josef Jacobi (u. a.) (Hg.), Stiftungen und 38 So geschah es etwa schon um 1780 mit Haus Wienburg Armenfürsorge in Münster vor 1800. Münster 1996, S. 338- oder ab etwa 1870 mit Haus Werse, beide am Rand der 399, hier S. 365-366 und Stammtafel im Umschlag.. Stadt Münster (Beiträge Kaspar/Barthold). Nach einer kurzen 48 Z. B. die über drei Generationen die Grafschaft Rietberg ersten Phase im späten 18. Jahrhundert folgten in der zwei- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Gut Tönneburg bei Warendorf (Beitrag Sandmann) und Gut Nachtigall bei führende Beamtenfamilie Reincking (Matthias Ester, Der gräflich-rietbergische Kammerrat und Rentmeister Ludwig Reinking [1744-1811]). Zur Sozialgeschichte der Beamten- Paderborn (Beitrag Kaspar). schaft in einem westfälischen Kleinstaat am Ende des Alten 39 Hier sind etwa zu nennen das Gut Vasbach bei Kirchhun- Reiches, in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung Bd. dem (Beitrag Pollmann), Gut Haus Werse bei Münster und 45. Münster 1987, S. 193-225). das Gut Haus Milte bei Telgte (Beiträge Kaspar/Barthold), fer- 49 Der Rentmeister Gerhard Zumbusch handelte über ner das Gut Lütke Rumphorst bei Telgte und das Gut Haus Jahrzehnte im Namen des Johann Heinrich von Ascheberg Lohfeld bei Warendorf (Beitrag Kaspar). auf dem Haus Ichterloh (Ascheberg, Kr. Coesfeld), hatte aber 40 Hier ist z. B. auf das 1780 aufgelöste Mulmshorn südlich auch die beiden Güter Dentrup und Brügge seiner Herrschaft von Bremen (Beitrag Dörfler), die Geschichte von Haus Wes- angepachtet und bewirtschaftete diese auf eigene Rechnung in Nebentätigkeit. Zeitweilig beschäftigte er auch terhaus (Beitrag Böcker u. a.) und das 1932 aufgelöste Gut Koppel (Beitrag Riepshoff) hinzuweisen. 41 Sie dürften aus dem Villicus bzw. Meier als Leiter des Herrenhofes hervorgegangen sein. Hierzu weiterführend: Leopold Schütte, Der Villicus im spätmittelalterlichen Westfalen, in: Hans Patze (Hg.), Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, Band 1. Sigmaringen 1983, S. 243-368. 42 Hiermit verbunden war daher auch der Hopfenbau, Mühlen und Mälzerei bzw. die Nutzung von großen Holzmengen als Brennmittel. 43 Christine van den Heuvel, Beamtenschaft und Territorialstaat. Behördenentwicklung und Sozialstruktur der Beamtenschaft im Hochstift Osnabrück 1550-1800. Osnabrück 1984, S. 228. 44 Rolle, Aufgabe und soziale Stellung der Rentmeister wurde bislang ausführlich nur für die Burg Dinklage der Familie von Galen untersucht. Vgl. Sonja Michaels, Leben auf einem Adelssitz im Niederstift Münster. Bauen, Wohnen, Arbeiten und Haushalten auf Burg Dinklage zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Cloppenburg 2008, S. 236-254f. 45 Clemens Steinbickler, Das Beamtentum in den geistigen Fürstentümern Nordwestdeutschlands im Zeitraum von 1430-1740, in: Günther Franz (Hg.), Beamtentum und Pfarrerstand 1400-1800. Limburg 1972, S. 121-148, hier 123 ff.; einen Schreiber als Mitarbeiter auf der Rentei (Peter Theißen, Ichterloh - Der Anfang vom Ende, in: Geschichtsblätter Kreis Coesfeld Bd. 13. Coesfeld 1988, S. 21-53, hier S. 28-29). 50 Eine solche Struktur bestand beispielsweise im 18. Jahr- hundert bei dem Familienverband von Spiegel, wobei der Oberrentmeister auf dem Gut Übelngönne bei Warburg lebte, während auf den Gütern in Bühne und Daseburg und an anderen Orten örtliche Rentmeister für die Verwaltung der grundherrlichen Einkünfte zuständig waren. Daneben gab es zudem auch noch Pächter als Betreiber der verschiedenen Gutsbetriebe. 51 Hierzu die instruktive Publikation eines Anstellungsvertrages für den Amtmann des Stiftes Langenhorst aus dem Jahre 1626 (Wilhelm Eiling, Zur Geschichte des Stiftes Lan- genhorst, Ochtrup 2012, S. 105-106) sowie die Liste aller dort nachweisbaren Amtmänner (ebd., S. 1-2). 52 Vgl. etwa Wilhelm Rave, Die Geschichte des westfälischen Geschlechtes Rave. Münster 1948; ders., Geschichte des westfälischen Geschlechtes Rave. Ergänzungsband. Münster 1958. Zu der weitverbreiteten Familie Harsewinckel, die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Amtsrentmeister zum Reckenberg in Wiedenbrück stellten, s. Franz Flaskamp, Florenz Karl-Joseph Harsewinckel in: A. Bömer/O. Leunen- 37 38 Einleitung schloß/J. Bauermann (Hg.), Westfälische Lebensbilder. Müns- ter 1934, S. 373-379. Zur Familie der Rentmeister, Juristen und Gelehrten aus der Familie Schücking s. Clemens Stein- Zur Geschichte der Meierei Biesterfeld, in: Lippische Mitteilungen 73. Detmold 2004, S. 173-186. Schumacher, die ab 1712 in Cloppenburg arbeiteten s. 57 Hierzu die Ausführungen über die Bedeutung der Konduktoren für die Entwicklung der Landwirtschaft in Lippe bei Linde/Rügge/Stiewe 2004 (wie Anm. 7), S. 46-50. 58 Bernd-Wilhelm Linnemeier, Die landesherrliche Domänenwirtschaft und die Amtshäuser des Fürstentums Minden. Kleinknecht 1996 (wie Anm. 47), hier S. 365. - Stammfolge Untersuchungen zu ihrer Struktur und äußeren Beschaffen- der Meyer zu Pavenstedt in: Beiträge zur westfälischen Fami- heit in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Mindener lienforschung 57/58. Münster 1999/2000, S. 596. - Wilhelm Mitteilungen, Bd. 64. Minden 1992 S. 49-80. Schulte, Die Geisbergs. Charakterköpfe aus einer Stromberger und Gelder Rentmeisterfamilie, in: Heimatkalender 1961 für den Kreis Beckum. Beckum 1961, S. 49-54 (das 59 Zur Entwicklung der Domänenpachtungen als Teil der Staatsökonomie zwischen dem frühen 18. Jahrhundert und umfangreiche Archiv der Familie Geisberg befindet sich inzwischen als Depositum in der Verwaltung vom Landes- 60 LA NW, Abt. Münster, Fürstbistum Paderborn, Hof- bicker, Die Ahnenbildersammlung L. Schückings in Sassen- berg, in: Westfalen 42. Münster 1964, S. 401 ff. Zu den Rentmeistern aus der aus Münster stammenden Familie 1945 vgl. Müller 1965 (wie Anm. 31). kammer, Akten 1935 und 1936 (im Bestand der Hofkammer archiv NW, Abt. Münster). - Josef Rohrbach, Eine Dringen- auch zahlreiche weitere Akten zu den einzelnen Pachtbe- berger Rentmeisterfamilie im 17. Jahrhundert, in: Heimatborn (= Beilage zum westfälischen Volksblatt) 16/1936, Nr. trieben). 3, S. 10ff.; Der Konduktor Leopold Westhoff und seine Konzepte und kleine Reste: Das sogenannte Schloss und die Familie, in: Roland Linde, Das Rittergut Gröpperhof. Münster Domäne Oesterholz, in: Heinz Wiemann (Hg.), Geschichte - Norderstedt 2005, S 173-183; Martin Rudolph, Die ihres Sippenkreises. Göttingen 1957. Zur Familie Corfey s. der Dörfer Schlangen, Kohlstädt, Oesterholz und Haustenbeck, Bd. II. Bielefeld 2011, S. 678-755, hier besonders S. 686-689. Gerd Dethlefs, Zwischen Reformation und Säkularisierung, 62 Joachim Lampe, Aristokratie, Hofadel und Staatpatriziat in: Hans Galen und Helmut Ottenjann (Hg.), Westfalen in Niedersachsen. Cloppenburg 1993, S. 47-84, hier S. 73. Zu den zahlreichen Mitgliedern der im Bistum Osnabrück tätigen Rentmeisterfamilie Schmidtmann s. van den Heuvel 1984 (wie Anm. 43), S. 231-233 (dort auch weitere Belege für die zu diesen Kreisen gehörenden Familien Schorlemer, in Kurhannover, Band 1. Göttingen 1963, hier insbesondere S. 330-340. Judenherzogs. Zur Geschichte einer Pyrmonter Familie und Corfey und Harsewinckel). 53 Vikare sind z. B. als Rentmeister der Familie von Merveldt in Wolbeck und Westerwinkel oder der Herren von der Recke zu Drensteinfurt belegt. Der Vikar Sundern war in der Mitte des 18. Jahrhunderts Rentmeister des Hauses Küchen bei 61 Exemplarisch hierzu Fred Kaspar/Peter Barthold, Große 63 In Herzogtum Schleswig verlief die Entwicklung im Detail anders: Nachdem man auch hier seit dem späten 17. Jahrhundert zur Verpachtung der Staatsdomänen übergegangen war, wurden diese „Vorwerke" ab 1761 nach und nach auf- gelöst und parzelliert (Carsten Parskrog Rasmussen, Domänenwirtschaft im Herzogtum Schleswig von 1530 bis 1770, in: Ebert/Baierl/Marschall 2005 [wie Anm. 3], S. 81103). 64 Während am Anfang des 18. Jahrhunderts nur 14% die- haft Michaels 2008 (wie Anm. 44), S. 242-254. ser etwa 190 Güter in bürgerlicher Hand waren, stieg ihr Anteil bis zum späten 18. Jahrhundert auf 34 %. Vgl. hierzu: Axel Flügel, Bürgerliche Rittergüter. Göttingen 2000, 54 Van den Heuvel 1984 (wie Anm. 43), S. 229. S. 107-119. 55 Hier sei auf die ausführlichen Untersuchungen zu der in 65 Flügel 2000 (wie Anm. 64), S. 144-150. Ahlen für die Herren von Mallinckrodt. Zur Rolle der Hausgeistlichen als Rentmeister der Familie von Galen s. beispiel- gewiesen: Bernd-Wilhelm Linnemeier, Beiträge zur Geschich- 66 Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung erster Ergebnisse einer augenblicklich laufenden baugeschichtlichen te von Flecken und Kirchspiel Schlüsselburg. Stolzenau 1986, Untersuchung des gesamten Gutes und seiner Geschichte S. 365-397 (Gut Neuhof); Bernd-Wilhelm Linnemeier, Das durch Fred Kaspar und Peter Barthold als Grundlage bei der der Landwirtschaft tätigen „Unternehmerfamilie" Voigt hin- Amt Ricklingen und die Familie Voigt. Garbsen 1993. 56 Zu dieser sozialen Gruppe liegen allerdings ebenso wie Beratung durch die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur im Zuge der angelaufenen Sanierungsarbeiten. Nach Abschluss der Arbeiten wird hierzu eine umfangreiche für die Rentmeister nur wenige Untersuchungen vor. Eine Ausnahme bildet die ausführliche Untersuchung über die Pächter auf der hessischen Domäne Frankenhausen bei Dokumentation vorgelegt. 67 Neben dem als Amtmann bezeichneten und mit vielen Kassel und ihre familiengeschichtlichen Verflechtungen. Vgl. Rechten ausgestatteten Pächter von Blankenau wurden wei- Jochen Ebert, Soziale Räume. Das Kabinettgut Frankenhausen im lokalen und regionalen Wirtschafts- und Sozialgefüge (18. Jahrhundert), in: Ebert/Baierl/Marschall 2005 (wie Anm. tere Corveyer Rechte vor Ort auch durch den Corveyer Förs- ter vertreten. Dieser war insbesondere für die Verwaltung der großen Waldgebiete und der daran haftenden Nut- 3), S. 19-49. Hinweise zur sozialen Einbindung der Pächter auch für die Meierei Schieder bei Walter Schmidt, Schieden zungsrechte zuständig und wurde auch als Vogt bezeichnet. Die Geschichte eines lippischen Dorfes. Schieder 1964, S. 296-303 sowie für die Meierei Biesterfeld bei Willy Gerking, MS, Fürstabtei Corvey, Akten 1118. 69 Aus dem Dorf Blankenau waren zehn Tage Spann- und 68 Pachtvertrag vom 02.11.1703 in Landesarchiv NW, Abt. Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land 292 Tage Handdienste zu nutzen. Weitere vergleichbare Rechte erhielt er auch in den Dörfern Godelheim und Ja- [wie Anm. 80], S. 175 und 180). cobsberg sowie in Beverungen. 82 Er besaß auch das Gut Engeln bei Straßfurt in SachsenAnhalt. 70 Die Gesamteinnahmen der Abtei Corvey wurden für die 83 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 91. Zeit um 1790 mit etwa 25 000 Rthl. berechnet (Georg 84 Diese Maßnahmen wurden allerdings nicht ausgeführt, Föllinger, Corvey - Von der Reichsabtei zum Fürstbistum. München 1978, S. 140). was 1813 als einer der Gründe für das wirtschaftliche 71 Abrechnung für das Jahr 1720/21 in Landesarchiv NW, Abt. MS, Fürstabtei Corvey, Akten 1122. Scheitern des Pächters genannt wurde (Pieper 2000 [wie Anm. 80], S. 177). 85 Er dürfte der Familie Wahnschaffe entstammen, die von 72 Diese wurde ab 1796 für jährlich 6400 Rthl. verpachtet 1751 bis 1861 Pächter der großen Staats-Domäne Wefer- und ab 1806 für 7995 Rthl. jährlich. Hierzu: Fred Kaspar, Corvey wird zum Bistum erhoben und lässt deswegen ein Casino-Hotel errichten! Das „Dreizehnlindenhaus" vor Cor- dingen im Bördekreis war (danach wurde die Domäne an die vey, in: Westfalen 89. Münster 2011, S. 203-228, hier S. 87 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 43. 204-205. 88 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 69 und 81-82. 73 Erster Pächter war Hans Anton Korte, gnt. Sauer aus 89 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 81. Lüchtringen. Ihm folgte von 1703 bis 1709 der Obristwacht- 90 Hierzu viele Beispiele bei Dethlefs 1993 (wie Anm. 52), S. meister zu Pferde Herbolt Linneberg. Seine Witwe blieb noch 67-72. bis 1758 Pächterin. Ihr folgten zunächst der Landwirt Lappe und von 1765 bis nach 1800 der Amtsrat Schäfer. 91 Dieser Prozess setzte schon im 16. Jahrhundert ein. So 74 Fritz Sagebiel, Aus der Geschichte der Tonenburg bei noch als Nebensitz der eingeheirateten Familie von Herren von Spiegel zum Desenberg auf Seggerde verkauft). 86 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 65. diente z. B. das Haus Büling bei Bocholt schon ab 1 573 nur Höxter-Albaxen, in: Fritz K. Sagebiel, Zwei Burgen im Bereich Hambrock. der Stadt Höxter. Höxter, o. J. [um 1980], S. 41-79, hier S. 75-76. 92 Zur Bedeutung der Jagd als herrschaftliches Statussymbol aber auch für den herrschaftlichen Haushalt s. Michaels 75 Zur Entwicklung der wirtschaftlichen Grundlage des evangelischen Klosters Loccum in Hannover mit zwei in 2008 (wie Anm. 44), S. 409-424. Eigenwirtschaft betriebenen Klosterhöfen und vier verpach- Zahl von ererbten Herrenhäusern im ganzen Münsterland. teten Vorwerken s. Christian Eggers, Grundherrschaft als Unternehmen. Die Wirtschaft des Klosters Loccum im 17. Das ihm auch gehörende Haus Bevern bei Ostbevern (Kr. Warendorf) stand seit der Mitte des 18. Jahrhunderts leer. und 18. Jahrhundert, in: Carl-Hans Hauptmeyer (Hg.), Am 23. August 1814 teilte er seinem dortigen Rentmeister Hannover und sein Umland in der frühen Neuzeit (= Hanno- mit, dass er für etwa acht Tage mit seinem Sohn, einem versche Schriften Band 8). Bielefeld 1994, S. 17-46. 76 Kaspar 2011 (wie Anm. 72), S. 203-204. 93 Der Erbdroste Droste zu Vischering besaß eine größere Bediensteten und einem Reitknecht sowie etwa fünf Pferden 77 Das Kloster besaß 1803 neben der eigenen Landwirt- zur dortigen Jagd kommen würde und gab Anweisungen, welche der Räume in dem alten Herrenhaus für den Aufent- schaft folgende Einnahmen aus Heuer- und Pachtgefällen in halt herzurichten seien (Helmut Richtering, Haus Bevern, in: den umliegenden Dörfern: Insgesamt 2041 Scheffel Roggen, Franz Meyer [Hg.], Geschichte der Gemeinde Ostbevern. Ostbevern 2000, S. 392-422, hier S. 411). 345 Scheffel Gerste und 2252 Scheffel Hafer, ferner 312 Hühner und 6191 Eier. Ferner kamen Einnahmen aus dem Zehnten, von zwei Mühlen, dem Besitz an der Saline Salzkotten sowie den Waldungen in Gehrden und Dahlhausen. 94 Hierzu zahlreiche Beispiele bei Karl-Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961. Die komplexe und stetigem Wandel 1822 wird der Amtmann Frankenberg als Pächter genannt (Diether Pöppel, Gehrden. Benediktinerkloster - Schloß Kirche - „Stadt" im Wandel der Jahrhunderte. Paderborn che Entwicklung vor dem Hintergrund der Familienge- 1988, S. 85 und 178-181; Wilhelm Richter, Preußen und die anschaulich dargestellt bei: Thomas Spohn, „Ich habe einen Paderborner Klöster und Stifter 1802-1806. Paderborn unterworfene Nutzung eines solchen Gutes und seine bauli- schichte (Altenteil, Pachtgut, Wohnsitz und Sommersitz) ist Pfächtiger auf meinem Rittersitz". Zur Bau-, Wohn-, 1905, S. 128). Wirtschafts- und Lebensweise auf dem kleinen Adelssitz 78 Rudolph Stadelmann, Preußens Könige in ihrer Tätigkeit Haus Steinhausen zwischen 1628 und 1712, in: Beiträge zur für die Landeskultur, Teil IV. Leipzig 1887, Urkunde Nr. 160. Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Band 79 Richter 1905 (wie Anm. 77), S. 91. 81/82. Dortmund 1990/91, S. 57-96. 80 Roland Pieper, Dalheim. Pfarrort, Kloster - Staatsdomäne. Münster 2000, S. 175. 95 Siegfried Schmieder, Oelde, die Stadt, in der wir leben - 81 Dalheim wurde 1803 zunächst übergangsweise von dem Ökonomen Steltzer, Verwalter des Vorwerks Giebichenstein 96 Dies gilt etwa für das Haus Romberg bei Ascheberg (Kr. bei Halle und danach von dem Ökonomen Schwiete, Admi- erfolgte durch den Autor. Publikation dazu in Arbeit. nistrator des Klosters St. Michaelis in Hildesheim, verwaltet. Ab 1827 wurde Dalheim an Otto Engelbrecht verpachtet, zuvor Pächter des Gutes Dieskau bei Halle/Saale (Pieper 2000 Beiträge zur Stadtgeschichte. Oelde 1987, S. 815-816. Coesfeld). Eine baugeschichtliche Untersuchung der Anlage 97 So verlor etwa Haus Alst (Horstmar, Kr. Steinfurt) seinen Haushalt schon um 1670, nur etwa 40 Jahre nach dem Neubau des Herrenhauses. Haus Klein Schönebeck (Dülmen, 39 40 Einleitung Kr. Coesfeld) und Haus Bevern (Ostbevern, Kr. Warendorf) standen seit dem frühen 18. Jahrhundert zumeist leer. Bockei (Beitrag Dörfler). 98 Die erste Entwicklung dokumentiert der Beitrag zum Haus Vörde bei Castrop-Rauxel, die zweite das um 1709 von Kaspar „Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen". errichtete, heute als Haus Engelrading bezeichnete Gebäude handel und Rinderhaltung im nordwesteuropäischen Küs- bei Borken (Kr. Borken). Eine baugeschichtliche Untersuchung dieser Anlage erfolgte durch Fred Kaspar und Peter Barthold. Publikation dazu in Arbeit. tengebiet vom 15. bis zu 19. Jahrhundert. Stuttgart 1966. Jens-Peter Rachau, Der Rinder- und Ochsenhandel an der 99 Vgl. hierzu zusammenfassend Markus Weidner, Landadel Husum 2011. in Münster 1600-1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürstenhof. Münster 2000, S. 414-418. 112 Hier wird nicht auf die ebenfalls vielfach in der Form von 100 Hier sind etwa die Familien Droste zu Vischering, von Landsberg, von Plettenberg oder von Galen zu nennen. Allein im Archiv von Haus Galen werden heute die Bestände von etwa 25 Gütern verwahrt. Bedeutende Archivbestände von vielen kleineren erworbenen Gütern befinden sich dar- 110 Vgl. hierzu die Zusammenstellung der Belege im Beitrag 111 Hierzu insbesondere Heinz Wiese/Johann Bölts, Rinder- westlichen Nordseeküste im 18. und 19. Jahrhundert. Längsdielenhäuser errichteten Zehntscheunen eingegangen. 113 Um 1570 Mulmshorn (Beitrag Dörfler); vor 1576 Cammerhof in Bückeburg-Cammer (Beitrag Barthold); um 1660 Vasbach (Beitrag Pollmann); 1727 Koppel - mit Besprechung weiterer Beispiele in der Region (Beitrag Riepshoff); 1765 Koppel (Beitrag Riepshoff); um 1750 Nassengrund - durch Umbau (Beitrag Stiewe); 1774 Lohfeld bei Warendorf über hinaus auch in den Archiven von Haus Stapel bei Havixbeck (Kr. Coesfeld) sowie von Haus Surenburg bei (Beitrag Kaspar); um 1780 Tönneburg bei Warendorf (Bei- Riesenbeck (Kr. Steinfurt). trag Sandmann); 16. Jahrhundert Raum Minden (Beitrag 101 Vgl. hierzu den Beitrag von Thomas Spohn in diesem Barthold); Weitere Belege auch im Beitrag von Michaels. Band. 114 Hierzu ausführlich der Beitrag von Kaspar zu „Bauern- 102 J. Holsenbürger, Die Herren von Deckenbrock und ihre höfe mit Zweit- und Drittwohnungen". Besitzungen 1570-1798. Münster 1869, S. 173-174. 115 Zu diesem schon sehr lange von der Haus- und Baufor- 103 Auch dies zeigt die Geschichte der Familie von DrosteHülshoff. Hierzu Holsenbürger 1869 (wie Anm. 102), S. 221. schung verfolgten Thema besteht eine umfangreiche Literatur. Einen Überblick über den Stand der Forschung bieten 104 Hier kann nicht die umfangreiche Literatur zur Ge- insbesondere: Alfons Eggert/Josef Schepers, Spieker, Bauern- schichte dieses Themas und die verschiedenen entwickelten burgen, Kemnaden. Bäuerliche Speicherbauten im Münster- Thesen ausgebreitet werden. land. Münster 1985; Andreas Eiynck, Steinspeicher und Gräftenhöfe. Aspekte der Bau- und Wohnkultur der groß- 105 Diese unklare Definition der Betrachtungsebenen ist schon seit Langem bekannt (Konrad Bedal, Historische Haus- bäuerlichen Führungsschicht des Münsterlandes, in: Günter forschung. Eine Einführung in Arbeitsweise, Begriffe und Literatur. Münster 1978, 8. 1 10-120, 181) und noch jüngst wurde erneut auf die unklare Definitionsgrundlage des Begriffes „Hallenhaus" hingewiesen (Lutz Volmer/W. Haio Wiegelmann/Fred Kaspar (Hg.), Beiträge zum städtischen Zimmermann, Glossar zum prähistorischen und historischen Holzbau. Wilhelmshaven 2012, 8. 25, 30-31, 95-96 und 108-111). 106 Deutlich abweichend hiervon ist etwa die geringere Breite des Kerngebäudes von 1554/55 (d), das auf dem Um- Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland. Münster 1988, S. 306-374; Christoph Dautermann, Kirchhöfe und Kirchhofspeicher in Nordwestdeutschland, in: Wiegelmann/ Kaspar 1988 (wie zuvor), S. 283-306. 116 Michael Scheftel, Holz und Steinbau am Beispiel der Lusthäuser des Klerus und der vermögenden Bürgerschaft im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit in Lübeck, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des bau eines älteren, daher wohl zuvor als Bauernhaus genutz- Mittelalters und der Neuzeit 24. Paderborn 2012, S. 209- ten Längsdielen-Vierständerhauses zurückgeht. 217. 107 Lutz Vollmer, Bleibendes Erbe?, in: Bärbel Sunderbrink (Hg.), Der Schlosshof. Gutshof - Gasthaus - Jüdisches Lager. Bielefeld 2012, 8. 63-75, hier 8. 63. 108 So ist insbesondere von vielen Pfarrhäusern bekannt, dass die Baupflicht von Wohnteil und Wirtschaftsteil jeweils bei unterschiedlichen Parteien lag. Hierzu Thomas Spohn (Hg.), Pfarrhäuser in Nordwestdeutschland. Münster 2000, 8. 12-17. Die Thematik der differenzierten Bau- und Ent- wicklungsgeschichte, des Wachsens vieler Bauernhäuser oder Längsdielenhäuser als Prozess stand im Frühjahr 2013 im Mittelpunkt der 25. Jahrestagung des „Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland" mit dem 117 Eiynck 1988 (wie Anm. 115); Heinrich Stiewe, „Bauernburgen". Spätmittelalterliche Steinspeicher in Lippe und Ost- westfalen, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 71. Detmold 2002, S. 169-222; Heinz Rieps- hoff, Speicher und Backhäuser in der Grafschaft Hoya, Lilienthal o. J. 118 Spohn 1990 (wie Anm. 94). 119 Mummenhoff 1961 (wie Anm. 94), S. 27-28; Heinrich Stiewe: Zwei Torhäuser des 16. Jahrhunderts auf Gräftenhöfen des Münsterlandes. Zur Rekonstruktion und Funktion großbürgerlicher Repräsentationsbauten, in: Hausbau im Mittelalter, Bd. III. Sobernheim 1988, S. 105-142. 120 Der Bestand ist für das Münsterland durch den Autor Thema „Hausbau in Etappen - Bauphasen des niederdeutschen Hallenhauses". Die Publikation der Vorträge wird von erfasst und in vielen Fällen auch archivalisch und bauhisto- Thomas Spohn für 2014 vorbereitet. 109 Z. B. um 1560 Mulmshorn (Beitrag Dörfler) und 1783 Publikation in Vorbereitung. risch untersucht worden. Zu den Ergebnissen ist eine eigene Güter, Pachthöfe und Sommersitze Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land 121 Dieser Prozess ist z. B. für das Haus Hameren bei Biller- beck (Kr. Coesfeld) dokumentiert, das seit dem Spätmittel- alter bis in das spätere 16. Jahrhundert durch kontinuierli- chen Zuerwerb von benachbarten Höfen und Hufen zu einem arrondierten landwirtschaftlichen Großbetrieb mit einer Fläche von 750 Morgen Acker- und Weideland und burg 2008, S. 127-147, hier S. 140-142, referiert ihre Thesen. Vgl. den Beitrag von Michaels in diesem Band. Zur Forschungsgeschichte s. den Beitrag von Kaspar, Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen. 134 Poppe 1976 (wie Anm. 132), S. 106. 135 Poppe 1976 (wie Anm. 132), S. 107. 100 Morgen Wald ausgebaut wurde. Hier auch Hinweise auf 136 Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie. andere vergleichbare Anlagen (Peter llisch, Haus Hameren um 1500, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld, Bd. 7. Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück, Coesfeld 1982, S. 7-19). in: Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung. Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold - Landesmu- 122 Individuelle Lösungen kamen natürlich immer vor: Bei seum für Volkskunde. Bd. 3. Detmold 1988, S. 57-90, hier S. Haus Lohfeld betrug die Pacht zehn Jahre und wurde 1772 89. in eine Erbpacht für zwei Generationen umgewandelt. 137 Hierzu z. B. die Beiträge von Heinrich Stiewe und Sonja 123 Z. B. Martin Greiffenhagen (Hg.), Das evangelische Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte. Stuttgart 1984; Michaels. 1994 erschien eine eingehende Untersuchung zu zwei Rentmeisterhäusern des 17. Jahrhunderts im Weser- Spohn 2000 (wie Anm. 108). bergland, die diese als „Hallenhäuser der Beamtenaristokra- 124 Volker Wehrmann (Hg.), Die Schule in Lippe von 1800 - tie" werteten (Joachim Kleinemanns, Das Haus des Distribu- 1945 in Bildern, Dokumenten und grafischen Darstellungen. tors Ludovici aus Neuenheerse, in: Beiträge zur Volkskunde Detmold 1980; Thomas Spohn: Schulhausentwürfe aus der und Hausforschung 6. Detmold 1994, S. 133-158. Ein jüngs- 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts im ehemaligen Herzogtum Westfalen, in: Westfalen 76. Münster 1998, S. 52-75. tes Beispiel hierzu sind die Ausführungen zu einem Guts- 125 Spohn 2000 (wie Anm. 108). ten „gehobenen Hallenhäusern" gleichgesetzt und der 126 Cord Meckseper: Kleine Kunstgeschichte der deutschen Schluss gezogen: „Mit Recht ist diesen Gebäuden auch das Stadt im Mittelalter, Darmstadt 1982, S. 136. 127 Der unter dem Einfluss der Zentralitätsdiskussion in der Haus Rüschhaus in Münster-Nienberge als vielleicht bekann- und Sommerhaus bei Bielefeld. Es wird mit anderen bekann- testes Beispiel eines Hallenhauses der „Beamtenaristokratie" Kulturgeografie über lange Jahre gepflegte Schwerpunkt „Stadt-Land-Beziehungen" der kulturgeschichtlichen For- zur Seite gestellt worden" (Vollmer 2012 [wie Anm. 107], S. schung hat das Thema bürgerliche Güter auf dem Land bzw. 138 Baumeier 1988 (wie Anm. 136), S. 89. die Sozialschicht der Pächter, Rentmeister und Verwalter 139 Eiynck 1988 (wie Anm. 115), S. 318-321. kaum in den Blick genommen. Der geringe Forschungsstand 140 Diese Thesen erstmals bei Michaels 2008 (wie Anm. 44), zu dieser Thematik findet sich gut zusammengestellt bei: S. 223-227. Grundlage ist für sie, dass diese reinen Wohn- Wolfgang Schmid, „Am Brunnen vor dem Tore ..." Zur Freizeitgestaltung der Stadtbevölkerung im 15./16. Jahrhundert, in: Peter Johanek (Hg.), Die Stadt und ihr Rand. Köln 2008, S. 19-145, hier insbesondere S. 97-116. Dieser Sammelband thematisiert das Thema der Landsitze der städ- 75). gebäude ebenfalls dreischiffige Gerüste hätten. Abgesehen davon, dass hierzu ausführliche Dokumentationen der ange- führten Bauten nicht vorliegen, steht sie damit allerdings im deutlichen Kontrast zu einer langen Forschungslinie, die gerade das Hallenhaus als ein Wirtschaftsgebäude definier- tischen Bevölkerung auch in den weiteren Beiträgen nicht weiter. te, das auch andere weitere Funktionen unter seinem Dach aufnehmen konnte. 128 Vgl. hierzu auch die verschiedenen Beiträge in den 141 Helmut Ottenjann, Identitätskultur des „Bauern- Sammelband: Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg 1996. Volkes". Entfaltung und Ende in der Weser-Ems-Region, in: Frühe Neuzeit (=Festschrift für Ernst Hinrichs). Bielefeld 129 Heike Düselder (Hg.), Adel auf dem Lande. Kultur und Herrschaft des Adels zwischen Weser und Ems 16. bis 18. 2004, S. 93-126. Jahrhundert. Cloppenburg 2004. den von ihm auf der hier dokumentierten Tagung noch einmal vorgetragen. 130 Lindner 1912 (wie Anm. 11), S. 780. 131 Mummenhoff 1961 (wie Anm. 94), S. 27-28. 132 Roswitha Poppe, Das Wirtschaftsgebäude auf Sondermühlen, ein Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert, in: Osna- brücker Mitteilungen, Bd. 81. Osnabrück 1974, S. 186-191 und Tafel I bis IV. Dieser Aufsatz erschien in erweiterter Form unter dem Titel: Das alte Herrenhaus auf der Wasserburg Sondermühlen, in: Niedersächsische Denkmalpflege 8. Hildesheim 1976, S. 99-107 und Abb. 16-19. 133 Noch Hermann Kaiser, Adel und Wohnen auf dem Land. Einflüsse ständisch geprägter Sozialstrukturen auf Bauweise und Wohnverhalten in Nordwestdeutschland, in: Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet 32. Olden- 142 Kaiser 2008 (wie Anm. 133). Diese Überlegungen wur- 143 Kaiser 2008 (wie Anm. 133), S. 140. 144 Insbesondere Sonja Michaels spricht in ihrem Beitrag diese Problematik vor dem Hintergrund an, indem sie auch andere Bauformen als Wohnungen des niederen Adels einbezog. Auch in weiteren Beiträgen wurden Belege gebracht: Das 1783 errichtete Hallenhaus auf dem Gut Bockei (Beitrag Dörfler) und auch das 1765 an das Hallenhaus angebaute Haus auf dem Gut Koppel (Beitrag Riepshoff) wurde nicht von der Herrschaft, sondern von Verwaltern bewohnt. Auch Dörfler stellt in seinem Beitrag abschließend die Frage, ob Hallenhäuser eine Raumstruktur für adeliges Leben gewesen seien. 41 42 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück Nicolas Rügge Zur Forschungsgeschichte und Quellenlage Wer Rudolf vom Bruchs großes Werk „Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück" zur Hand nimmt, könnte meinen, das Thema sei gründlich erforscht. In der Tat verzeichnet der beeindruckende, inzwischen über 80 Jahre alte Band sämtliche adligen Wohnsitze auf dem Gebiet des früheren Hochstifts. Besonders war der Verfasser um vollständige Besitzerfolgen und um Nachrichten zur Baugeschichte bemüht, davon zeu- gen auch gezeichnete Lagepläne und zahlreiche hochwertige Fotos. Dem historischen Überblick dient eine zusammenfassende Einleitung, die viele Aspekte in allerdings knapper Form anspricht. Statt eines - in einem heimatgeschichtlichen Buch aus dieser Zeit auch kaum zu erwartenden - Anmerkungsapparates sind im Anhang erfreulicherweise die benutzten Quellen summarisch, aber präzise genannt.1 Bei näherem Hinsehen werden aber auch die Grenzen deutlich. Das auf die einzelnen „Rittersitze" fokussierte Buch eignet sich vorzüglich als Nachschlagewerk, kann aber eine übergreifende Darstellung nicht ersetzen, zumal neben der Besitz- und Baugeschichte die Informationen über den zugehörigen Grundbesitz und überhaupt die gutswirtschaftlichen Aspekte stark zurücktreten. Trotz seiner anregenden Materialfülle hat „der vom Bruch" eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema bisher nur in begrenztem Maß ausgelöst - dazu zählen nicht zuletzt jüngere baugeschichtliche Fallstudien zu einzelnen Adelsgütern.2 Umfassende Guts- und neuere Familiengeschichten liegen aber nicht vor. Auch auf eine moderne Landesgeschichte des Hochstifts Osnabrück kann die Adels- forschung leider nicht zurückgreifen. Bis zum frühen 17. Jahrhundert ist die Darstellung des Altmeisters der Osnabrücker Landesgeschichte, Johann Carl Bertram Stüve (+ 1872), immer noch maßgeblich.3 Für die Beschäftigung mit dem frühneuzeitlichen Osnabrücker Adel ist inzwischen Christian Hoffmanns breit angelegte Dissertation grundlegend, die am Beispiel der führenden Familie von Bar den politischen, konfessionellen und lebensweltlichen Wandel im Hochstift zwischen Reformation und Westfälischem Frie- den untersucht.4 Zeitlich anschließende Studien befas- sen sich mit der Standesidentität des Osnabrücker Adels im 18. Jahrhundert und jüngst aus der Perspektive einer „neueren" Politik- und Kulturgeschichte mit Organisation, Verfahren und Selbstdarstellung der Ritterschaft im Vergleich mit benachbarten Territorien.5 Ebenfalls kürzlich erschienen ist eine Untersuchung über das Gut Gesmold um 1800 und die schweren Konflikte seiner Besitzer sowohl mit dem Landesherrn als auch mit den bäuerlichen Untertanen.6 Darüber hinaus zeichnet sich für Nordwestdeutschland ein kulturgeschichtlicher Forschungsschwerpunkt ab, dessen Netzwerk von Cloppenburg über Osnabrück und Münster bis in die niederländischen Grenzgebiete reicht.7 Gleichwohl ist die Ge- schichte, zumal die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des frühneuzeitlichen Osnabrücker Adels in großen Teilen noch ungeschrieben. Einem Mangel an Quellen sind die gravierenden Forschungsdefizite sicher nicht geschuldet, eher vielleicht einem Übermaß, das die Beschränkung auf engere Fragestellungen nahelegt. Allein 22 Gutsarchive aus dem Osnabrücker Land sind im Niedersächsischen Landesarchiv - Staatsarchiv Osnabrück - zugänglich, ebenso das Archiv der Ritterschaft und die Bestände aus fürstbischöflicher Zeit mit ihren zahlreichen Adelsbetreffen.8 Der Stiftsadel und seine politische Rolle als Ritterschaft Schon im Mittelalter war der Adel im Osnabrücker Land ausgesprochen präsent. Von den insgesamt ziemlich genau 100 ländlichen „Rittersitzen"9 lassen sich rund 60 bis vor die Epochengrenze um 1500 zurückführen, davon mindestens 20 in sehr langer meist auch familiärer - Tradition. Zu dieser ältesten 1 Haus Schelenburg (Amt Iburg), Südansicht, mit gotischem Wohnturm (um 1200?) und Renaissance-Palas (Jörg Unkair 1532). Aufnahme um 1900. „Burgen"-Schicht zählen etwa Barenaue (Bar), Ippenburg und Hünnefeld (von dem Bussche), Schelenburg (Scheie, Abb. 1) und Gesmold (seit 1664 Frhr. von Hammerstein). 43 Die genannten Güter sind mindestens so alt wie die bischöfliche Landesherrschaft, die sich im späteren Mittelalter (bis Ende des 14. Jahrhunderts) bildete. In dieser Zeit entstanden auch die Stiftsburgen, auf denen der Bischof residierte. Sein weltliches Herrschaftsgebiet, das sogenannte Hochstift, ist weitgehend identisch mit dem 1972 gebildeten Landkreis Osnabrück, hinzu kam noch die Exklave Amt vertreten waren. Diese Liste kann als Anfangspunkt einer Matrikel der „landtagsfähigen Güter" gelten, denn seitdem bildete sich die Gewohnheit (und schließlich das Recht) heraus, dass genau die Besitzer dieser Güter zu den Landtagen geladen wurden.17 Sie bildeten die „Ritterschaft", den politisch berechtigten Kern des Adels, der bei den Regierungsgeschäften mitbestimmen durfte. Über zwei Drittel der Güter ver- Reckenberg rund um das Städtchen Wiedenbrück. Das Hochstift entwickelte sich zu einem typischen geistlichen Fürstentum mit landständischer Verfassung: mit einem gewählten Bischof als Landesherrn fügten über dieses wichtige Privileg, der Großteil der Stelle die Ritterschaft und drittens die Städte, dominiert von der nahezu autonomen Hauptstadt Osna- Landesfürsten deutlich stärkte: Sie konnten über die Konfession ihrer Untertanen entscheiden und damit zugleich ihre Landeshoheit festigen und ausbauen. Bischof Johann von Hoya war als geistlicher Landes- und mit Ständen, die das „Land" vertraten. Dies waren an erster Stelle das Domkapitel, an zweiter brück.10 Der zweite Stand, die Ritterschaft, ist unmittelbar aus dem Prozess der Territorialbildung hervorgegangen, nämlich aus den sogenannten Ministerialen, dem ursprünglich unfreien Dienstadel, der teils schon früh in den Städten lebte,11 hauptsächlich aber die bischöflichen Stiftsburgen bewohnte und bewachte.12 Für ihre Dienste erhielten die Ministerialen bzw. adligen Burgmannen im Gegenzug häufig Land und Leute in der Umgebung als Lehen, das heißt an abhängige Bauern ausgegebene Höfe. Aus diesen Lehngütern konnten im Lauf der Zeit weitere Adelsgüter entstehen, indem die adligen Grundherren einen oder mehrere dieser Höfe einzogen und daraus „Rittersitze" mit eigener Landausstattung schufen. Gleich ob es sich um ein erstes Familiengut handelte oder ein zusätzliches als AltersVWitwensitz oder für eine Nebenlinie - entscheidend war, den neuen Besitzkomplex vom Landesherrn privilegieren zu lassen. Solch ein adlig-freies Gut genoss dann die typischen Vorrechte: Steuerfreiheit und gerichtliche Exemtion, oft auch Jurisdiktionsbefugnisse von der Holzgrafschaft bis zur - im Osnabrückischen nur ganz vereinzelt prätendierten Strafgerichtsbarkeit.13 In aller Regel gehörten dazu Jagd- und Fischereirechte, Kirchenstühle und ein Erbbegräbnis, teils auch das Patronat der Pfarrkirche oder einer eigenen Kapelle. Ständisch war der Osnabrücker Adel am Ausgang des Mittelalters schon weitgehend konsolidiert, aber noch nicht korporativ.14 Er bildete zwar einen einigermaßen homogenen „Stand" mit klaren (Heirats-)Grenzen nach oben und zunehmend auch nach unten (die Grauzone des städtischen Patriziats löste sich zusehends auf), aber die politische Mitwirkung war noch nicht „der" Ritterschaft als Gesamt-,,Körperschaft"15 verbrieft. Eben dies geschah im Lauf des 16. Jahrhunderts: Nach dem Vorbild der Reichstage organisierten sich nun territoriale Landtage, deren Zutrittsrechte zu regeln waren.16 Im Jahr 1556 ließ der Osnabrücker Bischof Johann von Hoya aufzeichnen, welche Adligen damals erschienen und welche Güter dadurch anderen war entweder in bürgerlicher Hand oder Nebenbesitz eines adligen landtagsfähigen Gutes.18 Der Beginn dieses Prozesses fällt in die Zeit unmittelbar nach Abschluss des Augsburger Religionsfriedens, der die turbulente Reformationszeit beendete und die herr (seit 1566 auch in Münster und seit 1568 in Paderborn) in einer schwächeren Position als die dynastisch verankerten weltlichen Reichsfürsten. Auch angesichts einer enormen Schuldenlast musste er sich in besonderem Maß auf den einheimischen Adel stützen, den er zugleich in eine stärker rechtlich definierte territorialstaatliche Abhängigkeit zu bringen suchte (Amtsordnung für die Drosten und ihr Hilfspersonal 1556). Groß waren die Durchsetzungs- schwierigkeiten des Bischofs, zumal er keine Konfessionalisierung unternahm; doch kennzeichnet seine gut 20-jährige Osnabrücker Regierungszeit (1553-1574t) das Bestreben einer „administrativen Durchdringung"19 des Landes, das gerade die letzten größeren Fehden erlebte.20 Genau in diesen Jahren (1561) wird auch der Endpunkt der ständischen Differenzierung greifbar: Im bischöflichen Lehnsbuch sind die adligen Vasallen erstmals von den städtischen Patriziern und Bürgern getrennt aufgeführt.21 Das städtische Patriziat musste, wollte es nicht im Bürgertum aufgehen, den Sprung in den Landadel wagen - wie die Familie von Leden, die ihren Schwerpunkt vom Osnabrücker „Ledenhof" auf ihre „Ledenburg" bei Bissendorf verlagerte, allerdings wie die meisten Patrizierfamilien Osnabrücks während der Umbruchphase ausstarb. Seit dem 17. Jahrhundert nahm innerhalb der ausgebildeten Formen die ständische Abschließung weiter zu. Von auswärtigen Beitrittskandidaten forderte die Osnabrücker Ritterschaft seit 1651/56 die Aufschwörung mit Ahnenprobe, seit 1710 auch vom eigenen Nachwuchs (Abb. 2).22 Aus dem ersten Landstand sah sich der osnabrücki- sche Adel gleichwohl weitgehend verdrängt - das Domkapitel wandte sich nämlich nach einer Zeit der „Mischformen" seit den 1590er-Jahren wieder deutlich dem alten Glauben zu. Schon in der Reforma- tionszeit waren einzelne Adelsfamilien wie die Scheies dezidiert zum Protestantismus übergetreten, überwie- 44 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Aufschwörungstafel des Christian August Clamor von dem Bussche-Hünnefeld, 18. Jahrhundert. gend ist ein allmählicher Übergang zum neuen Bekenntnis festzustellen, während eine Minderheit von etwa einem Drittel dauerhaft katholisch blieb oder während der Gegenreformation zum Katholizismus tenden Agrarkonjunktur im 16. Jahrhundert zu tun Dafür eröffneten sich neue Möglichkeiten der Partizipation. Der Westfälische Frieden und seine Ausführungsbestimmungen für Osnabrück 1648/51 schrieben die Bikonfessionalität des Hochstifts fest, als Lan- Dass mehrere Güter von Stadtbürgern gegründet wurden, belegt das Interesse an einträglicher Geld- zurückkehrte.23 desherren wechselten sich künftig ein gewählter katholischer und ein evangelischer Bischof aus dem Haus Braunschweig-Lüneburg ab. In der Folge richteten sich führende protestantische Adelsfamilien zunehmend auf den welfischen Schutzherrn aus.24 Vor allem deren Regierungsperioden, zumal bei lange auswärtig residierenden Landesherren (1680-1698, 1764-1802), waren für die Ritterschaft vorteilhafte Zeiten. Im späten 18. Jahrhundert konzentrierten sich sämtliche Regierungsfunktionen bei dem bekannten Juristen und Publizisten Justus Möser, gleichzeitig Syndikus der Ritterschaft und bedeutender Kreditgeber des vielfach hoch verschuldeten protestantischen Stiftsadels.25 Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Adels und seiner Güter Das hohe Alter vieler Adelsgüter im Hochstift Osnabrück darf nicht den Blick dafür verstellen, dass rund 30 % der dortigen „Rittersitze" nach 1500 neu entstanden sind - ein Boom, der sicher mit der anhal- hat, die verbunden mit starkem Bevölkerungswachstum zur sogenannten Preisrevolution beitrug.26 Das 16. Jahrhundert wurde für den Stiftsadel zur Konsolidierungs- und zugleich zur Expansionsphase. anlage. Die Adelsfamilien achteten zusätzlich darauf, auch den neuen Gütern die Landtagsfähigkeit zuerkennen zu lassen. Für sie verbanden sich ökonomische und politische Vorteile mit der Möglichkeit, auf diese Weise den sich wandelnden Anforderungen an einen standesgemäßen Lebensstil zu genügen (ländlicher Gutsbezirk, „Schlossgesessenheit"27). Die Anfänge waren allerdings meist bescheiden, die jüngeren Güter entstanden aus nur wenigen Höfen, manchmal aus einem einzigen Meierhof oder sogar nur einem Teil davon. Mühsam waren oft die Versuche, die Gütchen durch Einziehung oder Ankauf weiterer Höfe allmählich zu vergrößern.28 Trotz der beträchtlichen ökonomischen Unterschiede spielte für die Osnabrücker Ritterschaft intern das „Ideal der ständischen Gleichheit"29 eine vergleichs- weise große Rolle. Die Ahnenprobe grenzte nach außen ab und sorgte für Exklusivität, förderte aber nach innen das Bewusstsein, dass alle insofern gleich waren, als sie sich denselben Zugangsregeln unter- werfen mussten. Die Osnabrücker Ritterschaft saß und stimmte rein nach Anciennität, also nach der Dauer der Zugehörigkeit, alles andere spielte für den Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück Rang und die Reihenfolge der Wortbeiträge keine Rolle, Beschlüsse wurden nach Mehrheit gefällt. Und eher sah man über zweifelhafte Punkte in der Abstammung eines Beitrittskandidaten großzügig hinweg, als eine interne Hierarchie zuzulassen: Selbst den geborenen „Erblanddrosten", den seit dem Mittelalter die Familie von Bar stellte, zwang man unter großen Zerwürfnissen dazu, die Ahnenprobe zu leisten und den Vorsitz im Gremium abzugeben. Nach außen bestand man aber auch hier auf „Distinktion", wie ein aktuell viel verwendeter Begriff lautet: legte Wert auf die „feinen Unterschiede", wie sie sich in der Lebensführung, also den Gebäuden, der Kleidung, dem Konsumverhalten usw. möglichst sichtbar manifestierten. 1649 entschuldigte Jobst Heinrich Vincke gegenüber dem Landesherrn sein Fortbleiben vom Landtag: „Es fehle ihm an einer adligen Ausrüstung, um vor seinen Standesgenossen ohne Schande bestehen zu können", er sei verarmt und „besitze kein festes Haus wie andere Ritter; infolgedessen sei er mehrfach völlig ausgeplündert und etliche Male mit So vermittelte das Haus Gesmold, in der Hand der streitbaren und auf weitreichende Herrschaftsrechte bedachten Freiherren von Hammerstein, noch im 18. Jahrhundert „den Eindruck einer wehrhaften Trutzburg".31 Dementsprechend ließen sich Charakteristika der Osnabrücker Ritterschaft auch aus dem Gebäude- bestand ermitteln: Spiegeln die Herrenhäuser eher die korporative Gemeinschaft oder individuell-familiäres Rangstreben wieder? Den vielen bekannten Informationen über einzelne Adelssitze zum Trotz ist die Ge- wichtung dieser Elemente aber noch kaum im Zusammenhang erforscht.32 Auch ob die soziale Ungleich- heit innerhalb des Osnabrücker Adels im Lauf der Weib und Kind weggeschleppt worden".30 Der „Rittersitz" musste eben bestimmten Ansprüchen genügen, die Gräftenanlage behielt man auch später noch bei, als der Befestigungscharakter wirklich keine Rolle mehr spielte (Abb. 3 und 4); überkommene Türme, die auf das Alter des Geschlechts verwiesen, wurden bei Umbauten gelegentlich stehen gelassen und in zeitgemäß-repräsentative Anlagen integriert. 3 und 4 Haus Langelage (Amt Hunteburg), altes Herrenhaus von 1575(d) / 1724(d) und Fachwerkstall von 1753 bzw. neues Herrenhaus von 1724, jeweils mit Gräfte. Aufnahmen vor 1930. 45 46 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 5 Plan des Hauses Hünnefeld (Amt Wittlage, Gründung wohl schon im 13. Jahrhundert) mit größeren zusammenhängenden Acker-, Wald- und Wiesenflächen, Mitte 18. Jahrhundert. 6 Plan des Hauses Meppenburg (Amt Fürstenau, Gründung im 15. Jahrhundert), mit Parzellen in Streulage, 1805. Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück Frühen Neuzeit eher zu- oder abnahm, muss hier offen bleiben - dazu fehlt es an systematischen Untersuchungen über das Konnubium, über die Ausgrenzung oder Integration bürgerlicher Aufsteiger und Nobilitierter auf der einen Seite und abgestiegener, „verbauerter" Adliger auf der anderen.33 Erst recht terra incognita ist die „adlige Ökonomie", sind die Grundlagen und Details der Gutswirtschaft sowie die Einkommensverhältnisse. Bekannt ist der grundsätzliche Charakter der Grundherrschaft in Westfalen mit dem Meierrecht, der moderaten überwiegend fixierten Abgabenlast und meist relativ wenigen Diensten. Offensichtlich ist außerdem die bereits angesprochene große Ungleichheit der Besitzverteilung unter den Adligen im Osnabrücker Land (Abb. 5 und 6). Die Spannbreite erklärt sich teilweise aus der Entstehungszeit vieler Güter in der Expansionsphase des 16. Jahrhunderts, als deutlich steigende Agrarpreise Investitionen in Land attraktiv machten, jedoch nur kleine Einheiten bäuerlichen Besitzes verfügbar waren. Dementsprechend bescheiden fiel die Ausstattung mit eigenem Land („Hofesaat") aus, und in manchen Fällen scheint es bis zu den Gemeinheitsteilungen des 19. Jahrhunderts dabeigeblieben zu sein. So war zum Beispiel um die Mitte des 15. Jahrhunderts aus dem Meierhof zu Heeke die „Meppenburg" der Adelsfamilie von Meppen geworden. Bei der Gutsgründung wurde also sicher ein bäuerlicher Gebäudebestand vorgefunden, sodass dieser Akt nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine bauliche Seite hatte, die aber gerade bei kleineren Gütern heute nur im Ausnahmefall noch rekonstruierbar sein dürfte.34 Auch anhand archivalischer Quellen wird nicht in jedem Fall zu klären sein, was es im 16. oder 17. Jahrhundert konkret bedeutete, wenn ein Adliger vormals bäuerlichen Grundbesitz in eigene Bewirtschaftung nahm. Wurde die Hofesaat schon damals stückweise verpachtet, wie es im Osnabrücker Land allgemein üblich gewesen sein soll35, oder ist mindestens bis Anfang des 19. Jahrhunderts mit unterschiedlichen Organisationsformen zu rechnen?36 Welche Rolle spielten die grundherrlichen Naturalabgaben und Dienste, wie weit waren sie tatsächlich schon monetarisiert? Dass großflächige Verpachtung und geringe Eigenwirtschaft gleichwohl mit einer nicht unerheblichen Dienstbelastung einhergehen konnten, zeigen jüngst publizierte Beobachtungen zur Gesmolder Grundherrschaft: Hier nahmen die auch in umliegenden Territorien begüterten Freiherren von Hammerstein die Spanndienstpflicht „vor allem auch für lange Transportfuhren zwischen den einzelnen Gütern [...] in Anspruch".37 Auf den kaum erforschten, aber wichtigen Aspekt der Besitzkomplexe inner- und außerhalb des Hochstifts sei an dieser Stelle nur hingewiesen. 7 Haus Sondermühlen (Amt Gronenberg), ehemalige Mühle. Aufnahme vor 1930. 47 48 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Haus Wegemühlen (Amt Fürstenau), mit Schafstall (vorn), Fischteichen und Bleiche (links), Ziegelei (hinten) und Mühle (rechts). Der damalige bürgerliche Besitzer braute sogar für die Anwohner, 1689. Weniger als die Eigenbetriebe bildeten die abhängigen Höfe den eigentlichen „Reichtum der Güter",38 doch war auch deren Zahl sehr unterschiedlich. Von ihrem guts- und grundherrlichen Besitz allein konnten also viele Adlige nicht standesgemäß leben, sie mussten in Politik und Verwaltung, am Hof, in diplomatischen und militärischen Diensten ein zusätzliches Aus- kommen suchen; begrenzt blieb immerhin die Zahl der Erben, indem viele nachgeborene Söhne-je nach Konfession - jung auf dem Schlachtfeld endeten oder in den geistlichen Stand traten.39 In gewissem Umfang boten die Gutsbetriebe selbst Gelegenheit zum Nebenerwerb, wobei die große Zahl der (Wasser-) Mühlen - auch in den Namen der Häuser - besonders auffällig ist (Abb. 7 und 8).40 Bei dieser Ausgangslage ist es kein Wunder, dass die adlige Lebensweise nicht selten in eine hohe Verschuldung führte. Zwangsversteigerungen und Ver- käufe kamen häufiger vor, bei manchen Gütern extrem oft, während andere eine verblüffende Besitzkontinuität aufweisen. Manchen verschuldeten Gutsbesitzer rettete wohl die Lehnsqualität vor dem Konkurs; die Osnabrücker Lehen waren übrigens sogenannte Weiber- oder Kunkellehen (beim Fehlen von Söhnen an die Töchter vererbbar), was ebenfalls dazu beitrug, den Besitz in der engeren Familie zu halten.41 Dass heute noch bemerkenswert viele Adelsgüter im Osnabrücker Land existieren, dürfte darüber hinaus wesentlich ein Ergebnis der Agrarkonjunkturen und -reformen des 19. Jahrhunderts sein, die auch dem Osnabrücker Adel dabei halfen, unter veränderten politischen Bedingungen konkurrenz- und zukunftsfähig zu bleiben.42 Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück Anmerkungen 1 Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osna- brück. Osnabrück 1930, ND ebd. 1965 und 2004, darin S. 3- in Noordwest-Duitsland en de Nederlanden van de 15e tot de 20e eeuw, hg. von Maarten van Driel u.a. Paderborn 2010. 12 zum Adel und zu den Gütern, S. 12-15 zu den Erbäm- 8 Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Staats- tern, S. 471-489 Literatur- und Quellenverzeichnis. 3 [Johann] C[arl Bertram] Stüve, Geschichte des Hochstifts archivs in Osnabrück, bearb. von Theodor Penners u. a. Göttingen 1978, S. 344-382. Sonst hervorzuheben sind der Hauptbestand der fürstbischöflichen Regierung Rep 100 (siehe ebd., S. 42-48) und die Reichskammergerichtsakten Rep 900 (Findbuch gedruckt, bearb. von Hans-Heinrich Ebeling, Osnabrück 1986). Die Findmittel sind teilweise im Internet recherchierbar: URL: http://www.aidaonline.nieder- Osnabrück, 3 Bde. Osnabrück 1853, Jena 1872/82. Einschlä- sachsen.de (Seitenabruf 30.12.2011). gig ist vor allem der zweite Band (1508 bis 1623) mit seinen 9 Diese Größenordnung ist realistisch, wenn man von den ausführlichen Exkursen. Dagegen ist der dritte Band (1624 gängigen Zahlen (vom Bruch [wie Anm. 1] behandelt 129 „Rittersitze", Düselder (wie Anm. 7), S. 15, nennt „rund 140 2 Sonja Michaels, Haus Sögeln. Ein Beitrag zur Erforschung der Rittersitze im Fürstentum Osnabrück. Osnabrück 2001. Carolin Sophie Prinzhorn/Monique Suck, Gut Bruche. Ein Beitrag zur Erforschung der Rittersitze im Fürstentum Osnabrück. Osnabrück 2005. bis 1647) aus dem Nachlass herausgegeben und sehr chro- nikalisch gehalten, er war vom Verfasser nur bis 1633 für den Druck überarbeitet; Abdruck auch in: Mittheilungen des adelige Güter") die landesherrlichen Stiftsburgen, Burg- Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 12. Wegen des Wechsels zwischen adligem, landesherrlichem, Osnabrück 1882, S. 1-335. Zum (geistlichen) Bistum: Chris- geistlichem und bürgerlichem Besitz könnte eine exakte Zahl tian Hoffmann, Das Bistum Osnabrück, Bd. 2: Von der Refor- mation zur Säkularisation. Kehl o.J. [2002/03], - Zur Verfas- sungs- und Verwaltungsgeschichte: Christine van den Heu- vel, Beamtenschaft und Territorialstaat. Behördenentwick- mannshöfe, Stadthöfe und geistlichen Kommenden abzieht. nur für einen bestimmten Zeitpunkt angegeben werden. 10 Christian Hoffmann, Osnabrück, Hochstift, in: Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte. Band I: 1500-1806, hg. von Brage Bei der Wieden. Hannover lung und Sozialstruktur der Beamtenschaft im Hochstift 2004, S. 61-70 und S. 255-258. Steinert, Die alternative Sukzession im Hochstift Osnabrück. 11 Die adligen Stadthöfe, die auch in der Frühen Neuzeit eine Rolle spielten, werden hier nicht weiter behandelt. S. vom Bruch (wie Anm. 1), S. 404 ff., 414 ff. Zum Schlossbau Osnabrück 1550-1800. Osnabrück 1984. - Mark Alexander Bischofswechsel und das Herrschaftsrecht des Haüses Braunschweig-Lüneburg in Osnabrück 1648-1802. Osnabrück 2003. 4 Christian Hoffmann, Ritterschaftlicher Adel im geistlichen Fürstentum. Die Familie von Bar und das Hochstift Osnabrück: Landständewesen, Kirche und Fürstenhof als Komponenten der adeligen Lebenswelt im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung 1500-1651. Osnabrück 1996. 5 Ronald G. Asch, „Wie die Fledermäuse?" Die Osnabrücker Ritterschaft im 18. Jahrhundert, in: Niedersächsisches Jahr- buch für Landesgeschichte 75. Hannover 2003, S. 161-184. - Elizabeth Harding, Landtag und Adligkeit. Ständische Repräsentationspraxis der Ritterschaften von Osnabrück, Münster und Ravensberg 1650 bis 1800. Münster 2011. 6 Gerd van den Heuvel, Adlige Herrschaft, bäuerlicher Widerstand und territorialstaatliche Souveränität. Die „Hochund Freiheit Gesmold" (Hochstift Osnabrück) im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Hannover 2011. 7 Christoph Reinders-Düselder, Adelige Lebenswelten in Nordwestdeutschland, in: Frühe Neuzeit. Festschrift für Ernst Hinrichs, hg. von Karl-Heinz Ziessow u.a. Bielefeld 2004, S. 49-71. - Adel auf dem Lande. Kultur und Herrschaft des Adels zwischen Weser und Ems. 16. bis 18. Jahrhundert, hg. von Heike Düselder. Cloppenburg 2004. - Adel und Umwelt. Horizonte adeliger Existenz in der Frühen Neuzeit, hg. von Heike Düselder u.a. Köln 2008, darin bes. dies., Kultur und Ernst Augusts L, der einzelne noch rein stadtgesessene Adlige wie die Neustädter Familie von Glane an der Ritterstraße ihres Wohnsitzes beraubte: Ansgar Westermeyer, Das Osnabrücker Schloß. Planung und Bau im Zeitraum von 1668-1698, in: Das Osnabrücker Schloß. Stadtresidenz, Villa, Verwaltungssitz, hg. von Franz-Joachim Verspohl. Bramsche 1991, S. 55-96, hier 57 ff. 12 Hinzu kamen einzelne „überlebende" (edel-) freie Familien, die schon über eigene Landsitze verfügen konnten. 13 Nur Gesmold (dazu Gerd van den Heuvel [wie Anm. 6]) und Wulften. Insofern war die Landesherrschaft des Osnabrücker Bischofs stärker und homogener als etwa die seines Münsteraner Nachbarn. 14 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 56-60. 15 Eine solche gab es zwar schon (Siegel seit Mitte 13. Jh. bezeugt), sie blieb aber noch lange Zeit „anachronistisch" strukturiert (Hoffmann [wie Anm. 4], S. 57). 16 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 28 ff. 17 Zunächst noch mit Ausnahmen (Stüve [wie Anm. 3], Bd. 2, S. 703); Liste 1575 gefestigt (vom Bruch [wie Anm. 1], S. 6); „Rechtsprinzip" 1592 (Hoffmann [wie Anm. 4], S. 336). Zusammengefasst bei Hoffmann (wie Anm. 10), S. 64 f. 18 1575 gehörten dazu 74 Sitze einschließlich der zehn Quakenbrücker Burgmannshöfe, 1802 zählte man 82 (vom Bruch [wie Anm. 1], S. 6 f.). Herrschaft des Adels in der Frühen Neuzeit, S. 15-178. Adel verbindet. Elitenbildung und Standeskultur in Nordwestdeutschland und den Niederlanden vom 15. bis 20. 20 Heinrich Detmer, Artikel „Johann, Graf von Hoya", in: Jahrhundert = Adel verbindt. Elitevorming en standscultuur URL:http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Johann 19 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 336. Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 14 (1881), S. 246-250, 49 50 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen _IV._(1._Artikel)&oldid=1694683 (Seitenabruf 03.12.2011). - Stüve (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 168-170, 178-182, 336 ff. - zur Geschichte der Stadt Osnabrück und ihres Umlandes Vgl. auch Heinrich Rehker, Die landesherrlichen Verwal- 43). Mainz 1979, S. 144-154, bes. 144-146. - Hoffmann tungsbehörden im Bistum Osnabrück vom Regierungsantritt (wie Anm. 4), S. 202 f. Johanns IV. von Hoya bis zum Tode Franz Wilhelms. (1553- 33 Auch dazu könnte vom Bruch (wie Anm. 1) als Fund- 1661.), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und grube dienen. Landeskunde von Osnabrück 30. Osnabrück 1905, S. 1 - 92. - Christine van den Heuvel (wie Anm. 3), S. 55 ff. 34 Siehe in diesem Band besonders die Beiträge von Sonja Michaels, Heinrich Stiewe und Hermann Kaiser. 21 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 88. 35 Zur gängigen Vorstellung s. vom Bruch (wie Anm. 1), 22 Ebd., S. 326-331. - Harding (wie Anm. 5), S. 181-186. - S. 11 (geringe Eigenwirtschaft, die an Heuerlinge verpachtet Allgemein und vergleichend zur Ahnenprobe ebd., S. 139 ff. wurde, frühzeitige Umwandlung der Naturalabgaben und - Düselder (wie Anm. 7), S. 80 ff. - Vgl. jetzt auch Elizabeth Dienste in Geldrenten). Harding/Michael Hecht (Hg.), Die Ahnenprobe in der Vormoderne. Selektion - Initiation - Repräsentation. 36 Selbst im 19. Jahrhundert blieb eine gewisse Vielfalt der Münster 2011. (= Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd. Formen von Eigenwirtschaft und Verpachtung erhalten: Ulrike Hindersmann, Der ritterschaftliche Adel im Königreich 23 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 240 ff.; ders. (wie Anm. 10), Hannover 1814-1866. Hannover 2001, S. 95-97. 1850 S. 65, 257f. Eine Momentaufnahme bietet [Hermann] erläuterte der Gutsbesitzer Ludwig v. Scheie die Wirtschaft Rothert, Das Glaubensbekenntnis der Osnabrücker Ritter- auf seinem Nebenbesitz Haus Ledenburg, die genau dem schaft im Jahre 1625, in: Mitteilungen des Vereins für gängigen Bild entsprach: Die Länderei bestand aus Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 46. Osnabrück Streubesitz, der an Heuerlinge und Erbpächter ausgetan war, 1924, S. 142-150. was von Scheie als „die hier, besonders seit Anfang des Mentalität müsste aber in der Breite noch untersucht wer- den. Bewirtschaftung bezeichnete (ebd., S. 137-139, zit. 137). Zur großen Bandbreite von Bewirtschaftungsformen im früh- 25 Christine van den Heuvel, Amt und Kredit: Justus Möser neuzeitlichen Lippe vgl. Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich 24 Hoffmann (wie Anm. 4), S. 339-342 (Ausblick). Die als Kreditgeber des Osnabrücker Adels, in: Jürgen Schlumbohm (Hg.), Soziale Praxis des Kredits. 16.-20. Jahrhundert. Hannover 2007, S. 81-97. 26 Zur wirtschaftlichen und grundherrschaftlichen Konsolidierung von Bar'schen Gütern s. Hoffmann (wie Anm. 4), S. Jahrhunderts [I], in der Provinz üblich gewordene" Stiewe, Adelsgüter und Domänen in Lippe. Anmerkungen und Fragen zu einem brach liegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 73. Detmold 2004, S. 13-107, hier 37 f. 37 Gerd van den Heuvel (wie Anm. 6), S. 80. 88 ff. 38 Vom Bruch (wie Anm. 1), S. 11. 27 Brage Bei der Wieden, Adlige Herrschaftsansprüche im mittleren Niedersachsen, in: Heinrich Kaak/Martina Schatt- 40 Auf Sögeln beispielsweise war mindestens seit 1536 eine kowsky(Hg.), Herrschaft. Machtentfaltung über adligen und fürstlichen Grundbesitz in der Frühen Neuzeit. Köln 2003, S. 27-48, hier 37 f. 28 Farbige Impressionen dazu bei Stüve (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 701-723, bes. S. 713-715. Zur Bedeutung der Landtagsfähigkeit s. Düselder (wie Anm. 7), S. 17. 29 Harding (wie Anm. 5), auch zum Folgenden; hier zit. S. 266. 30 Zit. nach vom Bruch (wie Anm. 1), S. 237 (auf Vinkenburg im Amt Hunteburg). 31 Gerd van den Heuvel (wie Anm. 6), S. 43. Zum Prestige- 39 So schon ebd., S. 11. Korn- und Bokemühle vorhanden, die vermutlich auch den Wasserstand der Gräben regulierte (Michaels [wie Anm. 2], S. 44-47, 150). 41 Ulrike Hindersmann, Rechtsnorm und Rechtspraxis der Kunkellehen im Fürstentum Osnabrück, in: Generationenge- rechtigkeit? Normen und Praxis im Erb- und Ehegüterrecht 1500-1850, hg. von Stefan Brakensiek u.a. (= Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 37). Berlin 2006, S. 95-113. So erklärt sich auch zum Teil der häufige Namenswechsel (dagegen vom Bruch [wie Anm. 1], S. 11 f., auf die Verer- wert der Gebäude s. Düselder (wie Anm. 7), S. 29-45. bung in männlicher Linie fixiert). 42 Hindersmann (wie Anm. 36). 32 Überblicke über die bauliche Entwicklung bieten: vom Bruch (wie Anm. 1), S. 7-10. - Roswitha Poppe, Burg- und Bildnachweis Schloßtypen des Osnabrücker Landes. Osnabrück 1953, bes. S. 14-21. - E[dgar] F[elix] Warnecke, Adelssitze des Osnabrücker Landes, in: Das Osnabrücker Land II: Beiträge Niedersächsisches Landesarchiv - Staatsarchiv Osnabrück: 1-4 (R. vom Bruch), 5-7 (R. vom Bruch), 8. 51 Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland Ein Beitrag zur Typologisierung1 Sonja Michaels Ausgehend von den Überlegungen von Karl Eugen Mummenhoff, die dieser in Hinsicht auf die Herrenhäuser des Adels bis 1650 für das Oberstift Münster entwickelte,2 gilt es zu überprüfen, ob sie heute noch gültig sind und sich diese Typologie auch auf angrenzende Landschaften (insbesondere das Niederstift Münster, aber auch das Fürstbistum Osnabrück) übertragen lässt.3 Auch wenn die Aufstellung einer Typologie grundsätzlich die Gefahr einer un- sachgemäßen Verallgemeinerung und unrealistischen Normierung mit sich bringen kann, so ist es doch möglich, große Datenmengen zu bearbeiten, um auf diese Weise Denkmodelle zu entwickeln. Bei einer Betrachtung sind neben dem Zeitraum noch folgende Elemente im Blick zu halten: Bau-, Raumund Funktionsstruktur. Generell ist, was das verwendete Baumaterial angeht, zwischen einem westlichen und einem östlichen Raum innerhalb des Niederstiftes zu trennen: Im Kontrast zum Oberstift Münster und auch zum Hochstift Osnabrück4 überwog im östlichen Niederstift, dem Oldenburger Münsterland (heutige Landkreise Cloppenburg und Vechta), die Fachwerkkonstruktion. Massivbauten traten erst seit der zwei- ten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf, allerdings mit einem räumlichen Schwerpunkt im westlichen Bereich des Niederstiftes,5 der womöglich unter Einfluss der angrenzenden Niederlande6 bzw. des Oberstiftes Münster7 zustande kam. Dagegen bildete im Oldenburger Münsterland der Zeitraum bis 1650 den Schwerpunkt einer Baukonjunktur, in der die meisten der erhaltenen Herrenhäuser entstanden.8 Dies erscheint umso verständlicher, da in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Amt Vechta keinerlei schwere Kriegsauseinandersetzungen stattfanden.9 Im Zuge der Gegenreformation übernahm der katholische Adel (vorwiegend aus dem Oberstift Münster) durch Kauf, Erbschaft oder Heirat zu einem Großteil diese Güter, die nun eher als Nebenwohnsitz sporadisch genutzt wurden, da die neuen Eigentümer ihren Stammsitz oft in anderen Regionen besaßen. Sie hatten keinen Anlass, sich neue, komfortablere Bauten errichten zu lassen, in denen sie doch nicht wohnen würden. Dies alles wirkte sich konservierend auf den Altbestand aus. Hinsichtlich der adeligen Herrenhäuser aus Fachwerk kann man zwei Grundbauweisen unterscheiden, wovon eine wiederum in zwei Untergruppen zu teilen ist: Es gibt Herrenhäuser „bäuerlichen Typs"10 (oder auch: „herrschaftliche Hallenhäuser")11 und „adelige Wohnhäuser in Stockwerkbauweise".12 Die herrschaftlichen Hallenhäuser lassen sich weiterhin gliedern in Gebäu- de mit und ohne Stallteil. Alle drei Formen sind mit Einschränkung im Niederstift Münster nachweisbar.13 Es ergeben sich verschiedene Fragestellungen: Was ist bei den beiden Hauptformen identisch und wodurch unterscheiden sie sich? Welche Form hatten diese Adelsbauten, die in Fachwerkbauweise errichtet wurden? Wie war die innere Struktur der Häuser aufgebaut? Wo waren diese Haustypen verbreitet? Welche Personengruppen ließen diese erbauen? Welche Grundrissform ist insbesondere im Oldenburger Münsterland und darüber hinaus festzustellen? Auf den ersten Blick erscheinen die Gruppen gleichförmig - sie lassen sich sehr leicht verwechseln. Zumeist findet sich diese Herrenhausarchitektur auf den bescheidenen Adelsgütern - allerdings nicht zwingend auf der einfachen Form eines Gräftenhofes, son- dern durchaus auch auf den aufwändigeren Zweiinselanlagen.14 Zudem gehören sie derselben Zeitstufe mit einem Verbreitungsschwerpunkt zwischen dem späten 16. und dem frühen 17. Jahrhundert an. Augenfällige Unterschiede ergeben sich dagegen durch die Bauweise sowie die innere Raumaufteilung. Bei den herrschaftlichen Hallenhäusern handelt es sich grundsätzlich um Zwei- oder Vierständerbauten. Der andere Haupttyp ist hingegen als Wandständerbau mit bis zu zwei Stockwerken ausgebildet und übernahm als die „fortschrittlichere" Erscheinungsform grundsätzlich nur eine reine Wohnfunktion15, wobei die Erschließung von der Traufe her erfolgte.16 Die Form „herrschaftliches Hallenhaus" gibt es in zwei Varianten: zum einen - wie sein bäuerliches Gegenstück - „altertümlich" mit Stallteil und einer Erschließung von der Giebelseite mittels eines großen Tores und zum anderen als derselbe Typus, jedoch „moderner" ohne Stallteil. Herrschaftliche Hallen- häuser sind meistens von den Größenabmessungen betrachtet sehr eindrucksvoll, wobei die Form mit Stallteil innen wie ein niederdeutsches Hallenhaus mit Längsdiele, Flettküche, Viehställen in den Seitenschiffen und (oft unterkellertem) und repräsentativ ausge- staltetem Kammerfach aufgebaut ist. Manchmal wurde das Kammerfachteil über einem hohen, meist älteren Bruchsteinmauerwerk-Keller errichtet. Es bestand jedoch - im Gegensatz zu seinem bäuerlichen Pendant - eine strikte Trennung zwischen Viehstall und Küche mit Kammerfach.17 Bei der zwei- ten Variante fehlt der Stallteil völlig. Diese reinen Wohnhäuser verfügen über dreischiffige Gerüste, die das Gebäude im Inneren gliedern. 52 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen und Hülsede). Häufig wurden diese einfachen Herrenhäuser mit Pächterhäusern verwechselt, übersehen, unterschätzt und in der Vergangenheit infolgedessen oft unbeobachtet abgebrochen.19 Insbesondere die in älterer Literatur genannte Formulierung, dass auf dem alten Burgplatz „nur" noch ein „einfaches" Pächter- haus bzw. Bauernhaus steht,20 ist vorsichtig zu bewerten, denn es kann sich tatsächlich um ein Herrenhaus handeln. Ein bekanntes Beispiel ist das „Wirtschaftsgebäude" des Hauses Sondermühlen bei Osnabrück, welches Roswitha Poppe (1974) als ehemaliges Herrenhaus identifizierte.21 In Einzelfällen übersah man sogar Herrenhäuser, die innerhalb eines Wirt- 1 Landkreis Vechta, Bakum, Haus Harme. Herrenhaus (Innen- ansicht), 1990er Jahre. schaftshofes „aufgingen" und überbaut wurden, optisch nicht weiter auffielen und deshalb zunächst unerkannt blieben (wie wohl das Gesindehaus auf Haus Füchtel bei Vechta). Es ist zu vermuten, dass der Typus „herrschaftliches Hallenhaus" in seinen beiden Ausprägungen auch im Oldenburger Münsterland einstmals üblich war. Allerdings wurde ein Großteil der alten Herrenhäuser niedergelegt, sodass eine Prüfung der These schwierig ist. Nur ein einziges bekanntes Beispiel für den Typus „herrschaftliches Hallenhaus mit Stallteil" blieb in der Region Oldenburger Münsterland erhalten, wenn auch nur rudimentär als entkerntes Fachwerkgerüst mit zehn Gebinden Länge: Haus Harme Vechta.22 (Abb. 1) Im westlichen Bereich des Niederstiftes Münster wurde noch um 1812 ein vergleichsweise 2 Landkreis Vechta, Stadt Vechta, Haus Füchtel. Herrenhaus (Giebelansicht), 2011. „altertümliches" Haus für eine Adelsfamilie errichtet: Haus Hamm (bei Haselünne).23 Im benachbarten Hochstift Osnabrück gibt bzw. gab es noch mehrere Beispiele: Limbergen (1609)24 und möglicherweise das schon erwähnte Haus Sondermühlen (1575[d]).25 Und auch in anderen Regionen innerhalb des Verbrei- tungsgebietes des niederdeutschen Hallenhauses26 sind vergleichbare Bauten des Adels nachweisbar, so in Lippe,27 im westfälischen Münsterland28 und im Elbe-Weser-Dreieck.29 Damit fand dieser Typus eines einfachen Herrenhauses offenbar in ganz Nordwest- deutschland Verbreitung30 - entsprechend dem Verbreitungsgebiet des niederdeutschen Hallen- hauses. Infolgedessen fehlt dieser Typus selbstver- ständlich in Ostfriesland und im Jeverland. Hinsichtlich der Bauherren zeigt sich, dass nicht nur einzelne Adelsfamilien diese Hausform wählten, sondern auch gehobene, bürgerliche31 Schichten sowie der „Beamtenadel" darauf zurückgriffen.32 Dazu findet sich auch 3 Landkreis Vechta, Stadt Vechta, Haus Füchtel. Herrenhaus (wasserseitige Traufe), 2011. auf den großen Schultenhöfen diese spezifische Anlageform:33 Der Kleinadel fungierte möglicherweise als Vorbild für die ihm direkt untergeordneten Sozialschichten.34 Bei beiden Adelshaustypen ist vorstellbar, dass sich im Dachgeschoss ein repräsentativer Raum befand,'8 so wie es auch auf anderen, zeitgleichen, jedoch größeren, in Massivbauweise errichteten Schlössern durchaus üblich war (z. B. im Weserraum Hämelschenburg Auch ein „herrschaftliches Hallenhaus ohne Stallteil" lässt sich noch heute im Niederstift mehrfach nachweisen. Es sind dies die Häuser Füchtel (um 1630)35 (Abb. 2 + 3), Campe (16. Jahrhundert)36, vermutlich auch Spyk37 (wohl 16. Jahrhundert) sowie im Hochstift Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland Osnabrück Haus Rothenburg (bei Bramsche), welches einst als Witwensitz diente.38 Insbesondere die Giebel- seiten der Herrenhäuser zu Füchtel und Campe weisen sehr starke Ähnlichkeit mit dem Nordgiebel des Bauhauses der Dietrichsburg/ Dinklage auf. (Abb. 4 und 5) Demnach kann festgestellt werden, dass im 17. Jahrhundert eine ganz bestimmte „adlige" Bauweise mit einem festgelegten Raumprogramm im gesamten Niederstift Münster Verwendung fand, welcher für verschiedene Bauaufgaben in unterschiedlichen Bauausführungen genutzt wurde.39 Auch wenn bis zum frühen 17. Jahrhundert ein relativ einheitliches Bauschema „für die meisten sozialen Schichten" verbindlich war, welches erst nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges aufgegeben wur- 4 Landkreis Emsland, Sögel, Haus Campe: Blick auf das Herrenhaus, 1990er Jahre. de,40 so ist es doch überraschend, dass einige Familien des Landadels mit niederdeutschen Hallenhäusern als Wohnhaus vorliebnahmen und (teilweise jedenfalls) mit ihrem Vieh unter einem Dach lebten. Dies ist nur unter Vorbehalt, abgesehen von wirtschaftlichen Zwängen, mit dem Verweis auf das Vorbild des ökonomisch-sparsamen „ganzen" Hauses erklärbar und gilt vermutlich auch nur für einzelne „Adelsland- schaften".41 Eine Frage bleibt ebenfalls offen: Wohnten die Adeligen tatsächlich stets dort in diesen relativ „einfachen" Bauten? Denn immerhin kann ja dort auch hur ein Verwalter gewohnt haben oder das Gesinde war dort untergebracht.42 Vielleicht diente die äußerliche „Unauffälligkeit" der „einfachen" Adelsbauten aber auch als Schutz vor Übergriffen in unruhigen Zeiten. Denkbar ist zudem, dass die Anwesenheit der Herr- 5 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Bauhaus der Dietrichsburg (nördliche Giebelseite), 1990er Jahre. schaft durch architektonische Formen nur vorge- täuscht wurde, um weiterhin die Steuerfreiheit adliger Güter in Anspruch nehmen zu können. Es konnte nachgewiesen werden, dass die adelige Herrschaft (als alternative Wohnmöglichkeit) durchaus auf der Vorburg Räume für sich vorhielt, wenn der Adelssitz nicht dauerhaft von ihnen bewohnt wurde oder verpachtet war: Es gab temporäre Wohnungen, auch als Sommersitz in einem Wohnturm,43 im Obergeschoss eines Torhauses44 oder in einem Wirtschaftsgebäude auf der Vorburg.45 Entsprechend sind dahingehend detaillierte, archivalische Untersuchungen dringend notwendig, um in dieser Frage zu einer gesicherten Antwort zu gelangen. Bei einer Untersuchung eines Herrensitzes sollte daher in jedem Fall neben der Bauauch die Besitzergeschichte untersucht werden: Gab es ein zeitgleiches Herrenhaus?46 Wer ließ das Adelshaus errichten und wer nutzte das Anwesen letztend- lich?47 Der Bauherr muss nicht gleichzeitig der Bewohner sein, da Adelige meist über mehrere Wohnstätten verfügten.48 Die detaillierte Klärung der Bauherren und der vorgesehenen Nutzung ist notwendig, da sich am Bestand selbst entsprechende Aufschlüsse kaum von selbst ergeben. 6 Landkreis Vechta, Haus Welpe. Herrenhaus, 1990er Jahre. 53 54 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Die zweite Hauptgruppe, die reinen Wohnhäuser in Wandständerbauweise, ist kleiner dimensioniert und zeichnet sich im Gegensatz zum anderen Typus durch ein relativ schmales (bis zu fünf Gefache breites), oft engmaschiges, meist eingeschossiges Fachwerk mit 7 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus der Herbordsburg (Osttraufe), 1990er Jahre. Backsteinausmauerung in Stockwerkverzimmerung aus. Manchmal verfügen die Bauten über einen hohen, größtenteils älteren Keller aus Bruchsteinmauerwerk. Häufig erfolgte eine Erweiterung dieser schmalen Häuser: Das Welper Herrenhaus wurde genauso wie die Herbortsburg zu Dinklage nachträglich um zwei Gefache verbreitert, wie an der Giebelseite gut zu erkennen ist. (Abb. 6 und 7) Einige Bauten sind aufwändiger mit zwei Stockwerken aufgeführt. Der Giebel kragte zumeist mehrfach vor, die Erschließung erfolgte von der Traufe aus. Damit ähnelt dieser Bautypus den Adelsbauten in der Stadt.49 Das Herrenhaus auf der Herbordsburg in Dinklage (1622[i]) kann 8 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus und Bauhaus der Herbordsburg (Westseite), 1990er Jahre. so als ein sehr charakteristisches Beispiel, quasi als „Prototyp", für ein kleines, bescheidenes Herrenhaus auf einem Adelssitz des frühen 17. Jahrhunderts gelten. (Abb. 8 und 9) Die einfache einstöckige Form reiner Wohnhäuser ist im Niederstift Münster (soweit erkennbar) mehrfach erhalten geblieben: das schon erwähnte Haus Welpe (1645[i])50, Bakum (um 1670)51 (Abb. 10 und 11) und Groß-Arkenstede (1684[i])52 sowie Esche (Grafschaft Bentheim).53 Im westfälischen Münsterland54 war der Typus ebenso verbreitet wie im Bereich Osnabrück55 und Lippe.56 Die zweistöckige Form entspricht diesem Typus: Das Ledebursche Haus zu Dinklage (1565[d]), Hopen, (1570[i])S7 (Abb. 12) und womöglich auch Ihorst58 und Lotten.59 Ebenso finden sich auch hierfür Beispiele im Hochstift Osnabrück60, in Westfalen61 und in Lippe.62 Es entsteht der Eindruck, dass ein räumlicher Schwer- punkt der Herrenhäuser in Fachwerkbauweise des Landadels in Lippe bzw. im Niederstift Münster liegt. (Abb. 13: Tabelle) Dies muss jedoch keinesfalls der historischen Realität entsprechen, da sich der Ein- 9 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus der Herbordsburg (nördlicher Giebel), 1990er Jahre. 12 Landkreis Vechta, Lohne, Haus Hopen. Herrenhaus, 1930er Jahre. Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland 10 Landkreis Vechta, Bakum, Haus Bakum. Herrenhaus (Schauseite), um 1910. 55 56 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Herrenhäuser in Fachwerkbauweise des Landadels in Nordwestdeutschland (Niederstift Münster, Oberstift Münster, Lippe, Hochstift Osnabrück und ElbeWeser-Dreieck) Zusammengestellt von Sonja Michaels Datierung Herrenhaus um 1530 Hoetmar 1555(i) 1560(d) Ahmsen Althaus 1564(d) Dietrichsburg: Ledebursche Haus Hopen Langelage, altes Herrenhaus 1570(i)1 1575(d), 1724(d): Umbau des Steilgiebels in einen Walm gleichzeitig mit dem Bau eines neuen Herrenhauses2 1575(d), Kellerdecke im Wohnbereich; 1576(d) Diele; 1619(d) Dielenverlängerung; 1763(d), 1815(d) Dielenein- und umbauten; 1815(d) Wohnteilumbau3 um 1575 1580(i) Gemeinde, Zugehörigkeit Warendorf, Oberstift Münster Bad Salzuflen, Lippe Nordwalde, Oberstift Münster Dinklage, Niederstift Münster Lohne, Niederstift Münster Bohmte, Osnabrück Sondermühlen Melle, Osnabrück Milte Aussei Telgte, Oberstift Münster Rheda-Wiedenbrück, Osnabrück Senden, Oberstift Münster Sögel, Niederstift Münster Lingen, Niederstift Münster Melle, Osnabrück Bramsche, Osnabrück Bentheim, Niederstift Münster Haselünne, Niederstift Münster um 1670 16. Jahrhundert 16. Jahrhundert (?) Wallbaum Campe Spyk Datierung (?) Datierung (?) Datierung (?) Auburg Rothenburg Esche (?) Datierung (?) Lotten (?) 1 Freundlicher Hinweis von Herrn Dr. Gläntzer (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover). 2 Die Auskünfte gaben dankenswerterweise Frau Sieve (Untere Denkmalschutzbehörde, Landkreis Osnabrück) und Herr Dr. Gläntzer (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover). Die Dendroproben wertete Herr Erhard Preßler (Gersten) aus. 3 Die Bohrungen nahm Herr Dipl.-Ing. Joachim Gomolka vor, während Frau Barbara Leuschner (Firma Delag, Göttingen) diese mit der wissenschaftlichen Beratung von Herrn Dr. Hanns Hubert Leuschner (Universität Göttingen) auswertete. Freundliche Mitteilungen von Herrn Joachim Gomolka (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover). Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland Datierung (?) Bosfeld Datierung (?) 16. Jahrhundert (?) 1691+/-6(d) Vorhelm Ihorst 16. Jahrhundert 16./17. Jahrhundert Da(h)lhausen Harme um 1600 ,,1609“(a) 1622(i) Domäne Schieder Limbergen Herbortsburg ,,1630“(a) Füchtel 1645(i) Welpe 1659/60(d) vor 1660 1660 1665 um 1670 Oelentrup Gröpperhof Sylbach Papenhausen Bakum 1671 Oldenburg Umbau 1780(d)4 5 1684(i)__ 17. Jahrhundert Groß-Arkenstede Schwegerhoff, altes Herrenhaus Bödding Datierung(?) Datierung(?) zwischen 1677 und 1750 vor 1709 vor 1710 Mundeinburg (?) Vallentrup Brüning (?) Büling Venne 18. Jahrhundert antequam 18. Jahrhundert Nassengrund Schwalenberg Hamm um 1696(i)b 1812 Rheda-Wiedenbrück, Oberstift Münster Ahlen, Oberstift Münster Holdorf, Niederstift Münster Bad Salzuflen, Lippe Vechta-Bakum, Niederstift Münster Schwalenberg, Lippe Bramsche, Osnabrück Dinklage, Niederstift Münster Vechta, Niederstift Münster Vechta, Niederstift Münster Lemgo, Lippe Blomberg, Lippe Bad Salzuflen, Lippe Bad Salzuflen, Lippe Vechta-Bakum, Niederstift Münster Cuxhaven, Elbe-WeserDreieck Essen, Niederstift Münster Ostercappeln, Osnabrück Altenberge, Oberstift Münster Menslage, Osnabrück Lemgo, Lippe Ankum, Osnabrück Bocholt, Oberstift Münster Drensteinfurt, Oberstift Münster Blomberg, Lippe Schwalenberg, Lippe Haselünne, Niederstift Münster Die in kursiv gesetzten Bauten sind nicht mehr vorhanden. 4 Freundliche Mitteilungen von Herrn Dr. Gläntzer (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover). 5 Nach Auskunft des Privateigentümers rührt diese Datierung vom Sandsteinkamin des alten Herrenhauses, der 1818 in das neue (backsteinerne) Wohnhaus wieder eingebaut wurde. 12, 13 Tabelle: Herrenhäuser in Fachwerkbauweise des Landadels in Nordwestdeutschland (Niederstift Münster, Oberstift Münster, Lippe, Hochstift Osnabrück und Elbe-Weser-Dreieck). 57 58 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen druck durch die Erhaltungs- bzw. Forschungslage verfälschen kann. Sicher ist hingegen, dass der landsässi- ge Adel im Oberstift Münster diese Bauten nicht bevorzugt errichten ließ und wenn, dann eher sehr früh im 16. Jahrhundert. Zeitlich kann für die beiden Hauptverbreitungsgebiete (Niederstift Münster und Lippe) festgestellt werden, dass ein Schwerpunkt ebenfalls im 16. und noch im 17. Jahrhundert liegt. Gegen Ende dieses Zeitraumes kam die beschriebene Bauweise mit dem Raumprogramm für eher unterge- ordnete Bauaufgaben (wie Witwen- oder Neben- wohnsitze) zum Einsatz. In Einzelfällen griff der land- sässige Adel sogar noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Form „niederdeutsches Hallenhaus" 14 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Herrenhaus der Dietrichsburg, 1960er Jahre (?). zurück. Strukturell betrachtet lässt sich nicht die grundsätzliche These halten, dass einfache Bauten älter einzuschätzen sind, denn auch für die überaus aufwändigen, zweistöckigen, reinen Wohnbauten gibt es sehr frühe Beispiele (Haus Aussei bei RhedaWiedenbrück und das Ledebursche Haus auf der Dietrichsburg zu Dinklage). (Abb. 14 und 15) Parallel dazu ließ der landsässige Adel jedoch auch relativ „einfache" Herrenhäuser erbauen (wie Haus Sondermühlen). Bezüglich der inneren Aufteilung der Herrenhäuser im 16./17. Jahrhundert innerhalb des Niederstiftes Müns- ter ist festzuhalten, dass hier auch der im Oberstift vorkommende Grundrisstyp „Zweiraumhaus" Verbreitung fand. Das abgebrochene Herrenhaus zu Bakum lässt sich neben Haus Welpe als charakteristisches Zweiraumhaus anführen.63 Im letzteren teilte ein 15 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Blick auf das Bauhaus der Dietrichsburg (östliche Traufe). Rechts ist die Traufe des Herrenhauses zu erkennen, 1930er Jahre. Kaminblock das Haus in vier zu fünf Fache auf; am Nordgiebel lag der kleinere Raum, womöglich die Küche64, dahinter der größere Saal.65 Einen Fortschritt stellt die erweiterte Raumflucht dar, die ich mit dem Begriff „Dreiraumhaus" umschreiben möchte. Häuser in der kennzeichnenden Dreiteilung, die im Übrigen von Mummenhoff im Oberstift Münster nicht beobachtet wurde, ließ jedoch nicht nur der Adel im Niederstift Münster errichten, son- dern diese waren auch im Weserraum und ebenso in Ostfriesland und im Jeverland „verbindlich".66 Dieses Grundrissmuster war demnach bei den Wohnbauten des Adels in ganz Nordwestdeutschland verbreitet, da sich die Grundrisse und damit die Bedürfnisse des Adels im 16. bzw. 17. Jahrhundert offenbar sehr glichen. Beide „Raumtypen" bzw. Raumprogramme kamen gleichzeitig nebeneinander vor, wie die beiden zeitgleich entstandenen Herrenhäuser auf der Dietrichsburg zu Dinklage (Ledebursches Haus und Steinhaus) eindrucksvoll belegen. (Abb. 16 bis 18). Daraus ist zu folgern, dass auch im Oldenburger Münsterland unterschiedliche Herrenhaus-Typen ver- 16 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. „Steinhaus" (Brau- und Backhaus) der Dietrichsburg. Rechts ist ein Teil des Pferde- stalles erkennbar (mit Galerie, vermutlich aus dem 18. Jahrhundert), 1990er Jahre. breitet waren, welche in großen Teilen Westfalens (Kernmünsterland und östliche Bereiche) ebenfalls Verbreitung fanden. Sie können mit Gegensatzpaaren näher charakterisiert werden: aufwändig-repräsenta- Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland tiv versus bescheiden-landwirtschaftlich orientiert, finanzstark versus arm sowie Konstanz versus Wandel. Die unterschiedlichen Bauweisen und Raummuster traten parallel nebeneinander auf, woraus das ausdifferenzierte Wohnen des Adels ersichtlich wird. Neben der Hausgröße und der damit einhergehenden Anzahl der Räume ergaben sich auch Unterschiede in der Ausstattung des Inneren der Gebäude. Dies korrespondierte mit den graduellen Abstufungen innerhalb der Sozialschicht „(Klein-)Adel", der sich somit keineswegs als eine homogene Sozialschicht darstellt. Es ist demnach durchaus damit zu rechnen, dass der landsässige Adel bereits im 16./17. Jahrhundert stark in sich strukturiert war,67 sodass man nicht von „dem" Kleinadel schlechthin reden kann. Diese interne, ausdifferenzierte Schichtung ist besonders an den ländlichen Adelssitzen und der damit einhergehenden verfeinerten Wohnweise erkennbar, die mit der jeweiligen Wirtschafts- und Finanzkraft der adeligen Familie korrespondierte. Ausblick auf zukünftige Aufgaben Für die Zukunft erscheint eine Untersuchung der vermeintlich „unbedeutenden", sich wenig spektakulär darstellenden Herrenhäuser drängend. Vielerorts ist es schon zu spät, da bereits vieles unwiederbringlich und oftmals undokumentiert zerstört wurde. Nur durch detaillierte Analysen können vergleichbare und damit wichtige, grundlegende Ergebnisse erlangt werden, um die nordwestdeutsche Adelsarchitektur in einen größeren Rahmen einordnen zu können. Zunächst müsste jedoch die Terminologie geklärt und verein- 17 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. „Steinhaus" (Brau- und Backhaus) mit in die Gräfte vorspringenden „Turm" der Dietrichsburg, 1990er Jahre. heitlicht werden, um Burg, Schloss, festes Haus, Herrenhaus usw. sauber voneinander abgrenzen zu können. Die unter Kunsthistorikern gebräuchliche Abgrenzung, nämlich die Frage nach dem Bauherrn, (Schloss = landesherrliche Residenz und Herren- bzw. Gutshaus = Wohn- und Verwaltungssitz eines Landadeligen) dürfte zu kurz greifen. Grundriss und Bau- struktur müssen bei einer Begriffsfindung Berücksichtigung finden. Auch sollte die Erforschung der niederdeutschen Hallenhäuser im Bereich des heutigen Oldenburger Münsterlandes forciert werden, denn erst vor dem Hintergrund der einheimischen zeittypischen Baukultur lässt sich die regionale Adelsarchitektur ange- messen beurteilen. Darüber hinaus sind weitere Studien über die „einfache", bescheidene Herrenhausarchitektur außerhalb der „Hallenhausland- schaft" wünschenswert und sinnvoll. 18 Landkreis Vechta, Haus Dinklage. Grundriss (Erdgeschoss) des Westflügels der Dietrichsburg. 59 60 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen 1 Dieser Aufsatz ist aus meiner Dissertation (Leben auf einem Kulturräumliche Bemerkungen zur städtischen und ländlichen Profanarchitektur, in: Westfalen in Niedersachsen. Adelssitz im Niederstift Münster. Bauen, Wohnen, Arbeiten Kulturelle Verflechtungen: Münster - Osnabrück - Emsland - und Haushalten auf Burg Dinklage zwischen dem 16. und Oldenburger Münsterland. Cloppenburg 1993, S. 330-340, 19. Jahrhundert [= Quellen und Studien zur Regionalgeschichte Niedersachsens, Bd. 11], Cloppenburg 2008 [dort hier S. 331. 7 Die Besitzer der niederstiftischen Adelsgüter kamen nach mit weiteren Abbildungen]) eine knappe Zusammenfassung der Gegenreformation vorwiegend aus dem Oberstift des Kapitels „Die Bauten und die Parkanlage auf der Burg Münster. Dazu s. a. Eckart Wagner, Schlösser und Herren- Dinklage, Einordnung und Bedeutung des erhaltenen sitze im Emsland, in: Baudenkmale. Kulturführer des Gebäudebestandes". Für diesen Band erfuhr der Beitrag eine Landkreises Emsland. Meppen 1993, S. 35-47, hier S. 35-37. Überarbeitung. Für kritische Durchsicht danke ich Herrn Dr. 8 Ähnlich Konrad Bedal, Zeitmarken in der traditionellen Fred Kaspar. Baukultur. Ein gewagter Versuch anhand Nord- und süd- 2 Karl Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift deutscher Beispiele, in: Wandel der Alltagskultur seit dem Münster von 1450 bis 1650 (= Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens. 15. Sonderheft Mittelalter. Phasen - Epochen - Zäsuren (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Heft 55). Münster 1987, S. 139-159, hier S. 150, der dies als „Bauboom zwi- der Zeitschrift Westfalen). Münster 1961. 3 Dies regten an: Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie. Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück, in: Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung (= Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums schen 1560 und 1620" herausstellt. 9 Wilhelm Kohl, Die Ämter Vechta und Cloppenburg vom Mittelalter bis zum Jahre 1803, in: Geschichte des Landes Oldenburg. Ein Handbuch (= Oldenburgische Monogra- Detmold - Landesmuseum für Volkskunde. Bd. 3). Detmold phien). Oldenburg 1987, S. 228-269, hier S. 249. 1988, S. 57-90, hier S. 89, und Uwe Meiners, Ländliche Adelssitze und Herrenhausarchitektur, in: Adelige Lebenswelten. Aspekte eines Forschungsprojektes (= Kleine 10 Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 28 (Fußnote 142). Schriften Nr. 3). Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung. Cloppenburg 2001, S. 9-11, hier S. 11. 4 Bzgl. des Hochstiftes Osnabrück scheint der Natur- bzw. Bruchstein zu dominieren. Allerdings kann auch hier der Eindruck - bedingt durch die Quellenlage - verunklart sein, da Herrenhäuser des 16./17. Jahrhunderts dort rar sind. Schaut man sich jedoch eine Auswahl von RenaissanceAnlagen im Hochstift Osnabrück an, dann bestätigt sich der Eindruck: altes Herrenhaus zu Osthoff (abgebrochen), Ledenburg (zwischen 1618 und 1627), Hünnefeld (16101614, barockisiert), Schelenburg (1490-1532) und Königsbrück. Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück, Osnabrück 2 0 046, S. 97 (Abb. 83), 119, 144, 211. Zu Königsbrück vgl. Roswitha Poppe, Zur Baugeschichte von Haus Königsbrück. Untersuchungen zur Instandsetzung der Wasserburg, in: Osnabrücker Mitteilungen (= Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück) Bd. 84. Osnabrück 1978, S. 208-216. 5 Im heutigen Landkreis Emsland: die Herrenhäuser zu Dan- kern, nach 1680; Groß-Landegge, um 1695; Herzford, nach 1720; Altenkamp, 1729 und Düneburg, um 1753. 6 Vgl. Andreas Eiynck, Einflüsse der Bau- und Wohnkultur niederländischer Städte auf Nordwestdeutschland, in: Ausbreitung bürgerlicher Kultur in den Niederlanden und Nordwestdeutschland (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Heft 74). Münster 1991. S. 213-226, hier S. 214 und 216, wonach seit dem frühen 17. Jahrhundert der kulturelle Einfluss der nördlichen (protestantischen) Niederlande auf die deutschen protestantischen Regionen dominierte. Im Niederstift ließen Bürger Massivbauten erst seit etwa 1800 errichten. Andreas Eiynck, Das Bürger- und Bauernhaus zwischen Weser und Ems. 11 Heinrich Stiewe umschreibt so treffend entsprechende Bauten. Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich Stiewe, Adels- güter und Domänen in Lippe. Anmerkungen und Fragen zu einem brach liegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mit- teilungen aus Geschichte und Landeskunde. Bd. 73. Detmold 2004, S. 13-107, hier S. 60. 12 Vergleichbares beschreibt auch Stiewe, jedoch nur als Wohnhaus für Pächter der Domänen. Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 66. Die im Folgenden behandelten Häuser wurden jedoch auf adeligen Gütern errichtet und nicht wie in Lippe auf Domänen, die im Niederstift unbekannt waren. 13 So weist Haus Harme Knaggen an einer seiner Traufen auf, was eigentlich auf einen Wandständerbau hinweist. Zudem konnten die Herrenhäuser zu Campe, Spyk und Füchtel nicht eingehend untersucht werden. 14 Vgl. zu den beiden Formen ausführlich Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 8-11. 15 Das Haus Gartlage/ Osnabrück scheint eine Ausnahme zu sein, da das zweigeschossige Wohnhaus mit einem Stallteil aus dem 16. Jahrhundert ausgestattet war. Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bremen - Niedersachsen. München 1992, S. 1067. 16 Ebenso Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 66. 17 So auch bei Bauten des „Beamtenadels". Baumeier (wie Anm. 3), S. 69. - Andreas Eiynck, Steinspeicher und Gräftenhöfe. Aspekte der Bau- und Wohnkultur der großbäuerlichen Führungsschicht des Münsterlandes, in: Beiträge zum städtischen Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland (- Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Heft 58). Münster 1988. S. 307-374, hier S. 318, geht jedoch davon aus, dass die Trennung zwischen Flett und Diele nicht ausschlaggebend gewesen sei, sondern die Anzahl und Art der Räume. 18 Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 60-61. 19 Zum Beispiel im heutigen Landkreis Vechta: Bakum, Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland Blankenfort, Lohe, Lutten, Norberding, Querlenburg, Strohe, 25 Siehe hier Tabelle (Abb. 13) sowie Michaels (wie Anm. 1), Südholz-Quernheim, usw.). S. 224 (Fußnote 1957). 20 Vgl. Bruch (wie Anm. 4), S. 352, 353 und dort weitere 26 Vgl. Karte bei Josef Schepers, Haus und Hof westfälischer Belege. Bauern. Münster 19947, S. 148, Abb. 101. 21 Roswitha Poppe, Das Wirtschaftsgebäude auf Sondermühlen, ein Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert, in: Osna- 27 Siehe Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 60-63. Vgl. brücker Mitteilungen (= Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück), Bd. 81. Osnabrück 1974, S. 186-191 (Tafel 1 - 5). Sie verweist darauf, dass das Gebäude zu Haus Sondermühlen, welches zuvor 364 (Taf. 181) und zu Ahmsen auch Fred Kaspar, Fachwerk- immer als Wirtschaftsgebäude interpretiert wurde, tatsächlich jedoch als das ehemalige Herrenhaus identifiziert wurde, obwohl es im Inneren Viehställe aufweist. Allerdings bleibt zur Domäne Da(h)lhausen auch Schepers (wie Anm. 26), S. bauten des 14. bis 16. Jahrhunderts in Westfalen. (= Bei- träge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland. Bd. 52). Münster 1986, S. 43 und 45 (Abb. 2). 28 Zu Haus Milte (um 1590) s. Kaspar, (wie Anm. 27), S. 220, Haus Bödding (17. Jahrhundert), Schepers (wie Anm. 26), S. 103 sowie Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 126, 219 undeutlich, wie und warum sie zu diesem Schluss gelangt. Der Erker, der sich an dem betreffenden Gebäude befindet, Westfalen (um 1670[a]) sowie Haus Bosfeld/ Rheda (Exklave weist dieses nicht zwangsläufig als Wohnhaus einer adeligen des Hochstifts Osnabrück). Schepers (wie Anm. 26), S. 334 Familie aus. Denn auch an der Burg Dinklage („Ledebursches (Taf. 153, Fig. A). Dort auch zu Haus Wallbaum (1994): S. 62 Haus") ist dieses Bauelement keineswegs ein Indikator für (Abb. 31). Vgl. dazu auch Eiynck (wie Anm. 17), S. 319-320. herrschaftliches Wohnen - im Gegenteil: Er ist im Bereich der 29 Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 60 mit Verweis auf Küche angeordnet. Ein Erker zielte vorwiegend ab auf ein Gebäude im Raum Cuxhaven (Altluneberg: „Haus Außenwirkung, zumal der Ausbau auch noch nachträglich erfolgte. Und wie will man letztendlich nachvollziehen, ob nicht nun tatsächlich doch ein herrschaftliches Wohnhaus schon im 16. Jahrhundert eingerichtet war, wenn entsprechende Kataster- bzw. Lagepläne aus der fraglichen Zeit ggf. fehlen? Ebenso stellt Thorsten Albrecht (Die Hämelschenburg. Ein Beispiel adliger Schloßbaukunst des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts im Weserraum [= Materialien zur und 287. Hinzufügen lassen sich noch Haus Wallbaum/ Oldenburg" von 1671) publiziert von Hermann Claussen/ Lina Delfs, Das Oldenburger Haus. Adliger Wohnhof der v. Oldenburg in Altluneberg. Altluneberg 1988. Vgl. auch Dehio, (wie Anm. 15), S. 130 („um 1600"). 30 Ähnlich Linde/ Rügge/ Stiewe (wie Anm. 11), S. 60. 31 Steinhof bei Lieme von 1589, Detering bei Lockhausen von 1555 (d), Mühlenhof bei Kachtenhausen von 1666, und Niederbarkhausen (1607). Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland. 11), S. 63. Bd. 13], Marburg 1995, S. 86) ein Wirtschaftsgebäude der 32 Domhof in Rheda, 1616 und Schönhof in Wiedenbrück, Hämelschenburg vor, das zwar Wohnräume enthielt, diese 1718-1720. Beide zählten zur Exklave des Hochstifts jedoch nicht von der Schlossherrschaft persönlich genutzt Osnabrück. Der Schönhof befindet sich heute im Freilichtmu- wurden. Der Autor führt neben der wenig repräsentativen seum Detmold (Baumeier [wie Anm. 3], S. 58, 81, 84 und Ausstattung auch den Zugang durch den Stall an. Allerdings 89). vertritt auch er die Auffassung, dass Haus Sondermühlen 33 Ausführlich dazu Eiynck (wie Anm. 17, S. 314-321. und der Domhof zu Rheda (Baumeier [wie Anm. 3], S. 89) als 34 So auch Baumeier (wie Anm. 3), S. 81 und 89. Adelshäuser in Fachwerk zu verstehen sind, da eine Wand 35 Vgl. Michaels (wie Anm. 1), S. 225. den Wohn- von dem Stallbereich abtrennte. Eiynck (wie Anm. 17, S. 320) stellt wiederum heraus, dass Stallteile im adligen Herrenhaus fehlen und Viehställe stattdessen in einem eigenen Gebäude untergebracht waren. Ebenso schon Heinrich Ottenjann, Zu unseren Monatsbildern, in: Heimatkalender für das Oldenburger Münsterland. Vechta führer des Landkreises Emsland. Meppen 1993, S. 274-276, hier S. 275-276. 1958, S. 30-31, hier S. 30. Landkreises Emsland. Meppen 1993, S.103-104, hier S. 103. 22 Michaels (wie Anm. 1), S. 223-224. 23 Den hinteren Teil des Gebäudes legte man höher an, da hier die herrschaftlichen Zimmer untergebracht waren. Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Emslandes. Osnabrück 19885, S. 102. 24 Das Kammerfach lag erhöht auf einem Keller. Das 36 Vgl. Bruch (wie Anm. 23), S. 26; Dehio (wie Anm. 15), S. 1248 und Eckart Wagner, Campe, in: Baudenkmale. Kultur- 37 Bruch (wie Anm. 23), S. 154; Dehio (wie Anm. 1 5), S. 249 und EckartWagner, Spyk, in: Baudenkmale. Kulturführer des 38 Das Herrenhaus stellt sich heute in Form eines Doppel- heuerhauses unbekannter Zeitstellung mit großem Kamin- block dar. Vgl. Bruch (wie Anm. 4), S. 288 sowie zuletzt Sonja Michaels, Haus Sögeln. Ein Beitrag zur Erforschung der Rittersitze im Fürstentum Osnabrück (= Kultur im Osnabrü- von Schwietering auf Gut Limbergen, in: Mitteilungen des cker Land. Schriften zur Kulturgeschichte des Osnabrücker Landes Bd. 13). Osnabrück 2001, S. 53-54. 39 Ähnlich auch Meiners (wie Anm. 3), S. 11. Vereins für Geschichte und Altertumskunde des Hasegaues. 40 Bedal (wie Anm. 8), S. 1 50. Gebäude brannte um 1900 ab. Vgl. Wilhelm Hardebeck, Die Heft 16. Lingen 1909. Reprint: Kultur im Osnabrücker Land. (= Schriften zur Kulturgeschichte des Osnabrücker Landes. Bd. 2). Osnabrück 1993, S. 33-39, hier S. 35 und Bruch (wie Anm. 4), S. 337. 41 Eiynck (wie Anm. 17), S. 320 konnte bei den von ihm untersuchten Bauten aus dem Besitz des Kleinadels keine Hauptgebäude beibringen, die einen Stallteil aufweisen. Entsprechend kam er zu dem Schluss, dass ein Stallteil in 61 62 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen dem Wohnhaus eines Adelshauses grundsätzlich nicht vor- der Kleinen Mühlenstraße) zu Quakenbrück und die handen ist und sich so z. B. grundsätzlich von einem Schultenhof unterscheidet. Mundelnburg/Wasserhausen bei Quakenbrück. Carl Heinrich 42 So Andreas Eiynck, Häuser, Speicher, Gaden. Städtische stifts Münster und der angrenzenden Grafschaften Diepholz, Bauweisen und Wohnformen in Steinfurt und im nordwest- lichen Münsterland vor 1650 (= Denkmalpflege und Wildeshausen. Ein Beitrag zur Geschichte und Verfassung Westphalens etc. 3 Bände (1840, 1841 und 1852). Nach- Forschung in Westfalen. Bd. 19). Bonn 1991, S. 109. Er stellt druck. Vechta 1967, S. 388-389 sowie Franz Ostendorf, Die das Bauhaus von 1620 des Merveldtschen Hofes in Horstmar Besiedlung Dinklages und seiner Bauernschaften, in: Mit- Nieberding (1840-1852), Geschichte des ehemaligen Nieder- (Kr. Steinfurt) vor, welches neben dem Stall auch ein teilungen des Heimatvereins Dinklage. Hefte zur Geschichte, Wohnteil aufwies. Dies diente für das Gesinde, da ein separates Wohnhaus für die Herrschaft existierte. Natur- und Heimatkunde der Gemeinde' Dinklage. Dinklage 1953, S. 9 - 30, hier S. 11. Darüber hinaus besaß die Familie 43 Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 293 zum Haus Wedderen. v. Voß (bzw. ein Zweig davon) seit 1527 durch Heirat auch Vgl. auch Eiynck (wie Anm. 17), S. 312-313 und 330-332 (Haus Runde, Haus Rumphorst) sowie Thomas Spohn, Ich das Haus Bakum/Vechta. Franz-Josef Tegenkamp, Das Gut habe einen Pfächtiger auf meinem Rittersitz. Zur Bau-, Wohn-, Wirtschafts- und Lebensweise auf dem kleinen Adelssitz Haus Steinhausen zwischen 1628 und 1712, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark. Bd. 81/82 (1990/91), S. 57-96, hier S. 75 zu Haus burger Münsterland. Vechta 1986, S. 79-90, hier S. 86. Bakum und seine Entstehung, in: Jahrbuch für das Olden- 49 Vgl. beispielsweise Volker Gläntzer, Aspekte zur Geschichte des Quakenbrücker Wohnhauses, in: Quakenbrück. Von der Grenzfestung zum Gewerbezentrum (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen. Bd. 25). Steinhausen, wobei hier noch ein weiteres Wohnhaus exi- Quakenbrück 1985, S. 255-297, hier S. 286 für die Stadt stierte. Zu Rumphorst und Runde auch Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 253-254. Quakenbrück. 44 Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 28, 126 und 308 (Bödding 51 Das Gebäude wurde in den 1970er Jahren abgebrochen. und Drostenhof Wolbeck); Eiynck (wie Anm. 17), S. 312 (Büling, Byinck und Milte) und Linde/Rügge/Stiewe (wie Kurt Asche, Das Bürgerhaus in Oldenburg (= Das deutsche Anm. 11), S. 54 (Braunenbruch/Lippe). das Anwesen irrigerweise als „Burgmannshof". Vgl. Micha- 45 Neben einem Gutshaus gab es auf der Burg Steinhausen els (wie Anm. 1), S. 227. einen Turm, der um 1700 bewohnt wurde. Spohn (wie Anm. 52 Vgl? Gudrun Kuhlmann, Burg, Haus, Gut Vehr bei Qua- 50 Vgl. Michaels (wie Anm. 1), S. 227. Bürgerhaus. Bd. XXXI). Tübingen 1982, S. 129 bezeichnet 43), S. 75. Die Vorburg des Hauses Rodenberg/Grafschaft kenbrück. Unveröffentlichtes Manuskript. Ohne Ort und Mark war wohnlich ausgebaut. Thomas Spohn, Ein schöner Jahr, S. 5-6; Günther Müller, 293 Burgen und Schlösser im und lustig gelegener Rittersitz. Zur Baugeschichte von Haus Raum Oldenburg-Ostfriesland. Oldenburg 19803, S. 21-22; Hermann Kaiser, Die Geschichte des Hauses Arkenstede, in: Rodenberg in Aplerbeck, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark. Bd. 85/86 (1994/95), Adelige Lebenswelten. Aspekte eines Forschungsprojektes (- S. 143-181, hier S. 159-160 und S. 166-167. Mit Einschrän- Kleine Schriften Nr. 3). Cloppenburg 2001, S. 20-21; Asche kung gilt dies auch für die Vorburg zu Sögeln/Hochstift (wie Anm. 51), S. 130 und Michaels (wie Anm. 1), S. 227. Osnabrück, da dort neben einer Herdstelle auch Bemalun- 53 Bruch (wie Anm. 23), S. 195. gen aufgefunden wurden. Sonja Michaels, Die ehemalige Burg Sögeln, Stadt Bramsche, Landkreis Osnabrück, in: Burgen und Befestigungen (= Schriften zur Archäologie des Osnabrücker Landes Bd. II. Zugleich auch: Kulturregion 54 Haus Büling (vor 1709), vielleicht auch Byinck (Grundriss Osnabrück Bd. 15). Bramsche 2000, S. 245-248, hier S. 248 und dies, (wie Anm. 38), S. 42. 46 So ist beispielsweise Eiynck (wie Anm. 17), S. 320 und Fußnote 61 vorzuwerfen, dass er bei der Betrachtung des 16./17. Jahrhunderts einen Katasterplan aus dem 18. Jahr- hundert heranzieht. Dadurch wird nicht erklärbar, ob ein Bauhaus ggf. schon in der frühen Zeit existierte. 47 Werner Dobelmann, Voßhamm. Ein untergegangener Adelssitz in Nortrup, in: Heimatjahrbuch Osnabrücker Land 1980, S. 74-77, hier S. 76 führt bzgl. des Gutes Voßhamm (ungenannte) Quellen an, wonach Johann v. Voß gegen Ende des 16. Jahrhunderts das Erbe zur Hamme zum Sitz gemachet und darauf gewöhnet habe. eines langen schmalen Herrenhauses), Geistbeck(?), Sentmaring(?) und Haus Venne (vor 1710). Mummenhoff (wie Anm. 2), S. 138, 149, 169, 263, 275 und Abb. 34. 55 Möglicherweise sind die Häuser Brüning (zwischen 1677 und 1750 entstanden) und Mundeinburg in Wasserhausen- Menslage (im 20. Jahrhundert abgebrochen) Beispiele für diesen Typus, s. Bruch (wie Anm. 4), S. 337-338 (Abb. 303) und S. 367. 56 Schwalenberg (18. Jahrhundert; abgebrochen) ist unsicher, da nicht klar ist, ob der Bau ein- oder zweistöckig war. Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 67. 57 Das Erdgeschoss ist in Ziegelmauerwerk, das Obergeschoss hingegen in Fachwerk aufgeführt. An den Knaggen befindet sich die Datierung „15 + 70". Freundliche Hinweise von Dr. Volker Gläntzer, Hannover. - S. a. Akten des Kreis- amtes Vechta (Bauamt, Denkmalpflege); Müller (wie Anm. 48 Voßhamm ist ein Beispiel für die „Nähe" zwischen 52), S. 49 und Dehio (wie Anm. 15), S. 864. 58 Das Gebäude ist wohl im Kern aus dem 16. Jahrhundert. die Familie v. Voß mehrere Güter: seit 1556 (Voß-)Diek/ Müller (wie Anm. 52), S. 53-54 und Dehio (wie Anm. 15), S. Bauern und Adel hinsichtlich der Wohnweise. Auch besaß Langwege, einen Burgmannshof sowie ein weiteres Haus (in 746. - Keller- und Erdgeschoss sind massiv, während das Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland Obergeschoss in Fachwerk aufgeführt ist. Die Deckenbalken Raum u. a. durch eine Deckenbalkenbemalung verändert. des Kellers ergaben einen Entstehungszeitraum von 1691+/- Möglicherweise handelt es sich um die ehemalige Küche, da 6(d) sowie eine Umbauphase von 1780(d). Freundliche nach mündlicher Auskunft in demselben Raum während Hinweise von Dr. Volker Gläntzer, Hannover. Umbauarbeiten im 20. Jahrhundert an der östlichen 59 Das Gebäude ist abgebrochen worden und befand sich in Längsseite ein Zwischenboden mit Bretterverschlag gefun- der Nähe von Haselünne. Bruch (wie Anm. 23), S. 105. 60 Das alte Herrenhaus Langelage, ein verputzter Fachwerk- den wurde. Dieser soll eine Schlafmöglichkeit für einen Knecht gewesen sein und lässt sich damit mit dem in der bau, der auf 1575 (d) datiert werden kann und noch heute Küche der Dietrichsburg vergleichen. S. Michaels (wie Anm. auf der Vorburg erhalten geblieben ist. S. hier Tabelle (Abb. 1), S. 229. 13) sowie Michaels (wie Anm. 1), Vgl. 229. Das alte Herrenhaus zu Auburg (Erdgeschoss massiv, aber mit aufgesetztem 65 Heutzutage ist rechts und links vom Kaminblock jeweils eine Tür vorhanden, die westliche Tür ist vermutlich noch aus Fachwerk-Obergeschoss) kann ebenfalls zu diesem Typus der Erbauungszeit. Bemerkenswerterweise haben sich die gerechnet werden. Bruch (wie Anm. 4), S. 184-185 und Abb. 158. Bei dem alten, abgebrochenen Herrenhaus zu Funktionen der beiden Räume heutzutage just umgekehrt, denn in dem ursprünglichen Saal befindet sich heute die Schwegerhoff handelt es sich um einen zweistöckigen Ge- Küche. S. Michaels (wie Anm. 1), S. 229. schossbau. Vgl. auch historisches Foto bei Bruch (wie Anm. 4), S. 259 und Abb. 227. 66 Beispiele in Ostfriesland und im Jeverland: Eberhard Pühl, Backsteinbauten des 15. bis 17. Jahrhunderts in Ostfriesland 61 Haus Althaus (zweistöckig, 1560 [d]) und Haus Hoetmar und Jeverland. Bürgerliche Profanbauten der Formsynthese (um 1530, zweistöckig; abgebrochen). Vgl. zu Haus Althaus Spätgotik/Renaissance. Oldenburg 1979, S. 95-96. Für Holstein: Uwe Albrecht, Burgenlandschaften. Schleswig- auch Eiynck (wie Anm. 17), S. 320-321 (Abb. 19-21). 62 Domäne Schieber (um 1600, abgebrochen), Oelentrup (1659/60[d]) und Papenhausen (1665). Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 11), S. 66-67. Mitteleuropa. Bd. II. Stuttgart 1999, S. 114-117 (Abb. 33). 67 Ähnlich auch schon Eiynck (wie Anm. 17), S. 320-321. - 63 Asche (wie Anm. 51), S. 130 meint allerdings, dass drei Vgl. Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herr- Querwände das Erdgeschoss zu Bakum teilten. Dies ist mei- schaftsstand zur regionalen Elite (= Kritische Studien zur nes Erachtens nicht richtig, da so die beiden kleineren Außenräume unbeheizbar wären, da nur ein Kaminblock ursprünglich vorhanden war. Zudem weist Welpe (1645 [i]) eine frappierende Ähnlichkeit mit Bakum (um 1670) auf. - Holstein. Späte Burgen und erste Herrenhäuser, in: Burgen in Geschichtswissenschaft Bd. 35). Göttingen 1979, S. 56 (Tab. 8 a und b) für das 18. Jahrhundert (Adelsfamilien des Münsterlandes). Vermutlich zählen auch die Herbordsburg und das Steinhaus Bildnachweise der Dietrichsburg zu Dinklage dazu. Hier sind die Grundrisse Sonja Michaels: 1, 4-9, 13, 16-18; aus der Erbauungszeit jedoch nicht geklärt. Eine räumliche Bernd Ammerich, Untere Denkmalschutzbehörde, Vechta: Aufteilung mittels eines großen Kaminblockes zwischen 2, 3; ebenerdiger Küche und Diele sowie einem erhöht liegenden Heimatverein Bakum, Bakum: 10, 11 (Die Abbildungen stellte der Heimatverein über die Herren Grafe und Wohnteil ist bei der Herbordsburg möglich, s. Michaels (wie Anm. 1), S. 229. Ammerich freundlicherweise zur Verfügung); 64 Noch heute liegt im Raum hinter dem Nordgiebel ein gro- Historisches Photoalbum, Privatbesitz: 12, 15; ßer Rauchabzug, der in dieser Form erst nach 1899 entstan- Historische Postkarte, Privatbesitz: 14. den sein kann. In derselben Zeit wurde sicherlich der ganze 63 64 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts Vorbilder ländlichen und kleinstädtischen Bauens?1 Thomas Spohn In Westfalen-Lippe bestanden zum Zeitpunkt der Säkularisation, d. h. zum Zeitpunkt ihrer Auflösung im frühen 19. Jahrhundert, 27 Damenstifte.2 Einige von ihnen waren im Mittelalter bereits als Stifte für Damen des Hochadels gegründet worden, während die 1739 zur Stadt erhoben. Zumeist jedoch sind die einstigen Damenstifte erst nach der Säkularisation und im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung in (vor-)städtischen Agglomorationen aufgegangen. Nicht wenige - wie z. B. Flaesheim, Hohenholte, Mehrzahl erst im Gefolge der Reformation aus klösterlichen Frauenkonventen zu Stiften für Damen des niederen Adels umgewandelt wurde.3 Nur in wenigen Fällen bzw. aufgrund späterer Entwicklungen standen Leeden, Levern, Neuenheerse, Quernheim - haben jedoch bis heute ihren ländlichen Charakter bewahrt. Überwiegend sind die adeligen Damenstifte daher für die vorindustrielle Zeit als Bauaufgabe primär dem Bürgertums offen. Die Gründung einiger Stifte war so eng mit der Entstehung der Städte verknüpft, dass sie - wie etwa das Auch die Bauaufgabe der Damenstifte ist daher in die Diskussion um die wechselseitige Beeinflussung adeliger und nicht adeliger Bauformen im ländlichen Bereich einzubeziehen. Dies gilt jedoch erst für das späte 17. und das 18. Jahrhundert, als auch in den Damen- Stifte auch Damen des Beamtenadels und des reichsunmittelbare Stift Herford oder die Stifte in Geseke und Vreden - einen der städtischen Siedlungskerne bildeten. Einige Stifte sind in den schon beste- henden Städten entstanden bzw. gelangten durch räumliche Verlagerung aus der Feldmark in den ländlichen Raum zuzuordnen. stiften mit den einzelnen Wohnhäusern, den soge- blieb die Zahl städtischer Stifte insgesamt gering, wenngleich auch die ursprünglich allein liegenden nannten Stiftskurien, ein eigenständiger Bautyp fassbar wird. Freilich steht einer möglichen Diffusion dieses Bautyps in das ländlich/dörflich/kleinstädtische Umfeld nicht nur - wie bei allen Bauten des Adels die besondere Lebensform der Bewohnerinnen entge- dem Stift Herdecke angelagerte Siedlung im Jahr meinheit unzugänglichen Stiftsbezirk. Stadtkern, wie etwa St. Walburgis in Soest. Dennoch Klöster bzw. späteren Stifte allmählich weitere Siedlungstätigkeit nach sich zogen. So wurde etwa die gen, sondern auch die Lage der Häuser in einem rechtlich und baulich geschlossenen, für die Allge- Die Abkehr vom gemeinschaftlichen Leben Die Abgeschlossenheit der Lebenswelt ist beiden Einrichtungen eigen, in denen ledige Frauen in geistlicher Gemeinschaft Zusammenleben: Unterschiede zwischen Klöstern und Stiften, soweit sie für das Thema der Lebensführung von Belang sind, resultieren in erster Linie aus den weniger strengen Gelübden der Stifte. Anders als in klösterlichen Gemeinschaften schwören Stiftsfräulein zum einen keine ,ewige Keuschheit', d. h. sie können aus dem Stift wieder austreten und z. B. heiraten, aber auch phasenweise außerhalb des Stifts leben.4 Zum anderen geloben sie auch nicht, in Armut zu leben, d. h. sie können privates Vermögen und damit z. B. auch Immobilien besitzen. Beides ist für die Lebens- und Wohnverhältnisse im Stift von zentraler Bedeutung, denn das anfänglich gemeinschaftliche Leben der Nonnen wie der Stiftsdamen in gemeinschaftlichen Räumen und Gebäuden mit dem gemeinschaftlichen Verzehr der eingehenden Naturalien lockert sich im Rückzug der einzelnen Stiftsdamen in individualisierte Räumlichkeiten mit individueller Haushaltsführung. Dieser allmähliche 1 Leeden (Tecklenburg, Kreis Steinfurt). Undatierter Lageplan mit Aufteilung in fünf ,Häuser'. Umzeichnung. Prozess lässt sich an einer Reihe von Beispielen ideal- typisch darlegen.5 65 2 Freckenhorst (Warendorf, Kreis Warendorf). Süd- und Westflügel des romanischen Kreuzgangs, später überbaut von einzelnen ,Häusern', um 1900. Am Ausgangspunkt steht die klösterliche Anlage, die alle Einrichtungen des gemeinschaftlichen Lebens um das zumeist geschlossene Quadrum des Kreuzgangs gruppiert. Eine solche vierflügelige Anlage war z. B. im seit 1648 konfessionell gemischten6 Stift Leeden7 bis zur Säkularisation erhalten - zumindest in den Umrisslinien des Lageplans weitgehend unverändert, nicht jedoch in der Nutzung. Vielmehr waren die schon 1584 aufscheinenden privaten Lebensbereiche der Damen einschließlich der ,Abtei' gemäß eines undatierten Plans (Abb. 1) als fünf ,Häuser' wie Tortenstücke in das Quadrum eingeschnitten, oder, wie es 1815 heißt, sie hängen in Flügeln zusammen und bilden Im Quarre gemeinsam ein Ganzes ... (so) dass ... ein Teil ohne den anderen nicht füglich abgebrochen werden kann.8 Unklar ist über Jahrhunderte, was genau der Begriff ,Haus' meint - uneindeutig hinsichtlich sowohl der baulichen Erscheinung als auch der Funktion. Der Prozess der Herausbildung tatsächlicher Häuser mit vier Wänden und einem eigenen Dach als ausschließlichem Lebensmittelpunkt der Damen ist langwierig und oft widersprüchlich. Lange Übergangszeiten signalisiert die Äbtissin von Borghorst,9 als sie 1546 gestattet, das die Jungfern, so lange der Krieg währ- te, in ihren eigenen Häusern schlafen könnten, danach aber sollen sie wieder nach alter Gewohnheit die Nächte im Stifts-Dormitorium zubringen.10 Die allmähliche Aufteilung wird auch deutlich für Freckenhorst.11 Noch Fotografien zeigen die Überformung einst gemeinschaftlich genutzter Baulichkeiten durch einzelne, heute nicht mehr erhaltene ,Häuser', 3a Lippstadt (Kreis Soest), Im Stift 4. Kurie des 18. Jahrhun- derts mit Überbauung des alten Kreuzgangs. Ansicht 2009 mit dem im Putz stichbogig erkennbaren Kreuzgang links unten; links die Abtei, im Hintergrund die Ruine der Stiftskirche. von denen manche noch dem 16. Jahrhundert entstammen können (Abb. 2): Das Quadrum ist überwuchert; einzelne seiner Teile sind als Rudimente in nun echte Häuser integriert. Solche Überbauungen finden sich vielfach auch anderswo, sowohl im erhaltenen Baubestand als auch in Plänen untergegangener Gebäude. Besonders deutlich erkennbar werden jeweils Reste der ehemaligen, zumeist gotischen Kreuzgänge, wie in Lippstadt (Abb. 3).12 66 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 3b Lippstadt (Kreis Soest), Im Stift 4. Kurie des 18. Jahrhunderts mit Überbauung des alten Kreuzgangs. Grundrisse von Erd- (unten) und Obergeschoss (oben) im Zustand 1853 mit dem deutlich erkennbaren massiven Mauerwerk des einstigen Kreuzgangs. Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 4 Metelen (Kreis Steinfurt). Lageplan aus der Zeit um 1830. Die Zugänge zu den Häusern vom Kreuzgang „Fräulein Kirchhoff" aus sind durch die Türen angedeutet. 67 68 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Den Übergang zu Privatgebäuden zeigt sehr deutlich ein einzelner Plan des Stiftsbezirks von Metelen (Abb. 4),13 wo - seit unbekannter Zeit - ein Teil der Damenhäuser den Kreuzgang so rahmte, dass dieser wie ein gemeinschaftlich erschließender Laubengang funktionierte. Für das Stift Hohenholte14 wird eine ähnliche Entwicklung erkennbar durch die Abfolge dreier Pläne. Der früheste, undatiert aber jedenfalls vor 1700 entstanden (Abb. 5a), zeigt den noch mittelalterlichen Zustand mit Abtei (1), Kirche (2) und Kreuzgang (3) sowie einige große Wirtschaftsgebäude; der Plan von 1731 (Abb. 5b) lässt nur noch Kirche und Abtei erken- nen, während der Kreuzgang mit allen Gemein- schaftsräumen abgebrochen ist; ein Plan der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich zeigt ihren Ersatz durch gereihte Einzelhäuser, die den Stiftsbezirk rahmen (Abb. 5c). Die ältesten erhaltenen Einzelgebäude Der Bestand an tatsächlich weitgehend separaten Häusern15 reicht mit dem heute so bezeichneten Äbtissinnenhaus in Leeden bis 1489(d) zurück (Abb. 6). Während die Gefüge der Umfassungswände des zweistöckigen Fachwerkbaus recht klar rekonstruierbar sind, ist über die originalen Innenstrukturen und Nutzungen derzeit kaum etwas bekannt. Seine behagliche Wohnausstattung mit z. B. Wandkaminen und Stuckdecken erhielt das Gebäude jedenfalls erst in den 1720er-Jahren und in den Schriftqueilen wird es mit der Bezeichnung Comtessenhaus sogar erst nach der Aufhebung des Stifts fassbar, als dort die letzte Vizeäbtissin bis 1851 ihren Lebensabend verbrachte.16 Das nächst ältere Einzelgebäude ist der westliche, linke Teil des ,Alten Äbtissinnenhauses' im Stift Gevelsberg (Abb. 7).17 1547 wurde als Anbau eines ver- schwundenen Baukörpers ein quadratischer Fach- werkbau errichtet, der im Erdgeschoss nur einen großen Saal und im Obergeschoss zwei Räume enthielt, also zumindest für sich allein kein Wohnhaus gewesen sein kann. Bestandteil eines Wohnhauses wurde der Bau von 1547 spätestens 1685, als anstelle des Vorgängerbaus ein zweiter Fachwerkbau mit weit differenzierterem Grundriss angefügt wurde. Jedoch erst mit einer Bauzeit nach 1670 setzt der Bestand an erhaltenen Kuriengebäuden westfälischer Damenstifte in größerer Zahl ein; in der Mehrzahl entstammen sie dem 18. und davon beachtlich viele erst dem ausgehenden 18. Jahrhundert, also den Jahren vor der Auflösung der Stifte. 5 Hohenholte (Havixbeck, Kreis Coesfeld). (Oben) Lageplan (undatiert); (Mitte) Abtei und alte Kirche 1731, Grundriss und Seitenansicht von Osten; (unten) Lageplan, 18. Jahrhundert (undatiert; Ausschnitt). Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 6 Leeden (Tecklenburg, Kreis Steinfurt), Stift 19. So genanntes Äbtissinnenhaus von 1489(d). Südliche Traufwand und östliche Giebelwand (oben) in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, Erdgeschossgrundriss im Bestand (unten). 2002/2003. 69 70 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 7 Gevelsberg (Kreis Ennepe-Ruhr), Im Stift 9. So genanntes Altes Äbtissinnenhaus von 1547(d) und 1685(d). Südliche Traufwand (oben) und Grundrisse von Erd- (Mitte) und Obergeschoss (unten) in Rekonstruktion des jeweils ursprünglichen Zustands, 1987/1996. Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 8 Elsey (Hagen), Im Stift 35, 33, 31. Drei Stiftskurien des 17. und 18. Jahrhunderts in Massivbauweise (ganz links von 1789(i)), aufgereiht auf der hochwasserfreien Terrasse zwischen Stiftskirche und Lenne, Ansicht 2009. Die barocken Palais des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts Am auffallendsten sind als größte Gruppe die Kurien in der Art barocker Adelspalais, wie etwa im Stift Elsey gereiht (Abb. 8).18 Inmitten weitläufiger Gärten mehr oder minder locker im Gelände des Stifts gestreut, handelt es sich um reine Wohnhäuser von oftmals zwei Vollgeschossen mit bevorzugt massiven, jedoch häufig auch fachwerkenen Umfassungswänden. Angestrebt wurde die axiale Gliederung der Schau- wand in fünf oder gar sieben Achsen mit dem Eingang in der Mittelachse über einer Freitreppe, bisweilen betont mit einem Dreiecksgiebel, und bedeckt von einem Dach ä la Mansard. Die Grundrisse solcher Kurien zeichnen sich besonders dadurch aus, dass landwirtschaftliche Nutzräume fehlen (diese sind in separaten Nebengebäuden untergebracht) und dass sie in Erd- und Obergeschoss weitgehend identisch sind; beide Stockwerke sind auch annähernd gleich hoch. Dies hat seine Ursache darin, dass jedes Haus zumeist von zwei Damen bewohnt wurde:19 Das Erdgeschoss von der das Haus besitzenden und den Haushalt führenden Dame, der sogenannten Kostmöhne, und das Obergeschoss von einer oft ärmeren und zumeist jüngeren Dame, der sogenann- ten Kostjungfer.20 In der Kurie von 1799 in Levern (Abb. 9)21 vermittelt ein kurzer Längsflur vom großen, zentralen Erschließungsraum (I) mit Treppe nach links zu den untergeordneten (Hauswirtschafts-) Räumen (lll-VI) mit einer erstaunlich kleinen Küche. Der größte Wohnraum (VII) wird von drei Fenstern belichtet und durch einen Wandkamin beheizt - im Erdgeschoss rechts, im obe- ren Stockwerk am anderen Schornstein links. Auffallend ist, dass ein solcher hervorgehobener Raum verschiedentlich selbst bei noch bescheideneren Gebäuden, wie etwa in der sogenannten Dechanei von 1778 in Cappel (Abb. 10),22 unmittelbar hinter dem Erschließungsraum mittig im Haus liegt, also an einer Stelle, wo man im bürgerlichen Bereich eher die Küche unterbringt. Der Raum erinnert so eher an einen Saal und dementsprechend aufwändig kann er auch ausgestattet sein. 71 72 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 9 Levern (Stemwede, Kreis Minden-Lübbecke). Im alten Stift 7. Kurie von 1799. Ansicht der östlichen Traufwand (oben) und Erdgeschossgrundriss (unten) in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, 2002. Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 10a Cappel (Lippstadt; Kreis Soest), Cappeler Stiftsallee 10. So genannte Dechanei von 1778. Ansicht (oben), Erdgeschossgrundriss (unten). 73 74 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 10b Cappel (Lippstadt, Kreis Soest). Cappeler Stiftsallee 10. So genannte Dechanei von 1778. Längsschnitt in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands. Allerdings ist heute - 200 Jahre nach Auflösung der Stifte - die historische Ausstattung kaum mehr vorhanden, - hier ein Treppenhaus, dort ein Saal (Abb. 11), bisweilen ein oder mehrere Wandkamine. Noch zerstreuter ist natürlich die mobile Ausstattung, von der nur noch umfangreiche Auflistungen in Dutzenden von Sterbefallinventaren und Testamenten künden.23 Als Beispiel sei in Auszügen der Hausrat benannt, der sich 1680 nach dem Tod der Stiftsdame Margarete Cornelia von Merveldt in ihrer Stiftskurie befunden hat, welche sie im Jahr 1668 im Stift Borghorst hat errichten lassen (Abb. 12); ihr Wappen befindet sich am prächtigsten der vielen einst vorhandenen Wandkamine. In der Küche befanden sich nach dem Sterbe- fallinventar an Mobiliar u. a. Stühle groß und kleine 20 neun Stücke durcheinander, 1 Schapp mit 2 Türen, in der Bettstätte daselbsten ein drlllbüren Unterbett, 11 Metelen (Kreis Steinfurt). Stiftsstraße 12. Abtei von 1720(i). Blick in das Kaminzimmer im Erdgeschoss, 1981. Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts eines mit Linnenbüren nebst weiterem Bettwerk, wohl für die Köchin oder Küchenmagd. Am Bohsemp hangend, d. h. in der Herdstelle selbst, haben sich befunden ein Eisenbratwerk und dazu gehörige zwei Bratspieße, 2 Füße und 1 Pfanne, 2 eiserne Brandruten, 3 große Hähle und 4 lange Hähle sowie weiteres Gerät zum Betrieb der offenen Feuerstelle. Ferner befanden sich in der Küche am Balken hangend ... 12 Seiten Speck, 10 Schinken, 6 halbe Schweinsköpfe, an Rindfleisch 30 Stücke, Mettwürste, 20 neue Stücke Fleischwürste. Obgleich die übrigen Räume, die das Inventar von 1680 nennt, derzeit den heute bestehen- den Räumen noch nicht mit Sicherheit zuzuordnen sind, seien sie - auszugsweise auch mit den darin vor- gefundenen Gegenständen - aufgeführt. Im hohen Kam merken neben der Küchen stand u. a. eine Bett- stätte und in der Speisekammer befunden ein alter kupferner Kessel. Im großen Saal befand sich em überwiegend als alt bezeichneter Hausrat vom Kochgerät bis zum Bettzeug. Erwähnenswert sind neben Gerät zum Betrieb eines offenen Kamins - 1 paar große und ein paar kleine Brandrouten mit Erenköp- 12 Borghorst (Steinfurt, Kr. Steinfurt). Kirchplatz 5. Kurie von Merveldt aus dem Jahr 1668 (oben). Ansicht der vor der Stiftskirche gereihten Kurien mit ihren Nebengebäuden (ganz rechts Kirchplatz 5) um 1890; Gefüge der rückwärtigen Traufwand (Mitte) und Erdgeschossgrundriss (unten) in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands 1668, 2005. 75 76 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen fen, 1 Schippe, 1 Zange - auch 17 Stück bunte Gardinen. In erster Stube oder Kammer Ständen 1 offene ledige Bettstätte, 1 kleiner langer Tisch mit einer Treckladen und in einem mit ... Ledder bezogenen Koffer der seligen Fräulein Kleider. Auf beiden Gemächer ober dem Saal befanden sich 2 offene ledi- ge Bettstellen und eine Trecklade sowie 1 langer Tisch mit 3 Stahle davon einer mit dem Nagel an der Wand angeheftet. Auf das sogenannte Plunderkammerken lagerte der Vorrat an Vitsbohnen, weißeln) Erbsen, Bohnen, Rübesamen, 1 Mehlfass, 1 halbe Tonne mit Gänsefedern. Es wurden hier aber auch große Mengen an Tischlaken, Servietten, Bettlaken, Kissenzüge, daneben auch 1 Bettstätte mit einer Trecklade, 1 hoher und 1 niedriger Stuhl sowie 1 Wanne und 1 He- chelstuhl aufbewahrt. Auf dem Kornbalken schließlich lagerte der Vorrat an Malz, Hafer, Buchweizen, Hopfen, Flachs, Wolle. Es standen hier aber auch u. a. ein langer Tisch mit vier Füßen, eine lange Seddell worin einiger Vorrat, noch eine ledige Seddel, 2 Wan- nenkörbe, 2 Schabellenstühle sowie eine lange Leiter.24 13 Neuenheerse (Bad Driburg, Kreis Höxter). Asseburger Straße 1. Kurie der Familie von der Asseburg aus dem Jahr 1777, Ansicht 2009. Bauliche Sonderformen und wirtschaftliche Grundlagen 14 Schildesche (Bielefeld). Beckhausstraße 260. So genannte Äbtissinnenkurie des späten 18. Jahrhunderts, Ansicht 2010. Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 15a Lippstadt (Kreis Soest). Im Stift 2/3. Doppel-Wohnhaus von 1784(a). Ansicht von Süden. 1 5b Lippstadt (Kreis Soest). Im Stift 2/3. Doppel-Wohnhaus von 1784(a). Erdgeschossgrundriss der rechten Haushälfte (Nr. 2) in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, 2009/2003. 77 78 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 16 Paradiese (Soest, Kreis Soest). Plan des Bezirks, der den evangelischen Stiftsdamen überlassen und nach 1660 bebaut wurde. Allerdings zeigt der Baubestand auch, dass sich viele Damen solche barocken Palais nicht leisten konnten, sondern mit anderen Bauformen vorlieb nehmen mussten. Da gibt es zum Ersten die nur einstöckigen Kurien. Manche von ihnen erreichen die Repräsentativität der zweigeschossigen Palais, wie die Asseburger Kurie von 1777 in Neuenheerse (Abb. 13)25 oder die sogenannte Äbtissinnenkurie in Schildesche (Abb. 14),26 andere dagegen sind in ihrem schlichten Äußeren fast mit zeitgenössischen Landschulen zu verwechseln.27 Da gibt es zum Zweiten auch Reihenhausbebauungen, wie das Doppelhaus von 1784 in Lippstadt mit bracht. Diese waren notwendig geworden, als die Individualisierung im Stift nicht nur zu separaten Wohnungen geführt hatte, sondern - durchaus un- gleichzeitig - auch die gemeinsame Versorgung aufgegeben worden war.31 Spätestens im 17. Jahrhundert wurden die von den stiftseigenen Höfen eingehenden Naturalien nicht mehr gemeinsam aufbereitet und konsumiert,32 sondern den Damen zur eigenen Verarbeitung und zum individuellen Konsum direkt übergeben.33 In Levern erhielt - nach den Generellen Nachrichten von den Besitzungen ... und sonstigen Verhältnißen des Stifts aus dem Jahr 1704 - jeder Haushalt zwei der sogenannten Malschweine: Es jeweils einer separaten Wohnung pro Etage (Abb. suchet sich das Stift die besten aus, und zwar die Frau eine Reihe von fünf Häusern errichtet (Abb. 16), ein iedes zu zweyer junffern wohnung eingerichtet,29 mit einem überdachten Laubengang als Verbindung, ähn- was übrig bleibet, ist vor die Propstey.34 Obligatorisch waren nunmehr nicht nur das Schlachten und die Metelen. und ebenso die Herstellung eigener Textilien.35 15). Im Stift Paradiese bei Soest28 wurde um 1660 gar Äbtißin zuerst, dann die Fräulein nach dem Range; lich dem bereits angesprochenen Kreuzgang in Verarbeitung der genannten Bestialien, sondern auch der Anbau von Obst und Gemüse im eigenen Garten Zum Dritten gab es einige wenige Wohnwirtschaftsgebäude mit dem klassischen Dielenhausgrundriss Nordwestdeutschlands, wie in einem um 1700 errich- Vielfach sind Backöfen in den Kurien nachweisbar, und nicht selten besaßen die Damen eigenes Braurecht.36 Auch die Versorgung mit Milchprodukten im Seitenschiff (Abb. 17). worauf neben Viehbesitz das entsprechende Gerät Üblicherweise waren die landwirtschaftlichen Nutzräume jedoch in separaten Nebengebäuden unterge- Milchbecken, ein Milchküfer, ein Fleischfass und ein Bückefass37 im Inventar der Leedener Äbtissin Hen- teten Damenhaus des Stifts Geseke30 mit kleinem Stall stand in der Verantwortung der haushaltenden Dame, hindeutet, wie etwa 1774 die Butterkanne, zwölf Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 17a Geseke (Kreis Soest). Martinsgasse 1. Kurie aus derzeit um 1700. Ansicht, 2009. III IV V| 1 J.■ r1■ -1 11 1 um 1700. Rechte Traufwand in Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands, 2003. VI $ 03 17b Geseke (Kreis Soest). Martinsgasse 1. Kurie aus derzeit um 1700. Erdgeschossgrundriss mit Längsdiele (I) und Stallung (II) im linken Seitenschiff, 2003. 17c Geseke (Kreis Soest). Martinsgasse 1. Kurie aus derzeit riette von der Reck. Dass der Viehbesitz bisweilen erheblichen Umfang annehmen konnte, wird deutlich, wenn etwa 1658 die Lippstädter Äbtissin Margret Anna von Baeche dem Beichtvater und Seelsor- ger die drei besten aus meinen Kühen38 vermacht; sie hatte also noch weit mehr im Stall. Es wird bisweilen erkennbar, dass selbst das Brotkorn den Damen durchaus nicht immer verarbeitungsfertig angeliefert wurde: 1680 zahlte die Testamentsvollstreckerin nach dem Tod der Margarete Cornelia von Merveldt in 79 80 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 18 Geseke (Kreis Soest). Abtei. Ansicht und Grundrisse aus dem Jahr 1820. Borghorst Lohn aus an sechs Drescher so im sterb- hauß eilt taghe gedroschen.39 Und schließlich ist nach- weisbar, dass die Damen selbst Ackerbau betrieben, wie die Äbtissin von der Borch 1805 im Walburgisstift in Soest,40 in deren Besitz sich ein Erntewagen mit Zubehör sowie ein vollständiges Geschirr und ein Pflug nebst Zubehör für zwei Pferde befanden. Und es gab schließlich zum Vierten eine Reihe von Damenhäusern, die erst durch zahlreiche Anbauten zu einer genügenden Größe bei freilich uneinheitli- cher und wenig repräsentativer Gestalt herangewachsen waren, wie etwa in Geseke (Abb. 18). Dass es sich dabei um die Abtei gehandelt hat, eines der wenigen Gebäude, das sich immer in Stiftsbesitz befand, ist Hinweis darauf, dass der Stiftsfond mit einem stan- desgemäßen Neubau finanziell überfordert gewesen wäre. Dies scheint nicht nur in Geseke der Fall gewesen zu sein: auch anderswo mussten Äbtissinnen in die eige- ne Schatulle greifen, um standesgemäß logieren und repräsentieren zu können. In Fröndenberg41 berichtet die Bauinschrift der Abtei (Abb. 19): Anno 1661. Ida de Plettenbergh ex Lenhausen & Bergstrate, Abbadissa zu Föndenberghe suis sumptibus fieri fecit, dass also die Äbtissin das Gebäude aus ihren eigenen Mitteln hat erbauen lassen. In ihrem ein Jahr später aufgesetzten Testament vermachte sie es dem Stift: Wegen der Auferbauung des neuen Hauses sind ... in etwa die Mittel ausgegangen. ... Dieses neuerbaute haus soll gestiftet und verehret sein zur Wohnung Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 19 Fröndenberg (Kreis Unna). Kirchplatz 2. Abtei von 1661 (i). Links Chor der Kirche, Ansicht 2010. einer zeitigen Frau Äbtissin allhier zu Fröndenberg, und zwar selbiges mit diesem ausdrücklichen Befehl, Condition und Vorbehalt, dass ... die neuankommende Äbtissin gehalten und verbunden sein solle und wolle, diese neuerbaute Abtei zum wenigsten in selbigem Stande ..., wie sie es bekommen, an ein ... ehrwürdiges Kapitel ...zu hinterlassen.42 Der Hausbesitz Die eigenständige Bautätigkeit der Stiftsdamen scheint bei der baulichen Umgestaltung der Stifte seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert entscheidend gewesen zu sein. Die meisten Kurien befanden sich bei der Aufhebung der Stifte im frühen 19. Jahrhundert im Besitz einer der Damen, die ja Armut nicht zu gelo- ben brauchten. Die Dame hatte Verfügungsgewalt und konnte ihre Kurie direkt an das Stift oder an ein ihr nahe stehendes Stiftsfräulein - sogar aus einem anderen Stift - verkaufen oder vererben, wie etwa 1810 Maria von Hövel ihr Haus in Herdecke43 an die Dechantin Christiane von Vaerst, die als Kapitularin im Stift St. Walburgis in Soest lebte.44 Auf solchen Wegen war Maria Dorothea von Morsey im Stift Leeden in den Besitz von gar drei Häusern in drei verschiedenen Stiften gekommen; sie vermachte 1786 nämlich alles übrige Hausgerät welches zu Leeden in meinem Hause noch ist, auch das Haus zu Asbeck46 und das Haus zu Flaesheim.46 Überwiegend jedoch wurde die Kurie an eine Dame derselben Familie - Schwester oder Nichte - weitergegeben, sei es, dass diese bereits im selben Stift lebte, sei es, dass sie von der Erblasserin nicht nur das Haus, sondern auch die Präbende - also die Stiftsstelle mit den Einkünften - zu übernehmen gedächte. Wenn eine solche weibliche Person nicht in Sicht war, wurde das Haus zurückvererbt in den Familienbesitz, aus dem oftmals auch die Mittel zum Bau des Hauses gestammt hatten. So vermachte 1766 Bernhardma Ursula Maria Gräfin von Plettenberg-Lenhausen, Kapi- tularin des Stifts Metelen, all mein Hab und Gut Spruch und Forderung wie sie Namen haben mögen (an) meines) vielgeliebten Vetters älteren Brudersohn Maximilian Friederich, sollte aber dieser mein Erber Maximilian Friederich aus diesen vergänglichen in das Ewige abgefordert werden so soll dieser meine Erb- schaft am Haus und Familie bleiben, verstehe am Stamm und Nam(en')47 Vom Stammsitz aus wurde das Haus dann verpachtet bis zu dem Tag, an dem es erneut Töchter standesgemäß zu versorgen und im Stift unterzubringen gelten würde. So geht es aus einem Mietvertrag hervor, in dem Anna Theresia Freifrau von Landsberg geb. Freiin von und zu Velen nach ihrem heiratsbedingten Austritt aus dem Stift beurkundete, das ich meine im hochadeligen freiweltlichen Stift 81 82 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 20 Langenhorst (Ochtrup. Kreis Steinfurt). Stift 1. Abtei von 1722(a) nach Entwurf von Gottfried Laurenz und Peter Pictorius. Ansicht 1973. Metelen gelegene Behausung a Majo 1767 anfang- ent, an der hochwohlgeborenen Freifräulein von Fuchs, ... solang als es nur immer mein Convenientz sein möge, oder bis dieses Haus selbst von einer meinen Töchtern, wann vielleicht allda im Stift kommen sollte, wird bewohnt werden, verheuert habe48 Zusammenfassung Die Bauform der Stiftskurie des 17. und 18. Jahrhunderts als Haus einer adeligen Dame steht ganz offensichtlich in engem Bezug zur Entwicklung der barocken - Herrenhausarchitektur. Bisweilen zogen die Damen für ihre Kurien sogar dieselben Architekten heran wie die verwandten Oberhäupter der Familien für ihre Schlösser und Palais. So entstand das Abteigebäude in Langenhorst49 nach Entwurf von Gottfried Laurenz und Peter Pictorius (Abb. 20); die Bauherrin, die Langenhorster Äbtissin Clara Franziska Antonetta von Westerholt, war die Schwägerin des Grafen von Plettenberg, der die Pictorius u. a. beim Schlossbau zu Nordkirchen beschäftigte.50 Und der vielbeschäftigte westfälische Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun entwarf nach dem Brand des Stifts Nottuln51 im Jahr 1742 verschiedene - allerdings so nicht ausgeführte - Varianten von Stiftskurien (Abb. 21).52 21 Nottuln (Kreis Coesfeld). Entwürfe von Johann Conrad Schlaun für Stiftskurien 1742. Weniger deutlich als zur Herkunft der Bauform Stiftskurie sind die Befunde bezüglich einer möglichen Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts sozialen Diffusion, d. h. hinsichtlich der Übernahme der Bauform durch andere Bevölkerungsschichten der jeweiligen Region. Einer solchen Übernahme konnten prinzipiell neben der bereits vermerkten besitzrechtli- chen Abgeschlossenheit der Stiftsbezirke die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Stiftsdamen und der örtlichen Bevölkerung mit den entsprechend unterschiedlichen Anforderungen an die Raumstruktur der Häuser entgegenstehen. Während vielerorts einschlägige Untersuchungen noch fehlen, ist für den nördlichen Teil der ehemaligen Grafschaft Mark die Befundlage klarer. Hier liegen mit Clarenberg, Elsey, Fröndenberg, Gevelsberg und Herdecke fünf Stifte, in denen einige bemerkenswerte Kurien bis heute erhalten sind (vergl. Abb. 8). Ganz ähnliche, palaisartige Häuser wurden jedoch zeitgleich oder schon früher auch außerhalb der Stifte errichtet (Abb. 22). Bauherren waren hier die Familien der bürgerlich-gewerblichen Oberschicht, die in keinen engeren Beziehungen zu den Damenstiften standen,53 sodass man eine unmittelbare Beeinflussung dieser Bauten durch die Stifte wohl ausschließen kann. Fundamental ändert sich das Bild mit der Säkulari- 22 Hemer-Sundwig (Märkischer Kreis). Stephanopeler Straße 40. Reidemeisterhaus von der Becke von 1796(1), Ansicht 2008. sation, d. h. mit der Aufhebung der Stifte und der Veräußerung aller Liegenschaften und Bauten, die noch im Besitz des Stiftsfonds standen. Auch für den Privatbesitz der Damen bedeutete die Säkularisation eine entscheidende Lockerung: War bislang eine Veräußerung der Häuser zwar möglich, aber nur innerhalb des Stiftes erlaubt, so fiel diese Schranke ebenso wie das Bedürfnis der Damen und ihrer Familien, im jeweiligen Ort eine Kurie vorzuhalten. So wurden die meisten Kurien sofort nach der Säkularisation oder spätestens mit dem Tod der letzten Besitzerin/Bewohnerin an Interessenten im Ort veräußert: Sowohl die Bauform der Kurie als auch ganz materiell die Gebäude gingen in bürgerlichen Besitz über. In Herdecke54 etwa, wo die Stiftskirche als Pfarrkirche und das Abteigebäude als evangelische Schule weiter bestanden, setzten sich vor allem die örtlichen Tuchfabrikanten in Besitz der übrigen Gebäude, die sie teils zu gewerblichen Zwecken um- und teils zu Wohnzwecken weiter nutzten. Eine der Kurien galt ihrem Käufer, dem Farbenfabrikanten Heinrich Hueck, als baufällig; der Neubau von 1820 entspricht - wenngleich in den Details „modischer" - so weitgehend der daneben stehenden Stiftskurie von 1785 (Abb. 23), dass er kaum als bürgerliche Ergänzung einer einst adeligen Lebenswelt erkennbar wird. 23 Herdecke (Kreis Ennepe-Ruhr). Stiftsplatz 3 und 4. Stiftskurie von 1785 (rechts) und bürgerlicher Neubau von 1820, Ansicht 2011. 83 84 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen 1 Der Aufsatz fasst bisherige Ergebnisse eines nicht abge- Anm. 1). Zahlreiche Abbildungen von Stiftsgebäuden bei Heiko K. L. Schulze, Klöster und Stifte in Westfalen - Ge- schlossenen Gemeinschaftsprojekts des Referats Inventari- schichte, Baugeschichte und -beschreibung. Eine Dokumen- sation bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Bau- tation, in: Geza Jäszai (Hg.), Monastisches Westfalen. kultur (Münster; im Folgenden LWL-DLBW) zusammen. Er Klöster und Stifte 800-1800 (= Ausstellungskatalog Westfä- fußt auf Thomas Spohn, Hausfrauen und Jungfern Lebens- und Wohnverhältnisse in westfälischen Damen- lisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte). Münster 1982, S. 309-445. stiften der nachreformatorischen Zeit, in: Ute Küppers- 4 Die zunehmende Lockerung der Residenzpflicht führte da- Braun/Thomas Schilp (Hg.), Katholisch - Lutherisch - Calvilisierung (= Essener Forschungen zum Frauenstift 8). Essen zu, dass sich im ausgehenden 18. Jahrhundert in vielen Stiften nur noch eine der Amtsträgerinnen ständig im Stift aufhielt. In Herdecke etwa residierte 1786 von 14 Damen 2010, S. 147-177. Aus dem Projekt sind bislang Abhand- neben der Äbtissin nur mehr eine (Otto Schnettler, Herdecke nistisch. Frauenkonvente im Zeitalter der Konfessiona- lungen speziell zu den Profanbauten der Damenstifte Borghorst, Clarenberg, Geseke, Gevelsberg, Herdecke, Leeden und Levern erschienen (Nachweise s. u.). Auf an der Ruhr im Wandel der Zeiten. Stift, Dorf, Stadt. Dort- mund 1939, S. 279 f.) und in Gevelsberg wohnten 1794 von den 12 Damen zwei in Berlin, je eine in Bremen und Nennung der Literatur zu den einzelnen Stiften kann bis auf konkrete Nachweise verzichtet werden unter Verweis auf Corvey, die anderen auf den Schlössern der Familien, näm- die einzelnen Artikel in: Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der Grafschaft Zutphen, auf Haus Reck bei Kamen sowie lich auf Haus Neuenhof bei Lüdenscheid, auf Haus Velde in der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer jeweils zwei Schwestern zu Hackhausen bei Solingen und zu Gründung bis zur Aufhebung, hg. von Karl Hengst, Teil 1: Rauschenberg im Bergischen. Selbst die Äbtissin, Amalia Ahlen - Mülheim; Teil 2: Münster - Zwillbrock; Teil 3: Institutionen und Spiritualität (= Veröffentlichungen der sondern im Stift Elsey (LAV NRW W Münster, Kriegs- u. Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 44: Quellen Domänenkammer Hamm, Nr. 740). Dorothea von Kessel, residierte nicht im Stift Gevelsberg, 2). Münster 1992, 1994, 2003. 5 Siehe neben Otfried Ellger, Das „Raumkonzept'' der Aachener Institutio sanctimonialium von 816 und die 2 In verschiedenen Damenstiften gehörten auch die Geist- Topographie sächsischer Frauenstifte im früheren Mittelalter, lichen zum Kapitel oder bildeten eigene (s. dazu die Anm. 25, 26, 30); daneben existierten auch in Westfalen-Lippe reine Männerstifte. Dazu zählten die Domstifte von Minden, in: Jan Gerchow/Fhomas Schilp (Hg.), Essen und die sächsi- schen Frauenstifte im frühen Mittelalter. Essen 2003, S. 129- Münster und Paderborn, aber auch z. B. das Kollegiatstift in chen Struktur westfälischer Damenstifte als Spiegel ihrer Beckum (Kreis Warendorf) mit sieben, später drei Kanonikaten, das 1295 nach Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke) Lebensgrundlage, in: Olaf Schirmeister (Hg.), Fromme Frauen verlegte Kollegiatstift St. Andreas mit vier Präbenden (Maria Herforder Forschungen, Bd. 10; Religion in der Geschichte, Spahn, Das Kollegiat-Stift St. Andreas zu Lübbecke. Minden Bd. 3). Bielefeld 2000, S. 71-76. und Forschungen zur Kirchen- und Religionsgeschichte, Bd. 1980), das 1310 aus dem 913 erstmals erwähnten adligen Damenstift zu einem Kanonikerstift umgewandelte St. Wal- burgis in Meschede (Hochsauerlandkreis) mit 15 Kanonikaten, das Kollegiatstift St. Patroklus in Soest (Kreis Soest) mit 16 Kanonikaten (vgl. Manfred Wolf, Kirchen, Klöster, Frömmigkeit, in: Heinz-Dieter Heimann/Wilfried Ehbrecht/ 159; auch Matthias Wemhoff, Die Änderungen der bauli- und Ordensmänner. Klöster und Stifte im heiligen Herford (- 6 Manfred Wolf, Konfessionell gemischte Stifte, in: Westfälisches Klosterbuch 3 (wie Anm. 1), S. 245-293. 7 Leeden (Tecklenburg; Kreis Steinfurt); die 1240 gegründete Zisterzienserinnen-Abtei wurde 1538 in ein freiweltliches Damenstift mit acht Präbenden umgewandelt und am 10.02.1812 unter französischer Herrschaft aufgelöst. Ne- Gerhard Köhn (Hg.), Soest - Geschichte der Stadt. Bd. 2. Die ben der Kirche ist nur das unten genannte Gebäude erhal- Welt der Bürger - Politik, Gesellschaft und Kultur im spätmit- ten. telalterlichen Soest. Soest 1996, S. 771-898; Ulrich Loer, Zwischen Stadt und Stift. Die von Schüngel'sche Curie Thomästraße 9, in: Norbert Wex (Hg.), Soester Schau-Plätze. Soest 2006, S. 83-87). Die bauliche Entwicklung mit der Entstehung separater Kurien scheint ähnlich, vermutlich aber früher als in den Damenstiften verlaufen zu sein; zu den Gebäuden für Minden s. Fred Kaspar, Kurienhöfe und -häu- ser, in: Ders. (Bearb.), Einführung und Darstellung der prä- genden Stukturen (= Stadt Minden. Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 50, Teil 1, Teilband 1). Essen 2003, S. 379-382; zu Aspekten der Lebenswelt vgl. Klaus Scholz, Einige Bemerkungen zu den Testamenten münsterischer 8 LAV NRW W Münster, Regierung Münster 20853; auf einer Randleiste der Akte (fol. 4) befindet sich eine skizzenhafte Darstellung der Klosteranlage mit der Unterteilung in fünf Häuser, die hier mit nachgetragenen Bezeichnungen der Ge- bäude wiedergegeben ist. 9 Borghorst (Steinfurt, Kr. Steinfurt); das 974 erstmalig genannte Kanonissen-, später freiweltliche adlige, zum 14.11.1811 aufgehobene Damenstift war mit 18 Pfründen ausgestattet: 15 für die durchweg katholischen Stiftsdamen und drei für Kanoniker. Nur die im Text angesprochene Kurie ist erhalten; s. Werner Friedrich/Thomas Spohn, Die von Merveldt'sche Kurie von 1668 in Steinfurt-Borghorst, in: Kanoniker, in: Westfalen 58, 1980, S. 117-120. Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2/2006, S. 74-77. 3 Zur Lage der Stifte s. die Beikarte: Klöster und Stifte in Westfalen um 1750, in: Westfälisches Klosterbuch 3 (wie Fräuleins-Stift Borghorst. Münster 1920, S. 43f. 10 Zitat nach Richard Weining, Das freiweltlich-adelige Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts 11 Freckenhorst (Warendorf, Kreis Warendorf); das 856 zehn) Kapitularinnen umgewandelt und zum 01.01.1812 aufgelöst. Drei Damenhäuser sind erhalten; vgl. Thomas gegründete Frauenkloster, das vor'1240 die Regeln des Augustinus annahm und 1495 als Damenstift bestätigt wurde, vergab zwölf Präbenden für katholische Damen de des Stiftes Gevelsberg, in: Denkmalpflege in Westfalen- (1650 rekatholisiert). Die erhaltenen Gebäude stammen mit Lippe. 2/1997, S. 47-57. Ausnahme der Kirche aus dem 18. Jahrhundert; s. a. Edel- Spohn, Das „alte Äbtissinnenhaus" und die übrigen Gebäu- 18 Elsey (Hagen); das um 1240 gegründete Prämonstraten- traut Klueting, Die Freckenhorster Äbtissinnen des 18. Jahrhunderts und ihre Stiftungen, in: Klaus Gruhn (Hg.), Freckenhorst 851-2001. Aspekte einer 1150jährigen Ge- serinnenkloster war seit dem späten 15. Jahrhundert bis zur schichte. Freckenhorst 2001, S. 166-184; Friedrich Bernward 19 So betrug die Zahl der Präbenden und der Häuser etwa Fahlbusch, Freckenhorst (= Westfälischer Städteatlas IX, Nr. 2, hg. von Wilfried Ehbrecht). Altenbeken 2006. Säkularisation 1803/11 adliges, gemischt konfessionelles Damenstift mit zwölf Präbenden. im Marienstift Herford zwölf und sechs, in Neuenheerse zehn und fünf und in Fröndenberg 24 und elf; günstiger 12 Lippstadt (Kr. Soest); das um 1185 gegründete Augusti- waren die Verhältnisse mit zehn Stellen und zehn Häusern nerinnen-Stift St. Maria wurde um 1550 in ein evangelisches in Metelen, ungünstiger zum Beispiel in Herdecke mit 17 bzw. sieben und in Gevelsberg mit zwölf bzw. fünf. freiweltliches Damenstift mit 17 (1600) bzw. elf (1753) Kanonissen umgewandelt. Seitca. 1600 wurden nur Töchter adliger Familien, seit 1832 auch hilfsbedürftige Töchter des gehobenen Bürgertums sowie von Offizieren und Beamten 20 Dazu traten jedoch verschiedene weitere Bewohnerinnen. An Gesinde erscheint fast obligatorisch eine Magd oder aufgenommen. Nach Suspendierung der Verfassung Kammerjungfer pro Dame, aber besonders für die großen Haushalte der Äbtissinen war oftmals weit mehr Personal 1810/12 stellten 1826 die Preußische und die Lippische Re- nötig. So vermachte 1681 in Borghorst die Äbtissin Hedwig gierung das bis heute bestehende Stift mit neuer Verfassung wieder her. Von den Damenhäusern sind drei erhalten. Vgl. Claudia Kimminus-Schneider, Das Lippstädter Marienstift. Baugeschichtliche Untersuchung eines westfälischen Kano- nissen-Stiftes des ausgehenden 12. Jahrhunderts. Bonn 1995. 13 Metelen (Kr. Steinfurt); das 889 gegründete Kanonissen- von Gahlen Gegenstände meinem Lakai, meinem Gärtner und Kutscher, meinem Bauknecht, der Jungfer, der Kammermagd, der Küchenmagd und der Fräuleinmagd (LAV NRW W Münster, Landsberg-Velen 5415). 1750 lebten in Leeden im Haushalt der Äbtissin Sophia Johanna Gräfin zu Bentheim- Tecklenburg ein Residenzfräulein, drei Jungfern sowie ein Lakai (LAV NRW W Münster, Stift Leeden Nr. 10), 1773 in St. stift wurde spätestens 1494 zum kaiserlich-freiweltlichen, adligen Damenstift mit zehn Präbenden für katholische Da- Walburgis in Soest im Haushalt der Äbtissin zwei Knechte men umgewandelt und 1803 aufgelöst. An Damenhäusern ten fünf je zwei, sechs je eine und drei keine Magd (Wolf- ist neben der Abtei nur noch eines erhalten; vgl. Reinhard Brahm, Damenstift Metelen. Informationen, Stiftsführer. Metelen 2007. 14 Hohenholte (Havixbeck, Kreis Coesfeld); 1142 als Benediktinerkloster gegründet, um 1200 an AugustinerChorfrauen übergeben und 1557 zum freiweltlichen adligen und fünf Mägde; von den übrigen dortigen Kanonissen hiel- Herbert Deus, Kleine Soziologie der Soester zur Zeit Friedrichs des Großen, in: Soester Zeitschrift 64, 1952, S. 5- 58, hier S. 33 f.). Dazu konnten weitere Personen treten, denn z. B. im Stift Clarenberg (gelegen bei Dortmund-Hörde und in den letzten Resten in den 1960er Jahren abgebrochen) erlaubten die Statuten von 1583: Es soll auch einer Damenstift umgewandelt, vergab das katholische Stift 16, kurz vor der Säkularisation 1811 nurmehr 12 Präbenden. jeden hausjunferen mit vorwissen und bewilligung der abdi- Zwei der Damenhäuser sind - extrem verändert - erhalten. stiget sein als ihr beliebet (Otto Merx, Urkundenbuch des C la rissen klosters, späteren Damenstifts Clarenberg bei Vgl. Hubert Frecking, Christel und Walter Kurtz, St. Georg Hohenholte. Kloster - Stift - Pfarrei. Billerbeck 1989; Jörg Lorenz, Vom Kloster zum Stiftsdorf. 850 Jahre Hohenholte. Coesfeld 1992. 15 Die archäologischen Befunde - auch im Lichte schriftlicher Quellen - bei Ellger 2003 (wie Anm. 5), S. 129-159. 16 Zum Stift Leeden s. Anm. 7. Ausführliche Bauuntersuchungen des Gebäudes einschließlich ausgreifender archiva- lischer Nachforschungen zum gesamten Stift unternahm Dirk Dödtmann (Bremen/Dinklage) auf Initiative des Heimatvereins Leeden und im Auftrag der LWL-DLBW. Die unveröffentlichte Untersuchung ist an beiden Stellen einseh- bar. Zuvor bereits Thomas Spohn, Das Leedener Klosterge- bäude von 1489, in: Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 1990, S. 234-238. 17 Gevelsberg (Kreis Ennepe-Ruhr); das um 1235 gegründe- te Zisterzienserinnenkloster wurde 1573 zum konfessionell gemischten, freiweltlichen Damenstift mit zwölf (später ßen soviel praebenderte junferen In cost zu nehmen vergün- Hörde. Dortmund 1908, S. 365). 21 Levern (Stemwede; Kreis Minden-Lübbecke); 1227 wurde ein Konvent für Zisterzienserinnen eingerichtet, der mit der Reformation 1543 in ein freiweltliches, adliges Damenstift mit zehn Präbenden umgestaltet und zum 01.12.1810 aufgelöst wurde. In dem auf einer Bergkuppe gelegenen, her- vorragend erhaltenen Stiftsbezirk sind noch fünf der Wohnhäuser erhalten; vgl. Fred Kaspar/Thomas Spohn, Kurienhäuser westfälischer Damenstifte. Das Beispiel Levern, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 2/2002, S. 63-72. 22 Cappel (Lippstadt; Kr. Soest); das 1139 erstmalig erwähn- te Prämonstratenserinnen-Kloster wurde 1588 in ein freiweltliches, adliges Damenstift mit zehn Präbenden umgewandelt; durch die enge Beziehung zum lippischen Herrscherhaus nicht säkularisiert, wurde das Damenstift erst im Jahr 1971 durch Vereinigung mit dem lippischen Damenstift St. Marien in Lemgo als Rechtsnachfolger aufgelöst. Neben 85 86 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen einem mittelalterlichen Flügel sind vier Damenhäuser des 18. seke. Berlin 2007. Jahrhunderts (darunter drei als Reihenhausbebauung) erhal- 31 Große gemeinschaftliche Wirtschaftsgebäude waren zum ten. Zeitpunkt der Säkularisation nur noch wenige erhalten, wie 23 Zahlreiche Inventare publiziert z. B. bei Johannes Freiherr etwa der erst 1780 als Umbau des Kreuzgangs entstandene von Boeselager/Peter Klefisch/Bettina Schleier/Ulrich Simon/ und bis heute erhaltene Remter in Lippstadt (Fred Kaspar, Die Elke Weiberg, Im Schatten der Reichsabtei: Stift St. Mariae auf dem Berge vor Herford, in: Westfälische Zeitschrift 140, Bauuntersuchung des Remters, in: Kimminus-Schneider 1995 [wie Anm. 12], S. 247-250) oder die (abgebrochene) 1990, S. 49-130. Stiftszehntscheune in Geseke (Spohn 2005 [wie Anm. 30], S. 24 Fürstliches Archiv Salm-Horstmar Coesfeld, Bestand Stift 189). Borghorst, K 345; zum Stift Borghorst s. Anm. 9. 32 Vgl. Leopold Schütte, Die Erzeugung und Nutzung land- 25 Neuenheerse (Bad Driburg; Kreis Höxter); das 868 wirtschaftlicher Produkte, in: Westfälisches Klosterbuch 3 gegründete Kanonissenstift wurde 1810 aufgelöst. Die Zahl von 20 Damen und 17 Geistlichen im Jahr 1352 wurde nach (wie Anm. 1), S. 497-517. 33 Dazu ausführlich Bernd-Wilhelm Linnemeier, Stift Quern- 1528 auf jeweils zehn Präbenden reduziert. Neben der Abtei heim: Untersuchungen zum Alltagsleben eines Frauenkon- sind in dem noch dörflichen Stiftsbezirk drei Damenhäuser und sechs Häuser von Geistlichen erhalten. 26 Schildesche (Bielefeld); das 939 gegründete Kanonissen- stift mit - im 12. Jahrhundert - 13 Damen und zwölf Geistlichen wurde 1672 in ein konfessionell gemischtes Stift mit (zuletzt) 18 Damen-Präbenden umgewandelt und 1810 aufgelöst. Zu den Baulichkeiten s. Gertrud Angermann, Schicksale der Schildescher Kurien in der Endphase des ventes an der Schwelle zur Reformation, in: Westfälische Zeitschrift. 144, 1994, S. 21-88, hier S. 39-44. 34 Nach Hans Nordsiek, Das Zisterzienserinnenkloster und spätere freiweltliche Stift Levern, in: Tausend Jahre Levern (hg. von den Gemeinden des Amtes Levern). Minden 1969, S. 42-82, hier S. 71. Zum Stift Levern s. Anm. 21. 35 Ausführlich Spohn 2010 (wie Anm. 1), S. 162-164. 36 Zur erhaltenen Braustelle im Sockelgeschoss der Kurie Im Damenstiftes und seit seiner Aufhebung, in: Ravensberger Blätter 1987, Heft 2, S. 13-27. Von den zuletzt acht Kurien alten Stift 5 in Levern s. Kaspar/Spohn 2002 (wie Anm. 21), ist nur eine erhalten. 37 LAV NRW W Münster, Stift Leeden Nr. 10. 27 So z. B. die beiden Kurien Im alten Stift 1 und 4 in Levern; 38 LAV NRW W Münster, Stift Lippstadt A 13. Abbildungen bei Alfred Pohlmann, Kirche und Stift Levern (- S. 65-68. 39 Fürstliches Archiv Salm-Horstmar Coesfeld, Best. Stift Westfälische Kunststätten 54). Münster 1989. Zum Stift Borghorst, K 345; zu dieser Kurie siehe Abb. 12, zum Stift Levern s. Anm. 21. Borghorst Anm. 9. 28 Paradiese (Soest; Kr. Soest); das 1252 gegründete Dominikanerinnen-Kloster wurde nach langen Streitigkeiten um die Lebensführung und nach konfessioneller Aufspaltung des Konventes im Jahr 1660 in ein katholisches Kloster und ein evangelisches, freiweltliches Damenstift getrennt. Die Aufhebung des Stiftes, das anfänglich wohl sieben, später fünf Kanonissen aus dem niederen Adel der Region, aus 40 St. Walburgis-Stift (Soest, Kreis Soest); um 1167 wurde bei Soest das Augustinerinnen-Kloster St. Walburgis gegrün- det, nach Zerstörung im Jahr 1447 in die Stadt verlegt und 1625 in ein weltliches Damenstift umgewandelt. Im Jahr 1670 bewohnten 14 lutherische, vier katholische und zwei reformierte Kapitularinnen, bei der Aufhebung im Jahr 1812 insgesamt 19 Kapitularinnen das Stift. Sämtliche Baulichkei- Familien des Soester Patriziats und der Sassendorfer Sälzer, ten sind bis auf wenige Spolien untergegangen. aber auch aus Offiziersfamilien, aufnahm, erfolgte 1811. Alle Stiftsgebäude wurden wenig später abgebrochen; vom serinnen-Klosters erfolgte vor 1230, die Umwandlung zum Kloster ist die Abtei erhalten. Zu den Baulichkeiten vgl. Ruth Tempel, Ein Bauplan des Stifts Paradiese mit Handskizze vom 23. September 1660, in: SoesterZeitschrift 108, 1996, S. 8187. 29 Ebd„ S. 84. 41 Fröndenberg (Kreis Unna); die Gründung des Zisterzienkonfessionell gemischten adligen Damenstift mit 24 Präbenden im Jahr 1550 und die Auflösung 1812. Vier Wohnhäuser sind erhalten. 42 LAV NRW W Münster, Fröndenberg, Urkunde Nr. 535; zur Abtei, Kirchplatz 2, gehörten Viehhaus, Scheune und Schaf- 30 Geseke (Kreis Soest); das 946 gegründete, bis 1014 stall. Die Belege für Stiftsdamen als Bauherrinnen sind zahl- Kanonissenstift umfasste ursprünglich Stellen für 29, später Fröndenberg betrieben auch die Äbtissinnen in Metelen reichsunmittelbare und letztlich erst 1872 aufgelöste 25 Damen von Adel. Dem Damenkonvent nachgeordnet war eine Gemeinschaft von anfänglich drei und seit 1775 vier zumeist bürgerlich rekrutierten Kanonikern. In dem innerstädtisch noch klar ablesbaren Stiftsbezirk sind drei Damen- häuser erhalten; vgl. Thomas Spohn, Die Profanbauten des reich. Dies gilt in erster Linie für die Äbtissinnen. So wie in 1720 (Wappenstein am Äußeren; Reinhard Brahm, Das Stift Metelen. Ein Führer durch den Bezirk des ehemaligen adeli- gen Damenstiftes. Metelen 1998) und Langenhorst 1722 mit eigenen Mitteln die Erbauung der Abteien als - nach der Kirche - vornehmste Gebäude der Stifte und gleichzeitig ehemaligen Kanonissenstiftes Geseke, in: Geseker Heimat- eigenem Wohnsitz. Die Abtei in Lippstadt wurde - aus blätter (Beilage zur Geseker Zeitung) 2005, 63, Nr. 472, S. 141-146, Nr. 473, S. 149-155; 64, Nr. 474, S. 157-162, Nr. 475, S. 173-176, Nr. 476, S. 179-183, Nr. 477, S. 186-192; von Löben als Bauherrin errichtet (LAV NRW W Münster, Stift Ulrich Löer, Das adlige Kanonissenstift St. Cyriakus zu Ge- Mitteln des Stifts - in den Jahren 1739/40 durch die Äbtissin Lippstadt A 43; s. a. Kimminus-Schneider (wie Anm. 12), S. 43f.); ebenfalls in Lippstadt sorgte die Äbtissin von Wülknitz Die Bauten westfälischer Damenstifte des 17. und 18. Jahrhunderts für den Neubau des Damen-Doppelhauses (s. Abb. 15). Die Bauherrinnenschaft einer einzelnen Stiftsdame am eigenen Haus ist überliefert u. a. für die Kurie von Merveldt 1680 in Borghorst (s. Abb. 12), die Kurie von Nagel 1724-1726 in nissenstift wurde 1493 in ein freiweltliches adliges Damen- stift umgewandelt. Bis zur Aufhebung 1811 gehörten 25 Damen dem Stift an. Von den Kurien sind drei - allerdings innerlich stark verändert - erhalten. Metelen (LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv Frhr. v. Nagel 52 Florian Matzner/Ulrich Schulze, Johann Conrad Schlaun - Haus Ittlingen, Nr. 467), die Kurie von Boeselager 1789 in 1695-1773. Architektur des Spätbarock in Europa. (= Ausstellungskatalog) Münster 1995, Bd. 2, S. 502-507. Fröndenberg (LAV NRW W Münster, Nachlass Gisbert von Romberg B 270) und die Kurie von Bandemer 1804 im Marienstift auf dem Berge oberhalb von Herford (LAV NRW W Münster, Königreich Westfalen A 2, 118). Der Reichsgraf von Merveldt war als Familienoberhaupt 1755 Bauherr einer 53 Thomas Spohn, Bauen und Wohnen der ländlichen Oberschicht im märkisch-bergischen Grenzraum, in: Jahrbuch für Hausforschung. 55. Marburg (in Druck). 54 Zum Stift Herdecke s. Anm. 43. Kurie im Stift Langenhorst (LWL-Archivamt für Westfalen, von Merveldt, Bestand Goppel, Akten 35). Ausführlich Tho- mas Spohn, Bauherrinnen - Materialien zum Einfluss von Frauen auf das Bauen und Wohnen in Westfalen-Lippe, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 57, 2012, Abbildungsnachweise: S. 35-74. 5548). - LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur: 43 Herdecke (Kreis Ennepe-Ruhr); die im 12. Jahrhundert erstmals archivalisch fassbare Benediktinerinnen-Abtei wurde im 15. Jahrhundert in ein freiweltliches, seit der Mitte des 16. Jahrhunderts konfessionell gemischtes, freiweltliches, adliges Damenstift mit ursprünglich zwölf, später 14 Präbenden umgewandelt und 1812 aufgelöst. Von den Kurien sind drei erhalten; vg. Joseph LammersTThomas Spohn, Die Bauten des ehemaligen freiweltlichen, adeligen Damenstiftes Herdecke, in: Westfalen 88, 2010, S. 7-51; s. a. Anm. 4. 44 Nach Wolfram Mellinghaus, Herdecke um 1800. Herdecke 1999, S. 66. 45 Asbeck (Legden; Kreis Borken); das um 11 50 gegründete Augustinerinnenkloster wurde 1597 in ein freies wohladeli- ges Stift katholischen Glaubens mit 16 Präbenden umgewandelt und 1811 aufgelöst. An Gebäuden sind nur wenige, jedoch weit zurückreichende Teile erhalten; vgl. Andreas Eiynck/Fred Kaspar, Der älteste Fachwerkbau Westfalens - Stift Asbeck, in: Günter Wiegelmann/Fred Kaspar (Hg.), Beiträge zum städtischen Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutsch- land 58). Münster 1988, S. 41-58. 46 LA NRW W Münster, Stift Leeden Nr. 10. Zum Stift Flaes- heim (Haltern; Kreis Recklinghausen): Der 1166 gegründete Prämonstratenserinnen-Konvent wurde 1555 in ein freiwelt- liches, adliges Damenstift mit erst 17, später zehn Stellen umgewandelt und 1808 aufgelöst. Die Damenhäuser sind untergegangen. 47 LWL-Archivamt, Archiv v. Plettenberg-Lenhausen, Schloss Hovestadt D 273. 48 LAV NRW W Münster, Landsberg-Velen 13774. 49 Langenhorst (Ochtrup, Kr. Steinfurt); das im Jahr 1178 gestiftete Kanonissenstift wurde 1576 in ein freiweltliches adliges (ab 1606 rein katholisches) Damenstift mit 12 Präbenden umgewandelt und 1811 aufgehoben. Die drei bis in die frühe Neuzeit zurückreichenden Flügel des Klosters sind wie die Abtei des Stifts weitgehend erhalten. 50 Zuletzt Jörg Niemer, Die Baumeisterfamilie Pictorius, in: Westfalen 83, 2005, S. 165-179. 51 Nottuln (Kreis Coesfeld); das um 850 gegründete Kano- Dirk Dödtmann: 1, 6. - Christoph Hellbrügge: 12c. - Landesarchiv NRW W Münster: 1 (Kartensammlung A 3a, 7-10, 12b, 13-15,17,19, 23 (Spohn); 11 (Nieland); 12a (Bildarchiv); 20 (Brückner); 22 (Gropp). - Reproduktionen: 2 (aus Ellger 2003 [wie Anm. 5], S. 155); 3 (KimminusSchneider 1995 [wie Anm. 12], S. 72); 4 (Brahm 2007 [wie Anm. 13], o. S.); 5a (aus Frecking/Kurtz 1989 [wie Anm. 14], S. 15); 5b/c (aus Lorenz 1992 [wie Anm. 14], S. 56 (b), 48 (c)); 16 (aus Tempel 1996 [wie Anm. 28], S. 82); 21 (aus Matzner/Schulze 1995 [wie Anm. 52], S. 504). 87 88 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Bockei und Mulmshorn Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg/Wümme Wolfgang Dörfler Der heutige Landkreis Rotenburg besteht im Wesentlichen aus dem alten Amt Rotenburg des Stiftes Verden und dem Amt Vörde des Erzstiftes Bremen. Die Bischöfe und Erzbischöfe haben sich erfolgreich darum bemüht, dauerhafte Ansiedlung von Adelssitzen in ihrem Einflussbereich zu verhindern. Am deutlichsten ist dies in unserer Region bei den - im Umkreis der landesherrlichen Burgen ent- standenen - Ämtern Rotenburg und Vörde (heute Bremervörde) sichtbar, wo die Anzahl adeliger Güter zu allen Zeiten niedrig blieb. Dort hat es nur ca. 40 Adelssitze gegeben, wobei auch die kurzfristig bestandenen mitgezählt sind; in den übrigen Teilen der Stifte Bremen und Verden waren es mehr als 200.' Ein Grund dafür, dass die geistlichen Landesherren Adelsgüter in ihren Stiften nicht gewollt haben, war, dass die Adelsgüter bis in die Neuzeit von der Steuerpflicht (dem Schatz') befreit blieben. Oft gelang es einzelnen Adelsfamilien, sogar Höfe, über die sie die Grundherrschaft ausübten, aber nicht selbst bewirtschafteten, nicht zum Schatz beitragen zu lassen. Sie hatten solche Höfe allerdings vom Landesherren nur als Lehen erhaltenen, wobei die Lehnsvergabe zeitlich der landesherrlichen Besteuerung vorwegging. Damit entstand der Streit über die Frage der Schatzfreiheit solcher Höfe. Der primäre Tausch: adelige Kriegsfolge gegen Lehen und Steuerfreiheit war im Spätmittelalter zu einem schlechten Geschäft für die Landesherren geworden. Die Lehen wurden den Landesher- ren entfremdet, und von Kriegsfolge konnte angesichts der Mehrfachvasaliität der Ministerialen meist keine Rede mehr sein. Das als Ersatz für die Kriegs- folge eingeführte sogenannte Rossdienstgeld der Grundeigentümer war nur ein schwacher Ausgleich, und auch die Pflicht zur Stellung eines berittenen Kriegsknechtes durch den Adeligen war mit der alten Folgepflicht nicht gleichwertig. Darüber hinaus konn- te es sogar zur Konkurrenz zwischen den Landesherren und einzelnen Adelsfamilien kommen: wenn nämlich der Adelssitz sich zur Burg mit Anspruch auf eine eigene Landesherrschaft entwickelte. Im Johann Roden Bok (einem Verzeichnis der Besitzungen und Rechtstitel der Bremer Erzbischöfe aus dem Ende des 15. Jahrhunderts) wird beschrieben: Wo de Ridder- schup mit oren vesten unde waningen ummegahn hebben, iss woll ogenschien. Dat Süchte van Brehmen voelet dat alle dage wol, wat darvan kamen iss, se buwen sunder ohres hem willen, innerste syde, darna hoge (...) und se kriget in kort dar ene klene her- schup.2 Auch das wenig später erschienene Vorder Register des Bremer Erzbischofs Johann Rohde ist in gleicher Weise kritisch gegenüber den Aktivitäten des Adels; hier liegt der Konfliktpunkt meist in der Entfremdung von erzbischöflichen Interessen, bei denen es um die Rechte des Bremer Erzstiftes im Frei- bann Gyhum ging: Was [hier] liegt an Wäldern und anderem, das kommt denen von Borch als Dienstmannen des Bremer Stifts zu. Und die meisten Güter auf dieser Seite zwischen Rotenburg und Gyhum stehen unter der Pfandschaft des Verdener Stiftes, und [sie] sind verpfändet und verkauft von denen von Borch ohne Willen und Ermächtigung des Bremer Erzbischofs, dem dadurch seine Rechte und seine Herrschaftsgewalt verloren gegangen sind und seine Dienste, die die Stiftsmannen dafür zu tun schuldig sind.3 In der Frühen Neuzeit gelang es den Landesherren zunehmend, ihre Macht in Richtung des Absolutismus auszuweiten. Dieser Zugewinn wurde zum guten Teil zu Lasten des Adelsstandes errungen. Am Ende des 16. Jahrhunderts musste der Adel die Einschränkung hinnehmen, dass nur noch selbst bewohnte Güter steuerfrei blieben, die zu Meierrecht verpachteten oder von Verwaltern geführten Höfe in adeligem Besitz hingegen nicht mehr. Im 17. Jahrhundertsei es dann so gewesen (berichtete Klöntrup in seiner Osnabrücker Gesetzessammlung von 1798), dass der Adel die Steuerfreiheit besäße, auch wenn er ein gemeines Bauerngut bewohnte, dagegen auch der größte Edelhof, wenn er von einem gemeinen Unterthanen bewohnt wurde, sogleich wieder verbauerte.4 Die Schweden brachten 1651 für ihre deutschen Besitztümer die Anordnung: Daß einem von Adel, der sonst im Lande keinen Sitz und Wohnung hat, jedoch ein Land-Stand ist, frey stehen solle, von seinen Gütern einen Meyerhof zur Wohnung aptiren zu lassen, und solchen mit Dach und Fach samt gehörigen Ländereyen ohne Schatz und Beschwerung zu besitzen, er dagegen aber schuldig seyn, drey Käther an selbigem Orte in den Schatz zu bringen.5 Diese gesetzlichen Bestimmungen lassen vermuten, dass es fließende Übergänge zwischen adeligem und bäuerlichem Wohnen und Wirtschaften auf den Höfen gegeben haben muss, die Gebäude also für beide „Lebensformen" dienlich gewesen sind. So hatten die beiden im Folgenden vorgestellten adeligen Häuser auch ein Niederdeutsches Hallenhaus als Wohnwirtschaftsgebäude. Die zwei Adelshöfe lagen nur fünf Kilometer voneinander entfernt an der Poststraße von Rotenburg nach 89 Vörde (Abb. 1). Mulmshorn an der Wieste - also der umstrittenen Grenze zwischen den Stiften - auf verdischer Seite und Bockei knapp jenseits des Grenzbaches im Bremischen. Mulmshorn war ursprünglich ein großer einstelliger Hof, Bockei war in einem aus nur drei Höfen bestehenden Dorf nachgesiedelt worden. Bei Betrachtung der Lage und Verteilung von Bauernhöfen in Einzellage fällt auf, dass diese entlang von Grenzen, besonders von umstrittenen Grenzen, gehäuft vorkamen. Hier könnte der Gedanke der Grenzsicherung hinter der Ansiedlungserlaubnis bzw. der Ansiedlungsförderung gestanden haben. Einzelhöfe als Übernahmeobjekte haben vorstellbar auf Adelige eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, kamen sie doch der Vorstellung von einem auch räumlich separierten adeligen Gutsbetrieb primär schon nahe.6 Mulmshorn Die gesicherten historischen Nachrichten zum Siedlungsplatz Mulmshorn beginnen um 1260. Hier heißt der Platz Ollerdeshorn und hatte möglicherweise zwei Hofstellen. Die Bauern des Hofes waren dem Verdener Bischof zehntpflichtig. In einem Schatzregister von 1548 ist nur noch ein Bauer mit Namen Hermann dort auf einem einstelligen Hof nachweisbar; sein Haus war fünf Fach groß. 1560 zahlt sein Nachfolger, der Meier Arp, eine der höchsten Schatzsummen im Stift Verden. Er musste kurz nach 1560 den Hof an den Adligen Johann von Holle abgeben oder wie es in der Quelle heißt: Johann von Holle habe den Hof abe- 1 Mulmshorn und Bockei an der Poststraße von Rotenburg nach Zeven. Ausschnitt aus dem Blatt 21 Rotenburg von 1836, Topographischer Atlas des Königreichs Hannover und Herzogtums Braunschweig von August Papen. Reproduk- tion, Druck und Vertrieb LGN - Landesvermessung + Geobasisinformation Niedersachsen, Hannover 1999. gecontentiert und nhun eine Edelmannswohnung daraus zu machen angefangen. Damals wechselte der Name von Ollerdeshorn zu Tom Ulmes Horm, das spä- ter zu to Mulmeshorn und schließlich zu Mulmshorn vereinfacht wurde.7 Johann von Holle wandelte den Bauernhof mit Zustimmung des Verdener Bischofs (welcher sein Bruder war) in einen „freien Adelshof" um.8 Zwei alte, im Rahmen von Grenzkonflikten entstandene Karten der Zeit kurz vor 1600 zeigen den Hof mit den Mühlengebäuden. Der hier in die Wieste einmündende Glindbach ist auf der Skizze so gezeich- net, als ob er zusammen mit dem Fluss wie ein Wassergraben den Adelshof schützend umrundet (Abb. 2). Als von einem adeligen Besitzer bewohnter und be- wirtschafteter Hof bestand Mulmshorn nur ca. 40 Jahre (bis kurz nach 1600). Dann kam es zu einem Versuch des Verkaufs durch Johann von Holle, der in einen Prozess vor dem Reichskammergericht münde- te und 1611 mit dem Ankauf des Gutes durch das Verdener Domkapitel endete.9 Der Hof wurde mit Mitteln aus dem Schatzaufkommen des Stiftes gekauft und den bischöflichen Tafelgütern zugelegt. Dabei war ein Argument auf den Beschluss fassenden Landtagen von 1602 und 1611, dass es wegen des Hofes in seiner vorgeschobenen Grenzlage (das Guedt wehre an eim strittigen Orte belegen) bei dem 2 Der Hof Mulmshorn mit den Mühlengebäuden. Der Adelshof wirkt wie durch einen Wassergraben geschützt. Zwei Karten der Zeit um 1600. StA Stade Karten Neu Nr. 13101 und 13122. 90 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen drohenden Erwerb durch einen Bremer Untertanen mehr Streits zwischen den Ertz- und Stifften Bremen und Verden erregt werden möchte.'0 Im 17. und 18. Jahrhundert ist der Hof als Vorwerk des Rotenburger Schlosses oder Wohnsitz des Amtmannes genutzt, noch mehrfach verkauft und vom Amt zurückerworben worden. Dadurch entstand eine Vielzahl von Akten, die sich mit den Besitzern und Pächtern des Gutes befassen.11 Im Jordebuch der Vogtei Sottrum von 1694 wird das Haupthaus des Hofes folgendermaßen beschrieben: hat neun Fach bey der Diele, ein Feuer- und einem Cammerfach, worunter ein Keller.'2 Zehn Jahre später findet sich in einer ausführlichen, die Besitzverhältnisse analysierenden Akte aus dem Jahr 1704 die Notiz: Inventarium der Gebäude. Weil sonst nichts zu Inventiren gewesen: 1. Daß Vorwercken an sich Selbsten. 2. Eine Scheune von 4 Fachen in der Mitte ein Wagenschauer. 3. Ein Schaffkawen. 4. Der Soot.'3 1729 wurde dann aber doch inventarisiert und ein sehr ausführliches Dokument erstellt. Es ist leider nur eine mit blassem Bleistift geschriebene Kladde überliefert, worin auch der Anlass der Inventarisation nicht erwähnt ist.14 Das Haupthaus des Hofes wird als Vorwercksgebäude mit dem daran gebauten Querhaus benannt. Es hatte 11 fach an der Dehle nebst dem Feur Fach. Insgesamt widmet sich das Inventar intensiv der Bestandsaufnahme aller Einbauten des Hauses. Alle Türen, Fenster, Treppen, Fußböden und Decken werden bezüglich der Materialien und ihres Erhaltungszustandes ermüdend ausführlich beschrieben. Für die Struktur des Hauses lässt sich Folgendes extrahieren: Es gab ein Vorschauer und eine zurückliegende Große Tür. In das Vorschauer war ein Tauben- schlag eingebaut.15 Rechts und links hinter dem Vordergiebel lagen die Pferdeställe für jeweils sechs Pferde. Über den Wandaufbau erfahren wir: Die untersten Fache sind mit Eichen bohlen gefuttert, und oben mit Mauersteinen vor fertiget; es waren die Fachwerkwände also mit den später als Fußbohlen oder auch „Wolfsbohlen" benannten Eichenhölzern geschlossen, eine Bauweise, die für Pferdestallteile von Bauernhäusern und bei alten Schafställen in unserer Region gelegentlich noch nachzuweisen ist.16 Im oberen Teil waren die Fächer bereits mit Ziegel- steinen ausgemauert, was auf den Adelsbau verweist, da bäuerliche Gebäude im 18. Jahrhundert noch komplett mit Lehm ausgefacht wurden. Auf der Diele wurde beiderseits in fünf Fachen das Rind Vieh gestaltet. Im hinteren Dielenteil werden dann zwei Bette (worunter ich Butzen, also Schlaf- schränke vermute) und eine Scheerwand von Tannen Dielen beschrieben. Von obiger Diele gehet man rechter Hand in eine Cammer mit einem Fenster, die nur insofern eine Funktionsbeschreibung erfuhr, als dass sich für selbigen Fenster innen wendig 4 Eiserne Stabe 3 fuß 9 Zoll lang oben eingelassen, unten eingenagelt befinden. (...) Linker Hand ist des Pachtmanns Stube wofür 1 gefütterte Tannthur mit Eichen Rahmen, tannen Sa rjegen'2, 1 paar mit Niednagelen versehene Bockhorn Haken Hespen, ein gesondert Schloß mit Crampen, Drüker und Schlüssel. Dieses Zitat soll einen Eindruck von der Ausführlichkeit der Beschreibungen geben. In der Kammer des Pächters befinden sich weiter: 7 Eisern Ofen de a[nn]o 1713 in voltenkommen guten stände. Vor [den] 2 Fenstern befinden sich Tannen braune vermahlte Clappen, an welche die Schrauben, womit selbige fest zumachen, fehlen. Es scheint sich dabei um (innenliegende?) Läden zu handeln. Nicht ganz klar ist auch, was mit folgender Beschreibung gemeint ist: Der hohe Heerdwand Camin ist von Mauerstein oben mit ein höltzerne Stuetze. Handelt es sich um einen „Schwibbogen" oder um eine Rauchabzugshaube über dem Herdfeu- er, die den Rauch in einen Über-Dach-Schornstein abführte?18 Weiter heißt es: Von dieser Diele gehet man rechter Hand in die Küche, wofür eine gute Thür. Eine echte Küche ist also im Haus vorhanden und mit einer Tür vom Flett getrennt. In der Küche ist ein Feüer Herd 1 f[uß] aufgemauert mit einer höltzerne Stüetze, oben mit ein schmalen tanfnenhölzernen] Bort versehen. Hier wird eine bodennahe Kochstelle mit Rauchfanghaube gemeint gewesen sein, da später noch von einem Schornstein, der aus der ordinären Küche kommt, die Rede ist. In diesem Raum sind zwei Fenster vorhanden, die durch 8 Eiserne Stabe, ä 3 f[uß] 8 Zoll lang, oben eingelassen, unten angenagelt,'9 weiter ein Rinsteln von gehauene Steine und ein Fußboden aus gehobelten Weichholzbrettern (ge- strichenen Tan Dielen). Aus der Küche gehet man in den Kelter. (...) Der Kelter ist mit Eich Balken Überschüßen und geweitert. Es werden zwei Kellerräume beschrieben. In dem ersten Kelter befindet sich eingangs an der Treppen 1 Gitter von 3 Eisen Stangen [und] noch 2 Luftlöcher, für welcher 16 Stäbe Eisen, für iede[r ein] Tan Schieber. Der andere hatte 1 Lufftloch in welchen 3 stab Eisen in die Lange und 3 in die quer. Auß vorbeschriebener Stuben (der „Pachtmann- stube") gehet eine Thür auf den Gang. Hier ist 1 einfacher Eisen Ofe de a[nn]o 1707 erwähnt. Aus der selben Stube führt eine weitere Tür in die Schlafcammer. Aus der Kammer geht eine Tür auf den Essaal. Über diesen Saal erfahren wir, dass er zwei große Fenster hat und 1 Großer Eiserner Ofen d[a]t[o] a[nn]o 1579 mit der Holten Wapen mit dobbeltem Steinere sub die unterste, und die beiden Seiten Biadder20 sind gebor- sten. Die fuer Bohden ist von danen Dielen in ziembl[ichen] Standen. Die Decke oben gewällert und getünchet. Die Datierung des Ofens und das Wappen der Familie von Holle ist ein schöner Hinweis auf den Bau dieses Hauses in der Zeit nach 1560 (nach der Übernahme des Hofes durch Johann von Holle). Er Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg war aber wahrscheinlich ein Hinterladerofen, der noch keines Schornsteins bedurfte. Nur noch kurz hingewiesen sein soll auf die NebenCammer, die CaminCammer, (der Camin ist von 27 Steinen aufgeführet und in zimbl. Stande), ein weiterer Gang, über den es heißt: Noch befindet sich auf diesen Gange ein Camin womit 2 Ofen geheizet werden, und ist die Röhre davon in den Küchen Schorn- stein geleitet und schließlich der Bohden. Zu diesem führen zwei Treppen und man erfährt: Die Röhre von Schornstein aus der CaminCammer geht durch diesen Boden zum Dache aus. Von den Bohden ist der 2te Schornstein aus der ordinfären] Küche und vor die Diele zum Dache auß geführet, und der übrige Raum des gantzen Gebäudes mit Früchten beleget. Erstaunt ist man über die Vielzahl der Feuer- und Heizmöglichkeiten und das Vorhandensein von zwei Über-DachSchornsteinen im frühen 18. Jahrhundert, die in die umgebenden bäuerlichen Häuser erst 150 Jahre später Einzug hielten. 10. Neubauer Stelle von Claus Holsten 17. Neubauer Stelle von Claus Wählers 12. Lustgarten 13. Obst-Hoff 14. Neuer Baum-Hoff 14. Küchen Garten 15. Schwein Hoff 16. Neuer Baum Hoff 17. Hoff Raum Es werden im Inventar zwei Wohneinheiten unter einem Dach unterschieden, die des Pachtmannes und die des Besitzers. Dass das Inventar aber 1729 hierauf nicht detailliert eingeht, wird daran gelegen haben, dass eine adelige Besitzerfamilie den Hof schon lange nicht mehr selbst bewohnte. Ein Inventarium und Anschlag genanntes Dokument des Jahres 173321 liefert folgende Kurzbeschreibung mit Maßangaben (die im Inventar von 1729 nur widersprüchlich angegeben waren): Das Wohn- und Vorwercks Gebäude mit dem daran gebauten KreutzHause (...) von Westen ins Osten in die Länge 150 3 Guth Mulmshorn und dessen Gräntzen im Jahr 1743. StA Stade Karten Neu Nr. 13172. fueß (43,7 m), dessen äußerliche und innerliche Beschaffenheit und Zustand in obegenannten Inventarium pag. 1-19 ausführlich beschrieben. Das Stichwort „Kreuzhaus" aufnehmend, muss allerdings festgestellt werden, dass auf den Grundrissen der fol- genden Jahre ein Versatz mit Verbreiterung des Kammerfaches nicht wiedergegeben ist;22 das Gutshaus wie auch die Nebengebäude sind auf zwei exakten Karten des 18. Jahrhunderts (Abb. 3 und 4) mit rein rechteckigen Gebäudeumrissen überliefert. Es wird also ein zweistöckiger nicht verbreiterter Wohn- teil mit gegenüber dem Dielenteil geänderter Firstrichtung bestanden haben. Auf der Karte von 1 74323 ist der Gebäude- und Gar- tenbestand Mulmshorns dokumentiert (Abb. 3). Es sind dort erwähnt und durch Ziffern gekennzeichnet: 7. Das Wohn-Haus samt Vorwerck 2. Das Vieh-Haus 3. Die Heu-Scheune 4. Das Brenn-Haus 5. Das neue Häuslingsgebäude 6. Die Schäferei nebst Garten 7. Müller-Wohn Hauss nebst Garten 8. Koth Stelle von Johann Holsten 9. Koth Stelle von J. H. Lindes 4 Grundriss und Nebengebäude des Gutes Mulmshorn auf der von Findorff entworfenen Karte von 1782. StA Stade Karten Neu Nr. 13175. Das Gut war 1730 an einen bürgerlichen Erwerber verkauft worden, der es selbst bewirtschaftete. Seine Witwe verkaufte es nach 1770 an zwei Erwerber, die es 1782 den vier Kötnern und einem Häusling des Dorfes weiterverkauften. Die Bauern Mulmshorns hatten die Absicht, das Gut unter sich zu teilen. Für die Flächen des Hofes ist der Vorgang in Akten und auf Karten gut dokumentiert. Hier interessiert aber in erster Linie, was aus den Gebäuden geworden ist. Im 91 92 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 5 Linns, Mulmshorn Nr. 3. Giebelinschrift „1785", innengefüge aus älteren, zweitverwendeten Ständern und Balken. Foto Dörfler 2011. Vorwerkes, gegründet oder wenigstens vergrößert worden sind. Damals sind offensichtlich auch die Gebäude des Vorwerks, vor allem das gewaltige Haupthaus, unter den Bauern aufgeteilt worden/725 Der Teilungsvertrag von 1782 und der Bau oder Umbau von Linns Hus 1785 suggerieren ja einen engen Zusammenhang zwischen den beiden 6 Ahrens, Mulmshorn Nr. 2 beim Abriss. Einseitiger, überdi- mensionierter Unterschlag. Foto Dörfler 1988. Teilungsprozess von 1780 heißt es dazu: Wegen der Gebäude sind sich die Käufer schon unter einander einig, und behält Carl Dietrich Meyer (der Häusling) so viel daran, als er zu seinem Gebrauch nöthig hat. Die überigen werden abgebrochen und geteilt und zu den Erweiterungen der Gebäude, die bey den Brinck Kathen vorhanden sind gebraucht zu werden.24 Die Gebäude sollten also abgebrochen und zerteilt werden. Das war Ulrich Klages durch mündliche Überlieferung bekannt geworden, und darum hatte er in unserem Aufsatz zur Bauernhausentwicklung des Landkreises Rotenburg von 1994 über Linns Hus in Mulmshorn (Abb. 5) geschrieben: „Eine Torinschrift an dem aus engem quadratischem Fachwerk bestehenden Großtürgiebel gibt als Baujahr 1785 an. Es handelt sich um eine von mehreren Kötnerstellen, die durch die Verteilung und den Ankauf der sogenannten ,Burg', des ehemaligen Rotenburgischen Amts- Ereignissen. Ob der Abriss des Haupthauses nach der Teilung zügig vollzogen wurde, bleibt aber unklar. Im Gegensatz zur Verabredung von 1782 schreiben die zwei auf dem Gut wohnenden Erwerber noch 1794: Eine kurze Zeit besassen wir 5 Käufer das Gut ge- meinschaftlich, wir fanden aber bald, daß es uns zuträglicher wäre, die zum Gute gehörigen Ländereyen zu teilen. (...) die übrigen Mitkäufer, die 3 genannten Köther zu Mulmshorn erhielten blos ihren Anteil von Ländereyen, wir aber nebst den Ländereyen auch den eigentlichen Wohnhof, worauf wir jetzt wohnen.26 Bei genauem Lesen lässt das Zitat es offen, ob die Erwerber in einem der vielen Gutsgebäude wohnten oder mit Wohnhof nur das Gelände meinten, auf dem ihre Häuser lagen. Bereits 1770 aber hatte der damalige Besitzer des Gutes Boysen in einem Brief erklärt,27 dass der Erwerber Holsten, der zu den Beschwerdeführern zählte, einen zum Gut gehörigen Platz bereits mit einem Wohnhaus bebauet habe, womit er eigentlich keinen Grund hatte, 1794 noch in den alten Gebäuden zu wohnen. Wir hatten in zwei Bauernhäusern des Dorfes, nämlich den am Erwerb beteiligten Höfen Nr. 2 (Ahrens) lockel und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg und Nr. 3 (Linns) Hölzer gefunden, die für die Häuser selbst überdimensioniert erscheinen. Bei Hof Nr. 3 waren einzelne Ständer und Deckenbalken von größerem Querschnitt als der Rest der Konstruktionshöl- zer und erkennbar zweitverwendet. Bei Hof Nr. 2 erstaunte uns der 6,65 m überspannende Unter- schlagsriegel (Abb. 6). Aus Linns Hus (Nr. 3) konnten wir einen Deckenbalken und einen Ständer mithilfe der Dendrochronologie auf 1734/1735 datieren.28 Der Giebel des Hofes wies ja die Jahreszahl 1785 auf. Damit ist keine Zuweisung zum Adelsbau des 16. Jahr- hunderts gegeben. Diese zweitverwendeten Hölzer aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts könnten aber aus dem Gutshaus stammen, wenn man eine bisher unbekannte Bauphase annimmt. 1734 hatte die königliche Kammer das Gut an die Herren Boysen und Schilling verkauft, zwei Investoren, wie man sie heute nennen würde; von ihnen ist vorstellbar, dass sie das Hauptgebäude umgebaut haben. 1785 ist das Datum eines weiteren umfassenden Umbaus, der zum Zweck der Bildung einer repräsentativen „Vierständerform" des Hauses unternommen wurde. Den Unterschlag und einen Ständer von Hof Nr. 2 konnte ich endlich 2012 beproben. Die Hölzer dieser Hausteile waren zu meinem Erstaunen erst 1797 gefällt worden.29 Der große Hof Nr. 2 war also erst 15 Jahre nach der Teilung des Gutes neu errichtet wor- den. Es war für diesen Neubau frisch gefälltes Holz großer Dimensionen verwendet worden. Der am Erwerb beteiligte ehemalige Häusling Carl Dietrich Meyer nahm die Hausnummer 1 des Vorwerkgebäudes mit, als er 1796/1797 250 m entfernt von der alten Hoflage nach Nordosten versetzt neu baute.30 Sein Haus wurde 1970 abgebrochen und durch einen etwa gleich großen Neubau ersetzt, der eine Fachwerkfassade unter Verwendung alter Hölzer erhielt (Abb. 7).31 Nahe dabei lag der Hof mit der Nummer 4, Holstens genannt, der gemeinsam von Hermann Hastedt (dem anderen Miterwerber, der 1794 noch in den Gutsgebäuden wirtschaftete) und seinem Schwager Claus Holsten dort neu gegründet worden war. Das schön renovierte Haus zeigt die Jahreszahl 1825 (Abb. 8). Der fünfte Miterwerber (Storbes, Nr. 5) baute 1818 ein neues großes 7 Meyers, Mulmshorn Nr. 1. 1970 auf Initiative der Denkmalpflege vom Vorgängerbau übernommene Fachwerkfassade. Foto Dörfler 2011. 93 94 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Holstens, Mulmshorn Nr. 4. Neubau von 1825. Foto Dörfler 2011. 9 Storbes, Mulmshorn Nr. 5, Neubau von 1818. Foto Dörfler 2011. Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg Haupthaus, das noch in wesentlichen Teilen erhalten ist (Abb. 9). So endete die Geschichte dieses einstelligen Hofes, Adelshofes, Vorwerks und Amthofes nach Gutes sind die Familien von Carl-Detlev und Alexander Freiherr von Hammerstein-Gesmold. 1684 schrieb Dietrich von Stade: Bockei ein adeliger Hoff, den jetzo Die mündliche Überlieferung berichtet von einer schon erwähnten Jordebuch: Mulmes Horn ist Adelshof identifiziert. Dafür gibt es zwar keinen Bockell.33 Das sind die beiden seit Langem bekannten frühen Nachrichten zu einem Adelsgut an diesem Ort. 220 Jahren. „Burg" in Mulmshorn und hat eine sagenhafte Erzählung darum gerankt. Diese Burg wird im Dorf mit dem Anlass, aber in 300 m Entfernung vom Platz des früheren Adelshofes gibt es eine eindrucksvolle Wall- Graben-Kombination, die wirklich an eine alte Be- festigung erinnert.32 Die archäologischen Befunde am Ort des Hofes mit Findlingsfundamenten sowie Kachel- und Ziegelsteinfunden wurden ausgreifend in Richtung mittelalterlicher Anlagen interpretiert, die dem einstelligen Hof noch vorausgegangen sein müssten. Mir scheinen diese Funde mit den neuzeitlichen Hofgebäuden vollständig erklärt zu sein. 1960 und endgültig 1979 ist das Gelände gründlich planiert worden, sodass mit erhellenden Funden kaum noch zu rechnen ist.33 Bockei Die Untersuchung des adeligen Gutes Bockei profi- tiert davon, dass das Hauptgebäude besteht und auch eine reichhaltige Überlieferung an Akten und Bildern heute noch greifbar ist. Besitzer und Bewohner des Otto von Düringen in Posses hat.34 1694 steht im benachbahrt ins Norden mit dem adeligen Guth zu Wann aber genau und wie die Gründung des Adels- hofes in Bockei im 17. Jahrhunderts vor sich ge- gangen ist, ist ungeklärt. Es war jedenfalls nicht so, dass die drei dort seit dem Spätmittelalter nachweisbaren Bauern abgemeiert und ihre Höfe zum Gut zusammengefasst worden wären.36 Auch die sonst übliche Umwandlung eines einzelnen Meierhofes kann nicht stattgefunden haben, da alle drei Höfe in Kontinuität bis zur Agrarreform des 19. Jahrhunderts bestehen blieben. Die Bockeier Höfe waren auch im Gegensatz zu vielen Bauern der Nachbardörfer am Ende des Dreißigjährigen Krieges nicht abgebrannt, wie es ein Register von 1647 ausweist.37 Adelige Besitzungen gab es in der Umgebung Bockeis bereits im Mittelalter, aber keine Spuren eines Adelssitzes. Im noch um 1500 erwähnten Freibann Gyhum gab es Gerichtsrechte in adeliger Hand. Sie waren als Lehen der Bremer Erzbischöfe denen von Borch über- tragen worden. Daraus entstand das Adeliche Gericht 10 Das adelige Gericht Gyhum mit dem Ort Bockei auf der Militärkarte der Kurhannoverschen Landesaufnahme von ca. 1786. British Library London Map 6 Tab 33, 99.51-2f. 95 96 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Gyhum, zu dem Bockei gehörte. 1684 wurden als gemeinsame Inhaber der Gerichtsrechte vier Adelige benannt.38 Erstaunlich ist, dass außer Otto von Düring, dem Besitzer des 1684 schon existierenden Adelshofes in Bockei, noch drei andere „Interessierte" aufgelistet wurden. 1718 hieß es: Gyhum, (...) ein frey Junckern-Gericht.39 Noch in der Kurhannoverschen Landesaufnahme von 1769 steht notiert: Das adeliche Gerichte Gyhum und am Ort Bockei findet sich die Notiz von Marschal.40 Auf der verkleinerten Militärver- sion dieses Kartenwerks41 ist der Umfang dieses Gerichtes gut zu erkennen (Abb. 10). 1828 schrieb Peter von Kobbe: Die adeliche Börde Gyhum, sonst Gericht der Marschalks, die zu Bockei ihren Sitz habend2 Das Kirchspiel Gyhum ist ein auffallend kleines Kirchspiel mit wiederum starken Hinweisen auf adeligen Einfluss. Die Kirche wird im 12. Jahrhundert gebaut worden sein und trägt - seit dem Spätmittelalter nachgewiesen - das Margarethen-Patrozinium. Auf Sicher ist, dass ein Mitglied der Adelsfamilie von Düring Gründer des Gutes Bockei war. Eine Erklärung für den Übergang des Besitzes der Famile von Borch an die Familie von Düring bietet die Gyhumer Gemeindechronik von 1982: Nach den Tode von Iwan van Borch (1502) - zu ergänzen wäre hier IV, da er ein Enkel des vorhin erwähnten Iwan von Borch war gehen diese Besitzungen in Gyhum an seine Tochter Ilse Margarethe über, die sich mit Otto von Düring verheiratet. Letzterer errichtete dann in Bockei während des Dreißigjährigen Krieges einen selbstständig bewirtschafteten Großhof.48 Andererseits erwähnt der Historiker Arthur von Düring, dass Johann von Düring Erbherr zu Düring und Bockei 1618 ein Gut Brobergen gekauft habe.49 Dieser Johann sei vor 1641 verstorben. Nun wird aus dem Zitat nicht klar, woher der Autor den Titel zu Düring und Bockei nahm und ob man ihn auf das Jahr 1618 beziehen darf. In einer Akte des von Hammer- der Orgelempore sind die Wappen der adeligen Familien von Hammerstein, von Düring, von Marschalk und von der Kuhla eingeschnitzt und farbig steinschen Archivs aus Bockei, das jetzt im Archiv der gefasst (Abb. 11).43 1440 hatte die Witwe des Iwan von Borch III. verschie- ring zu Brobergen und Bokel 1654.50 Diese Titulierung kann man als sicheren Hinweis darauf werten, dass es dene Besitzungen im Kirchspiel Gyhum an das Bistum Verden verkauft.44 Die Familie behielt aber auch da- den Hof 1654 schon gab. In derselben Akte wird angesichts einer Liquidationsverhandlung des Jahres 1661 von einem Kohlhoff zu Bockei, einem Backhaus zu Bockei und schließlich von einem Guthe zu Bockei gesprochen, was die Annahme stützt, dass der Hof in den letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges oder in den ersten Nachkriegsjahren gegründet worden ist. Arthur von Düring hatte seinen Kenntnisstand 1936 so zusammengefasst: „Auf dem Besitz (Bockei) war kein Wohn- und Wirtschaftshof, er wurde von dem Sitze der von Borgh auf Burg Horneburg aus verwaltet, erst Anfang des 17. Jahrhunderts scheint an einer günstig gelegenen Stelle in Bockei ein Gutshaus und nach in der Umgebung Gyhums noch Besitz, der um 1500 im Vorder Register nachgewiesen ist.45 Auf die- sem Besitz beruht die Ausstattung des später dort angesiedelten Gutes. Der Wohnsitz Iwan von Borchs III. und seiner Witwe war Horneburg. Die Zehntregister von 1384 und 1500 zeigen die Zehntpflicht der drei Bauern des Dorfes Bockei zur Bremer Domprobstei.46 Auch die zahlreichen späteren Register der Jahre bis 1650 weisen drei Bauern in Bockei nach. Das detaillierteste Schatzverzeichnis von 1647 zeigt, dass seinerzeit alle drei Bauern W. Dühring zu Brobergen zum Gutsherrn hatten. Zwei der Bauernhäuser waren drei, eines vier Fach groß, ihr Viehbesatz und ihre Ackerflächen waren weitgehend identisch.47 Ritterschaft in Stade aufbewahrt wird, fand ich eine Mappe mit dem Titel: Concurs Papiere Johann v. Dü- Wirtschaftshof erbaut, und damit ein selbständig bewirtschaftetes Gut geschaffen zu sein."51 Diese Datierung Anfang des 17. Jahrhunderts ist zu früh, da die sicheren Nachweise nicht vor der Mitte des Jahrhunderts einsetzen. Zudem ist die Hofgründung besser mit der hiesigen ländlichen Prosperitätsphase in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit zu erklären.52 11 Die Brüstung der Orgelempore (vormals Priche der von Hammerstein) in der Gyhumer Kirche mit vier Adelswappen. Foto Dörfler 1997. Die oben zitierte Behauptung, dass der Besitzübergang der Güter zwischen den von Borch und den von Düring durch eine erbberechtigte Tochter erfolgte, ist im Übrigen auch falsch.53 Ilsabe oder Ilse war eine Schwester Iwans IV. von Borch, der 1502 kinderlos starb. Seine Schwester war schon seit ca. 1480 mit Otto von Düring verheiratet und brachte nach dem Tod ihres Bruders das Bockeier und Gyhumer Erbe in die Familie von Düring ein. In Arthur von Dürings Veröffentlichung von 1936 sind die Besitzerwechsel des Gutes zwischen 1687 und 1932 nachzulesen.54 Aus der Familienüberlieferung ist Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg 12 Gut Bockei, Wirtschaftshofseite und in Fachwerk erneuerter Giebel. Foto Dörfler 2011. bekannt, dass das Gut die meiste Zeit nicht von einer Adelsfamilie bewohnt war, sondern von Verwaltern geführt wurde. Gesichert ist, dass der adelige Besitzer von Bockei, Carl Freiherr von Hammerstein (+ 13. Mai 1932), als Landrat des Kreises Zeven im Zevener Amts- haus wohnte und im, von einem Verwalter bewirtschafteten, Gut Bockei sich nur einige Zimmer zur Nutzung reserviert hatte. In der Familie kursiert die Zahl 1728 als Baujahr des Haupthauses. Es ist heute ein mit 15 x 43 m sehr großes Niederdeutsches Hallenhaus, mit mehreren Umund Anbauten aus den vergangenen zwei Jahrhunderten (Abb. 12). Seine Dimension (das Verhältnis 1:3 von Breite zu Länge) war 1844 schon mit der heutigen identisch (Abb. 13).55 Eine interessante Quelle für die Baugeschichte, die aber leider erst für das späte 19. Jahrhundert Daten liefert, sind die Brandkassenakten. Als Besonderheit enthalten die Versicherungsakten ausgetretener Mitglieder genaue Objektbeschreibungen aus der Zeit um 1873/74. Diese Akten blieben erhalten, weil die Unterlagen ausgetretener Mitglieder 1881, nach der Fusion der (landschaftlichen) Bremen- und Verden- schen Brand-Assecurations-Casse mit der Vereinigten landschaftlichen Brandversicherungs-Gesellschaft zur Vereinigten landschaftlichen Brandkasse Hannover nicht an die Verwaltung in Hannover abgegeben wurden, sondern in Stade verblieben waren. Die Akten der weiterversicherten Gebäude wurden nach Hannover gebracht und dort später (nach Aktualisierung der Einschätzungen) vernichtet, sodass für in der Brandkasse verbliebenen Höfe Beschreibungen erst aus dem 20. Jahrhundert überliefert sind. 13 Grundriss des Gutes Bockei und seiner Nebengebäude 1844. StA Stade Karten Neu Nr. 13171. Die Beschreibungstabelle der Brandcasse informiert über das Haupthaus des Hofes in Bockei mit folgenden Einträgen: Benutzungsart: Wohnhaus, Stallungen u. Fruchtboden. Landwirtschaftsbetrieb. Umfassungs- wände: Fachwerk mit 1/2 Backsteinen 1/2 Stroh. Dachung: Stroh. Giebel: 1/4 Stakenwerk und Lehmüberzug 3/4 Stroh. Feuerungsanlagen: 2 Ofen in der Stuben, ohne Brandmauerung, Küchenräume mit offenen Heerd, Holzverschalung, von Tenne nicht 97 98 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 14 Das Flett des adeligen Gutes Mulmshorn um 1874. Aquarell aus dem Besitz der Familie von Hammerstein Bockei. Foto Dörfler 2011. 15 Innenständer mit Balken- und Nackenkopfband des ade- ligen Gutes Bockei 1783(d). Foto Dörfler 2011. 16 Alte eichene Innentür im Gut Bockei. Foto Dörfler 2011. Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg getrennt, ohne Schornstein.56 Die Einträge entstammen, wie gesagt, einer Revision der Verzeichnisse aus dem Jahr 1874. In dem Jahr war das Haus also noch komplett mit Stroh gedeckt und ein im Flettteil schornsteinloses Rauchhaus! Diese überraschende Nachricht wird durch ein Aquarell aus dem Familienbesitz bestätigt. Das Bild zeigt die offene Bodenfeuerstelle des Gutshauses in der Zeit um 1890 (Abb. 14). Ob auch die Stubenöfen noch Hinterlader mit Rauchabzug in das Flett waren und also auch dort keine Schornsteine vorhanden waren, ist der Beschrei- bung nicht sicher zu entnehmen. Und was man sich unter Strohwänden (im Gegensatz zu Stakenwerk mit Lehmüberzug) am Giebel vorzustellen hat, bleibt rät- selhaft. Im Inneren des Gebäudes haben sich heute drei Stän- der des alten Innengefüges sichtbar erhalten. Sie zeigen mächtige Kopfbänder zur Diele und auch große Nackenkopfbänder zur Kübbung hin (Abb. 15). Ein eichener Deckenbalken von 35 cm Kantenlänge ließ sich auffinden und daraus, wie aus einem der Ständer, Proben für eine Altersbestimmung entnehmen. Die dendrochronologische Untersuchung ergab die Jah- reszahl 1 783.57 Damit lässt sich die Frage nach dem Gründungsdatum des Hofes, das in der Mitte des 17. Jahrhunderts liegt, leider nicht beantworten, jedoch ist damit das Vorkommen der großen Nacken- kopfbänder und der überwiegenden Nadelholzbalken in diesem Gebäudeteil erklärt, die eine Datierung in das 17. Jahrhundert unwahrscheinlich machen. Das Holz muss gerade gefällt gewesen sein, als ein Jahr später - nämlich 1784 - das Gutshaus zur Gänze abbrannte, wie eine Arbeit zu berichten weiß, die in den 1960er Jahren geschrieben wurde und als Quelle nur das Gutsarchiv der Familie ohne weiterführende Hinweise nennt.58 Damit aber bestätigen sich Dendro- chronologie und Überlieferung in einer Weise, die Zweifel verstummen lässt. Dieser Teil des Hauses muss ausweislich der Höhe der Zapflöcher für die Riegel ehemals ein Kuhstall gewesen sein. Jetzt stellt er die westliche Haushälfte dar, die schon lange zum Wohnen umgenutzt ist. Die Vermutung liegt nahe, dass der ganze Bau bei der Umnutzung dieses Teils zu Wohnzwecken nach Osten erweitert wurde, um neue Stallungen zu schaffen. Auch die Höhe der Außenwände ist verändert wor- 17 Gut Bockel. „Mitte 19. Jahrhundert". Im Dielenteil Zweiständerbau mit Strohdach, drei Schornsteine. Aquarell aus dem Besitz der Familie von Hammerstein Bockel, als Postkarte reproduziert. 99 100 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen den. Alle alten Deckenbalken, auch solche aus Weichholz, sind mit einer aufwändigen Konstruktion unter Verwendung von eisernen T-Trägern angelängt, um sie so bis zu den Außenwänden zu ziehen, die bei dieser Gelegenheit erhöht wurden. Als Resultat weist die Haushülle heute durchgängig die Form eines Vierständerbaus auf. Im Inneren sind zahlreiche eichene Türen erhalten, die eine individuelle und aufwändige, an das „Selsinger Zwiebelmuster" erinnernde Gestaltung der Füllungsbretter aufweisen (Abb. 16). Sie zeugen von den adeligen Wohnansprüchen der Erbauer. Andererseits waren die Trennwände im Dachgeschoss aus zu Ziegeln geformten, getrockneten Torfsoden aufge- schichtet gewesen. Mehrere, als Postkarten reproduzierte, Aquarelle aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen das Gebäude. Das auf „Mitte 19. Jahrhundert" datierte Bild (Abb. 17) zeigt das Niederdeutsche Hallenhaus als einen in seinem Dielenteil noch mit Stroh gedeckten Zweiständerbau, während der Flett- und Kammerfachteil äußerlich bereits als pfannengedeckter Vierständerbau erscheint. Weiter sind drei Schornsteine auszumachen. Die Datierung auf der Postkarte ist wahrscheinlich zu früh, da sie im Widerspruch zu dem Brandkassendokument von 1874 steht, das noch die komplette Strohdeckung und das Fehlen des Schornsteins im Flett beschreibt. Die späteren Ansichten zeigen dann die Deckung des gesamten Daches mit Pfannen und die Umwandlung auch des seinerzeitigen Dielenteils in einen (scheinbaren) Vierständerbau (Abb. 18). Dabei blieben aber das große Dielentor und die Fachwerkbauweise der Giebelwand erhalten. Die Südseite des Hauses hatte ein Fachwerk über hohem, massivem Sockel gezeigt, und in der vorderen südöstlichen Hausecke waren bereits Kammern über einem Keller eingerichtet wor- den. Der Vordergiebel wurde im frühen 20. Jahrhundert massiv aufgemauert und 2003 wieder in Fachwerkansicht zurückgebaut (Abb. 12). Bei diesem letzten Umbau wurde die Diele auch auf der Nordseite für Wohnzwecke umgenutzt. Der Hintergiebel zeigt heu- te noch ein altes Fachwerk (Abb. 19). Um 1910 heiratete Sophie von Bothmer auf dem Hof ein und veran- lasste wesentliche Umbauten im ehemaligen Flettund Dielenbereich. Auf beiden Traufseiten wurden Quergiebel errichtet, um das Obergeschoss des Hauses besser nutzen zu können. Auf der Parkseite wurde dieser Giebel im Sinne eines Querhauses um ca. 2 m vorgezogen und zusätzlich eine überdachte Terrasse mit darüber liegendem Balkon geschaffen. 18 Gut Bockei. „September 1892". Vordergiebel, im Hintergrund Göpelschauer, Brunnen und Scheune. Aquarell aus dem Besitz der Familie von Hammerstein Bockei, als Postkarte reproduziert. Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg 19 Hintergiebel und Gartenseite des Gutes Bockei mit um 1900 errichtetem Dachausbau, Balkon und Wintergarten. Foto Dörfler 2011. Die Terrasse wurde 1950 mit Fenstern zu einem Wintergarten geschlossen und 1980 unter Beibehal- tung der Form komplett erneuert (Abb. 19). Heute imponiert neben dem mächtigen Bau vor allem die großzügige Parkanlage mit den Alleen und dem alten Baumbestand. Auch auf der Wirtschaftsseite finden sich noch etliche mehrhundertjährige Eichen. Zusammenfassung Die historischen Befunde zu den beiden adeligen Häuser in der Mitte des heutigen Landkreises Rotenburg passen zu dem, was schon Arthur von Düring 1934 beschrieben hatte: „Auf den meisten Gütern stand das strohgedeckte niedersächsische Bauernhaus, das sich nur durch seine bessere Innenausstattung von dem Hause des Bauernhofes unterschied, auf anderen Gütern waren in einfachem Stil erbaute Häuser, die in ihrer inneren und äußeren Gestaltung von der Anspruchslosigkeit des bremischen Adels zeugten."59 Den Befund hat Hermann Kaiser für den Raum zwischen Weser und Ems bestätigt, wenn er in seiner materialreichen Arbeit60 zusammenfassend feststellt, dass die Erwartung, als Wohn- stätte einer Adelsfamilie ein Schloss oder Gutshaus (im Sinne eines massiven zweistöckigen Wohnhauses) vorzufinden, unzutreffend sein kann. Der adelige Hof hatte auch dort als Haupthaus häufig ein Hallenhaus. Diese Hallenhäuser unterscheiden sich aber in Dimension und Ausstattung doch deutlich auch von den großen Bauernhäusern der Zeit, sodass ich daraus nicht auf „Anspruchslosigkeit" schließen möchte. Vielmehr fehlten wohl die materiellen Grundlagen für eine noch aufwändigere Bauweise, wie sie die adeligen Bauten Schleswig-Holsteins, Brandenburgs und Mecklenburg auszeichnet. Eine Rolle mag auch das im Elbe-Weser-Dreieck verbreitete lange Festhalten an tradierten Wirtschaftsarten gespielt haben, die mit dem offenen Rauchhaus verbunden sind. Zu bedenken bleibt schließlich, dass der adelige Hof oft über lange Zeiträume nur eine Nebenwohnstätte der Adelsfamilie war und also die erst im späten 18. und im 19. Jahrhundert nachweisbar werdende Einrich- tung mehr auf die Lebensweise der dort tätigen Pächter und Verwalter als auf die der Adelsfamilie selbst rückschließen lässt. Erbaut wurden die Häuser immer von Sprösslingen der Adelsfamilien, die sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts und wieder in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges auf Landgüter verlegten. Sie schufen die großen Hallenhäuser und bewohnten diese Höfe selbst. Solche Gutsgründungen, wenn sie auf altem Bauernland stattfanden, führten in mehreren Fällen zu lang anhaltenden juristischen Streitigkeiten mit den früheren Bewohnern und ihren Nachfahren,61 was die Konfliktträchtigkeit solcher Umwandlungen zeigt, aber auch die Tatsache, dass hier in den Bistümern Bremen und Verden die Bauern der Abmeierung nicht recht- oder wehrlos ausgesetzt waren. 101 102 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen 11 Außer den erwähnten Reichkammergerichtsakten auch 1 Angaben zum Erzstift nach Hans G. Trüpper, Ritter und eine Akte des Jahres 1667 (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. Knappen zwischen Elbe und Weser. Stade 2000, Übersichts- 8679) und Akten der Zeit von 1701-1745 (Das von der karte im Anhang und S. 567 sowie „Liste der Rittersitze im Erzstift Bremen" S. 566-582. Die Angaben für das verdische Intendantin Prytz mit Kapital belegte und dafür von königlicher Kammer gegen Erbzins überlassene Gut Mulmshorn: Amt Rotenburg wurden ergänzt durch die unveröffentlichte StA Stade Rep 74 Nr. 5708). Weiter enthalten die Grenz- Ausarbeitung des Rotenburger Kreisarchäologen Dr. Stefan akten (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 287), die Akten der Hesse „Burgen und Befestigungen im Ldkr. Rotenburg Gutsauflösung von 1780 (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. (Wümme)". 2 Richard Capelle (Hg.), Johann Roden Bok. Bremerhaven 8689) und Streitakten des Jahres 1795 (StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8690) viele rückblickende Informationen. 1926, S. 29. 12 Hinrich Miesner, Die Jördebücher des Kreises Rotenburg. 3 Landesarchiv Niedersachsen Staatsarchiv Stade (im Hodenberg als Bremer Geschichtsquellen II unter dem Titel: Rotenburg 1938, S. 394. Jördebücher sind sehr genaue Register aus der „Zweiten Schwedenzeit" in den Herzogtümern Bremen und Verden, die der Besitzerfassung und Das Vorder Register, ein im königlichen Archive zu Stade ver- damit der intensiven Vermögensbesteuerung der Untertanen wahrtes Lagerbuch, welches unter der Bezeichnung dienten. Weiteren StA Stade) Rep 5b Fach 155, hg. von Wilhelm von Registrum bonorum et Juridicum Castri Vorde citra et ultra 13 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 5708, erstes Konvolut Oestam auf Anordnung des Bremer Erzbischofs Johannes 16. Julij 1704. Rohde gehörigen Hoheitsrechte, Gerichtsbarkeit, Tafelgüter 14 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 5692 Inventar von Mulmshorn 1729. Die Lesung ist nur mit Lücken bzw. und andere Rechte verzeichnet, wie sie um 1500 bestanden haben (Hannover 1851, gedruckt Celle 1856), hier zitiert eine hochdeutsche Übersetzung nach: Wolfgang Dörfler, Herrschaft und Landesgrenze. Stade 2004, S. 768f. Unsicherheiten möglich. Insgesamt aber ist ein solches Inventar ein Glückfall, da präzise Beschreibungen von Hallenhäusern aus dem frühen 18. Jahrhundert sehr selten sind. 15 Eingangs ostwerts ist eine dobbelte thur davor 1 fach ste- 4 Johann Aegidius Klöntrup, Alphabetisches Handbuch der besonderen Rechte usw. Osnabrück 1798, S. 48. Hier zitiert hend. (...) 1 Vorschauer, worin 1 Tauben Hauße von danfnen] nach: Hermann Kaiser, Adel und Wohnen auf dem Land - dielen, worin 10 Nester. Einflüsse ständisch geprägter Sozialstrukturen auf Bauweise 16 Ulrich Klages/Wolfgang Dörfler/Hans-Joachim Turner, und Wohnverhalten in Nordwestdeutschland, in: Probleme „Bauernhaus-Genealogie" im Landkreis Rotenburg. Eine ver- der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet. Band 32. gleichende Analyse der Innengefüge älterer Bauernhäuser. 1. Wilhelmshaven 2008, S. 129. 5 Königlich schwedische Resolution von 1651, zitiert nach: Harm Prior, Rittergut und Meierhöfe auf der Stader Geest. Stade 1995, S. 28. Ein Beispiel dafür, dass diese Vorschrift durchgesetzt worden wäre, ist mir allerdings nicht bekannt. 6 Als Beispiel ist zu nennen: Der Adelige Johann von der Decken vertrieb den Meier von seinem einstelligen Hof Bostel bei Selsingen, als er 1547 einen Adelshof daraus machte. Für das Gut wurden wenige Jahre später auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses Oste neue Gebäude errichtet. 1580 gründete der Sohn des Johann von der Decken am ehemaligen Hofplatz eine Dammsiedlung, die es bis 1600 auf zehn Kötner brachte (Michael Ehrhard, Die Börde Selsingen. Stade 1999, S. 221-223). 7 Nachweise der Quellen, Liste der Besitzer etc. bei Dörfler (wie Anm. 3), S. 668-678. 8 Es habe zu Mulmeshorn gewöhnet ein alter Mann nahmentlich Johann von Hole, Bischoff Eberhards Bruder, der es diesen seinen Bruder zu gefallen bau wen laßen, sey aber von dem (Verdener) ThumbCapituI zu Lehen gegangen. StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8679, BI. 3. 9 Die Prozessakten haben die Signatur: StA Stade Rep 27 Nr. 1212 Band 1 (Vorakten von 1600-1604) und Band 2 (Prozess 1610 bis 1611). 10 StA Stade Rep 8 Fach 19 Nr. 1, Bl. 186f. und BL 204f; Arndt Mindermann, Die Landtagsabschiede des Erzstifts Bremen und des Hochstifts Verden. Stade 2008, S. 616 und 623f. Teil: Die Entwicklung bis 1618, in: Rotenburger Schriften. Heft 78/79. Rotenburg 1993, S. 7-74, hier S. 16. 17 Unter Sarj'n versteht Kück „ein Notholz, eine Notdiele" und leitet das Wort von Sargbrett (für den Sarg geschnittenes Brett) ab. Eduard Kück, Lüneburger Wörterbuch Bd. 3. Neumünster 1967, Spalte 24. Der Autor des Inventars ver- wendet dieses Wort regelmäßig bei der Beschreibung von Türfüllungen. 18 Zu Schwibbögen, die auch als „Kamin" bezeichnet wurden s. Wilhelm Bomann, Bäuerliches Hauswesen und Tage- werk im alten Niedersachsen. Reprint Hildesheim 1982, S. 68-73. Solche „Kamine" sind allerdings bisher erst für die Zeit nach 1780 und gar nicht für den Landkreis Rotenburg beschrieben. Wann „Wandkamine" in großbäuerlichen Häusern die Herdrähme über der Bodenfeuerstelle im offenen Rauchhaus ersetzten, ist nicht untersucht. Die Wehlburg im Museumsdorf Cloppenburg wurde für die Erbauungszeit 1750 noch als schornsteinloses Rauchhaus rekonstruiert, das in der „Mitte des 19. Jahrhunderts" einen Kamin mit Rauchabzug erhalten habe. Der 1803 erbaute Quartmannshof im selben Museum hatte schon primär einen solchen, an einen Schornstein angeschlossenen Rauchfang. Das adelige „Leutnantshaus" in Kirchtimke (Ldkrs. Rotenburg) besaß aus der Erbauungszeit, die um 1635 lag, einen in der Region einzigartigen Marmorkamin, der ja das Vorhandensein eines Schornsteins erfordert. Der Kamin ist erhalten, das Haus wurde 1960 abgebrochen (Elfriede Bachmann, Arabeske aus der Renaissance. Die Geschichte des einstigen Bockei und Mulmshorn: Zwei adelige Hallenhäuser aus der Mitte des Landkreises Rotenburg Leutnanthauses in Kirchtimke, in: Heimat und Kultur zwischen Elbe und Weser. Nr. 1. Stade 1995, S. 9-12). 19 Es ist eine spannende und meines Wissens noch nicht systematisch untersuchte Frage, welche Räume warum durch Eisenstäbe gegen Eindringen von außen geschützt 33 Wolf-Dieter Tempel, Auf ur- und frühgeschichtlichen Spu- ren durch den Landkreis Rotenburg. Oldenburg 1999, S. 159f. wurden. 34 Dietrich von Stade, Beschreibung der beiden Herzogtümer Bremen und Verden (...) angefangen Anno 1684, in: Archiv des Vereins für Geschichte und Alterthümer der 20 Biadder gleich Blär'r erklärt Kück (wie Anm. 17), Bd. 1, Herzogthümer Bremen und Verden, Band 6. Stade 1877, S. Spalten 163 und 166 mit „kleine Blase", was hier aber keinen Sinn ergibt. Hier können nur die Seitenplatten des FünfPlatten-Ofens gemeint sein. 21 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 5708, vorletztes Konvolut vom 04.09.1733. 22 Kreuzhäuser haben immer hinten ein zweistöckiges Kammerfach und vorne den Dielen- und Flettteil eines nie- 56. 35 Miesner (wie Anm. 12), S. 393. 36 Einer solchen Abmeierung verdanken die Adelshöfe in Ober Ochtenhausen und Wiegersen ihre Existenz (Michael Erhardt, Ober Ochtenhausen Band 1, 2005, S. 207 ff. und Prior [wie Anm. 5], S. 22ff.). 37 StA Stade Rep 5b Fach 117 Nr. 170 VI, Bl. 661. derdeutschen Hallenhauses. Der Name kommt von den senkrecht aufeinanderstoßenden Firstlinien der beiden 38 Von Stade (wie Anm. 34), S. 56. Hausteile. Häufig gehört dazu die T-Form, bei der das den Herzogtümer Bremen und Verden (...) Stade 1718, in: Archiv des Vereins für Geschichte und Alterthümer der Her- Kammerfach beidseitig gegenüber dem übrigen Haus ver- breitert ist. Daneben gibt es auch die L-Form (mit einseitig verbreitertem Kammerfach) und das seitlich beidseits nicht verbreiterte Kammerfach. 23 StA Stade Karten Neu Nr. 13172. 24 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8689. 25 Klages etc. (wie Anm. 16), 2. Teil 1994, S. 35-114, hier S. 85. 26 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 8690. Es handelt sich um ein Beschwerdeschreiben der beiden auf dem alten Hofgelände wohnenden Erwerber gegen eine Einquartierung, die sie mit dem Argument verweigerten, dass sie das Recht auf die Befreiung des Gutes gegenüber Einquartierungen durch den Kauf miterworben hätten. Sie meinten, dass diese am Gut hängende Befreiung nur für sie beide, aber nicht für die anderen Käufer gelten würde. 27 StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 3810, BI. 37; als Kopie auch im Rotenburger Archiv für Heimatforschung, Rotenburg KT 145. 28 Probenentnahme durch den Autor und Hans-Joachim Turner im Februar 2011. Dendrochronologische Untersuchung durch Ehrhardt Pressler, Gersten. 29 Probenentnahme durch den Autor. Dendrochronologische Untersuchung durch Ehrhardt Pressler, Gersten. 30 Die Nr. 1 war ab jetzt zugleich die Schule Mulmshorns. Neubau Schule mit Baurechnung 1796-1797: StA Stade Rep 74 Rotenburg Nr. 7694. 39 Georg von Roth, Geographische Beschreibung der bey- zogthümer Bremen und Verden, Band 6. Stade 1877, S. 209. 40 Blatt 28 Gyhum, farbiger Nachdruck Hannover 2003. 41 Dazu: Wolfgang Dörfler, Die Ursprünge des Kurhannoverschen Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck und die Nutzungsgeschichte des dabei entstandenen Kartenwerks, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 76. Hannover 2004, S. 333-351; ders. London, Hannover, Paris, Kassel, Potsdam, Berlin, Marburg und Stade - die Aufbewahrungsorte der Kurhannoverschen Karten, in: Rotenburger Schriften 91. Rotenburg 2011, S. 87-118, hier S. 108ff. 42 Geschichte und Landesbeschreibung der Herzogtümer Bremen und Verden Band 1. Göttingen 1824, S. 48. 43 Anonymer Verfasserausschuss, Chronik der Gemeinde Gyhum. Rotenburg 1982, S. 22. Wolfgang Dörfler, Die Baugeschichte der Gyhum Kirche, in: Stader Archiv - Neue Folge 91/92. Stade 2002, S. 201-220, hier Seite 217f. 44 Dörfler (wie Anm. 3), S. 685. 45 Vorder Register (wie Anm. 3), S. 124. 46 Dörfler (wie Anm. 3), S. 682. 47 StA Stade Rep 5b Fach 117 Nr. 170 VI, Bl. 661. 48 Anonymer Verfasserausschuss (wie Anm. 43), S. 10. 49 Arthur von Düring, Ehemalige und jetzige Adelssitze in den Kreisen Bremervörde-Zeven und Rotenburg, in: Stader Archiv. Neue Folge Heft 26. Stade 1936, S. 77. 50 Archiv der Ritterschaft Stade Dep. Gutsarchiv Bockei Nr. 31 Da bereits 1859 das Schulhaus neu erbaut wurde, ist 44. wahrscheinlich, dass es die Hölzer des Schulhauses von 1859 51 Von Düring (wie Anm. 49), S. 77. sind, die wiederverwendet wurden. Das alte Haus von 1797 war 1859 für 210 Reichstaler an Cord Hinrich Müller aus Wilstedt auf Abbruch verkauft worden (dazu StA Stade Rep 83 Stade Nr. 2547). 32 Eine Deutung dieser durch einen breiten und tiefen Graben mit aufgeworfenem Wall an der Landseite und eine feuchte Niederung an der anderen Seite gesicherte Anlage 52 Zur gleichen Zeit erfolgte auch die Gründung der Adelshöfe in Kirchtimke (Bachmann [wie Anm. 18]), Wieger- sen (Prior [wie Anm. 5], S. 22) und Hanstedt (Elfriede Bach- mann, Hanstedt und Börde Rhade im Landkreis Rotenburg [Wümme], Stade 2000, S. 86). Zum regionalen Bauernhausbau in dieser Zeit: Wolfgang Dörfler, Bauernhausbau im Dreißigjährigen Krieg - eine Vorbemerkung, in: Bauernhäu- ist durch die Kreisarchäologie bisher nicht vorgenommen worden. Eine mittelalterliche Herkunft scheint dem Roten- ser aus dem Dreißigjährigen Krieg. Holznagelschriften IGB- burger Kreisarchäologen Dr. Stefan Hesse aber durchaus wahrscheinlich (pers. Mitteilung Juni 2012). 20. Beiträge zur Hausforschung. Band 3. Lilienthal 2010, S. 753 Artur Conrad Förste, Die Abstammung des Geschlechts v. 103 104 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Düring von den v. Borch auf Horneburg, in: Stader Archiv. Neue Folge, Heft 60. Stade 1970, S, 97-104. 54 Düring (wie Anm. 49), S. 77f. 55 Die Karte: Chausseeprojekt Bremervörde-Rotenburg, Abschnitt zwischen Sick und Mulmshorn, Handzeichnung aufgemessen und kartiert von C. Schomacker, M 1:2000 wurde 1844 gezeichnet und beruht auf einer exakten Vermessung. 56 Archiv der Ritterschaft Stade, Brandkasse Nr. 457. Amt Zeven Ortschaft Gyhum Haus Nr. 5, Besitzer Rittmeister von Hammerstein. 57 Entnahme aus einem Balken und einem Ständer des Innengefüges im Bereich der heutigen Küche im Übergang vom westlichen zum mittleren Drittel des Hauses durch den Autor und Hans-Joachim Turner im Februar 2011. Untersuchung der Proben durch Erhard Pressler, Gersten. 58 Die Arbeit selbst lag mir nicht vor. Mitteilung durch den Ortschronisten Bockeis, Herrn Heinrich Grabau. 59 Von Düring (wie Anm. 49), S. 8. 60 Kaiser (wie Anm. 4), S. 145f. 61 Daraus vor allem entstand die gute Überlieferung zur Gründungsgeschichte der Adelshöfe Wiegersen (Prior [wie Anm. 5]), Hanstedt (Bachmann [wie Anm. 52] wie Anm. 6. 105 Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg unter besonderer Berücksichtigung bauhistorischer Aspekte Nils Kagel Landwirtschaftliche Großbauten auf adeligen Anwesen und Vorwerken der frühen Neuzeit beschäftigen die historische Bauforschung schon seit geraumer Zeit. Im nördlichen Niedersachsen, insbesondere im Bereich der Lüneburger Heide, haben sie hingegen nur vereinzelt Beachtung gefunden. Dies mag vor allem daran liegen, dass hier der Anteil an landesherrlichem Grundbesitz vergleichsweise hoch war und die Region dementsprechend wenige adelige Güter aufwies. Ausgeprägter Streubesitz und leichte Böden boten denkbar ungünstige Bedingungen für die Herausbildung rentabler Gutsbetriebe. In diesem Zusammenhang fallen die zahlreichen den landesherrlichen Ämtern zugeordneten Vorwerke ins Auge, die als Staatsdomänen teilweise noch bis ins 20. Jahrhundert bewirtschaftet wurden. Als im Sommer 2010 auf dem Gelände der ehemaligen Domäne in Moisburg im nordwestlichen Teil des Landkreises Harburg Ausschachtungsarbeiten für ein Wohn- und Geschäftshaus durchgeführt werden sollten, ergab sich die seltene Gelegenheit, im Rahmen einer archäologischen Grabung Einblicke in die bauliche Entwicklung eines solchen Betriebes vom späten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert zu erhalten. Mit einer zeitgleich anlässlich des dreihundertjährigen Amtshausjubiläums im Jahr 2011 auf Grundlage literarischer und archivalischer Quellen durchgeführten Untersuchung gelang es schließlich, die Mehrzahl der Befunde in ihren historischen Kontext einzuordnen. Burg und Vogtei Moisburg im späten Mittelalter Die früheste Erwähnung der Ortschaft Moisburg als Mosedeburch findet sich in einer Urkunde des Alten Klosters bei Buxtehude von 1242, in der sowohl die Kirche als auch ein Priester namens Johannes genannt wird.1 Eine Burg wird hier nicht erwähnt, ihre Existenz ist jedoch aufgrund der Namensgebung recht wahr- scheinlich. Ihr Standort ist nicht bekannt. Möglich wäre eine Lage in der Umgebung der Kirche, ähnlich wie es im Fall von Sinstorf bei Harburg nachgewiesen werden konnte.2 1322 wird im Zusammenhang mit einer Schadensersatzforderung gegenüber den Lüneburger Herzögen erstmals ein Schloss in Moisburg erwähnt. Aus dem Schriftstück geht hervor, dass die Anlage zwischen 1310 und 1322 erbaut worden sein muss. Zusammen mit Harburg fiel ihr die Aufgabe zu, das lüneburgische Territorium gegen Nordwesten zu sichern und den Straßenzwang auf Lüneburg durchzusetzen. Gleich- zeitig bildete es den Mittelpunkt einer Vogtei mit umfangreichem landesherrlichem Grundbesitz, wobei sich die Höfe in Moisburg selbst im Besitz der Erzbischöfe von Bremen befanden. Die Verwaltung von Schloss und Vogtei oblag einem Advocatus, also einem Vogt, der zugleich die hohe und niedere Gerichtsbarkeit im Vogteibezirk ausübte.3 Ob es sich beim erwähnten Schloss um die Wiederherstellung einer älteren Anlage, die in bewaffneten Auseinandersetzungen mit bremischen Stiftsleuten zerstört worden war, oder um einen Bau an gänzlich neuer Stelle handelte, ist aus der schriftlichen Überlieferung nicht zu ersehen. Genauso wenig ist über Gliederung und Bauweise der Befestigung bekannt. Zeitgenössische Anlagen verfügen in der Regel über eine Hauptburg mit den Wohngebäuden des Burgherrn sowie über eine oder mehrere Vorburgen mit den für eine Versorgung der Burgbesatzung unverzichtbaren Wirtschaftsgebäuden. Als einigermaßen gesichert kann der Standort mitten in den sumpfigen Niederungen der Este und des Staersbecks gelten, da es keine Hinweise auf eine Verlagerung des Schlosses in späterer Zeit gibt. Schon bald nach der Fertigstellung wurde das Schloss an adelige Lehensmänner vergeben. Am 16. April 1340 versprechen die Ritter Bertold, sein gleichnamiger Sohn und der Ritter Johann Schulthen den Herzögen Otto III. und Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg, ihnen ihre Schlösser Harburg und Moisburg mit den zugehörigen Ländereien sowie allen Rechten und Gerechtsamkeiten zurückzugeben, wenn sie es verlangten. Zwei Jahre später geschieht dies tatsächlich, und am 6. Dezember 1342 bestätigen die Ritter, dass sie von den Herzögen für alle während ihrer Amtszeit entstandenen Kosten für Bautätigkeiten am Schloss und Schäden an ihrem Gut entschädigt worden seien.4 Zu diesem Zeitpunkt besaß Moisburg eine wichtige strategische Bedeutung in den Auseinandersetzungen mit dem Bremer Domkapitel. 1343 kauften die Herzö- ge dem Ritter Gebhard Schulte deshalb ein Stück Land von etwa drei Morgen bei Emmen ab, um dort Ton für die Herstellung von Ziegeln abzubauen, die sie für den Ausbau des Schlosses benötigten. Anschließend wurde es erneut an adelige Lehensmänner ver- geben, die es jedoch bald darauf zurückgegeben haben müssen, da 1347 wiederum ein Vogt in Moisburg erwähnt wird.5 1372 scheint sich das Schloss erstmals im Pfandbesitz der Stadt Lüneburg befunden zu haben.6 Einfach war die Situation der kleinen Burgbesatzung zu diesem 106 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Zeitpunkt nicht, denn im Zuge des Lüneburger Erbfolgekrieges bedrängten Truppen aus dem Erzstift Bremen den kleinen Außenposten dermaßen, dass die Versorgung mit Lebensmitteln vorübergehend stock- te. Der damals im Auftrag der Stadt tätige Vogt Woldeke sah sich deshalb 1373 gezwungen, den Lüneburger Rat um Hilfe zu bitten.7 Sein Durchhaltevermögen machte sich jedoch bezahlt. Als Herzog Wenzeslaus und sein Sohn Albrecht III. von Sachsen-Wittenberg Schloss und Vogtei Moisburg 1379 wieder ausgelöst hatten, verpfändeten sie beides samt hoher und niederer Gerichtsbarkeit für 1700 Mark an den Vogt. Es wurde darüber hinaus vereinbart, dass dem Pfandinhaber bei Rückgabe des Schlosses alle Kosten für Bau und Unterhalt der Gebäude erstattet werden sollten. In der Urkunde werden erstmals auch die Vor- burg und die Mühle genannt: un war se aldus von uns beret und betalet sind so schultet se uns unse slot mosdeborch myt alle aller tobehoringe und vortoch wedder antweren, were ok datse in dem vorbenomeden slote in der vorborch in der molen wad vorbuwet hedden edder dar noch wad inne vorbuweden na unsem rade dat se redelken bewisen mochten dat schul- te wy on ghelden wan wy dit slot van onlosen un wedder tegghen myt redem ghelde alse twen unsen mannen un twen oren vrunden redelik duchte wesen.8 Von 1386 bis 1402 wird Woldekes Neffe Ludolf von Heimbruch als Vogt in Moisburg genannt. Gleichwohl handelte es sich weiterhin um Pfandbesitz. Seine Söh- ne benannten sich sogar nach ihrem Wohnsitz als Herren van Moysedeborch9 1438 lösten die Herzöge das Schloss und die Vogtei abermals aus, verpfändeten sie jedoch aufgrund der beständig desolaten Lage des fürstlichen Haushalts gleich darauf wieder an die Stadt Lüneburg. Seit 1435 amtierte Segeband van dem Berghe als Vogt in Moisburg. Am 15. November 1441 quittiert er dem Lüneburger Rat den Empfang von 300 Mark lübisch für die Versorgung der städti- schen Söldner während der Horneburger Fehde. Noch im selben Jahr wurde er dann vom Lüneburger Bürger Johann van der Molen abgelöst.10 Ziel der Lüneburgischen Pfandschlosspolitik, die neben Moisburg auch Harburg und eine Reihe weiterer fester Plätze umfass- te, war vornehmlich der Schutz städtischer Wirtschafts- und Handelsinteressen. Zum einen sollte das Umfahren der Stadt unterbunden werden, um das dortige Warenangebot zu erhöhen, zum anderen die für den Handel wichtigen Verkehrswege unter städtische Kontrolle gebracht werden. Darüber hinaus war man bestrebt, neue und bestehende Absatzmärkte zu sichern sowie die Brennholzversorgung für die Saline zu gewährleisten. Aus finanzieller Sicht überwogen die Kosten für den Unterhalt der Pfandschlösser oftmals die Einnahmen aus den zugehörigen Vogteien, sodass nicht selten Zuschüsse aus der Stadtkasse gezahlt werden mussten.11 Erste Hinweise auf einzelne bauliche Maßnahmen Im 15. Jahrhundert beginnen sich die Quellen zum Moisburger Schloss und insbesondere zu den dort vorhandenen Baulichkeiten zu verdichten. So belegt das Rechnungsbuch des Schlosshauptmanns Lippold Rosenberch mit Eintragungen vom 14. Oktober 1446 bis zum 10. Februar 1448, dass zumindest die Vögte einen für damalige Verhältnisse gehobenen Wohnkomfort genossen. 1446 erhielt beispielsweise der Mann de den kachelowen makede 26 Schillinge und Hinrik Sentprovest 6 Schillinge, weil he de glasevinster settede. Mehrmals sind in Rosenberchs Rechnungsbuch Ausgaben für geschnittenes Holz und Schmiedearbeiten verzeichnet. Im Frühjahr 1447 erhielten Zimmerleute für den Bau eines mak (Abort) und eines wer (Fischzaun) 1 Mark lübisch. 24 Schillinge bekamen zwei Männer de hulpen my to dem hakerwerke umme de borch, und zwei Knechte, die Wache hielten, als das Tor vor der Burg gebaut wurde, wurden mit 10 Schillingen entlohnt. Unklar bleibt, welcher dam gemeint war, für dessen Bau Hans van Munster 1447 die nicht geringe Summe von 3 Mark und 5 Ellen Sartuch (Beiderwand) erhielt. Einmal findet auch die Kornmühle Erwähnung, als ein Müller aus Buxtehude half, den Mühlstein neu aufzulegen. Neben anderen Personalkosten werden hin und wie- der Ausgaben für Dienstleute aufgeführt, die auf dem Vorwerk, wie die Vorburg jetzt genannt wurde, tätig waren. So ist verzeichnet, dass der hovemester, der Verwalter des Vorwerks, jährlich 2 Pfund (2 Mark und 8 Schillinge lübisch) als Lohn erhielt. Darüber hinaus standen ihm 4 Schillinge für den Kauf von Schuhen zu. Seine Frau, die meygersche, wurde mit 1 Pfund und der Müller mit 2 Pfund entlohnt. Zu Weihnachten 1446 und 1447 spendierte der Vogt deme gheslnde uppe der borch unde in dem vorwerke 2 Mark 2 Schillinge, mit dem sie ihr Offergeld für die Kirche bezahlen konnten. Im Frühjahr 1447 erhielt Korten Heyne, de was over winter in dem vorwerke, 2 Mark und 4 Schillinge, und einer armen Frouwen ime vor- wercke wurden 4 Schillinge gegeben. Mit zwei Kühen, die 1447 in dat vorwerk der beerschen kamen und für die 4 Mark und 12 Schillinge bezahlt wurden, wird erstmals dort untergebrachtes Vieh erwähnt.12 Am 10. Februar 1448 übernahm Pardern van Dannen- berg das Schloss und die Vogtei Moisburg für 1000 Mark lübisch als Afterpfand von der Stadt Lüneburg. Diese war jedoch weiterhin verpflichtet, für den Unterhalt der Schlossgebäude zu sorgen. Die Pfandschaft van Dannenbergs endete zunächst 1451, setz- te sich jedoch 1456 fort, nachdem vorübergehend zwei Lüneburger Ratsherren die Verwaltungshoheit ausgeübt hatten. In mehreren Schreiben, die van Dan- nenberg an den Lüneburger Rat richtete, werden Baumängel beklagt und die Fragen der Materialbeschaffung angesprochen. In einem Brief vom 11. Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg Juli 1464 schrieb er, dass der Kalk (Hochbrandgips) aus Lüneburg, der offenbar per Schiff nach Buxte- hude geliefert worden war, abgeholt worden sei. Zudem bittet er um Geld für 1000 Ziegelsteine, die er in Buxtehude bestellt hatte, nachdem man es in Lüneburg entgegen anders lautender Zusagen offensicht- lich versäumt hatte, die Steine bei der Ziegelei in Schermbeke13 zu bestellen. Im Frühsommer 1465 bat van Dannenberg den Rat, jemanden zu schicken, um eine Grenzstreitigkeit mit dem Alten Kloster bei Buxtehude beizulegen und die in Moisburg ausgeführten Bauten zu besichtigen. Ob dies geschah, ist nicht bekannt, aber ein Jahr später kündigte van Dannenberg die Pfandschaft und bat deshalb am 19. März 1466 den Lüneburger Rat, ihm die Pfandsumme und die Kosten für die von ihm durchgeführten Baumaßnahmen zu erstatten. Nachdem der Ratsdiener Hans Binenbüttel den Bau besichtigt hatte, musste van Dannenberg erneut auf sein Geld warten. In einem Schreiben vom 23. März 1466 forderte er den Rat auf, ihm die Kosten für die Gebäude, die Einsaat,14 die von ihm angeschafften Mühlsteine und weiteres dazugehöriges Gerät zu begleichen. Um die Zahlungsmoral der Stadt war es jedoch nicht allzu gut bestellt, weshalb van Dannenberg auch nach der Übergabe des Schlosses weiter gezwungen war, die Zahlung der ausstehenden Gelder anzumahnen. Als Sicherheit behielt er eine zum festen Inventar des Schlosses gehörige Braupfanne ein,15 woraufhin der Rat umgehend die Herausgabe der Pfanne forderte. Der genaue Ausgang der Angelegenheit ist nicht bekannt. Fest steht, dass Pardern van Dannenberg zu Ostern 1466 Moisburg verließ und ein gewisser Hinrik de Clüver neuer Pfandinhaber wurde.16 Schon knapp em Jahr, nachdem Hinrick de Clüver die Pfandschaft angetreten hatte, wechselte er nach Rethem. Im Gegenzug übernahm der Rethemer Schlosshauptmann Hinrick Bere Schloss und Vogtei Moisburg als Pfand. In einem Schreiben vom 17. März 1468 richtete sich Bere mit der Bitte an den Lüneburger Rat, ihm möglichst schnell acht Tonnen Kalk aus Lüneburg zu liefern, was darauf schließen lässt, dass weitere Baumaßnahmen am Schloss erfolgten. 1469 schenkte ihm die Stadt außerdem ein Fenster aus der Werkstatt des bekannten Glasmalers Hans Meydeborg, das auch nachweislich nach Moisburg geliefert wurde. In einer Reihe weiterer Schreiben bat Bere, ihm die Auslagen von 20 Mark van der molen to Moseborch zu erstat- ten.17 Von 1471 bis 1475 amtierte Frederik Tietz als Vogt in Moisburg.18 Aus seinem ersten Amtsjahr ist ein Rech- nungsbuch als Abschrift erhalten geblieben. Darin sind umfangreiche Ausgaben für Renovierungsarbeiten an den Schlossgebäuden aufgelistet. Zunächst wurden das Wehr und das Grundwerk der Mühle von Zimmerleuten aus Fallingbostel erneuert. Die benötig- ten Nägel und das Eisenzeug lieferte der Schmied Hans Borchwede aus Buxtehude. Anschließend wur- den insgesamt 5640 kleine und halbgroße „dak stene" (Dachpfannen) für das Eindecken des groten hus aus Celle und Buxtehude gekauft. Die Decker- arbeiten wurden von Meister Henning Murmester durchgeführt, der zu diesem Zweck vom Rat der Stadt Lüneburg entsandt worden war. Ferner wurden an der Außenwand des groten hus eine heymlichkeit (Abort) und im Inneren eine Kammer, die vor der Hauskapelle lag, sowie eine weitere Kammer mit Platz für drei Betten eingebaut. Beim groten hus dürfte es sich um das Hauptwohngebäude des Schlosses gehandelt haben. Auch eine Küche und ein Backhaus finden Erwähnung. Besonders interessant ist der Vermerk, dass drei Zimmerleute, von denen zwei aus dem nahe gelegenen Dorf Grauen stammten, eine neue Zugbrücke und ein neues Plankenwerk zwischen deme torne und der Brücke zum Mühlendamm bau- ten, wofür sie zusammen 2 Mark und 1 Schilling bekamen. Insgesamt wurden bei den Renovierungsarbeiten wiederum 8 Tonnen aus Lüneburg stammender Hochbrandgips verbraucht.19 Im September 1471 kamen mehrere Zimmerleute nach Moisburg und setzen die Arbeiten an der Mühle fort. Es werden Arbeiten am Grundwerk und am Mühlenbett, die Verschalung der Mühlenwand an den Wasserrädern, die Erneuerung von zwei Mühlenrädern, die Herstellung mehrerer neuer Türen und Pforten sowie die Erneuerung von Türangeln und Ha- ken erwähnt. Interessant ist die Nennung einer Ölmühle, deren Stampfwerk erneuert wurde, über des- sen Standort jedoch keine näheren Angaben gemacht werden. Tietz ließ auch einen sodent (Brunnen) mit Dielen bauen, der sich wahrscheinlich auf dem Vorwerk befand, und neben der Mühle einen Stall mit Tannendielen decken. Der Vorbau vor der Küche auf dem Schloss wurde ebenfalls mit Dielen erneuert. Zudem merkt der Vogt an, dass er en nyge hakelwerk umme dat vorwerk in den dyk, enen nygen tun van der molen went in den dyk, [...] ene nyge porten unde en nyge hakelwerk jegen dat grote huß uppe der molen und nyge porten, nyge tune, nyge hakelwerke twysschen den uttersten doren erstellen ließ.20 Mit Hakelwerken sind starke Flechtverhaue gemeint, die durchaus ein ernsthaftes Hindernis für Mensch und Tier darstellen konnten.21 Auf Frederik Tietz folgte 1475 der Lüneburger Ratmann Godeke Zerstede, der 1485 von Claus von Hitzacker und anschließend von Hinrik von Meding abgelöst wurde. 1491 übernahm Johann van der Molen Schloss und Vogtei, der statt einer Pfandsumme eine jährliche Rente von 80 Gulden aus seinen Sülzgütern an die Stadt entrichtete. Ab 1498 war Henning von Meding und ab 1503 der Lüneburger Patrizier Balthasar Töbing Pfandinhaber von Moisburg. Über ihn beklagten sich die Priorin und das Konvent des Alten Klosters bei Buxtehude 1504 beim 107 108 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Lüneburger Rat, da er offenbar ohne Rücksicht auf geltende Vereinbarungen versuchte, nicht nur aus den lüneburgischen, sondern auch aus denen unter der Grundherrschaft des Klosters stehenden Höfen in der Vogtei Moisburg zusätzliche Abgaben zu pressen. 1515 trat schließlich Dietrich von Oppershusen als letzter lüneburgischer Schlosshauptmann sein Amt an.22 Bei der Grabung im Sommer 2010 konnten Teile eines über zehn Meter breiten und mehrere Meter tiefen Grabens freigelegt werden, der vermutlich zur Befestigung der in den Schriftquellen erwähnten Vorburg gehörte und diese nach Westen hin begrenzte. Funde von grauer Irdenware machen eine Entstehung im 14.-15. Jahrhundert wahrscheinlich. Innerhalb des mutmaßlichen Vorburgareals, das nur am Rande angeschnitten wurde, konnten zwar vereinzelt Pfostenlöcher und bearbeitete Hölzer dokumentiert werden, diese waren jedoch keiner bestimmten Bebauung zuzuordnen. Eine Viehtränke, deren Einfassung aus eine wichtige Funktion zukam. Im Rahmen dieser Politik war man bestrebt, alle im Pfandbesitz befindlichen Schlösser und Ländereien auszulösen, um sie mit eigenen Verwaltungsbeamten zu besetzen. Auf städ- tischer Seite war man hingegen nicht gewillt, den Pfandbesitz ohne angemessene Entschädigung wieder herauszugeben. In der Folge kam es unter der Regentschaft Herzog Heinrichs des Mittleren zu lang- wierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Schließlich verpflichtete sich die Stadt Lüneburg in einem am 15. September 1517 abgeschlossenen Vergleich, Schloss und Vogtei Moisburg am 4. April 1518 an den Herzog zu übergeben, ohne dafür die Pfandsumme und die Baugelder erstattet zu bekommen.23 Aufgrund der weiterhin angespannten finanziellen Lage des Herzoghauses wurde Moisburg zunächst erneut verpfändet. Erster Pfandinhaber war Werner von Oppershausen, der 1517 den Schlossbrief erhielt. Ihm folgte Christoffer von Oppershausen und 1549 Heinrich von der Wense.24 offensichtlich zweitverwendeten Bohlen dendrochronologisch auf die Zeit um 1503 datiert werden konnte, gehörte vermutlich einer späteren Bauphase an. Als Otto von Braunschweig-Lüneburg, der älteste Herausbildung von Amt und Amtswirtschaft 1527 mit dem Amt Harburg, einer umfangreichen Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begannen die Fürs- ten von Braunschweig-Lüneburg damit, Verwaltung und Justiz innerhalb ihres Territoriums im Sinne eines modernen Staatswesens an sich zu ziehen und zu ver- einheitlichen, wobei den Hausgütern der Herzöge 1 Mit Bohlen gefasste Viehtränke, um 1503(d), (2010). Sohn Heinrichs des Mittleren, aufgrund einer unstan- desgemäßen Heirat zugunsten seines jüngeren Bruders Ernst auf die Herrschaft verzichtete, wurde er Ausstattung und einer jährlichen Rente abgefunden. Sein Sohn Otto II. bekam 1560 zusätzlich das Amt Moisburg und den Münchhof auf Kirchwerder überschrieben. Im Gegenzug wurden die jährlichen Bezüge aus Celle stark gekürzt. Da sich Moisburg jedoch Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg immer noch im Pfandbesitz Heinrich von der Wenses befand, dem Schloss und Vogtei auf Lebenszeit verschrieben waren, erhielt Otto II. für die Übergangszeit eine Ausgleichssumme ausgezahlt. Erst nachdem Heinrich von der Wense 1565 gestorben war, konnte er 1566 Moisburg übernehmen.25 In den folgenden Jahren bildete sich allmählich eine neue Verwaltungsstruktur mit einer geregelten Geldwirtschaft heraus. Aus der Vogtei Moisburg wurde ein Amt, das in drei Amtsvogteien in Hollenstedt, Elstorf und Moisburg unterteilt war. An der Spitze der Verwaltung stand ein Amtschreiber und später ein Amtmann, dem auch das Gerichtswesen,26 die Zollverwaltung, die polizeiliche Aufsicht über den Amtsbezirk und die Bewirtschaftung des Vorwerks oblagen.27 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wechselten die Amtsinhaber noch recht häufig. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Amtszeiten länger. Von 1570 bis 1575 war Johann Volckmann und von 1578 bis 1580 Jörge oder Georg Hebenstreit Amtschreiber in Moisburg. 1583 und 1584 wird Vicke Oleman als solcher genannt. Ihm folgten Dietrich Ottersen, Jürgen Geben, 1587 bis 1590 Joachim Bergkman und 1590 bis 1596 Carl Dietrich. Um das Jahr 1600 saß der Amtschreiber Berthold Thies in Moisburg.28 Am 20. Oktober 1603 verstarb Herzog Otto II. Es folg- ten ihm seine Söhne Wilhelm und Christoph. Nach dem Tod des Bruders 1606 übte Wilhelm die grundherrliche Gewalt über die landesherrlichen Besitzungen in den Ämtern Harburg und Moisburg allein aus. Als Wohnsitz für die Witwe Ottos II., die Herzogin Hedwig, wurde Moisburg gewählt, wo sie bis zu 2 Amt Moisburg, Ausschnitt aus einer Karte des 18. Jahrhunderts. ihrem Tod am 4. Dezember 1616 lebte. Anlässlich des Einzugs Hedwigs wurde erneut am Schloss gebaut. Erwähnt werden Arbeiten des Schnitkers (Tischler) Otten Albers aus Hollenstedt, des Malers Abraham aus Tostedt und dreier Mauerleute.29 In einer Beschreibung aller landesherrlichen Besitztü- mer in den Ämtern Harburg und Moisburg, die vermutlich in Zusammenhang mit dem Erbvertrag zwi- schen den Herzögen Otto und Wilhelm einerseits und Herzog Christian dem Älteren andererseits vom 4. September 1633 erstellt wurde, heißt es zum Amtshaus, dass es baufällig gewesen sei, weshalb Herzog Otto II. geplant habe, das Ganze von neuem aufzuerbauwen. Er habe auch damit angefangen, aber aufgrund seines Todes sei das Vorhaben zunächst nicht weiterverfolgt worden. Daraufhin habe Herzog Wilhelm die baufälligen Teile des Gebäudekomplexes abbrechen lassen undt das ganze Haus an der Norder-, Ost- und Westseiten mit dem Thurm in solcher Form wie die Structur im Quadrangei augenscheinlich demonstrirt sambt der Mühlen von neuem mit den Gemächern gebawet. Der Wert des Hauses wurde trotz der Tatsache, dass die Kosten für den Neubau nicht im Bauregister verzeichnet wurden, auf 12 000 Rthl. taxiert.30 Um trotz der geringer werdenden Zuwendungen aus Celle auch weiterhin eine standesgemäße Hofhaltung aufrechtzuerhalten, waren die Angehörigen der her- zoglichen Nebenlinie in Harburg stets bemüht, die wirtschaftlichen Erträge aus Landwirtschaft und Gewerbe in ihrem Verfügungsbereich zu steigern. So wurde zwischen 1603 und 1616 ein weiteres Vorwerk in Ovelgönne gebaut, das bis 1782 bestand.31 Bereits 1596 war am nördlichen Ende des Mühlendammes in Moisburg eine Papiermühle entstanden. 1598 wurde eine zweite am Staersbeck und 1622 eine dritte am Appelbeck errichtet. Die Papiermühlen bildeten neben der Kornmühle und dem Vorwerk die wichtigsten Einnahmequellen des Amtes.32 Von 1621 bis 1624 exi- stierte vorübergehend eine herzogliche Münze in Moisburg, die jedoch nach kurzer Zeit aufgrund mangelnder Rentabilität wieder aufgegeben wurde.33 Die Brauerei und die spätere Branntweinbrennerei im Amtshaus spielten, obwohl sie zeitweise durchaus umsatzstark waren, immer nur eine untergeordnete Rolle.34 109 110 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Die wirtschaftliche und personelle Struktur des Vorwerks Über die Vorgänge auf dem Vorwerk in Moisburg während des 16. Jahrhunderts lassen sich bislang nur Mutmaßungen anstellen. Wie bereits aus den Rechnungen des 15. Jahrhunderts zu ersehen ist, wurde es von Meiern verwaltet, die vom Vogt, dann vom Schlosshauptmann und später vom Amtmann entlohnt wurden. Dem Meier unterstand ein Vorwerksknecht, der zusammen mit den dienstverpflichteten Bauern35 und Tagelöhnern die Äcker und Wiesen be- stellte. Die ebenfalls beim Amt angestellte Frau des Meiers, die Meiersche, war zusammen mit den Mägden für die Milchwirtschaft zuständig. 1569 traten ein gewisser Marquart Meyer als Meier und seine Frau Lücke als Meiersche ihren Dienst in Moisburg an. 1600 folgte ihm Tewes Johansen aus Rahmstorf, 1606 Jacob Gogreve und 1620 Lütke Bösch von der Kleinkötnerstelle Nr. 9 in Moisburg. Die Schafställe des Vorwerks wurden von drei Schäfern betreut. Des Weite- ren gab es einen Kuhhirten und einen Schweinehirten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren auch der Müller und der Ölmüller noch Angestellte des Vorwerks. Ab 1652 wurde die Kornmühle an selbstständig wirtschaftende Müller verpachtet. Die Ölmühle scheint zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben worden zu sein. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert oblag es einem Amtsfischer, die zahlreichen stehenden und fließenden Gewässer des Amtsbezirks zu befischen. 1605 wurde mit Georg Ecken vorübergehend ein Schmied angestellt, der bis 1610 in einer Schmiede auf dem Vorwerk arbeitete, deren Ausstattung vom Amt bezahlt worden war. Danach wurden die Schmiedearbeiten wie zuvor an auswärtige Handwerker vergeben. Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg entstand eine eigenständige Schmiede in Moisburg. Ansonsten liegen über das Amts- bzw. Vorwerkspersonal, das vermutlich häufig wechselte, bislang nur wenige Informationen vor.36 Ursprünglich müssen die zum Vorwerk gehörigen Ackerflächen vergleichsweise klein gewesen sein. Erst als die Ländereien des im ausgehenden 15. Jahrhundert wüstgefallenen Dorfes in der Trünen westlich von Moisburg und einiger Kotstellen in Grauen dazukamen, wuchs seine wirtschaftliche Bedeutung. Mitte des 17. Jahrhunderts umfassten die Ackerflächen des Vorwerks insgesamt 1 456 HRE. Wenn man bedenkt, dass im Amt Moisburg zu einem Vollhof zwischen 25 und 90 HRE. Ackerland gehörten, wird klar, dass es sich zu diesem Zeitpunkt um einen herausragenden landwirtschaftlichen Betrieb handelte.37 Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass ein Großteil der Äcker aus wenig fruchtbaren Sandböden bestand und immer nur alle drei bis vier Jahre beackert werden konnte. Während der restlichen Zeit lagen sie brach und wurden als Viehweide genutzt.38 Großflächige Wiesen in den Niederungen der Este sowie umfangreiche Weide- und Mastgerechtigkeiten im Bereich der Gemeinheit und des Stuvenwaldes ermöglichten eine ausgeprägte Viehhaltung.39 Laut des Amtshandlungsbuches verfügte das Vorwerk im Jahr 1600 über 67 Kühe, 16 Starken, 16 Pflugochsen, 2 Brummrinder, 7 Kälber, 40 Schweine, 10 Hofschweine40 und 70 Ferkel. Zusätzlich standen 178 Schafe, 21 Lämmer beim Schafstall auf dem Berge, 246 Schafe, 20 Lämmer, 14 Pfingsbötlinge und 17 Zehntlämmer beim Schafstall auf dem Trünen sowie 241 Schafe, 9 Lämmer, 22 Pfingstbötlinge und 15 Zehntlämmer41 beim Schafstall auf dem Voss bei Grauen. Dazu ka- men noch der Herzogin Hedwig gehörende 181 Schafe und 20 Lämmer. Beim Tod der Herzogin 1616 waren auf dem Vorwerk 52 Kühe, 25 Ochsen zu 3 Pflügen gebrauchet werden, 16 Stier vonn 3 und 4 Jhären, 10 Stercken von 3 und 4 Jhären, 14 Zwojherige Stier, 7 Jherige Stier, 7 Jherige Kuekelber, 3 Brummrinder darünter eins von 2 das ander vonn 3 Jharen vorhanden. Des Weiteren standen von den 977 Schafen 346 itzo uffm Berge im Koffen, 329 uffn Trünen im Koffen, 302 im Grauener Koffen. Hinzu kamen 94 Schweine und 48 Gänse.42 Interessant sind bei dieser Aufzählung die Nennung von Pflugochsen und das Fehlen von Pferden. Pferde waren zwar nach- weislich vorhanden, wurden jedoch offenbar noch nicht bei der Feldarbeit eingesetzt, sondern ausschließlich bei Fuhrdiensten und als Reittiere. Einschneidende Veränderungen beim Viehbestand ergaben sich durch die Ereignisse während des Dreißigjährigen Krieges. Als 1627 Truppen Tillys im Fürstentum Lüneburg einfielen, ging die Anzahl an Schafen von 1270 auf 601 zurück, nahm jedoch bis 1634 wieder auf 1471 zu.43 Laut einer Aufstellung von 1633 lagen die Stückzahlen insgesamt sogar deutlich höher als noch zu Beginn des Jahrhunderts: Rindtviehe 114, Schweine 76, Gense 130, Caleunische Hüner 42, Schaffe 1083 In einer Bemerkung hierzu heißt es: Kann aber eine viell grössere Viehzucht daselbst gehalten werden, denn von Schaffen undt Viehe ein grosse Menge weggeraubet worden. Inklusive des Inventars an Kupfer, Zinn und anderem Gerät im Wert von 500 Rthl wurde der Wert des Vorwerks auf 2409 1/2 Rthl. beziffert.44 Gemessen an ihrer Größe waren die Vorwerke als lan- desherrliche Betriebe weitab der Landeshauptstadt nur in begrenztem Maße rentabel. Nach 1650 ging man deshalb auch in Moisburg dazu über, das Vorwerk zu verpachten. Dies geschah bis ins 19. Jahrhundert an den jeweiligen Amtmann, wobei in den ersten Jahrzehnten der Verpachtung zunächst noch keine gravierenden Veränderungen in der betrieblichen Struktur festzustellen sind. So wurden 1670 während der Amtszeit des Amtschreibers Herman Rosenbruch 18 Pflugochsen, 5 junge Ochsen von 4 Jahren, 7 Stiere von 3 Jahren, 2 Brummrinder, Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg 39 Kühe, 5 alte Starken, 5 dreijährige Starken, 16 Kälber vom Vorjahre, 16 Kälber von diesem Jahr und 2 Rinder von Cordt Martens, 244 Schafe auf dem Berge, 258 beim Voss und 289 auf dem Trünen gezählt. Erst unter dem Amtmann Ernst Andreas von Cronhelm45 kommt es zu einer deutlichen Steigerung der Viehstückzahl. Als er 1696 die Pacht antrat, verfügte das Vorwerk über 2 Bullen, 39 Kühe, 31 Stierrinder, 11 Starken, 10 abgewöhnte Kälber, 16 Milch- kälber, 63 Schweine und 453 Schafe. Im Dienstregister von 1727/28 werden schließlich 3 Bullen, 27 Kühe, 32 Stierrinder, 38 Starken, 18 abgewöhnte Kälber, 7 Milchkälber, 124 Schweine und 869 Schafe aufgeführt.46 Schloss- und Vorwerksgebäude im 17. Jahrhundert 1651, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, der nicht nur die zum Amt gehörenden Dörfer, sondern auch Schloss und Vorwerk stark in Mitleidenschaft gezogen hatte, fertigte der damalige Amtschreiber Jürgen Schröder auf landesherrliche Weisung hin einen Bericht Vonn dem fürstlichen, Braunschweigischenn, Lüneburgischenn Ambte Möyßburgk an. In ihm werden insbesondere das Schloss, aber auch alle zugehörigen Bauten beschrieben: Die Gebaute anlangenndt, sein wie obengedacht, wie es ann hochsehligged. Hertzog Otten kommen, sehr baufellig gewehsenn, welches S.F.G. Herr Sohn Hertzog Wilhelm, Anno 1618 unndt 19 zu bauenn angefangen, Alß erstlich dasß theil inß Nordenn über der Küchenn gantz neu (: Außerhalb etzliche stücke Maurwerck unntenn, so stehen bliebenn:) mit hübschenn Gemächern Zieren, auch einen Kleinen Achtkantigenn Thurm vonn Maursteinenn, inwendig mit einer höltzernen Windellsteige (: worauff mann Zu denn oberhalb befndtlichenn Gemächernn gelangenn kann:) aufführen lassen, Worinn in der höhe die Uhr, alß viertheil unndt Stunde Glocke verhandenn. So hatt auch hochged. Hertzog Wilhelm F. Gnd. daß Dach vonn dem Altenn Thurmb inß Westenn belegenn, abnehmen unndt denn andern n Gemächernn gleich mach en n lassen n. Die seite inß Oisten habenn mehrhochged. S.F.G. ebenmässig auß dem Grunde Ano etc. 1639 Neu auffüh- renn, unndt unntenn nebenst dem Back: unndt Brauhause mit einem: oberhalb aber mit drey feinenn Gemächernn unndt Kammernn Zieren lassenn, So ist auch ann der seite innß Südenn (: welches fast das eltiste Gebäu.:) ein runder Thurm gebauet, worinn ebenmessig eine höltzerne Windellsteige, worauff mann zu denn Gemächern unndt Kornbodenen gehet, unndt kann mann vor den obersten Gemächern in einem dazu bereitetenn Gange vonn einer Seiten Zur anderen gantz herumb gehenn, Ist also dieß Ambthauß viereckiicht gebauet, unndt rundtherumb mit dem Wasser des Estestrombs, unndt vor dem Wasser her mit einer höltzernen Plancken umgebenn. ist auch bey Hertzog Wilhelms Regierung ein feiner Kraut: unndt Küchen Garte, theilß auß dem Morast, mit großer Mühe, daran angerichtet, worümb auch daß Wasser der Este gehet. Vorm Ambthause, wie bereitz gedacht, ist die Kornmühle, welche Hertzog Wilhelm Anno etc. 1620 sambt dem fundament neu erbauen unndt aufführenn lassenn, hat drey Genge, un weit davonn liegt die Papiermühle (...) Ann der Kornmühle liegt der Reisige Stall, mit Steinenn gedeckt unndt gemauret, undt soforth dabey daß Vorwergk [...].47 Auf dem Kupferstich, den Conrad Buno 1654 für Merians Braunschweig-Lüneburgische Topografie anfertigte, ist auf der dem Betrachter zugewandten Seite gut der 1618-1619 erneuerte, nordöstliche 3 Moisburg, Kupferstich aus: Matthäus Merian, Topographia und Eigentliche Beschreibung der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Örter in denen Hertzogthümer Braunschweig und Lüneburg (...), Frankfurt a. M. 1654. 111 112 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Schlossflügel mit Fachwerkobergeschoss und Glockenturm zu erkennen. Der südöstliche, 1639 erbau- te und der südwestliche, vielleicht mit dem oben erwähnten groten hus identische Flügel sind hingegen verdeckt. Der nordwestliche Flügel, in den laut der Beschreibung von 1651 der gekappte, wahrscheinlich mittelalterliche Turm einbezogen wurde, liegt im Schatten des Nordostflügels, weshalb keine baulichen Details erkennbar sind. Vor dem Amtshaus liegt, ebenfalls deutlich hervorgehoben, die Papiermühle. Rechts des Torhauses mit der Zugbrücke liegt die Kornmühle, dahinter die Vorwerksgebäude. Im Amtslagerbuch des Amtes Moisburg von 16 6448 heißt es zum Amtshaus: In dieser circumferentz lieget das fürstl. Ambthaus Moysburgk ins Westen und ist rings umbher von dem Estestromb beflossen. Hinter dem Schloss lieget ein grosser Garten, so gleichergestaldt von dem Estestromb umbgeben. Das Ambthaus an ihm selber ist mehrentheils ein altes Gebeuwde, so fast auff die Clöster Ahrt gebauwet. Hat inwendig einen vierteckigen Platz 24 Schritt49 langk und breit und rings umbher ganz bebauwet, und vor dem Hause lieget der Reysige Stall von 27 Pferden zu stel- len. Jedoch hat der weil, durchlauchtigste Fürst und Herr, Herr Wilhelm Hertzog zu Braunschwg. und Lünebg. ein neuwes Gebeuwde mit feinen Logimenten zwerchsweyse über dem Platz aptieren lassen. Am Damm, unmittelbar gegenüber dem Amtshaus, lag laut der Beschreibung die Kornmühle von sieben Fach Länge, die mit Dachpfannen gedeckt und deren Fachwerk mit Ziegelsteinen ausgemauert war. Sie besaß drei Grindel bzw. Mühlenräder und war mit bauwfellige Gebeuwte, wie auch imgleichen die Heuescheune von 9 Vachen, so mit Stroh gedecket, der Ziegkoven mit Stroh gedecket von 3 Vachen. Allernegst diesem steht der Reysige Stall mit Steinen gedecket und Steinen gemauert, von (Zahl fehlt) Vachen langk, worinnen irgentein 20 Pferdt gestellt werden können. Bey dem Vorwerck sindt auch 3 Schafkoven (...). Auf dem zweiten Vorwerk in Ovel- gönne, das einige Kilometer weiter nördlich lag, maß das Vorwerksgebäude angeblich 19 Fach und war ebenfalls mit Stroh gedeckt und enthielt zwei geringe Stuben sowie zwei Kammern. Daneben gab es eine Kornscheune von sieben Fachen und ein Backhaus von fünf Fachen, die beide mit Stroh gedeckt waren. Eine Akte ohne Datum, die vermutlich aus der Zeit zwischen 1692 und 1694, also unmittelbar nach dem Amtsantritt Ernst Andreas von Cronhelms stammt, enthält eine recht genaue Beschreibung des Schlosses sowie eine Beschreibung der Vorwerksgebäude.50 Die Schlossgebäude scheinen zu diesem Zeitpunkt bereits sehr baufällig gewesen zu sein. Beschrieben werden die hölzerne Zaunanlage um das Schloss, das äußere Tor mit Brücke, das innere Tor, der Hofplatz und die ihn umgebenden Gebäude samt aller darin enthaltenen Räumlichkeiten sowie der Garten. Zum Zustand der Gebäude heißt es: Das ausgemauer Nordost wie auch Nordwestwerts ist biß auff die helfte massiv gemauret, aber gantz verfallen und fast durchgehendts geborsten, theils auch übergesuncken. Die daran gefügten Pfeiler sind meist verfallen. Der obere theil biß unters dach in höltzern fachwerck gemauert, wie woll gleichfals gantz verfallen, zwischen dem zwei Stuben und einer Kammer ausgestattet. Der im ersten und anderen Stockwerck gehet eine höltzerne haus, liegende Krug wird mit sieben Fach Länge ange- Ostwerts nach dem Garten zu ist auff die Helfte mas- Norden, ebenfalls in unmittelbar Nähe zum Amts- Dachrinne von etwa 34 Fuß lang. Daß gemauer geben und war mit Stroh gedeckt. Seine beiden siv gemauert in annoch zieml. Stande, hat einen mauert. Im Inneren befanden sich eine Stube und eine fachwerck gemauert und in ziemlichen Stande. Giebel waren wie das Fachwerk mit Ziegeln ausgeKammer. Außerdem wird angemerkt, dass der Krug nebenst dem Hause einen Keller im Berge habe. Die am nördlichen Ende des Dammes liegende Papiermühle von acht Fach Länge verfügte nur über zwei Räder, war jedoch ebenfalls hart gedeckt und mit ausgemauertem Fachwerk versehen. Der Damm selbst war mit zwei Toren im Norden und Süden gesichert, jedes 80 Paß oder kleine Schritte, also etwa 50 m von der Brücke über den Schlossgraben entfernt. Der Zugang zum Schloss wurde von einem weiteren Tor und einer Zugbrücke gesperrt. Zum Vorwerk führt das Amtslagerbuch aus: (...) lieget allernegst dem Ambthause zwischen dem Thore ins Süden hat 23 Vach mit Stroh gedecket, inwendig eine Stube und Kammer, die Rogkenscheune allernegst dem Vorwerck, 10 Vach, auch mit Stroh gedecket, die Zehentscheune, 5 Vach, mit Stroh gedecket, die Haberscheune, 7 Vach, mit Stroh gedecket, der Lange Koven, 11 Vach, mit Stroh gedecket, seint sehr alte Pfeiler noch gut. Der Obertheil biß unters Dach ist in Zwischen dem Klockenthurm, dem Stockwerck und 2 außluchten hoffwerts sind auf dem dache von oben biß unten kleinere Rinnen geleget. Zum Reisestall neben der Kornmühle heißt es in der Beschreibung: In der Länge 20 fach, ist rund umbher mit Mauersteinen in höltzernen fachen gemauert, sind mittelmäßigen Zustandes, muß aber außge- schmieret werden. (...) Der giebel an beyden selten ist gleichfals in fachwerck gemauret. Zur Straße hin besaß der Stall zwei Erker im Dach. Durch ein großes Tor gelangte man auf eine Diele, die zur Hälfte mit Lehm, zur anderen Hälfte mit Pflastersteinen belegt war. Im hinteren Teil lagen die Standplätze für die Pferde. Auf dem Boden darüber lagerten die Heuvorräte. Unmittelbar neben dem Reisestall lag der Ziegenkoven und Pfandestall von drei Fachen Länge, dessen Wände theils mit Leim, theils mit Busch, theils mit alten Brettern bekleidet und der ebenfalls sehr baufällig war. Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg Die drei gesonderten Beschreibungen des eigentlichen Vorwerks weichen stark voneinander ab. Dies gilt sowohl für den Inhalt als auch für die stilistischen Details. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass sie von verschiedenen Verfassern stammen. Die erste Beschreibung ist sehr kurz gehalten und zählt ganz offensichtlich nicht alle vorhandenen Gebäude auf. Die zweite Beschreibung ist nicht nur die ausführlichste, sondern auch die inhaltlich stimmigste. Sie deckt sich zudem weitgehend mit der Beschreibung im Amtslagerbuch von 1664. Ähnlich unvollständig wie die erste scheint die dritte Variante zu sein, wobei allerdings zwei anderswo nicht erwähnte Gebäude aufgeführt werden. Aus der zweiten und der dritten Beschreibung geht hervor, dass das Vorwerksgebäude etwa 22 Fach lang und mit Stroh gedeckt war.51 Die Außenwände waren einer eisernen Stange zum Aufhängen des Kesselhakens, jedoch keinen Schornstein. In zwei Beschreibungen taucht ein Windfang aus Brettern und einer Tür auf, bei dem es sich um eine Trennwand zur Diele handeln könnte. Im Kammerfach befand sich mittig die Wohnstube mit einem Ofen aus schwarzen Kacheln und einem wandfesten Milchschapp mit 12 Fächern. Links und rechts befanden sich Kammern, wovon eine als Milchkammer diente. In der westlichen Kammer gab es ein in das Fleeth gehendes, mit Dielen bekleidetes Bettschap. Beide Kammern waren mit Ziegelsteinen gepflastert. Des Weiteren gab es eine Speisekammer und zwei weitere Kammern am Flett, wovon eine als Schlafkammer diente. Sowohl für das Flett als auch für die Räume des Kammerfachs sowie einige kleine Kammern werden Fenster mit Rauten erwähnt, was auf eine altertümliche, rauten- größtenteils mit Ziegeln ausgemauert und die förmige Bleiverglasung schließen lässt. Interessant ist auch die Aufzählung von Inventar wie Bänke, Tische, Schränke, Bettstellen, Hängeborde, Schüsselborde, irdene und hölzerne Schüsseln, hölzerne Becher, ein Feuerstülper, ein Wetzstein, ein Buxtehuder und ein Harburger Maß, verschiedene Forken, Spaten, Leitern, Schneideladen, Sägen, Pflüge, ein Kohleimer mit Stö- Legbalken teilweise reparaturbedürftig. Der Zustand des Innengerüsts wurde übereinstimmend als gut bezeichnet. Zur Straße im Süden hin besaß das Haus einen Steilgiebel und ein großes Tor. Links und rechts des Tores führten kleinere Türen in die Pferdeställe. Hinter den Pferdeställen folgten auf beiden Seiten der Diele die Kuhställe. Über zwei Treppen am Eingang und im Bereich des Fletts gelangte man auf den Boden. Etwa auf der Hälfte des Hauses befand sich in der östlichen Längsseite ein weiteres Tor, das auf den Hof führte. Direkt daneben lag ein aus alten Brettern zusammen geflicktes Gesinde Bettlager. Das Flett war ter, mehrere blecherne Laternen mit Hornscheiben und diverses Bettzeug. Bei der archäologischen Untersuchung des Vorwerk- geländes im Sommer 2010 konnten Teile des Vorwerkhauptgebäudes und des angrenzenden Hofplatzes dokumentiert werden. Hierbei zeigte sich, dass es mit Feldsteinen gepflastert. Die darauf stehende Herdstelle besaß einen gewölbten Rauchfang mit unmittelbar über dem Graben der spätmittelalterli- chen Vorburg errichtet worden war. Um einen tragfä- Rampe für Graben Bagger H Rinderskelett Teich Profilsteg PI. 2 mittlere Höhe 11,05 m NN ’• J Fundamente des Vorwerkhauptgebäudes Tränke um 1503 (d) 1L B A 4 Übersichtsplan der Grabung auf dem Vorwerksgelände (Zeichnung: Jochen Brandt, Helms Museum 2011, mit Ergänzungen des Verfassers). 113 114 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen higen Baugrund für den Neubau zu schaffen, hatte man den Graben mit Sand aufgefüllt, in den man in loser Folge frisch geschlagene Baumstämme und Altholz bettete. Trotzdem waren insbesondere die inneren Ständersteine des Gebäudes im Laufe der Zeit tief in den Untergrund gedrückt worden. Im Bereich der westlichen Außenwand konnte ein Legsteinpaar frei- gelegt werden, das in eine Packung verdichteten Dungs eingebettet war. Um ein weiteres Einsinken zu verhindern, waren die Steine offensichtlich ausgegra- ben und mit toniger Erde neu unterfüttert worden, wobei man sie zusätzlich auf kurzgesägte Stücke hölzerner Eichenbohlen gesetzt hatte. Erwähnenswert 5 Hölzerne Substruktionen unter dem Hauptgebäude des Vorwerks (2010). sind außerdem zwei Skelette junger Rinder, die in einer Grube nahe der westlichen Höftständerreihe, unterhalb des ehemaligen Nutzungshorizonts deponiert worden waren. Vergleichbare Befunde lassen den Schluss zu, dass es sich um ein Bauopfer gehandelt haben könnte.52 Als zum Vorwerk gehöriges Nebengebäude wird in der ersten am Ende des 17. Jahrhunderts entstandenen Beschreibung lediglich ein Schafkoven von acht Fachen Länge genannt, der von untüchtigen von der Erden aufgehenden Schahren errichtet worden war, wobei offen bleiben muss, ob es sich eventuell um einen Pfostenbau handelte. Die Wände waren lediglich mit Busch gezeunet und umbher mit Klovenholz besetzet. Das Dach befand sich in gutem Zustand, hatte sich aber wegen der Absenkung der Schahren verschoben. An jedem Ende befand sich ein Tor. Am Westende war eine elende Stube mit Lehmwänden, vier bleiverglasten Fenstern und einem aus dachpfannen zusammen geflickten Ofen als Schäferwohnung eingebaut. Zudem gehörte ein kleiner Garten zu dem 6 Nachträglich angehobenes Ständersteinpaar des Vorwerkhauptgebäudes (2010). Gebäude, das im Hinblick auf seine Zweckbestimmung recht großzügig bemessen war, dessen Lage auf dem Vorwerksgelände sich jedoch nicht präzise bestimmen lässt. Es kann allerdings ausgeschlossen werden, dass es sich um einen der drei anderen Schafställe des Vorwerks gehandelt hat, da diese weit außerhalb Moisburgs lagen. In der zweiten Beschreibung werden insgesamt acht Nebengebäude genannt. Das Schweinehaus, das gleichzeitig die Heuscheune beherbergte, wird mit neun Fachen angegeben. Es besaß ein Tor zum Vor- werk und ein Tor zum Misthaufen hin. Im Inneren befanden sich mehrere mit Türen verschließbare Ställe. Die Haberscheune von siebeneinhalb Fach Länge besaß im Innern eine Dreschdiele, zwei Tore und war teilweise etwas baufällig. Aufgrund der Baudaten ist es wahrscheinlich, dass sie mit der sieben Fach langen „Scheune" in der dritten Beschreibung identisch ist. Der „Lange Koven", der als solcher bereits in der Beschreibung im Amtslagerbuch von 7 Skelett eines jungen Rindes unter der westlichen Höftständerreihe des Vorwerkhauptgebäudes (2010). 1664 auftaucht, war laut der zweiten Beschreibung 1692 von einem Sturm zerstört worden. Es könnte sein, dass er mit dem Schafkoven aus der ersten Be- Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg Schreibung identisch ist. Die Korn- und Rockenscheu- re von zehn Fachen wird ebenfalls schon im Amtslagerbuch genannt. Sie besaß laut der zweiten Beschreibung an jedem Ende ein Tor und an der Längsseite eine kleine Tür. Das Fachwerk der Außen- wände war in der oberen Hälfte mit Flechtwerk und Lehmbewurf versehen, die untere Hälfte hingegen mit Ziegeln ausgemauert. Die Dreschdiele hatte man im Innern zusätzlich mit alten Dielen abgekleidet. Das Backhaus von drei Fach Länge war wie alle anderen Vorwerksgebäude mit Stroh gedeckt. Die Wände waren sämtlich mit Flechtwerk und Lehmbewurf aus- gefacht. Darüber hinaus werden noch die drei Schafställe Bergkofen, Forstkofen und Trünenkoven aufgeführt. Bei letzterem wird bemerkt, dass er erst vor einem Jahr (neu) gebaut worden sei. In der dritten Beschreibung wird nur der auf dem Einbecker Berge stehende Schafkoven erwähnt. Des Weiteren tauchen in dieser Beschreibung ein verfallener Torfschauer und ein Speicher auf dem Vorwerksgelände auf. Dieser Speicher von fünf Fach Länge, der in keiner anderen Beschreibung Erwähnung findet, lag offenbar an der Stelle der späteren Heuscheune an der Bleiche. Vielleicht war er sogar mit dieser identisch. Das Fachwerk des Speichers war größtenteils mit Ziegelsteinen ausgemauert. Einige Wandfelder waren mit Busch gezäunt oder notdürftig mit Brettern vernagelt. Seit- lich befand sich eine Eingangstür. Als einziges der auf dem Vorwerk genannten Gebäude besaß der Speicher einen Keller, der als „verfallen" beschrieben wird und eine lehmbeschlagene Dielendecke besaß.53 Eine Treppe führte auf den Dachboden. Der Ost- und der Westgiebel waren oben verbrettert und jeweils mit einer Luke versehen. Auf der nördlichen Seite des Daches war zusätzlich ein Erker mit Luke eingebaut. In der zweiten und dritten Beschreibung werden auch zu den um das Vorwerk gezogenen, hölzernen Zäunen nähere Angaben gemacht. Demnach verlief ein Zaun vom Hauptgebäude bis zum Tor am westlichen Ende des Mühlendammes und von hier bis zu einem Teich bzw. bis zum oben erwähnten Speicher. Ein wei- terer Zaun führte von der Haferscheune um den Darin heißt es u. a.: Das Moisburger Vorwerck sub No 8, welches an die 230 Fuß54 lang, ist durchgehends an den gemauerten Fachen reparirt und theils neu gemauret, also das es jetzo in Fachen in ziemlichem Stande ist. Am Dache, so von Natur sehr alt, ist an der Südseite ein Th eil unten am Dache neu gedecket, auch oben im Fasten zwei dritte Theil mit Heide neu belegte. Die übrigen 2/5 Thei! oben im Fasten liegen mehrentheils offen. Auch ist das Dach in specie an der Nordseite sehr abgengig und verfallen, das auch ehestens eine neue Deckung nötig sein wirdt. Die sub No 6 benandte Kornscheure zu Moisburg ist an der Südseite unter dem Fasten entlang neu gedecket und der Fasten mit Heide neu belegt. Der übrige Theil dieses Daches aber ist sehr abgengig und veraltet, und ob es zwar hin und wieder gestopfet, wird doch bald eine Hauptreparation erfordert werden. Auch sind die Fächer ins Süden, theils mit alten Brettern zugenagelt, theils so mit Steinen gemauert, baufellig, und theils, so nur mit Busch gezeunet gewesen, ganz offen. Also das diese Kornscheure in schlechtem Stande ist.55 Auf einer Karte von 1731, die anlässlich der Übergabe des Vorwerks an den neuen Meier erstellt wurde, sind sowohl die Ländereien als auch die Amts- und Vorwerksgebäude skizzenhaft dargestellt. Da für den Zeichner lediglich der Zustand der bestellten Felder von Belang war, ist die Abbildung recht ungenau ausgefallen.56 Ein Vergleich mit dem Situationsplan des Condukteurs C. H. Havemann, der im Auftrag des Oberlandbaumeisters Otto Heinrich von Bonn 1760 alle zum Amt Moisburg gehörigen Gebäude aufmaß, stimmt jedoch weitgehend mit dieser Darstellung überein. Ein Großteil der Gebäude, die in den Beschreibungen des 17. Jahrhunderts erwähnt wer- den, war offenbar noch immer vorhanden, wobei allerdings keine genauen Aussagen zu möglichen Um- und Neubauten, die in der Zwischenzeit erfolgt waren, getroffen werden können. Die häufigen Hinweise auf Bauschäden und Reparaturen lassen darauf schließen, dass es erhebliche Veränderungen an den Gebäuden gegeben haben muss. Spätestens mit der deutlichen Zunahme des Viehbestandes in der Misthaufen hinter dem Schweinestall herum. Daran schloss sich ein Zaun an, der bis an den Ziegenstall reichte. Auch die Gärten des Vorwerks sowie der Dröge Hof an der Ausfallstraße nach Rahmstorf wa- ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts dürfte eine Erweiterung der Stallungen auf dem Vorwerk notwen- ren von Zäunen umgeben. In diesen Zäunen befanden sich entweder Tore oder Gatter in Form eines Heck. Maßnahmen. Bereits in den Jahren zwischen 1692 und 1711 hatte man das baufällige Schloss abgebrochen und an seiner Stelle das zu großen Teilen noch heute stehende Amtshaus errichtet.57 Vom Altbau blieb lediglich der Keller des 1639 errichteten Süd- Amt und Vorwerk im Zeitalter der Aufklärung Der Unterhalt der großen Vorwerksgebäude, von denen die meisten in den feuchten Niederungen der Este lagen, war kostspielig. 1707 verfasste ein unbekannter Schreiber auf dem Amt Harburg einen Bericht an die kurfürstliche Kammer, in dem er die zuvor erfolgten Reparaturen an den drei Papiermühlen und zwei Vorwerken in und bei Moisburg beschreibt. dig geworden sein. Dies korrespondierte mit anderen baulichen ostflügels erhalten. Dem zeitgenössischen Geschmack entsprechend lagen die Gebäude um einen zentralen Hof gruppiert, der sich nach Nordwesten hin öffnete. Das zweistöckige Hauptgebäude mit den Wohnräumen des Amtmanns und seiner Familie wurde mittig angeordnet. Im Osten und Westen entstanden jeweils 115 116 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Situationsplan von Amtshaus und Vorwerk. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karten Nr. 32 g Moisburg 1 pm). ,/luii^l i/uJ mfilik/i.ihiilhiiiijt inSzn J1 rfiii'Uilt Von ^criJbnlhuuft- nach Jen %ih>lcdz, J\.Profit! lurth lasjLnilliaufs»dchcr nach dwbrdlt, ino,el u 2t n 'Xtlltr l> tfßt ßlatc C tycolc (feige 3 trjltr iioJtJi- e jgn>ajla T>oc)tr>- L f rof'ids'Jürci'L 'dict^o ntbc/i'^’cu^iJ.r f fncr MÜtr 9 Vorderansicht und Schnitt des Amtshauses. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karten Nr. 33 g Moisburg 3 pm). Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg eingeschossige Seitenflügel, wovon der eine laut Bau- aufnahme von 1760 die Brennerei und die Brauerei und der andere die Amtstube, die Pferdeställe und das Gefängnis aufnahm. Davor stand, leicht abge- rückt, das Backhaus.58 Um statischen Problemen vorzubeugen und die Baukosten zu begrenzen, wurden die Gebäude fast zur Gänze in Fachwerk errichtet. Lediglich das Kellergeschoss wurde unter Verwendung von Felssteinen und Ziegeln massiv aufgeführt. Der Architekt des neuen Amtshauses ist bislang unbe- kannt, aber der Vergleich mit anderen zeitgenössi- schen Gebäuden ähnlicher Funktion lässt die Annahme zu, dass der Geller Hofbaumeister Johann Caspar Borchmann dabei federführend wirkte.59 Die Kornmühle wurde 1723, nur gut 100 Jahre nach der Erbauung durch Herzog Wilhelm, unter Verwendung älterer Bauhölzer ebenfalls vollständig erneuert.60 Der Reisige Stall und der Ziegenstall scheinen schon 1731 nicht mehr existiert zu haben. Auf der Karte von 1731 und 1760 tauchen lediglich das Vor- werck, die Alte Scheune, die Neue Scheune, das Schweinehaus, die Heuscheure, die Kornmühle mit drei Nebengebäuden sowie ein kleineres, nicht näher bezeichnetes Gebäude nordwestlich des Vorwerks auf. Der von Havemann gezeichnete Grundriss des als Vb/werck bezeichneten Hauptgebäudes stimmt in seinen Maßen und von der Innengliederung her weitge- hend mit den Beschreibungen des 17. Jahrhunderts überein. Im Prinzip handelt es sich um ein überdimen- sionales Niederdeutsches Fachhallenhaus in Zweistän- derbauweise.6' Ob die Alte Scheune, eine Durch- gangsscheune in Dreiständerbauweise, mit der Haberscheune identisch war, muss dahingestellt bleiben. Laut des Grundrisses von 1760 war sie vier Fach länger als diese. Bei der Neuen Scheune handelte es sich ganz offensichtlich um einen Nachfolgebau der auf dem Merianstich von 1654 abgebildeten und im 17. Jahrhundert mehrfach beschriebenen Korn- und Roggenscheure. Im Gegensatz zu dieser besaß die Neue Scheune an der Straßenseite keinen Steilgiebel mehr, sondern nur mehr einen Walm. Darüber hinaus war der 16 Fach lange Dreiständerbau mit westseitiger Kübbung deutlich länger als die Korn- und Roggenscheure. Möglich wäre auch eine Verlängerung des Altbaus. Die Größe des von Havemann gezeichneten Schweinehauses stimmt zwar mit den Maßen des 17. Jahrhunderts überein, allerdings zeigt der Merianstich einen Wandständerbau, während sich das 1760 dokumentierte Gebäude als Zweiständer- bau mit beidseitigen Kübbungen präsentiert. Die Heuscheune auf der anderen Seite des Mühlendammes ist vermutlich ebenfalls ein Neubau des 18. Jahrhunderts. Die Frage, ob darin noch Teile des in einer älteren Beschreibung erwähnten Speichers vorhanden waren, ist auf Grundlage der vorliegenden Pläne nicht Cii'iuii'JiUsm JniJliidhiiuü udni Misburg ,. ißi ßO'i MjidlßlU^ ‘adhill u Juftmijrdithli bJtubi^ür arlluiiufui fuhr t Jihlof-Xtimnur. 3 Qdind i iairßmanrdrliußjtubt fMtdr Jfuninier q Jtdon hi ßüf . ' - . Jlubc Jrj^dcJlui /tuhe, IXudit indvdß l'ununtr n Sqßnppc 'ydriu uudii'tr C- t'/uHßahrd, fÄ/ir a Vurvla/i p^ruj Jiüdtn ’fa Salon. >U’’V Jliihtn furfamilu imi!Sird/außliullcW'L.rßubt utj Siumnier,ßdr 3tn ‘jnfcrniplor '! JdiiufXamnierfiir Infinit, // buiic,2:iiii.äidulirnuiiiiuo Sr;”d v'ßrtppc narh iaipdfin., Ciuadicnß.ßS-dnßdtr'hanii.jlwn>rplaltjlt'..tiiib-Snbi.jHbSlt'ibtßur'Jit.Sdtrdbtrr Jr>/Jch'ujfdibitul 'H5'JtßaZjraintntr ./■'r ü Jiüuni hl H'ao.t in ß Jr ZifferlZJluÜJ«?pnnnierßur denXtudd v SHrßZuiinn. ßdjo ftnduli Jikx\ ßfubc iiiildiiuniiur für ßcfduccm JtiJL 5 jßninur .iß.r.'i.frtK’ptiiiKn. üidcrit lütßuniinißrciL, ß j/neclUiuJitrhuiä dSjh Mafch MaduliuufrJlvJdi f>rathuüßr a'du i’iivnlinniu Mulen b ji'üJi hriudiuüjf r'iit hntb'ßfuiinc i)' diuniapuni abxuhlui f. ‘JicJtulh 'Darre Diehle.Jfa/X3aDrueiineifltrj-Jliibe i.’ni)Jia/mntr.//'-".(// derßen. .Suniuic d" Zo Schifte in* fiditr- uni!ßläftjlalle Z! Kiaum jftStrMuftin 1'runcjt in iß 10 Grundriss des Amtshauses. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karte 33 g. Moisburg 4 pm). 117 118 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen viihminpL'n m. uni'kwiiuu (jd'tuukii,pu .Maul'urc "'S'?7 (jrunaiJ/ii.ProfitJ»rntyii tyrrtrcjt uid fufduuifit tidhull a Jlubt unhirdj■Xuniiiurii.fur Jen jjtfjfttjer1> Vu'fplul^. C JLuntrJliill J Jlaih für tu tudd Kälber e Jlallfur’/iiuftr ruh.f /lulle■.für'.Hdtkuiit Kidu-unJ'firaßd lldrn. i'ieJi lUfyirtlt Jlail h Jl röldi'Jdilt. , j'Jiniifll/iil.nvfitl Jiißt ron Jcrpia.uiuidtii.plltn Jchairt./dhidl Ji'Hii Jlroj'di Jlidilt l fianliiL Jlaäni C t.ll'Wli) iinl fyvfdjlipC ran Sen fchirdm Jlaufrc e/dhäll ■nJitfuHcr'jlü/dt r Jdnyuti Jun, er ]J vanft JfulJt Jl l.rrmJ'iuUJJoJil Jufic TvnJtnJo ncnuiduL firn, Jdiatif Jiin'UL nahe an JJaidniiv. 11 Grundrisse und Schnitte des Vorwerkhauptgebäudes, der Alten Scheune, des Schweinehauses und eines Außenschafstalls. Zeichner: C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karte 33 g. Moisburg 5 pm). 12 Grundrisse und Schnitte der Neuen Scheune, des Backhauses, der Heuscheune und zweier Außenschafställe. Zeichner. C. H. Havemann, 1760 (HStAH Karten Nr. 33 g Moisburg 6 pm). Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg 13 Das neue Vorwerkhauptgebäudes aus der Zeit um 1912. zu beantworten. Eine Beschreibung von 1767 nennt das Gebäude als Heu- und Torfspiecker, was zumindest auf eine ähnliche Funktion deutet. Bei den drei Schafställen handelte es sich den Grundrissen nach zu urteilen um Zweiständerbauten mit beidseitiger Kübbung und Höftständern, die nutzungsbedingt auf einzelne Legsteine gesetzt waren. Größere Unterschiede zu den zeitgenössischen bäuerlichen Schafställen bestanden scheinbar nicht.62 hatte man abgebrochen. An der südöstlichen Ecke war 1786 einen 541/2 x 13 Fuß messender Anbau für Ackergerätschaften angefügt worden.63 Bei der archäologischen Untersuchung des Geländes im Sommer 2010 konnte ein Fundament aus kantig behauenen Felssteinen freigelegt werden, das diesem Anbau zuzuordnen ist. Zudem konnte festgestellt werden, dass auch die Fundamente der übrigen Außenwände teilweise erneuert und mit einem sorg- Zwischen 1767 und 1795 entstand auf dem Drögen Hof am westlichen Ende des Mühlendammes ein neues Vorwerkgebäude mit einem Kuh- und Kälberstall von 145 Fuß Länge und 5116 Fuß Breite, an den in rechtem Winkel eine „Wasch- und Schlachtdiele" und der Wohnteil für den Hofmeier von 54 Fuß Länge und 40 Fuß Breite angebaut wurde. Fotografien aus der Zeit um 1912 zeigen ein repräsentativ wirkendes fältig gesetzten Rollsteinpflaster gesäumt worden waren. Die Diele des Hauses war erneut mit Lehm aufgeschüttet worden, wodurch es offenbar nötig wurde, das Innengerüst mit behauenen Legsteinen, Fenstern. Hinter dem Gebäude schloss sich ein großzügiger Garten mit einer neuen Heuscheune an. Die alte Heuscheune wurde nur noch als Torfschuppen verwendet, wohingegen die Alte Scheune schon nicht mehr existierte. Umbauten des späten 18. Jahrhunderts nicht auf das Fachwerkgebäude mit hohen Seitenwänden und Die Reste des alten Vorwerkgebäudes wurden in einer Beschreibung von 1799 nur mehr als Mistige Scheune bezeichnet und dienten als Stall für Ackerpferde, Ochsen und Jungvieh. Die nördliche Hälfte des Hauses mit dem Kammerfach und die westliche Kübbung die auf der Oberseite Vertiefungen für das Einsetzen der Höftständer aufwiesen, neu zu unterfangen. Der Zustand des Gebäudes wird in der Beschreibung von 1799 als „mittelmäßig" bis „schlecht" bezeichnet. Ähnlich wie in früheren Zeiten wurde auch bei den Können der Bauleute allein vertraut: Unter dem Fundament des Anbaus fand sich erneut ein mutmaß- liches Bauopfer, dieses Mal in Form eines jungen Schweins. Die anderen Gebäude des Vorwerks und des Amts- hauses waren bis auf vereinzelte Reparaturmaß- nahmen nahezu unverändert geblieben. Lediglich das Backhaus war 1786 neu erbaut und vergrößert worden. Interessant ist die Erwähnung von drei Röhren 119 120 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 14 Ausschnitt einer Karte von Amtshaus und Vorwerk. Zeichner: WallisA/olborth, 1838/1842 (HStAH Karten Nr. 32 g Moisburg 3 pm). (Holzleitungen) und einer Zucke (Handpumpe) in den Von Hinüber, der seit 1851 Vorstandsmitglied des Brauerei und die Mälzerei mit Wasser versorgte. Eine weitere Zucke befand sich im Amtshaus, sehr wahrscheinlich in der Küche an der Ostseite des Gebäudes. Landdrosteibezirk Lüneburg war, gründete nach der Verwaltungsreform von 1852 den Landwirtschaftlichen Filial-Verein Tostedt und übernahm gleichzeitig dessen Vorsitz.67 Zweck des Vereins war es, die Einführung der an Landwirtschaftsschulen und landwirtschaftlichen Versuchsanstalten entwickelten Methoden in den Bereichen Ackerbau und Viehzucht zu fördern.68 In dieser Funktion wirkte von Hinüber maß- Berichten von 1799, welche die Brennerei, die Erwähnenswert ist zudem die erstmalige Nennung einer Feuerspritze und anderer Feuergeräthe, die in der Zehntscheune untergebracht waren.64 Auswirkungen der Verwaltungs- und Agrarreformen Unter der Ägide des Amtmanns und Landesökonomierates Carl Anton Ludwig von Hinüber kam es zu tiefgreifenden strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft auf dem Vorwerk. 1840 kaufte der Fiskus einen Hof in Podendorf an. Das dortige Hofgebäude wurde auf das Voßfeld zwischen Grauen und Moisburg versetzt, wo durch die zusätzliche Kulti- vierung von Heideland ein weiteres Vorwerk mit dem Namen Ruhmannshof entstehen konnte.65 Durch die Begradigung der Este und die Einrichtung von Rieselwiesen war es schon im ausgehenden 18. Jahrhundert gelungen, die Erträge aus der Grünlandwirtschaft erheblich zu steigern. Weitere Futtermittel wurden u. a. durch den Anbau von Spörgel gewonnen.66 Im Gegenzug wurden die Schafhaltung zurückgefahren und die zugehörigen Schafställe sukzessive aufgegeben. Landwirtschaftlichen Provinzialvereins für den geblich bei der angesichts der fortschreitenden Industrialisierung dringend notwendigen Modernisierung der regionalen Landwirtschaft mit. Die auf einer 1842 überarbeiteten Kopie eines 1830 angefertigten Plans, der die Verhältnisse wiedergibt, zeigt noch weitgehend den alten Zustand des Vorwerkgeländes. Der nördliche der beiden Fischteiche war bereits weitgehend verfüllt worden und diente lediglich noch als Umfluter bei Hochwassern der Este. Die mistige Scheune wurde mittlerweile nur noch als Schafstall genutzt und der Müller hatte sich mittlerweile eine neue Scheune anstelle eines kleineren Vorgängers neben der Mühle errichten lassen. Auf dem Drögen Hof waren offenbar weitere Neubauten vorgesehen, die jedoch nur teilweise zur Ausführung kamen.69 Nachdem Carl Anton Ludwig von Hinüber 1859 gestorben war, wurde das Amt nach Tostedt verlegt. Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg 15 Blick über das Grabungsgelände nach Westen. Im Vordergrund die Fundamentreste des alten Vorwerkhauptgebäudes, im Hintergrund der ehemalige Kuhstall der Domäne aus der Zeit nach 1862 (2010). Das Vorwerk in Moisburg blieb als staatliche Domäne erhalten. Das Amtshaus wurde Sitz des Domänenpächters. Der erste Pächter war der Sohn des letzten Amtmanns in Moisburg, Gerhard Georg Carl Friedrich von Hinüber. Ihm folgte 1869 Anton Karl Eduard Wilhelmi.70 In dieser Zeit wurde dem ehemals streng symmetrisch aufgeteilten Barockgarten des Amts- hauses ein parkähnlicher Charakter nach englischem Vorbild verliehen. Gravierender waren jedoch die Ver- änderungen auf dem Vorwerksgelände. Laut eines Verzeichnisses von 1870 waren dort neben dem Hauptgebäude ein Federviehstall, ein Wagenschauer, ein vermutlich nach 1862 errichtetes Viehhaus (Kuhstall) und die alte Zehntscheune vorhanden. Wilhelmi wurde bei der Übernahme dazu verpflichtet, einen Schweinestall und einen Pferdestall neu zu errichten. In einem an den Pächter gerichteten Schreiben des Landbauinspektors Schwägemann vom 3. September 1870 wird erwähnt, dass man bei einer Besichtigung des Vorwerks festgestellt habe, dass das neue Schweinehaus bereits stünde und der Pferdestall etwa zur Hälfte fertiggestellt sei. Auf der Urkatasterkarte von 1872 sind dann beide Gebäude bereits verzeichnet. In einem Schreiben an die Domänenkammer in Hannover vom 18. September 1872 monierte Schwä- gemann jedoch, dass man beim Neubau des Pferdestalles nicht berücksichtigt habe, dass zuvor ein durchgehendes Gefälle Richtung eines auf dem Vor- 16 Das Vorwerkgelände auf der Urkatasterkarte von 1872. Zeichner: unbekannt, (HStAH Karten Nr. 32 g Moisburg Bd. 45). werksgelände liegenden Teiches existiert habe, durch das die Niederschläge abgeleitet und das Hofgelände trocken gehalten worden sei. Weiter heißt es: Nach der Ausführung des Neubaues, welcher zur Trockenlegung auf einer hohen Auffüllung vorgenommen werden mußte, hörte jeder Abfluß auf und es wird seitdem das in eine Niederung verwandelte Hofterrain, da jedwede Ableitung fehlt, bei irgendeinem starken Regengüsse In einen völligen See und 121 122 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Sumpf verwandelt. Auf Vorschlag des Bauinspektors hin wurden daraufhin Gossen entlang der Gebäudetraufen angelegt, um das Wasser abzuleiten.71 Bei den archäologischen Untersuchungen des Sommers 2010 konnte festgestellt werden, dass der Boden um rund einen Meter erhöht worden war, womit eine Niveauangleichung an das umliegende Gelände und den Mühlendamm erfolgte. Die zusammenhängende Hof- fläche des Vorwerks war mit Abschluss der Baumaßnahmen um etwa das Doppelte gegenüber dem Zustand von 1760 gewachsen. Das Ende der Domäne im 20. Jahrhundert 1925 umfasste die Domäne Moisburg eine Fläche von 374,6 ha und zusätzlich 1,1 ha Erbbauland. Sie war damit hinter der Domäne Kattwyk der zweitgrößte derartige Betrieb im Kreis Harburg.72 Nach dem Tod des letzten Domänenpächters Friedrich Wilhelmi am 30. Januar 1928 wurde jedoch entschieden, die Domäne aufzulösen und die zugehörigen Grund- stücke zu parzellieren, um Kleinbauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden den Erwerb von Land zu ermöglichen. Die Wirtschaftsgebäude des Vorwerks wurden größtenteils zu Wohnhäusern umgebaut. Die Zehntscheune war bereits 1921 abgebrannt und durch einen als Schwarze Scheune bekannten Neu- bau ersetzt worden. Das Amtshaus wurde an den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) verkauft, der es als Jugenderholungsheim nutzte. Den Brenn- und Braubetrieb hatte man bereits einige Zeit zuvor aufgrund mangelnder Rentabilität aufgegeben. Nachdem der ASB 1933 unter nationalsozialistischer Herrschaft auf- gelöst worden war, fiel die Liegenschaft erneut an den Fiskus.73 1937 wurde der östliche Seitenflügel 17 Gebäude am westlichen Ende des Mühlendammes, ca. 1920. Im Vordergrund die Mühle und die Zehntscheune, im Hintergrund der Pferdestall und das Hauptgebäude der Domäne. Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg 18 Das Amtshaus kurz vor dem Abbruch des nordöstlichen Seitenflügels, 1937. wegen Baufälligkeit abgebrochen, 1957 musste der westliche ebenfalls niedergelegt werden. Seit 1942 war im mittleren Trakt die Dorfschule untergebracht. 1945 ging das Gebäude vorübergehend in den Besitz des Landkreises Harburg über, bevor 1955 die Gemeinde Moisburg Eigentümer wurde.74 1980 bis 1983 wurde das mittlerweile stark baufällige Amtshaus grundlegend saniert und anschließend kommunalen Zwecken zugeführt. Leider wurde hierbei versäumt, bauhistorische und archäologische Untersu- chungen durchzuführen, sodass viele Fragen zur ursprünglichen Gestaltung der Innenräume und zum Vorgängerbau bis heute ungeklärt sind.75 Drei Jahre später konnte auch die bis 1973 betriebene Korn- mühle nach aufwändiger Renovierung der Öffentlichkeit übergeben werden. Heute ist sie eine Außenstelle des Freilichtmuseums am Kiekeberg.76 Während das Hauptgebäude der Domäne schon in der Nachkriegszeit abgebrochen worden war, folgte 2009 auch der ehemalige Pferdestall, sodass heute nur mehr die um 1870 errichteten und mittlerweile vollständig zu Wohnzwecken umgebauten Gebäude des Kuh- und des Schweinstalls übrig geblieben sind. Resümee An der baulichen Entwicklung von Amtshaus und Vorwerk in Moisburg zeigt sich exemplarisch, wie eng Wohnen, Administration, Land- und Hauswirtschaft an hannoverschen Verwaltungsstandorten verzahnt sein konnten. Eine klare räumliche Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche gab es bis ins 19. Jahrhundert nicht. Ebenso deutlich wird die Entwicklung des Vorwerks von einem Wirtschaftshof, der lediglich zur Eigenversorgung einer Burgbesatzung diente, hin zu einem landwirtschaftlichen Großbetrieb, der im Zuge des Ausbaus der landesherrlichen Verwaltung im 16. und 17. Jahrhundert entstand und klar auf die Erwirtschaftung von Überschüssen zugunsten der Staatskasse ausgelegt war. Seine größte wirtschaftli- che Bedeutung erreichte der Amtshaushalt im 18. Jahrhundert. Im zeitgenössischen Gebäudebestand zeigt sich, dass trotz steigender Ernteerträge und Viehstückzahlen versucht wurde, die Anzahl der Wirtschaftsgebäude bei Neubauten zu reduzieren. Hierbei spielt sicherlich das Bestreben, angesichts knapper werdender Holzressourcen sparsamer zu bauen, eine nicht unerhebliche Rolle.77 Die rasche Einführung der Massivbauweise in der Mitte des 19. Jahrhunderts und die räumliche Ausweitung des Vorwerks sind weitere Indikatoren für einen raschen Wandel in der Struktur des Betriebes. Nach dem politischen Bedeutungsverlust Moisburgs folgte Anfang des 20. Jahrhunderts auch der wirtschaftliche Niedergang, welcher schließlich zur endgültigen Auflösung der Domäne sowie zum Verfall oder zur Umnutzung des zugehörigen Gebäudebestandes führte. 123 124 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen (wie Anm. 4), Nr. 1117. 1 Willi Meyne, Die ehemalige Hausvogtei Moisburg. Die Ge- 24 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 17. schichte ihrer Dörfer und Höfe. Buxtehude 1936, S. 63. 25 Dieter Matthes, Die welfische Nebenlinie in Harburg. 2 Klaus Richter, Historisch-archäologische Untersuchungen Untersuchung über Entstehung und Rechtsform einer fürst- zur Geschichte der Sinstorfer Kirche, in: Harburger Jahrbuch lichen Abfindung zu Beginn des 16. Jahrhunderts (Veröffent- 1968/72, Band 13. Hamburg-Harburg 1973. 3 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 14f. Hans-Joachim Behr, Die lichungen des Helms-Museums. Nr. 14). Hamburg-Harburg 1962, S. 64ff. Pfandschlosspolitik der Stadt Lüneburg im 15. und 16. Jahr- 26 Die Holzherrschaft lag ursprünglich beim Winsener hundert. Lüneburg 1964, S. 123 Amtmann und ging erst mit Abschluss des Erbvertrages von 4 Dietrich Kausche, Regesten zur Geschichte des Harburger 1560 an die Nebenlinie in Harburg über, s. Matthes 1962 (wie Anm. 25), S. 95. Raumes 1059 bis 1527 (= Veröffentlichungen aus dem 5 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 15. 27 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 35; Günther Franz, Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Lüneburg (Veröffentlichungen des Niedersächsischen Amtes für Landes- 6 vgl. Kausche 1976 (wie Anm. 4), Nr. 292. planung und Statistik, Band 54). Bremen-Horn 1955, S. 33. 7 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 16. Willi Meyne, Briefe Mois- 28 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 35, 261. burger Schlosshauptleute an den Rat der Stadt Lüneburg, in: 29 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 136. Harburger Jahrbuch. VI. 1956, S. 90-106, hier S. 92. 30 HStA Celle Or. 1 Nr. 186: Specificatio, Anschlag undt Ver- 8 Vertrag vom 19. Juni 1379, nach H. Sudendorf, Urkunden- zeichnis aller Erbstücke, Erb: undt Erbgerechtigkeit zu dem buch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lü- Fürstlichen Hause Harburgk gehörig (...) neburg und ihrer Lande, fünfter Teil. Hannover 1865, Nr. 31 Urban Friedrich Christoph Manecke, Topographisch-his- 157, S. 193f. torische Beschreibungen der Städte, Aemter und adelichen 9 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 16. Gerichte im Fürstenthum Lüneburg. Erster Band. Celle 1858, 10 Meyne 1956 (wie Anm. 7), S. 92f.; Behr 1964 (wie Anm. S. 206; Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 247. Staatsarchiv der freien und Hansestadt Hamburg, Band 12). Hamburg 1976, Nr. 165, Nr. 170. 2) , S. 123. 11 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 177, 187. 32 Christian Ludwig Albrecht Patje, Kurzer Abriß des Fabriken-, Gewerbe- und Handlungszustandes in Chur 12 Artur Konrad Förste, 38 neue Forschungen und Quellen zur Geschichte und Ortsnamenkunde der Buxtehuder Geest. Braunschweig-Lüneburgischen Landen. Göttingen 1796, S. Buxtehuder Blätter, Band 6. Moisburg 1995, S. 292ff. 13 Es handelt sich entweder um Scharmbeck bei Winsen/ und Heinrich Meyer (Hg.), Zwischen Elbe, Seeve und Este. Ein Luhe oder Scharnebeck bei Lüneburg. 1925, S. 291-328, hier S. 304; Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 14 Vermutlich ist die Einsaat auf den zum Vorwerk gehören- 129. den Feldern gemeint. 15 Bereits 1442 werden Hopfenlieferungen von Lüneburg nach Moisburg erwähnt, was auf den Betrieb einer Brauerei zu diesem Zeitpunkt schließen lässt, s. Meyne 1956 (wie Anm. 7), S. 99. 16 Meyne 1956 (wie Anm. 7), S. 93ff.; Behr 1964 (wie Anm. 3) , S. 123f. 17 Meyne 1956 (wie Anm. 7), 100f.; Behr 1964 (wie Anm. 113; Willi Meyne, Das Kirchspiel Moisburg, in: Heinrich Laue Heimatbuch des Landkreises Harburg, Band 2. Harburg 33 Rudolf Meier, Die Braunschweig-lüneburgische Münzstätte Moisburg und ihr letzter Münzmeister Wilhelm Quensel (1627-1629) (= Bremer Beiträge zur Münz- und Geldgeschichte, Band 6). Bremen 2009, S. 127-140, hier S. 128ff. 34 Die Anfang des 18. Jahrhunderts eingerichtete Brannt- weinbrennerei spielte durch den Anfall von nahrhafter Schlempe bei der Produktion eine nicht unbedeutende Rolle bei der Schweine- und Rindermast, weshalb an der Außen- 3), S. 124f. seite des Nordostflügels des Amthauses ein entsprechender 18 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 125. Stall angebaut war. 35 Ein landesherrlicher Vollhöfner musste im Amt Moisburg 19 Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 273, 312f. 20 Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 314ff. 21 Das Hakelwerk, des -es, plur. die -e, ein mit der Sache selbst nur in Niedersachsen übliches Wort, eine Art der Befriedigung um Häuser zu bezeichnen, wo über einem Zaune jährlich 104 Spanntage, vier Vierzeitenfuhren, einen Ernte- spanntag, einen Mehetag und einen Bindeltag leisten. Ein Großkötner musste hingegen jährlich 104 Handtage, einen Zehntfuhrtag, einen Bindeltag, einen Bansetag auf dem oder Plankenwerke, zwischen mehrern langen kreuzweise in Vorwerk und vier Köterpflugtage leisten. 1777 wurden diese die Erde geschlagenen Pfählen, ganze Fuder Busch- oder Reißholz geleget werden. Hakel bedeutet hier vermuthlich so weitere, unregelmäßige Dienste wie Landfolge, Jagdfolge, viel als Hecke, gleichsam Heckenwerk. Daher der Hakelpfahl, einer von den langen spitzigen Pfählen, zwischen welchen dieses verwüstende und gefährliche Bollwerk lieget. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 906. 22 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 126f. 23 Behr 1964 (wie Anm. 3), S. 129, 190ff.; Kausche 1976 Dienste in Geldabgaben umgewandelt. Es gab jedoch noch Amtsfolge und Burgfestendienste, die weiterhin in natura abgeleistet werden mussten. HStA Hann. 74 Tostedt Nr. 109: Verzeichnis des statt der Naturalherrendienste im Amt Moisburg aufgesetzten Dienstauf- und Neuendienstgeldes 1777. 36 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 39f., 136. 37 HRE. = Himten Roggen Einfall, 1 HRE. entsprach in Die Geschichte von Amt und Vorwerk in Moisburg Moisburg etwa 2,5 Morgen oder 0,6 ha. Eine recht gute Übersicht über die Hofgröße vermittelt das Moisburger Papiermühlen, der Ovelgünder, Moisburger Vorwerker betr. Amtslagerbuch von 1664. HStA Hann. 74 Harburg Nr. 1893. 1707. 38 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 41. Im 18. Jahrhundert war 56 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 250 K/86 pk: Ohn- es im Amt Moisburg üblich, ein Jahr lang Buchweizen, drei Jahre lang Roggen und drei Jahre lang Hafer auszusähen, bevor man die Äcker sechs bis sieben Jahre lang brach liegen ließ, vgl. Nils Kagel, Chronik der Gemeinde Wenzendorf (= Schriften des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Band 67). Ehestorf 2010, S. 73f. 39 vgl. HStA Hann. 74 Harburg Nr. 1893: Moisburgisches Ambtslagerbuch de Anno 1664. Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 46, 48, 59f. Dietrich Kausche, Harburger Erbregister von 1667. Ein Dokument zur Geschichte des alten Amtes Harburg, seiner Dörfer, Höfe und Bauern (= Veröffentlichungen des Vereins für hamburgische Geschichte, Band 21). Hamburg 1987, S. 100. 40 Es handelte sich um Schweine, die von abgabepflichtigen Bauern geliefert wurden. 41 Die Pfingstbötlinge (Hammel) und Zehntlämmer kamen ebenfalls von abgabepflichtigen Bauern. Besichtigung der Moisburger, Appelbecker, Starsbecker gefehrlicher Entwurf und Abriß der bey dem Vorwerk Moisburg gehörigen Wiesen und Ländereien; auch wie diese Letzteren 1. Maji 1731 von dem Verwalter Roggemann bestellt gefunden und seinem Successori Lehnhardt überliefert worden sind. Zeichner unbekannt. 57 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 38. Das Amtshaus ist 1711 anstatt des damals abgebrochenen alten Schlosses erbaut worden. D. Anton Friderich Büsching, Neue Erdbeschreibung. Zehnter Teil. Schaffhausen 1768, S. 2294. 58 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 33g Moisburg 4 pm: Grundriss von den Amthause und beyden neben Fügeln zu Moisburg, 1760, Zeichner: C. H. Havemann 59 Vgl. Hermann Mewes, Der lutherische Kirchenbau Niedersachsens unter besonderer Berücksichtigung der Baumeister des Konsistoriums Hannover. Diss. Hannover 1943. Hg. und kommentiert von Stefan Amt. Hannover 1994. 42 Vieh-Verzeichnis des Vorwerks beim Schloß Moisburg vom 14.12.1616, zit. n. Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 334f. 43 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 40. 44 HStA Celle Or. 1 Nr. 186 (wie Anm. 30). ten des Freilichtmuseums am Kiekeberg, Band 18). 2. Aufl. Ehestorf 1995, S. 5. Vorwerk bis zu seinem Tod im Jahre 1739. de waren keinesfalls ungewöhnlich. Im benachbarten Amt Harburg wiesen die Hauptgebäude der Vorwerke 1667 zwischen 15 und 21 Fachen Länge auf. Das Hauptgebäude des 45 Ernst Andreas von Cronhelm bewirtschaftete das 46 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 40. 47 Zit. n. Förste 1995 (wie Anm. 12), S. 272f. 48 HStA Hann. 74 Harburg Nr. 1893 (wie Anm. 39). 49 24 Schritt = 18,70 m 50 HStA Hann. 74 Tostedt Nr. 48: Verzeichniß aller und jeder zu dem Amthause und Vorwerke Moisburg gehöriger Gegenstände. sine dato. Für die Datierung spricht die Tatsache, dass im Verzeichnis die Jahreszahl 1692 in Zusammenhang mit der Zerstörung des Langen Kovens durch einen Sturm erwähnt wird und für 1694 bereits erste Abbrucharbeiten am Schloss verbürgt sind, vgl. Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 38. 51 Die erste Beschreibung gibt die Länge des Vorwerkgebäudes mit nur elf Fachen an. Es heißt darin, dass die Außen- wände komplett mit Flechtwerk und Lehmbewurf versehen seien. Außer der Diele und den Räumen im Kammerfach werden keine weiteren Räume genannt. Unklar bleibt, ob hier evt. ein älterer Zustand beschrieben wird. 52 Vgl. u. a. Hartmut Bock, Die archäologische Untersuchun- gen im Bereich des Wohnstallhauses von 1786 auf dem Hof Nr. 3 in Maxdorf, in: Maxdorf in der Altmark. Lebensbild 60 Rolf Wiese, Museumsführer Moisburger Mühle (= Schrif- 61 Größe und die Bauweise des Moisburger Vorwerksgebäu- Vorwerks Hörsten umfasste einschließlich des zweistöckigen Wohnteils sogar eine Länge von 29 Fachen, vgl. Kausche (wie Anm. 39), S. 60ff. 62 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 33 g. Moisburg 5 pm: Zeichnungen von denen Haushalts- und Vorwercks Gebäu- den zu Moisburg, 1760, Zeichner: C. H. Havemann. - HStA Hann. Kartensammlung Nr. 33 g Moisburg 6 pm: Fernere Zeichnungen von denen Haushalts und Vorwercks Gebäuden zu Moisburg, 1760, Zeichner C. H. Havemann. - HStA Hann. 76a Nr. 371: Verzeichnis der in den hierin benannten Fürstenthümern, Grafschaften und Herzogthümern befindli- chen Schlösser, Amthäuser, Amtschreiber-, Amtsunterbe- dienten, auch Försterwohnungen, dazu gehörigen Vorwercks- und Haushaltsgebäude, auch Wasser und Windmühlen, 1767. 63 HStA Hann. 76a Nr. 413: Verzeichnisse der gesamten herrschaftlichen Gebäude und Bauwerke in den Ämtern des Fürstentums Lüneburg, 1799. 64 HStA Hann. 76a Nr. 413 (wie Anm. 63). Eine der Beschreibung entsprechende Wasserversorgungsanlage mit eines Rundlingsdorfes von den Anfängen bis in die Neuzeit. Hg. von den Museen des Altmarkkreises Salzwedel. Oschersleben 2006, S. 63f. hölzerner Gefälleleitung konnte bei einer Grabung im nahe- 53 Aufgrund der Tatsache, dass der Untergrund im Bereich funde zur Trinkwasserversorgung in Buxtehude, in: Gerhard des Vorwerkgeländes sehr feucht ist, konnten bei den meisten Gebäuden keine Keller angelegt werden. 54 230 Fuß = 67 m. 55 HStA Hann. 74 Harburg Nr. 4624: Cammeralia - Miscellenea - Commissiones - Commissio aus königl. Kammer die gelegenen Buxtehude dokumentiert werden, vgl. Bernd Habermann, Brunnen oder Pumpe - Archäologische Be- M. Veh/Hans-Jürgen Rapsch (Hg.), Von Brunnen, und Zucken, Pipen und Wasserkünsten. Die Entwicklung der Wasserversorgung in Niedersachsen. Neumünster 1998, S. 209-215, hier S. 213f. 65 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 43. 125 126 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 66 Bereits in einer Beschreibung des Amtmanns Sarnighausen wird ein Wehr mit 3 Schütten im Starsbach das Wasser Abbildungsnachweis zum Moisburg auf die Amts-Wiesen zu leiten erwähnt, s. HStA Hann. 76a Nr. 413 (wie Anm. 63). - HStA Hann. 88 F 2, 3, 13, 17, 18: Archiv Freilichtmuseum am Kiekeberg; 4: Kagel; Nr. 1265/3: Geld-, Vieh-, Korn-, Bier-, Branntwein-, Tagelöh- 8-12, 14, 16: Hauptstaatsarchiv Hannover. ner-Register und Arbeitsjournal über die Administration des Amtshaushalts zu Moisburg 1843-1844. - HStA Hann. 88 F Nr. 1267: Amtshaushalt zu Moisburg, insbesondere Abstellung der Krümmungen im Esteflusse, auch Begradigung der Grenzen zwischen einigen zum Amtshaushalt gehörigen Wiesen 1842. 67 Festschrift zur Säcularfeier der Königlichen Landwirthschafts-Gesellschaft zu Celle am 4. Juni 1864. Erste Abtheilung. Hannover 1864, S. 430. Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 263f. 68 Festschrift 1864 (wie Anm. 67), S. 463. 69 HStA Hann. Kartensammlung Nr. 32 g Moisburg 3 pm. 70 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 43, 264. 71 HStA Hann. 180 Lüneburg Acc. 3/019 Nr. 1421: Baurevisionen der Domäne Moisburg. 72 Wittern, Domänen im Landkreise Harburg, in: Heinrich Laue und Heinrich Meyer (Hg.), Zwischen Elbe, Seeve und Este. Ein Heimatbuch des Landkreises Harburg, Band 2. Har- burg 1925, S. 140-144, hier S. 143. 73 Meyne 1936 (wie Anm. 1), S. 43. 74 Erich Tauber, Chronik der Gemeinde Moisburg mit Po- dendorf, Appelbeck und Ruhmannshof. Moisburg 2007, S. 292, 294 75 Helmut und Walburga Frenzei, Die Restaurierung des Moisburger Amtshauses, in: Moisburg und sein Amtshaus. Moisburg 1983, S. 36-45. 76 Wiese 1995 (wie Anm. 60), S.5f. 77 vgl. hierzu das Ausschreiben der Kammer in Hannover vom 4. April 1719 betr. die rechtzeitige Anforderung und sparsame Verwendung von Bau- und Nutzholz. 1, 5-7, 15: Helms Museum; \Z1 Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 Heinz Riepshoff Einführung Im Aller-Weser-Gebiet wird die Landschaft geprägt von geschlossenen Dörfern und Streusiedlungen. Vor allem die großen Meierhöfe befinden sich in Streulage. Das zugehörige Land ist in unmittelbarer Nähe um die Hofgebäude verteilt. Die Anzahl der erhaltenen Meierhöfe ist relativ groß, hingegen die mit historischer Bausubstanz deutlich geringer. Dennoch sind Ortsfremde überrascht über die große Zahl histori- scher Bauernhäuser, bei denen es sich in der Regel um niederdeutsche Hallenhäuser von beträchtlicher Größe handelt. Selbst unter der einheimischen Bevölkerung viel weniger bekannt ist die relativ große Zahl an früheren ade- ligen Gütern.' Der Hauptgrund ist wohl darin zu finden, dass die adeligen Höfe im Laufe der Jahrhunderte entweder aufgegeben wurden oder, soweit sie überlebten, seit Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem großen Teil in die Hände von „normalen" Bauern gelangten und damit ihre Sonderstellung sowohl 1 Gut Koppel, Wirtschaftsgiebel von 1727 (Zustand 1956). in gesellschaftlicher als auch in ökonomischer Hinsicht verloren. Im Mittelpunkt unserer Betrachtung steht das Gut Koppel (Abb. 1 und 2) in der Gemeinde Langwedel, Ortsteil Etelsen, Landkreis Verden.2 Die in wirtschaftli- cher oder verwandtschaftlicher Verbindung mit Gut Koppel stehenden Güter sind: Varste, Donnerhorst, Clüverswerder, Baden, Cluvenhagen, Wiepelsbusch, Ottersberg, Weyhe und Mandelsloh und das nahe Etelsen. Allein diese Aufzählung macht die ehemals hohe Dichte von Gütern in unserer Region deutlich. Viele von ihnen, so auch Gut Koppel, liegen in den Niederungen von Aller und Weser oder direkt an der Geestkante, wo der Hof vor Überschwemmungen sicher war. Gut Koppel erreichen wir auf der Landstraße von Verden kommend entlang der Geestkante bis Etelsen, biegen an dem früheren Gut Etelsen mit Schlossgebäude aus dem 19. Jahrhundert nach Westen ab und fahren der Weser entgegen. Bevor wir die Brücke 128 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Gut Koppel, Wohnteil von 1765/Mitte 19. Jahrhundert (Zustand 1956). 3 Gut Koppel, Luftbild (2006). über den Schleusenkanal erreichen (der Kanal ist ein Bauwerk aus den 1950er-Jahren), biegen wir nach Süden ab und erreichen nach nur gut 500 Metern die Gebäude des früheren Gutes. Beim Gutshaus handelt es sich um ein großes T-förmi- ges Gebäude aus einem hallenhausähnlichen Wirtschaftsteil mit einem querstehenden doppelstöckigen Wohnteil (Abb. 3). Auf dem Hofplatz, dem Gutshaus Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 4 Gut Koppel, Wirtschaftsgiebel (2012). vorgelagert, finden wir eine Reihe von jüngeren Schweineställen. Die zu dem Gutshaus gehörenden historischen Wirtschaftsgebäude wurden bereits vor Jahren abgebrochen. Wir sind nicht die ersten, die das Gebäude einer genaueren Betrachtung unterziehen. Der Architekturstudent Kai Struckmann aus Etelsen schrieb 1993 eine umfangreiche Arbeit mit dem Titel „Gut Groß-Kop- pel".3lhm verdanken wir vor allem die Recherche alter Baupläne und die Klärung von Zusammenhängen der Besitzerfolge bis in das 20. Jahrhundert. Ausschlaggebend und Antrieb für unsere Arbeit war allerdings die Kreis- und Landes-Denkmalpflege, die den überregionalen Wert der Gebäude erkannte. Darauf werden wir später mit der Frage nach der Zukunft des Baudenkmals noch eingehen. Besitzer und Bewohner Die Gründung des Gutes geht zurück auf das Jahr 1232 durch Ritter Lippold von Mandelsloh, dessen Familie als Besitzer bis in das 17. Jahrhundert belegt ist. Um 1615 heiratet Magdalene von Mandelsloh Johann von Rönne und aus dessen Familie geht das Gut 1685 an den Rittmeister Hermann Christoph von der Kuhla. Kuhla verkaufte es fünf Jahre später an den königlich-schwedischen Oberstleutnant Johann Hinrich von Brethaupt. Durch Erbstreitigkeiten und Gerichtsverfahren ging dann das Gut 1711 zurück an die von Rönne, namentlich an Marie Elisabeth von Rönne. Sie war verheiratet mit Asmus Christoph Friedrich von Zabeltitz, der nach ihrem frühen Tode 1713 eine zwei- te Ehe mit Anna Gertrud von der Lieth einging. Diese beiden ließen 1727 den heute noch stehenden Wirt- schaftsteil des Gutsgebäudes und wahrscheinlich auch das erste Wohnhaus errichten. Beide Namen ste- hen mit Baudatum im Rähm des Wirtschaftsgiebels. 1751 heiratete die älteste Tochter Magdalene von Zabeltitz den Drosten und Landrat zu Ottersberg und Weyhe Hieronymus Wiegand von Freese, genannt von Quiter. An dieser Stelle nehmen wir ein wenig Baugeschichte vorweg: Freese und seine Frau ersetzten 1765 den älteren querstehenden Wohnteil durch einen neuen, größeren Fachwerkbau. Auch hiernach erbte wiederum eine Tochter, Louise Gertrud von Freese, genannt von Quiter. Sie heiratete 1779 den Oberst Christian Otto von der Wisch. Ihr Sohn war Johann Caspar von der Wisch, der spätere hannoversche Minister des Innern und Präsident des hannoverschen Staatsrates. Er erbte nicht nur Gut Koppel, sondern 1854 auch das nahe Gut Etelsen. Sowohl Johann Caspar als auch sein Bruder Hieronymus von der Wisch starben unvermählt. Dadurch fiel das Erbe und somit auch Gut Koppel an die Neffen, die Herren von Heimbruch auf Varste. Diese ließen das Gut von dem Hofmeister Jacob Bischoff (1791-1863) und später von Diedrich Bischoff (1822-1900) verwalten. Die Heimbruchs vererbten alle Güter ihrem Neffen, dem dänischen Grafen Christian zu Reventlow und nach seinem Tode dem ältesten Sohn Graf Rudolf. 1932 wurde das ca. 122 ha große Gut Koppel an den Mühlenbesitzer Johann Christian Bischoff (1896-1974) aus Etelsen verkauft; er war ein Enkel des früheren Hof- 129 130 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen meisters Diedrich Bischoff. Gerda, eine Tochter von Johann Bischoff, heiratete Herbert Beckröge, Sohn des Käufers vom Restgut Etelsen. Seit dieser Zeit sind beide Güter in nicht adeliger Hand miteinander vereint und werden heute von Harm Beckröge bewirtschaftet. Die Aufstellung der Besitzer von Gut Koppel illustriert einerseits die adelige Herkunft des Gutes, andererseits aber auch, wie häufig ein Gut innerhalb des Adels veräußert werden konnte. Dem gegenüber verblieben Bauernhöfe, besonders Meierhöfe, häufig über Jahrhunderte in der gleichen Familie. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts haben die adeli- gen Gutsbesitzer nicht mehr in dem Gebäude gewohnt. Bewohnt wurde es dann über lange Zeit von den Verwaltern, so auch von dem Hofmeier Bischoff, später von Familien, die auf dem Gut Arbeit fanden. Nach dem Krieg waren mehrere Flüchtlingsfamilien einquartiert, deren Nachkommen noch heute in Etelsen wohnen. 1727 Das Baudatum 1727 geht aus der Inschrift des mächtigen, vierfach vorkragenden Wirtschaftsgiebels hervor (Abb. 4 und 5): Christoph Friederich von Zabeltitz -Anna Gertrudt von Lieth - ANNO 1727. Kai Struck- mann meldet in seiner Arbeit über das Baudatum 1727 Zweifel an, da er, von den Renaissancemerk- malen des Giebels geleitet, von einem höheren Alter 5 Gut Koppel, Datierung am Wirtschaftsgiebel (2012). ausgeht. Diese Zweifel brauchen wir aufgrund von eindeutigen dendrochronologischen Daten heute nicht mehr zu haben. Die Fälldaten des Holzes für den Giebel, die linke Traufwand sowie die Deckenbalken in der Diele laufen auf das Fälljahr 1726/27 hinaus. Die Renaissancemerkmale sind dennoch bemerkenswert: Alle Ständer über dem Erdgeschoss weisen Fuß- bänder auf, die in ihrer Anlage wie Fächerrosetten wirken, allerdings ohne entsprechende Profilierung. Sämtliche Vorkragungen werden von Knaggen gestützt, die deutliche Renaissancemerkmale tragen, unter denen besonders Tau- und Gurtbänder zu nennen sind. Die ursprüngliche Wirkung des Giebels wird heute durch jüngere Umbauten deutlich gemindert. Das Tor- gebinde wurde zugunsten einer größeren Einfahrt entfernt, die ursprüngliche Ausfachung mit Rotsteinen in den oberen Stockwerken ebenfalls und stattdessen der Giebel von außen verbrettert. Der gravierendste Eingriff besteht allerdings im Aufschütten des äußeren und inneren Niveaus um etwa eine Gefachhöhe. Nachdem in den 1950er-Jahren der Kanal in unmittelbarer Nähe gebaut wurde, haben die Eigentümer den Aushub als kostenlose Aufschüttung ge- nutzt, um zukünftigen Überschwemmungen vorzubeugen. Eine verständliche Maßnahme, die aber zulasten der ursprünglichen Hausproportionen geht (in der Abb. 6 wurde die ursprüngliche Höhe rekonstruiert). Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 6 Gut Koppel, Rekonstruktionszeichnung des Wirtschaftsgiebels (Riepshoff 2009). Der Wirtschaftsteil hat auf beiden Seiten niedrige Kübbungswände auf einer Länge von knapp 23 m. Auch diesem fehlt durch Aufschüttung heute die untere Gefachreihe. Daran schließt sich quer zur Diele das doppelstöckige Wohnhaus an. Von dem 1727 bestehenden Gebäude wissen wir bis auf die Grundrissgröße nicht viel. Bevor der Zimmermeister Ulrich Bittroff 1765 den Neubau errichtete,4 fertigte er einen Bestandsplan als Grundriss an, auf dem bereits die neue Größe mit dünnen Linien zu erkennen ist (Abb. 7). Eine Raumaufteilung fehlt darin völlig. Aufgrund der Höhe des Dielenteils können wir aber auch schon für das alte Wohnhaus von einem doppelstöckigen Gebäude ausgehen. 7 Gut Koppel, Plan der Situation von 1727, Privatarchiv Beckröge. 131 132 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Vorwerk des Nie. von Winßen, 1646, vor dem Doventor. Repro aus: Ernst Grohne, Das Bauernhaus im Bremer Gebiet, Bremen 1941, S. 15: Abb. 2. Die Kombination zwischen Viehdiele und querstehen- dem doppelstöckigen Wohnteil ist im 17. und 18. Jahrhundert für oberschichtliche Höfe nicht selten. Ernst Grohne beschreibt ein T-Haus von 1646 im nahen Bremen (Abb. 8), das von einem Nie. von Winßen als Vorwerk errichtet wurde,5 und in Thedinghausen errichtete der Kirchen-Jurat und Chirurg Gerhard Frische mit dem Behrenhof 1700 (i) ebenfalls ein THaus.6 Im 10 km entfernten Bahlum gibt es ein großes Hallenhaus von 1584 (d), ursprünglich der Sitz derer „Zum Bahlen", wo 1802 (d) das Kammerfach um einen doppelstöckigen einflügeligen Saal erweitert wurde. Weiter entfernt steht das „Oldenburger Haus" in Altluneberg, das für Norddeutschland wohl bekannteste T-Haus überhaupt, errichtet 1671/1699.7 Gerade in dieser Kombination eines repräsentativen Wohnhauses mit anhängender Diele besteht der große Unterschied zu einem „normalen" Bauernhaus, in dem in einem dreiräumigen Kammerfach zwei bis drei Generationen gewohnt haben.8 1765 Das heute noch vorhandene Wohnhaus ist definitiv der für 1765 archivalisch erwähnte Neubau, für den eine Entwurfszeichnung überliefert ist (Abb. 9). Mehrere dendrochronologische Daten zeigen die Fälldaten 1764/1765 (Herbst/Winter). Dem gesellschaftli- chen Stand entsprechend ist die innere Aufteilung repräsentativ: Eine große Eingangsdiele im Untergeschoss empfängt den Besucher, von wo aus eine ab- gewinkelte Treppe zu den oberen Räumen führt. Neben weiteren Stuben in beiden Stockwerken und Kammern im Obergeschoss verfügt das Haus über zwei Schornsteine mit mehreren Öfen und eine große Küche mit Rauchfang. Die traufseitige Westfront zeigt im Bauplan des Fachwerkbaus neun Fensterachsen, während es seit der massiven Erneuerung in der Mitte des 19. Jahrhunderts zehn sind. Struckmann hat in seiner Arbeit dazu Folgendes herausgefunden: „Dieses Gebäude wurde nicht nach dem vorgelegten Entwurf gebaut, denn das gesamte Haus ist um jeweils zwei Felder länger und breiter. Wenn man den Grundriss mit der von mir angefertigten Systemskizze (Abb. 10) vergleicht, so fällt auf, dass auch hier Abweichungen vorhanden sind, wobei einige nicht wesentliche Konstruktionen auf spätere Umbauten zurückzuführen sind."9 Wir müssen also annehmen, dass die Westfront auch in Fachwerk zehn Fensterachsen gehabt haben wird. Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 9 Gut Koppel, Bauplan für einen Neubau von 1765, Privatarchiv Beckröge. 10 Gut Koppel, Grundriss (Kai Struckmann, 1993). 133 134 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 11 Gut Koppel, geschnittene Fenster im Obergeschoss des Wohnhauses (2012). gut koppel VlEHSFALL VON <?2?i(1726d) INNENGERÜSr CSfÄN DER., RAHME UND KOPFBÄNDER. VON 1578 d Eine Merkwürdigkeit zeigt das Gutshaus auf der Ostseite (Abb. 11). Dort werden Fenster im Ober- geschoss vom Dach der Diele geschnitten. Man könnte daraus den Schluss ziehen, das Dielenhaus wäre jünger als das Gutshaus, doch verlief die Entstehung 12 Gut Koppel, Längsschnitt der Diele, Blick auf die linke Ständerreihe (Riepshoff 2009). umgekehrt. Damit stellt sich die Frage, was sich die Bauleute dabei gedacht haben. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass der spätere Abbruch der Diele in Betracht gezogen wurde, also die Ostseite wie die Westseite frei einsehbar geplant war. Das Dach des gesamten T-Hauses ist mit dunklem Schiefer gedeckt, was gegenüber Stroh gedeckten Bauernhäusern ebenfalls als Statussymbol gewertet werden muss. Ob die Schiefereindeckung bereits 1765 oder im Zuge der massiven Erneuerung Mitte des 19. Jahrhunderts auf das Dach kam, ist allerdings nicht mit Sicherheit zu sagen. Der Wirtschaftsteil 13 Gut Koppel, Querschnitt und Detail der Dielenseitenwand (Riepshoff 2009). Die äußere Form des Wirtschaftsteils wurde bereits oben beschrieben. Der vielleicht interessanteste Teil des Gebäudes liegt aber im Innern. Wie aufgrund der äußeren Form zu erwarten, handelt es sich um eine Zweiständer-Konstruktion. Zentral befindet sich eine Diele von etwas mehr als 8 m Breite, die auf beiden Seiten von einer Ständerreihe begrenzt wird (Abb. 12 und 13). Hinter den Ständern findet sich jeweils eine Kübbung, ursprünglich wohl als Tiefstall angelegt, in dem sich das Vieh befand. Die Ständer haben einen Querschnitt von 33x43 cm. In die Ständerköpfe sind die über mehrere Fache reichenden Rähme je nach Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 14 Gut Koppel, Blick auf die linke Ständerreihe (2012). Länge eingehälst oder gezapft, worauf die Balken aufgekämmt sind. Sowohl in Längsrichtung als auch quer zur Diele befinden sich verhältnismäßig breite, zum Teil winkelfüllende Kopfbänder. Die Dielenkopfbänder verfügen, am Ständer gemessen, über eine Höhe von 1,70-1,75 m. Damit sind es die größten Kopfbänder, die bisher in unserer Region festgestellt werden konnten. Wenn wir bedenken, dass die Bodenaufschüttung auch im Innern stattgefunden hat, verfügten die Ständer im Ursprung über eine Höhe von 3,45 m. Die Holz- und Raumdimensionen von Bauernhäusern an der Mittelweser sind für ihre Größe und Mächtigkeit bekannt. Das Gerüst dieser Diele gehört sicher zu den größten, vor allem kann es unmöglich aus der Entstehungszeit von 1727 stammen (Abb. 14 und 15). Die dendrochronologischen Daten des Innenge- rüstes verweisen auf zwei Kollektive, die neuen Ständer stammen von einem Zweiständergerüst mit Fälldatum 1578 (keiner dieser Ständer gehörte zum Flett oder zum Wirtschaftsgiebel), drei Ständer und die Balken gehören zu dem Neubau von 1727. Zu den Balken muss noch hinzugefügt werden, dass der Überstand über die Ständer gut 1 m beträgt. Balken im 16. Jahrhundert hatten hingegen so gut wie keinen Überstand. Die Balken aus dem Gerüst von 1 578 wurden deshalb zugunsten eines größeren Dachraumes nicht wiederverwendet, sondern gegen neue, längere Balken ausgetauscht. Eine Ausnahme gibt es aber doch: Der Balken am Ende der Diele über der Scherwand ist noch ein Originalbalken des wiederver- 15 Gut Koppel, Blick auf die linken Ständer (2012). 135 136 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 16 Gut Koppel, Längsschnitte durch den Wirtschaftsteil. Ansicht beider Ständerreihen mit Abbundzeichen und dendrochronologischen Datierungen (Riepshoff 2009). 17 Gut Koppel, Dachwerk über der Diele (2009). Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 wendeten Gerüstes von 1578 (d). Er wurde, durch die Scherwand gestützt, mit neuem Holz verlängert. An ihm lässt sich auch ablesen, dass die Breite der Diele von 1578 die gleiche war wie die von 1727. Was sich einem ersten Blick auf das Gerüst entzieht, ist die Zugehörigkeit der Ständer zur Bauphase von 1578 oder von 1727 (Abb. 16). Die Querschnitte der Hölzer, selbst die Form der wohl neueren Kopfbänder, entsprechen 1727 genau den Hölzern von 1578. Der Unterschied ist nur an den Zapflöchern der Hillenriegel zu erkennen. In der rechten Ständerreihe wurden die Hillenriegel ca. 35 cm höher angebracht, als in der Ursprungsdiele, wodurch die älteren Ständer tiefer liegende Zapfenlöcher aufweisen. In der linken Ständerreihe wurde die Riegelkette vom Ursprungsbau zunächst übernommen, später aber durch eine neue schmalere Riegelkette ersetzt, die nicht mehr eingezapft, sondern von vorne aufgeblattet wurde. Offensichtlich war die Art der Aufstellung 1727 auf beiden Seiten unterschiedlich. In der linken Kübbung war die Situation wie bei dem Hallenhaus von 1578 mit tiefer liegendem Hillenriegel, vielleicht mit Anbindevorrichtung, rechts deutlich höher, möglicherweise für frei laufende Jungrinder. Eine weitere, jedoch spä- tere Veränderung der linken Kübbung zeigt sich dadurch, dass die Kübbungswand von 1727 später 18 Gut Koppel, Detail des Rankenstabs (2009). um ca. 35 cm nach außen geschoben wurde, um einen breiteren Kuhstall zu bekommen. Dabei wurden auch die Einzüge, die das Innengerüst mit der Kübbungswand verbinden, deutlich höher angebracht. Die Kübbungswand auf der rechten Seiten stammt übrigens nicht aus dem Hausgerüst von 1578, sondern von einem Bau, der um 1624/43 (d) entstand. Die dichte Reihe von hohen Dachsparren ist überwiegend aus Weichholz und steht auf einer Sparrenschwelle (Abb. 17). Einige wenige Eichensparren stammen von 1578, mussten aber am Kopf verlängert werden, da die Ursprungslänge nicht ausreichte. Am Ende der Diele befinden sich hinter der bereits erwähnten Fachwerkwand mehrere ehemalige Wohnräume. Wir müssen davon ausgehen, dass der Verwalter des Hofes hier seine Wohnung hatte, also strikt getrennt von dem gutsherrlichen Wohnteil. Umbauten und eine gewisse Vernachlässigung der Bauunterhaltung in den vergangenen Jahrzehnten lassen eine genaue Beschreibung der Wohnverhältnisse nicht mehr zu. Über der rechten Kammer findet sich in Deckenhöhe der Rest eines geschnitzten Giebelbalkens mit einem Rankenstab (Abb. 18), ein Motiv, das Gerhard Eitzen schon 1939 beschäftigt hat.10 Ohne auf die Deutung dieses Motivs näher einzugehen, kann aber im Zusammenhang mit der Viehdiele von 137 138 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 1932 Als der Mühlenbesitzer Johann Christian Bischoff aus Etelsen 1932 das Gut erwarb, war in der Landwirtschaft unserer Region Schweinemast der Haupterwerbszweig. Hierbei war der Mühlenbesitzer durch den Zugang zu billigem Getreide sogar in einer privilegierten Situation, da Schweine mit Getreide gemäs- tet wurden. Somit ist es auch keine Überraschung, dass die Diele zu einem riesigen Schweinestall umgebaut wurde (Abb. 19). Dabei wurden die Ständer bis auf Boxenhöhe gekürzt und auf Betonsockel gestellt. Nach dem Kanalbau der 1950er-Jahre wurde die Schweinemast noch weiter ausgeweitet und der Hofplatz mit neuen, weiteren Schweinemastställen erweitert. Die Nutzung der Gutsanlage geriet immer weiter ins Hintertreffen. Im Gutshaus wohnte niemand mehr und die Diele diente nur noch als Abstellfläche für alles, was sonst im Wege stand. 2010/11 Es ist dem heutigen Besitzer Harm Beckröge, einem Ururenkel des oben erwähnten Dietrich Bischoff, zu verdanken, dass vielleicht in letzter Minute der 19 Gut Koppel, Diele nach dem Umbau zu einem Schweinestall (nach 1932). 1578, wozu dieser Giebelbaiken gehören wird, davon ausgegangen werden, dass es sich hier um einen außerordentlich bedeutenden Vorgänger des heute noch stehenden Gutshauses handelt. Die Breite dieses ursprünglichen Hallenhauses betrug ca. 13 m. Bei der Länge können wir aufgrund der wiederverwendeten Dielenständer von mindestens fünf Dielenfächern ausgehen. Zusätzlich wird das Gebäude einen Vorschauer gehabt haben, ein Flett und ein Kammerfach, was zu einer Gesamtlänge von mindestens 30-35 m führt. Auf die Hochwertigkeit des Gerüstes wurde bereits eingegangen. Dazu würde auch der aufwändig geschnitzte Giebelbaiken passen. Nur so ist zu verstehen, dass die Besitzer das alte Gebäude 1727 nicht einfach abgebrochen und vernichtet haben, sondern sich gewissermaßen des Geistes der Vorfahren durch die Wiederverwendung des Innengerüstes vergewisserten. Diese Idee wurde 1727, es war die Zeit des Barock, durch die Stilele- mente der Renaissance im prächtigen neuen Wirt- schaftsgiebel noch gesteigert. 20 Gut Koppel, zur Zeit ausgebauter Torbalken (2011). Untergang der Anlage verhindert wurde. Mit einer größeren Summe aus eigenen Mitteln und öffentli- chen Zuschüssen, darunter auch Denkmalfördermittel, wurde 2011 das schadhafte Dach mit einer Zwi- schenlösung wieder wetterdicht gemacht. Sowohl Viehdiele als auch Teile des Wohnhauses wurden mit neuen anthrazitfarbigen Wellplatten belegt und die eine Dachhälfte des Gutshauses in Richtung Kanal, es ist die Hauptansicht, mit dem historischen Schieferdach wiederhergestellt und abgedichtet. Da auch in absehbarer Zeit die Schweinemast und damit auch die neuen Ställe auf dem Hof die Haupteinnahmequelle der Besitzer darstellen, dient diese Maßnahme nicht einer grundsätzlichen Wiederherstellung des Gebäudes, sondern zunächst der baulichen Sicherung eines Kulturdenkmals ohne erkennbaren Nutzen. Der nächste Schritt reift bereits im Kopf der Besitzer: die Wiederherstellung des Wirtschaftsgiebels. Interessanterweise befindet sich der Torbalken mit einer weiteren Inschrift im derzeitigen Wohnhaus an der Wand (Abb. 20). Mit ihm könnte es gelingen, dem ur- sprünglichen prächtigen Giebel wieder neuen Glanz und Standhaftigkeit zu verleihen, ohne jedoch zu wissen, wie die genaue Zukunft der Anlage aussehen wird. Gut Koppel und sein T-Haus von 1727 und 1765 Anmerkungen Bildnachweis 1 Thorsten Neubert-Preine, Die Rittergüter der Hoya-Diepholz'schen Landschaft. Nienburg 2006. Harm Beckröge: 1-3, 7-9; 2 Etelsen gehörte bis 1932 zum Kreis bzw. Amt Achim, also Heinz Riepshoff: 4-6, 11-18, 20; Kai Struckmann: 10; nicht zum güterarmen Territorium des Stifts Verden; vgl. den Landesamt für Denkmalpflege in Niedersachsen: 19. Beitrag von Wolfgang Dörfler in diesem Band. 3 Kai Struckmann, Gut Groß Koppel. Masch.-schriftl. Diplomarbeit Universität Hannover vom Juni 1993. 4 Ebd., S. 31. 5 Ernst Grohne, Das Bauernhaus im Bremer Gebiet. Bremen 1941, S. 12-17. 6 Gerhard Frische ist sicher eine der eigentümlichsten Personen in Thedinghausen. Er kam aus gutem Hause, hat fünfmal geheiratet - vier seiner Frauen verstarben -, machte vor allem als Chirurg von sich reden und hat nachweislich vier Bauernhöfe besessen (Archiv Ernst Hardler, Thedinghausen). 7 Förderverein Oldenburger Haus e. V. (Hg.), Das Oldenburger Haus. Bremerhaven 1988. 8 T-Häuser finden zum Ende des 19. Jahrhundert in der früheren Grafschaft Hoya und im Aller-Weser-Raum, dann aber als Massivbauten oder zumindest als massive Wohnanbau- ten an älteren Fachwerk-Dielen, auch bei Bauernhäusern eine große Verbreitung. Die Vorbilder sind sicher in den oberschichtlichen Gebäuden der Vergangenheit zu suchen. 9 Struckmann (wie Anm. 3), S. 29. 10 Gerhard Eitzen, Langobardische Flechtbänder (Aufsatz von 1939). Erneut publiziert in: Gerhard Eitzen, Bauernhaus- forschung in Deutschland. Heidenau 2006, S. 285 - 286). 139 140 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Beispiele des 16. bis 18. Jahrhunderts aus Ostwestfalen und Lippe Heinrich Stiewe Mit „adligem Wohnen auf dem Lande" verbindet man zumeist repräsentative Schlossbauten oder zumindest Rittergüter mit anspruchsvollen Herrenhäusern. Zu den bekannten Beispielen in OstwestfalenLippe gehören die Bauten der sogenannten Weserrenaissance wie Schloss Barntrup (erbaut 1584-1592 durch Anna von Canstein-Kerßenbrock) oder Schloss Wendlinghausen (erbaut 1613-1616 durch Hilmar von Münchhausen), um nur zwei lippische Beispiele zu nennen. Diese Schlösser wurden von Angehörigen des niederen Adels erbaut, die im Verlauf der Agrarkonjunktur des 16. Jahrhunderts und als Söldnerführer in auswärtigen Kriegsdiensten zu Geld gekommen waren.1 Aber es wurden auch repräsentative Herrenhäuser aus Fachwerk errichtet, wie etwa der erhaltene Wohnbau des Jagdhauses Oesterholz bei Schlangen, den der lippische Graf Simon VI. 1598/99(d) errichten ließ, oder das 1661 vom Paderborner Fürst- bischof Dietrich Adolf von der Recke erbaute Jagdhaus Hövelhof in der Senne.2 Ein anspruchsvolles Fachwerk-Herrenhaus errichtete Moritz II. von Amelunxen 1580 auf Haus Außel bei Batenhorst, einem Burgmannengut der Fürstbischöfe von Osnabrück im ehemals osnabrückischen Amt Reckenberg bei Wiedenbrück (Kr. Gütersloh).3 Diese Fachwerkbauten sind zweistöckig abgezimmerte Wohngebäude mit einer hohen Eingangsdiele und mehreren kaminbeheizten Sälen im Erd- und Obergeschoss. Die stockwerkweise verzimmerten Fassaden mit reichem Schnitzdekor werden durch Zwerchhäuser (Oesterholz, nicht mehr erhalten) oder Eckerker (Außel, Hövelhof) akzentuiert. Doch waren solche repräsentativen Wohnbauten auf frühneuzeitlichen Adelsgütern keineswegs selbstverständlich - viele ländliche Herrensitze sahen noch im 16. bis 18. Jahrhundert wie große Bauernhöfe aus und die adligen Lehnsinhaber lebten in großen nie- derdeutschen Hallenhäusern. Auch bürgerliche Amtsträger der Frühen Neuzeit errichteten noch im 17. und 18. Jahrhundert durchaus repräsentative Hallenhäuser; zwei Beispiele aus Rheda und Wiedenbrück stellte Stefan Baumeier 1988 vor.4 Zuletzt hat Hermann Kaiser das „ständisch geprägte" adlige Wohnen im Hallenhaus diskutiert.5 Er kritisiert zu Recht, dass sich die Kunstgeschichte lange Zeit nur für Schlösser und Gutshäuser interessierte, während die volkskundliche Hausforschung vorrangig Bauernhäuser im Blick hatte. So wurden die „herrschaftlichen Hallenhäu- ser"6 lange Zeit von der Forschung nicht wahrgenommen oder als Bauernhäuser bzw. Wirtschaftsgebäude missverstanden. Einige Beispiele für Hallenhäuser als Herrenhäuser aus Ostwestfalen-Lippe seien im Folgenden näher vorgestellt.7 Der Valepagenhof bei Delbrück Das Haupthaus des Valepagenhofes wurde 1577 in Delbrück-Dorfbauerschaft (Kreis Paderborn) als großer Vierständerbau mit einem prächtigen Renaissance-Schaugiebel erbaut und gilt als schönstes Bauernhaus Westfalens; 2000 widmete ihm die Deutsche Post sogar eine Briefmarke. 1973 wurde der Bau abgetragen und von 1975 bis 1979 im heutigen LWLFreilichtmuseum Detmold wiederaufgebaut - gegen- über dem Kirchhof im Zentrum der Baugruppe „Paderborner Dorf" (Abb. 1).8 Dort steht er stellvertretend für einige nicht mehr erhaltene Bauernhäuser des 16. Jahrhunderts aus Dörfern im Kreis Höxter, die ähnlich prachtvolle Schnitzgiebel mit Fächerrosetten besaßen.9 Allerdings war der Valepagenhof kein gewöhnlicher Bauernhof, sondern ein mittelalterlicher Adelssitz.10 Der Hof, der nach einem Flurstück „auf der Lake" bis ins 19. Jahrhundert auch „Lakehof" genannt wurde, war ehemals ein Lehnsgut des Benediktinerklosters Abdinghof in Paderborn. Im Lehnsregister des Abtes Gizo (1340/41) und seiner Nachfolger wird ein Gerardus von der Lake als erster Lehnsträger des spä- teren Valepagenhofes genannt: Item Gerardus van der Lake curiam to der Lake in Delebrughe de qua pensio infrascripta." Möglicherweise ist der mehrfach als curia bezeichnete Hof aus einem älteren Haupthof (Villikationshof) des Klosters Abdinghof hervorgegan- gen. Noch in der Neuzeit gehörte zu dem Hof eine kleine Grundherrschaft mit vier abhängigen Höfen im Kirchspiel Delbrück: Der Vollmeier Nellmann in Osterloh (1672: 25 Morgen Ackerland), der Vollmeier Nolte in Westerloh (40 Morgen), der Halbmeier Furlmeier in Hövelhof (Furlhof, 19 Morgen) und der Achtelmeier Lübbenmeyer in Delbrück-Dorf Bauerschaft (Lübbenhof, 8 Morgen). Diese Höfe wurden von eigenbehörigen12 Bauern bewirtschaftet, die an den Valepagenhof Abgaben und Dienste leisten mussten.13 1389 erfolgte die Belehnung des Heinrich von Wichmodeberg (Wichmannsberg), genannt Valepage, mit dem Hof. Diese Familie ist 1311 erstmals als Ministerialengeschlecht der Edelherren von Büren (südlich von Paderborn) nachweisbar; mit der Belehnung verlagerte sie ihren Sitz nach Delbrück.14 Nach der Mitte des 15. Jahrhunderts starben die Valepage im Mannesstamme aus; das Lehen ging durch 141 1 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Haupthaus von 1 577 im LWL-Freilichtmuseum Detmold, 1981. Einheirat an die Familie Varendorf. 1477 wurde Johann Varendorf mit dem Lakehof belehnt; sein Sohn Jobst nahm später den alten Namen Valepage wieder an. Das niederadlige Geschlecht von Varendorf(f) stammte ursprünglich aus der Grafschaft Tecklenburg und gehörte zu den Ministerialen des Bischofs von Osnabrück.'5 Die Valepage-Varendorf in Delbrück waren Mitglied der Ritterschaft des Fürstbistums Paderborn und der einzige im Delbrücker Land ansässige Grundherr. Das Delbrücker Land im Nordwesten des Kreises Paderborn war eine spätmittelalterliche bäuerliche Landgemeinde mit eigenständiger Verfassung im Fürstbis- tum Paderborn und bestand ursprünglich aus den Siedlungen Dorfbauerschaft (mit dem Kirchspielort Delbrück), Ostenland, Westerloh, Osterloh, Westenholz und Hagen. In einer Urkunde von 1415 werden Gograf, Rat und Gemeinheit des Landes zu Delbrück genannt.16 142 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Haupthaus von 1577, Torinschrift und Brüstungsbohlen mit Fächerrosetten, 2008. 3 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Haupthaus von 1577, Brüstungsbohlen mit Jagdszene, 1980. Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Zum Valepagenhof gehörten 1649 etwa 80 Morgen Acker und 80 Morgen Wiesen sowie Berechtigungen zur Jagd, Fischerei und Schweinemast im Eichenwald. Darüber hinaus besaß der Hof 1711 noch neun Allo- dialgrundstücke (Eigenbesitz); die Gesamtgröße des Gutes schätzt Hans Jürgen Rade für diese Zeit auf 155 Morgen (knapp 40 Hektar).17 Der Valepagenhof war ein „schriftsässiges" Gut, also kein landtagsfähiges Rittergut, dessen Besitzer zur Teilnahme am Landtag berechtigt waren. Schriftsässigkeit bedeutete aber die Befreiung von der Kontribution und anderen steuerlichen Lasten.18 Aufgrund der geringen Existenzgrundlage, die ihr dieses relativ kleine Gut bot, war die adlige Familie Varendorf-Valepage mehrfach vom Abstieg 4 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Lage nach Ausschnitt aus dem Urkataster von 1828. in den Bauernstand bedroht.19 Das erhaltene Haupthaus des Valepagenhofes von 1577 steht für den Höhepunkt in der Entwicklung der Familie; die Torinschrift lautet (Abb. 2): Dis Haussteiht in Gots Hand - Joist Valepage ist er genant - Der hats lassen bawen - und auf Got gesetzt sein Vertrawe. Anno domini 1577. Die Torständer sind mit Wappenschilden geschmückt; die aufgemalten Wappen wurden modern ergänzt.20Der Erbauer Jost oder Jodokus Valepage-Varendorff war 1572 mit dem Hof belehnt worden und amtierte seit 1573 als Gograf (Gogreve), als fürstbischöflichpaderbornischer Richter im Delbrücker Land. Damit war er der höchste Beamte in der Region, der dem Amtmann und der Kanzlei in Schloss Neuhaus unterstand. Jost Valepages Frau Anna wird 1594 erstmals erwähnt, doch ist ihr Familienname nicht überliefert. Nach einem blutigen Überfall meuternder spanischer Söldner auf das Delbrücker Land am 14. März 1604 verlor Jost Valepage sein Gografenamt; er starb nach 1621.21 Der aufwändige Neubau von 1577 unterstreicht die hohe gesellschaftliche Stellung des Gografen Jost Valepage; mehrfach waren der Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg und dessen Bruder Caspar von Fürstenberg, Drost des Herzogtums Westfalen, auf dem Valepagenhof zu Gast.22 Das zweifach auf Stichbalken vorkragende Giebeldrei- eck ist ganz in Fachwerk abgezimmert und wird von einem (rekonstruierten) Giebelpfahl bekrönt. Die Brüstungsgefache der beiden Giebelstockwerke sind mit Holzbohlen ausgefüllt, die mit Fächerrosetten und figürlichem Schnitzwerk dekoriert sind:23 Neben dem auferstandenen Christus und Johannes dem Täufer sowie vielfältigen Drachen und Fabeltieren ist auf einer Bohle der oberen Brüstungszone eine Jagdszene zu erkennen (Abb. 3): ein Hase wird von einer Meute von Jagdhunden verfolgt. Diese Darstellung ist als Hinweis auf den adligen Stand des Erbauers zu deu- ten.24 Anders als heute im Freilichtmuseum stand der Valepagenhof früher nicht in einem eng bebauten Dorfkern, sondern lag als Einzelhof frei in der Feldmark am nördlichen Rand der Delbrücker Dorfbauerschaft. Im Urkataster von 1828 ist erkennbar, dass der Garten hinter dem Haus von einer Gräfte umgeben war (Abb. 4), doch war der Hof offenbar keine komplette Gräftenanlage: In einem Besitzverzeichnis von 1719/2025 werden die umb den hoff liggende gartens, alß Kraut- baum- und Hanffgartens und die umb die gartens gehende graben oder Fischteiche genannt, aber keine Hofgräfte. Außerdem verlief ein Teilstück einer landt- wehr, also einer Wall-Graben-Anlage mit einer un- durchdringlichen Hecke, die möglicherweise als Befestigung der Dorfgemarkung diente, durch die Feldflur des Hofes.26 An Hofgebäuden werden Hauß und hoff, ein Schafstall und ein Back- und Leibzuchts- hauß (Altenteilerhaus) genannt. An der Hofzufahrt steht heute noch eine barocke Hofkapelle (St. Joseph) aus dem 18. Jahrhundert. Das Urkataster von 1828 zeigt das Hauptgebäude noch in seinem ursprünglichen Zustand mit einer Länge von über 30 Metern. Nach einem Taxationsinstrument von dem schriftsässigen Gut Valepagenhof aus dem Jahre 1840 besaß der Bau von 1577 einen grö- ßeren Wohnteil mit einem Saal mit separatem Eingang, der nicht vom Pächter, sondern ausschließlich vom Eigentümer genutzt werden durfte. Außerdem gab es einen Anbau an der linken Seite des Gebäudes, der auch im Urkataster zu erkennen ist. Darin befand sich dem Verzeichnis von 1840 zufolge eine alte Kapelle mit einer Grundfläche von 18x18 Fuß (ca. 5,4x5,4 m).27 1845 starb der letzte adlige Besitzer des Valepagenhofes; der Grundbesitz von zuletzt 199 Morgen (ca. 50 ha) wurde unter mehreren Erben aufgeteilt. Danach wurde der Valepagenhof von Pächtern bewirtschaftet. Um 1880 erfolgte der Umbau des Hauptgebäudes zum Pächterwohnhaus. Dabei brach man den alten, großzügigen Wohnteil ab und ersetzte ihn durch ein bescheideneres zweistöckiges Kammerfach in zeittypischem Fachwerk aus dünnen Hölzern mit Backsteinausfachung. Damit wurde die Länge des Gebäudes von über 30 m auf etwa 26 m reduziert. Diesen Zustand zeigt ein Aufmaß des Architekten C. 143 144 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen adliger Ursprung dabei in den Hintergrund.29 Von dem Ursprungsbau von 1577 blieb der neun Fache lange Wirtschaftsteil erhalten. Dieser ist ein qualitätvoll verzimmerter Vierständerbau, dessen Dielen- ständer mit jeweils zwei gekehlten Kopfbändern zu den Deckenbalken (in Querrichtung) und zum Rähm (in Längsrichtung) verstrebt sind. Die Deckenbalken sind in Dachbalkenzimmerung auf die Rähme aufgelegt. Die Dachsparren stehen auf den Balkenenden und werden durch einen mittig stehenden Stuhl unter der unteren Kehlbalkenlage ausgesteift. Am Übergang zu dem erneuerten Wohnteil sind keine Zapfenlöcher von Unterschlagriegeln oder Reste von verstärkten Rähmen als Spuren einer früheren Flettzimmerung erkennbar. Daher kann auch nicht gesagt werden, ob sich hier direkt der alte Wohnteil anschloss oder ob noch weitere Dielenfache auf die neun erhaltenen folgten. Als Josef Schepers den Bau 1973 für das Detmolder Freilichtmuseum abtragen ließ, beabsichtigte er noch einen Wiederaufbau im Zustand des 16. Jahrhunderts - obwohl es für eine Rekonstruktion des abgebrochenen Wohnteils keinerlei Anhaltspunkte gab. Daher änderte sein Nachfolger Stefan Baumeier die Planung und ließ auch den erneuerten Wohnteil ins Museum überführen und das Gebäude in seinem letzten Zustand als Pächterwohnhaus des späten 19. Jahrhunderts wiederaufbauen.30 Wie der alte Wohnteil des Valepagenhofes ausgesehen haben könnte, zeigen zwei weitere Beispiele von adligen Hallenhäusern aus der früheren Grafschaft Lippe: Rittergut Ahmsen bei Bad Salzuflen Auf dem früheren Rittergut Ahmsen bei Bad Salzuflen (Kreis Lippe), das noch im 20. Jahrhundert „Edelhof" genannt wurde, stand bis 1959 ein stattliches Vier- ständer-Hallenhaus von 1555 (Abb. 7). Die Torbogeninschrift nannte den adligen Erbauer und das Baujahr in sorgfältig geschnitzten lateinischen Großbuchsta- ben (Abb. 8): JOHAN VAN EXSTERDE - ANNO D[0MI]NI M. D. LV. Seitlich prangten am Torsturz die geschnitzten Familienwappen des Erbauers Johann v. Exterde (rechtsschräge Rautenreihe) und seiner Ehefrau Elisabeth 5 Valepagenhof aus Deibrück-Dorfbauerschaft (Kr. Pader- born), Aufmaß des Haupthauses von C. August Savels, 1902. Der Grundriss zeigt den Bau von 1577 mit dem um 1880 erneuerten Wohnteil. August Savels von 1902 (Abb. 5), das 1906 zusammen mit einer Fotografie von Albert Ludorff in dem Tafelwerk „Das Bauernhaus im Deutschen Reiche" veröffentlicht wurde (Abb. 6).28 Seitdem fand der Bau vielfach in der Literatur Erwähnung, doch geriet sein von Amelunxen (zwei senkrechte Pfähle mit je vier Eisenhüten); die Heirat war angeblich 1542.31 Das Dielentor zeigte alten Fotografien zufolge Spuren einer sparrenförmigen Aufdoppelung. Nach einem Brand im Jahre 1959 wurde das schwer beschädigte Gebäude abgebrochen; Teile des Gefüges wurden als Ersatzbauhölzer für das künftige westfälische Frei- lichtmuseum übernommen und eingelagert.32 Die Familie von Exterde oder Exter gehörte zum niederen Adel in Lippe; sie stammte wohl aus dem Dorf Exter bei Vlotho (Kr. Herford). Die Familie besaß das Gut Ahmsen im Amt Schötmar als Lehen der Abtei Corvey (Kr. Höxter) und war außerdem seit dem 14. Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande 6 Valepagenhof aus Delbrück-Dorfbauerschaft (Kr. Paderborn), Ansicht des Haupthauses von 1577 nach der Erneuerung des Wohnteils um 1880. Foto von Albert Ludorff, 1892. 7 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), „Edelhof", ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1 555, abgebrannt 1959, Foto von 1936 oder 1937. Der frühere Steilgiebel war im 19. Jahrhundert abgewalmt worden. 145 146 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, Torbogen mit Bauinschrift und Wappen der Erbauer Johann von Exterde und Elisabeth von Amelunxen, Foto von 1937. Die oberen Flügel des Dielentores zeigen Spuren einer sparrenförmigen Aufdoppelung. b) NORDWEST-ANSICHT 9 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, Nordwest-Ansicht und Querschnitt, Rekonstruktion. Aufmaß von Gerhard Eitzen, 1949(7). Archiv LWL, Best. 710 K, Nr. 1237. Jahrhundert im nordlippischen Amt Hohenhausen begütert.33 Das Haupthaus von 1555 ist durch historische Fotos und Aufmaße von Gerhard Eitzen (1949) und Horst Gauert (1952) überliefert (Abb. 9, 10); weitere Aufmaßskizzen mit zahlreichen Detailzeichnungen fanden sich im Nachlass des Bad Salzufler Architekten Wolfgang Günther.34 Das Gebäude war ein mächtiger Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande BnuflUFnp^mc vieRSTPnDERljcius edcl/^of in n^mscn lippe Lwassc/yniTT m.~i so Ahmsen im april wsz azunoRiss m~ i so ftf/mstn im apRtL ivsz 10 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, Längsschnitt und Grundriss, Bestand. Aufmaß von Horst Gauert, 1952. Vierständerbau von 16 Fachen Länge (Grundfläche ca. 14,6x32,8 m), der aus kräftigen Hölzern in höchster Qualität verzimmert war. Beide Giebel kragten zweifach auf etwa 42 cm weit ausladenden Haken- balken über Knaggen mit Taubandverzierung vor; die oberen Giebeldreiecke hat man nachträglich abgewalmt. Das etwa 60 Grad steile Sparrendach besaß drei Kehlbalkenlagen und einen stehenden Stuhl mit 147 148 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 11 Bad Salzuflen-Ahmsen (Kreis Lippe), ehern. Rittergut von Exterde. Haupthaus von 1555, perspektivische Ansicht des Wohnteils, Rekonstruktion. Zeichnung von Gerhard Eitzen, 1949. Eitzen hat in seiner Ansicht das Strohdach mit Steilgiebeln, den Aborterker und die großen bleiverglasten Saalfenster im Ober- und Dachgeschoss rekonstruiert. Längskopfbändern. Alle tragenden Ständer des Wandgefüges waren mit gekehlten Kopfbändern verstrebt; an dem unterkellerten Kammerfach gab es au- ßerdem dreifach gekehlte Fußbänder an den Eck- ständern. Das Haus gliederte sich in einen dreischiffigen Wirtschaftsteil mit Mitteldiele und zweigeschossigen Stallseitenschiffen von acht Fachen, eine durch eine Querwand abgetrennte Flettküche von vier Fachen und einen rückwärtigen Wohnteil (Kammerfach) von ebenfalls vier Fachen über einem gering eingetieften Bruchsteinkeller. Damit entsprach das Haus dem klassischen Schema eines Flettdielenhauses mit Kammerfach. In der Wand zwischen Flett und Kammerfach befand sich ein mächtiger massiver Schornsteinblock mit einem großen Küchenkamin. Die Luchten des Fletts waren dielenhoch, aber mit zwei Fachen Länge ungewöhnlich klein, auch ist ihre Konstruktion (verstärkte Rähme?) im Aufmaß von Gauert nicht zu erkennen. Möglicherweise waren die ehemals größeren Luchten durch Einbauten des 18. Jahrhunderts ver- kleinert worden; zumindest in dem Raum neben der linken Lucht befand sich zuletzt ein kleines baro- ckes Treppenhaus. Das Kammerfach gliederte sich bis 1959 in drei Räume, möglicherweise bestand es ursprünglich aus einem größeren Saal mit anschlie- ßender Nebenkammer und einem Aborterker am Rückgiebel (Abb. 11). Ob dieser Saal mit einem Kamin an der Rückseite des großen Küchenschornsteins ausgestattet war, ist unklar, doch ist im Längsschnitt von Gauert ein weiterer Kamin mit spätgotisch profiliertem Gewände im Dachgeschoss über dem Wohnteil zu erkennen - demnach gab es ursprünglich einen weiteren Saal im Bereich des Dachbodens. Eitzen hat in seiner Perspektivansicht von 1949 vier große bleiverglaste Saalfenster im Rückgiebel ergänzt - doch ist unklar, ob es dafür einen konkreten Befund gab. Vermutlich hätte Josef Schepers den Wohnteil des Valepagenhofes im Detmolder Freilichtmuseum in ähnlicher Form rekonstruiert. Er kannte den Bau in Ahmsen und zahlreiche bürgerliche und großbäuerli- che Häuser in Westfalen zeigen vergleichbare Grundrissmuster eines Flettdielenhauses mit Saal-Hinterhaus und Kaminanlage. Dass ein adliges Hallenhaus aber auch ganz andere Raumstrukturen aufweisen konnte, mag das folgende Beispiel zeigen. Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Gut Dahlhausen bei Leopoldshöhe Der heutige Hof Westerheide in Dahlhausen (Dahl- hauser Str. 20, Gemeinde Leopoldshöhe, Kreis Lippe) war von 1844 bis 1960 fürstlich-lippische Domäne. Davor war der Hof ein Adelsgut, das sich ebenfalls im Besitz der Familie von Exterde befand. Die Hofanlage hat einen einzigartigen Gebäudebestand des 16. bis 18. Jahrhunderts bewahrt, der unter Denkmalschutz steht und von seinen Eigentümern sorgsam gepflegt wird. Das Wohnhaus vor Kopf des Hofes ist ein breit gelagertes, eingeschossiges Fachwerk-Traufenhaus und ins 16. Jahrhundert zu datieren ist (Abb. 12) dies konnte nun durch eine dendrochronologische Untersuchung bestätigt werden (s. unten). Die Hauptständer sind mit gekehlten Kopfbändern verstrebt; die verbretterten Giebeldreiecke kragen auf schweren, tief gekehlten Knaggen mit Taubanddekor etwa 35 cm weit vor. Das Gebäude, das heute als Stall für Mastbullen und -Schweine genutzt wird, besitzt eine Längsdurchfahrt, doch wurde das hintere Ausfahrtstor im nördlichen Giebel deutlich erkennbar nachträg- mit Krüppelwalmdach und früherer Querdiele, das lich eingebrochen. Zwei Wappen an den Knaggen des alten Torbogens am südlichen Giebel, starke Rußspuren im Innern des Hauses und seine beeindruckende werkbauten parallel nebeneinander, die den Wirt- Größe sprechen dafür, dass wir mit diesem Gebäude das frühere Wohnhaus des adligen Hofes Dahlhausen wohl im 18. Jahrhundert als Pächterwohnhaus errichtetworden ist. Davor liegen zwei langgestreckte Fach- schaftshof flankieren. Das linke (westliche) Gebäude ist eine große Längsdurchfahrtsscheune, die laut Torinschrift 1701 erbaut wurde: HERR CASIMIR HEINRICH VON EXSTERDE, FÜRSTLICH HESSISCHER WOL- BESTALLTER OBRISTWACHTMEISTER HAT DIESES HAUS BAUEN LASSEN DEN 1. MAY ANNO 1701. Der 19 Fach lange Vierständerbau ist aus kräftigen Hölzern gezimmert und mit langen, gekrümmten Fußstreben ausgesteift. Der nördliche Giebel zeigt bauzeitliche Ziegel-Zierausfachungen. Das gegenüber liegende Gebäude am östlichen Rand des Hofes ist ebenfalls ein Vierständerbau aus kräfti- gen Bauhölzern, der schon aufgrund seiner charakte- ristischen Gefügemerkmale deutlich älter erscheint vor uns haben.35 Ursprünglich war Dahlhausen ein bäuerlicher Meierhof, der von den Grafen von Ravensberg als Lehen vergeben wurde.36 Nach deren Aussterben 1346 waren die Herzöge von Jülich, Kleve, Mark und Berg und seit 1609 die Kurfürsten von Brandenburg und späte- ren Könige von Preußen Lehnsherren des Hofes. Lehnsinhaber und Grundherr war zunächst die Detmolder Burgmannenfamilie von dem Busche; 1512 trat Alhard von dem Busche das Lehen an seinen Schwiegersohn Heidenreich von Exterde ab. Dieses Lehen bestand aus einer kleinen Grundherrschaft, zu der neben dem Meierhof Dahlhausen noch das Evenhauser Holz, der Vollspännerhof Meier zu Evenhau- 12 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63(d), Nordansicht, ehern. Wohngiebel, Foto 1937. Der Torbogen auf dieser Seite wurde im 19. Jahrhundert nachträglich eingebrochen. 149 150 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 13 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63(d), Südwestansicht, 2011. Evenhausen wurden nun Eigenbehörige der Familie ruhmen sich der Freyheit.39 Demnach hatten die von Exterde den Hof Dahlhausen schon seit Längerem in ein schatzfreies Adelsgut umgewandelt, die bäuerliche Meierfamilie aber nicht „abgemeiert", wie das in anderen Fällen praktiziert wurde. Nachweislich lebten Angehörige der Familie Meier zu Dahlhausen noch im Dahlhausen in ein Adelsgut muss schon im 16. Jahr- Hof.40 sen, der Halbspännerhof Lüking und ursprünglich noch zwei Kotten (Höfe Nebel und Kroos, gingen schon vor 1528 an die Familie von Quaditz) im benachbarten Weiler Evenhausen gehörten. Die Bauern Meier zu Dahlhausen sowie Meier und Lüking zu von Exterde. Die Umwandlung des Meierhofes zu 17. Jahrhundert als Pächter auf dem jetzt adligen hundert erfolgt sein, war aber in den schriftlichen Sichtbares und ältestes Zeugnis der im 16. Jahrhun- Regierungsprotokoll von 1568 fand sich jetzt eine aufschlussreiche Notiz: Damals wurde Bernd von Exterde vom Landesherrn gestattet, in Dahlhausen eine Mühle vor seine eigen Haushaltunge und nicht weiter zu Dhalhausen zu errichten, die zuvor von Johann von dem Brinck und Albert von Exter zu hofes Dahlhausen in ein Adelsgut ist das erhaltene rie- Quellen bisher nicht eindeutig nachweisbar. In einem Iggenhausen niedergerissen worden war.37 Der Begriff „eigene Haushaltung" weist darauf hin, dass der Meierhof Dahlhausen 1568 als adliger Wohnsitz angesehen wurde, den Bernd von Exterde selbst bewohnte. In den lippischen Landschatzregistern (Steuerregistern) erscheint der Meiger zu Dahlhusen dagegen noch bis 1618 und erst im Salbuch (Höferegister) von 1616/17 wird er nicht mehr genannt.38 Schon 1562 und 1572 hatte Meier zu Dahlhausen allerdings keinen Landschatz mehr bezahlt und spätestens 1590 scheint die Schatzpflicht für den nun- mehrigen Pächter endgültig aufgehoben worden sein. In einem Verzeichnis des erlassenen Landschatzes von 1589/90 heißt es: M. zue Dahlhausen [und] Johan im Struß sein den von Extern zu Herberhusen undt be- dert (vor 1568) erfolgten Umwandlung des Meiersige Haupthaus (Abb. 13). Eine aktuelle Dendro-Datierung erbrachte die Fälldaten Sommer 1561, Winter 1562, Winter 1561/62 und Winter 1562/63 - dem- nach ist davon auszugehen, dass das Gebäude 1561 bis 1563 errichtet wurde.41 Mit 15 Fachen (ca. 34,5 m) Länge ist es deutlich größer ist als die üblichen Meierhäuser des 16. Jahrhunderts, die damals zwischen sieben und neun Fachen (ca. 25 m) lang waren.42 Die Wappen an den Knaggen des Torbogens am südlichen Giebel weisen auf die adligen Erbauer hin; sie stehen leicht erhaben auf vorstehenden Platten, die aus dem vollen Holz der Knaggen herausgearbeitet sind. Beide Wappen sind dick mit Farbe überstrichen und kaum noch erkennbar. Das linke (heraldisch rechte) Wappen ist als die schräge Rautenreihe der Familie von Exterde zu identifizieren (Abb. 14); das rechte Wappen ist nicht mehr eindeutig lesbar. Der Torbogen ist mit einem umlaufenden Profil und einer Kerb- schnittreihe eingefasst, trägt aber keine Inschrift. Als Erbauer des Hauses von 1561-63 kommt Bernd von Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Exterde infrage, der 1541 mit dem Hof Dahlhausen belehnt worden ist und schon seit 1535 mit Agnes von Wurmb verheiratet war. Er starb 1 575.43 Das Gebäude wurde von Gerhard Eitzen für das 1960 in erster Auflage erschienene Werk „Westfalen-Lip- pe" (Haus und Hof deutscher Bauern, Band 2) von Jo- sef Schepers aufgemessen und mit einer Giebelansicht, einem Längsschnitt (Abb. 15) und einem Vogelschaubild der Hofanlage zeichnerisch dargestellt.44 Durch aktuelle Baubeobachtungen am Gefüge, insbesondere Zapfspuren von früheren Kopfbändern und Zwischenwänden, konnte die ursprüngliche Raumstruktur von 1563 in ihren Grundzügen rekonstruiert und skizzenhaft festgehalten werden (Abb. 16):45 Der 15 Fach lange, dreischiffige Vierständerbau (Länge: ca. 34,5; Breite: ca. 14,3 m) gliederte sich ursprünglich in ein Vorschauerfach hinter dem Einfahrtstor im Südgiebel, eine zehn Fach lange Diele und einen vier Fach langen Wohnteil am Nordende des Gebäudes. Das linke Seitenschiff der Diele ist im Lichten etwa 2,9 m breit und diente möglicherweise als Pferdestall, während das etwas schmalere rechte Seitenschiff mit einer Breite von etwa 2,5 m vermutlich Kuh- bzw. Rinderställe aufnahm. Im 12. Gebinde (ab Südgiebel) ist durch Zapfenlöcher eine bauzeitliche Scherwand nachweisbar, die den Wohnteil vom Wirtschaftsteil abtrennte. Hinter dieser Trennwand setzte sich die Diele in voller Höhe bis zum Rückgiebel fort und wurde durch zwei schwere Längsunterzüge mit profilier- ten Kopfbändern zu einem riesigen Flettraum mit zwei hohen Luchten erweitert. Die linke Lucht ist noch vollständig erhalten, wurde aber im 19. Jahrhundert durch eine Fachwerkwand geschlossen. Sie umfasste die drei letzten Fache vor dem Rückgiebel. Der Längsunterzug ist in der Mitte gebrochen und musste nach- 14 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63 (d), Knagge mit Wappen des Erbauers Bernd von Exterde am Südgiebel, linker Torständer, 2011. 15 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63 (d), Längsschnitt, Rekonstruktion. Aufmaß von Gerhard Eitzen um 1950. Archiv LWL, Best. 710 K, Nr. 71. 151 152 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen ttAurr^Accs, 2. h. 7*/. 12 & ICO ■ff. S-rf&i&G z' rv. ßeo/mcjJtJ oS/zoc'f 16 Leopoldshöhe-Dahlhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Exterde. Haupthaus von 1561-63 (d), Grundrissskizze, aktuelle Rekonstruktion. Zeichnung: Verfasser, 2011. fraglich durch eine profilierte Luchtsäule unterstützt werden, die in ihrem oberen Drittel vom runden zum viereckigen Querschnitt übergeht.46 Der Unterzug der rechten Lucht wurde im 19. oder frühen 20. Jahrhun- dert abgesägt; von ihm blieb nur ein etwa 2,5 m langes Reststück mit einem Kopfband vor dem Rückgiebel erhalten. Diese Lucht hatte ursprünglich eine Länge von vier Fachen, das entspricht knapp neun Metern. Ein freitragender Unterzug von einer solchen Spannweite ist ohne Unterstützung in der Mitte kaum denkbar, doch lässt sich eine Stütze aufgrund der späteren Veränderungen hier nicht mehr nachweisen. Der so rekonstruierbare Flettraum hatte einschließlich der beiden Luchten eine Grundfläche von über 110 Quadratmetern. Die starke Verrußung der Bauhölzer spricht dafür, dass hier ein offenes Herdfeuer ohne Rauchabzug brannte - Spuren einer bauzeitlichen Kamin- oder Schornsteinanlage sind nicht nachweisbar. Das Haus von 1563 war also ein Flettdielenhaus ohne Kammerfach; separate Wohnräume für die adligen Lehnsinhaber konnten nur in den Seitenschiffen untergebracht werden. Ein größerer, etwa 6,5 m langer und 3,7 m breiter Raum von drei Fachen (ca. 24 qm) ist im linken Seitenschiff vor der Lucht nachweisbar; er sprang knapp einen Meter zur Diele vor. Eine Feuerstelle ist für diesen Raum nicht nachweisbar; daher kann nicht gesagt werden, ob es sich um eine ofengeheizte Stube oder eine große Kammer bzw. einen kleinen Saal handelte. Weitere Wohnräume (Kammern) mögen im hinteren Bereich der Seitenschiffe an der Diele gelegen haben, sind im Baubestand aber nicht mehr nachweisbar. Spätestens im 19. Jahrhundert wurde das frühere Wohn- und Wirtschaftsgebäude zu einem reinen Wirtschaftsgebäude umgebaut; dabei erhielt es eine Durchfahrtsdiele mit einem zweiten Tor im Nordgiebel und ein neues Dach mit relativ geringer Neigung (Eitzen rekonstruiert für den Ursprungsbau ein deutlich steileres Dach mit einer Neigung von etwa 60 Grad).47 Das Gefüge der Traufwände wurde um oder kurz nach 1830 (d) durch zusätzliche Zwischenständer und -riegel verdichtet.48 Im frühen 20. Jahrhundert wurden große Teile der rechten Innenständerreihe durch massive Wände ersetzt. Rittergut Sylbach bei Bad Salzuflen Auf dem ehemaligen Rittergut Sylbach bei Holzhausen (heute Max-Planck-Str. 76, Stadt Bad Salzuflen, Kreis Lippe) steht noch das frühere Hauptgebäude des Gutes, ein stattliches Vierständer-Hallenhaus von 1660.49 Der Hof ist eine frühere Gräftenanlage, die von Wassergräben und Teichen umgeben war; ein Aquarell von Emil Zeiß von 1875 zeigt den umgräfte- ten Gutshof mit dem Haupthaus und einer heute nicht mehr existierenden Torscheune mit einem recht- winkligen Anbau (Abb. 17).50 1969 standen noch ein Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Nebengebäude, vermutlich die von Zeiß gezeichnete Torscheune, mit der Datierung „ANNO 1679" und den Wappen und Initialen der Erbauer Rabe von Wrede und Cathrina von Exterde am früheren Torbogen, sowie ein zum Gut gehörendes Kötterhaus von 1811.51 Das Gut Sylbach war ein Lehen des Paderborner Bischofs und wurde 1658 von Rabe von Wrede auf Gut Steinbeck bei Salzuflen für 2 000 Taler erworben, der auch den Meierhof Heerse bei Schötmar besaß. Mit der Aufnahme in die Matrikel der lippischen Ritter- schaft wurde das Gut 1661 ein landtagsfähiges Rittergut und sein adliger Eigentümer erhielt Sitz und Stimme im lippischen Landtag.52 1 660, also ein Jahr vor der Gründung des Rittergutes, errichtete Rabe von Wrede das erhaltene Haupthaus, wie die Torinschrift ausweist: DURCH WEISHEIT WIRT EIN HAUS GEBAUWET UND DURCH VERSTAND ERHALTEN. AP. Z. 4. CAP. RABE DE WREDE ELISABET CATRI NA MAY ANNO 1660 DEN 6. IUNY. Das Gebäude ist ein stattlicher Vierständerbau (Abb. 18), aber mit 12 m Breite und etwa 23,5 m Länge deutlich kleiner als die zuvor beschriebenen Beispiele aus Ahmsen und Dahlhausen. Der nach Südosten gerichtete Einfahrtsgiebel ist ganz in Fachwerk gezimmert; das zweifach auf Stichbaiken vorkragende Gie- beldreieck kragt seinerseits auf profilierten Knaggen etwa 25 cm weit vor. Die Hauptständer des Giebels sind wie bei älteren Bauten des 16. Jahrhunderts durch Kopfbänder hervorgehoben. Türen an den Ecken der Giebelwand führten ehemals in die Stallungen an der Diele; das schmalere linke Seitenschiff dürfte als Kuhstall und das etwas breitere rechte als Pferdestall gedient haben. Die Deckenbalken der Diele sind auf die Innenständerreihen aufgelegt (Unterrähmzimmerung) und in die Außenwandständer eingehälst, darüber verläuft je eine breite Sparrenschwelle (Oberrähmzimmerung), die auf den Balkenköpfen vorkragt; an der rechten Traufwand werden die Balkenköpfe von Knaggen unterstützt. Das Fachwerk der Längswände ist mit Zwischenständern und drei Riegelreihen relativ engmaschig verzimmert. An den Dielenwänden sind die Hauptständer mit Längskopfbändern verstrebt, während an den Traufwänden nur die Eckständer mit Kopfbändern versehen sind. Das Dach ist ein binderloses Sparrendach mit zwei Kehlbalkenlagen, dessen Sparren auf Gebindeabstand stehen. Von dem Kernbau von 1660 sind nur noch die ersten fünfeinhalb Dielenfache erhalten (Abb. 19); die linke Dielenwand wurde 1749/50 (d) um etwa einen Meter zur Diele verschoben. Der Wohnteil wurde im 19. Jahrhundert als relativ bescheidenes Kammerfach über einem balkengedeckten Keller erneuert. Daher 17 Sylbach bei Bad Salzuflen-Holzhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Wrede. Ansicht der umgräfteten Hofanlage mit Haupt- haus von 1660 (links) und früherer Torscheune (rechts, heute abgebrochen). Aquarell von Emil Zeiß, 1875. Lippisches Landesmuseum Detmold. 153 154 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 18 Sylbach bei Bad Salzuflen-Holzhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Wrede. Haupthaus von 1660, Ansicht 1973. 19 Sylbach bei Bad Salzuflen-Holzhausen (Kr. Lippe), ehern. Gut von Wrede. Haupthaus von 1660, Längsschnitt. Aufmaß und Zeichnung: Michael Sprenger, 1997. Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande sind - ähnlich wie beim Valepagenhof - zur ursprünglichen Länge des Gebäudes sowie zur Gestaltung des Wohnteils und eines vermutlich vorhandenen Fletts keine Aussagen mehr möglich. Gut Nassengrund bei Blomberg Nördlich der Stadt Blomberg liegt im freien Feld das Gut Nassengrund, das bis etwa 1960 zur Gemeinde Istrup gehörte.53 1715 verkaufte Johann Philipp von gestreckte Vierständerbau war durch eine Längsdiele mit einem Tor im Ostgiebel erschlossen; der Giebel kragte zweifach auf Stichbalken vor. Der ursprüngliche Bau von 1716 hatte eine Länge von zehn Fachen; der Wohnteil war als Kammerfach über einem großen Gewölbekeller am westlichen Hausende angelegt. Um 1750 wurde das Gebäude erheblich vergrößert (Abb. 21, 22): Der Wirtschaftsteil wurde um sechs Donop seinen alten Burgmannenhof in der Stadt Blomberg (Pideritplatz 4) an den Bückeburger Amt- mann Philipp von Kopf und ließ die Privilegien auf sein neu gegründetes Gut Nassengrund übertragen, das in der Folge zu den schriftsässigen (privilegierten, aber nicht landtagsfähigen) Gütern in Lippe gezählt wurde. 1784 kam das Gut in bürgerliche Hände: Es wurde an die Witwe Amtmännin Sophie Charlotte Capaun geb. Freund verkauft, die 1785 auch damit belehnt wurde. Deren zweite Tochter Amalie Sophie Catharina heiratete 1790 den Oberförster Johann Christian Paulsen aus Uslar. So kam Nassengrund in den Besitz der Familie Paulsen (bis 1986), deren Angehörige als Förster, Kartoffelzüchter und Schachspieler Berühmtheit erlangten. Die weitläufige Gutsanlage wird an der West- und Südseite von zwei Wirtschaftsgebäuden aus der Zeit um 1900 begrenzt. An der Nordseite des Hofes stand bis zu seinem Abbruch 1987 ein mächtiges Gutshaus aus Fachwerk von 1716, das noch aus der Grün- dungszeit des Gutes stammte (Abb. 20).54 Der lang- 20 Blomberg-Nassengrund (Kreis Lippe), ehern. Gut von Donop. Haupthaus von 1716 mit später erweitertem Wohnteil. Foto vor dem Abbruch 1987. 21 Blomberg-Nassengrund (Kreis Lippe), ehern. Gut von Donop. Haupthaus von 1716, Hofansicht, Rekonstruktion. Aufmaß und Zeichnung: Verfasser 1987. 155 156 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 22 Blomberg-Nassengrund (Kreis Lippe), ehern. Gut von Donop. Haupthaus von 1716, Längsschnitt, Rekonstruktion. Aufmaß und Zeichnung: Verfasser 1987. Fache nach Osten verlängert, dabei verwendete man den alten Giebel von 1716 wieder. Im linken Seiten- schiff befanden sich umfangreiche Kuhställe, die mit fünf jeweils zwei Fache langen Kuhnackenriegeln zur Diele geöffnet waren. Das rechte Seitenschiff diente vermutlich als Pferdestall. Ebenfalls um die Mitte oder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der rückwärtige Wohnteil aufgestockt; in dem neuen Oberstock entstanden mehrere große Stuben und Kammern mit barocken Füllungstüren, die von einem Mittelflur erschlossen wurden. An der Flurwand war eine bauzeitliche Wandbemalung mit dunklem Quadermuster und feiner Marmorierung auf olivgrünem Grund erhalten. Im Untergeschoss des Wohnteils, der durch eine zweiflügelige Barocktür von der Hofseite aus zugänglich war, richtete man eine geräumige Küche mit einer großen Kaminanlage ein, die im Dach mit dem Schornstein der hinteren Stuben zusammen- geführt wurde. Um 1840 wurde im Garten hinter dem Gutshaus ein kleineres, eingeschossiges Fachwerkhaus mit Krüppelwalmdach über einem großen Tonnengewölbekeller vermutlich als Altenteilerwohnung errichtet. Dem Gutshaus schräg gegenüber stand an der Hofeinfahrt ein großer Fachwerkspeicher mit Krüppelwalmdach von 1755 (d).55 Der 2010 abgebrochene Bau enthielt ein hohes Untergeschoss und zwei Speicherböden im Ober- und Dachgeschoss. Möglicher- weise enthielt dieses Gebäude ursprünglich eine Branntweinbrennerei, für die Nassengrund im 19. Jahrhundert berühmt war. Zusammenfassung Hallenhäuser als Wohn- und Wirtschaftsgebäude auf Gütern des niederen Adels sind in Ostwestfalen und Lippe für das 16. bis 18. Jahrhundert vielfach nachweisbar. Sie dürften zu dieser Zeit eher die Regel als die Ausnahme gewesen sein. Die hier vorgestellten Beispiele sind bei Weitem nicht vollständig; auch dürf- te manches frühere Haupthaus eines Gutes noch unerkannt als Wirtschaftsgebäude gelten.56 Einige adlige Hallenhäuser hatten repräsentativ gestaltete Fas- saden mit mehrfach vorkragenden Fachwerkgiebeln und reichem Schnitzwerk, das bekannteste Beispiel ist der Valepagenhof aus Delbrück von 1577. Daneben kamen aber auch schlicht verbretterte Giebel wie in Dahlhausen vor. Ein wichtiges Kennzeichen adliger Wohn- und Wirtschaftsgebäude waren geschnitzte Familienwappen, die auf den Torbögen oder an den Knaggen der Torständer angebracht waren. Die Bauten des 16. Jahrhunderts waren aus kräftig dimensionierten Hölzern mit großem Holzverbrauch hochwertig verzimmert - was aber auch bei Bauernhäusern dieser Zeit üblich war. Die vorgestellten adligen Hallenhäuser unterscheiden sich von zeitgleichen Bauernhäusern vor allem durch ihre erheblich größere Länge. So hatten die Häuser in Ahmsen und Dahlhausen Längen von 16 bzw. 15 Fachen (ca. 32-35 m), während große Meierhäuser vor 1600 gerade mal sieben bis neun Fache (ca. 25 m) umfassten. Zwei Hallenhäuser auf Gütern der Familie von Exterde in Lippe konnten auch in ihrer inneren Raumstruktur näher betrachtet werden: Das 1555 erbaute und 1959 abgebrannte Haupthaus des Gutes Ahmsen war ein Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande klassisches Flettdielenhaus mit einer großen Kaminküche und einem rückwärtigen, unterkellerten Kammerfach, das vermutlich zwei kaminbeheizte Säle im Ober- und Dachgeschoss enthielt. Dagegen war das 1561-1563(d) erbaute Haupthaus des Gutes Dahlhausen ein kammerfachloses Flettdielenhaus mit einer riesigen Flettküche von über 110 Quadratmetern, in der ein offenes Herdfeuer ohne Schornsteinabzug brannte. Separate Wohnräume für die adlige Gutsherrschaft gab es hier nur in relativ bescheidener Form in den Seitenschiffen. Im Unterschied zu ge- wöhnlichen Bauernhäusern waren Wohn- und Wirtschaftsteil in Ahmsen und Dahlhausen schon durch eine Scherwand getrennt. Die 1660 und 1716 erbauten Wohnhäuser auf den Gütern Sylbach und Nassengrund sind schließlich Bei- spiele dafür, dass das Niederdeutsche Hallenhaus auch noch in der Barockzeit für einen adligen Haus- Anmerkungen 1 Zusammenfassend: G. Ulrich Großmann, Renaissance ent- lang der Weser. Köln 1989; dort auch ältere Literatur. 2 Zu Oesterholz s. Fred Kaspar/Peter Barthold, Große Kon- zepte und kleine Reste: Das sogenannte Schloss und die Domäne Oesterholz. Untersuchungen zur Anlage sowie zur Bau- und Funktionsgeschichte, in: Heinz Wiemann (Hg.): Ge- schichte der Dörfer Schlangen, Kohlstädt, Oesterholz und Haustenbeck, Bd. 2. Bielefeld 2011, S. 678-753; zu Hövelhof s. Albert Ludorff (Hg.), Kreis Paderborn (Bau- und Kunstdenk- mäler von Westfalen, Bd. 7). Münster 1899, S. 31. 3 Albert Ludorff (Hg.), Kreis Wiedenbrück (Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 10). Münster 1901, S. 77f.; Rudolf vom Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Os- nabrück. Osnabrück 1930 (Nachdruck Osnabrück 1965), S. 391-394; Josef Schepers, Gräftenhaus Außel bei Wieden- brück, in: Westfälischer Heimatkalender 1966, S. 67-71, Wiederabdruck in: Josef Schepers, Vier Jahrzehnte Hausforschung. Bielefeld 1973, S. 118-120; Wilhelm Hansen/Herbert Kreft, Fachwerk im Weserraum. Hameln 1980, S. 274; Konrad Rückbrod, Die Restaurierung des Gräftenhofes Aussei, in: Westfalen 67. Münster 1989, S. 184-213. 4 Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie. Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück, in: ders. und Kurt Dröge (Hg.), Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung 3, 1988, S. 57-90. 5 Hermann Kaiser, Adel und Wohnen auf dem Land - Einflüsse ständisch geprägter Sozialstrukturen auf Bauweise und Wohnverhalten in Nordwestdeutschland, in: Probleme der Küstenforschung im südlichen Nordseegebiet. 32. Oldenburg 2008, S. 127-147. 6 Vgl. den Beitrag von Sonja Michaels in diesem Band. 7 Zu den lippischen Beispielen vgl. Roland Linde/Nicolas Rüg- ge/Heinrich Stiewe, Adelsgüter und Domänen in Lippe. Anmerkungen und Fragen zu einem brach liegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 73, 2004, S. 13-107; hier S. 60-63. halt als durchaus standesgemäß und „ökonomisch" angesehen wurde - zumindest auf kleineren Gutshöfen. Das traditionelle Hallenhaus mit Wohn- und Stallteil unter einem Dach entsprach zu dieser Zeit noch üblichen herrschaftlichen und bürgerlichen Wohnformen auf dem Lande: Auch ländliche Pfarrhäuser etwa in Heiden oder Lüdenhausen oder bürgerliche Gutshäuser wie der um 1720 erbaute und um 1775 umgebaute „Schönhof" aus Wiedenbrück (heute im LWL-Freilichtmuseum Detmold) sind tradi- tionelle Dielenhäuser mit hervorgehobenem, anspruchsvoll ausgestattetem Wohnteil.57 Das promi- nenteste Beispiel eines „herrschaftlichen Hallenhauses" in Westfalen - und zugleich eines der letzten seiner Art - ist schließlich der 1745-49 von dem Münsteraner Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun für sich selbst erbaute Landsitz Haus Rüschhaus bei Münster.58 8 Stefan Baumeier, Der Valepagenhof im Westfälischen Frei- lichtmuseum Detmold, in: Heimatland Lippe 5, 1982, S. 131- 136; Stefan Baumeier/G. Ulrich Großmann/Wolf-Dieter Könenkamp, Westfälisches Freilichtmuseum Detmold. Mu- seumsführer. 2. erw. Auflage 1987, S. 16-18; Jan Carstensen/Heinrich Stiewe (Hg.), LWL-Freilichtmuseum Detmold. FREILICHTführer. Detmold 2008, S. 37f. 9 Beispiele sind die abgebrochenen Bauernhäuser Warneke und Grothe-Meiners von 1579 in Bödexen (Kr. Höxter); s. Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und seinen Grenzgebieten. Atlas, Dresden 1906, Tafeln Westfalen Nr. 3 und 5; Josef Schepers, Westfalen-Lippe (= Haus und Hof deutscher Bauern, Bd. 2). Münster 1960, S. 165f. und 410, sowie das 1971 für das Detmolder Freilichtmuseum abgetragene und eingelagerte Bauernhaus Potthast aus Bredenborn (Kr. Höx- ter), s. Stefan Baumeier, Westfälische Bauernhäuser. Vor Bagger und Raupe gerettet. 2. Auflage Bielefeld o.J. (1983), S. 78f. 10 Zur Geschichte des Valepagenhofes s. Hans Franz von Hülst, Der Valepagenhof im Delbrücker Land. Eine Studie zur Hof- und Besitzergeschichte, in: Die Warte 9, 1970, S. 136 - 139; Christian Reinicke, Der Hof Valepage zu Delbrück in Geschichte und Gegenwart. Masch.-schr. Manuskript ohne Ort, ohne Jahr (Trier 1980) im LWL-Freilichtmuseum Detmold, Schriftgutsammlung sowie Hans Jürgen Rade, Die Geschichte der Familie Valepage, in: 75 Jahre Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung (^Beiträ- ge zur westfälischen Familienforschung. 53). Münster 1995, S. 343-453. 11 Rade wie Anm. 10, S. 351. Reinicke (wie Anm. 10, S. 4) datiert die Eintragung nach der Regierungszeit des Abtes Gizo in die Zeit 1337-1355. 12 Als Eigen(be)hörige bezeichnet man von einem Herren persönlich abhängige Bauern. In Westfalen wurde der Begriff häufig für Bauern verwendet, bei denen der Leibherr der Person und der Grundherr des Hofes identisch waren. Ein Eigenhöriger leistete personengebundene Abgaben für sich 157 158 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen und seine Familie und nutzungsgebundene Abgaben für sei- nen Hof. Im Unterschied zur ostelbischen Leibeigenschaft war die Eigenhörigkeit von beiderseitigen Rechten und 24 Ähnliche Jagdszenen finden sich auch neben Musikanten und einem pflügenden Bauern am eingangs erwähnten Herrenhaus von Haus Außel bei Wiedenbrück von 1580; s. Pflichten zwischen Bauern und Herren geprägt; so hatte der Schepers 1973 (wie Anm. 3), Abb. 66-69. Eigenhörige das Erbrecht an seinem Besitz („Erbe") und konnte gegen seinen Herrn vor Gericht klagen; s. Leopold Schütte, Wörter und Sachen aus Westfalen 800 bis 1800 wehr gesichert; s. Manfred Groten/Peter Johanek/Wilfried (= Veröffentlichungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfa- len 17). Münster 2007, S. 204f. 13 Reinicke (wie Anm. 10), S. 23 und 37f.; Rade (wie Anm. 10), S. 351 f. Zu den Besitzgrößen der abhängigen Höfe von 1672 vgl. http://www.wickel-genealo- 25 Reinicke (wie Anm. 10), S. 24f. 26 Das Delbrücker Land war nach außen durch eine Land- Reininghaus/Margret Wensky (Hg.), Nordrhein-Westfalen (Handbuch der Historischen Stätten). 3. neubearb. Aufl. Stuttgart 2006, S. 214f. 27 Baumeier 1982 (wie Anm. 8), S. 133. gie.de/html/valepagenhof.html (letzter Zugriff: 28.01.2012). 28 Das Bauernhaus im Deutschen Reiche (wie Anm. 9), Atlas, Taf. Westfalen Nr. 5. Die Fotografie von Ludorff erst- 14 Rade (wie Anm. 10), S. 347ff., 352f.. 15 Rade (wie Anm. 10), S. 361 ff; zur Familie Varendorf(f) denkmäler von Westfalen, Bd. 7). Münster 1899, S. 18 und vgl. Walter von Hueck (Bearb.), Adelslexikon, Bd. XV (= Ge- nealogisches Handbuch des Adels, Bd. 134), Limburg/Lahn 2004, S. 478-483. 16 Rade (wie Anm. 10), S. 343f. sowie Frank Huismann, Dörfliche Gemeindebildung und -Verfassung im Hochstift Paderborn im späten Mittelalter, in: Uta Halle/Frank Huismann/Roland Linde (Hg.), Dörfliche Gesellschaft und ländliche Siedlung. Lippe und das Hochstift Paderborn in überre- gionaler Perspektive. Bielefeld 2001, S. 90-107; hier: S. 102ff. 17 Reinicke (wie Anm. 10), S. 23 und 37f.; Rade (wie Anm. mals in: Albert Ludorff, Kreis Paderborn (= Bau- und KunstTaf. 3. 29 Fritz Walter, Das Westfälische Bauernhaus. Dortmund 1936, S. 52; Klaus Thiede, Deutsche Bauernhäuser. 2. Aufl. Königstein 1955, S. 41; Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 59, 165ff„ 411; Hansen/Kreft 1980 (wie Anm. 23), S. 277; Fred Kaspar, Fachwerkbauten des 14.-16. Jahrhunderts in West- falen (= Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Heft 52). Münster 1986, S. 60. 30 Baumeier 1982 (wie Anm. 8), S. 134f.; Heinrich Stiewe, Vom Umgang mit Häusern im Museum. 30 Jahre Wiederaufbau und Baudokumentation, in: Stefan Baumeier/Jan 10), S. 351 f. Zu den Besitzgrößen der abhängigen Höfe von Carstensen (Hg.), Westfälisches Freilichtmuseum Detmold. gie.de/html/valepagenhof.html (letzter Zugriff: 28.01.2012). Westfälischen Freilichtmuseums Detmold - Landesmuseum 1672 vgl. http://www.wickel-genealo18 Zu den Begriffen „Landtagsfähigkeit" und „Schriftsäs- sigkeit" vgl. Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 7), S. 22ff. 19 Rade (wie Anm. 10), S. 343. 20 Da ältere Farbspuren an der Fassade kaum noch nach- weisbar waren, wurde im Museum die Fassung der letzten Restaurierung von 1954 wiederhergestellt. Am rechten Torständer wurde dabei das Wappen Valepage (Schild mit sechs Rosen) rekonstruiert (Rade wie Anm. 10, S. 353 und 355); der linke Ständer zeigt seit 1954 das Wappen der damaligen Besitzerfamilie von Hülst, eine Ranke mit Stechpalmenblättern (Ilex). Dagegen führten die Varendorf einen schrei- tenden Löwen im Wappen (Rade wie Anm. 10, S. 362 und 369). 21 Zur Biografie des Jost Valepage s. Rade (wie Anm. 10), S. 368 - 372; zum Amt des Gografen vgl. auch Huismann (wie Anm. 16), S. 103f. 22 Caspar von Fürstenberg berichtet darüber in seinen Tagebüchern; s. Rade (wie Anm. 10), S. 370f. 23 Zur Fassade des Valepagenhofes und ihrer Ornamentik s. Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 165f. und 411 (Aufmaß von Gerhard Eitzen); Wilhelm Hansen/Herbert Kreft, Fachwerk im Weserraum. Hameln 1980, S. 277, Großmann (wie Anm. 1), S. 132 sowie Hans-Günther Bigalke, Geschnitzte Bilder und Figuren an Fachwerkhäusern in Deutschland 1450-1700. München - Berlin 2008, S. 136 (Abb. 218) und 356 (Abb. 817). Zur Torinschrift s. Wilhelm Schmülling, Hausinschriften in Westfalen und ihre Abhängigkeit vom Baugefüge. Münster 1951, S. 57 und 111. Geschichte - Konzepte - Entwicklungen (= Schriften des für Volkskunde. 14). Detmold 1996, S. 69-108; hier: S. 96f. 31 Landesarchiv NRW, Abt. Ostwestfalen-Lippe, Detmold (im Folgenden: LAV NRW OWL), D 77 Brenker Nr. 52, BI. 305, leider ohne weitere Quellenangaben. Zu den Wappen s. Max von Spießen, Wappenbuch des Westfälischen Adels, Bd. 1. Görlitz 1901-1903, S. 50, Taf. 120 (v. Exterde) und S. 4, Taf. 6 (v. Amelunxen); im Internet unter http://wikide.genealogy.net/w/index.php?title=Datei%3AWappenWes tfAdel.djvu (letzter Zugriff: 28.01.2012). 32 1998 wurden einige Knaggen und Reste des Torbogens in die Bauteilesammlung des Freilichtmuseums übernommen. Zum Gebäude s. Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 367, Kaspar (wie Anm. 29), S. 43 (dort weitere Lit.) und 45, Abb. 2 sowie Linde/Rügge/Stiewe (wie Anm. 7), S. 60ff. 33 Zur Geschichte der Familie von Exterde, die zwei Burg- mannenhöfe in Detmold besaß, s. Erich Kittel, Detmold bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, in: Erich Kittel (Hg), Geschichte der Stadt Detmold. Detmold 1953, S. 48-182, hier: 5. 74f., Arthur Schöning, Der Grundbesitz des Klosters Cor- vey im ehemaligen Land Lippe, Bd. 1, Detmold 1958, S. 32 (v. Exterde zu Iggenhausen) und Bd. 2, S. 51-84, Stammtafel S. 59 (die hier interessierende Linie.v. Exterde zu Ahmsen). Zu den früheren Adelshöfen der Familie v. Exterde an der Exterstraße in Detmold (Nr. 7-9 und 11-15) s. Otto Gaul (Bearb.), Stadt Detmold (= Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 48, Teil I). Münster 1968, S. 392ff. 34 Aufmaß von Gerhard Eitzen (Nordwest-Ansicht und Querschnitt) im LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL, Hallenhäuser als Herrenhäuser - Adliges Wohnen auf dem Lande Bestand 710 K, Nr. 1237; perspektivische Ansicht (1949) im Archiv Eitzen im Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Hösseringen, Eit 2244 sowie eine Feldskizze, Eit 255; Aufmaß von Horst Gauert im Planarchiv der LWL-Denkmal- pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen; Aufmaßskizzen von Wolfgang Günther im Besitz von Dr. Stefan Wiesekopsieker, Bad Salzuflen. 35 Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 394. Die Originalzeich- nungen Eitzens aus dem Westf. Amt für Landes- und Baupflege, Münster, befinden heute sich im LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL, Best. 710 K, Nr. 71; eine Feldskizze (Luchtsäule und Lageplan Hofanlage) im Archiv Eitzen im Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Hösseringen. Zum Gebäude s. auch Kaspar (wie Anm. 28), S. 151 (mit weiterer Lit.). 36 Zur Geschichte des Gutes Dahlhausen s. Roland Linde, Meier zu Evenhausen. Ein traditionsreicher Hof im lippischen Westen. Festschrift zum 625-jährigen Jubiläum der urkundli- chen Ersterwähnung. Leopoldshöhe-Evenhausen 2003, S. 19-22. Ergänzende Quellenhinweise verdanke ich Wolfgang Bechtel, Detmold, Roland Linde, Münster, Nicolas Rügge, Osnabrück und Uwe Standera, Bielefeld. 37 LAV NRW OWL, L 12, Bd. 2, BI. 288c (Regierungsprotokolle, 1568; s. auch ebd., Bl. 244 und 268). 38 Herbert Stöwer, Fritz Verdenhalven, Salbücher der Graf- schaft Lippe von 1614 bis etwa 1620 (= Lippische Geschichtsquellen, Bd. 3). Detmold 1969. 39 Fritz Verdenhalven, Die lippischen Landschatzregister von 1535, 1545, 1562 und 1572 (= Lippische Geschichtsquellen, Bd. 4). Detmold 1971, S. 6f., 181, 188 und 190; Herbert Stöwer, Die lippischen Landschatzregister von 1590 und 1618 (= Lippische Geschichtsquellen, Bd. 2). Detmold 1964, S. 16. 40 1619 wurde Hermann Dahlhausen, bis dahin Pächter auf dem Hof Dahlhausen, Meier auf dem Uphof bei Währentrup; 1630 verließ er den Uphof und bezog wieder den Pachthof Dahlhausen. 1637 heiratete llschen, des Meyers zu Dahlhausen Tochter Bernd Niebuhr in Greste. LAV NRW OWL, D 77 Brenker Nr. 36, BI. 50 und D 77 Schering Nr. 7. Noch 1695 wird im Oerlinghausener Kirchenbuch Anna Mejersche zu Dalhausen als Taufpatin genannt (nach Unterlagen von Uwe Standera, Bielefeld). 41 Dendrochronologisches Gutachten von Hans Tisje, NeuIsenburg vom 13. Januar 2012, im Auftrag des LWL-FreiIicht- museums Detmold. Insgesamt konnten sechs Proben aus dem Kerngefüge mit Fälldaten in die Bauzeit 1561-1563 datiert werden. 42 Vgl. Heinrich Stiewe, Die ältesten Bauernhäuser der Grafschaft Lippe. Neue Befunde zum ländlichen Hausbau des 16. Jahrhunderts, in: Ländlicher Hausbau in Norddeutschland und den Niederlanden (Berichte zur Haus- und Bauforschung. 4). Marburg 1996, S. 293-328. 43 Lehnsakten im Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Münster, Minden-Ravensberg, Regierung Nr. 459, BL 14 (die nächste Belehnung ist 1579-1582 und 1592-1594 für Heiderich von Exter, Sohn des Bernd bzw. dessen Bruder Alhard nachweisbar (ebd. BL 20); freundl. Hinweis N. Rügge. Zu Bernd v. Exterde s. Schöning wie Anm. 33, Bd. 2, Stammtafel S. 59 sowie LAV NRW OWL, D TT Brenker Nr. 52, Bl. 301. Die Familie v. Wurmb stammt aus Thüringen und führt einen Drachen (Lindwurm) im Wappen; s. Walter von Hueck (Bearb.), Adelslexikon, Bd. XVI (Genealogisches Hand- buch des Adels, Bd. 137), Limburg/Lahn 2005, S. 420. 44 Wie Anm. 35. 45 Baubeobachtungen (mit Fotos und Skizzen) am 19. März 2011 durch den Verfasser und Frau Nadine Behrmann, Detmold. 46 Eitzen stellt in seinem Längsschnitt diese Luchtsäule als bauzeitlich mit zwei Kopfbändern dar, die aber nicht vorhanden sind. Leider gelang es nicht, die Luchtsäule dendrochronologisch zu datieren. 47 Ähnlich steile Dächer sind für Ahmsen (s. o.) und das Bauernhaus Kuhlmeier aus Kohlstädt (1559 d) dokumentiert; beide Gebäude wurden auch von Gerhard Eitzen aufgemes- sen; zu Kuhlmeier in Kohlstädt s. Schepers 1960 (wie Anm. 9), S. 376f. sowie Heinrich Stiewe, Vom Fachwerk zum Massivbau. Historische Gebäude als Zeugen der Ortsgeschichte, in: Heinz Wiemann (Hg.), Geschichte der Dörfer Schlangen, Kohlstädt, Oesterholz und Haustenbeck, Bd. 2. Bielefeld 2011, S. 598-675; hier: S. 603ff. 48 Ein nachträglich eingebauter Zwischenständer an der Ostseite (3. Fach von N) erbrachte als letzten Jahrring 1830 (19 Splintringe, Waldkante unklar). Gutachten Tisje vom 13.01.2012 wie Anm. 41. 49 Aufmaß und Bauuntersuchung durch Dr. Michael Sprenger, Detmold, dem ich für die freundliche Überlassung des Manuskriptes danke. Michael Sprenger, Baugeschichtliche Dokumentation - Bad Salzuflen/Holzhausen, Max-Planck- Straße 76. Masch.-schr. Manuskript Detmold 1997 (im Auftrag der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Bad Salzuflen). 50 Burkhard MeierA/era Scheef/Heinrich Stiewe/Emil Zeiß 1833-1910. Ein lippischer Pfarrer und Künstler. Detmold 2001, S. 98 und 218 (Werkverzeichnis Nr. 816, dort irrtümlich unter Lage, Kr. Lippe). Außerdem zeichnete Zeiß eine Skizze der Torbogeninschrift des Haupthauses, ebd. Werkverzeichnis Nr. 817 (Lippische Landesbibliothek Detmold, Lippe-Bildsammlung 10 S 1; neue Signatur BA BS 8-4, dabei irrtümlich Carl Dewitz zugeordnet; s. Regionaldokumen- tation Lippe im Internet unter www.llb-detmold.de, Suchwort Sylbach, 10. Februar 2012). 51 Fotos von Fritz Pahmeier 1969 in der Lippischen Landes- bibliothek Detmold, Lippe-Bildsammlung BA TB 8a, 8b und 68a: Haupthaus von 1660 (Ansicht), Nebengebäude von 1679 (Inschrift) unter der Adresse Holzhausen, Schulstr. 23 und Kötterhaus Schulstr. 28 von 1811 (Inschrift); s. Regional- dokumentation Lippe im Internet unter www.llb-detmold.de, Suchwort Sylbach (10. Februar 2012). 52 Angaben zur Besitzergeschichte nach einer Notiz im Stadtarchiv Bad Salzuflen; s. Sprenger (wie Anm. 49), S. 2f. 53 Zur Geschichte von Gut Nassengrund vgl. Roland Linde, Heinrich Stiewe und Dieter Zoremba, Istrup. Geschichte eines Dorfes im Blomberger Becken. Lage 2011, S. 64ff., 192ff. und 92f. 159 160 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 54 Bauaufnahme von Gutshaus und Speicher durch den Verf. mit Unterstützung durch Katharina Hoppe (+), im Auftrag des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege, Münster, Abbildungsnachweis Das Bauernhaus im deutschen Reiche und in seinen Grenzgebieten, Dresden 1906 (Tafel Westfalen Nr. 3): 5; 1987. Landwirtschaftsmuseum Lüneburger Heide, Hösseringen, 55 Dendrochronologisches Gutachten von Hans Tisje, Neu- Archiv Eitzen: 11; Isenburg vom 20. März 2010 im Auftrag des LWL-Amtes für Lippisches Landesmuseum Detmold: 17 (Ihle), 20 (Stiewe). Denkmalpflege, Münster. LWL-Archivamt für Westfalen, LWL-Archiv: 9, 15; 56 Als weitere Beispiele wären zu ergänzen: Haus Bosfeld bei Rheda (Kr. Gütersloh), Zweiständerbau mit hohen Luch- len: 6 (Ludorff), 7, 8, 10, 12, 21, 22; LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfa- ten und Kammerfach, spätes 16. Jahrhundert, s. Schepers LWL-Freilichtmuseum Detmold - Westfälisches Landesmuse- 1960 (wie Anm. 9), S. 364f. (Originalzeichnungen von Gerhard Eitzen im LWL-Archivamt für Westfalen, Archiv LWL, (Pahmeier), 4; Bestand 710 K, Nr. 1060; Steinhof bei Lieme (Lemgo, Kr. Lippe), altes Haupthaus, Dreiständerbau mit Fächerrosetten am Giebel und rückwärtigem Saal, erbaut von der bürgerlichen Familie Erp-Brockhausen aus Lemgo, abgebrochen 1898; s. Heinrich Stiewe, Der Traum vom Rittergut. Bürgerliche Landsitze in Lippe, in: Jahrbuch für Hausforschung, Bd. 55. Marburg (im Druck). 57 Vgl. Heinrich Stiewe, Pfarrhausbau in Lippe, in: Thomas Spohn (Hg.), Pfarrhäuser in Nordwestdeutschland (Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Bd. 100). Münster 2000, S. 227-308 sowie Baumeier 1988 (wie Anm. 4) sowie Stiewe (wie Anm. 56). 58 Hubertus Michels, Hallenhaus goes baroque. Johann Conrad Schlaun und das Rüschhaus bei Münster, in: Jan Carstensen und Josef Mangold (Hg.), Menschen - Ideen - Migration. Neue Blicke auf Baukultur im Rheinland und in Westfalen-Lippe (= Schriften des LWL-Freilichtmuseums Detmold, Bd. 30). Detmold 2010, S. 62-73; dort auch weiterführende Literatur. um für Volkskunde: 1 (Großmann), 2 (Wohlrab), 3 (Kreft), 18 Dr. Michael Sprenger, Detmold: 19; Verfasser: 13, 14, 16. 161 Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde Castrop-Rauxel-Habinghorst, Vördestraße 10 (heute Hafenstraße 10) Fred Kaspar / Peter Barthold Anlass der folgenden kurzen Darstellung des ehemaligen Bauhauses vor dem Hintergrund der Geschichte des adeligen Gutes war eine Notdokumentation des Gebäudes 2002 wegen der geplanten Einebnung der gesamten, zuletzt zwischen Industrieanlagen, Eisen- bahntrassen und Kanal eingezwängten Anlage im Zuge landesplanerischer Maßnahmen zur Renaturierung und Anlage des Landschaftsparkes Bladenhorst.' Der Abbruch erfolgte im Jahre 2004 wegen angeblicher Einsturzgefahr, ohne dass zuvor weitere Untersu- chungen oder Dokumentationen möglich gewesen wären. Eine archäologische Untersuchung der Burgstelle hat ebenfalls nicht stattgefunden. Lage Der seit dem 13. Jahrhundert nachweisbare adelige Sitz Haus Vörde liegt nur etwa 750 m östlich von Schloss Bladenhorst in der gleichnamigen Bauernschaft inmitten den Niederungen der Emscher. Die Region wurde ehemals als Dodingheide bezeichnet. Das Anwesen liegt auf einem niedrigen Geländesporn, der an dieser Stelle weit nach Norden in die Niederung hineinreicht und auf der Nordseite der Emscher eine Entsprechung fand. Diese Stelle war daher in früherer Zeit besonders als Übergang durch das unwegsame Gebiet geeignet. Die Häufung von Funden der vorgeschichtlichen Zeit im Bereich zwi- 1 Haus Vörde. Lage des Gutes in der Bruchniederung südlich der Lippe (rechts oben am Bildrand) und in nur geringer Entfernung zu der weitaus größeren Schlossanlage Bladenhorst (Ausschnitt aus dem Urkatasterblatt von 1828). Deutlich zu erken- nen, dass die nördliche Herrenhausinsel der rechteckig umgräfteten Anlage zu dieser Zeit schon nicht mehr bebaut war. 162 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen sehen Haus Vörde und der Emscher belegt den seit Langem bestehenden Gebrauch eines hier verlaufenden Weges. Die Bezeichnung Haus Vörde dürfte sich daher auch auf diese Emscher-Furt beziehen, wobei das befestigte Haus wohl zu deren Sicherung angelegt wurde.2 Geschichte Die Geschichte von Haus Vörde ist bislang erst in ihren groben Zügen bekannt.3 Bislang ist die Anlage nicht Gegenstand umfangreicherer historischer Untersu- chungen geworden, auch wenn hierzu offenbar umfangreiches Archivmaterial erhalten geblieben ist.4 Trotz großer Nähe zu dem großen herrschaftlichen Sitz Haus Bladenhorst befand sich das Haus Vörde immer in anderen Händen: 1266 wird der mit einem Dietrich von Vorde auch der Name des Hauses Vörde erstmals genannt. Er gehört zum Gefolge des Grafen von Cleve. Um 1400 wird die Hove Grotenhuys ten Vurden im Besitz des Wilhelm von den Vurden genannt. 1498 gelangte das Gut to Vörden als Lehen an die Kinder des verstorbenen Neveling Staels, die bislang auf Haus Hardenstein bei Witten-Herbede an der Ruhr (Ennepe-Ruhr-Kreis) gelebt hatten. Lehnsherr war zu dieser Zeit der Graf von Limburg-Styrum. Dorothea von Schüngel heiratete Heinrich von Eickel, der 1538 als Besitzer von Vörde genannt wird, aber auch das schon länger in seiner Familie befindliche Gut de grote Horst (wohl Haus Horst in Wanne) besaß. Heinrich von Eickel lebte auf Vörde und ist dort noch 1563 nachweisbar. 1568 wurde unter den sechs Söhnen und drei Töchtern eine Erbteilung vorgenom- men, wobei Heinrich von Eickel das Haus Vörde erhielt. Er war mit Christine von Hasenkamp verheiratet, die auf Haus Weitmar bei Bochum aufgewachsen war. Dorthin verzogen später ihre beiden Söhne Matthias und Dietrich, während der Sohn Melchior von Eickel das Haus Vörde erbte. 1632 ist er als Besitzer genannt, verschenkte dann aber 1636 sein Erbe an seinen Nachbarn, den Johann von Gysenberg zu Henrichenburg (1620-1662). Seit dieser Zeit dürfte Haus Vörde nicht mehr einen herrschaftlichen Haus- halt gehabt haben. Dessen unverheirateter Sohn, Domherr Adolf Arnold von Gysenberg (1651-1725), vermachte das Gut der Familie von Westerholt zu Haus Alst bei Horstmar (Kr. Steinfurt) im Münsterland. 1769 heiratete die dortige einzige Erbtochter Wilhelmine von Westerholt-Alst den Ludolf Friedrich Adolf von Boenen. Dieser nahm 1779 den Namen Westerholt an und wurde 1790 in den Grafenstand erhoben. Die verschiedenen von ihm ererbten Güter wurden 1803 unter seinen beiden Söhnen aufgeteilt, wobei Wilhelm die Westerholtschen Güter5 und damit auch Haus Vörde erhielt und die Linie WesterholtWesterholt begründete. Die Grafen von WesterholtGysenberg auf Haus Henrichenburg blieben fortan 2 Haus Vörde. Ansicht des Haupthauses, das aus dem spätmittelalterlichen Bauhaus auf der Vorburg durch Umbau 1761 (d) zum Pächterwohnhaus hervorgegangen ist (Zustand 1987). Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde Eigentümer von Haus Vörde, das von ihnen während des ganzen 19. Jahrhunderts an mehrere Generationen aus der Familie Schlünder verpachtet wurde.6 Die Verwaltung der Einnahmen sowie die Einkünfte aus den zum Gut gehörenden Höfen übernahm zunächst die Rentei in Gysenberg7 und wurde nach Ankauf des größeren Gutes Kallenberg 1837 nach dort verlegt. Im späteren 19. Jahrhundert wurden die Ländereien für die sich schnell ausweitende Industrielandschaft interessant: Über 60 % der zugehörigen Ländereien wurden 1897 an Julius Rüttgers in Berlin verkauft, der darauf eine Fabrik errichten wollte.8 Die restlichen Flächen mit den Gutsgebäuden wurden 1916 an die Gewerkschaft Victor in Castrop-Rauxel und die Ge- sellschaft für Teerverwertung mbH in DuisburgMeiderich verkauft.9 Das Gutshaus blieb erhalten und wurde fortan mit einer kleinen umgebenden Fläche verpachtet. Später befand sich das Gutshaus im Besitz des Klöckner-Konzerns10 und zuletzt gelangte die Anlage an den Kommunalverband Ruhrgebiet. Aufgrund der geschilderten geschichtlichen Entwicklung dürfte Haus Vörde wohl seit etwa 1630, spätestens aber seit der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht mehr als Sitz einer herrschaftlichen Familie gedient haben, sondern wurde noch als Wirtschaftsgut der an anderen Orten lebenden Eigentümer genutzt. Bewoh- ner waren seit der Mitte des 17. Jahrhunderts nur noch die Pächter der zum Haus gehörenden Land- wirtschaft. Über den Umfang der Ländereien und die Familien der Pächter ist bislang kaum etwas bekannt. 1826 umfasste das Gut Haus Vörde einen Besitz von 226 Morgen. 1918 lebte auf dem 256 Morgen großen Gut als Pächter die Familie Schlünder,11 wonach das Gut Haus Vörde auch Schlünderhof genannt wurde. Seit etwa 1970 bis 2002 war das Anwesen an die Familie Rose verpachtet. Anlage von Haus Vörde Haus Vörde hatte bis in das 19. Jahrhundert noch Reste einer zweiteiligen Gräftenanlage. Welches Alter die sicherlich zu verschiedenen Zeiten entstandenen und ausgebauten Gräften hatten, ist nicht bekannt, doch dürften sie im Kern mittelalterlichen Ursprungs sein. Die das Haus umgebenden Gräften werden vom Salzbach gespeist und umgaben eine kleine, rechteckige und zu dieser Zeit schon nicht mehr bebaute Insel im Norden. Dieser lag nach Süden vorgelagert eine weitere und größer dimensionierte Insel. Da auf letzterer das Bauhaus als letztes noch erhaltenes Gebäude steht, dürfte dieser Bereich als ehemalige Vorburg gedient haben. Die nördlich anschließende Insel dürfte ehemals das eigentliche Burghaus getragen haben, das aufgrund der Geschichte der Anlage aber möglicherweise schon nach der Mitte des 17. Jahrhunderts verschwunden ist.12 Die Baugeschichte des Bauhauses legt es nahe, dass das Herrenhaus spä- 3 Haus Vörde. Torbogen im Giebel des alten Bauhauses mit spätgotischer Kontur, der noch zum ursprünglichen Bestand der massiven Umfassungswände gehört (Zustand 1987). testens mit den Umbauten in den Jahren um 1761 verschwunden ist. 1826 zeigt das Urkataster noch den größten Teil der Gräften mit Wasser gefüllt, wobei zu dieser Zeit nur die südliche Begrenzung der Vorburg zugeschüttet war. Die Haupthaus-Insel wurde spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert als Hausgarten genutzt, wobei alle umgebenden Gräften zu nicht näher bekannter Zeit verlandet sind. Das erhaltene Wirtschafts- und Wohngebäude Kernbestand aus der Mitte des 16. Jahrhunderts Das Gebäude stand auf einer Grundfläche von 23,70 x 12,70 m in süd-nördlicher Firstrichtung mit seiner westlichen Längswand unmittelbar am inneren Rande der Gräfte und wurde von dem Südgiebel erschlossen. Der Bau war weitgehend aus Backsteinen (im Format 29 x 14 x 7/7,5 cm) mit einer Mauerstärke von 0,80 m bei den Längswänden bzw. 0,90 m beim Vordergiebel und wohl sogar 1,10 m beim rückwärtigen Giebel aufgemauert, wobei Sockel, die Gewände der Öffnungen und die Gebäudeecken aus Sandstein gearbeitet sind. Die Sandsteine scheinen aus nahegelegenen Steinbrüchen zu kommen, wobei das glei- che Material auch beim benachbarten Schloss 163 164 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 5 Haus Vörde. Querschnitt des Bauhauses nach dem Umbau zum Pächterwohnhaus 1761(d), Schnitt durch den Wirtschaftsteil (Blick nach Norden). Rekonstruktion der noch nachweisbaren Strukturen auf der Grundlage der 2002 vor dem Abbruch vor Ort erhobenen Befunde. dekanten nicht weiter profiliert. Er hat bei einer Breite von 2,8 m eine Höhe von 4,5 m, wobei die senkrechten Teile der seitlichen Laibung 2,3 m hoch sind. Die senkrechten Teile der seitlichen Gewände sind andeutungsweise wie Pilaster gestaltet, wobei als Basis ein viertelkreisförmiger Prellstein und als Kapitell eine profilierte Platte dient, deren Profil eine schlichtes Stab- profil zeigt. 4 Haus Vörde. Grundriss des Bauhauses nach dem Umbau zum Pächterwohnhaus 1761(d). Rekonstruktion der noch nachweisbaren Strukturen (ohne Fenster und Türen) auf der Grundlage der 2002 vor dem Abbruch vor Ort erhobenen Befunde. Bladenhorst verwendet wurde.13 Es sind großformatige und teilweise sauber behauene Blöcke, die noch vielfach Steinmetzzeichen14 zeigen (augenblicklich sind diese wegen des 1965 aufgebrachten Verputzes allerdings nur auf den Werksteinen des Torbogens sichtbar). Über den Öffnungen wurden Stürze aus starken Holzbohlen eingebaut.15 Das gesamte Gebäude erhielt einen umlaufenden Sockel aus Werksteinen, der etwa 15 cm vor die Flucht der darüber befindlichen Wand vortritt und aus Werksteinen besteht. Der Sockel ist an der Oberkante mit einer schlichten Kehle profiliert, die seitlich der ursprüngli- chen Zugänge nach unten verkröpft ist (dieser Befund weist den Torbogen und die rechts davon befindliche Tür als bauzeitlichen Bestand aus). Der Torbogen zeigt eine spitzbogige Kontur, doch ist er an seinen Gewän- Von dem bemerkenswert aufwändig gebauten und sorgfältig durchgestalteten Kernbau haben sich allerdings nur noch die vier Umfassungswände erhalten, während der gesamte innere Ausbau einschließlich des Dachwerkes einer Erneuerung in den Jahren um 1761 entstammt. Nach Ausweis der noch in Teilen zum Kernbestand gehörenden Öffnungen in den Umfassungswänden dürfte der ursprüngliche Innenausbau in seinem Konzept allerdings im Prinzip der Einteilung des Inneren nach der Erneuerung entsprochen haben. Danach gehört der Bau zum Typ des Längsdielenhauses. Unklar ist hierbei allerdings, ob der seit spätestens 1761 vorhandene rückwärtige Wohnteil des Hauses schon ursprünglich vorhanden war. Vielmehr ist zu vermuten, dass die mittlere Längsdiele zunächst durch den ganzen Bau bis zum heutigen Rückgiebel reichte. So hat der den Bau erschließende und zum ur- sprünglichen Zustand gehörende Torbogen ungewöhnlich weite Maße und lässt die Einfahrt mit bela- denen Wagen zu. Aufgrund der stattlichen Breite des Gebäudes und der nahezu mittigen Lage des Torbogens im vorderen Giebel ist eine Dreischiffigkeit des Inneren zu erschließen, wobei die mittlere Diele Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde von Längswänden von Fachwerk begleitet gewesen sein dürfte. Seitlich dieser mittleren hohen Diele bestanden zweigeschossig aufgeteilte Seitenschiffe, wobei das rechte Seitenschiff aufgrund der Anordnung des Torbogens wohl etwa 0,70 m schmaler gewesen ist.16 Die Seitenschiffe hatten eine nicht näher bekannte lichte Breite, wobei das rechte Seitenschiff im Erdgeschoss mit einer 0,92 m im Lichten breiten Tür im Giebel erschlossen war, was seine Nutzung als Pferdestall vermuten lässt. Im vorderen Bereich der lin- ken Seitenwand des Hauses hat sich noch eine zum ursprünglichen Bestand gehörende mit Werksteingewänden eingefasste Luke erhalten, die auf ein ehemals bestehendes Zwischengeschoss in diesem Bereich hinweist. Aufgrund der erkennbaren Befunde dürfte es sich bei dem Bau um das ehemalige Bauhaus des Hauses Vörde gehandelt haben.17 Dieses dürfte zunächst als Stall- und Scheunengebäude der Gutswirtschaft gedient haben, aber zunächst wohl noch nicht auch als Wohngebäude. Das Gebäude wurde schon bislang in das spätere 16. Jahrhundert datiert. Eine genauere Datierung erscheint auch weiterhin nicht weiter möglich, da die schlichte Form des Torbogens und auch die Profile des um den Bau laufenden Sockels keine genaueren zeitlichen Zuordnungen möglich machen. Ein vergleichbares Bauhaus bestand ehemals auf dem nahegelegenen Haus Callenberg in Obercastrop.18 Umbau zum Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Pächters um 1761 (d) Das Innengerüst und das gesamte Dachwerk wurden aus nicht bekannten Gründen um 1761 erneuert (hierbei sind wohl auch ältere Hölzer unbekannter Herkunft verzimmert worden). Diese Datierung er- folgte aufgrund einer dendrochronologischen Datierung.19 Für eine Bauzeit in der Mitte oder in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sprechen auch die konstruktiven Details. Möglicherweise war der Bau zu dieser Zeit stark ver- fallen und bedurfte einer grundlegenden Erneuerung.20 Der Umbau steht möglicherweise aber auch im Zusammenhang mit dem Abbruch des alten Burg- hauses, wobei man das bisherige Bauhaus zu einem kombinierten Wohn- und Wirtschaftsgebäude in der Art eines Vierständerhallenhauses mit rückwärtigem Wohnteil umgestaltete. Die Ziegel, mit denen das Mauerwerk bei dem Umbau ergänzt wurde, unter- scheiden sich in den Maßen (25 x ? x 5,5 cm) deutlich von denen des Kernbaubestandes aus dem 16. Jahrhundert. Bei dem Umbau erhielt das Gebäude nach Entfernung der gesamten Holzkonstruktionen (inneres Tragwerk sowie Dachwerk) neue Mauerkronen, die man mit Platten an Innen- und Außenseiten abdeckte. Hierüber schlug man ein durchgängig aus neuen Hölzern verzimmertes Dachwerk von 15 Gebinden auf. Jedes Gebinde besteht aus einem Sparrenpaar, das durch zwei hoch sitzende und gezapfte Kehlbalken gesi- 6 Haus Vörde. Ansicht des Bauhauses nach Nordosten (Zustand 1987). 165 166 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen chert und in die Balken ohne Schwelle gezapft ist. Der Längsverband wird nur durch Windrispen hergestellt, die unterhalb der unteren Kehlbalken zwischen allen Anmerkungen Sparren genagelt sind. Die beiden zugehörigen Giebeldreiecke ruhen auf einer eng gelegten Stichbalkenlage. Die Giebeldreiecke wurden als leicht über den Stichbalken vorkragende Fachwerkgiebel mit Krüppelwalmen verzimmert. Das Innere des erneuerten Baus nahm nur in etwas mehr als der vorderen Hälfte einen Wirtschaftsbereich mit einer 4,8 m breiten Längsdiele auf. Die meisten der Ständer der Längswände sind durch Kopfbänder mit den Balken verbunden. Die Wände wurden mit Lehmstaken geschlossen. Während die weitere Auf- nahme von Proben für eine dendrochronologische Datierung 1 Die Bauuntersuchung erfolgte am 12. September 2001 durch Peter Barthold und Fred Kaspar einschließlich der Ent- und unter Auswertung der vorliegenden Literatur. Eine Eintragung der Anlage in die Denkmalliste der Stadt Castrop-Rauxel konnte nicht erreicht werden. 2 Hans Rohmann, Bemerkungen zur Baugeschichte des Hau- ses Vörde in der ehemaligen Gemeinde Bladenhorst, in: Kultur und Heimat, 23/1971, S. 34-39, hier S. 34. 3 Karl Hartung, Haus Vörde in Castrop-Rauxel, in: Kultur und Heimat. Heimatblätter für Castrop-Rauxel und Umgebung, Jahrgang 1 1/1959, S. 99; Richard Borgmann/Günther Höf- ken/Karl Hartung/Hermann Wiggermann, Adelige Ge- teilung des linken Seitenschiffs heute nicht mehr nachweisbar ist, wurde das rechte Seitenschiff im schlechter und Rittersitze in Castrop, in: Castrop-Rauxel - Länge unterteilt, wobei der vordere Raum mittels eines Unterschlagbalkens zum großen Teil zur Diele geöffnet war und daher wohl als Stall anzusprechen ist. Die rückwärtige Hälfte des Hauses wurde durch eine Querwand vom Fachwerk abgetrennt und als großformatiger Wohnbereich eingerichtet, der wohl fortan den Pächtern des Gutes als Wohnung diente. Dieser 65-94; H. Frin, Von Westerholt - ein Adelsgeschlecht der Vestischen Ritterschaft, in: Vestische Zeitschrift 82/83. Erdgeschoss in zwei Räume von jeweils vier Gefachen Bereich bestand aus einer großen und durch die ganze Hausbreite reichenden Küchenzone, die bei einer Tiefe von 6 m über die Hälfte des Hauses einnahm und einem daran anschließenden und zweigeschossig aufgeteilten Wohnende in einer Tiefe von Entwicklung einer Stadt im westfälischen Industriegebiet (hg. von der Stadt Castrop-Rauxel). Castrop-Rauxel 1967, S. Recklinghausen 1983/84, S. 243-326; Franz Darpe, Geschichte des Landkreises Bochum, in: Verwaltungsbericht für das Jahr 1906, S. 20. 4 Im Zuge dieser Untersuchung konnten die Archivbestände nur kursorisch gesichtet werden. Hierzu wurden die Findbücher der nachgewiesenen Archivbestände durchgesehen. Für die Baugeschichte des Gutes und des erhaltenen Gebäudes konnte hierbei allerdings nichts Wesentliches (etwa Rechnungen oder Inventare) aufgefunden werden. Im Archiv von Haus Alst bei Horstmar (Kr. Steinfurt) hat sich für die hier interessierenden Fragen nichts erhalten, während sich in 4,2 m, das in beiden Etagen jeweils zwei Zimmer umfasste. Der großformatige Küchenbereich hatte zunächst nur eine mittlere und etwa unter den First gestellte Längswand, die die Balkenlage des Dachwerkes trug und in die auch der Schornsteinstapel terholt befindet, Akten zum Verkauf des Gutes im 20. Jahr- große Räume, die wohl als linke Wohn- und als Bestand Archiv Westerholt-Westerholt, Güter Gysenberg, tere hatte über eine große Tür Zugang zur Wirt- 3) sowie in den den Stadtarchiven von Dortmund und Ober- Zwischendecken, wobei in der Wirtschaftsküche in beiden Etagen noch ein Längsflur mit Etagentreppe 5 Wolfgang Bockhorst, Adelsarchive in Westfalen. Münster dem Teilbestand des Archivgutes, der sich auf Schloss Wes- hundert und Pachtverträge aus dem 19. Jahrhundert liegen. Weiteres möglicherweise im Stadtarchiv Recklinghausen integriert wurde. Seitlich dieser Wand verblieben zwei (Bestand Archiv Westerholt-Arenfels, Boenensche Güter und rechtsseitige Wirtschaftsküche anzusehen sind. Letz- Henrichenburg und Vörde - Findbuch P 194, 194,1 und 194, schaftsdiele des Hauses. Beide Räume erhielten später hausen. abgeteilt worden ist. Im Zuge dieser Umbauten 1998, S. 12 und 292. 6 Ab September 1824 wurde Gut und Haus Vörde für jeweils 12 Jahre an Friedrich Wilhelm Schlünder, ab 1890 dann an scheint auch der alte Schornsteinstapel, der sicherlich noch offene Herdfeuerstellen aufwies, durch einen engen russischen Schlot ersetzt worden zu sein. Zu nicht näher bekannter Zeit ist in das Erdgeschoss des rechten Stallseitenschiffs ein weiterer Wohnraum ein- gebaut worden. 1965 wurde das Haus renoviert und erhielt hierbei einen neuen starken Zementputz.21 Zu dieser Zeit scheint man auch das linke Stallseitenschiff erneuert zu haben, wobei die Längswand zur Diele abgebrochen und um 55 cm in die Diele vorgeschoben und massiv ersetzt worden ist.22 Über dem so verbreiterten erdgeschossigen Stall entstand eine Betondecke. Beim rechten Seitenschiff sind Teilbereiche der erdgeschos- sigen Wand massiv erneuert worden. seinen Sohn Friedrich Schlünder verpachtet. Nachdem 1897 wesentliche Teile des Landes verkauft waren, wurde er bis zum Ende des laufenden Vertrages abgefunden und die rest- lichen Flächen neu auf 12 Jahre für 900 Mark jährlich an den Bergmann Theodor van Gemmern aus Rauxel verpachtet (Archiv Westerholt, VI, 202). 7 Hierzu die erhaltene (nicht eingesehene) Jahresrechnung: Gysenberg und Voerdesche Rechnung 1805 im Archiv Wes- terholt - Westerholt, Nr. 658. 8 Archiv Westerholt, VI, 91 und 202. 9 Hierzu ein größerer Aktenbestand in Archiv Westerholt, VI 128, 140-142. 10 Nach A. Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmale des Kreises Bochum-Land. Münster 1907, S. 18. Das Bauhaus des 16. Jahrhunderts und spätere Pächterwohnhaus von Haus Vörde 11 Kultur und Heimat, Heimatblätter für Castrop-Rauxel und Umgebung 25/26, 1973/74, S. 77. 12 Archäologische Untersuchungen haben hier bislang nicht stattgefunden. Es dürfte sich aber um ein Bodendenkmal handeln. 13 Nach Neumann, Wasserburgen im Stadtgebiet CastropRauxel, in: Kultur und Heimat, 21/1969, S. 78-87 stammt der Stein aus den Baumbergen. 14 Eine Zusammenstellung bei Neumann 1969 (wie Anm. 13), S. 38. 15 Bislang gelang es nicht, einen dieser Stürze einer dendro- chronologischen Datierung zu unterziehen, sodass die genauere Bauzeit der Kernsubstanz nicht ermittelt werden konnte. 16 Die Giebelmauer ist außen rechts des Torbogens 4,47 m und links 5,18 m breit. 17 Hierauf wies schon Neumann 1969 (wie Anm. 13), S. 85 und Rohmann 1971 (wie Anm. 2), S. 38. 18 Das Haus, zuletzt im Besitz der Stadt Gelsenkirchen, fiel 1925 einem Brand zum Opfer. Siehe Neumann 1969 (wie Anm. 13), S. 85. 19 Auswertung durch Hans Tisje/Neu-Isenburg mit Gutachten vom 12. Oktober 2001. Im Einzelnen ergaben sich folgende Daten: 1711 +- 5 rechte Dielenwand, 1. Hillenriegel von Südosten 1760/61 Dachwerk, Nordostseite, 8. Sparren von Südosten 1760/61 Dachwerk, Nordostseite, 11 Sparren von Südos- ten 1760 +-2 Dachwerk, Nordostseite, 7. Sparren von Südosten 1781 +-8 rechte Dielenwand, Obergeschoß, Wandständer zur 1. Querwand 20 Ein Brand des Inneren scheint nicht Ursache der Baumaßnahmen gewesen sein, da die starken Bohlen, die als Stürze über den Öffnungen einbaut sind, wohl teilweise noch aus dem ursprünglichen Baubestand stammen. 21 Karl Hoecken, Castrop-Rauxel - Entwicklung einer Stadt im westfälischen Industriegebiet (hg. von der Stadt CastropRauxel). Castrop-Rauxel 1967, S. 95-132, hier S. 121. 22 Hierbei scheint man auch die rückwärtige Wand dieses Bereiches zur Küche massiv erneuert zu haben. Abbildungsnachweis LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: 1-3, 6 (Bildarchiv); 4, 5 Kaspar (Planarchiv). 167 168 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) Ein Gut, nur kurz im Interesse der Familie Droste zu Vischering Fred Kaspar Anlass der im Folgenden vorgelegten Untersuchungen waren einschneidende Veränderungen in der Nutzung, die dem 1996 erfolgten Verkauf der seit Trotz der vielen Eingriffe in den historischen Bestand befindlichen Gutsgebäude folgten. sowohl die Geschichte wie auch die bauliche Entwick- Visbeck letztmalig modernisiert und 1941 den Wirtschaftsteil veränderten Bedingungen angepasst. Nachdem der landwirtschaftliche Betrieb schon seit Geschichtswissenschaft weitgehend unbeachtet2 bzw. 1656 im Besitz der Familie Droste zu Vischering 1930 hatte man die Pächterwohnung auf Haus Längerem aufgegeben und die Ländereien verpachtet waren, setzten nach 1960 vielfache Umnutzungen der noch auf dem Gut stehenden Gebäude ein, bei denen in kleineren und größeren Baumaßnahmen in die historische Substanz eingegriffen wurde. Hierbei hat man nicht nur die bestehende Anlage und die noch erhaltenen Bauten verändert, sondern diese auch durch zusätzliche Wirtschaftsgebäude im Bereich der vollständig verlandeten ehemaligen Gräften erweitert, sodass inzwischen die ehemalige Konzeption der Anlage kaum noch erkennbar ist. ist Haus Visbeck von der baugeschichtlichen For- schung bzw. den Denkmalpflegebehörden bislang nie näher betrachtet und analysiert worden. Daher ist lung von Haus Visbeck bislang nur als ein dürres Datengerüst bekannt.1 Das Gut blieb auch von der beschränkte man sich dort, wo dies doch geschah, auf wenige allgemeine Sätze und die stete Wiederholung lange gehegter Vorurteile.3 Allein die an der Zufahrt zum Gut stehende Kapelle erhielt - als möglicherweise von dem Architekten J. C. Schlaun geplant - größere Aufmerksamkeit.4 Vor dem Hintergrund dieses geringen Wissenstands wurde das Gut 1984 als die ehemalige Vorburg von 1676 einer schon 1636 zerstörten Wasserburg mit Kapelle in die Denkmalliste der Stadt Dülmen eingetragen. Seit 2008 wurde in dem bestehenden historischen Gebäude der Vorburg eine größere Baumaßnahme 1 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Gesamtanlage von Südwesten (Sommer 2012). 169 2 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Anlage nach dem Urkatasterplan von 1826 (Ausschnitt). Zu dieser Zeit war die gesamte Gräftenanlage noch vorhanden, und auf der Hauptinsel stand noch ein kleineres Gebäude, möglicherweise das alte Herren- haus. Der bis heute erhaltene Teil der Vorburg bildet die südwestliche Ecke. Südlich neben der von Westen kommenden Zufahrt steht die Kapelle. geplant. Die während der 2009 und 2010 ausgeführten Baumaßnahmen und notwendigen Eingriffe in die historische Bausubstanz ermöglichten tiefere Einblicke in den Aufbau und die Gestaltung des erhaltenen Gebäudes, erforderten aber auch eine Dokumentation vieler Befunde. Vor diesem Hintergrund wurden die Bauten durch die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, erstmals baugeschichtlicher Betrachtungen unterzogen.5 Ergänzend erfolgte die Dokumentation der bedeutenden Befunde zur historischen Farbgestaltung der Außenfronten des Gebäudes durch Amtsrestaurator Beat Sigrist.6 Zudem wurden archivalische Quellen zur Klärung der Nutzungsgeschichte der Anlage erschlossen und ausgewertet. Zum Gut haben sich umfangreiche historische Aktenbestände im Archiv Graf Droste zu Vischering auf Haus Darfeld erhalten. Sehr aufschlussreich für das Verständnis des Baugeschehens auf Haus Visbeck erwiesen sich insbesondere die ab 1656 erhaltenen jährlichen Abrechnungen des Rentmeisters über Einnahmen und Ausgaben.7 Für die folgende Darstellung konnten hiervon allerdings nur die Rechnungen der Jahre 1675 bis 1679 ausgewertet werden, in denen der im Folgenden behandelte Ausbau der Vorburggebäude erfolgte. Da die erhaltenen Bauten der Vorburg im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, konnte es nicht Ziel der Untersuchungen sein, grundlegend die bislang eher geringen Kenntnisse zur Geschichte der Anlage zu vervollkommnen und die gesamte Entwicklung als Herrensitz bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts sowie seine weitere Nutzung als Gutsbetrieb der Erbdrosten zu Vischering in den Blick zu nehmen. Schon bei diesem eher punktuellen Einblick in die Geschichte von Haus Visbeck wurde aber deutlich, dass die kulturund baugeschichtliche Bedeutung und die dort erhaltenen Bauten bislang unterbewertet worden sind. So wurde bislang fälschlich davon ausgegangen, dass man nach schweren Schäden, die die Anlage 1639 erlitten haben soll, das Herrenhaus nicht mehr, son- 170 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 3 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Vorburg von Nordwesten. Die früheste bekannte Ansicht der Anlage fertig- te um 1890 der Fotograf Theodor Nopto aus Seppenrade. 4 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Vorburg mit noch wasserführender Gräfte von Südwesten (um 1910). Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) dem nur die Vorburg, notdürftig langsam wiederherstellte. Die Jahreszahl 1677 an der Ostseite des erhal- tenen Wirtschaftsbaus bezeichnet wohl das Enddatum der Reparaturen.8 Allerdings erwies sich diese Aussage als nicht zutreffend, denn Haus Visbeck hatte während des wirtschaftlichen und politischen Aufstiegs der Familie von Droste zu Vischering in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindest während einer Generation eine besondere Bedeutung, die sie aber aufgrund zunächst nicht absehbarer Entwicklungen nur für kurze Zeit behielt: Haus Visbeck war eine der ersten Grunderwerbungen, mit deren Hilfe es dieser Familie gelang, in der Neuzeit zu einer der wirtschaftlich führenden Adelsfamilien des Münsterlandes aufzusteigen.9 Nachdem die Familie 1670 in den Reichsfreiherrenstand erhoben worden war, begann man um 1675 mit dem Ausbau des schon 1656 erworbenen Hauses Visbeck. Es sollte zu dieser Zeit vermutlich zu einem der Wohnsitze der Familie ausgebaut werden. Allerdings starb der Initiator Heidenreich Droste zu Vischering (1616 Ahaus - 6. August 1678) noch während der laufenden Bauarbeiten. Durch seinen Sohn Christoph Heinrich Droste zu Vischering (1652 Vischering - 1723) wurden nur noch die angefangenen Baumaßnahmen im Jahre des Erbfalls 1678 abgeschlossen. Fortan blieb Visbeck einer der zahlreichen Gutsbetriebe, die der Absiche- rung der wirtschaftlichen Grundlagen der Familie dienten. Zur Besitz- und Wirtschaftsgeschichte Haus Visbeck liegt südlich von Dülmen und westlich der Landstraße nach Seppenrade in der Bauernschaft Dernekamp. Es wird als eines der zahlreichen Güter der Abtei Werden im Bereich von Dülmen unter der Bezeichnung villa visbech erstmals 1186 genannt. Darunter dürfte zu dieser Zeit ein Haupthof im Bereich der späteren Bauernschaft Visbeck zu verstehen sein. Aus diesem ging im Zuge der Auflösung der hochmittelalterlichen Villikationen das befestigte Haus Visbeck mit umliegenden Höfen hervor.10 1338 bis nach 1540 war Haus Visbeck an eine Familie verlehnt, die sich als Herren von Visbeck bezeichneten. Nachdem diese Familie mit Schotte von Visbeck, gen. der Letzte (1465-1540) und seinem Bruder Johannes, Dechant zu St. Mauritz bei Münster ausstarb, und das Lehen damit an den Lehnsherren zurückfiel, wurde Haus Visbeck 1548 neu an Jost von Mecheln zu Sandfort verlehnt. Schon 1555 sind dann aber die Herren von Ketteier Lehnsträger. Zu dieser Zeit wird 1572 erst- mals eine Marienkapelle bei Visbeck als Vorgän- gergebäude der noch heute stehenden Kapelle nachweisbar. Georg von Ketteier (um 1550-nach 1629)11 heiratete 1578 Anna Agnes von Ledebur und übernahm ihr Erbe, die Werburg bei Spenge (Kr. Herford). Zu dieser Zeit wurde das Haus Visbeck durch einen Verwalter geführt, der sich als Schulte zu Visbeck bezeichnete.12 Ihr Sohn Johann Ledebur von Ketteier zu Werburg verkaufte als Erbe das Gut Visbeck 1631 an Lambert von Oer zu Kakesbeck und seine Ehefrau Margaretha von Bodelschwingh auf Haus Kakesbeck bei Lüdinghausen. Schon 1636 verkauften diese Eheleute von Oer das Haus Visbeck für 1100 Rthl. wieder an Reinhard von Raesfeld und seine Ehefrau Anna von Raesfeld (Witwe des Goswin von Raesfeld zu Empte) auf Haus Darup. Zu dieser Zeit wurde das Haus Visbeck mehrmals in kriegerische Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges verwickelt: Schon 1628 hatte man bei Haus Visbeck eine Schanze angelegt, die die umherschweifenden Soldaten kontrollieren sollte.13 1639 soll es zur Zerstörung der Hauptburg und zu schweren Schäden an der Vorburg gekommen sein. Da allerdings auf Haus Visbeck schon wenige Jahre später wieder eine herrschaftliche Wohnung nachweisbar ist, dürfte das Haupthaus nur beschädigt und bald wiederhergestellt worden sein.14 1642 lebten die beiden Söhne Rainer und Goswin von Raesfeld auf Haus Visbeck. Da man das nahegelegene Haus Darup zudem 1650 verkaufte, dürfte Haus Visbeck während dieser Zeit sogar als Hauptwohnsitz der Familie gedient haben.15 Nachdem ihre Eltern und Goswin verstorben waren und als letzter dieses Familienzweiges am 11. Oktober 1655 auch Rainer von Raesfeld zu Visbeck verstarb, musste die Erbnachfolge geregelt werden. Wegen ausstehender Zahlungen in der Nachlassregelung fiel der Besitz im Jahre 1656 an den Dombursar Goswin Droste zu Vischering. 1657 wird die Familie von Vischering erstmals mit Haus Visbeck belehnt. Nachdem der Besitz in den nächsten Jahren für die Familie von Vischering end- gültig gesichert werden konnte,16 scheint man begonnen zu haben, den neuen Besitz zu einem Gutsbetrieb auszubauen, der aber wohl nicht mehr dauernd durch einen herrschaftlichen Haushalt genutzt werden sollte. Allerdings waren die aus Haus Visbeck stammen- den jährlichen Einkünfte zu dieser Zeit gleichwertig mit denen aus dem Stammsitz der Familie.17 Haus Visbeck war landtagsfähig. Es war weideberech- tigt in der Hörster, der Dernekämper und der Levesumer Mark. Dem Haus stand zudem das Markengericht in der Hörster Mark zu. Auch der grundherrlich an Haus Visbeck gebundene Besitz war erheblich: In den Pachtregistern der Zeit um 1700 werden über 90 Pächter genannt, wobei es sich allerdings nicht nur um Höfe, sondern auch um andere Pachtgüter handelte, etwa Hausstätten, die sich auf der Freiheit von Haus Dülmen befanden. Neben den einkommenden regelmäßigen Pachtgeldern fielen im Jahre 1800 auch noch die Lieferung von 135 Pachthühnern an. Andere Quellen weisen darauf hin, dass zu Visbeck im 18. Jahrhundert zusammen mit den Pachthöfen Schulze Visbeck, Altenbochum, Elverich, Hagemann und dem Kotten Schöler ein Grundbesitz von 280 ha gehörte. 171 172 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 5 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Vorburg von Nordwesten (Sommer 2009). Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? 173 Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) 7 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Ansicht der Feldseite nach Zuschütten der Gräfte (Sommer 2009). Im Jahre 1800 zählten mindestens die elf folgenden größeren Höfe zur Grundherrschaft von Visbeck: im Kirchspiel Dülmen der Hof Cord Zurhorst in der Bauernschaft Daldrup, die Höfe Böcker, Deipenbrock, Hagemann, Kellmann sowie (wohl vor 1800 verkauft) Formann und Schotte in der Bauernschaft Derne- kamp,’8 der Hof Frillinck in der Bauernschaft Wedderen sowie im Kirchspiel Seppenrade der Hof Kovott in der Bauernschaft Leversum und die Höfe Scheiper und Stockhoff in der Bauernschaft Ondrup.19 Im Jahre 1674 begann man mit einer Wiederherstellung der offensichtlich verfallenen und im Laufe des Krieges möglicherweise auch in Teilen beschädig- ten oder zerstörten Gesamtanlage und der dort stehenden Bauten. Ziel waren aber nicht nur notwendige Reparaturen, sondern offensichtlich auch ein großzügiger Ausbau der Gesamtanlage, der allerdings schon nach wenigen Jahren und vor Abschluss eines vermutlich größeren baulichen Konzeptes wieder ein- gestellt und später auch nicht mehr weitergeführt wurde. Anlass und Ziel dieser Baumaßnahmen konnten bislang nicht durch Quellen belegt werden, lassen sich aber in der von der Familie zu dieser Zeit erkenn- bar verfolgten Politik erkennen: Die Familienmitglieder bemühten sich systematisch, durch Ankauf und Ausbau von Gütern politischen Einfluss zu sichern und die Einkünfte für die Zukunft auf eine breite wirtschaftliche Basis zu stellen. Da es sich bei Visbeck um eine der ersten größeren Erwerbungen handelte, ist zu vermuten, dass man beabsichtigte, Visbeck neben der nicht weit entfernten Burg Vischering bei Lüdinghausen zunächst zu einem Ne- benwohnsitz auszubauen, nutzbar etwa als Altenteil oder zur standesgemäßen Unterkunft von jüngeren Geschwistern.20 Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte die Familie Droste zu Vischering ihren Hauptwohnsitz von der alten Wasserburg Vischering zum allerdings nur pfandweise erworbenen Haus Holtwick (Gmd. Rosendahl) bzw. in das Schloss Ahaus verlegt, da es Mitgliedern der Familie seit dem 16. Jahrhundert ständig gelungen war, das Amt eines Drosten in der Familie zu halten. Spätestens 1680 verlor Visbeck allerdings schon wieder nach wenigen Jahren seine zu vermutende besondere Stellung im Güterverband der Familie. Ebenso wie sein Vater wurde Christoph Heidenreich Droste (1652 Vischering-1723) im Jahre 1679 zum Droste der Ämter Horstmar und Ahaus ernannt. Nachdem es 1680 gelang, mit Haus Darfeld für die Familie ein weitaus bedeutenderes Gut mit dort schon bestehenden repräsentativen Bauten anzukaufen, verlegte er Ostern 1681 seinen Wohnsitz dorthin.21 Im nächsten Jahr heiratete er in erster Ehe Clara von Galen zu Assen (um 1652-nach 1700) und 1702 in zweiter Ehe Adelheid von Nagel zu Loburg. Sie scheinen als eigenen Alterssitz Haus Vischering vorgesehen zu haben. 174 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Eine Seite aus der sorgfältig vom Rentmeister geführten Abrechnung von 1677 über den Neubau der Vorburg. Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) Burg Vischering wurde auch nach 1681 als „Stammhaus" der Familie in ihrer alten Form über Jahrhunderte weiterhin unterhalten,22 neben der man aber auch noch weitere Güter und Herrenhäuser, die seit dem 17. Jahrhundert in den Besitz der Familie gelangt waren, unterhielt und zeitweilig bewohnte.23 Hierzu gehört unter anderem ihr 1699 erneuerter Hof in der Stadt Münster, das ab 1731/38 im Besitz der Familie befindliche Haus Vorhelm, der ab 1757 neu errichtete sogenannte Erbdrostenhof in Münster, dem ab 1781 auch ein Herrenhaus-Neubau in Darfeld folgte. Auf diesen verschiedenen Anwesen befanden sich wiederholt auch herrschaftliche Haushalte24 für das Familien- oberhaupt und auch als Witwensitz oder als Sitz jüngerer, noch nicht als Fideikommissherr eingesetzter Mitglieder der Familie. Weitere ererbte Herrensitze wurden nicht mehr bewohnt, aber soweit erhalten, dass man sie als Jagdhaus kurzzeitig bewohnen konnte. Hierzu dürfte auch Visbeck gehört haben, daneben aber z. B. auch Haus Bevern bei Ostbevern oder Haus Langen bei Everswinkel (beide Kr. Warendorf). Das Haus Visbeck geriet aufgrund einer veränderten Familienpolitik und verschiedener, bald bestehender baulicher Alternativen nach 1678 nicht mehr als Wohnsitz in den Blick der Familie. Der ertragreiche Wirtschaftsbetrieb25 von Haus Visbeck wurde seit der Besitzübernahme 1657 von einem Rentmeister geführt und nach 1800 verpachtet. Auf Haus Visbeck lebte daher ein Rentmeister als ständiger Vertreter der Herrschaft: 1763 wird Werneking und 1785/96 J. F. Farwick als Rentmeister genannt. Nach 1800 werden als Pächter genannt: zunächst Anton Struffmann, Bültmann genannt, 1931 dann Strotmann aus Dülmen und 1974 Wilhelm Bültmann. Mit seiner Pensionierung zum März 1997 verkaufte die Familie Droste zu Vischering das Anwesen. Zur Anlage von Haus Visbeck Haus Visbeck bestand in der Neuzeit aus einer von Wassergräben bestimmten sogenannten Zweiinselanlage. Heute ist hiervon vor Ort allerdings kaum noch etwas zu erkennen. Sowohl der 1826 entstandene Plan der Urkatasteraufnahme wie auch weitere Pläne von 1873 dokumentierten die zu dieser Zeit noch deutlich erkennbare Struktur der Anlage durch exakte Vermessungen26. In der Niederung südlich der namengebenden sogenannten Fischbecke lag in einem Teich die kleine umgräftete Insel mit dem Herrenhaus. Der Herrenhausanlage schloss sich südlich auf dem höher gelegenen Gelände eine zweite größere und rechteckige Insel als Vorburg an, auf drei Seiten von den Wirtschaftsgebäuden und dem Torhaus begrenzt. Auf der Nord- und Ostseite wird die Gesamtanlage von einem offensichtlich aufgeschütteten Wall, einer äußeren Gräfte und wohl einem zweiten äußeren Wall begrenzt. Westlich der Anlage befand sich mit etwa 100 m Entfernung die zum Gut gehörige Was- sermühle mit eigenem Stauteich. Diese komplexe Struktur der Gesamtanlage dürfte in einem bislang nicht bekannten Prozess entstanden sein. Es ist davon auszugehen, dass der Kern ein hochmittelalterlicher Haupthof war, der auf dem Gelände der höher liegenden Vorburg zu suchen sein dürfte. Daneben legte man zu nicht näher bekannter Zeit in der Niederung ein Herrenhaus an, das wohl im Laufe des 16. und frühen 17. Jahrhunderts mit einer Außengräfte und zusätzlichen Wällen weiter gesichert wurde. Die regelmäßige Gestaltung der Vorburg und die für ihre Anlage in das Gelände eingetieften Gräften lassen vermuten, dass sie in dieser Größe auf eine Neugestaltung in der frühen Neuzeit zurückgeht, möglicherweise in dieser Form auch erst im Zuge des Neubaus 1677 entstanden ist. Über Alter, Entwicklung, Größe und Gestalt des Herrenhauses ist bislang nur sehr wenig bekannt. Einige archäologische Befunde zur Fundamentierung des Herrenhauses konnten 1974 aufgedeckt werden.27 Ebenso ist nicht bekannt, bis wann es bestand. 1655 wird der Bau in seinen groben Zügen beschrieben (s. weiter unten) und 1675/76 renoviert bzw. neu ausgestattet.28 Es ist wohl erst zu nicht näher bekannter Zeit im späteren 19. Jahrhunderts abgebrochen worden (ob es sich bei dem kleinen Bau, der 1826 auf dem Urkataster und noch 1873 auf Karten auf der Insel verzeichnet wurde um das Herrenhaus oder ein später dort stehendes Wirtschaftsgebäude handelt, ist nicht bekannt), wobei noch bis in das frühe 20. Jahrhundert der Burgplatz mit der verlandeten inneren Gräfte erkennbar blieb. Seit dem 19. Jahrhundert veränderte sich die Umgebung mit Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Betrieb entscheidend: Zunächst schuf man knapp östlich der Anlage eine Chaussee, später auch eine Bahnlinie. Ab 1872 legte die Firma Krupp in Essen nordwestlich der Anlage die Abschussanlagen eines mehrere Kilometer langen Schieß- und Ver- suchsplatzes an, der zwar von ihr nach wenigen Jah- ren wieder aufgegeben, danach aber noch länger durch das Militär genutzt worden ist. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden alle Gräften verfüllt und zudem die ehemalige Mühlenanlage völlig eingeebnet. 175 176 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 9 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Die 1747 erneuerte achteckige Kapelle vor Haus Visbeck mit dem 1889 errichteten Anbau (2010). Zustand der Anlage in einem Nachlassverzeichnis von 1655 Das Verzeichnis, das nach dem Tode über den Nachlass von Rainer von Raesfeld zu Visbeck aufgestellt wurde29, gebraucht zahlreiche Raum- und Ortsangaben, die nicht zuletzt durch die Reihenfolge ihrer Nennung Gestalt und teilweise auch die innere Gliederung der Bauten und ihre Stellung innerhalb der Anlage erkennen lassen. Hieraus kann der Zustand von Haus Visbeck und der dort vorhandenen Bauten Anfang November 1655 in groben Zügen erschlossen werden: Offensichtlich wurde bei der Brauhaus aufgenommen wurde, folgten die eigentlichen Wohnräume: Genannt werden uffr Kammer und im Stuben. Nachdem dort alles erfasst worden war, scheint man sich erneut den Wirtschaftsgebäuden auf der Vorburg zugewandt zu haben: Nun wird das Vieh (Pferde, Kühe, Schweine, 106 Schafe, 42 Ziegen, Gänse etc.) gezählt und bewertet. Zuletzt folgte als umfangreichster Teil des Verzeichnisses das, was sich in der Schreibstube und in einem weiteren im großen Cantor genannten Verwaltungsraum befand. Bei dem Herrenhaus scheint es sich nach den Raum- nennungen um einen traditionellen Bau gehandelt zu Verzeichnung auf der Vorburg begonnen und danach haben, dessen hohes Erdgeschoss von einer Eingangs- stehend und dann zwei weitere, die auf dem großer Raum als Küche an. Am Ende des Hauses, das nach Vergleichsbeispielen zweigeschossig aufgeteilt war, befand sich ein unterkellerter Saal {auf der Kam- die weiteren Besitztümer im Herrenhaus genannt. Zunächst werden genannt: eine Kiste an der Pforte Brauhaus stehen. Dann folgen Gegenstände auf der Pforte und Gegenstände im Brauhaus. Nun folgt ein Verzeichnis von Nahrungsmitteln wie Speck, Schinken und Würste, die sicherlich in der Küche verwahrt wurden. Traditionell war dies selbst in einfachen Herrenhäusern bis in das 17. Jahrhundert der Haupt- und Erschließungsraum im Erdgeschoss. Danach folgte als Raumangabe ein Lagerraum oben der Küche. Weiter wurden die Gegenstände in der untersten Kammer verzeichnet. Nachdem noch einmal Weiteres im küche eingenommen wurde, die auch ein großes Herdfeuer aufnahm. Daran schloss sich ein zweiter mer) sowie eine Stube und noch eine oder mehrere Kammern. Zu vermuten ist, dass sich die beiden zum Schluss des Verzeichnisses genannten Räume der Verwaltung {Schreibstube und der große Contor) ebenfalls im Herrenhaus befanden. Denkbar ist hierfür sowohl ein Anbau an das Herrenhaus wie auch ein Einbau, der von der Küchendiele abgetrennt wurde. Ein Obergeschoss des Herrenhauses wird aus dem ine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? 177 Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) 10 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck, Torhaus. Ansicht des Tores mit den bauzeitlichen Flügeln im geschlossenen Zustand (2009). Verzeichnis nicht erkennbar. Auf der wohl wenig spä- ter erneuerten Vorburg von Haus Visbeck wird am Anfang des Rundganges ein Torhaus (Pforte) sowie ein Wirtschaftsgebäude mit Ställen und Brauküche (Brauhaus) beschrieben. Nach dem Herrenhaus folgten Ställe sowie Schreibstube und der große Contor. Hierbei könnte es sich um Räume handeln, die in dem seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr erhaltenen östli- chen Bau der Vorburg lagen. Es darf demnach als Bauhaus mit Diele und seitlichen Ställen sowie einer Wohnung für den Rentmeister interpretiert werden (hierbei wurde dessen Wohnung nur in Bezug auf die herrschaftliche Verwaltung erfasst, da sie im Übrigen von ihm selber mit Ausstattung versehen wurde). Umbau und Erweiterung der Anlage 1674-1678 Die gesamte Anlage wurde ab 1674 erneuert. Die Baumaßnahmen scheinen allerdings nicht Ausdruck veränderter oder gestiegener Wirtschaftskraft des Gutes gewesen zu sein, sondern dokumentieren die veränderten Ansprüche der neuen Herren zu Visbeck. Zunächst stellte man 1674/75 das alte in einer Gräfte gelegene Herrenhaus wieder her und stattete dieses neu aus.30 In den folgenden Jahren begann man damit, die Wirtschaftsbauten der Vorburg (zumindest im ihrem westlichen Teil) zu erneuern, wobei die Gesamt- 11 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck, Torhaus. Der linke Torflügel nach der Restaurierung (2011). 178 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen anlage wohl zugleich erweitert und auch in die rechteckige Form gebracht wurde. Möglicherweise lag der ältere Kern des Wirtschaftshofes im Osten der Vorburg mit dem Bauhaus, das in den Baurechnungen nicht vorkommt, daher wohl im Bestand erhalten blieb und weiter genutzt worden ist. Bei dem aus den erhaltenen Rechnungen zu erschließenden Ausbau der wohl zugleich vergrößerten Vorburg gab man ihr die bis heute prägende rechteckige Form und bebaute sie entlang des westlichen und südlichen Randes mit einer Reihe von Wirtschaftsgebäuden. Als Voraussetzung mussten deswegen zunächst auch erweiterte Gräften ausgehoben und angestaut werden. Zudem mussten zunächst offenbar auch die bisherigen und anderen Mitgliedern des Wirtschaftsbetriebes gedient haben). Zwischen diesen großen Wirtschaftsbauten entstand als südlicher Abschluss der Vorburg eine schmalere Baugruppe, deren Nutzung heute nicht bekannt ist und von der heute nur noch ein kurzer westlicher Bauteil erhalten geblieben ist. Als einzige größere nachweisbare Baumaßnahme des 18. Jahrhunderts wurde die Kapelle im Jahre 1747/49 erneuert und 1752 durch die Stiftung einer Vikarie abgesichert,35 womit der Pächter des Gutes von der Unterhaltung der Kapelle und dem Unterhalt des Priesters entbunden wurde. Seitdem wurden dem Vikar aus den Erträgen des Hauses pro Jahr 100 Rthl. ausgezahlt.36 Zu seiner Unterbringung scheint man Standorte verschiedener Wirtschaftsbauten verlegt werden. So errichtete der örtliche Zimmermeister Johann Möllers als Ersatz einer schon im 15. Jahr- fortan die Wohnung im Torhaus genutzt zu haben. Der Pächter dürfte seitdem wieder im Wohnteil des verkleideten Schafstall und auch ein neues Wagenhaus.33 An welchen Orten man alle diese Bauten errichtete, ist nicht bekannt; sie standen aber sicherlich nicht alle - wie etwa die Mühle oder der Schafstall - auf der Vorburg, doch gibt selbst der 1826 erstellte Urkatasterplan hierüber keine Auskunft. 1677 erneuerte man auch die Schleuse zur Wasserführung der Gräften. Erst anschließend wurde in den Jahren 1677 bis 1679 das neue und bis heute einzig erhaltene Wirtschaftsgebäude der Vorburg mit einem großzügi- den Anbau eines Langhauses wesentlich erweitert. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sind alle Gräf- hundert nachweisbaren Mühle31 eine neue Korn- und Ölmühle aus Fachwerk,32 einen neuen mit Brettern gen Umriss errichtet, das offensichtlich als Blickfang in der Zufahrt zu der vergrößerten und in barocken Formen umgestalteten Vorburg werden sollte. Ent- sprechend seiner die Anlage nach Außen abgrenzenden Wirkung wurde der Neubau als wehrhaft gestaltet, indem man seine karge und weitgehend fensterlose Westwand mit einer dichten Reihe von kleinen und wohl nicht nutzbaren Schießscharten dekorierte. 1678 wird auch die offenbar schon zuvor vorhandene und der Maria geweihten Kapelle zu Visbeck mit einer Zustiftung bedacht.34 Sie stand an nicht bekannter Stelle. Die Vorburg war noch bis in das 19. Jahrhundert auf drei Seiten bebaut. Entlang ihrer heute leeren östlichen Seite stand nach dem Urkatasterplan von 1826 ein großes Gebäude, das zu dieser Zeit nach mündlicher Überlieferung als Wohnhaus des Pächters diente. Die Proportionen lassen vermuten, dass es sich um ein traditionelles Bauhaus gehandelt hat, das neben Ställen für Kühe und einer großen Wirtschaftsdiele auch einen Wohnteil umfasste. Diesem Gebäude gegenüber errichtete man als westliches „Pendant" ab 1677 ein weiteres Wirtschaftsgebäude, das Pfer- deställe und Brauküche sowie eine Wohnung für den Rentmeister aufnahm (die Wohnung im östlichen Wirtschaftsgebäude dürfte seitdem dem Bauknecht östlichen Wirtschaftsgebäudes, möglicherweise auch zunächst im leer stehenden Herrenhaus gewohnt haben. Die Kapelle wurde 1889 noch einmal durch ten verlandet bzw. zugeschüttet worden. Sie zeichnen sich heute im Gelände kaum noch ab. Die Zugbrücke vor dem westlichen Tor des Torhauses ersetzte man hierbei zunächst durch einen aufgeschütteten Damm. Später schuf man als Ersatz der Durchfahrt eine im Bereich der ehemaligen Gräfte angelegte, um das nördliche Ende des Torhauses herumgeführte neue Zufahrt zum Hofplatz. Das Torhaus (von 1677/78) Die Errichtung des westlichen Gebäudes der Vorburg war die größte der während des umfangreichen ab 1674 begonnenen Sanierungs- und Ausbauprojektes von Haus Visbeck durchgeführten Baumaßnahmen. Der Neubau diente als Torhaus, das wohl auch die Wohnung des Rentmeisters enthielt, zugleich aber auch Pferde- und Fohlenstall und nahm am südlichen Ende zudem das Brauhaus des Gutes auf. Die weiten Böden über dem Gebäude wurden zweigeschossig zur Lagerung des Pferdefutters und wahrscheinlich auch des zum Brauen vorgesehenen Getreides ausgebaut und konnten unmittelbar von der Durchfahrt aus beschickt werden. Ferner erhielt der Neubau einen offensichtlich insbesondere der Repräsentation dienenden Turm an der südwestlichen Ecke, in dem auch mehrere Kammern - wohl für auf dem Gut lebende Bedienstete - entstanden. Bemerkenswert ist nicht nur die Vielfalt verschiedenster Aufgaben und Funktionen, die in dem Neubau untergebracht werden sollten, sondern die überzeugende Lösung, die man hierbei sowohl in der einheitlichen äußeren Gestaltung wie auch in der komplexen inneren Struktur fand. Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) 12 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Grundriss des 1677-1678 errichteten neuen Tor- und Bauhauses auf der Vorburg. Rekonstruktion des bauzeitlichen Zustandes auf der Grundlage der bei den Bauarbeiten 2010 erhobenen Befunde. Errichtung nach den erhaltenen Quellen Der Neubau wurde in nur zwei Jahren - 1677 und 1678 - errichtet. Diese Bauzeit ergibt sich aus ver- schiedenen Datierungen: 1677 auf dem äußeren und dem inneren Torbogen, ANNO 1677 über der heute umgesetzten Tür zur nördlichen Wohnung sowie einer an der Feldseite neben dem Tor angebrachten und 1678 datierten Wappentafel. Neben dieser vierfachen Datierung des Gebäudes lassen sich die gleichen Baujahre aus den überlieferten archivalischen Quellen erschließen. Durch die erhaltenen Abrechnungen über diese Bauarbeiten lassen sich die Bauarbeiten auf den Zeitraum zwischen Juni 1677 und Frühjahr 1679 fixieren. Der Ablauf der Bauarbeiten an dem in den Quellen öfters als neues Vißbecksches Haus bezeichneten Wirtschaftsgebäude ist ausführlich in den erhaltenen jährlichen Abrechnungen des auf Visbeck lebenden Rentmeisters dokumentiert. In seinem allgemeinen Kassenbuch notierte er akribisch alle Ausgaben, die im Jahresverlauf anfielen. Da er also keine gesonderte Abrechnung der Baustelle führte, sind seine Aufzeich- nungen in Bezug auf die Baustelle nicht sehr über- sichtlich. Nicht alle in Visbeck abgerechneten Arbeiten konnten daher speziell diesem Neubau zugeordnet werden,37 denn zur gleichen Zeit fanden auch laufende Unterhaltsarbeiten an anderen Bauten von Haus Visbeck und darüber hinaus auch Bauarbeiten an anderen zum Gut gehörenden Gebäuden statt.38Zudem wurden auch zwischendurch Arbeiten an verschiede- nen zum Gut gehörenden Pachtkotten und zu Erbpacht vergebenen Bauernhäuser abgerechnet. Dennoch lassen sich Ablauf, Kosten sowie die be- schäftigten Handwerker des im Laufe des Jahres 1677 erstellten Rohbaus gut aus den Rechnungen erschließen, aber nur noch einzelne Details des im Laufe des Jahres 1678 durchgeführten Innenausbaus. Es ist davon auszugehen, dass man mit den Bauarbeiten im Juni 1677 begann und den Rohbau noch bis Ende des Jahres fertigstellte und unter Dach brachte. Erst nach einer Pause im Frühjahr 1678 wurde der Innenausbau ausgeführt, der noch mindestens bis zum Dezember dauerte. Die im Haushaltsjahr 1677 abgerechneten Kosten für den Rohbau betrugen etwa 1300 Rthl., während der Innenausbau 1678 mindestens weitere 200 Rthl. erfordert haben dürfte. Damit erwies sich der Neubau für das Gut als nicht besonders kostspielig, denn im Durchschnitt betrugen auch die jährlich erwirtschafteten Einnahmen etwa 1500 Rthl. Vor diesem Hintergrund konnten selbst in den Jahren der Bauarbeiten alle anfallenden Kosten aus den laufenden Einnahmen bezahlt und dennoch dem Droste zu Vischering noch ein kleiner Reinertrag ausgezahlt werden. Als Leiter für die Baumaßnahme wurde Heinrich Ester, der Maurermeister, verpflichtet, der ebenso wie die offensichtlich als seine Poliere auf der Baustelle tätigen Heinrich und Johann von Haltern im Tagewerk arbeitete.39 Hierzu hatten sie einen Kerbstock, den etwa alle vier Wochen der Rentmeister abrechnete. Der Vertragsabschluss mit ihnen allen erfolgte am 1. Juni 1677 durch Vorauszahlung von 10 Rthl. ad Computern, die man bei den späteren Abrechnungen verrechnete. Einen ebensolchen Vertrag erhielten auch der Ziegelmeister Berend Rosenbaum aus Dülmen40 sowie Johan Rendolf in den Baumbergen zur Lieferung von Sandsteinen.4' Heinrich Ester leitete nicht nur die Baustelle, sondern war auch für Be- und Verar- 179 180 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen beitung der gelieferten Sandsteine zuständig. Auf Visbeck arbeitete zudem der dort auch über viele Jahre nachweisbare und wohl auch lebende Zimmer- meister Johann Möllers, der offensichtlich für alle Zimmerarbeiten verantwortlich war.42 Neben diesen leitenden Handwerkern arbeiteten auch zahlreiche Personen, die in den Quellen Steinebrecher, Maurer, Sägeschneider, Zimmermann oder Handlanger genannt werden. Maurermeister Ester beschäftig- te zudem fünf eigene Knechte, in den Quellen auch als seine Consorten bezeichnet werden. Großen Aufwand erforderte die Beschaffung des benötigten Baumaterials, das man keineswegs nur in der Umgebung oder auf dem zu Visbeck gehörenden Land gewinnen konnte. Das Material scheint weitge- hend erst zu dem Zeitpunkt angeliefert worden zu sein, an dem es auf der Baustelle benötigt wurde. Daher verdeutlichen die in den Quellen nachweisba- ren Lieferungen wohl auch den Fortschritt auf der Baustelle. Bemerkenswert ist, dass der Rohbau nach knapp sechs Monaten fertiggestellt und unter Dach gebracht war: Da das Gebäude bis auf Teile der Hoffront mas- sive Umfassungswände erhielt, ging es zunächst um notwendiges Steinmaterial: Die für den Bau notwendigen Sandsteine (für die Gewände der Öffnungen, Bodenplatten, Treppen etc.) wurden aus den Baumbergen geliefert. Daneben wurden aber auch mindestens zwei weitere Steinbrüche für Kalksteine (zum Brennen von Mauerkalk) sowie für Bruchsteine zum Vermauern in den Sockeln und Fundamenten genutzt: Mit dem Kalksteinbrechen und -brennen hatte man schon Monate vor Baubeginn angefangen: Ein Steinbruch lag in Seppenrade, ein weiterer in den Borkenbergen. Für den Bau scheint man etwa 70 000 Backsteine benötigt zu haben. Die meisten Backsteine lieferte zwar ab Juli 1677 der vertraglich eingebundene Ziegelmeister Rosenbaum in Dülmen,43 doch kaufte man mehrmals auch kleinere Lieferungen aus einer Ziegelei in Lette.44 Schon im Juli wurden zudem 5 000 Dachpfannen geliefert.45 Im August wurde dann auch das Holz für die Hoffront aus Fachwerk, die Balkenlage, das Dachwerk, die Giebeldreiecke und die Innenwände beschafft: Hierzu verarbeiteten die örtlichen Zimmerleute aus den Waldungen des Gutes stammendes Holz, doch kaufte man auch elf Stämme in der Davert, die dort gefällt und zu Brettern geschnitten und erst dann auf die Baustelle geliefert wurden. Viel Arbeitszeit erforderte das Zusägen der Balken, Ständer, Riegel, Sparren und Dachlatten. Die durch mehrere Gruppen parallel durchgeführten Arbeiten wurden nach Länge der fertigen Hölzer angerechnet: Ein Sägeschneider mit seinen Leuten erhielt für 1 425 Fuß Holz etwas über 6 Rthl., weiteres Holz in der Länge von 3 233 Fuß lieferte der örtliche Meister Möllers und Holz in der Länge von 2 259 Fuß der Meister Diethenrich Holthaus. Das Gerüst der Hoffront, der Innenwände und des Daches 13 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Datierung auf dem äußeren Torbogen. Darüber umfangreiche Befunde für die bauzeitliche Fassadenbemalung: Sandsteingewände weiß. Backsteinflächen rot mit weißen Fugen, Ornamentstreifen unter dem Abschlussgesims (2010). Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) scheint man schnell verzimmert zu haben, denn die Inschrift am Torbogen der Hofseite nennt als Datum des Aufrichtens den 2. September: ANNO 1677 DEN 2. 7BRIS [September] IS VP GERICHTET WORDEN DIS HAUß / DER EINE WIRT ES LOBEN DER ANDER WIRT ES LACHEN. WER KANS EIN / IEDEN ZU DANCKE MACHEN. Da nach den Rechnungen als Letztes im September auch die Dachlatten geliefert wurden, scheint man das Dach schon kurz nach der Haushebung damit beschlagen zu haben: Für die Herstellung von 1750 Fuß Latten berechnete der Zimmermann Böckers aus Vischering mit seinen Leuten 7/2 Rthl., weitere 1000 Fuß Latten erstellte der örtliche Zimmermeister Möllers. Im Laufe des Novembers wurde das Dach mit den schon länger bereitgestellten Pfannen durch Leiendecker Heinrich Lammers und seine Leute eingedeckt. Einschließlich der benötigten 10 000 Pfannen- nägel kostete ihre Arbeit etwa 100 RthL Auch das offensichtlich mit Blei eingedeckte Turmdach wurde noch im Dezember fertig. Schmiedemeister Bernd Schmidt aus Dülmen erhielt für die Stange aufm Turm in Vißbeck und weitere Arbeiten über 20 RthL und im Februar 1678 wurde der Witwe Zacharias Waltmann in Lüdinghausen 38 Rthl. für das Blei zum Turm gezahlt. Unmittelbar nachdem die Dächer im Dezember 1677 14 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Aborterker der Woh- nung am nördlichen Giebel des Torhauses. Der Fallschacht darunter wurde erst im 20. Jahrhundert gemauert (2009). dicht waren, begann man mit dem Innenausbau. Noch Ende November rechnete der Meister Ester die Arbeiten für die Steine zum Schornstein, Treppe zum Keller sowie für das Fensterwerk und an den Türen ab und Mitte Januar 1678 dann für 370 Quadratfuß gelieferter Fußbodenplatten. Danach ruhten die Bauarbeiten bis zum späteren Frühjahr 1678. Es ist zu vermuten, dass man abwartete, bis der Rohbau getrocknet war. Im April arbeitete Zimmermeister Mollers an der neuen Brücke. Im Mai ist auch wieder Maurermeister Ester auf der Baustelle. Er arbeitete bis Ende Oktober mit seinen Leuten in dem neuen Brauhaus, an der Mauer an der neuen Brücke und an anderen Stellen. In dieser Zeit dürften sie die Außenwände verfugt und die Innenwände verputzt haben. Die weiteren Schritte des wohl bis Ende des Jahres 1678 laufenden Innenausbaus sind leider aus den Quellen kaum noch detaillierter zu erfassen und nachzuvollziehen: Im Juni wird eine Pumpe im Brauhaus aufgestellt und Ende Juni erhält Meister Dierich aus Lüdinghausen für getanes Zimmerwerk 47 Rthl. und Ende August rechnet Hermann Lau 500 Fuß trockene planken zur Verfertigung von Türen und Fensterwerk an dem newen Gebäue zu Vißbeck ab. Zimmermeister Möllers rechnete im Dezember seine Arbeiten an dem neuen Füllen-Stall auf der neuen Delle und am Pferdestall ab. 15 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Aborterker der Wohnung am nördlichen Giebel des Torhauses. Innere Zugangstür mit Blatt von 1678 (Zustand 2009). 181 182 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Beschreibung und Raumstruktur des Gebäudes Das Gebäude wurde entlang der westlichen Schmalseite der Vorburg über deren ganze Länge mit einer Grundfläche von 28,30x10,85 m errichtet. Vor der südwestlichen Ecke errichtete man zugleich einen Turm über nahezu quadratischem Grundriss (3,90x 4,20 m), der die Ecke des Gebäudes um ca. 1,25 m überschneidet. Die den Wasserflächen zugewandten drei Wände sowie der Turm stehen auf den massiven, von Bruchsteinen aufgemauerten Futtermauern (mit einer Höhe von etwa 3 m über dem ehemaligen Wasserspiegel der Gräfte) und sind über einem sandsteinernen Gesims von Backsteinen im Kreuzverband auf- gemauert (die Stärke der Längswände von 0,60 m entspricht zwei Steinen), während man die hofseitige Längswand (bis auf den nördlich des Torbogens befindlichen Abschnitt von 5,25 m Länge) aus Fach- werk mit zwei Riegelketten verzimmerte und mit einer Backsteinausmauerung schloss. In gleicher Weise wurden auch die beiden Giebeldreiecke sowie die wenigen, vereinzelt mit langen Ständer-StänderStreben ausgesteiften Innenwände verzimmert. Viele der vermauerten Backsteine zeigen zwar blau geschmauchte Köpfe, doch sind sie nicht in ornamen- taler Anordnung vermauert. Nachdem die Zimmer- leute die leicht vorstehenden Balken auf die Krone der 16 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Balkende- cke über der Tordurchfahrt mit profilierten Balken und Aufzugsluke zum Dachboden (2009). massiven Westwand aufgelegt hatten, wurden ihre Zwischenräume ebenfalls mit zwei Lagen von vorstehenden und diagonal als „deutsches Band" vermauerten Backsteinen geschlossen. Zur weiteren Sicherung des Dachwerkes erhielt jeder zweite Balken einen die Fassade schmückenden, in doppelten Schnecken ausgeschmiedeten Eisenanker. Alle Öffnungen in den massiven Wänden erhielten innen aus Backstein gemauerte Überfangbögen und an den Außenseiten Gewände aus Baumberger Sandstein. Hierzu gehören die Reihe sehr kleiner, schlüssel- lochartiger „Schießscharten", die in regelmäßigem Abstand die westliche Front zieren und in rechteckige, vor die größeren Wandnischen gesetzte Platten gearbeitet sind. Brauküche sowie der nördliche Wohnbe- 17 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Balkendecke über der Wohnung mit fein profilierten Unterzügen (2009). reich erhielten größere Fensteröffnungen mit Kreuzstockrahmen. Besondere gestalterische Aufmerksamkeit zeigt das äußere Tor der Durchfahrt, da es offensichtlich als neue Hauptzufahrt zur ganzen Anlage diente: Das Tor erhielt ein breites Gewände aus Sandstein (mit der Datierung im Scheitel) und wurde von innen mit zwei an jeweils zwei starken Eisenbändern aufgehängten Torflügeln verschlossen. Diese konnten von innen durch in den anschließenden Wänden laufende Stangen gesichert werden. Um den Torbogen mit einem weiteren Schlagfalz für die hölzerne Zugbrücke zu umgeben, ist der Torbogen leicht zurückgesetzt. In den Zwickeln über dem Bogen gab es offenbar später zwei vermauerte Öffnungen für die Kette der Brücke und seitlich des Schlagfalzes wurde rechts für jeden Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) über die Brücke Ankommenden gut sichtbar eine mit fein profilierten Sandsteingewände umgebene Wappentafel angebracht. Sie trägt das Wappen der Familie Vischering und die Datierung 1678. Über dem Baukörper schlug man aus gesägtem Eichenholz em Sparrendach mit einer hoch sitzenden Kehlbalkenlage auf, das in der unteren Hälfte in jedem zweiten Gebinde durch liegende Stühle mit einer Spannbalkenlage ausgesteift ist. Die Stühle sind im Längsverband durch ein Rähm und eine mittlere Riegelkette verbunden und zudem mit langen, über die Riegel geblatteten Kopfstreben ausgesteift. Die Sparren stehen auf einer auf den Balkenköpfen liegenden Sparrenschwelle, die am Fuß gekrümmten Stuhlsäulen unmittelbar auf den Balken. Die Spannbalken sind durch geschweifte Kopfbänder zu den Stuhlsäulen unterstützt und trugen ehemals eine Dielung, sodass das gesamte Dachwerk in zwei Ebenen (auf den Dachbalken und auf den Spannbalken) gut zu Lagerzwecken genutzt werden konnte. Die beiden heute nicht mehr erhaltenen Giebeldreiecke waren von nicht vorkragendem Fachwerk verzimmert, das mit geschwungenen Streben die gleiche Ausführung wie das Fachwerk der unteren Wände zeigte und wurde mit Backstein ausgemauert. Auffallend ist die bis 1930 erhaltene reiche Durchfensterung des nördlichen Giebeldreiecks mit vier nebeneinander befindli- chen Kreuzstockfenstern (dazwischen der bauzeitliche Zug des Kamins aus dem Wohnbereich), unten jeweils mit Schlagläden und darüber mit einer rechteckigen Bleiverglasung versehen. Da sich in dem Dachwerk keine ehemals vorhandenen Innenwände nachweisen lassen, ist es allerdings zweifelhaft, ob dieser Befund als Beleg für einen ehemals vorhandenen größeren Raum im nördlichen Dach gewertet werden kann. Das Innere des Gebäudes ist durch zwei Querwände von Fachwerk in drei unterschiedlich lange Abschnitte unterteilt, sodass vor beiden Giebelfronten abge- trennte Sonder-Bereiche geschaffen werden konnten: Nördlich entstand in der Breite von zwei Gefachen ein unterkellerter Wohnbereich, südlich in der Länge von drei Gefachen eine große Brauküche. Dazwischen befand sich als zentraler Bestandteil eine weite Wirtschaftsdiele von sieben Gefachen Länge, die im nördlichen Bereich zugleich als Durchfahrt zum Hof und Ladeort der Dachböden sowie südlich davon als Schirrplatz und Pferdestall diente. Hierdurch konnten bei Ankunft auf Haus Visbeck noch in dem Gebäude, vor Erreichen des Hofes der Vorburg, Reiter ihre Pferde abschirren und abstellen sowie auch die Pferde vor Fuhrwerken und Kutschen ausgespannt werden. Zu diesem Zweck war der südlich an die Durchfahrt anschließende Bereich weitgehend ungeteilt und hier nur entlang der westlichen massiven Wand zur Gräf- 18 Dülmen - Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Dachwerk mit zwei Lagerböden (Zustand 2009). 183 184 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen te in einer Länge von vier Gefachen ein im Lichten 3,40 m breiter Stallbereich abgetrennt. Da dieser 1941 vollständig entfernt wurde, sind alle Details seiner Konstruktion sowie Aufteilung und Erschließung dürften als Kammern des Hausgesindes genutzt wor- schossig aufgeteilt war (Ställe mit darüber befindli- cken auf Balkenlagen aufgeführt und erhielt ein Zeltdach. Während das Erdgeschoss nur mit kleinen Lu- nicht mehr bekannt. Allerdings lässt sich an der westlichen Wand noch ablesen, dass der Einbau zweige- chen Lagerbühnen bzw. wahrscheinlich Knechtskammern), wobei die Ställe durch drei kleine Luken hinter Schießscharten belichtet waren. Das Rähm der inne- ren Längswand reichte als Unterzug unter den nördlich anschließenden Dachbalken über die Durchfahrt bis zur nördlichen Querwand. Die Dachbalkenlage wurde mit Kopfbändern zu den Ständern der östli- chen Hofwand wie zur Stallwand abgestützt und gesichert. Auch die Brauküche ist aufgrund der Umbauten des 20. Jahrhunderts nur noch in ihren weiten Abmessun- gen von 7x10 m mit einer Grundfläche von 70 qm erfassbar. Sie wurde im Südgiebel von zwei großformatigen Kreuzstockfenstern belichtet, während sich die hier notwendigerweise vorhandene Feuerstelle offenbar in der Mitte der nördlichen Trennwand be- fand (schon auf den ältesten fotografischen Auf- nahmen des Gebäudes ist hier kein Schornstein mehr erkennbar). Nach den Baurechnungen gab es einen Brunnen mit einer darüber 1678 eingebauten Pumpe in der Küche und der Boden wurde zur gleichen Zeit mit Sandsteinplatten ausgelegt. In dem Raum lag auch der Zugang zu den Räumen in dem Eckturm. Sie den sein, sodass die Brauküche wohl auch ihrem Aufenthalt und die dortige Feuerstelle als Kochstelle diente. Der vor die südwestliche Ecke des Wirtschaftsgebäudes gestellte Turm ist dreigeschossig mit Zwischende- ken belichtet ist, erhielten die Räume der beiden Obergeschosse kleinere rechteckige Fenster. Es dürfte sich um Wohnräume handeln, in denen möglichweise Gesinde untergebracht werden konnte.46 Der Bereich nördlich der Durchfahrt wurde zweigeschossig ausgebaut. Beide Geschosse erhielten nur Zugänge von der östlichen Seite und damit vom Wirtschaftshof. Das nur wenig eingetiefte Kellergeschoss hat umlaufend massive Wände, eine Balkendecke und blieb offenbar ungeteilt. Darüber schuf man eine zwei Räume umfassende Wohnung, die über eine weit in den Hof reichende massive Freitreppe und ein sand- steinernes Portal mit Datierung 1677 im Sturz zu betreten war (beides wurde 1931 umgearbeitet und an die westliche Längswand versetzt). Dieser Wohnteil erhielt einen in den Raumgrößen ausgesprochen aufwändigen Zuschnitt, große Kreuzstockfens- ter und eine aufwändige Ausstattung; der frei über die Räume gespannte Deckenbalken wurde jeweils von einem sorgfältig profilierten Unterzug getragen, ein Hinweis, dass es sich um eine nicht verputzte Balkendecke mit aufgelegten Dielen handelt. Vor dem 19 Dülmen - Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Detail der Fassadenbemalung im Bereich des Abschlussgesimses (Zustand 2009). Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) Hintergrund dieser Ausstattung dürfte der Wohnteil kaum als eine Gesindewohnung oder Unterkunft eines Torwärters zu verstehen, sondern wohl dem Rentmeister zur Verfügung gestellt worden sein. Von hier aus konnte er den gesamten Verkehr zu und von dem Gut sowie die Lieferung der Abgaben unmittelbar überwachen. Da kein Raum vorhanden war, der als Küche mit einem Herdfeuer dienen konnte, dürfte allerdings seine Verpflegung über den Gesindetisch (wohl im Brauhaus) erfolgt sein. Der hofseitige Raum mit zwei Fenstern ist daher als sein Büro und Registratur (Rentei) zu interpretieren, der daran nach Westen anschließende Raum mit nur einem Fenster hingegen als Wohn- und Schlafkammer. Beide Räume sind gleich groß und haben eine Grundfläche von 9x9,50 m (ca. 80 qm). Beide Räume scheinen schon bauzeitlich nur mit einem Ofen beheizbar gewesen zu sein, aufgestellt in der Raumecke vor einem Schornstein in der Mitte des nördlichen Giebels. Zudem erhielt jeder der beiden Räume einen mit Türen in Sandsteingewänden abgeschlossenen Aborterker: Der eine ist unverändert erhalten und befindet sich über der Gräfte im Nordgiebel, der andere befand sich am Nordende der östlichen Längswand, die daher ebenfalls im Wasser gestanden haben dürfte. Überlieferte Details der historischen Ausstattung Das 1677-1678 errichtete Gebäude ist heute nur noch in seinem Rohbau-Zustand überliefert. Die histo- rische Gestaltung seiner Oberflächen sowie nahezu alle Teile des Innenausbaus sind aufgrund der insbesondere im 20. Jahrhundert vorgenommenen Veränderungen verloren. Es ist allerdings auf einige erhaltene Details und bemerkenswerte Befunde hinzuwei- sen. Gestaltung der Fassadenoberflächen: Dezidierte Nachrichten über die im Bestand noch nachweisbare, wohl bauzeitliche flächige Farbgestaltung der Oberflächen waren in den archivalischen Quellen nicht zu finden. Die Schlämmung der Wände dürfte daher zu den Arbeiten gehört haben, die der bauleitende Meister Ester mit seinen eigenen Leuten im Sommer 1678 durchführte. Einziger Hinweis auf eine Farb- fassung der Wände scheint zu sein, dass am 15. Mai 1678 Glasmacher Storp zu Dülmen sechs Rthl. wegen Anstreichung des Vißbeckschen turms erhielt. Erhalten haben sich umfangreiche Reste der farblichen Gestaltung sämtlicher Außenwände. Sie wurden alle in der gleichen Weise gestaltet, wodurch die östliche Fachwerkfront zum Hofplatz gestalterisch offensichtlich auch den Backsteinfronten angepasst worden ist. Das Mauerwerk aus Backstein wurde mit Feinmörtel glatt verstrichen und danach mit rot eingefärbter Kalktünche deckend geschlämmt. Hierbei verschwanden auch sämtliche schwarz eingefärbten Backsteine (Einfärbung wohl durch Schmauchen während des Brandes, teilweise auch mit gesinterter Oberfläche). Anschließend versah man die gesamte Fläche mit einer weißen Fugenmalerei aus gleichmäßigem Läu- ferverband, die sich nicht an dem tatsächlichen Fugenbild orientiert. Die oberen, die Mauer abschließenden Gesimse aus schräg vermauerten Backsteinen waren in der oberen Steinreihe weiß und in der unteren rot gefasst. Unter den Gesimsen ist die Malerei mit Bändern aus sich durchkreuzenden Kreissegmenten reicher ausgeführt. Die gemauerten Bögen über den Fensteröffnungen wurden prinzipiell in der Malerei wiederholt, dabei aber durch abwechselnd rot und weiß aufgemalte senkrechte Backsteine bereichert.47 Darüber hinaus weisen geringe Befunde am Torgewände darauf hin, dass auch die Sandsteingewände der Öffnungen weiß gefasst waren. Türblätter: Bemerkenswert sind die beiden bauzeitlichen großen Flügel des westlichen Zufahrtstores. Sie hängen an langen eisernen Bändern und bestehen aus senkrechten Pappelholz-Dielen, von außen mit waagerechten Bohlen aus Nadelholz aufgedoppelt. Zusätzlich sind die Flügel gesichert durch regelmäßig eingeschlagene Eisennägel mit quadratisch ausgeschmiedeten Köpfen. Im südlichen Flügel ist zudem eine Fußgängertür mit eigenem Flügel eingelassen. Die Flügel lassen an geringen Farbspuren erkennen, dass sie ehemals in der gleichen Weise wie die Fassaden rot gefasst waren. Details zur Farbe und weiteren Gestaltung sind allerdings nicht festgestellt worden. Ein weiteres bauzeitliches Türblatt hat sich vor dem Zugang zum westlichen Abort des Wohnteils erhalten. Es schlägt in einen Falz des sandsteinernen Ge- wändes und wird von zwei offenen Eisenbändern getragen. Das Blatt besteht aus breiten Eichendielen, ist aber an der Außenseite durch Aufdoppelung aus profilierten Leisten als zweifelderige Tür gestaltet. Der Verschluss besteht aus einer ebenfalls bauzeitlichen Klinke. Veränderungsgeschichte Es ist anzunehmen, dass die Wohnung im Torhaus ab 1752 von dem seitdem auf Visbeck in einem selbst- ständigen Haushalt lebenden Vikar der Kapelle bewohnt wurde.48 Das Gebäude blieb offensichtlich bis in das 20. Jahrhundert weitgehend im bauzeitlichen Zustand er- halten. Nachdem die der westlichen und südlichen Front vorgelagerten Gräften wohl nach 1918 zugeschüttet worden sind, hat man ab 1930 weitreichende Veränderungen an der Bausubstanz vorgenommen: 1930 wurde der Wohnbereich im nördlichen Ende des Torhauses nach Plänen des Architekten Kock in Seppenrade modernisiert. Hierbei brach man den östlichen Zugang vom Hofplatz ab und verlegte ihn auf die Westseite, wo die Gräfte verlandet und zuge- schüttet worden war. Der westliche Wohnraum wurde durch eingestellte Zwischenwände aufgeteilt und die inneren Türen versetzt. Zudem ersetzte man 185 186 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 20 Dülmen-Dernekamp, Haus Visbeck. Torhaus. Umbaumaßnahme mit Ausbau des Daches zu Wohnzwecken (2010). das Fachwerk der beiden Giebeldreiecke des Gebäudes durch Backsteinmauerwerk. 1941 ist dann der gesamte Wirtschaftsteil für landwirtschaftliche Zwecke einschneidend verändert und durchgebaut worden. Hierbei hat man in diesem Bereich alle Fachwerkwände (mit Ausnahme des Torbogens einschließlich der Hoffront) beseitigt und durch Backsteinwände und neue Zwischendecken aus Beton ersetzt. Ferner wurde die große Brauküche am südlichen Ende zweigeschossig durchgebaut. 1958 wurde die schadhafte Dacheindeckung mit einem Zuschuss des Denkmal- amtes in Münster erneuert. Hierbei sind neue Zwi- schensparren eingebaut und neue Hohlfalzziegel verlegt worden. 2010 erfolgte eine Sanierung und Ausbau des Gebäudes. Das Erdgeschoss wurde zu Wohnzwecken durchgebaut, wobei man die Durchfahrt einbezog. Hierbei wurde die Hoffront zur Anlage von größeren Öffnun- gen stark verändert. Das Dach wurde zu Wohn- zwecken ausgebaut und hierzu zwischen den historischen Sparren große Gaupen aufgesetzt. Der histori- sche Wohnteil blieb im Wesentlichen erhalten. Die beiden Flügel des erhaltenen bauzeitlichen östlichen Tores wurden restauriert. Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) Anmerkungen 1 Die Kenntnisse beruhen bis heute im Wesentlichen auf der knappen Darstellung bei Albert Weskamp, Geschichte der Stadt Dülmen. Dülmen 1911, S. 140. Seine Ergebnisse wur- den später mehrmals von anderen Autoren übernommen, hierbei allerdings teilweise auch gekürzt und verfälscht dargestellt: Engelbert Kerckering zur Borg, Alt-Westfalen. Die Bauentwicklung Westfalens seit der Renaissance. Münster 1769, 1770, 1780, 1790 und 1800 überliefert. Aus vielen Jahren haben sich zugehörige Bündel von Quittungen erhalten. Ferner liegen auch noch zusätzliche Pachtregister vor. In den jährlichen Rechnungsbänden werden jeweils die grund- herrlichen Einnahmen von den einzelnen Höfen aufgeführt (mit Angaben zu den Ausfällen und ihren Gründen), danach die extraordinären Einkünfte (Sterbefälle etc.) und danach die hier besonders interessierenden Ausgaben. 1912, Abb. 74 (hier sind die Bauten noch in einem weitge- 8 Dies ging insbesondere auf Mummenhoff 1961 (wie Anm. abgebildet); Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler 1) , S. 275-276 zurück. Er ging davon aus, dass das Gebäude im Kern aus dem frühen 17. Jahrhundert stamme. hend unveränderten Zustand einschließlich der Gräften des Kreises Coesfeld. Münster 1913, S. 81, 94 und Tafel 62; Karl Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 275-276. 2 So wird das Haus Visbeck selbst in der quellenreichen Untersuchung von Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600-1760. Münster 2000, nicht genannt. Auch die Darstellungen zur Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Nutzung von Burg Vischering haben die Bedeutung des Hauses Visbeck für die Familie von Vischering in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht diskutiert: Siehe Jenny Sarrazin (Hg.), Burg Vischering. Wehrburg und Wohnsitz. Dülmen 1993. Selbst in der umfangreichen Festschrift zur Geschichte der Stadt Dülmen und ihres Umraumes fand die Anlage kaum Beachtung. Siehe Stefan Sudmann (Hg.), Geschichte der Stadt Dülmen. Dülmen 2011. Hier wird Haus Visbeck nur mit wenigen Worten in dem Beitrag von Sabine Kötting zum Kirchspiel Dülmen und Hausdülmen bis 1813, S. 132 erwähnt! 3 Vgl. etwa Festschrift zum 300-jährigen Jubiläum Dernekämper Schützenverein e. V. Coesfeld 2001. S. 236-239. 4 Es handelt sich um einen Backsteinbau, der als Oktogon mit Ecklisenen und einem schiefergedecktem Zeltdach aus- geführt wurde. Die Kapelle erhielt 1889 einen rechteckigen Anbau und wurde 1922 erneuert. In der älteren Literatur wurde der Entwurf des Kerngebäudes J. C. Schlaun in Müns- ter zugeschrieben (s. etwa Theodor Rensing, Johann Conrad Schlaun. München 1954, S. 39), doch wird dies heute aufgrund der schlichten Details der Architektur verneint. Hierzu s. Florian Matzner/Ulrich Schulze/Johann Conrad Schlaun 1695-1773. Das Gesamtwerk. Stuttgart 1995, S. 840-841). Zur Geschichte der Kapelle zuletzt Guido Autermann, Die Marienkapelle Visbeck - Baugeschichte und Baubeschreibung, in: Dülmener Heimatblätter 51. Dülmen 2004, S. 2- 21. 5 Hierzu erfolgten am 16. Juni und 17. November 2009 sowie am 26. März 2010 durch Fred Kaspar Ortstermine. 6 Eine erste Dokumentation erfolgte am 8. August 2009. Weitere Befunde wurden durch den Restaurator Dr. Christoph Hellbrügge aus Ascheberg im Mai 2010 dokumentiert. 7 Die Rechnungen haben sich offensichtlich ab der Besitz- übernahme im Jahre 1656 erhalten. Sie liegen im Archiv Schloß Darfeld, Bestand B XVII (Haus Visbeck), Class II, Loc 1- 3 und sind im Einzelnen unverzeichnet. Am 8. April 2010 wurde der Bestand beim LWL-Amt für Archivpflege eingesehen. Hiernach sind zumindest die Bände für die Jahre 1656 bis 1692, 1700, 1710, 1720, 1724 bis 1748, 1750, 1759, 9 Vgl. hierzu Weidner 2000 (wie Anm. 2), S. 451. Weitere Aufstellung der Erwerbungspolitik bei Wolfgang Bockhorst, Adelsarchive in Westfalen - Kurzübersicht. Münster 1998, S. 77-78. 10 Wohl bis in das 16. Jahrhundert bildete Visbeck eine eige- ne Bauernschaft. Seitdem wurden das Gut und die benachbarten Höfe zur Bauernschaft Daldrup gerechnet. 11 Sohn von Jasper Ketteier zu Middelburg und seiner Frau Wilhelmine von Bökenförde gnt. Schüngel auf Haus Middelburg bei Haus Assen (Kr. Soest). 12 1607 ist Joh. Thier in dieser Funktion nachweisbar. 13 Julius Schwieters, Geschichtliche Nachrichten über den westlichen Teil des Kreises Lüdinghausen. Münster 1891, S. 190. 14 Bislang wird allerdings in der Literatur davon ausgegan- gen, dass das Haupthaus nicht wiederhergestellt wurde (zuletzt noch bei Autermann 2004 (wie Anm. 4), S. 2). Dies entspricht allerdings auch nicht den in den Rechnungen detailliert belegten Ausbaukosten des hier genannten „Alten Hauses" in den Jahren 1674 und 1675 (dazu weiter unten). 15 Am 6. April 1650 verkauften die Eheleute Reinhard und Anna von Raesfeld aus Haus Visbeck das Haus Darup mit allen seinen Gerechtigkeiten sowie dem im Haus noch befindlichen Mobiliar für 4 000 Rthl. (davon 2 400 Rthl sofort in bar) mit Ausnahme des Dorfzehnten zu Darup an Wilhelm von Droste und dessen Ehefrau Anna Maria von Nagel (Christian Schulze Pellengahr, Das adelige Haus Darup zu Darup, in: Westfälische Zeitschrift. 155/2005, S. 93-160, hier S. 110). 16 1659 verzichtete auch Franz von Bodelschwingh auf Ansprüche auf Haus Visbeck. 17 Die Einkünfte aus dem Besitzkomplex wurden für das Jahr 1686 auf 2 088 Rthl. berechnet und betrugen im Jahr 1734 etwa 2 735 Rthl. Helmut Richtering, Abgaben, Holzgerichte und Hofsprachen, in: Sarrazin 1993 (wie Anm. 2) , S. 50-63, hier S. 60-62. 18 Bernhard Feldmann, Die Höfe des Münsterlandes und ihre grundherrlichen Verhältnisse. Münster 1994 122-124, 127 sowie 360-361. 19 In dieser Bauernschaft lagen noch mindestens neun wei- tere Höfe, die von Visbeck aus verwaltet wurden, aber eigentlich zu anderen Grundherrschaften der Familie Droste zu Vischering gehörten. 20 Dass Haus Visbeck zu dieser Zeit als eine Art Vorwerk von Vischering galt, wird auch daran deutlich, dass man von dem neuen Gut aus viele Arbeiten an Bauten erledigte und hier 187 188 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen auch abrechnete, die nicht zum Besitzkomplex des Gutes Visbeck gehörten (so etwa das Haus Wallbaum). 1655 konn- te der Bruder des Bauherren, der Dombursar Goswin Droste zu Vischering, auch das adelige Haus Weghausen bei Sep- penrade und einen benachbarten Hof erwerben, wobei die- se Ländereien fortan als Gut verpachtet und dann im 19. Jahrhundert zu drei Höfen aufgeteilt wurden. Das Gut hatte ebenfalls Weiderechte in der Hörster Mark (Ludwig Schulze Spüntrup, Beiträge zur Geschichte der Seppenrader Bauern- schaft Ondrup, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. dem alten Haus zu Vißbeck und in der zweiten Hälfte des Jahres wurden dann auch Ausstattungsstücke und Möbel in das Haus geliefert, etwa Stühle mit grünem Samt vom Meis- ter Dietrich Kollier in Lüdinghausen. 29 Das Verzeichnis wurde auf Betreiben seines Vetters Johann von Raesfeld über die in Visbeck vorhandenen Mobi- lien und den dortigen Viehbestand erstellt (Archiv Schloss Darfeld, CL 1 [Haus Visbeck], Loc II, Nr. 6). Da man zur bes- seren Übersichtlichkeit hierbei die vorgefundenen Dinge nach Räumen verzeichnete, handelt es sich um eine höchst Dombursar Goswin Droste zu Vischering, von Ludolf von aufschlussreiche und ergiebige, bislang allerdings nicht erschlossene kulturgeschichtliche Quelle. Das hier nur in Hinsicht auf bauliche Hinweise ausgewertete Verzeichnis Galen zu Ermelinghof für ihn erworben worden. 22 Hierzu ausführlich: Fred Kaspar/Peter Barthold, Bis unters tungsräumen vorhandenen Bücher, Akten, Briefe und Obli- 15, 1990, S. 7-54, hier S. 44-46). 21 Es war im Jahre 1680 vom Bruder seines Vaters, dem Dach - neue Fragen an die Burg Vischering, in: Westfalen. 2010, S. 83-104. 23 Auf anderen Gütern der Familie (erst seit 1780 als Fidei- kommiss zusammengefasst) wurden nicht mehr genutzte Herrenhäuser abgebrochen, aber auch durch aufwändige Neubauten ersetzt. 24 Haus Lütkenbeck bei Münster hatte man nach Erwerb ab 1695 zwar ebenfalls großzügig ab 1705-1720 als einen wei- teren Wohnsitz neu gebaut, doch brannte das Herrenhaus noch im Jahr der Fertigstellung wieder ab. 25 Nach einer kursorischen Übersicht zahlreicher Jahresrech- nungen lässt sich hierbei Folgendes feststellen: Die Einnahmen in guten und schlechten Wirtschaftsjahren waren eben- so wie die Ausgaben (etwa durch Baumaßnahmen) von vie- len Zufälligkeiten abhängig und schwankten daher jährlich erheblich. In der Regel lagen die Einnahmen des Gutes zwi- schen 1670 und 1680 jeweils zwischen 1300 und 1700 Rthl., während der Reinertrag zwischen 350 und 650 Rthl. errechnet wurde. Während des 18. Jahrhunderts hatten sich die Einnahmen auf etwa 2 500 Rthl. erhöht und die Erträge lagen zwischen etwa 1 500 und 2 000 Rthl. 26 Der Urkatasterplan wurde bei Ludorff 1913 (wie Anm. 1), S. 94 in einer Umzeichnung veröffentlicht. Ein Bestandsplan des Zustandes der Gesamtanlage 1873 jetzt auch bei Diet- mar Rabich, Der Kruppsche Schieß- und Versuchsplatz in Visbeck, in: Dülmener Heimatblätter. 59, 2012, S. 66-78, hier S. 70. 27 Danach wird eine Grundfläche des mit eingerammten und viereckig zugerichteten Pfählen aus Eiche und Buche fundamentierten Hauses von etwa 8x12 m vermutet. Beim Bau wurden Backsteine (Format 7,5/8x14/16x30 cm) verwendet. Vgl. Alfred Zeischka, Quellen zur Geschichte des Hauses Visbeck, Manuskript Oberhausen 1975 (Exemplar in der Bibliothek der LWL-DLBW). 28 Im Juni 1675 arbeitete ein Pliestermeister in Visbeck an der Herrenkammer und der Stube. Danach wird mit dem Pliestermann außm Elsaß wegen verding der Cammern zu Vißbeck verhandelt. Im September wurde das Dach des Haußes zu Vißbeck (sowie das der dortigen Mühle) durch den Leyendecker Heinrich Lammers neu eingedeckt und im Oktober das Haus neu verputzt. Im Mai 1676 erstellte Zimmermeister Johann Möllers eine neue hölzerne Brücke zu umfasst auch umfangreiche Auflistungen der in den Verwalgationen. 30 Dazu siehe die Quellenauszüge weiter oben. 31 Peter Theissen, Mühlen im Münsterland. Münster 2001, Tabellen im Anhang. 32 Da die Mühle Teil des Gutes war, wurde seitdem ein Müller fest beschäftigt und mit 17 Rthl. jährlich entlohnt. 33 Die Bauarbeiten an diesen Bauten können hier nicht de- tailliert dargestellt werden. Neben dem die Arbeiten offensichtlich leitenden örtlichen Zimmermeister Möllers waren insbesondere der Zimmermeister Böcker aus Vischering mit dem Schneiden von Brettern sowie Hermann Leuper und der Maurermeister Johann Beckers an den Arbeiten beteiligt. Witwe Waltmann aus Lüdinghausen lieferte eine Tonne Teer und Pech für 7 Rthl. 34 Christoph Bernhard von Galen (T1678) vermachte der Kapelle testamentarisch 500 Rthl. Diese Stiftung mag damit Zusammenhängen, dass seine Tochter (allerdings erst 1682) den Erbdroste zu Vischering heiratete. 35 Weskamp 1911 (wie Anm. 1), S. 140. 36 Dies kann den überlieferten Rechnungen entnommen werden. Als Empfänger wird 1754 bis mindestens 1763 der Vikar Lindenkamp vermerkt. 37 Alle Eintragungen erfolgten streng chronologisch, wobei die Handwerker fast durchgängig - auf der Grundlage von vorlegten Kerbstöcken - nach Tagewerk abgerechnet wurden. Neben den Baumaßnahmen werden auch immer wieder die nicht unerheblichen Kosten für den Vogelfang oder das Grasschneiden abgerechnet. 38 Hierzu zählte ein Haus in Dülmen, ein in der dortigen Kirche abschließbarer Sitz sowie insbesondere das 1678 von der Familie Schmedding angekaufte Haus Wallbaum bei Senden-Ottmarsbocholt (Kr. Coesfeld). Hier scheint man unmittelbar nach dem Ankauf ab 1678 ebenfalls einen Neubau errichtet zu haben, der von Visbeck aus organisiert und auch aus dem dortigen Haushalt bezahlt wurde (Das heute nicht erhaltene Gebäude wurde bislang in das späte 16. Jahrhundert datiert. Vgl. hierzu Josef Schepers, Haus und Hof westfälischer Bauern. Münster 1960, Abb. 31; Fred Kaspar, Fachwerkbauten des 14. bis 16. Jahrhunderts in Westfalen. Münster 1986, S. 194). Auch lassen sich Lieferun- gen an ein der Familie gehörendes Haus in der Stadt Münster nachweisen. Eine neue Vorburg als Zeichen des Aufstiegs? Der Neubau von 1674/78 auf Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) 39 Alle drei Personen sind bislang von der baugeschichtlichen Forschung weder namentlich erfasst noch für andere Bauprojekte belegt worden. 40 Er wird auch als Galenscher Ziegelmeister bezeichnet und dürfte daher durch den Graf von Galen zur Verfügung gestellt worden sein. 41 Da dieser wenig später verstarb, wurden die Zahlungen von der Witwe Elisabeth des Johann Wissmann quittiert. 42 Er dürfte für das Anbringen der Inschrift am inneren Torbogen verantwortlich gewesen sein. Halb in niederdeutscher Sprache dokumentiert sie insbesondere in ihrer unbeholfe- nen Schriftführung und Verteilung der Worte seine handwerklichen Grenzen. Die Konstruktion des Dachwerks muss hingegen als solide Ausführung in zeittypischen Formen bezeichnet werden, lässt aber ebenso keine Kenntnisse erkennen, die über regionale Erfahrungen hinausreichen. 43 Er erhält für verschiedene Lieferungen insgesamt etwa 190 Rthl. 44 Am 26. August sowie am 13. Oktober 1677 jeweils 3 000 Backsteine und am 30. Oktober noch einmal 1 000 Backstei- ne. 3 000 Stück kosteten mit Fuhrlohn etwa 10 Rthl. 45 Sie kosteten einschließlich der Getränke für die Arbeiter etwa 20 Rthl. 46 Die Räume konnten in ihrem historischen Bestand nicht untersucht werden. 47 Siehe Bericht von Beat Sigrist vom 6. August 2009 in den Akten des Fachreferates Restaurierung bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. 48 Der Rentmeister oder Pächter bezog stattdessen das leer stehende Herrenhaus oder später das Bauhaus. Abbildungsnachweis Dietrich Maschmeier nach Archiv Nopto/Seppenrade: 3; LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: Beat Sigrist: 7, 13, 19); Planarchiv nach Aufmaß Fred Kaspar 2010: 12; alle übrigen Fred Kaspar. 189 190 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Der Siebenmeierhof in Magelsen Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht Dietrich Maschmeyer Der „Siebenmeierhof" prägt trotz erheblicher Verluste an Gebäuden und Einstellung des landwirtschaftlichen Betriebes in seiner beeindruckenden Größe auch heute noch den kleinen Kirchort Magelsen (Gemeinde Hilgermissen, Kr. Nienburg) westlich der Weser. Die überlieferten und darüber hinaus auch die noch erfassbaren Bauten sind in ihrer Vollständigkeit ein selten aussagekräftiges Beispiel für die Entwicklung der Wohn- und Wirtschaftsformen auf einem Bauernhof der agrarsozialen Oberschicht seit der frühen Neuzeit. An dieser Stelle soll es im Wesentlichen um die Gebäude gehen, deren größeren Teil der Autor zusammen mit Heinz Riepshoff im Jahre 1993 aufgemessen und detailliert untersucht hat. Obwohl die Darstellung der Geschichte des Hofes in Details zukünftigen Arbeiten vorbehalten bleiben muss, ist zum Verständnis der baulichen Entwicklung ein kurzer Abriss aus den verfügbaren Sekundärquellen unverzichtbar und soll daher an dieser Stelle erfolgen. Zur Geschichte Die sieben „Siebenmeierhöfe" (schon 987 als septem curtes erstmalig erwähnt) sind offenbar aus den Villikationen (Vorwerken) des schon 882 durch Bischof Rimbert von Bremen gegründeten Stiftes Bücken hervorgegangen, die mit Aufgabe der Eigenwirtschaft im Hochmittelalter in vermeierte Höfe übergingen. In dieser Zeit diente offenbar jeder dieser Höfe - außer in Magelsen noch in Bücken selbst, in Mahlen, Stendern, Essen, Mehringen und Wührden - dem Unterhalt eines der Stiftsherren, auf denen sie teilweise auch Wohnung nahmen. Die nun sogenannten „Sie- benmeier" übten weiterhin eine Oberhoffunktion über je im Schnitt 18 normale Bauernstellen aus.1 1281 wird ein Streit zwischen dem Ritter Diedrich von Staffhorst und dem Bücker Meier to Magelsen über die Zehntrechte im Dorf Magelsen beigelegt. 1340 überlassen die Grafen Gerhard und Johann von Hoya und Bruchhausen dem Stift Bücken auf sechs Jahre die Vogtei über die septem curtes, wozu auch der Hof Magelsen gehörte.2 1398 entscheidet Graf Erich in einem Streit zwischen den grawen Otten to Hoya unde hinrlke van magelsen unde synen broder dhen meyger van magelsen.2 In dieser Sache hatte letzterer Urfehde geschworen und damit einen Rechtsakt ausgeübt, der in der Regel einem Angehörigen des Adels vorbehalten war. 1473 wird entschieden, dass sämtliche Einkünfte des Sie- benmeierhofes zu Magelsen künftig allein dem Propste zu Bücken zustehen. 1569 vergleichen sich die Brüder Otto, Erich und Friedrich, Grafen zu Hoya mit dem Bremer Domherren Hermann Clüver und dem Testamentsvollstrecker des Sigebodo von der Hude über eine der Grafenfamilie geliehene Geldsumme. Die Grafen verpfänden daraufhin Leute und Güter in Alvesen, Dalenhusen und Magelsen. In der großen Dotationsurkunde des Stiftes Bücken (wahrscheinlich von 1575) werden die Einkünfte des Hofes aus den nachgeordneten Bauernhöfen be- schrieben: Dem Meygerhuse tho Magelsen sin dusse hernach beschrevenen hoven und nesgers3 underworpen: ine hove tho Dudenhusen gift vif schwäre schil- lingk 1 Tho Ötzen Achte pennige 2 Gruden gift viff Schwäre schillingk 3 Suthern 15 pennige 4 Aver to Oeste hefft vier hoven gifft dre Soliden4 und dre Botlingk.5 5 To Dalenhusen twe hoven geven twe Soliden Garsten und 1 Botlingk 6 Darsulvest eine hove gift 1 Soliden havern und 1 Botlingk 7 Tho Magelßen Albrecht gift 15 scheppel garsten, thein scheppel havern und 1 Botlingk 8 Tensigt gifft 10 scheppen havern und 1 Botlingk 9 Eine hove tho Oeste thein schillingk. 10 Item noch eine hove auch sovele 11 Noch eine hove auch sovele 12 Darselvest 15 havern und 1 Botlingk 13 Darselvest 10 havern und 1 Botlingk 14 Alverissen gift 15 havern und 1 weder6 oder Botlingk 15 Albern gift 18 himpten havern und 1 Botlingk 16 Elver 10 haver und 1 Botlingk 17 Tho Erxthusen, Warner gifft 12 himpten haver der himpten roggen und 1 Botlingk 18 Westerot, Luder, gifft 4 himpten roggen Tho dem hove tho Magelsen gehören diese nhabeschrevenen tegeden,7 alse Namptlichen 1 De tegede to Magelsen 2 De veerte part des tegeden to Oeste 3 De tegede uth soeß hoven to Martfeld 4 Item de gantze kleine tegede to Oeste und Magelßen. Mit der Auflösung des Stiftes in der Reformation fielen die Höfe an die Landesherrschaft der Grafen von Hoya, die sie bald veräußerten. Sie behielten bzw. erhielten die Landtagsfähigkeit in der Hoya-Diepholz- 191 sehen Landschaft und waren damit faktisch Rittersitzen gleichgestellt, die sie mehrheitlich aber nicht sein konnten, da ihre Besitzer nicht dem Adelsstände angehörten. Demzufolge war ihr rechtlicher Status auch vielfach Gegenstand von Streitigkeiten mit dem Staat, die nicht immer zugunsten der Siebenmeier ausfielen, zumal es im Mittelalter bereits Urkundenfälschungen gegeben haben soll. 1588 erwirbt Rendich Meier den Hof in Magelsen vom Landesherrn. Damit beendet er formal den Status als dem Meierrecht unterworfenem Hof. Außer einer Wappentafel in der Kirche hat er vor allem das im Folgenden zu behandelnde Haupthaus hinterlassen, das er 1613 (d) errichtet hat. Ihm folgten sein Sohn Johann Meier (1606-1668) und danach sein vermutlicher Enkel Rennich Meyer (+1687), der wohl den 1683 datierten Speicher errichtete. Da er kinderlos war, vererbte er den Hof seinem Neffen Vincentz Clüver (1669-1732) aus dem ebenfalls landtagsfähigen Gute Nedderhude. Dieser errichtete 1716 die Pfeilerscheune. Sein Sohn Johann Heinrich Clüver wird 1732 bis 1751 als Besitzer genannt. Der Name seiner Ehefrau Anna Elisabeth Kohlhofen ist derzeit nur aus dem Torbogen des von diesem Ehepaar 1747 errichteten Pferdestalles überliefert. Die Generation des Johann Erdwin Clüver (Besitzer 1751-1805) hat auf dem Hofe selbst keine baulichen Spuren hinterlassen. Im Dorf selbst befindet sich allerdings ein 1794 von ihm und seiner Frau E. E. Wallmann errichtetes Gebäude, das als „Verwalterhaus" überliefert wird (Abbildung 1). Die wesentlichen Umbauten zum Gutshof, die den Hof bis heute prägen, dürfte sein Sohn Johann Heinrich Phillipp Clüver (Besitzer 1805-1852) zumindest eingeleitet haben. Der Name von dessen Sohn Johann Heinrich Friedrich (J. H. F.) Clüver findet sich auf dem Schlussstein der östlichen Durchfahrt der südlichen Scheune der Dreiseitanlage (s. u.).8 Ihm oder seinem Sohn dürften auch noch einige zwischenzeitlich wieder verschwundene massive Stallungen im Norden der Anlage zuzuschreiben sein. Unter ihm wurde das Gut 1863 als landtagsfähiges Rittergut anerkannt. Drei Generationen später wurde der Hof an die aus Verden verdrängte Familie Glander verkauft, in deren vererbtem Besitz er heute noch ist. Um 1993 kam die bis dahin noch von einem Pächter betriebene eigene Landwirtschaft vollends zum Erliegen, die Ländereien sind seitdem verpachtet. Alle Siebenmeierhöfe führten übrigens spätestens seit dem 16. Jahrhundert ein Wappen, das oben zwei laufende Jagdhunde und unten zwei gekreuzte Fische zeigt9. Dies Wappen, wie es z. B. an der Giebelschwelle des Speichers aus Wührden (heute im Kreismuseum Syke) zu finden ist, fand sich an den Gebäude in Magelsen nicht oder nicht mehr, wohl aber die für die zum Stift Bücken gehörenden Anwesen typischen Fischschwänze. Frühere Untersuchungen Im Zuge seines zeitweise auch durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes zur ländlichen Bauweise in Niedersachsen von 1951 bis 1953 hat sich wohl als erster und einziger Gerhard Eitzen mit den Baulichkeiten des Siebenmeierhofes befasst, aber wohl nur ein Gebäude zitierend publi- ziert.10 Ein Rekonstruktionsversuch des Vordergiebels und ein Querschnitt mit (fehlerhaft wiedergegebener) 1 Torsturz des nach mündlicher Überlieferung als „Verwalterhaus für den Siebenmeierhof" bezeichneten Haupthauses im Dorf Magelsen. Foto Heinz Riepshoff, Verden 2011. 192 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Nachzeichnung einer Vogelschau des Hofes um 1950 (mit geringfügigen Veränderungen). Zeichnung Dietrich Maschmeyer. Herdwand wurden 1984 veröffentlicht.11 Im EitzenArchiv im Freilichtmuseum Hösseringen findet sich noch eine Perspektivansicht des Haupthauses mit Rückgiebel und linker Seite sowie Teile eines Aufmaßes des Speichers. Die Hofanlage Eine wohl in die 1950er Jahre zu datierende Vogelschauaufnahme (vom Kirchturm aus) zeigt den Hof von Osten mit einer Vielzahl von Gebäuden (Abbildung 2). Der Hof wird dominiert durch eine Dreiseithofanlage der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer massiven, traufständigen Mehrzweckscheune als linkem Flügelbau, dem in Hochparterre errichteten Her- renhaus mit Freitreppe im Westen und dem in der Kubatur stark veränderten ehemaligen Haupthaus mit Stall- und Wohnnutzung im Norden. Im Zentrum des Dreiseithofes und der Mittelachse des Herrenhauses steht ein oktogonaler Taubenturm. Östlich davon steht heute, die unregelmäßige vierte Seite des Hofes bildend, die augenscheinlich translozierte, aber immer zum Hof gehörige ehemalige Pfeilerscheune von 1717 (i). Nördlich von ihr ein Teich, wohl eine ehema- lige Pferdeschwemme. Die Zufahrt vom Dorf zur Hofanlage führt nach wie vor von Osten her auf den Einfahrtsgiebel des zum Nebengebäude abgesunkenen alten Haupthauses zu. Davor, direkt an der Nordseite des Weges, stand bis 1993 der langgestreckte „Pferdestall". Er wurde damals abgebaut und auf den Handwerkerhof in Lilienthal bei Bremen transloziert. Nördlich des alten Haupthauses, auf der Höhe von dessen Rückgiebel, steht der zweigeschossige Speicher von 1683. Östlich davon zeigt das Bild noch ein langgestrecktes massives, wohl als Schweinestall anzusprechendes Gebäude und einen weiteren Bau, der zum Zeitpunkt der eigenen Untersuchungen (1993) bereits bis auf geringe Reste verschwunden war. Das Haupthaus (1612/13d) Der Bestand (hierzu Abbildung 3-5) Vor Errichtung der Dreiseithofanlage in der Mitte des 19. Jahrhunderts bildete das rnittlerweile auf 1612/13 (d) datierte alte Haupthaus den Mittelpunkt des Hofes. Durch mehrfache Überformungen ist seine ursprüngliche Gestalt nur noch stark reduziert überliefert. Der wesentlichste Eingriff geschah im Zuge der umfassenden Umbauten des Hofes in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als das gesamte Dachwerk mitsamt den Giebeldreiecken heruntergenommen und durch eine zeitgemäße Konstruktion aus Nadelholz mit Krüppelwalm-Giebeln in Eichenholzfachwerk ersetzt wurde. Schon früher war anscheinend die vordere Toreinfahrt in sehr schlichter Form verbreitert worden, wobei auch wohl der Torsturz und seine Kopfbänder verlorengegangen sind. Das jüngere - und offensichtlich zwischenzeitlich mit einer Fachwerkwand verschlossene - Tor wurde in den 1980er Jahren bei der Umnutzung des Gebäudes zur Maschinenhalle ebenfalls herausgebrochen, jedoch im Gebäude verwahrt; es stand daher für eine Rekonstruktion zur Verfügung. Von den geschnitzten Teilen des einstmals Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht 3-5 Das Haupthaus. Der Bestand. 193 194 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen offensichtlich sehr reich ausgestalteten Renaissancegiebels ist fast alles spurlos verloren, nur die Knaggen an den äußeren Eckständern sowie das Wandrähm unter den Stichbalken und die Ständer des Tores sind erhalten. Die (bauzeitliche) Länge von 37,5 m übersteigt das Maß gleichzeitiger „normaler" Bauernhäuser deutlich, ebenso wohl auch die lichte Dielenbreite von 9,7 m. Zieht man das 5,3 m tiefe Kammerfach sowie das aufgrund von Zapflöchern in den Stichbalken der Vorderfront noch nachweisbare, das halbe vordere Fach einnehmende Vorschauer ab, beträgt die Länge der Halle etwa 31 m. Davon nimmt das Flett, gemessen als lichte Weite der Luchten, 6 m ein. Formal ist es drei Fache tief, allerdings sind die Balken dort mit deutlich geringerem Abstand verlegt. Die eigentliche Diele unterteilt sich in sechs Fache zuzüglich des Vorschauerfaches. Die Konstruktion von Diele und Flett erfolgte in der regionaltypischen Zimmerungsart mit aufgezapften Balken und kopfbandversteiften Kopfriegeln. Die Sparren standen auf einer bauzeitlichen Sparrenschwelle. Obwohl diese Art der Verzimmerung gemeinhin der in Norddeutschland üblichen Dachbalkenverzimmerung zugerechnet wird, weist vor allem der Kopfriegel in Richtung der Jochbalkenzimmerung, die eine gebindeweise Errichtung ermöglichte. Hinweise darauf, wie das Magelser Haus aufgerichtet wurde, fanden sich nicht. Zum Zeitpunkt des Aufmaßes waren erhebliche Teile der dem Umbau des 19. Jahrhunderts entstammenden Einbauten im Dielenbereich schon wieder entfernt worden, um die Diele als Unterstellraum nutzen zu können. In seiner Nutzungsphase als Flügelbau der Dreiseithofanlage war das Gebäude mehrfach durch dünne Fachwerkwände aus Nadelholz quergeteilt und auch quer aufgeschlossen gewesen. Reste von ebenfalls quer angeordneten Viehställen mit Mittelgang waren noch vorhanden, die Aufteilung aufgrund der Reste der Wände und der Öffnungen (Ladeluken und Abwürfe) in der Balkenlage noch deutlich ablesbar. Da für diese Nutzung die bauzeitlichen Hillriegel störten, waren sie alle herausgeschnitten worden, sodass keine Informationen über eventuelle Verzierungen bzw. Profilierungen vorliegen, ebenso nicht zur Abgrenzung der Ställe wie Fressgitter oder Anbindestangen zur Diele hin. Auch der Wohnteil bot sich stark überformt dar. Bemerkenswert ist dabei allerdings die nachträglich, aber sicher schon im 18. Jahrhundert eingebaute Scherwand. Ihre oberen Fache sind über die gesamte Breite der Diele mit geschlängelten Brettbalustern ausgesetzt, die sehr starke Verrußung zeigen (Abb. 6). Später wurde dies vertikale „Stakenwerk" ausgeflochten und beidseitig mit Lehm beworfen, sodass die ursprüngliche Funktion eines Rauchabzuges entfiel und die Ausführung der oberen Fache heute an der Wand nur noch in Bereichen erkennbar ist, wo der Lehmschlag abgefallen ist. Über der Scherwand ist auch der Dachraum durch eine Wand aus der Mitte des 19. Jahrhunderts aus Nadelholz-Fachwerk geteilt; über dem Wohnteil diente der Bodenraum offenbar als Schüttboden, über der mit dem Stuhl und einem zusätzlichen Mittelunterzug unterstützten Kehlbal- kenlage ist dort auch eine zweite Bodenebene eingerichtet. Das hinter der Scherwand liegende Flett war zum Zeitpunkt des Aufmaßes sehr stark durchbaut. Ent- lang der Scherwand verlief ein Durchgang, darin, an die Scherwand gelehnt, eine Treppe zum eben er- wähnten Schüttboden mit einem Abtritt darunter. Weiter hinten befand sich zur linken Hausseite hin eine Küche mit einer gemauerten Herdnische, wohl aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, auf der ein stark gezogener Schornstein aufgestellt war. Rechts neben der mit einem nur noch rudimentär erhaltenen, bauzeitlichen geschnitzten Sturz versehenen Tür zum Kammerfach gab es zum Herd hin eine Räucherkammer, die einen Abschnitt der Herdwand mit schwachen Spuren einer Hinterladerfeuerung verdeckte. Im mittleren Bereich des Fletts befand sich vor der Herdwand ein vollständig fensterloser dunkler Raum unbekannter Nutzung. Rechts von dem in der Anlage jüngeren Abgang zum Keller unter dem Kammerfach, über dem sich eine zugesetzte Tür mit geschnitztem Türsturz befindet, findet sich eine oben mit einem profilierten Sims abgedeckte Fachwerkwand eines Stubeneinbaus wohl aus dem 18. Jahrhundert, der den hinteren Teil der rechten Lucht einnimmt und 6 Oberes Gefach der Scherwand, gesehen von der Diele. Links der innere Bogen der seitlichen Ausfahrt. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. noch in das Mittelschiff vorspringt. Im Kammerfach fand sich eine ebenerdige Stube links sowie, in der Mitte und rechts, zwei „Aufkammern" über dem Keller, die als gefangene Räume ausschließlich von der linken Stube her zugänglich waren. Jedoch deuten zwei verschlossene Türen in der Herd- Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht wand darauf hin, dass sie ursprünglich direkt vom Flett her erschlossen wurden. Der untere Teil des Rückgiebels ist nach 1960 durch eine massive Wand ersetzt worden, der die bauzeitliche Fachwerkkonstruktion restlos zum Opfer fiel. Nur das Giebeldreieck des 19. Jahrhunderts ist noch vorhanden. Alle Aussagen über den Rückgiebel müssen sich daher auf das nicht vollständig erschlossene Material von Gerhard Eitzen stützen.12 Die Traufwände des Wirtschaftsteils sind mit einem Rähm unter den Köpfen der Zangenbalken verzimmert und waren - wie auch der Vordergiebel - anlässlich der umfassenden Umbauten im 19. Jahrhundert mit einem Ziegelsockel unterfangen worden, weiter oben wurde zur selben Zeit anlässlich der für das neue Dach erforderlichen Aufstockung die Füllhölzer und die Schwelle für die Aufschieblinge entfernt, nur die Knaggen und die Zangenbalken blieben erhalten. Vor der Erneuerung der Schwelle waren an den Außenwänden des Wirtschaftsteils - ausweislich der Zapfenlöcher - Fußbänder vorhanden.13 Im Wohnteil sind die Außenwände ohne Rähm nur mit Kopfriegeln verzim- mert, die durchgehend je zwei halbrunde Ausneh- mungen aufweisen, die in großer Zahl auch Falze von ehemaligen Fenstern aufweisen. Auch hier war im 19. Jahrhundert die Schwelle für die Aufschieblinge ent- fernt worden. Die linke und die rechte Traufseite unterschieden sich deutlich: War links - soweit angesichts des schlechten Überlieferungszustandes der Ständer unterhalb der Riegel noch feststellbar - die Wand frei von Streben und nur mit einer tief sitzenden Riegelkette versehen, die durchgehend auf hohe Fenster schließen lässt, war die rechte durchgehend mit Fußstreben und zwei Riegelketten verzimmert und kann somit ursprünglich Fenster nur im oberen Fach besessen haben. Hinten an der rechten-Seite des Wohnteils hat sich ausweislich einiger Zapflöcher sowie herausgeschnittener (und später wieder eingesetzter) Riegel ein sekundärer kleiner Anbau befunden; bei dem es sich um einen - eindeutig nachträg- lich hinzugefügten - Aborterker gehandelt haben könnte. Auf der Nordseite (rechte Traufe) des Wirtschaftsteils wurde das Gebäude nach 1930 (dargestellter Zustand) über der Durchfahrt noch mit einer Schleppgaube für den Einsatz von Fördergeräten versehen, die nicht dokumentiert wurde. Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen (Abb. 7-9) Auffällig an dem Gebäude ist die heute beobachtbare deutliche Schrägstellung der Ständer im Dielenbereich. Die genauere Betrachtung dieses Details zeigt, dass sie nicht intentionell ist. Ursächlich ist vielmehr die überdimensionierte Breite der Diele (9,90 m) bei Deckenbalken, die angesichts eines geringen Über- standes und zu geringer Biegesteifigkeit durch ihr Eigengewicht durchhängen. Die Balken sind trotz enormer Abmessungen (45x45 cm), die wohl auch dem Willen nach Repräsentation entsprangen, auch deshalb relativ schwach, weil man durchgängig astige Bäume verarbeitete. Die Schrägstellung dürfte sich daher, wie an vielen anderen Bauten auch nachweis- bar, bereits beim Richten aufgetreten sein; damit wären eventuell Nacharbeiten zur Korrektur des Gefüges notwendig gewesen. Möglicherweise geht die - recht alt wirkende - Stütze im Flett als besonders sensibler Bereich (nur kleine Kopfbänder, die nur mittelbar auf den Luchtbalken Schub abtragend) auf eine derartige Ertüchtigung zurück, ansonsten fanden sich aber keine Spuren ähnlicher Maßnahmen. Daher ist auch nicht auszuschließen, dass man mit der Stütze drohendem Versagen des einzigen sie stützenden Balkens vorbeugen wollte. Spuren, die eine deutliche Information zur Struktur und Nutzung des ersten Faches geben, sind kaum vorhanden. Zwei Zapflöcher in den Stichbalken belegen die zumindest zeitweise Existenz eines Vorschauers. Zur weiteren Aufteilung ist noch feststellbar, dass zwischen dem Vordergiebel und den ersten Dielenständern an jeder Seite drei mit 15 cm Breite recht schma- le Riegel eine Wand von etwa 2 m Höhe bildeten. Aufgrund der Stärke der Riegel ist die von ihnen gebildete, seit Langem nicht mehr vorhandene Wand als jünger anzusehen. Gerade kann diese Wand nicht bis zum Vordergiebel durchgegangen sein: Sie wäre dann am Vordergiebel nicht an einen Ständer gestoßen. Aufgrund dieser Befunde muss man davon ausgehen, dass das erste Gefach gegebenenfalls mittels eingestellter, mit dem Gerüst nicht verbundener Einbauten strukturiert war, von denen sich keine Spur erhalten hat. Besonders auffällig ist auf der linken Seite die separate Seitenausfahrt aus der Diele, die wohl dazu diente, entladene Wagen vorwärts aus der Diele zu fahren. Der innere Torbogen - in der Dielenständerreihe - und der äußere sind schräg gegeneinander versetzt, wohl um zum Ausfahren eine entsprechende Schleppkurve für das nachlaufende Hintergestell des Wagens zu bieten. Beide Luchten sind in den Abmessungen identisch. Dass die linke herausgehoben war, lässt sich aus der reicheren Verzierung der Luchtknaggen und der reicheren Durchfensterung der Außenwand erschließen, die sich auch im Gefüge ausdrückt, wo an der gesam- ten linken Seite des Wohnteils die Fußstreben und der obere Riegel fehlen. Auf der rechten Seite deutet deren Vorhandensein darauf hin, dass die Lucht nur durch Oberlichter belichtet werden sollte. Auch weiter hinten, im Kammerfach, war es auf dieser Seite nicht notwendig, die Fenster der Wohnräume tiefer herunterzuziehen, da die Räume dort über einem Halbkeller liegen. Auf der linken Seite setzten sich die hohen Fenster in die dortige Eckstube fort und, wenn man 195 196 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 7-9 Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen. Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht 197 10 Altes Amtshaus in Hoya, erbaut 1609, abgebrochen 1927. Foto Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege. Eitzen Glauben schenkt, auch in dem sie betreffenden Teil des Rückgiebels. Die dort bei Eitzen gezeigte Tür führt in die Eckstube. Die Balkenlage im Kammerfach orientierte sich offen- bar am Fachwerk des Rückgiebels; die äußeren Balkenköpfe waren mit den Ständern verbunden und wie an der Traufseite des Wohnteils von Knaggen gestützt. Da nicht alle Ständer der Herdwand mit denen der Außenwand fluchten, liegt ein Teil der Deckenbalken in den oberen Fächern der Herdwand mit Verkämmung auf den Riegeln auf. Unter diesen Balken ist eine durchgehende Wand nicht anzunehmen, da sie nicht sauber ins Fachwerk hätte eingebunden werden können. Alle Räume des Kammerfachs hatten ursprünglich eine mit einer Art von verziertem Eselrückensturz ver- sehenen Tür in der Herdwand (seine Ausführung wurde auch in der Rekonstruktion der Außenwand, 198 n 11 Wührden, Speicher des Siebenmeierhofes, heute im Kreismuseum Syke, untere Stockwerkschwelle mit Füllholz. Links das Wappen des Hofes, unten die allen Siebenmeierhöfen gemeinsamen gekreuzten Fische. Foto Dietrich Maschmeyer. 12 Wührden, Speicher des Siebenmeierhofes, heute im Kreismuseum Syke, Giebelschwelle mit Füllholz. Als Knaggen hier die typischen Fischkörper. Foto Dietrich Maschmeyer. Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht Tafel 6, verwendet). Die Lage der Türen im unterkellerten Teil spricht dafür, dass die rechte Trennwand im Kammerfach später versetzt wurde; seinerzeit dürften die heute vermauerten Türöffnungen entbehrlich geworden sein, weil eine Erschließung über die linke Eckstube vorgenommen wurde. Für eine durchgehend verzimmerte rechte Trennwand fehlt ein fluchtendes Ständerpaar in Herdwand und Rückgiebel. Sie kann demzufolge auch nur aus einem tischlermäßig hergestellten Einbau (z. B. einer Butzenwand) bestanden haben. Zeitweilig waren neben den beiden Herdwandtüren auch Fenster angebracht, deren Zeitstellung ist jedoch nicht klar. Zur Erbauungszeit wurde als Hauptwohnraum das obere Ende der Diele, das zur Diele noch völlig offene Flett, genutzt, die drei großen Räume des Kammerfaches (jeweils über 20 qm) wurden wohl ausschließlich von diesem Flett aus betreten. Vor dem Herdwand- ständer mit den Fußstreben dürfte sich die HauptFeuerstelle befunden haben. Eindeutig auf ein Fun- kenrähm oder dergleichen, wie es gegebenenfalls zu erwarten wäre, hinweisende Bauspuren fanden sich bis auf eine unklare Blattsasse am letzten Deckenbal- ken nicht. Das Haus war lange, wie auch die Ver- rußung der Balken deutlich zeigt, ein schornsteinloses Rauchhaus. Bemerkenswert sind zwei anscheinend relativ frühe Einbauten im Flett: Zum einen ist das die oben mit Brettbalustern verschlossene Scherwand. Hier sollte also offenbar eine praktisch vollständige räumliche 13 Dahlhausen, Speicher des Hofes Hecht, 1621(i). Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. Trennung von der Diele erfolgen, ohne dass das Rauchhaus aufgegeben wurde. Üblicherweise wurden Scherwände in Bauernhäuser erst mit Einführung von Schornsteinen eingebaut, in dieser Region also erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Beim zweiten Ein- bau handelt es sich um die Stube in der rechten Lucht. Wozu sie auch immer gedient haben mag, zeigt sie zu einem - verglichen mit anderen Bauten der Region - offenbar recht frühen Zeitpunkt in jedem Fall einen weiteren Rückzug von Wohnfunktionen aus dem Flett in einen separaten Raum an. Als oberschichtliches Haus erweist das Gebäude sich bereits durch die schiere Größe und die aus den Rudimenten noch erschließbare, ungewöhnlich reiche Fachwerkzier. Hinzu kommt aber noch eine zwar ebenfalls rudimentäre, aber sicher belegbare bauzeitliche durchgehende Ausfachung mit relativ großformatigen Ziegeln, in der Regel in Ziersetzungen. Die Fachwerkzier erstellte ein namentlich unbekannter Meister, der in der Region eine Reihe von Bauten in seiner typischen Handschrift hinterlassen hat. Neben dem Siebenmeierhof in Magelsen ist beson- ders das nach 1927 abgebrochene Amtshaus in Hoya14 (Abbildung 10) zu nennen, das angeblich 1609 errichtet worden war. Seine Giebel vermitteln sicher eine gute Vorstellung davon, wie die Giebel in Magelsen ausgeführt gewesen sein dürften, von 14 Dahlhausen, Speicher des Hofes Hecht, 1621 (i). Detail der unteren Vorkragung mit Fischkörperknagge. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. 199 200 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Schnitzteilen der Fassade von 1613 (i), fertiggestellt nach 1676 (Abb. 11, 12). Bemerkenswert ist, dass dort 1613 noch eine niederdeutsche Inschrift angebracht wurde (die obere Giebelschwelle von 1676 mit hochdeutscher Inschrift), in Magelsen aber nur eine hochdeutsche Inschrift erhalten ist. Außerdem gehören dazu der Speicher des zum Siebenmeierhof in Magelsen gehörigen Hofes Hecht im nahen Dahlhausen von 1621 (i) (Abb. 13, 14) und die „Alte Schmiede" in Bücken von 1621 (i) (Abbildung 15 und 16), die heute mit einem Krüppelwalm versehen ist, dessen Ursprünglichkeit jedoch nicht erwiesen ist. Fest steht nunmehr auch, dass sich das Haupthaus in Magelsen nicht unter denjenigen kriegsbedingten Schäden befindet, von denen ein gemeinsamer Brief der Siebenmeier vom 2. Juni 1633 berichtet, nach 15 Detail des Giebels, niederdeutsche Inschrift. Ob der Halb- walm ursprünglich ist, ist nicht geklärt. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. dem sie nicht allein uff etzliche tausent Thaler in schuldt, schaden und nachtheil gerathen, sondern auch teilweise die Wonheuser nebenst Andern gebewden eingeeschert und von den Soldaten gantz abgebrand worden.'5 Der Speicher'6 (Abb. 17) Wesentlich schlichter als das Haupthaus ist der 1683 (i) errichtete Speicher ausgeführt. Er besitzt im Fachwerk Streben lediglich an den Ecken. Mit allen Merkmalen seiner Verzimmerung unterscheidet er sich praktisch nicht von gleichzeitigen und gleichartigen Bauten in der Region. Selbst der auf den ersten Blick ungewöhnlich wirkende stehende Stuhl im ersten Dachgeschoss lässt sich im Umfeld mehrfach nachweisen. Inschriftlich ist er über der Tür in der dem 16 Detail des Giebels. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. denen leider seit fast 200 Jahren jede Spur verlorengegangen ist. An dieser Stelle scheint es sinnvoll, auch auf die Rekonstruktionsversuche von Gerhard Eitzen einzugehen, die sich wohlgemerkt auch nur auf den Befund des Erdgeschosses und Analogien stützen konnten. Er hat sich dabei offenbar von der Bauweise der normalen Bauernhäuser leiten lassen und an beiden Seiten Krüppelwalme rekonstruiert. Angesichts des in jeder Hinsicht abweichenden Charakters der Anlage möchte ich die Existenz von Walmen eher in Zweifel ziehen und von Steilgiebeln ausgehen. Das wird dadurch unterstützt, dass sich auch für alle anderen Bauten des Hofes Steilgiebel nachweisen lassen, insbesondere den 1747 datierten Pferdestall, dort sogar - trotz der sehr viel späteren Zeitstellung - auch Zierziegelsetzungen. Ein weiterer Bau des unbekannten Meisters ist der Speicher des Siebenmeierhofes in Wührden mit Hof zugewandten Traufseite datiert.’7 Ungewöhnlich erscheint dagegen die Anlage von zwei Räumen im Erdgeschoss, die ganz offensichtlich für Bewohnung und Beheizung vorgesehen waren. Ausweislich des Fehlens jeglicher Rauchspuren ist es zu einer derartigen Nutzung aber wohl nie gekommen. Die Pfeilerscheune (Abb. 18) Mit „Pfeilerscheune" bezeichne ich das offenbar erst im 20. Jahrhundert an die davor wohl offene Ostseite der Dreiseitanlage umgesetzte Scheune. Die Scheune mit mittlerer Querdurchfahrt ist 23,28 m lang und 8,09 m breit und steht heute auf einem hohen Ziegelsockel, der augenscheinlich einen Pfeilerunterbau ersetzt: Die originalen Schwellen sind erhalten und weisen Zapflöcher für eine nicht mehr vorhandene, lastabtragende Querbalkenlage auf, sodass das Gebäude ursprünglich auf Pfeilern gestanden haben muss, über die nichts Näheres bekannt ist. Es kann sich dabei um einfache Findlinge gehandelt haben. Eine größere Sicherheit gegen das Eindringen von Mäusen und Ratten, das man mit der Aufständerung sicher bezweckt hat, hätten jedoch die klassischen „Mäusepfeiler" mit einer oberen Abdeckplatte ergeben. Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht 17, 18 Speicher und Pfeilerscheune. Die mittlere Querdurchfahrt hat keine Böden und war zuletzt auf beiden Seiten durch Flügeltore geschlossen, von denen jedoch nicht klar ist, ob sie ursprünglich vorhanden waren. Beidseits der Durchfahrt ergeben sich so zwei große Bansenräume, die jeweils von nur einem Ankerbalken durchzogen werden. Sie waren ursprünglich nur durch je eine hochgelegene Luke im Außengiebel und in der Wand zur Durchfahrt erschlossen. Die unteren Gefache sind mit horizontalen, einge- zapften Bohlen ausgefacht, die darüber allem Anschein nach ehemals - heute nur noch teilweise erhalten - mit vertikalen, stumpf mittels aufgenagel- ter Leisten zwischen den Riegeln eingefügten kurzen 201 202 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Brettern „auf Lücke", sodass eine gute Lüftung gegeben war. Diese Ausfachung wirkt jedoch keinesfalls ursprünglich. Spuren einer Ausstakung (Löcher und Nuten) fanden sich nicht. Es ist daher auch möglich, dass die Gefache bis auf das unterste ursprünglich mit einer anderen, weniger Spuren hinterlassenden Ausfachung wie z. B. mit Ziegeln (für die sich weiter keine Hinweise finden) oder einer Strohausfachung versehen oder sogar vollkommen offen waren. Das heute stark veränderte und in der Neigung wesentlich erniedrigte Sparrendach stand ursprünglich in „Sparrenpötten" mit ca. 1,5 m Achsmaß auf einem 27 cm (etwa 1 Fuß) breiten und 14 cm hohen Rähm, das innen und außen je 7 cm über die Ständer übersteht und von in die Ständer eingehälsten Hakenbalken unterstützt wird, deren Köpfe außen sorgfältig profiliert sind. Die Giebel kragen in Giebelrähmbauweise mindestens zwei Mal vor, wobei das Giebelrähm in gleicher Weise wie die Längsrähme verzimmert ist und diese quasi einfach fortsetzt. Erhalten ist nur der unterste Giebelstock. Die Gestaltung des zweiten Stockes lässt sich aus den Zapflöchern oben im Rähm des ersten Stocks relativ sicher rekonstruieren. Daraus ergibt sich auch recht genau die alte Dachneigung. Für die Gestaltung der Giebelspitze gibt es leider keine Belege. Das in der heutigen Aufstellung südliche Giebelrähm trägt die Inschrift: Der Schutz der Heiligen sagen wolle dieß gebau für allen übel behüten und bewahren welches der Herr 7 Meier Vincentz Clüver Anno 1716 den 30 Junli hat auf richten lassen. 19 Der Pferdestall. Bestand. Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen Die Scheune dürfte in Analogie zu anderen Regionen für die mäusesichere Bergung von Getreide errichtet worden sein. Im Münsterland, wo dieser Scheunentyp recht verbreitet ist, dienten diese Bauten speziell der Lagerung von Hafer, der komplett als Häcksel verfüttert wurde. Sie standen - vermutlich aus Brandschutz- gründen - oft relativ weit entfernt vom übrigen Hof; auf Gräftenhöfen waren sie in der Regel das einzige Hofgebäude außerhalb der Gräfte. Eine solche abseitige Lage scheint die Magelser Scheune auch gehabt zu haben, bevor sie unter Änderung der Nutzung direkt auf den Hof versetzt wurde. Der Pferdestall Der Bestand (Abb. 19-21) Das mit 21 Fach 30,8 m lange und nur 11,2m breite Gebäude befand sich 1993 in einem sehr schlechten Zustand. Sein bevorstehender Abbau war Anlass für ein genaues Aufmaß mit Rekonstruktion älterer Zustände. Seiner Stellung traufparallel direkt der Zufahrt zum Hof entsprechend besaß das Gebäude zwei stark unterschiedliche Traufwände. Zum Weg hin (Südseite) standen die mit den außen profilierten Rähmen verkämmten Balken mit ca. 58 cm deutlich weiter über als aus der Rückseite mit 28 cm und schufen so einen relativ wettergeschützten schmalen Streifen entlang der Traufe. An der Außenwand waren hier fast durchgängig die Spuren alternierend angeordneter Türen nachweisbar, die jedoch später verschlossen wurden. Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht Zustand um 1930 0 > 2 3 H 5 10 Aufmass : H. TJicpshoff /JD. Maschmeyer 1993 20, 21 Der Pferdestall. Bestand. Die Balkenlage und das im gebundenen System ver- zimmerte Kehlbalken-Sparrendach waren aus nur wenig besäumtem Nadel-Rundholz verzimmert. Die Balken waren von Ost nach West römisch (I bis XXII) nummeriert, sodass der dem Haupthaus zugewandte Giebel, der aufgrund der Inschrift als Hauptgiebel angesehen werden darf, die höchste Nummer besaß. Bereits die Asymmetrie der beiden Giebel - nördlich der Tore finden sich vier Fache, südlich nur drei - weist auf die weiter unten zu diskutierende asymmetrische Aufteilung des Querschnittes hin: Die Giebeldreiecke waren dreifach vorgekragt, die Vorkragung selbst wurde jedoch nicht mehr durch eine separate Kons- truktion, sondern nur durch geringfügigen Überstand der jeweiligen Balken gebildet, die gleichzeitig Rähm für das untere und Schwelle für das obere Giebelstockwerk bilden (Giebelrähmbauweise). Beide Giebel zeigten noch einige wenige Fache mit einer älteren Zierausmauerung; der Rest war im 19. Jahrhundert mit deutlich kleineren Steinen neu ausgefacht worden. Einige der unteren Gefache an der Nordseite zeigten noch eine Ausfachung mit eingenuteten Bohlen, wie sie sich nach den Befunden ursprünglich auch in allen unteren Gefachen befunden hat. Weil die un- teren Riegel in diese Verbohlung integriert waren, hatte man ihre Breite so gewählt, dass das Holz am 203 204 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen besten ausgenutzt wurde. Mit der späteren Ziegelausfachung ergab sich natürlich ein etwas merkwürdiges Bild. Auffällig ist auch die rundum geringere Höhe der unteren Gefache. Da alle Schwellen offensichtlich im 19. Jahrhundert ausgewechselt worden sind, ist nicht auszuschließen, dass die Ständer unten verkürzt worden sind. Dabei hätte man auch die Verbohlungen in den unteren Gefachen entsprechend aufwändig einkürzen müssen. Das wäre eine Erklärung dafür, dass man sie damals weitgehend gleich ganz entfernt und durch eine Ziegelausfachung ersetzt hat. Angesichts der geringen Sockelhöhe des Gebäudes würde dies aber auch bedeuten, dass das Haus gegenüber dem Urzustand um etwa 8 cm abgesenkt worden ist. Man mag sich allerdings kaum vorstellen, warum eine sol- che Absenkung einer einfacher zu handhabenden Anhebung abgesunkener Bereiche vorgezogen wor- den sein sollte. Das Dach war im gebundenen System - ein Sparrenpaar pro Balken - verzimmert. Die Sparren waren mit- tig durch eine zusätzliche, einfache Anfallkonstruk- tion gestützt, die ausweislich der dafür teilweise durchschnittenen Schwertungen nachträglich angebracht worden war, möglicherweise anlässlich der Umdeckung von einem Stroh- auf ein Hohlpfannendach, das das Haus zuletzt besaß. Im letzten Zustand betrat man durch das westliche ehemalige Dielentor, das zur Fußgängertür mit Oberlicht zugesetzt worden war, eine Diele von nur 3 m Breite, die an Gebinde 10 endete. Auf beiden Seiten der Diele befanden sich jeweils zwei Fache breite Pferdeställe mit Aufstallung zur Außenwand, wo sich lang- gestreckte Futtertröge befanden. An der linken Seite (Nordseite) waren das fünf zur Diele hin offene, durch Parierwände abgeteilte Boxen für je zwei Pferde. Auf der anderen Seite waren es vier durch eine Wand mit Tür gegen die Diele abgeschlossene Ställe gleicher Größe (möglicherweise für Stuten mit Fohlen?). Bei Belegung mit je zwei Pferden wäre in dem Gebäude also Platz für maximal 18 Pferde gewesen. Hinter den Ställen schlossen sich rechts zwei Kammern und links ein Gang nach außen an, dann, bis zum Gebinde 6, ein Remisenraum. Gebinde 6 war unterhalb des Balkens als Querwand mit einem kopfbandgestützten Torsturz verzimmert. Dahinter war ein zuletzt unten als Scheune genutzter Raum anzutreffen, den man erkennbar durch einen starken Überzug stützenfrei gemacht hatte und der wie die Remise davor von der südlichen Traufe her erschlossen wurde. Das Dielentor im hinteren Giebel war ebenfalls verschlossen. An den westlichen Giebel war noch ein kleines Gebäude in Detailformen des späten 19. Jahrhunderts (u. a. Pfettendach, massives Giebeldreieck) angefügt worden, das vorwiegend als Schweinestall genutzt wurde, die zwei schmaleren Abteilungen darin könnten zeitweise auch als Aborte gedient haben. Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen (Abb. 22, 23) Dieser Zustand war offenbar dadurch entstanden, dass im 19. Jahrhundert nahezu das gesamte „Innenleben" des Gebäudes herausgenommen und in veränderter Form wieder eingebaut worden war. Dabei wurde praktisch das gesamte Altmaterial wiederverwertet. Da an diesen zwar bauzeitlichen, aber danach völlig anders verbauten Hölzern die Zimmerzeichen der ursprünglichen Verzimmerung durchweg sehr gut erhalten waren, konnte der Erbauungszustand des Gebäudes praktisch lückenlos rekonstruiert werden. So sicher und genau sich einerseits das ursprüngliche Gefüge darstellt, so unsicher ist auf der anderen Seite die Nutzung der gegenüber dem vorgefundenen Bestand vollkommen anderen Räumlichkeiten. Nach dem Gefügebefund besaß das Gebäude ursprünglich eine doppelt so breite Diele, deren Südwand analog zur Außenwand mit zwei Riegelketten geschlossen war; auch das untere Fach war mit Bohlen ausgesetzt. Die dadurch gebildete Abseite wurde durch geschlossene Räume eingenommen, von denen nur die westlichsten auch durch eine Innentür, die anderen aber ausschließlich durch Außentüren zugänglich waren. Die Trennwand mit dem Türjoch in Gebinde 6 war bereits im Urzustand vorhanden, ihre Funktion dort aber nicht erkennbar. Auf der anderen Dielenseite befand sich ursprünglich eine offene, nur durch eine Riegelkette abgegrenzte Abseite, für die eine Nutzung als Rinderstall naheliegt, aber auch keinesfalls gesichert ist, zumal die Riegel offenbar dafür recht hoch sitzen. Dazu sind sie recht schmal, sodass die eigentlich übliche Profilierung für die Kuhnacken kaum hätte angebracht werden können. Bei näherer Betrachtung gibt die ursprüngliche Struktur des Gebäudes doch erhebliche Rätsel hin- sichtlich der Nutzung auf. So wird gemeinhin die Bohlenausfachung der unteren Fache als Indikator für eine Nutzung als Pferdestall, zumindest als Stall, genommen. Das ist auf diesem Hof aber nicht so, besitzt doch die zweifelsfrei ausschließlich zu Lagerzwecken dienende ehemalige Pfeilerscheune rundum ebensolche Verbohlungen. Bei der Rekonstruktion wurde zu- nächst auch angenommen, die nur von außen zu- gänglichen Kammern hätten entsprechend der späteren Verwendung als Pferdeställe gedient, die im 19. Jahrhundert lediglich modernisiert worden wären. Diese anfängliche Vermutung muss bei näherer Betrachtung wohl aufgegeben werden: Wahrschein- licher ist mittlerweile, dass das Gebäude ursprünglich ausschließlich als „Dreschhaus" errichtet wurde, also eine Scheune, auf deren Balken die Getreideernte gelagert werden konnte, um sie direkt in der langen Durchfahrt des Gebäudes auszudreschen. Die nördliche, linke Abseite hätte dabei - zu der für eine Stall- nutzung wenig geeigneten Anordnung der Riegel durchaus passend - nur als Lagerraum gedient. Die Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht 22, 23 Rekonstruktion und Details zu früheren Nutzungen. Trennwand in Gebinde 6, für die sich so recht keine Erklärung findet, könnte ebenfalls mit dem Dreschbetrieb Zusammenhängen. Sie liegt im Osten und wäre dort gedroschen worden, hätte der Wind den Staub aus dem Gebäude herausgetragen. Das muss aber nicht die zutreffende Erklärung sein. Die Kammern an der rechten, südlichen Seite erscheinen ohne Raufen und Tröge ebenfalls als Pferdeställe nicht geeignet zu sein18. Wären solche aber vorhan- den gewesen, dürfte man sie anders ausgeführt haben. Zieht man in Betracht, dass der Dachüberstand auf dieser Seite nicht unbedingt nur dazu ge- dient hat, den Wetterschutz zu verbessern, sondern vor allem, um einen Spalt zu schaffen, durch den etwas in das Gebäude befördert werden konnte, wie es vielerorts, auch in der Grafschaft Hoya, belegt ist, dann hätte es sich z. B. um Heukammern gehandelt, die von oben befüllt und durch die Türen wieder entleert worden wären. Dazu passt auch das auffällige (und bei der Altholzanalyse auch nachgewiesene!) Fehlen von Zapfenlöchern in etlichen Innen- und Außenwandständern, wie sie für eine durchgehende Zwischendecke eigentlich erforderlich gewesen wären. Hinzu kommt der Aspekt, dass in einem 205 206 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 24, 25 Die neue Scheune. Rauchhaus eigentlich nur an wenigen Stellen, am manuelle und mühsame Umtragen von Heu wären nicht überliefert. Mit Aufgabe des Rauchhauses im 19. Jahrhundert konnte dann der Bodenraum des Die neue Scheune (Abb. 24, 25) besten unterhalb der Rauchgrenze, Heu gelagert werden konnte. Eine Heuscheune ist auf dem Hof jedoch Haupthauses als Heulager genutzt werden. Dass dies dort der Fall war, belegen auch die beiden Abwürfe in die im 19. Jahrhundert eingebauten (und zwischenzeitlich teilweise wieder beseitigten) Futtertische. Damit wären die mutmaßlichen Heufache im Pferdestallgebäude entbehrlich geworden. Danach wäre das zuletzt als Pferdestall genutzte Gebäude zunächst als reiner Scheunenbau, am ehesten wohl als „Dreschhaus", errichtet worden. Zur ur- sprünglichen Nutzung der einen Abseite als Heulager passt recht gut die Lage zum 130 Jahre älteren Haupthaus, in dem das Vieh mit Sicherheit zum größten Teil aufgestallt war, recht gut: Die Wege für das recht kurz gewesen. Beim Umbau der Hofanlage zu einem Dreiseithof entstand als Gegenüber des zum Viehhaus umgewandelten alten Haupthauses eine mehreren Zwecken dienende Scheune. Sie wurde als massiver Ziegelbau errichtet, alle Holzteile bestehen aus Nadelholz. Sie hat drei mit Fenstern alternierende Einfahrten an der Hof- seite (Nordseite) und eine am östlichen Giebel mit zwei flankierenden Fenstern und eine Luke darüber. Die Rückseite weist nur sieben fensterartige Öffnungen aus, der westliche Giebel lediglich eine Luke im Giebeltrapez. Das Gebäude trägt auf dem Schlussstein der östlichen Durchfahrt die Inschrift „J. H. F. Clüver". Sie weist als Bauherrn Johann Heinrich Friedrich Clüver aus, der 1852 den Besitz des Hofes antrat. Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht Die Scheune ist in sorgfältiger Manier der „Landbaukunst" errichtet, für die z. B. der Amtszimmermeister Burghard Glander (1818-1879) aus dem nahen Thedinghausen19 steht, der auch durchaus für die Rolle des - bis jetzt unbekannten - Planverfassers für den Umbau der Hofanlage in Betracht gezogen werden kann. Von Westen (rechts) ist die Scheune unterteilt in einen Bergeteil, bestehend aus zwei Bansen ohne Balken- decke mit einer mittleren Einfahrt dazwischen, die eine Decke mit großer Luke besitzt, dann folgt eine mit einer Balkendecke mit Luke überspannte weitere Einfahrt; am Ende schließt sich ein etwa quadratischer, mit einer Decke versehener Raum mit zwei Längsunterzügen und einer Luke an. Er ist durch je ein Tor in der hofseitigen Traufwand und dem östlichen Giebel erschlossen, außerdem durch eine kleine Tür an der Hofseite. Die Ständer der Unterzüge stehen auf hohen, pyramidenförmigen Sandsteinen. Die ur- sprüngliche Nutzung dieses Raumes erschließt sich 26 Magelsen, Siebenmeierhof, Herrenhaus des Dreiseithofes. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. nicht unmittelbar, aber die Möglichkeit, ihn, wenn auch „um die Ecke", zu befahren, liefert doch Hin- weise. Wenn es nicht ausschließlich ein Remisenraum war, dann kommt auch eine - eventuell temporäre Nutzung als Schafstall in Betracht, wie in gleicher Form von anderen Gutshöfen bekannt. Dafür sprechen auch die bauzeitliche Füllung zweier Fensteröffnungen auf der Rückseite als Jalousie-Lüftungsöffnungen sowie eine Reihe kleiner Lüftungslöcher im Ostgiebel, direkt unterhalb der Balkenlage. Das neue Wohnhaus Das sogenannte Herrenhaus (Abb. 26) entstand eben- falls um die Mitte des 19. Jahrhunderts als traufenständiger Bau in hohem Hochparterre, sodass das Sockelgeschoss wie ein Vollgeschoss genutzt werden kann. Er wird dominiert durch die zweiläufige Frei- treppe mit einem Sandsteinportal, in dem die Tür von zwei schmalen Fenstern flankiert wird. Rechts und links des Portals finden sich jeweils drei Fensterachsen. Das Gebäude wurde im Rahmen der hier beschriebenen Arbeiten nicht weiter untersucht. Der „Taubenturm" Zum architektonischen Konzept der Dreiseithofanlage gehört auch ein oktogonaler Turm in sehr ornamentalem Fachwerk mit Ziegelausfachungen (Abb. 27). Auf ein hohes Untergeschoss ist ein ganz leicht auskragendes Stockwerk gesetzt. Fast alle ursprünglichen Öffnungen sind heute vermauert. Das steile Pyramidendach ist heute mit Turmbibern gedeckt. Das Gebäude wurde nicht genauer untersucht. Für eine Nutzung als Taubenturm fehlen eigentlich die charakteristischen Öffnungen. Weiter kommt eine Verwendung als Uhrturm infrage - der wegen der Nähe zur Magelser Kirche aber eigentlich nicht nötig gewesen wäre. 27 Magelsen, Siebenmeierhof, Taubenturm des Dreiseithofes. Foto Heinz Riepshoff, Verden 1993. 207 208 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Zusammenfassung Auf dem Siebenmeierhof in Magelsen befindet sich ein trotz einiger Gebäudeverluste noch immer beeindruckendes Ensemble von oberschichtlichen Wohnund Wirtschaftsgebäuden, deren Baudaten vom frü- hen 17. Jahrhundert (Haupthaus 1612/13 d) bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, die die Formen des Wohnens und ihren Wandel über fast drei Jahrhunderte dokumentieren. Kurz nach der Veräußerung des Hofes aus dem Bestand der vom Landesherrn teilwei- se eingezogenen Höfe des Stiftes Bücken wurde das äußerst prestigeträchtige Haupthaus errichtet. Im Äußeren wurde es, wie die bescheidenen Reste noch deutlich erkennen lassen, in üppigen Renaissancefor- men ausgeführt. Im Inneren war es dennoch „nur" ein besonders großes niederdeutsches Hallenhaus mit der üblichen zentralen Herdstelle und zwei großen Luchten, das wohl auch in entsprechender Weise bewohnt wurde. Das Kammerfach barg dagegen eine wohl ausschließlich dem Status der Bewohner Rechnung tragende, reich befensterte und ehemals vermutlich sehr repräsentative Stube sowie zwei große unbeheizte Wohnräume über einem Halbkeller. Hinsichtlich der Ornamentik des Haupthauses dürfte es sich wohl um das - mittlerweile stark verstümmel- te - Hauptwerk eines talentierten regionalen Kleinschnitgers handeln, von dem sich in der Region noch einige weitere Bauten nachweisen lassen, die zwischen 1609 und 1621 erbaut wurden. Schon früh - wohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts - wurde im Haupthaus eine Scherwand zwischen Flett und Diele eingebaut, die, da das Haus weiterhin ein schornsteinloses Rauchhaus mit offenem Herdfeuer blieb, im oberen Teil vergittert und rauchdurchlässig ausgeführt wurde. Mit dem Einbau einer weiteren Stube - sicher im Gegensatz zu der im Kammerfach eine Art „Alltagsstube" - in der rechten Lucht beginnt man relativ früh, das „Großraumwohnen" aufzugeben. In dieser Form scheint das Haus mit nur wenigen weiteren Änderungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt worden zu sein. Nach der Mitte des 19. Jahrhundert bricht man vollständig mit den alten Wohnformen. Die „Herrschaft" zieht in ein standesgemäßes, zeittypisches Herrenhaus. Das Haupthaus wird zu einem der Flügel eines Dreiseithofes, behält aber die alten Wohnräume, die dann aber wohl nur noch von Bediensteten bewohnt wurden. Ein recht ungewöhnliches Nebengebäude war der heute nicht mehr vor Ort stehende sogenannte Pferdestall, der 1746 wohl als Bau zur reinen Erntebergung erbaut, in der Mitte des 19. Jahrhunderts dann zu einem zeitgemäßen Pferdestall umgebaut wurde. Die sich daraus ergebende Frage, wie die vielen Pferde untergebracht waren, die zur Bewirtschaftung der umfangreichen Hofflächen notwendig waren, lässt sich aus dem Gebäudebestand nicht beantworten. Ungewöhnlich ist auch die große, mäusesichere Pfeilerscheune von 1716, deren Einbindung in die wirtschaftlichen Abläufe des Hofes noch genauer untersucht werden muss. Das Herrenhaus, die neue Scheune und der Tauben- turm bilden dann ein qualitätvolles Ensemble von Baulichkeiten des 19. Jahrhunderts, die sicher unter starkem Einfluss von externen, überregionalen Vorlagen entstanden sind. Der Siebenmeierhof in Magelsen: Hof und Wohnsitz der agrarsozialen Oberschicht Anmerkungen 11 KasparTTerlau 1984 (wie Anm. 10). 1 Nicolaus C. Hentger, 1100 Jahre Bücken. Hildesheim 1982, 12 Eitzen hat nur das Erdgeschoss sehen können und dar- S. 1 ff, 19-21. 2 Die Ausführungen zur Geschichte des Hofes sind im We- sentlichen nach einer handschriftlichen Ausarbeitung eines unbekannten Autors im Besitz der Besitzerfamilie GlanderJebens, die die Primärquellen nicht benennt. 3 Nesger: Bedeutung unklar (nicht in einschlägigen Wörter- über einen Krüppelwalm rekonstruiert, wo m. E., wie weiter unten ausgeführt wird, jedoch ein Steilgiebel am wahrscheinlichsten ist. Neben der bisher einzig bekannten rekonstruierten Perspektivdarstellung ist auch die Existenz von Fotos im Archiv Eitzen (Freilichtmuseum Hösseringen) zu ver- muten, die jedoch beim Stand der dortigen Bearbeitung büchern). nicht aufzufinden sind. 4 Solidus war eigentlich eine Münze. Die hier möglicherwei- 13 Diese Spuren hat Eitzen - wie auch am Vordergiebel - se vorliegende Verwendung als Maßeinheit ist unklar, da für nicht gesehen. die Münze die zu erwartenden Wörter Schillingk und für das 14 Bild im Archiv des LfD, Hannover, Hohlmaß Scheppel verwendet werden und damit diese Bedeutungen ausgeschlossen sind. 5 Botlingk vermutlich identisch mit Bötel, synonym Bödtling: Verschnittener Schafbock, Hammel (Versuch eines BremischNiedersächsischen Wörterbuches, Bd. 1 (A-F). Bremen 1767, S. 126. 6 Hier gemäß Kontext Widder (im Niederdeutschen später nicht mehr gebräuchlich). 7 Tegede: Zehnter (d. h. ein nachgeordneter, zehntpflichtiger Hof). 8 Eine in gleicher Weise angebrachte Jahreszahl ist zu vermuten, wurde jedoch bei der Bauaufnahme nicht gefunden. 9 Hentger 1982 (wie Anm. 1), S. 21. 10 Z. B. die Pfeilerscheune von 1717: Gerhard Eitzen, Der bäuerliche Scheunenbau im Lüneburger Land, in: Lüneburger Blätter. 5, S. 71-95 (1954), sp. Abb. 2 D. Das Haupthaus s. Karoline Terlau/Fred Kaspar: Bauernhäuser aus Mitteleu- ropa. Sobernheim-Bad Windsheim 1984, Tafel 18. Hier S. 209 auch Nachweis seiner gesamten Zeichnungen zum Hof. http://www.bildindex.de/obj20595486.html#lhome 15 Thorsten Neubert-Preine, Eine „allen Beyfalls würdige Societaet". Festschrift aus Anlass des 250-jährigen Gründungsjubiläums der Brandkasse für die Grafschaften Hoya und Diepholz. Nienburg 2006, S. 7/Endnote 4 (NHStA Hannover, Celle Br. 72 Nr. 620). 16 Auch behandelt in Heinz Riepshoff, Speicher und Backhäuser in der Grafschaft Hoya. Lilienthal (IGB) o.J., S. 168169. 17 Die Namen der Bauherren finden sich auf der Stockwerk- schwelle des Vordergiebels. Sie konnte hier leider wegen fehlender Erfassung nicht wiedergegeben werden. 18 Der Forschungsstand zu Ausführungsformen von Pferdeställen in Hallenhäusern vor der Mitte des 18. Jahrhunderts ist allerdings relativ spärlich, sodass sich auch wenig Vergleiche ziehen lassen. 19 Anke Rüpke, Landbaukunst - Leben und Leistung des Amtszimmermeisters Burghard Glander (1818-1879) in Thedinghausen. Lilienthal (IGB) 2009. 209 210 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg Bernd Adam Friedrich Karl von Hardenberg war von 1741 bis zu seinem Tod im Jahre 1763 Hannoverscher Oberhofbau- und Gartendirektor (Abb. 1).1 Mit dem Bauwesen hatte er sich jedoch bereits zuvor beschäftigt. Schon 1723 war der damals erst 27-Jährige von König Georg I. zum Kammerrat ernannt worden.2 Damit war er der jüngste der leitenden Staatsbeamten in dieser Behörde, die für die Verwaltung der Ämter, Staats- güter, Forsten und Bergwerke zuständig war. Spätestens seit 1711 lag auch die Unterhaltung der staatlichen Bauten einschließlich der Schlösser im Zuständigkeitsbereich der Kammer und einer der Kammerräte trug den Titel des Baudirektors, der 1728 Hardenberg übertragen wurde.3 1 Friedrich Karl von Hardenberg als Oberhofbau- und Gartendirektor. Ölgemälde von Johann Georg Ziesenis um 1760 im Hardenbergschen Haus in Hannover-Herrenhausen. 211 2 Heinsen, Gutshof des Hofmarschalls Christian Ulrich von Hardenberg. Entwurf zur Errichtung des Herrenhauses, Tobias Henry Reetz, um 1725. Das Hardenbergsche Herrenhaus in Heinsen Auch innerhalb der Familie war Friedrich Karl als Sachverständiger bei Bauvorhaben gefragt. Für seinen beim König in London weilenden Cousin, den königlichen Hofmarschall Christian Ulrich von Hardenberg, überwachte er bereits 1725 die Errichtung von dessen Haus auf Gut Heinsen südlich von Hannover (Abb. 2).4 Der Entwurf zu diesem überaus modernen Bau stammte von dem im selben Jahr zum hannoverschen Hofarchitekten berufenen Tobias Henry Reetz.5 Neu 212 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 3 Heinsen, Hardenbergscher Gutshof, Entwurf für die Umzäunung mit Brunnenschalen vor dem Herrenhaus. Tobias Henry Reetz, um 1732. war hier das Konzept eines eingeschossigen Herrenhauses mit Gartensaal im Erdgeschoss, die Anord- nung seitlicher Korridore neben der Eingangsdiele sowie die Unterbringung von Toiletten im Gebäudeinnern. In für die Region ungewöhnlich prächtigen barocken Formen sind der Mittelrisalit aus Werkstein mit dem Haupteingang sowie die vorgelagerte geschwungene Freitreppe gestaltet. Auf das Grund- konzept des eingeschossigen Herrenhauses mit ausgebauter Mansarde und einer Vielzahl direkter Ver- bindungen über Treppen zum Garten griff Hardenberg später auch bei der Errichtung seiner eigenen Dienstwohnung in Herrenhausen zurück (Abb. 4). Das normale hannoversche Herrenhaus der Zeit war zweigeschossig und sein Saal lag im Obergeschoss. Ein weiteres einstöckiges Herrenhaus ließ sich Hardenbergs Ministerkollege, der Geheime Rat Heinrich Grote, auf seinem Gut Bettensen gut 10 km südlich von Hannover in den Jahren 1735-38 und somit direkt vor seiner Ernennung zum Kammerpräsidenten durch den hannoverschen Hofzimmermeister Joseph Schaedler errichten.6 Berühmt war in Heinsen vor allem die 1738 angelegte Druckwasserleitung, die von einer hoch gelegenen Quelle gespeist wurde. Diese Wasserversorgung ermöglichte es, bis zu 7 m hohe Fontänen aus kupfernen Schalen auf den mittleren Sandsteinpfeilern der Hofumzäunung vor dem Haus springen zu lassen (Abb. 3).7 Das dürfte beim Empfang hochrangiger Gäste einen recht imposanten Eindruck hinterlassen haben. Nach meinem Wissen sind dies die kräftigsten Wasserspiele, die in Norddeutschland im 18. Jahrhun- dert in einem Privatgarten betrieben wurden. Die Aussparungen für die längst entfernten Metallrohre der Springbrunnen sind noch heute an den Pfeilern ablesbar. Abzweiger der Leitung führten auch durch einige der Wirtschaftsgebäude und dienten dort unter anderem der Abfallbeseitigung. Wahrscheinlich gab es auch eine durchgängig fließende Spülung unter den im Herrenhaus gelegenen Toilettenanlagen. Die Arbeiten am Herrenhaus in Heinsen zogen sich wenigstens bis 1732 hin. Ein Brief aus diesem Jahr berichtet vom Streit des Architekten mit den beteiligten Handwerkern.8 Ähnliche Probleme gab es auch im Hofbauwesen und bald stellte sich heraus, dass der Baumeister Reetz unter weitreichenden Gedächtnisausfällen litt, die ihn misstrauisch gegen alle Mitarbeiter werden ließen. In der folgenden Untersuchung musste Reetz zugeben, indessen sey bekandt, daß er seit 2 Jahr incommodiret gewesen und es sehr stark im Kopfe gehabt habe, so, daß wenn er 2 Stunden gearbeitet, in 4 und mehr Stunden nachher ihm nicht möglich gewesen auf das geringste zu gedenken.9 Diese Schwierigkeiten waren Hardenberg nicht ver- Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg borgen geblieben, weshalb er sich darum kümmerte, dass der hannoversche Hoftischler Johann Paul Heumann auf Staatskosten zu Ausbildungsreisen nach Holland, Frankreich und Norditalien geschickt wurde.10 Als sich dann 1736 herausstellte, dass Reetz es weiterhin im Kopfe habe, und nicht allemahl arbeiten könne," wurde der Hofarchitekt in Pension geschickt und Heumann zu seinem Nachfolger bestellt.12 Damit hatte Hardenberg einen verlässlichen, aus dem Hand- werk stammenden Architekten an seiner Seite, mit dem zusammen er nahezu alle wichtigen Hofbauprojekte der kommenden 23 Jahre realisieren konnte. Das Oberhofbau- und Gartendirektorenhaus in Herrenhausen Angesichts des steilen Beginns seiner Karriere hatte Hardenberg auf eine Berufung in das Geheime Rats- kollegium und somit in das höchste Regierungsgremium gehofft. Seine fortschrittlichen Ideen, die sich nicht nur im Bauwesen zeigten, waren den übrigen Geheimen Räten jedoch so verdächtig, dass sie sich seiner Ernennung entschieden widersetzten. Als der enttäuschte Hardenberg daraufhin im Frühjahr 1741 sein Amt bei der Kammer niederlegte, wurde auf Anweisung des Königs eigens für ihn das Hofbauwesen aus der Zuständigkeit der Kammer herausgetrennt und Hardenberg zum Oberhofbau- und Gartendirektor im Ministerrang ernannt.13 So konnte der König weiterhin auf seine geschätzten Dienste zurückgreifen. Hardenberg war den Geheimen Räten im Rang gleichgestellt und erhielt einen Tätigkeitsbereich, in dem er seine Interessen ausleben konnte, ohne für die übrigen Geheimen Räte eine Bedrohung Bau des eleganten Palais auf Staatskosten nicht recht einsehen,17 aber beim nächsten Besuch Georgs II. in Herrenhausen gelang es Hardenberg 1748, den Monarchen in einem persönlichen Gespräch von seinen Bauabsichten zu überzeugen und zur Bewilligung von 3 500 Reichstalern Rohbaukosten zu bewegen. 1 000 Taler für die aufwändige Innenausstattung seiner neuen Dienstwohnung steuerte der Hofbaudirektor aus eigener Tasche bei. Die Errichtung des Gebäudes erfolgte dann in den Jahren 1749-1751,18 Die von Hardenberg selbst finanzierte Ausstattung der Dienstwohnung war erlesen: Das von Bronzeleuchtern erhellte Vestibül zierten Büsten und Kirschholztische.19 Der Gartensaal wies eine geschnitzte Wandvertäfelung in Rokokoformen auf, in die sechs Jagdszenen, Nymphen und Faune darstellende Ölgemälde sowie Supraporten mit Schäferszenen integriert waren.20 Das Raumprogramm des Erdgeschosses wur- de vervollständigt durch ein Visitenzimmer und zwei Wohnstuben, weitere Stuben und Kammern fanden sich im Mansardengeschoss. Die Küche lag im ge- wölbten Keller.21 Wie in Heinsen schaffen auch beim Hardenbergschen Haus mehrere Freitreppen eine enge Verbindung von darzustellen. Den Freiraum, der sich ihm durch seine neue Stellung, die besonderen Verhältnisse der Personalunion sowie sein gutes persönliches Verhältnis zum König bot, verstand Hardenberg dazu zu nutzen, sich inmitten des höfischen Bereichs sein ganz eigenes Refugium zu schaffen: Als das alte Gärtnerwohnhaus in HannoverHerrenhausen, in dem Hardenberg zuvor ein Büro nutzte, Zeichen von Baufälligkeit zeigte,14 schlug er dem König vor, an der Nordwestecke des Großen Gar- tens ein Gartenhaus mit Fruchtkammer und Ge- wächskeller errichten zu lassen,15 das ihm fortan als Dienstwohnung zur Verfügung stehen sollte (Abb. 4). Den Entwurf hierzu, in dem sich Erinnerungen an das Herrenhaus seines Onkels in Heinsen mit Anregungen von einer 1741 in geheimer diplomatischer Mission durchgeführten Reise nach Paris verbinden, ließ Hardenberg von Heumann anfertigen.16 Ziel des Neubaus war offiziell vorrangig die Schaffung einer zusätzlichen Überwinterungsmöglichkeit für empfindliche Gartengewächse, für deren Unterbringung ein Teil des Erdgeschosses sowie ein gut belichteter Gewölbekeller vorgesehen waren. Der sparsame König wollte zwar anfänglich die Notwendigkeit zum 4 Hannover-Herrenhausen, Hardenbergsches Haus (Oberhof- bau- und Gartendirektorenwohnung). Bestandsplan, um 1780. 213 214 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Innen- und Außenraum (Abb. 2 und 4). Realisiert wurde hier also eine echte Maison de Plaisance französi- scher Prägung. Das Hardenbergsche Haus ist ge- schickt so in einer der Seitenachsen des Herrenhäuser Großen Gartens platziert, dass es mit der westlichen Seitenallee und dem älteren Eckpavillon an der Südwestecke des Gartens in einer engen Achs- und Sichtbeziehung steht, die vergessen lässt, dass es sich bei diesem Bau um eine nachträgliche Hinzufügung handelt. 5 Hannover, Hardenbergsches Haus Am Markt 13, 1887. Direkt gegenüber seiner neuen Dienstwohnung hatte Hardenberg bereits seit 1737 einen Teil des Großen Gartens durch schützende Mauern abtrennen lassen.22 In diesem sogenannten Apfelstück ließ er eine große Vielfalt an Obstbäumen, Feigen und Melonen kultivieren und für einen in diesem Zusammenhang errichteten, in der Mitte der Westwand der Anlage positionierten und bis heute erhaltenen Pavillon können wir uns wohl am ehesten den Hofbaudirektor als Nutzer vorstellen, der von hier aus sein Gartenreich überblickte. Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg Das Hardenbergsche Haus am Markt in Hannover Eigentlich hätte die komfortable Dienstwohnung in Herrenhausen für den Junggesellen Hardenberg vollauf ausgereicht. Seine Stellung im Rang eines Ministers machte jedoch zusätzlich den Bau eines repräsentativen Stadthauses notwendig.23 In prominenter Lage an der Westseite des Altstädter Marktes in Hannover, somit in unmittelbarer Nähe des Rathauses und der Marktkirche, erwarb Hardenberg das 1645 errichtete Haus des Bergfaktors und Hoflieferanten Johann Duve, der als reichster Hannoveraner des 17. Jahrhunderts galt. Es ist als programmatisch anzusehen, dass der Hofbaudirektor dieses keineswegs baufällige Haus abbrechen und an seiner Stelle ab 1754 durch Heumann einen zeitgemäßen Neubau errichten ließ (Abb. 5).24 Modern war das Hardenbergsche Haus am Markt vor allem, weil hier die Trennung von symmetrischer Fas- sadengliederung und funktionsorientierter Innenraumgestaltung, die Hardenberg und Heumann auf ihren Frankreichreisen kennengelernt hatten, konse- quent vollzogen wurde. Deutlich wird dies an der unregelmäßigen Grundrissgestaltung hinter der symmetrischen Fassade und vor allem an der Positionie- rung des etwa 64 qm großen Festsaals seitlich im zweiten Obergeschoss, dessen Lage sich an der Fassa- de in keiner Weise ablesen ließ (Abb. 6). Neu war auch die Anlage eines Mezzaningeschosses über dem Erdgeschoss. Ersteres diente Hardenberg als Privatwohnung. Hier befand sich ein kleiner Speisesaal für alltägliche Nutzung sowie Hardenbergs Schlafzimmer mit fest eingebauten Kleiderschränken und Bücherborden direkt neben dem Bett. So konnte das mit Spiegeln, marmornen Wandtischen, geschnitzten und lackierten Wandvertäfelungen sowie Textil- und chinesischen Papiertapeten wertvoll ausgestattete zweite Obergeschoss mit dem Saal komplett für festliche Veranstaltungen vorgehalten werden. Im schon durch seine geringe Höhe als untergeordnet gekennzeichneten dritten Obergeschoss befanden sich Lagerräume und Schlafstellen für das Dienstpersonal, so eine Kam- mer, wo die schmutzige Wäsche aufgehangen zu werden pflegt, eine Vorrats- oder Folterkammer, zwei Kleiderkammern, eine Bedientenkammer sowie eine Kammer für fremde Domestiquen mit einem Schlaftisch für zwei Personen.25 Wenn gesellschaftlich hochstehende Gäste beherbergt wurden, galt es ja nicht nur diese selbst, sondern auch deren mitreisendes Personal unterzubringen. Eine weitere Stube und Kammer für die Dienerschaft sowie die Küche und Backkammer im Seitenflügel befanden sich im Erd- geschoss. Supraporten mit Stadtansichten von Venedig zierten die Türen der Diele. Von hier aus führ- te eine imposante zweifach gewendete Treppe nach oben. Direkt daneben war im Seitenflügel eine weitere Treppe angeordnet (Abb. 6), die wohl vorrangig für 6 Hannover, Hardenbergsches Haus Am Markt 13. Erdgeschossgrundriss, Bestandsplan, um 1837 (aus Stadtarchiv Hannover). die Dienerschaft vorgesehen war. Zwar blieb das Hardenbergsche Haus in der Größe hinter den Neubauten einiger anderer Minister zurück, doch ist es trotzdem bemerkenswert, dass dem alleinstehenden und bei Baubeginn bereits 59-jährigen Auftraggeber und seinem Dienstpersonal hier mehr als 46 Räume zur Verfügung standen.26 Der Gutshof in Nörten-Hardenberg Im Jahre 1736 hatte der damals 40-jährige Friedrich Karl von Hardenberg den elterlichen Gutshof und Stammsitz der Familie in Nörten-Hardenberg geerbt.27 Er selbst war 1696 noch auf der dortigen alten Burg 215 216 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 7 Nörten-Hardenberg, Herrenhaus des Hardenbergschen Gutshofes, 2010. 8 Nörten-Hardenberg, Prospect des Vorder-Hauses Hardenberg (Ausschnitt). Federzeichnung von Georg Daniel Heumann um 1748. geboren worden, doch hatte 1698 der Einsturz eines der Türme die Familie zur Verlegung ihres Wohnsitzes veranlasst.28 Ab 1702 wurde vom Baumeister Georg Sigismund Schmidt aus Hannover das moderne neue Herrenhaus errichtet,29 das noch heute am Fuß des alten Burgbergs den Kern der Gutsanlage bildet (Abb. 7). Hierhin zog sich Hardenberg meist im Sommer über viele Wochen von seinen hannoverschen Dienst- geschäften zurück. Hier empfing er Professoren der nahe gelegenen Göttinger Universität, wie den Philologen Johann Matthias Gesner, den ersten Direktor der Göttinger Universitätsbibliothek, oder den be- kannten Arzt und Naturwissenschaftler Albrecht Haller. Geistreiche Gespräche wechselten mit gemein- Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg samen Versuchen, bei denen man mikroskopierte, sich gegenseitig statisch auflud oder magnetisierte.30 Auf dem Hardenberg lud der Hofbaudirektor auch politische Vertraute ein, wie 1748 den Herzog von Newcastle,31 der zu dieser Zeit Britischer Außenminister war. Beim Herrenhaus beschränkte sich Hardenberg auf eine zeitgemäße Instandsetzung der Innenräume.32 Grundlegend waren jedoch seine Eingriffe in den Wirtschaftsbetrieb: Zwischen 1747 und 1753 errich- tete der aus Hannover herangeholte Hofarchitekt Heumann auf dem Gut zwei große neue massive Schafställe, eine zusätzliche Scheune, ein Schweinehaus sowie einen Gartenpavillon und ein Gewächshaus zur Feigenzucht.33 So wurde einer der schon mit den alten Fachwerkgebäuden imposantesten Wirtschaftshöfe der Region (Abb. 8) ganz modern und noch leistungsfähiger um- und ausgebaut. Wie bei den Hofbauprojekten wurden alle Neubauten auf dem Gut in Massivbauweise errichtet. Typisch für Hardenberg ist die Zurückhaltung in der Verzierung der Bauten, wofür die Gestaltung des Eingangs in die 1751 errichtete Scheune als typisch anzusehen ist. Der Hofbaudirektor ließ in die Sandsteineinfassung des Portals lediglich dünn seine Initialen und das Baujahr einarbeiten und dort, wo normalerweise ein Schlussstein mit Wappen zu erwarten wäre, prangt deutlich die Feuerversicherungsnummer des Gebäudes. Ein programmatisches Bekenntnis, da Friedrich Karl von Hardenberg an der Einrichtung der ersten Feuerversicherung im Kurfürstentum grundlegend beteiligt war. Vollkommen ungewöhnlich ist die Dekoration der bei- den großen, zwischen 1747 und 1749 errichteten Schafställe, von denen der eine für die Aufnahme von berg während der Bauzeit der Stallungen auch den Göttinger Professor Matthias Gesner bei dessen kritischer Herausgabe der Werke des Horaz durch die Beschaffung schwer zugänglicher lateinischer Literatur,34 weshalb Gesner den dritten, 1752 in Leipzig erschienen Band dieses Werkes mit einer Widmung an Hardenberg versah. Hardenbergs Wissenshorizont umfasste jedoch nicht nur antike Texte: Über der zwischenzeitlich vermauerten südlichen Eingangstür des Stalls findet sich ein Epigramm des Engländers John Owen aus dem frühen 17. Jahrhundert (Abb. 9), in dem auch dieser den Wert der Schafe für die Gutswirtschaft preist: Sinngemäß übersetzt lautet dieses: Sei es, dass Fleisch oder Leder oder Lämmer oder Mist oder Knochen, Würfel oder Därme fehlen, alles bietet das Schaf.35 Der Landbaumeister Otto Heinrich von Bonn entwarf 1748 das neue Brauhaus für den Hardenberg.36 Hier wurde die Grundlage für die bis heute florierende Produktion der Spirituosen mit dem Keilerkopf gelegt. Die Abfälle der Bier- und Branntweinproduktion dien- ten zur Mast der Weideschweine, die neben den Schafen das zweite Standbein der Gutswirtschaft ausmachten. 1750 wurden in der Ölmühle des Gutshofes sowie in weiteren Hardenberg gehörenden Wassermühlen in Nörten und Geismar horizontal laufende Wasserräder nach einer Erfindung des Göttinger Professors Johann Andreas Segner eingebaut.37 Es sind dies die ersten Versuche mit dieser neuen Methode, die als Grundlage der modernen Turbinentechnik gelten kann. Hardenberg zeigte sich hier aufgeschlossen gegenüber den neuesten Entwicklungen der Ingenieurwissenschaft, obwohl sich diese noch im Ver- suchsstadium befanden. gut 800, der andere für 900 Tiere ausgelegt war. Weitere Stallungen gab es auf dem nahe gelegenen Vorwerk Levershausen, sodass die Schafhaltung den Schwerpunkt der Gutswirtschaft auf dem Hardenberg bildete. An jedem der Ställe finden sich im Bereich der Fenster und Türen mehrere Inschriftensteine, die neben der Nennung des Bauherrn und der Datierung längere lateinische Texte zeigen. Einige der Inschriften sind stark verwittert. Zwei davon haben die letzten 260 Jahre jedoch besser überstanden, sodass die dort eingearbeiteten Texte noch lesbar sind und sich ihre Herkunft erschließen lässt, wobei sich ein eindrucks- volles Bild weitläufiger Bildung bietet: Die Inschrift unterhalb eines Fensters im Giebel des Stalles von 1747 stammt aus der Georgica des Publius Vergilius Maro, bekannt als Vergil, die dieser zwischen 37 und 19 v. Chr. verfasst hat, einer vierbändigen Sammlung von Lehrgedichten zur Landwirtschaft, und hier aus Band III, wo Vergil die Vorteile verschiedener Kleintiere, darunter auch die des Schafes aufführt. Auf den ersten Blick erscheint ein antiker Text am Schafstall vielleicht etwas abwegig, doch unterstützte Harden- 9 Nörten Hardenberg, Schafstall von 1747 auf dem Harden- berschen Gutshof. Inschriftenstein über dem ehern. Südeingang mit Epigramm von John Owen, 2010. 217 218 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 10 Geismar, Plan der Ortslage mit Gutshof (1) und Kirche (2) von Johann Thomas Willich, um 1745. Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg Die Patronatskirche und der Gutshof in Geismar Zusammen mit dem Stammsitz der Familie hatte Hardenberg 1736 auch das Gut in Göttingen-Geismar geerbt und war damit Patronatsherr der dortigen Kirche geworden. Schon zu Lebzeiten seines Vaters hatte er von verschiedenen Architekten Pläne ausar- beiten lassen, um die hier bestehende baufällige Kirche aus dem Mittelalter durch einen Neubau zu ersetzen. Realisiert wurde in Geismar schließlich bis 1743 ein wiederum von Heumann entworfener Bau auf dem Grundriss eines gleichseitigen Kreuzes,38 der sehr an reformierte Kirchen in Holland erinnert, wie sie Hardenberg auf seiner Kavaliersreise durch die Niederlande im Jahre 1717 kennengelernt haben kann. Der Gutshof in Geismar war eine stattliche, jedoch unregelmäßige Vierseitanlage und wurde von der Familie, anders als der Stammsitz Hardenberg, lediglich als Wirtschaftsbetrieb gesehen und von einem Verwalter betrieben. Ein näherer Eindruck von der Gestaltung der Anlage kann heute nur noch über historische Lagepläne gewonnen werden (Abb. 10), weil die letzten zugehörigen Gebäude bereits in den 1960er-Jahren abgebrochen wurden. sischen französischen Architektursprache, die Harden- berg und Heumann auf ihren Reisen kennengelernt hatten. Inzwischen befindet sich der Pavillon auf dem Lindener Bergfriedhof, wohin er 1914 nach Anlage des Lindener Güterbahnhofs auf dem vorherigen Gelände des Küchengartens versetzt worden ist.44 Die Wirkung des Bauwerks war anfänglich noch beeindruckender als heute, da dem Pavillon große, recht- eckig gefasste Teiche symmetrisch vorgelagert waren, sodass sich der in die Umfassungsmauer des Gartens integrierte Bau in ihnen spiegeln konnte, ein Zugang auf direkter Wegachse jedoch nicht möglich war.45 Vom überkuppelten Obergeschossraum und den flankierenden Terrassen war am ursprünglichen Standort ein ungehinderter Blick über die Leineniederung bis nach Hannover und Herrenhausen möglich.46 Ein Ka- min aus Blankenburger Marmor erlaubte die Beheizung des Obergeschossraumes, dessen Wände mit geschnitzten Holzvertäfelungen bekleidet waren und dessen hölzerne Kuppel ein Fresko mit den vier Jahreszeiten zierte.47 Zwar war die Errichtung des Küchengartenpavillons offiziell ein staatliches Bauprojekt, doch kommt als Nutzer des eleganten Bauwerks mit Ausnahme seltener Besuche des Königs vorrangig Hardenbergs Aussichtspavillons Im Sommer 1744 begab sich Hardenberg auf eine zehnmonatige Reise nach England.39 In London lernte er Lord Burlington, einen der bekanntesten autodidaktischen Architekten der Zeit, und dessen bevor- zugten Gartengestalter William Kent kennen. Gemeinsam besuchten sie Burlingtons berühmte Villa in Chiswick bei London,40 deren Garten Kent im land- schaftlichen Stil gestaltet hat. Hardenberg kaufte in England Stiche moderner Häuser und Gartenanlagen und notierte und skizzierte, was ihm an Neuerungen von der Spültoilette bis zum Gartenpavillon unterkam. Im Oktober und November 1744 hielt sich Hardenberg zweimal in Euston Park in Suffolk, dem Haus des Herzogs von Grafton auf,41 wo als Blickpunkt der seit 1738 ebenfalls von William Kent umgestalteten Gartenanlage gerade über dem Eiskeller ein Aussichtspavillon mit seitlichen Terrassen angelegt wurde. Hardenberg notierte dazu in seinem Reisetagebuch: Ein Gebäude vor das Icehouse auf einer Höhe mit einem kleinen Zimmer, so recht artig war42 und nahm eine von Kent gezeichnete Skizze des Gebäudes mit nach Hannover (Abb.11). Als nach seiner Rückkehr eine Neuordnung des könig- lichen Küchengartens in Hannover-Linden anstand, ließ der Hofbaudirektor dort 1748-1749 durch Heumann einen Pavillon errichten (Abb. 12),43 der in seiner Grundstruktur mit zweigeschossigem, überkuppelten Mittelbau und seitlichen Austrittsterrassen deutliche Anleihen bei Kents Entwurf für Euston nimmt. Die in feinen Sandsteinarbeiten ausgeführten Detailformen entsprechen jedoch ganz der zeitgenös- 11 Euston Park, Suffolk, Eiskeller mit Aussichtspavillon im Park des Herzogs von Grafton, Entwurf von William Kent, 1744. 219 220 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 12 Hannover-Linden, ehemaliger Küchengartenpavillon, 2009. der Oberhofbau- und Gartendirektor von Hardenberg in Betracht, der sich hier also ebenso wie in seinem Herrenhäuser Dienstsitz ein nahezu privates Refugium schuf, in dem er die Zucht seltener Pflanzen betreiben ließ. Von Hardenbergs eigener Hand stammt eine Skizze für einen weiteren Aussichtspavillon, den er als Blick- punkt der Hauptallee seines Gartens am Fuß des Burgberges in Hardenberg errichten wollte (Abb. 13). Herausragende Bedeutung hat dieser Entwurf durch die Tatsache, dass hier erstmals in der Region Rückgriff auf gotische Stilformen genommen wird, wie sie Hardenberg auf seiner Englandreise an neugotischen Staffagearchitekturen dortiger Landschaftsgärten kennengelernt hatte. Wie in Euston und beim Küchengartenpavillon war ein erhöhter, überkuppelter Mittelraum vorgesehen, der hier von gotischen Ge- wölberippen überfangen werden sollte. Es gab eben- falls die Möglichkeit zum Austritt auf seitliche Terrassen. Der weite Blick in die Landschaft und die Ver- bindung von Innen- und Außenraum bestätigen sich hier als wiederkehrende Aufgabenstellungen der von Hardenberg geprägten Architektur. Neu ist die Nutzung des Obergeschossraumes, der als Archiv mit eisernen Fenstern und Türen eingerichtet werden soll- te. Hardenbergs tiefes Interesse für Naturwissenschaf- ten schlägt sich nieder in dem überdimensionierten Blitzableiter oder Blitzeinfänger aus Eisendraht, der die Kuppel bekrönt und seiner Zeit weit voraus ist. Leider kann angesichts des Untergangs des hardenbergschen Gutsarchives im Zweiten Weltkrieg heute nicht mehr geklärt werden, ob dieser spektakuläre Entwurf zur Ausführung gekommen ist.48 Selbst der Plan ist jedoch ein deutlicher Beleg für die weitreichenden wissenschaftlichen Interessen und kulturellen Verbindungen des Auftraggebers. Zusammenfassung Eindrucksvoll bleibt die Fülle möglicher Wohnorte mit überaus umfangreichem Raumangebot, die dem alleinstehenden Oberhofbau- und Gartendirektor Friedrich Karl von Hardenberg zur Verfügung stand. Erforderlich war dieses wohl weniger aus persönlichem Bedürfnis heraus, sondern bedingt durch seine gesellschaftliche Stellung, da andere Mitglieder der Regierung auf Ministerebene vergleichbar weitläufige oder sogar größere Häuser unterhielten. Durch den Besitz zweier auswärtiger Gutshöfe, an deren Bewirt- schaftung Hardenberg regen Anteil nahm, sowie durch die Verteilung seiner Dienstgeschäfte auf Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg 13 Nörten-Hardenberg, Entwurf für einen neugotischen Archiv- und Aussichtspavillon auf dem Hardenbergschen Gut. Friedrich Karl von Hardenberg, um 1744. 221 222 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Tätigkeiten in der Stadt Hannover sowie in Herrenhausen war ein Bedarf an mehreren Wohnsitzen gegeben. Ungewöhnlich und wohl nur in Hardenbergs besonderer beruflicher Situation möglich war die Prägung und teilweise Aneignung staatlicher bzw. herrschaftlicher Bauten, wie sie bei der Dienstwohnung in Herrenhausen sowie den Pavillons im dortigen Apfelstück und am Königlichen Küchengarten in Linden greifbar wird. Deutlich ablesbar ist die Umsetzung von Anregungen, die Hardenberg auf seinen Reisen nach Frankreich und England durch dortige aktuelle Architekturprojekte gewonnen hat. Auch sein Interesse an modernsten wissenschaftlichen Entwicklungen zeigt sich an einigen seiner Projekte, wie den Springstrahlen in Heinsen, der versuchsweisen Einrichtung von waagerechten Wasserrädern in einigen seiner gutseigenen Mühlen und dem Blitzableiter auf dem in Hardenberg geplanten Gartenpavillon. Bisher einmalig ist die Dekoration von Wirtschaftsbauten auf dem eigenen Gut mit Literaturzitaten, in denen sich einerseits der weitreichende Bildungshorizont des Auftraggebers niederschlägt und andererseits diese Zweckbauten eine Nobilitierung erfahren, die gemeinsam mit ihrem beeindruckenden Bauvolumen und ihrer dauerhaften Aus- führung die hohe Wertigkeit belegt, die Hardenberg einer geordneten Wirtschaftsführung auf seinen Besitzungen gegenüber rein repräsentativen Zwecken einräumte. Somit zeigt sich Hardenberg insgesamt in seinen Bauten als wichtiger Vertreter der Aufklärung 10 NHStA-H, Hann 76 cA Nr. 258, S. 639 u. 642, Nr. 257, S. 642, Dep. 103 XXIV Nr. 906. 11 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 904. 12 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 906, Bestallungsurkunde vom 21. Sept. 1736. 13 Klausa (wie Anm. 3), S. 30-32. 14 NHStA-H, Hann. 92 Nr. 222, Pro Memoria vom 19. Mai 1747. 15 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 5358, Resolution vom 2. Sept. 1748. 16 NHStA-H, 13c / Herrenhausen 24 pk. - Vgl. Bernd Adam, Hardenbergs Wirken als Oberhofbaudirektor, in: Wilken von Bothmer/Marcus Köhler (Hg.), Im Auftrag der Krone. Friedrich Karl von Hardenberg und das Leben in Hannover um 1750. Rostock 2011, S. 35-43, hier S. 38. 17 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 5358, Schreiben vom 22. Mai 1747. 18 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 3632, Verzeichnis der ver- wandten Baukosten an den herrschaftlichen Gebäuden 1740-1759; Nr. 5358, Bericht vom 15. Aug. 1750. 19 HGL, Nr. 1496, BI. 76. 20 Udo von Alvensleben, Herrenhausen. Diss. Hamburg 1928, S. 66f. 21 NdsHStaA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4156, Inventarium von den Meublen welche in der Official-Wohnung des Hofbaudirectors zu Herrenhausen befindlich sind 1810. 22 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4822, Kostenanschlag vom 15. Juni 1737. 23 Bernd Adam, hannoversche Adelspalais des Barock und Rokoko, in: Silke Lesemann/Annette von Stieglitz (Hg.), in Kurhannover. Stand und Repräsentation (= Hannoversche Schriften zur Re- Anmerkungen 40, hier S. 33-37. 1 Gustava Alice Klausa, Die eigene Welt ist nicht genug - Hardenbergs Persönlichkeit, in: Wilken von Bothmer/Marcus Köhler (Hg.), Im Auftrag der Krone. Friedrich Karl von Har- denberg und das Leben in Hannover um 1750. Rostock gional- und Lokalgeschichte, Bd. 17). Bielefeld 2004, S. 13- 24 Stadtarchiv Hannover: A 20781 (Hypothekenakte Am Markt 13). - NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 907, Verzeichniß der unter des letzt verstorbenen Herrn Architecti Heumanns hinterlaßenen Papieren sich befundenen Privat Sachen, Volu- 2011, S. 19-26, hier S. 32. men 7: Baucommissiones des Herrn Kriegsraths von Harden- 2 Ebd. S. 21. berg. 25 Preußisches Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem, I. HA 3 Gustava Alice Klausa, Friedrich Karl von Hardenberg (1696-1763). Ein hannoverscher Hofmann und Staatsdiener im Zeitalter der Aufklärung. Hildesheim 1990, S. 20f. 4 Hardenbergsches Guts- und Familienarchiv Lietzen (im Folgenden abgekürzt: HGL), Nr. 1487, Briefe von Christian Ulrich von Hardenberg, London 23. Jan. u. 16. Feb. 1725. 5 Zur Biografie von Reetz vgl. Bernd Adam, Der hannoversche Hofbaumeister Reetz, ein Architekt ohne Vornamen?, Rep. 92 Dep. Hardenberg Nr. 1082, Inventar des Hauses des Feldmarschalls von Hardenberg (Christian Ludwig von Har- denberg, Bruder und Erbe von Friedrich Karl von Hardenberg) in Hannover 1785. 26 Ebd. 27 Klausa (wie Anm. 3), S. 24. in: Stefan Amt (Hg.), Festschrift für Günther Kokkelink. 28 Klausa (wie Anm. 3), S. 5. 29 Karl Heinrich Lang, Die Geschichte des Geschlechts von Hannover 1999, S. 109-120. 6 Münchhausensches Guts- und Familienarchiv Ihme-Rolo- gen von der Osten (Bearb.), Die Rittergüter der Calenberg- ven Bettensen, Baurechnung zum Neuen Haus. 7 Daniel Eberhard Baring, Beschreibung der Saale im Amt Hardenberg. Wolbrechtshausen 1966, S. 126. - Victor JürGrubenhagenschen Landschaft. Hannover 1996, S. 224. Das einzige sonst bisher von Schmidt bekannte Großprojekt ist Lauenstein. Lemgo 1744, S. 236. der Neubau des Klosters Barsinghausen 1704. Folgenden abgekürzt: NHStA-H), Dep. 103 XXIV Nr. 5193, Schreiben vom 13. Juni 1732. 31 Klausa (wie Anm. 3), S. 24. - HGL, Nr. 1488, Briefwechsel 8 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover (im 9 NHStA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 904. 30 HGL, Nr. 1486, Briefwechsel mit Haller und Gesner. mit dem Herzog von Newcastle. 32 NdsHStaA-H, Dep. 39 Nr. 650 f (Findbucheintrag). Die Häuser und Gärten des hannoverschen Oberhofbaudirektors Friedrich Karl von Hardenberg 33 NdsHStaA-H, Dep. 39 Nr. 131, 136-140. Bildnachweis 34 HGL, Nr. 1486 enthält insgesamt 52 Briefe, die Harden- Historisches Museum Hannover: 1; berg und Gesner vorrangig in diesem Zusammenhang gewechselt haben. Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek Hannover: 2; 35 Im Original: SEU CARO SEU CORIUM FOETUS FIMUS (Wehrbereichsbibliothek Hannover R 25601, Bl. 39): 3 ALEA CHORDA LANAVE LACVE DEEST OMNIA OVIS. (Wehrbereichsbibliothek R 25601, BI. 40); 36 HGL, Nr. 1512. Stadtarchiv Hannover: 4 (Laves Nachlass Nr. 6611); 37 Klausa (wie Anm. 3), S. 85. - HGL, Nr. 1541. Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege: 5 38 Vera Lenz, 1000 Jahre St. Martin Geismar. GöttingenGeismar 1990, S. 69 78. (Messbildarchiv Neg. Nr. 34g 14/4838.7); 39 Vgl. hierzu Rainer Schöwerling, Hardenbergs Tagebuch- Hardenbergsches Gutsarchiv Nörten-Hardenberg: 8, 10; bericht von der Englandreise 1744/45, in: Wilken von Both- Hardenbergsches Guts- und Familienarchiv Lietzen (Nr. mer/Marcus Köhler (Hg.), Im Auftrag der Krone. Friedrich Karl von Hardenberg und das Leben in Hannover um 1750. 1527, BI. 42); 13 (Nr. 1527, Bl. 40): 11; Rostock 2011, S. 101-107. 40 Klausa (wie Anm. 3), S. 68. - HGL, Nr. 1485, BI. 3. 41 Ebd. 42 Preußisches Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem, I. HA Rep. 92 Dep. Hardenberg-Familie, Nachträge I, Nr. 1, S. 28. 43 NdsHStaA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4096, Schreiben vom 5. Nov. 1749. 44 Stadtarchiv Hannover, HR 13 Nr. 221 u. 684. 45 NdsHStaA-H, Cal. Br. 8 Nr. 1754, Lageplan des Küchen- gartens von Heumann 1754 mit Eintragung des Pavillons und der vorgelagerten Teiche. 46 Die Gesamtsituation ist dargestellt auf einer Justus Elias Kasten zugeschriebenen und um 1825 entstandenen Gouache im Historischen Museum Hannover. 47 NdsHStaA-H, Dep. 103 XXIV Nr. 4656, Inventarium von dem Königlichen Kuchen-Garten zu Linden 1794, S. 18f. 48 Erhalten hat sich lediglich das Findbuch des weitgehend vernichteten Aktenbestandes, in dem unter Nr. 650 f. bei den Belegen zum Haupt-Bau-Register 1741-1744 ein Pavillon mit Plattform Erwähnung findet. Sollte dieser Eintrag trotz seiner frühen Zeitstellung mit dem Pavillonentwurfs Hardenbergs Zusammenhängen, wäre dieser bereits während der Zeit von Hardenbergs Englandreise zur Ausführung gekommen. Stadtarchiv Hannover: 6 (Laves Nachlass Nr. 1533); Alle übrigen Abbildungen stammen vom Verfasser. 223 224 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck (Ennigerloh-Westkirchen, Kr. Warendorf) Fred Kaspar / Peter Barthold Haus Dieck bei Ennigerloh-Westkirchen (Kr. Warendorf)’ ist in der bau- und kunstgeschichtlichen Literatur zwar seit Langem bekannt,2 allerdings nur wegen des dort stehenden Herrenhauses von 1771-1775, das als ein reifes Werk barocker westfälischer Architektur gilt. Der Entwurf für das Gebäude wurde über viele Jahrzehnte dem bedeutenden westfälischen Barockarchitekten Johann Conrad Schlaun (1695-1773) zugeschrieben,3 doch hat man dies später verworfen, insbesondere weil das Konzept des Hauses nun als nur noch eine für die Bauzeit lahme Wiederholung alter Gedanken betrachtet wurde.4 Es handele sich um eine durch einen nicht bekannten Handwerker ausgeführte, verkleinerte und einfachere Kopie des ab 1766 errichteten Herrenhauses auf Haus Loburg,5 wobei das im Grundriss fast gleiche Gebäude allerdings nur an den beiden dem Wetter ausgesetzten Fronten massiv ausgeführt wurde.6 Neuerdings wird ein mögliches Vorbild des Hauses auch in dem seit 1766 nach Plänen von Schlaun errichteten Haus Beck bei Bottrop gesehen und als Planverfasser ein Schüler von Schlaun vermutet.7 Ebenso war auch die Auseinandersetzung um die in dem Haus bis in das 20. Jahrhundert überlieferte, inzwischen nur noch in Teilen erhaltene reiche Wanddekoration mindestens drei verschiedener Räume insbesondere von Fragen der künstlerischen Zuschreibung bestimmt.8 Als Urheber für zehn Wandbilder in einem Raum des Obergeschosses favorisierte man lange P. F. L. Bartscher (1749-1823) aus Rietberg, doch wird auch dies heute nicht mehr aufrechterhalten.9 Die bislang im Vordergrund stehenden Fragen nach der künstlerischen Qualität sowie der kunst- und architekturgeschichtlichen Bedeutung des Herrenhauses und seiner Innenausstattung haben es nicht befördert, den Blick auf die Gesamtanlage, ihren Aufbau, ihre Aufgaben und Entwicklung zu lenken. Nicht einmal die Lebensumstände der Bauherren, die Bauzeit oder die Gründe für den 1771 inschriftlich datierten Beginn des Neubaus wurden geklärt. Die weiteren auf dem Gut vorhandenen, vor allem wirtschaftlichen Zwecken dienenden und daher schlichten Bauten blieben unbeachtet. Auch kam es zu keiner Auseinan- dersetzung mit der Besitz-, Nutzungs- und Veränderungsgeschichte oder der Bedeutung des Gutes als landwirtschaftlicher Betrieb.10 Eine von den neuen Eigentümern im Jahre 2002 eingeleitete Sanierung der den Hofplatz säumenden his- torischen Wirtschaftsbauten wurde daher dazu genutzt, deren baugeschichtlichen Spuren zu erfassen und damit einen ersten Beitrag zur Geschichte der Gesamtanlage von Haus Dieck zu leisten. Hierzu wa- 1 Haus Dieck. Ansicht der Gesamtanlage von Südwesten. Im Vordergrund das Pforthaus, dahinter links das alte Herrenhaus, rechts das Herrenhaus von 1771-1778 (Herbst 2012). 225 2 Haus Dieck. Herrenhaus von 1771-1776. Hoffront (Herbst 2012). ren auch ihre Besitz- und Baugeschichte und die Funk- tionen der einzelnen vorhandenen Bauten näher in den Blick zu nehmen. Eine vor diesem Hintergrund unter Auswertung erhaltener archivalischer Quellen eingehende Würdigung des Herrenhauses sowie des sogenannten Renteigebäudes - offensichtlich handelt es sich hierbei um das alte Herrenhaus - harren hingegen einerweiteren Untersuchung. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich alle Baumaßnahmen des 18. Jahrhunderts aus besonderen Ereignissen und Umständen der Besitzgeschichte erklären lassen: Wohl seit 1625 war Haus Dieck nicht mehr Hauptsitz der Lehnsnehmer, da diese auf dem etwa 15 km weiter westlich gelegenen Haus Heimsburg im Kirchspiel Albersloh11 lebten. Wohl daher verblieb die Anlage in ihrer bescheidenen, auf spätmittel- alterliche Strukturen zurückgehenden Form einer Zweiinselanlage mit einer Vorburg mit den Wirtschaftsgebäuden und einem kleinen umgräfteten Herrenhaus westlich davon. Als Haus Dieck 1735 den Besitzer wechselte, benötigte dieser bald einen neuen Hauptwohnsitz für seine Familie. Hierzu dürfte man zunächst das Herrenhaus an der alten Stelle in bescheidenen Formen als zweigeschossigen Fachwerkbau ersetzt haben. Die weitere Entwicklung der Anlage wurde dann allerdings von vielen Sterbefällen und Zeiten vormundschaftlicher Verwaltung ohne besondere Impulse zum weiteren Ausbau bestimmt, wobei nur wenige Zeitabschnitte für Planung und Durchführung größerer Baumaßnahmen blieben. 1745/46 entstand das Torhaus und um 1760/61 dessen Erweiterung. Das dann ab 1771 errichtete Herrenhaus dokumentiert die inzwischen wesentlich verbesserten wirtschaftlichen Grundlagen der Familie, wur- de aber aufgrund der weiteren familiären Entwicklungen schon seit 1798 nicht mehr bewohnt. Auch blieb das diesem Neubau zugrunde gelegte völlig neue Konzept für die Gesamtanlage bis auf die Schaffung eines auf das neue Herrenhaus bezogenen Gar- tens mit Gartenhaus um 1785 unvollendet. Da seitdem auf Haus Dieck nur noch Rentmeister dauerhaft lebten und das Herrenhaus - abgesehen von Jagdbesuchen der Herrschaft - weitgehend ungenutzt stand, blieb die bauzeitliche Ausstattung in wesentlichen Teilen noch bis in das 20. Jahrhundert erhalten. Zur Geschichte des Gutes Haus Dieck Westlich des Kirchdorfes Westkirchen lagen im Spätmittelalter zwei kleine Adelssitze, die beide aus Burglehen des Klosters Freckenhorst hervorgingen und wohl zur Sicherung des in diesem Gebiet vorhandenen klösterlichen Grundbesitzes - insbesondere in Form von grundherrlich gebundenen Höfen - dienten. Nur etwa 600 m westlich vom Ortskern entfernt befand sich Haus Brinke. Nach verschiedenen Be- 226 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen sitzerwechseln wurde es 1616 an die Inhaber von Haus Dieck verkauft, wenig später im Dreißigjährigen Krieg zerstört und danach aufgegeben. Die zugehöri- gen Ländereien sind seitdem mit denen von Haus Dieck vereint. Die Feldfluren beider Güter schlossen sich unmittelbar westlich an den Ortskern an. Haus Dieck liegt nordwestlich des Dorfes, ebenfalls nur wenige hundert Meter von der Kirche entfernt. Seit dem frühen 14. Jahrhundert ist es als Lehen des Klosters Freckenhorst in der Hand der Ritter tom Diecke, die zugleich Burgmannen des Bischofs von Münster in Sassenberg waren. Die Erbtochter Jutta des 1430/34 belegten Herman tom Dieck heiratete einen Herrn von Casum, der ebenfalls zu den Sassen- berger Burgmännern gehörte. 1486 werden Johann von Casum mit seiner Frau und ihrem Sohne Heinrich und 1515/24 Johann und Roleff von Casum zu Dieck als ihre weiteren Söhne genannt. Rolf von Casum wurde bischöflich münsterscher Droste zu Sassenberg und heiratete Richmund Buck,12 die einer Münsteraner Erbmännerfamilie entstammte. Ihr Sohn Heinrich Casum wurde mit Haus Dieck belehnt und heiratete Agatha von Werne. Aus dieser Ehe gingen drei Söhne hervor, die allerdings alle ohne Erben blieben. Als letzter Namensträger starb 1566 Jobst von Casum. Das Erbe traten Nachfahren aus der Familie ihrer Großmutter an: 1566 erhielt die auf Haus Heimsburg an- sässige Familie (von) Buck das Haus Dieck zu Lehen. 1568 befand sich das Lehen in der Hand von Bernd de Buck. Da er ohne Erben starb, fiel das Lehen 1622 an das Kloster Freckenhorst zurück. Zunächst wurde 1623 Balthasar von Bönninghausen als neuer Lehnsnehmer eingesetzt, doch konnte 1625 Johann Hermann von Buck zu Heimsburg in einem Prozess seinen Anspruch durchsetzen.13 1632 wurde Jobst Buck mit Haus Dieck belehnt14 und 1673 ist dort Jobst Hermann Buck genannt. Jacob Boldewin von Buck zu Heimsburg wurde 1680 letzter Inhaber der Lehen.15 Er erhielt im gleichen Jahr auch die Burglehen in Sassenberg. Nach seinem Tode fielen 1711 alle Güter (Heimsburg, Dieck und Brinkhaus in Westkirchen so- wie der Besitz in Sassenberg sowie ein Hof in der Stadt Münster) an ihre Tochter Anna Christina Maria Buck zu Heimsburg. Letztere heiratete 1716 Goswin von Beverförde zu Stockum und Mensing (t 1731 Heimsburg), einen Sohn aus der Ehe von Hermann von Beverförde und Anna Helene von Hanxleden.16 Sie lebten auf Haus Heimsburg. Nach seinem Tode 1731 fielen mit ihrem Tode 1733 die Lehen an die Lehnsherren zurück, da aus ihrer Ehe keine Kinder 3 Haus Dieck. „Altes" Herrenhaus von etwa 1740 (Herbst 2012). Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck hervorgegangen waren.17 Als Nachfolger18 wurde die durch Einheirat verwandte Familie von Hanxleden ein- gesetzt.19 Adolf Hermann Philipp von Hanxleden zu Groß und Klein Eickel in Blasheim (Kr. Minden- Lübbecke)20 war mit Marie Anna Josepha Francisca von Korff zu Hausen verheiratet. Am 19. Januar 1734 wurde er von der Äbtissin zu Freckenhorst mit dem Gut Brinkhaus sowie Gut und Haus zum Dieck bei Westkirchen sowie mit dem Gut Blankenfort bei Albersloh belehnt. Zudem erhielt er als Lehen des Bischofs von Münster zahlreiche Grundstücke in Sassenberg, Besitz verschiedener dortiger Burgmannshöfe.21 Haus Heimsburg als alloder Besitz konnte frei vererbt werden und kam hierbei an die Familie von Beverförde.22 Heimsburg konnte daher nicht Wohnsitz der neuen Eigentümer bleiben. Nachdem diese wohl zunächst noch auf ihrem angestammten Haus Eickel lebten, dies aber wegen Schulden zwangsweise ver- kaufen mussten,23 verlegten sie um 1740 ihren Wohnsitz auf Haus Dieck. Reck zu Steinfurt (um 1745-14.06.1796), eine der sieben Töchter des geheimen münsterschen Rates und Drosten zu Werne Ferdinand Wilhelm Josef von der Recke zu Steinfurt (1707-1761) auf Haus Heessen bei Hamm.27 Das Ehepaar entwickelte schnell weitreichende Aktivitäten, wozu zum einen die Ausweitung der Ländereien und Pachthöfe gehörte.28 Dieses setzte umfangreiche Geldquellen voraus - sie dürften aus dem Vermögen der Frau stammen, das sie als Brautschatz erhalten hatte29 - und dokumentierten sich in einem deutlich höheren Anspruch des Rahmens, in dem sich zukünftig das Leben der Herrschaft abspielen sollte: Zum anderen wurde noch im Jahr der Heirat 1771 auf der Grundlage eines neuen Konzeptes für die Gesamtanlage auf Haus Dieck mit dem Bau eines aufwändigen neuen Herrenhauses begonnen. Dieser Neubau konnte wohl 1775 fertiggestellt und von der Herrschaft bezogen werden.30 1782 erwarb das Ehepaar von Hanxleden auch ein Kurienhaus im Stift Freckenhorst und ließ es in den Freiherr Adolf Hermann Philipp von Hanxleden nannte sich fortan Herr zu Sassenberg und Dieck und begann damit, Haus Dieck nach und nach im bescheidenen Maße und unter Bewahrung der alten Strukturen zu erneuern. Von den zu seiner Zeit errichteten Bauten haben sich mehrere erhalten: Zunächst dürfte es folgenden Jahren durch einen Neubau ersetzen um 1740 zur Erneuerung des Herrenhauses in be- von 48 Jahren verstarb,34 führte seine Witwe die Aktivitäten fort und ließ in den nächsten Jahren bei scheidenen Formen gekommen sein (das heutige sogenannte Renteigebäude) und 1745/46 entstand eine neue Torscheune mit Wohnräumen für Gesinde. Der neue Herr auf Haus Dieck verstarb früh. Da zu diesem Zeitpunkt sein Sohn und Erbe Leopold Bern- hard Wolfgang Friedrich Maria von Hanxleden (26.02.1736 Blasheim - 11.05.1784) noch minderjährig war, übernahm Hermann Caspar von Hanxleden, Domherr in Minden und Münster,24 als Vormund die Geschäfte auf Haus Dieck. Die Ländereien des Gutes wurden nicht selber bewirtschaftet, sondern in Stücken verpachtet, wobei allein hierdurch Einnahmen von etwa 300 bis 350 Rthl. jährlich entstanden.25 Leopold von Hanxleden übernahm mit Volljährigkeit das Erbe26 und nach dem Tod seines Onkels und Vormunds 1760 auch dessen Stelle als Domherr in Münster, sodass auch weiterhin kein herrschaftlicher Haushalt auf Haus Dieck bestand. Wohl nach seiner Besitzübernahme 1760 wurde die Torscheune erwei- tert und erhielt hierbei einen 1763 fertiggestellten Anbau mit Wohnung. Da für diese Wohnung im Jahre 1801 die Bezeichnung „Jägerwohnung" belegt ist und zudem noch bis heute vor Ort gebräuchlich geblieben ist, dürfte hier der Jäger Johann Henrich Linnenbeck untergebracht worden sein, der zu dieser Zeit die Herrschaft vor Ort vertrat. 1771 resignierte Leopold von Hanxleden seine Dom- herrenstelle in Münster und heiratete die Freckenhorster Stiftsdame Maria Aloysia Johanne von der (heute Stiftshof 1),31 um damit ihrer einzigen Tochter ein standesgemäßes Leben als Stiftsdame zu ermöglichen.32 Zudem erwarben sie ebenfalls 1782 einen großen Stadthof in Münster am Alten Steinweg 34/35.33 Auch als Leopold von Hanxleden schon 1784 im Alter Haus Dieck die noch nicht fertigen Gartenanlagen mit Gartenhaus, Brücken und Schleusen vollenden.35 1784 erwarb sie den Hof Schulte Hohnhorst bei Altenberge (Kr. Steinfurt) für 4 323 Rthl. für die Familie und 1785 gelang es ihr, das Gut Haus Dieck durch die Zahlung von 7 000 Rthl. (zusammen mit den Gütern Brinkhaus in Westkirchen und Blankenfort im Kirchspiel Albersloh) zum alloden Besitz zu wandeln.36 Nachdem 1796 auch die Witwe von Hanxleden verstarb, wurde ihr Haushalt in Münster aufgelöst und große Teile der dort vorhandenen Einrichtung im Frühjahr 1797 versteigert.37 Hintergrund dieser Auktion war offensichtlich ihre testamentarische Bestimmung, dass nur die Hälfte ihres Erbes unter ihren Kindern verteilt werden sollte, während die andere Hälfte als eine zukünftige Familienstiftung an Herrn Kohlschein, Vikar an St. Lamberti in Münster, fallen sollte.38 Der umfangreiche Haus- und Grundbesitz wurde unter den drei Kindern aufgeteilt, wobei der älteste Sohn, Kammerherr Maximilian Friedrich von Hanxleden, Haus Dieck erhielt.39 Nachdem dieser schon 1798 starb, fiel es an seinen jüngeren Bruder Paul Karl von Hanxleden. Er war 1796 Domherr in Münster ge- worden, resignierte dieses Amt aber 1798, um das elterliche Erbe zu Haus Dieck anzutreten und heirate- te Klementine von Wenge. Allerdings starb er nur wenige Monate später am 29. Oktober 1 798.40 Seine Witwe heiratete 1801 in zweiter Ehe Freiherrn von 227 228 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Ketteier und verzog zu ihrem Mann, sodass es auf Haus Dieck keinen herrschaftlichen Haushalt mehr gab. Die 1801 genau erfasste und verzeichnete Einrichtung41 wurde daher in mehreren Versteigerungen verkauft.42 Nachdem sich abzeichnete, dass das Damenstift Freckenhorst keine Zukunft hatte, folgte 1805 auch der Verkauf des Kurienhauses in Frecken- horst. Im gleichen Jahr ließ man im Zusammenhang mit dem Neubau der Pfarrkirche von Westkirchen dort mit dem Bau ein eigenes Oratorium für die Familie beginnen, doch konnte es wegen der anschließenden Kriegsjahre nicht mehr fertiggestellt werden. Erbe des gesamten Besitzes wurde ihre einzige Tochter aus erster Ehe Marie-Louise von Hanxleden (17991850). Da sie beim frühen Tod ihres Vaters noch min- derjährig war, wurde ihr Vermögen bis 1816 vormundschaftlich verwaltet.43 Die Geschäfte auf Haus Dieck führte zu dieser Zeit der dort lebende „Verwalter" Johann Zurhorst (1801/10 nachweisbar). Nach ihrer Volljährigkeit heiratete sie 1816 Graf Franz von Nesselrode-Ehreshoven. Das Ehepaar lebte im Rheinland, sodass Haus Dieck weiterhin keinen herrschaftlichen Haushalt aufnahm. 1822 verkaufte Frau von Nesselrode einen Teil ihres Erbes für 7 500 Thl. an Franziska von Kettler zu Harkotten, darunter den Hof in Münster. 1842 wurde Haus Herzhaus bei Alten- berge verkauft und ihr Sohn und ab 1850 Erbe Alfred von Nesselrode verkaufte 1867 das Gut Haus Dieck an die Freiherren Clemens von Nagel-Doornick (18351900) auf Haus Vornholz bei Ostenfelde. 1869 folgte auch der Verkauf des Grund- und Hausbesitzes in Sassenberg. Haus Dieck erhielt auch bei den neuen Eigentümern keinen herrschaftlichen Haushalt und wurde weiterhin von einem Verwalter als landwirtschaftlicher Betrieb geführt. 1868 lebte auf Haus Dieck der Rentmeister Carl Eickholt. Nach 1945 wurde das Renteigebäude von Baron Georg von Nagel bewohnt. 1961 war Haus Dieck Besitz der Freiin Astrid von Fürstenberg zu Handorf und wurde weiterhin durch die Rentei in Vornholz ver- waltet. Nachdem sich Pläne zerschlugen, den Besitz an die Verwaltung der Bundeswehr zu verkaufen, die es im Zusammenhang mit ihrer neuen Niederlassung bei Westkirchen nutzen sollte, wurden erste Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt.44 1982 wurde das westlich der Anlage liegende im späten 19. Jahrhun- 4 Haus Dieck. Plan der Herrenhausanlage (Norden nach rechts): Am linken Bildrand die Straße von Westkirchen nach Frecken- horst mit zwei Zufahrten zur Torscheune. Auf dem umgräfteten Platz in der nordöstlichen Ecke das Bauhaus, daneben an der Nordseite das Herrenhaus und westlich davon das alte Herrenhaus (die Gräfte davor ist schon verfüllt). Der Plan ist ein Aus- schnitt aus dem großen Gesamtplan des Gutes (53,5x119 cm), der 1788-1789 durch den vereidigten Lieutenant Lambert Hammer gefertigt wurde. Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck dert neu errichtete Wirtschaftsgebäude ausparzelliert und verkauft. 1990 wurde die Schlossanlage mit Ausnahme des Renteigebäudes und des Wirtschaftsgebäudes in Erbpacht gegeben und musste 1999 im Zuge einer Zwangsversteigerung wieder von dem nunmehrigen Besitzer von Haus Vornholz (Nikolaus von Bose) zurückerworben werden. Zur Anlage des Gutes Mit dem Besitzerwechsel im Jahre 1735 war verbunden, dass Haus Dieck nach mehr als hundert Jahren um 1740/45 wieder einen herrschaftlichen Haushalt erhielt. Schon bald scheinen dadurch auch bauliche Erneuerungen eingesetzt zu haben. Zunächst orientierte man sich hierbei allerdings an der bestehenden und im Laufe der Jahrhunderte zuvor gewachsenen Anlage. Bislang wurde die durch überlieferte Pläne seit 1798 nachweisbare Struktur als „ursprünglich" vermutet. Die nachfolgend besprochenen, erkennbaren strukturellen und baulichen Befunde blieben hierbei allerdings ohne Beachtung.45 Das Gut lag offensichtlich, entsprechend der für das Münsterland üblichen Anlage kleinerer Herrensitze, in einer Talsenke nördlich des Weges von Freckenhorst nach Westkirchen, wo es durch Wasser gefüllte Gräften gesichert werden konnte. Es gab eine größere und von der Straße aus über eine Zufahrt mit Brücke erschlossene Insel, die als „Vorburg" die Wirtschaftsgebäude aufnahm und an die sich westlich eine durch Wassergraben getrennte kleinere Herrenhausinsel mit einem über eine weitere Brücke erreichbares und um 1735/40 erneuerte Herrenhaus anschloss. Die Herrenhausinsel befand sich in der Talsenke, sodass sie von einem kleinen Bachlauf bewässert werden konnte. Weitere Außengräften und äußere Wälle scheinen nicht vorhanden gewesen zu sein. Nach Besitzwechsel im Jahre 1735 kam es zu Erneue- rungsmaßnahmen, wobei man die notwendigen neuen Bauten zunächst innerhalb der bestehenden Strukturen errichtete: Um 1735/40 erneuerte man das Herrenhaus als zweigeschossigen Fachwerkbau unter Vollwalmdach (es wurde noch 1801 als „altes Haus" bezeichnet und später als Rentmeisterhaus genutzt).46 1745 entstand entlang der Südseite der Vorburg ein neues Tor- und Wirtschaftsgebäude (als Pforthaus bezeichnet), wobei sich die dort befindliche Durch- fahrt auf den Südgiebel des in der nordöstlichen Ecke der Vorburg bestehenden großen Bauhauses als zentrales Wirtschaftsgebäude bezog. Das neue Pforthaus wurde 1760/63 bei Erbantritt der nächsten Generation nach Nordwesten um einen Flügel erweitert, wobei beide Bauabschnitte auf den damals noch bestehenden Verlauf einer älteren und nicht rechteckig angelegten Gräftenanlage Rücksicht nahmen. In der Erweiterung erhielt offenbar der herrschaftliche Jäger als örtlicher Vertreter (Rentmeister) der Herrschaft eine Wohnung. Noch nach 1800 wohnte der Jäger an dieser Stelle; später bezog der nun als Rentmeister bezeichnete Verwalter das alte Herrenhaus, das danach die Bezeichnung Rentei annahm. Nur wenige Jahre später kam es allerdings mit der nächsten Generation im Zuge eines nun forcierten Ausbaus zu einem völligen Konzeptwechsel. Dieser ist zwar bislang nicht archivalisch belegt, kann aber aus der weiteren baulichen Entwicklung abgelesen werden. So zeigt die Stellung des zwischen 1771 und 1775 errichteten neuen Herrenhauses, dass man mit dessen Errichtung ein neues Konzept für den Aufbau und die Gestaltung der Gesamtanlage verfolgte. Das neue Herrenhaus wurde hierbei als erster Bauabschnitt in einer funktional und gestalterisch nur wenig befriedigenden Weise unmittelbar westlich des alten Bauhauses errichtet. Der Neubau setzte auch die Ver- füllung der Gräfte zwischen Vorburg und Herrenhausinsel voraus, zumal man nördlich im Anschluss an das neue Herrenhaus bis um 1785 ein auf den Neubau bezogenes Gartenparterre schuf. Deutlich wird an diesen Baumaßnahmen, dass man beginnend mit dem neuen Herrenhaus plante, die Gesamtstruktur der Anlage zu verändern und die bisherigen Wirtschaftsgebäude an eine andere Stelle zu verlegen. Allerdings unterblieb die weitere Durchführung dieser Ausbauplanungen, wohl weil der Bauherr schon 1784 verstarb und auch in den beiden folgenden Generationen aufgrund familiärer Entwicklungen nie mehr für längere Zeit ein herrschaftlicher Haushalt auf dem Gut eingerichtet werden konnte. Die 1788/89 erstellte Gesamtkartierung der zum Haus Dieck gehörenden Besitzungen zeigt die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Strukturen, die bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Da wohl schon seit dem 18. Jahrhundert die zum Gut gehörigen Ländereien nicht mehr selber bewirtschaftet und in Stücken verpachtet worden sind, ist allerdings das große Bauhaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts (wohl nach Verkauf des Gutes 1867) abgebrochen worden, wobei das Torhaus zu Stallungen genutzt wurde. Die nicht mehr gepflegten Gräften sind heute ausnahmslos verlandet. 1882 wurde die Freckenhorster Straße ausgebaut und neu trassiert. In diesem Zusammenhang scheint auch die Zufahrt zum Haus Dieck neu gestaltet worden zu sein und besteht seit dieser Zeit aus einem von der Landstraße aus gerade auf das Torhaus zulaufenden Weg. Um 1900 wurde außerhalb der historischen Anlage ein wohl dem Rentmeister dienendes Wirtschaftsgebäude (Holtrup 54 a) errichtet. Es ist 1982 verkauft worden. 229 230 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 5 Haus Dieck, Hofplatz. Blick nach Westen am Herrenhaus entlang zum alten Herrenhaus (Herbst 2012). Torscheune (1745/46d und 1760/61a/d) Das Gebäude wurde 1801 als Pforthaus bezeichnet. Es wurde als ein langgezogener und eingeschossiger Fachwerkbau auf winkelförmigem Grundriss errichtet, der den umgräfteten Hof auf der Süd- und teilweise auch auf der Westseite begrenzt. Das Gebäude steht nicht auf einem streng rechtwinkligen Grundriss, der damit auf die zur Bauzeit.noch bestehenden Verläufe älterer Gräftenanlagen zurückgehen dürfte. Der Baukörper ist aufgrund der baugeschichtlichen Spuren und der konstruktiven Details im 18. Jahrhundert in zwei Abschnitten entstanden, doch waren diese nicht durch Inschriften an dem Gebäude datiert. Im Zusammenhang mit der baugeschichtlichen Dokumentation des Gebäudes wurde daher zur Klärung der Bauge- schichte im März 2003 durch die LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, eine dendrochronologische Untersuchung durchgeführt.47 Danach ist der erste Abschnitt des Gebäudes in den Jahren 1745/46 errichtet worden (vereinzelt hat man hierbei auch ältere Hölzer verwendet), wobei der zweite Bauabschnitt wohl nur wenig später zur Ausführung kam (hier gelang allerdings bislang keine Datierung). Auf diese Erweiterung scheint sich allerdings eine überlieferte und im Folgenden dokumentierte Abrechnung eines Zimmermanns zu beziehen, sodass sich diese Maßnahme in die Jahre 1760-1763 datieren lässt. Das Gebäude bot Raum für verschiedene Funktionen, die zu einem landwirtschaftlichen Gutsbetrieb gehörten. Zentrum dieses Betriebes war allerdings das große Bauhaus, das in der nordöstlichen Ecke des Hofplatzes stand und die Kuhställe, eine Wirtschafts- und Dreschdiele sowie weitere Wirtschafts- und Wohnräume aufnahm.48Torscheunen hingegen boten in der Regel vor allem Ställe für Pferde, Abstellmöglichkeiten für Fahrzeuge, Wagen und Gerät und andere für den Haushalt eines herrschaftlichen Gutes notwendige Räume. Insbesondere wurden hier Wagen, Kutschen Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck und Pferde untergestellt, wenn die Herrschaft aus ihrer Wohnung in der Stadt anreiste. Zur Versorgung der Pferde musste auch Futter (Heu) und Schüttung (Stroh) vorhanden sein, wozu man in der Regel den Dachboden nutzte. Möglicherweise diente das Pforthaus aber auch zur weiteren Einlagerung landwirtschaftlicher Produkte: Noch 1800 erhielt Haus Dieck umfangreiche Zehntabgaben, die teilweise direkt vor Ort abgeliefert, teilweise auch an anderer Stelle eingesammelt und dann mit dem „Zehntwagen" nach Haus Dieck gefahren wurden. Der größte Bestand der Einnahmen waren insge- samt 259 Scheffel Gerste. Zur Unterstützung der Arbeiten des Gutes hatten zudem drei zu Haus Dieck gehörende Höfe in Westkirchen und vier weitere im Kirchspiel Beelen die Verpflichtung zur Leistung von Hand- und Spanndiensten.49 Der Kernbau (von 1745/46) Errichtet als ein eingeschossiger Fachwerkbau von 13 Gebinden Länge, der bei einer Grundfläche von 24,1 x 7,5 m als Torhaus der Schlossanlage gestaltet wurde. Das Gerüst wurde über starken Schwellen ver- zimmert, die auf breiten, aus Kalkbruchstein aufgemauerten Sockelmauern aufliegen. Sie bilden auf der Feldseite Futtermauern zu einem (in diesem Bereich trockenen) Graben, der von einer massiv aus Backstei- nen erstellten und wohl gleichzeitig errichteten Zufahrtsbrücke überspannt wird. Das Gerüst wurde an allen Außenwänden dreifach verriegelt (zweifach vernagelt) und ist vereinzelt mit langen Fußstreben ausgesteift. Die in den Längswänden eingehälsten Balkenlagen sind in den verschiedenen Teilbereichen ent- weder jeweils zusätzlich von inneren Unterzügen oder aber einer Längswand unterstützt und weiterhin jeweils durch Kopfbänder im Querverband gesichert. Die untere Reihe der Gefache in den gesamten Außenwänden des Gebäudes scheint ursprünglich verbohlt (hierauf deuten starke Nuten in den Seiten der Ständer hin) und darüber mit Lehmflechtwerk verschlossen gewesen zu sein. Die 14 vollen Sparrenpaare des Walmdaches stehen enger gestellt auf den Wandrähmen und sind nur durch einen hochsitzenden Kehlbalken miteinander verbunden. An beiden Giebeln kragen die Wandrähme leicht über geschweiften Konsolknaggen vor, tragen aber keine Giebeldreiecke, sondern eine Abwalmung.50 Die bis heute auf dem Dach liegende Lattung aus stark dimensionierten Eichenhölzern dürfte zum Kernbestand gehören51 und deutet auf eine schon ursprüngliche Eindeckung mit Tonpfannen hin. Das Innere des Torhauses ist durch verschiedene Wän- de in ein recht komplexes Raumprogramm unterteilt: Zentral ist die etwa mittig platzierte Querdurchfahrt, die allerdings etwas diagonal durch den Bau geführt und auf der Hofseite mit einem breiteren Torbogen versehen ist. Dies dürfte der besseren Durchfahrt innerhalb zur Bauzeit bestehender Strukturen gedient haben. Beidseitig der Durchfahrt befinden sich verschiedene Wirtschaftsräume, die den Bau als Fahrzeugschuppen ausweisen: Westlich der Durchfahrt gibt es zwei durch eine weitere Querwand unterteilte und jeweils vom Hof durch ein Tor befahrbare, allerdings unterschiedlich breite Remisenräume - wohl für Fahrzeuge -, und östlich einen vier Gefache breiten Stallbereich, in dem wohl die Zugtiere untergebracht 6 Haus Dieck, Torscheune von 1745/46 (d) mit Erweiterung von 1760/61. Gesamtansicht der Hoffronten von Nordwesten (Herbst 2012). 231 232 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen wurden. Dieser wird durch eine Längswand bestimmt, die eine breite, über einem niedrigen Torbogen zu- gängliche hofseitige Wirtschaftsdiele von einem zweigeschossigen und nur 1,45 m im lichten Stallbereich entlang der feldseitigen Traufwand scheidet. Auf die Einrichtung der Abtrennung als Stall deutet hin, dass die innere Längswand im unteren Bereich nicht, sondern nur im oberen Bereich - zu den über den Ställen angeordneten Lagerböden - zweifach verriegelt ist. Aufgrund der geringen Tiefe der Ställe dürften dort allerdings keine Pferde untergebracht worden sein, sodass man sie möglicherweise auf der etwa 5,3 m breiten Wirtschaftsdiele selber aufstallte. Das östlichs- te Gefach des Wirtschaftsgebäudes ist durch eine weitere Querwand abgetrennt und war durch eine zwischen die Wände gespannte Balkenlage ebenfalls zweigeschossig aufgeteilt. Da dieser Bereich später stärker verändert worden ist, konnten; mit Ausnahme verschiedener Fensteröffnungen im Ostgiebel; keine auf die ursprüngliche Funktion dieses Bereiches hinweisende Detailbefunde ermittelt werden. Hier gab es wohl Kammern, sodass im Zusammenhang mit der anschließenden Diele eine Nutzung als Schlafkammer und möglicherweise auch als Wohnort von Vieh- oder Fuhrknechten zu denken ist. Die durchgängige Unterstützung der Dachbalkenlage durch Längsunterzüge lässt schließen, dass der Dachboden Lasten aufnahm, also wohl als Lagerraum für Stroh und Heu gedacht war. Ob hierzu ehemals ein Ladehäuschen auf der Dachfläche zur äußeren Beschickung vorhanden war, ist nicht bekannt. Die Erweiterung (von 1760/61?) Wohl nur wenig später, bei Weiterführung der bestehenden Proportionen und gleicher Konstruktion sowie in der vorhandenen Gestaltung der Wandflächen, wurde das Pforthaus in einem zweiten Bauabschnitt auf das nahezu doppelte Volumen erweitert. Hierbei erhielt es eine westliche Verlängerung um 12,50 m, dem schließt nach Norden ein mit 7,50 m gleichbreiter Flügel von 13,25 m Länge an. Im Archiv des Hauses Dieck hat sich eine Abrechnung über den im Herbst 1760 durchgeführten Bau eines Fachwerkgebäudes erhalten52. Die verwendete Holzmenge (etwa 500 laufende Meter Bauholz und 1000 Meter Dachlatten) lässt auf ein größeres Gebäude schließen. Nach den Abrechnungen sind die Arbeiten durch den auf einem zum Haus Dieck gehörenden Pachthof53 lebenden Zimmermeister Schnittkämper zusammen 7 Haus Dieck. Torscheune. Hofansicht vom westlichen Anbau der Landjägerwohnung von 1760/61 (Herbst 2012). Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck mit jeweils zwei bis drei Gesellen ausgeführt worden. Die Arbeiten umfassten das Behauen der Bäume, das Zuschneiden der Bauhölzer (Ständer, Riegel, Dach- latten und Bretter) sowie die Verzimmerung des Gerüstes. Im September und Oktober 1760 wurden in insgesamt 46 Manntagen zunächst die wohl aus eige- nen Waldungen bezogenen Stämme zu Bauholz behauen. Danach wurde das Holz zugeschnitten und verzimmert, sodass man an zwei Tagen Mitte November mit vier Personen das Hausgerüst aufstel- len konnte. Verarbeitet wurden hierbei insgesamt 1 167 Fuß Riegel- und Ständerholz sowie weitere 272 Fuß Riegelholz. Da man zudem nur 144 Fuß Bretter, aber über 3 000 Fuß Latten abrechnete, lässt sich folgern, dass man das Gebäude zunächst nur im Äußeren fertig stellte (Dacheindeckung und Schließen der offenen Stellen wie z. B. den Traufen). Dass der Bau zu dieser Zeit auch schon ausgefacht wurde, ist anzunehmen, aber nicht belegt.54 Danach scheint man das Hausgerüst wie üblich zunächst zum Austrocken ste- hen gelassen zu haben, denn weitere Arbeiten, die auf den Innenausbau schließen lassen (Arbeit von jeweils drei bis vier Mann, Verbrauch von 1000 Dielennägeln) rechnete der Zimmermann erst wieder im Herbst 1763 ab. Konstruktiv hat der Zimmermeister Schnittkemper den Neubau im Vergleich zum älteren Bau in nur wenigen Details abweichend gestaltet.55 Auffälliger Unterschied ist der wesentlich reduzierte Ständerabstand im Wandgefüge, womit die Ansichten des Gebäudes kleinere und fast quadratische Gefache erhielten. Die Eindeckung des abgewalmten Daches legte man wiederum auf starke Eichenlatten, dürfte also wiederum aus Tonpfannen bestanden haben. Die westliche Verlängerung nahm nur einen ungeteilten Raum auf, der über eine breite Tür vom Hof aus erschlossen ist. Die Balkenlage über dem Raum ist durch einen von einem Sprengwerk im Dach gehaltenen Überzug abgefangen, der auf den Balken über den Raumschmalseiten aufliegt. Die Funktion dieses großen und frei überspannten, vom Hofplatz über eine mit nur etwa 1,20 m mäßig breite Tür erschlos- senen Raumes ist nicht belegt, ist aber als Bansen für einkommende Ernte oder als Dreschdiele denkbar. Der nördliche Flügel des Anbaus scheint als eigenstän- dige Wirtschaftseinheit konzipiert worden zu sein, wobei die Funktion bislang nicht sicher belegt ist. Es scheint sich um den Bereich zu handeln, der später als Landjägerwohnung bezeichnet wird und daher wohl für den Haushalt des die Herrschaft vertretenden Rentmeisters errichtet wurde. Der Bauteil umfasst zehn Gefache und wird durch zwei Querwände in drei Abschnitte unterteilt. Während der mit vier Gefachen breiteste mittlere Bereich als durch einen Torbogen in der Hoffront befahrbare Diele eingerichtet ist (hier sind die Balken mittig mit einem Unterzug unterstützt), sind die seitlichen, jeweils drei Gefache breiten Bereiche zweigeschossig aufgeteilt. Die Balken der hier eingebauten Zwischendecken verlaufen firstparallel und sind zwischen die Ständer der Querwände gezapft. Während der südliche, nur über die Längswände belichtete Bereich in beiden Geschossen ohne Unterteilung blieb, im Erdgeschoss über Türen mit den anschließenden großen Dielen- bzw. Wirtschaftsräumen in Verbindung stand und wohl zu nicht näher bekannten landwirtschaftlichen oder hauswirtschaftlichen Zwecken diente, erhielt der nördliche Bereich in beiden Etagen eine unter den First gestellte Längs- wand. Da die Balkenlagen hier zudem sauber bearbeitet sind (Zwischendecke mit seitlichen Abfasungen), dürfte dieser Bereich - ebenso wie am östlichen Ende des Kernbaus - wiederum für bewohnbare Kammern ausgelegt worden sein. Hierauf deutet auch die regelmäßige Durchfensterung beider Etagen hin: Erhalten sind Blockzargen mit zweiflügeligen Fenstern, die an einen mittleren, auf der Innenseite abgerundet profilierten Pfosten schlagen und möglicherweise noch aus der Bauzeit stammen (die Fensterflügel wurden wohl 1867 erneuert). Der südliche Raum des Erdgeschosses ist über Türen im Nordgiebel und in der südlichen Wand als Zugangsraum ausgewiesen, in den auch eine schlichte Treppe zum Zwischengeschoss eingebaut ist. Die Landjägerwohnung bestand nach den Befunden aus dem nördlichen zweigeschossig ausgebauten Wohnbereich mit Stuben und Kammern, der mittleren Wirtschaftsdiele und den südlich daran anschließenden Wirtschaftsräumen und bildete damit eine selbst- ständige Funktions- und Wirtschaftseinheit. Allerdings konnte in diesem Bereich weder eine Feuerstelle noch ein Kamin nachgewiesen werden, was gegen eine regelmäßige Wohnnutzung spricht. Möglicherweise unterblieb auch der vorgesehene Ausbau zu Wohnzwecken. Der Dachboden diente ebenso wie bei dem älteren Bauteil als Lagerraum (allerdings durch eine Bretter- wand in der Flucht der Kehle zwischen beiden Flügeln deutlich als eigenständiger Bereich ausgebildet), wozu über dem Torbogen ein Ladehäuschen in die Dachfläche eingebaut wurde. Nutzung im Jahre 1801 Am 7. April 1801 wurde das Gebäude in einem Inventarverzeichnis genauer beschrieben. Auffällig ist, dass es zu diesem Zeitpunkt wohl weitgehend ungenutzt stand. Dies dürfte damit Zusammenhängen, dass wohl schon 1798 der herrschaftliche Haushalt auf Haus Dieck aufgelöst worden war. Dennoch lassen die gebrauchten Bezeichnungen der erfassten Räume deren vorgesehene Funktionen erkennen. Allerdings wurden die vom Jäger im Erdgeschoss bewohnten Räume nicht aufgenommen. Die Räume wurden offensichtlich in einer Reihenfolge von Osten nach Westen erfasst, sodass zunächst der ältere Bauteil beschrieben wurde. 233 234 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen 8 Haus Dieck, Gesamtanlage von Südosten (Winter 2012). Eine Brandsprütze mit Schlangen und neunzehn ledern Eimer, Ein Hebelbanck, Einige alte Stücke Umbauten (1867/68?) Der Baukomplex ist einmal einschneidend erneuert worden. Dies dürfte nach dem Verkauf der Anlage 1867 an die Familie von Nagel-Doornick auf Haus Holtz, Im Thor daselbst wohl auch in diesem Zusammenhang eine 1867 da- Es fand sich im Pforthause: In der Wagen Remise Ein Hühner behalter, Eine alte Bödde, Ein hölzerner Kranen mit verschiedenen dazu zugehörigen und einigen anderen Stücken Holtz. Im Deckerstall Ein Gänsebehalter, Drey Heugabeln, Ein Heckerlings Kiste. In dem daran liegenden Schlafzimmer Drey alte Bettladen, Ein ganz alter Tisch, Ein neus dannnen Holz zusammen geschllagener Kleider- schrank. Ein ganz alter Besenstuhl. Im Herrschaftlichen Stall Neue Heckerlings Kiste, Ein Sägebock. In der Kammer über dem. Zimmer des Jägers Eine alte Kasten, Ein Bred Klotz mit Messer, Eine Bettlade, Ein alter Kupferner Kessel, Eine große und eine kleine Butterkarre, Eine alte dito, Ein Fäßgen, Verschiedene alte Blendladen, Verschiedene Stücke von alten Rahmen und sonstigen zerbrochenen Holtzwerke, Vier zerbrochene Stühle, An den Wänden finden sich vier Bancke, worauf vormals Küßn gelegt worden. Aufm Zimmer daneben Zwey Betteladen, Eine alte Tonne.56 Vornholz zu Ostenfelde erfolgt sein. So erhielt der Bau tierte und mit dem Allianzwappen Nagel-Merveldt versehene Wetterfahne über dem nördlichen Vollwalm. Hintergrund des Umbaus dürfte gewesen sein, dass fortan nicht mehr damit gerechnet wurde, dass auf Haus Dieck eine herrschaftliche Haushaltung eingerichtet werden könne und daher auch die bisherige Nutzung des Gebäudes als Wagenschuppen wohl nicht mehr aufrechterhalten zu werden brauchte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt scheint man auch das alte Bauhaus östlich des Herrenhauses abgebrochen zu haben. Das Gebäude wurde als Stall- und Lagergebäude ein- gerichtet, wobei es zu umfangreichen Reparaturen am Fachwerkgerüst mit Auswechslung einzelner Hölzer sowie inneren Umbauten und auch teilweiser Erneuerung der Schwellen kam. Der Torbogen im nördlichen Flügel wurde ausgebaut und durch Fachwerk mit einer größeren Wirtschaftstür ersetzt. Der Bau scheint zudem erst zu dieser Zeit (statt der Lehmgefache bzw. der Holzbohlen) eine Ausfachung mit Backsteinen erhalten zu haben und dürfte zudem auch mit einer neuen Eindeckung mit Tonhohlpfannen versehen worden sein, die man auf die alten breiten Eichenlatten der Bauzeit legte. Zu diesem Zeit- Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck 9 Haus Dieck, Grundriss Torscheune und Erweiterung. Rekonstruktion nach Aufmaß Barthold / Kaspar 2002, Reinzeichnung Peter Barthold. punkt scheint der Grabenbereich auf der Feldseite schon weitgehend verschüttet gewesen zu sein, denn es wurden zwei Türöffnungen in die südliche Längswand eingebaut, die wohl dem Auswurf von Mist dienen sollten. Der Wirtschaftsbereich im östlichen Abschnitt wurde umgebaut, wobei die tragende Längswand aus dem Gerüst gelöst und etwas unter den First verschoben wurde, sodass zwei nebeneinanderliegende hohe Wirtschaftsräume entstanden. Der östlichste Ab- schnitt mit den Kammern wurde weitgehend neu verzimmert und im unteren Bereich als Remise mit Tor vom Hof, darüber als Lagerboden eingerichtet. Nachdem die Pfarrkirche von Westkirchen bei einem Ortsbrand am 19.08.1868 völlig zerstört worden war, wurde der Gottesdienst bis zur Fertigstellung der neuen Kirche im Jahre 1873 über fünf Jahre im Poat- schoppen von Haus Dieck abgehalten. In diesem Zusammenhang dürften die Umbauten im westlichen Teil des südlichen Flügels stehen, die der Schaffung eines großen Raumes dienten: Hierbei wurden sowohl die Trennwand zwischen den beiden Remisen des Kernbaus wie auch seine westliche Giebelwand einschließlich der in diese Wände eingebundenen Längsunterzüge entfernt und das östliche Tor zu den Remi- sen mit Fachwerk zugesetzt, sodass ein Raum mit einer Grundfläche von 16,5 x 7,1 m entstand. Er erhielt in regelmäßigen Abständen hochsitzende, zweiflügelige Fenster. Ob dieser provisorische Andachtsraum eine Innengestaltung erhielt, ist nicht mehr erkennbar. Um 1965 wurde der Nordflügel instand gesetzt und hierbei die mittlere Wirtschaftsdiele als Garage eingerichtet, wobei der wohl 1867 entfernte Torsturz einschließlich der Kopfbänder erneuert und zudem niedriger als ursprünglich wieder eingesetzt worden ist. 235 236 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen Maler (mit Werkkatalog als Anhang), in: Stefan Baumeier (Hg.), Feine Möbel aus Westfalen. Die Manufaktur des Bauernschaft Holtrup Nr. 54. 2 Josef Bernhard Nordhoff, Die Kunst- und Geschichtsdenk- Rietberger Hofmalers Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher (1749-1823). Heidelberg 2003, S. 187-223, hier S. 201, 202 und 217. 1 Heutige Adresse ist Freckenhorster Straße 10, ehemals mäler des Kreises Warendorf. Münster 1886, S. 131; Anton Brüning, Mittelalterliche Burganlagen im Kreis Warendorf, in: Warendorfer Blätter. IV, Warendorf 1905, S. 33-34 sowie Warendorfer Blätter. V. Warendorf 1906, S. 2; Engelbert Ker- ckering zur Burg, Alt-Westfalen. Die Bauentwicklung Westfalens seit der Renaissance. Münster 1912, S. 189-191; Karl 10 Hierzu liegt nur ein kurzer Hinweis vor von Anton Brüning, Die Eigenbehörigen und Zehntpflichtigen des Hauses Dieck bei Westkirchen um 1800, in: Warendorfer Blätter für Orts- und Heimatkunde, Nr. 6 vom 2. Juni 1907. Hölker, Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Band 42: 11 Haus Heimsburg oder auch Hemisburg (in der Bauernschaft Rummler, Sendenhorst-Albersloh, Kr. Warendorf, Kreis Warendorf. Münster 1936, S. 502-507. Wolbecker Straße 41) lag nahe der Grenze zu Wolbeck an 3 Theodor Rensing/Johann Conrad Schlaun. Dortmund 1936, S. 30 und Abb. 132. In den späteren Werken zum Gesamtwerk von Schlaun ist das Haus nicht mehr aufge- der Werse. Heute wird der Platz von einem Bauernhof einge- nommen, der nichts mehr von der historischen Anlage erkennen lässt (Werner Dobelmann, Albersloh. Geschichte nommen worden. Hierzu auch Klaus Bußmann/Florian Matz- einer Landgemeinde. Sendenhorst 1976, S. 20). ner/U. Schulze/Johann Conrad Schlaun 1695-1773. Münster 12 Es dürfte sich um eine Tochter der 1526 genannten 1995; S. 846-847. Witwe Richmond von Gorwyn Buck zu Heimsburg handeln. 4 Theodor Rensing, Johann Conrad Schlaun. Leben und Ihr Sohn und Erbe ist Hermann Buck zum Heimsburg, verhei- Werk des westfälischen Barockbaumeisters. München 1954, ratet mit Styneken. 13 1611 wird Wilhelmine von Vinke, Witwe des Jobst Buck S. 33; zuletzt Karin Elisabeth Zinkann, Der Typ der Maison de Plaisance im Werk von Johann Conrad Schlaun. (Diss.) Münster 1979, S. 99-103 - gedruckt Münster 1989, S. 61- zur Heimsburg genannt. Ihr Sohn Hermann von Buck zu Heimsburg heiratet in diesem Jahr Anna von der Tinnen. Zu 5 Das dortige Herrenhaus ist für Marsilius von Nagel zu ihrem Erbe gehörte auch ein Hof in Münster an der Königstraße, den ihre Erben 1641 verkauften (Marcus Weidner, Itlingen und seine Ehefrau Maria von Herll nach Plänen von J. C. Schlaun errichtet worden, s. Hölker 1936 (wie Anm. 2), 14 Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 61. 63. S. 315-318; Zinkann 1979 (wie Anm. 4), S. 89-98. Landadel in Münster 1600-1760. Münster 2000, S. 865). 15 Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 33 und 61. 6 Nord- und Ostwand bestehen aus verputztem Fachwerk. 16 Weidner 2000 (wie Anm. 13, S. 632. 7 Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Nordrhein-Westfalen. II. München 2011, S. 314. (Eckgrundstück Alter Steinweg/Asche) fiel danach durch Erb- 8 Im Januar 1964 wurde von Mitarbeitern des Amtes für Denkmalpflege im Erdgeschoss in dem Raum auf der rechten Seite unter jüngeren Tapeten eine weitere bemalte Leinwandbespannung entdeckt. Sie ist durch gemalte Stuckpro- file in Felder eingeteilt und zeigt verschiedene Freizeitbeschäftigungen. Die stark beschädigte Bespannung wurde ausgebaut und sichergestellt. Nach der Restaurierung wurde sie 1973 im Treppenhaus des Ostflügels vom Erbdrostenhof in Münster eingebaut (Restaurierungsbericht in: Westfalen. 53. Münster 1975, S. 402 und 619). Bei Renovierungsarbei- ten wurden 1989 im Obergeschoss noch vorhandene Reste einer weiteren ehemaligen Wandbespannung herausgerissen. Sie konnten durch den Restaurator John Farnsworth bei der LWL-Denkmalpflege aus dem Schutt geborgen und dem Stadtmuseum Münster übergeben werden. Dort hat man 17 Der in der Stadt Münster befindliche Bucksche Hof schaft an die Familie von der Recke (Weidner 2000 [wie Anm. 13], S. 727-729). Der Hof wurde im 17. und 18. Jahrhundert gelegentlich von Witwen dieses Familienverbandes bewohnt und war ansonsten vermietet. 18 1732 wurde noch Helene Elisabeth von Bock vom Bischof von Münster mit den Gütern belehnt, die als Stiftsdame in Hohenholte lebte. 19 Lehnsbriefe in Archiv Haus Dieck, Nr. 33 und 61. 20 Er war ein Sohn aus der Ehe von Karl Heinrich von Hanxleden und Anna von Kettler zu Groß Eickel (Karl Adolf von der Horst, Die Rittersitze der Grafschaft Ravensberg und des Fürstentums Minden. Berlin 1894, S. 128-129). 21 Die meisten der Sassenberger Burgmannssitze sind im Laufe der Zeit in den Besitz der Familie Buck zu Heimsburg gelangt. Sie und damit auch ihre Nachfolger von Hanxleden Phantasielandschaft mit antiken Gebäuden und Ruinen. wurden damit zu den größten Grundbesitzern in Sassenberg. Hierunter befanden sich zwei Hausstätten an der Schloßstraße (Nr. 16 und Nr. 17) sowie an zentraler Stelle 9 Die Zuschreibung erfolgte erstmals bei Franz Flaskamp, Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher. Münster 1937. Zur aktuellen Diskussion: Sabine Schwedhelm, Die Wanddekoratio- ab 1751 aufgeteilt und in Erbpacht zur Bebauung gegeben (zur Geschichte dieses Besitzes s. Hans Christoph Fennen- das erhaltene Feld ab 2005 restauriert. Es ist seit 2013 in der Schausammlung ausgestellt und zeigt eine romantische nen des Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher, in: Manfred Beine/Käthe Herbort/Albrecht Schoder/Sabine Schwedhelm/ Philipp Ferdinand Ludwig Bartscher. Rietberger Hofmaler (1749-1823). Rietberg 1994, S. 32-55; Dirk Strohmann, Einer der vorzüglichsten Künstler Westfalens. Bartscher als auch der sogenannten Kolkkamp am Lappenbrink. Er wurde kötter, Sassenberger Häuser, Band 2. Sassenberg 2009, S. 745-754). 22 Hier sind belegt: 1750 Jobst Matthias Raban von Bever- förde, 1781 Clemens August von Beverförde zu Heimsburg. Erst um 1800 fiel Haus Heimsburg durch Erbschaft ebenfalls Ein neues Pforthaus (1745) mit Jägerwohnung (1760) für Haus Dieck an die Familie von Hanxleden (Dobelmann 1976 [wie Anm. Mobilienverzeichnisse dieser Zeit zu verweisen (s. u.). 1803 11], S. 20). wurde das Dach des Hauses neu mit vom Zieglermeister 23 Die Brüder Adolf Hermann und Hermann Kaspar von Stark aus Clarholz gelieferten glasierten Pfannen eingedeckt Hanxleden ließen ihr elterliches Erbe Groß und Klein Eickel (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 243). versteigern. Es wurde hierbei von Victor von Voß angekauft. 31 Es gehörte zuvor der Familie von Nagel zu Vornholz. 24 Er war ab 1740 Domherr, ab 1751 Präsident der Hofkammer in Münster, ab 1756 Domküster und starb am 19. Januar 1760. Vgl. Wilhelm Kohl, Das Domstift St. Paulus zu 32 Der Tochter Constantine Bernhardine von Hanxleden wurde schon als kleines Kind (spätestens 1779) eine Präbende im Stift Freckenhorst erkauft. Sie trat die Stelle zu Münster, Band 2. Berlin 1982, S. 245. nicht bekannter Zeit an und lebte in dem von ihren Eltern um 25 Größter Pächter war Dietrich zum Ziel aus Westkirchen 1782 neu erbauten Kurienhaus. Ein weiteres dort vorhande- mit 114 Rthl. (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 242). nes altes Stiftshaus, 1768 von den Herren von Vincke zu 26 1774 wurde er als Burgmann zu Sassenberg aufgeschwo- Kilver angekauft, war durch die spätere Frau von Hanxleden ren. bis zur Eheschließung 1771 bewohnt und dann 1773 wieder 27 Ferdinand Wilhelm war Sohn aus der 1699 geschlossenen verkauft worden. Entwurf Kaufvertrag über 300 Rthl. mit ersten Ehe des Johann Matthias von der Recke zu Steinfurt mit Anna Maria Magdalena Bernardina Freiin von Pletten- berg zu Lehnhausen (t 17. September 1707). Er wurde in Drensteinfurt geboren und erbte Haus Heessen (Constantin von der Recke-Volmarstein, Geschichte der Herren von der Recke. Breslau 1878, S. 172). 28 Schon 1765 hatte er das Gut Herzhaus in der Bauern- schaft Westerode bei Nordwalde (Kr. Steinfurt) erworben (heutige Adresse ist Westerode 20). Es blieb bis 1842 ein Teil Herrn von Wrede zu Melschede s. Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 137. 33 Unmittelbar nach ihrem Tode wurde ein umfangreiches Inventar aufgenommen, das alle Gegenstände nach Räumen aufzeichnet (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 16). Den Hof erbte ihr jüngerer Sohn Paul Karl von Hanxleden, verheiratet mit Clementine von Wenge. Nach seinem Tode wurde am 18. April 1801 ein weiteres raumweise verzeichnetes Inventar aufgenommen (Archiv Haus Dieck, Nr. 16). Die einzige der Familiengüter und wurde dann an den Pächter Wachelau Tochter und Erbin Marie Louise von Nesselrode in Düsseldorf, verkauft. Um 1830 hatte man das dortige Herrenhaus abge- geb. von Hanxleden, verkaufte den Hof 1822 an die letzte Freckenhorster Äbtissin Anna Franziska von Ketteier zu brochen und stattdessen auf dem Hofgelände ein massives Pächterhaus in der Tradition eines Vierständerhallenhauses errichtet. 29 Aloysia von der Reck forderte mit Eingabe beim Hofgericht vom 23. Oktober 1765 zusammen mit ihren sechs Schwestern die Auszahlung des ihnen zustehenden Brautschatzgeldes aus dem Steinfurtschen Fideikommiss von Engelbert von Landsberg (Archiv von Landsberg-Steinfurt, Loc. 40, Nr. 8 - freundlicher Hinweis von R. Klötzer vom 13.11.2012). Als Vorschuss hieraus hatte sie schon 1762 Gelder zum Erwerb der Stiftspräbende in Freckenhorst erhal- ten (Archiv von Landsberg-Steinfurt, Loc. 42, Nr. 14). 30 Im Archiv von Haus Dieck ist der Grundriss von Keller und Erdgeschoss des hochadeligen Hauses Hertzhausen überlie- fert. Hierbei handelt es sich um das 1765 vom Herrn von Hanxleden erworbene Haus Herzhaus bei Nordwalde. Der nicht datierte und signierte Plan scheint als Anregung bei den Bauplanungen gedient zu haben (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 255). Bauaufnahme des Herrenhauses Haus Diek von 1961 im Planarchiv LWL-Denkmalpflege, Landschaftsund Baukultur in Westfalen. Ein bislang nicht ausgewerteter Bestand an Akten über den Bau des Hauses zwischen Herbst 1771 und Herbst 1775 hat sich im Archiv von Haus Dieck erhalten. Hierbei handelt es sich um Teile der Rechnungen der ausführenden Handwerker, Abrechnungen über die Handlanger, die im Tageslohn auf der Baustelle tätig waren sowie Abrechnungen über die angekauften Baumaterialien (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 243). Danach begannen die Arbeiten im Frühjahr 1771 und dauerten bis mindestens Oktober 1775. Zudem ist für die ausstehende Forschung zu dem Haus auf das ausführliche und jeden einzelnen Raum erfassende Inventarverzeichnis von 1801 sowie weitere Harkotten. Hier waren schon 1811 Mitglieder der Familie von Ketteier als Mieter nachweisbar, die zudem den benach- barten Hof an der Straße besaßen (Weidner 2000 [wie Anm. 13], S. 871-872). 34 Danach wurde ein Gesamtinventar der Güter und Kapitalien erstellt (Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 16). 35 Nach Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 26: Nachdem schon zuvor Gräben und Brücken angelegt waren, ist der Garten mit dem Gartenhaus ab 1782 angelegt worden (Plan dazu eingelegt in der Akte Archiv Haus Dieck, Nr. 137: Haus in Freckenhorst). Der Zustand des Gartens und des Gartenhauses im Jahre 1801 ist durch das ausführliche Inventar belegt. 36 Hölker 1936 (wie Anm. 2), S. 502 und 503. 37 Das ausführliche Versteigerungsprotokoll ist erhalten (Archiv Haus Dieck, Akten 261 und 262). Es führt die große Zahl der gegen Barzahlung verkauften Gegenstände allerdings nicht nach einer Ordnung auf, die einen Bezug zu den ehemaligen Räumen erkennen lässt. Es werden alle Gegenstände und die erzielten Kaufpreise, nicht aber die Käufer genannt. Die Versteigerung begann am 20. Februar und dauerte bis zum 5. April. Man begann mit dem Verkauf von vier Kutschen, gefolgt von umfangreichen Kleidungsbeständen, Möbeln sowie Geschirr und selbst Schmuck, sodass davon ausgegangen werden kann, dass es fortan kei- nen herrschaftlichen Haushalt mehr gab. Der Gesamterlös aus der Auktion wurde mit der hohen Summe von 7 968 Rthl. berechnet. 38 Nach ihrem Testament vom 30. Dezember 1793 und der Zusatz hierzu vom 8. März 1796 (Archiv Haus Dieck, Akten 261) sollte er den Nießbrauch des Vermögens erhalten und 237 238 Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen dieses nach seinem Tode in eine Stiftung zum Nutzen der Familie überführen. Der Erbteil der beiden Söhne wurde auf chenen Gebäudes sind nicht bekannt. Es soll sich um ein jeweils 11 315 Rthl berechnet. 1905 [wie Anm. 2], S. 33). Dafür sprechen auch die im 39 Der dortige Besitz wurde ab dem 23. August 1796 verzeichnet. Der umfangreiche und wertvolle Hausrat ist hierbei Inventarverzeichnis von 1801 genannten Räume: auf dem sogenannten schlüters Zimmer; in der Küch; Im Stuben; Im nach Sachgruppen und nicht nach Räumen verzeichnet wor- kleinen Bierkeller; Im großen Keller; Auf der Dehle; Aufm den. Eine Ausnahme bildet das Verzeichnis der Gemälde, Bühnen. Auf der Grundlage dieser Informationen handelt es Kupferstiche und Landkarten. Hier werden die Räume des Herrenhauses einzeln verzeichnet (Archiv Haus Dieck, Akten sich um ein Längsdielenhaus mit seitlichen Ställen und dar- Längsdielenhaus von Fachwerk gehandelt haben (Brüning 16). über befindlichen Bühnen sowie einer anschließenden großen Küche, die dem Gesinde diente, aber auch zum Bier- 40 Kohl 1982 (wie Anm. 24), S. 775. brauen benutzt wurde. Dahinter gab es einen unterkellerten 41 Das Inventar vom 2. April 1801 wurde nach einzelnen Räumen verzeichnet und ist eine wertvolle Quelle für das Bereich, dessen Keller zum Lager von Bier und Lebensmitteln Verständnis aller dort vorhandenen Bauten (Haupthaus, genutzt wurden. Über dem Keller befanden sich Wohnräume. Hier scheint der Baumeister als Leiter der landwirtschaft- Altes Haus, Bauhaus, Pforthaus, Gartenhaus sowie Garten). lichen Arbeiten des Gutes gewohnt zu haben {Schlüters Zim- Für den folgenden Text wurde das Verzeichnis nur zum mer). Mit diesen Befunden entspricht das Gebäude herr- Pforthaus ausgewertet (Archiv Haus Dieck, Nr. 16). schaftlichen Bauhäusern, wie sie insbesondere im Laufe des 42 Das Verzeichnis mit Namen der Käufer ist erhalten (Archiv 16. und 17. Jahrhunderts errichtet worden sind. Haus Dieck, Akte 262). Weiteres Verzeichnis vom 2. April 43 Hierzu Akte in Archiv Haus Dieck, Nr. 289. 49 Brüning 1907 (wie Anm. 10). 50 Möglicherweise hatte dieser Kernbau aufgrund dieses Befundes in den ersten Jahren seines Bestehens noch ein 44 1962 erfolgte eine grundbuchliche Sicherung des Satteldach mit Steilgiebeln unbekannter Gestalt. Denkmalschutzes für die Schlossanlage, bestehend aus 51 Die Lattung ist durchgängig am letzten Gebinde des Herrenhaus, Rentei, Torscheune sowie der Gesamtanlage. Kernbaus gestoßen. 1801 (Archiv Haus Dieck, Akte Nr. 16). 1983 wurde die Schlossanlage mit den vorhandenen Gebäuden in die Denkmalliste der Stadt Ennigerloh eingetragen. 52 Archiv Haus Dieck, Akten Nr. 264. Zwar wird das errich- tete Gebäude nicht bezeichnet, doch sind weitere Wirtschaftsbauten auf Haus Dieck nicht überliefert. Daher 45 Deutlich etwa bei Zinkann 1979 (wie Anm. 4), S. 99. 46 Das Haus wurde in dem 1801 erstellten Inventar als Altes kann angenommen werden, dass sich die Rechnung auf die Haus bezeichnet. In diesem Jahr wird hier als Raumbe- 53 Hof Holtrup Nr. 53 (heute Holtrup 30). 54 Rechnungen eines Maurermeisters oder zur Lieferung der zeichnung nur weniges genannt: Im streiche Zimmer und Erweiterung vom Pforthaus bezieht. unteres Zimmer rechter Hand. Backsteine sowie der zu erschließenden Dachpfannen sind in 47 Auswertung durch Hans Tisje, Neu-Isenburg mit Gut- den überlieferten Papieren nicht erhalten. 55 Die Schmalseiten erhielten unterhalb der jetzt eingeführ- achten vom März 2003. Die Datierungen im Einzelnen: 1708 +-8 Durchfahrt, westliche Wand, 2. Ständer von Süden 1745/46 nördliche Traufwand, 5. Ständer von Osten 1745/46 nördliche Traufwand, nordöstlicher Eckständer 1745/46 nördliche Traufwand, 2. Tor westlich der Einfahrt, westlicher Ständer ten Vollwalme keine Vorkragung der Giebelbalken mehr; ferner wurde die nördliche, zum großen Teil als Innenwand aus- geführte Längswand nicht mit eingehälsten, sondern mit aufgelegten Balken verzimmert. 56 Weitere Räume wurden nicht genannt. In dem Verzeich- nis folgen danach der Garten und das Gartenhaus. 1740+-4 ausgebaute Schwelle Kernbau Abbildungsnachweis 1742+-8 ausgebaute Schwelle Kernbau 48 Das Bauhaus wurde in der Mitte 19. Jahrhunderts abge- amt (Repro von 2002 nach dem Original im Archiv Haus brochen (auf dem Urkatasterplan von 1829 ist es noch ver- zeichnet). Das längsrechteckige Gebäude stand im Nordosten der alten Vorburg, wobei es seinen südlichen Vorder- giebel dem Hofplatz zuwandte. Abbildungen und Baubeschreibungen des in der Mitte des 19. Jahrhunderts abgebro- Bildarchiv LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Denkmal- Vornholz, Bestand Haus Dieck): 4; Alle übrigen Aufnahmen Fred Kaspar, LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. 239 Landgüter von Bürgern und Beamten, Lebens- und Wirtschaftsformen Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Was macht der Städter auf dem Land? Fred Kaspar Einleitung Für den Bereich außerhalb der geschlossenen Siedlungen, der gemeinhin als „Land" bezeichnet wird, hat sich die Forschung der Wohn- und Baugeschichte weitgehend auf das Umfeld der Landwirtschaft konzentriert. Land und landwirtschaftliche Betriebe bilden hier ein vertrautes Begriffspaar, wobei letztere in vorindustrieller Zeit mit Bauernhof, (adeligen) Guts- betrieben, Klosterhöfen und staatlichen Domänen gleichgesetzt werden. Landwirtschaft benötigt Flächen. Wenn wir über Be- sitz an Boden auf dem Lande vor dem frühen 19. Jahrhundert sprechen, müssen in unserer Region seit der Ausbildung der über Jahrhunderte gültigen Agrarverfassung im Laufe des 12. und 13. Jahrhundert al- lerdings mehrere grundlegend unterschiedliche rechtliche Besitzverhältnisse konstatiert werden:1 Für das Münsterland ist es zum einen die seit dem Hochmit- telalter dominante Rechtsform von Land mit grundherrlicher Bindung, wie es für den größten Teil der zugleich nach Leibeigentumsrecht und in Erbpacht ausgegebenen Bauernhöfe zutraf.2 Zum zweiten gibt es aber auch als Lehen ausgegebene Besitzungen,3 die vielfach zur Grundlage kleiner Adelshäuser wurden und zum dritten frei vererbbare Allodial-Güter, d. h. frei-eigene Besitzungen, die also frei zu kaufen und zu verkaufen waren.4 Mit Zustimmung der Lehnsherren konnten auch Lehen verkauft werden, wobei diese schon im 14. Jahrhundert auch Bürger erwarben. Allein der Bischof 1 Das Haus des örtlichen Amtmanns Schlaun, der in dem Dorf Nörde bei Warburg (Kr. Höxter) für das Kloster Hardehausen tätig war. in dem Längsdielenhaus wurde 1695 der Architekt J. C. Schlaun geboren (Foto 1935). 240 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Grundriss des Hauses vom Amtmann in Nörde bei Warburg (Kr. Höxter) vom Kloster Hardehausen nach einer vor dem Abbruch 1972 erstellten Bestandsaufnahme. Das Längsdielenhaus wurde 1656 als Fachwerkbau mit einem Vierständergerüst errichtet und erhielt 1696 durch den Vater von Johann Conrad Schlaun einen neuen Wohnteil, der einen massiven Vorgängerbau weiter nutzte.. Dieser teilweise massive Wohnteil wurde bei anderer Traufbreite selbständig in der Form eines eigenen Gebäudes mit unterkellerter - als Dienstzimmer genutzter - Saalkammer errichtet, an die sich seitlich die zentrale Küche des Hauses und nach Norden zwei Wohnräume mit Kornboden darüber anschlossen (Planarchiv LWL-Denkmalpflege). von Münster als bedeutenster Lehnsherr im Hochstift Münster hatte im 14. Jahrhundert etwa 400 Lehnsleute, deren Zahl sich durch Besitzkonzentration bis um 1500 auf immerhin noch 200 Lehnsleute verminderte.5 Die Verminderung der Lehnsleute soll wesent- lich darauf zurückgehen, dass die zunächst breite Schicht der Freien und des niederen Adels zwischen höherem Adel und Bauern im Laufe des 14. bis 16. Jahrhunderts verschwand.6 In ihrem Besitz und ihren ökonomischen Grundlagen unterschieden sie sich nur wenig von den größeren Bauern.7 Bemerkenswert für die weiteren Betrachtungen ist es, dass aus wirt- Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische schaftlichen Gründen zunehmend auch Bürger und Bauern Lehen erwarben. Im Bistum Osnabrück zählten schon 1561 von den über 200 Lehnsleuten fast die Hälfte zu diesem Kreis.8 In den westlichen preußischen Provinzen wurden Lehen durch Einführung fester Abgaben ab 1767 allodifiziert (d. h. zu einer Erb- pacht oder zu freiem Eigentum gewandelt). Nach Aufhebung des Lehnswesens durch französische Dekrete 1809 wurden die letzten Lehnsbindungen in den preußischen Provinzen bis 1878 aufgelöst.9 Gerade im Umkreis der Städte blieb es insbesondere vor dem Hintergrund erwerbbarer Lehen und alloder Höfe über Jahrhunderte kontinuierlich bei einem star- ken Wandel sowohl in den grundherrlichen Verhältnissen wie auch in den Besitzverhältnissen freier Güter.10 Diese besitzrechtlichen Grundlagen waren allerdings nur die eine Seite der Realität, denn für die auf dem Lande lebenden und den Boden bearbeitenden Menschen hatten Wandlungen in den Eigentums- verhältnisse zunächst einmal kaum Auswirkungen. In den Blick genommen wird im Folgenden neben den zu Lehen ausgegebenen Gütern insbesondere alloder Landbesitz. Fast alle die in dieser Rechtsform beste- henden Güter hatten umgräftete Hofanlagen, doch kann dies sicherlich nicht als alleiniges Erkennungszeichen gewertet werden.11 Entstehung und Entwicklung der freien Höfe ist bisher weitgehend unklar.12 Das insbesondere mit dem freien Eigentum verbundene Pachtrecht soll sich insbesondere von den niederrheinischen Städten her in Westfalen verbreitet haben.13 Die im Folgenden anstelle von „Bürger" gebrauchte unklare Formulierung „Städter" wurde mit Bedacht gewählt: Schon seit dem hohen Mittelalter besaß etwa der Dienstadel Höfe in der Stadt. Solche städti- schen Adelshöfe sind schon mehrmals von der Baugeschichte thematisiert worden.14 Ihre Besitzer gehörten aber nicht zur Bürgerschaft. Auch wenn sich im Einzelfall und zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder von Neuem die Frage stellt, ob für den Adel die Landhäuser oder die Stadthäuser den Lebensmittelpunkt bildeten, kann festgestellt werden, dass sowohl die ökonomische Grundlage wie der Schwerpunkt des Lebens beim niederen Adel bis weit in die Neuzeit auf dem Lande lag. Hier konnte er einen wesentlichen Teil seiner Einkünfte aus der Eigenwirtschaft generieren, brauchte aber nicht zuletzt für den Marktzugang auch seine städtischen Höfe.15 3 Ansicht des Haupthauses auf dem Gut Haus Rüschhaus bei Münster, wie es bis zum Jahr 1745 bestand (aus einer Bestandsaufnahme von Landmesser J. B. Fix des Gutes, wie es bei dem Kauf durch J.C. Schlaun 1743 bestand). Das Gebäude war ein Längsdielenhaus, das offenbar ein Vierständergerüst aufwies und war später an beiden Seiten des Wirtschaftsteiles durch Anbauten unter Schleppdächern erweitert worden. Das Wohnende scheint durch einen Anbau unter Pultdach erwei- tert zu sein. Im Bereich der großen Herdküche wies das Haus einen zweigeschossigen seitlichen Anbau auf, der möglicherweise als Wohnung des Pächters des Hofes diente (Zeichnung von Johann Mauritz Güding). 241 242 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Da sie sehr häufig den Besitz wechselten, entstanden in aller Regel auch keine geschlossenen Archivbestände zu diesen Gütern und sie verbanden sich oft auch nicht mit der Tradition einer Familie. Allein dieser Umstand dürfte einer der wesentlichen Gründe dafür sein, dass die Kenntnisse über Landgüter von Städtern bis heute recht gering geblieben sind und in dieser Hinsicht auch nur im Umkreis weniger Städte besondere Aufmerksamkeit der Forschung fanden.16 Die geringe Kenntnis ist aber sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass im Unterschied zu Bürger- und Bauernhäusern ein großer Teil dieser Güter heute nicht mehr erhalten ist, da sie im Umfeld der alten Städte zumeist schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert bei deren Ausweitungen der Bodenspekulation zum Opfer fielen und ihre Existenz daher heute vielfach weitgehend vergessen ist. In der Mitte des 16. Jahrhunderts gab es allein um Münster mindestens 50 Höfe oder Güter, die sich in der Hand der 22 Münsteraner Erbmännerfamilien als der führenden und weitgehend geschlossenen städtischen Oberschicht befanden.17 Neben ihnen gab es aber noch viele andere Familien, die ebenfalls Land- güter unterhielten, etwa Kaufleute, Rechtsgelehrte und die seit der frühen Neuzeit ständig größer wer- dende Schicht der in der landesherrlichen Verwaltung tätigen Beamten: Verflechtungen dieser Familien untereinander durch verwandtschaftliche Verbindungen sind vielfältig; aufschlussreich ist es, das wirtschaftli- 4 Plan für das 1745-1749 errichtete Hauptgebäude auf dem Gut Haus Rüschhaus bei Münster, das der Architekt J. C. Schlaun sich selber als Sommersitz errichten ließ. Das Haus che Aufsteigen und Absinken dieser Familien vom Bürgertum zum Dienstadel und umgekehrt zu verfolgen als rechtliche, soziale und wirtschaftliche Grundlagen für den Besitz der Güter und Höfe.18 wurde als traditionelles Längsdielenhaus errichtet, erhielt allerdings massive Umfassungswände. Hinter der Wirt- Auffallend ist, dass es nach 1500 und mit Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ter Wohnsaal mit Ausgang zum Garten und Schlafkammer umfassende herrschaftliche Sommer-Wohnung. Der Pächter len Neugründungen von in aller Regel später als schaftsdiele eine hohe Küche mit nur einer Lucht und dahin- dürfte die Wohnräume seitlich der Diele und Küche genutzt haben. Angeschnitten die anschließenden beiden Nebenge- bäude und die geplante Gartengestaltung (Zeichnung von Johann Mauritz Güding nach Entwurf Schlaun um 1745/48). ebenso wie anderswo auch im Raum Münster zu vie- „Haus" bezeichneten Gütern durch Zusammenkauf von Grundstücken und deren Befreiung gegen Bezahlung kam. Dies muss neben dem vielfach beschriebenen Wunsch nach einem standesgemäßen Landleben auch als deutliche Ökonomisierung der Landwirt- schaft in einer Zeit deutlicher Prosperität gesehen werden. Im Folgenden wird der Blick allerdings räumlich umgekehrt erfolgen. Es wird vor allem um Güter auf dem Land gehen, die sich im Besitz von in der Stadt Leben- den befanden. Um die hier wirksam werdenden Entwicklungen besser beleuchten zu können, wird verschiedentlich auf die Verhältnisse der offensichtlich vergleichbaren Entwicklungen unterliegenden Güter im adeligen Besitz verwiesen. Es handelte sich vor allem um allode, frei verkauf- und vererbbare Güter, aber auch um Lehnsbesitz. Bei der Klärung der konkreten Besitzgeschichten dieser Land-Güter gibt es zumeist große Schwierigkeiten. Hierbei dürfte es sich um Reaktionen vor den Bedingungen des Marktes handeln. So ist auffällig, dass diese Güter neben herrschaftlichen Sommerwohnungen insbesondere von großformatigen Längsdielenhäusern bestimmt werden. Nahezu durchgängig lässt sich nachweisen, dass man in diesen Bauten große Mengen an Hornvieh unterbrachte. Dies dürfte vor dem Hintergrund geschehen sein, dass Ochsen über Jahrhunderte ein wesentliches Handelsgut waren und Münster hier als ein zentraler Umschlagplatz auf den Handelsrouten zwischen den Weidegebieten in den Marschgebieten Norddeutschlands Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 5 Zentrale Herdküche im dem 1745-1749 errichteten Haupthaus von Gut Haus Rüschhaus bei Münster. Der Raum entspricht mit der auf einem Längsunterzug lagernden Balkendecke in der Aufteilung und Einrichtung den Zuständen in größeren Bauernhäusern des Münsterlandes im 18. Jahrhundert: Links Flügeltür zur Wirtschaftsdiele, im Hintergrund die seitlichen Wohnräume an der Stelle einer zweiten Lucht und rechts das große zentrale Herdfeuer. Daneben Tür und Fenster zu den herrschaftlichen Wohnräumen im Kammerfach (Foto 1979). sowie der Niederlande und den Städten des deutschen Binnenlandes (insbesondere Köln und Frankfurt) galt.19 Die Teilnahme westfälischer Kaufleute an diesem Handel ist schon seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar und wurde im 15. Jahrhundert immer bedeutender.20 Wollten Münsteraner Kaufleute an diesem Handel partizipieren, benötigten sie nicht nur umfangreiches Kapital, sondern mussten auch die Versorgung der Herden auf ihren Wegen im Herbst sicherstellen. Hierbei soll der Raum Münster als Zwischenmast-Station gedient haben, wo zur Stärkung der durch das Treiben mager gewordenen Ochsen 6 Das Viehhaus von 1659(d) auf dem „Kleinen Hof" der Herren von der Lippe zu Vinsebeck ist später zur Scheune als Teil der Schlossanlage Vinsebeck (Steinheim, Kr. Höxter) umgebaut worden. Das in den Quellen als Vorwerk bezeichnete und als Kuhstall errichtete Gebäude wurde als Längsdielenhaus über der enormen Grundfläche von 39,85 x 12,80 m errichtet. Nur die zwei feldseitigen Wände waren massiv, während der übrige Bau als Fachwerkgerüst aus großdimensioniertem Eichenbalken errichtet ist. Beide Seitenschiffe mit einer Breite von 2,50 m wurden durchgängig als Kuhställe für wohl 96 Tiere und geschlossenen Lagerbühnen darüber eingerichtet. Nur neben der vorderen Toreinfahrt schuf man einen kleinen seitlichen Einbau, der wohl dem Viehknecht zur Wohnung diente. Später ist das Gebäude erweitert und verschiedentlich für neue Nutzungen verändert worden. 243 244 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 7-9 Das Viehhaus von 1659(d) auf dem „Kleinen Hof" zu Vinsebeck. Die drei Zeichnungen (Querschnitt, Teillängsschnitt und Grundriss) dokumentieren den rekonstruierten Zustand und das Foto (Abb. 6) den heutigen Bestand (Bauaufnahme und den- drochronologische Untersuchung durch Peter Barthold und Fred Kaspar, Reinzeichnung I. Frohnert / LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen 2013). mehrere Tage Rast auf Weiden gemacht wurde.21 Neben der Teilnahme am Viehhandel war es aber vor diesem Hintergrund ebenso lukrativ, selber weitere Ochsen für diesen Handel heranzuzüchten. Zwar sind bislang hierzu kaum Archivquellen erschlossen worden,22 doch scheint sich dies sowohl in der Bodenund Baupolitik der Kaufleute und aller anderen, die über Kapital verfügten, als auch durch Schaffung von großen landwirtschaftlichen Betrieben mit sogenannten Kuhhäusern niederzuschlagen. Nachgewiesen ist bislang, dass schon seit dem 13. Jahrhundert Zahl und Größe der Weideflächen nahe von Münster stetig anwuchs, wobei dies insbesondere in der Nähe der großen Fernstraßen und vornehmlich im Osten der Stadt erfolgte.23 Damit wird genau der Raum beschrieben, in dem sich auch besonders viele der freien Güter in der Hand von in der Stadt Lebenden befanden. An dieser Entwicklung beteiligte sich auch das Stift St. Mauritz mit seinem in diesem Raum gelegenen Grundbesitz, in dem es im Laufe des Spätmittelalters auf seinem Land gelegene Höfe auflöste, um das durch den Ossenpad erschlossene Land gewinnbringender als Viehweiden verpachten zu können.24 Als plakatives Beispiel aus einem anderen Bereich Westfalens soll auf die Familie der Freiherren von Spiegel zum Desenberg verwiesen werden, denn auch der Adel versuchte ebenso wie die Kaufleute zu dieser Zeit von der Konjunktur im Handel agrarischer Produkte zu profitieren. Zunächst auf der gleichnamigen Burg nahe der Stadt Warburg (Kr. Höxter) und damit in dem von Agrarkonjunkturen auf der Grundlage von Anbau und Export von Getreide begünstigten We- Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische serbergland ansässig, verfügte sie über umfangreichen Besitz an Grund und grundherrliche Rechte. Die Familie teilte sich seit der Zeit um 1500 in zunächst drei, wenig später vier, noch im Laufe des 16. Jahrhunderts dann teilweise in mehr als sechs Linien auf, die jeweils unterhalb der Stammburg sowie in dem nahegelegenen Dorf Bühne eigene Gutsbetriebe mit Herrenhäusern aufbauten. Ihr besonderes wirtschaftliches Potenzial lag neben dem zur Verfügung stehenden Grund und Boden insbesondere in den günstigen Arbeitskräften, die durch die der Herrschaft oft zustehenden Dienstverpflichtungen bereitstanden. Hierzu gehörte auch ein geschlossener Gerichtsbezirk, der sich über mehrere Dörfer erstreckte.25 Impuls für die hier erkennbare Intensivierung landwirtschaftlicher Produktion dürften in diesem Fall allerdings nicht die Viehzucht, sondern der Getreidebau auf den fruchtbaren Böden der Warburger Börde gewesen sein. Im Raum Münster wurde die Entwicklung insbesondere von Mitgliedern der sogenannten Erbmännerfamilien getragen, die sich zunehmend auf das Land zurückzogen und ihre städtischen Höfe vermieteten.26 Im Zuge dieser Entwicklung verdoppelte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts die Zahl der Güter auf dem Lande um Münster wie anderswo wohl nahezu. Die damit angesprochenen Entwicklungen sollen insbesondere mit Beispielen aus einem kleinen Gebiet zwischen der Stadt Münster und dem östlich davon liegenden Warendorf eingehender beleuchtet wer- den. Darüber hinaus werden nach zufälliger Kenntnis der Objekte27 oder der Literatur zur Veranschaulichung vereinzelt auch weitere Beispiele aus Westfalen und Lippe sowie Niedersachen berücksichtigt. Das beschriebene Gebiet bei Münster bietet sich insbeson- dere deswegen an, da es dort einen bemerkenswert dichten Bestand solcher Güter gab. Da es hier bis 10 Pachthof mit Sommerwohnung auf dem Gut „Haus Markfort" östlich von Münster-Handorf. Der Hof befand sich seit Jahrhunderten in den Händen von Mitgliedern der führenden Familien in Münster und wurde von Pächtern bewirtschaftet. So gehörte er z. B. 1668 zum Besitz der Herren von der Wyck auf Haus Milte bei Telgte und 1803 dem Geheimrat Bernhard Franz von Forckenbeck, der ein großes Anwesen in der Stadt unterhielt (Clemensstraße 6). Nach seinem Tode wurde der Hof auf seinen Wunsch hin von dem befreundeten und verwandten Buchdrucker und Verleger Johann Hermann Hüffer (1786 1855) erworben, der ebenfalls ein großes Haus in der Stadt Münster unterhielt (Salzstraße 58). Unmittelbar nach dem Erwerb wurde das Pächterwohnhaus - ein traditionelles Längsdielenhaus von Fachwerk - weitgehend erneuert und an dieses als Sommerwohnung der Besitzer ein Kammerfach angefügt. Dieser Bauteil wurde in den Proportionen des Bauernhauses, aber massiv und nur ein Raum tief ausgeführt, so dass die Erschließung und die Versorgung über die große Küche des Bauernhauses erfolgte. Zugleich legte man auch einen großen Garten vor der Sommerwohnung an, der nach den Lebenserinnerungen des Bauherren „den ländlichen Aufenthalt verschönern" sollte. 1896 wurde der Wohnteil durch einen seitlichen Flügelbau wesentlich erweitert, wobei erstmals eine abgeschlossene Wohnung mit eigener Küche entstand (Ansicht von Südwesten 2010). 245 246 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 11 Karte der Landschaft östlich von Münster (auf der Grundlage der Uraufnahme der Zeit um 1830) zwischen der Stadt Münster (außerhalb des linken Bildrandes) und den westlichen Bauernschaften von Warendorf (rechts außerhalb des Bildrandes). Im Norden (oben) die Kleinstadt Telgte, im Süden (unten) der Wigbold Wolbeck. Eingetragen sind die historischen Fernwege sowie die zahlreichen in diesem Gebiet nachweisbaren Güter in der Hand von Städtern. Diese Güter konzentrieren sich deutlich im Umraum von Münster und entlang der Fernstraßen (Kartografie und Bearbeitung Martina Bange 2013). heute zu vergleichsweise geringen Erweiterungsprozessen der Städte und damit Siediungsverdichtungen gekommen ist, haben sich viele dieser Anlagen auch noch in ihrem historischen Bestand erhalten. Es handelt sich jeweils um Besitzungen von vermö- genden, in den Städten Münster, Telgte und Warendorf lebenden Familien, die in den vor diesen Städten liegenden Kirchspielen St. Mauritz, Handorf, Wolbeck, Telgte und Everswinkel liegen. Allein im Kirchspiel St. Mauritz vor Münster gab es um 1800 neben sechs landtagsfähigen Gütern noch weitere 24 Landgüter, was nahezu der Hälfte aller im gesamten Landkreis Münster vorhandenen Güter entsprach.28 In dem südlich von Münster gelegenen Kirchspiel Hiltrup bildeten solche Güter etwa 25 % aller älteren Siedlungsplätze.29 Grob geschätzt kann man davon ausge- hen, dass sich über zweihundert Güter in der Hand von in der Stadt Münster lebenden Personen befanden und diese einen Kranz von bis zu 20 km um die Stadt bildeten. Damit waren sie zumindest mit Pferd oder Wagen in etwa einem halben Tag gut von der Stadt aus zu erreichen. Vergleicht man diesen Befund mit dem Raum um die anderen Städte des Landes, dürfte es kaum eine Landschaft gegeben haben, die nicht von solchen Besitzungen durchsetzt war.30 Die Güter des Untersuchungsraumes befinden sich in einer Zone fruchtbaren Bodens, nordöstlich begrenzt durch eine Heidezone sowie die sandige Talung der Ems. Auffällig ist, dass es sich um Güter handelt, die heute zumeist sehr abgelegen wirken, sich aber ehe- mals fast alle auf die bis in das 19. Jahrhundert entscheidenden Fernstraße von Münster nach Warendorf bezogen. Bei den folgenden Ausführungen werden insbesonde- re die im Kirchspiel von Telgte liegenden Güter Haus Milte und Hof Kurze Rumphorst sowie das Gut Haus Lohfeld im Kirchspiel Everswinkel im Mittelpunkt stehen. Diese drei Beispiele dokumentieren jeweils sehr unterschiedliche Entwicklungen und Bauten, wobei sich deren Verhältnisse zugleich sehr gut anhand nur selten für Güter überlieferter Archiv-Quellen erschließen lassen.31 Darüber hinaus werden auch andere untersuchte Besitzungen in der Region herangezogen, etwa das Gut Haus Brückhausen in der Gemeinde Everswinkel (Kr. Warendorf) sowie das südlich von Münster liegende Gut Haus Westerhaus bei Dren- steinfurt (Kr. Warendorf).32 Pachtgüter und Pachthöfe Neben Gütern, die auf Rechnung der Inhaber durch Rentmeister betrieben wurden,33 bestanden als zahlenmäßig weitaus größte, im Folgenden im Mittelpunkt stehende Gruppe „landwirtschaftlicher Unternehmer" die Pächter freier - d. h. nicht grundherrlich gebundener - Höfe bzw. Güter. Obwohl sie dort in der Regel auf der Grundlage von zeitlich gebunden Pachtverträgen wirtschafteten (zumeist über 12 Jahre, aber auch 9, 6 oder 3 Jahre), lebten die Pächter in der Regel über viele Generationen auf „ihren" Pachthöfen und führten daher vielfach auch deren Namen.34 Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Diese (Zeit-)Pächter konnten persönlich frei sein, stan- den aber vielfach auch in Leibeigenschaft eines Grundherren und sind daher nicht ohne Weiteres von der breiten Schicht der „normalen" grundherrlich gebundenen Bauern auf zu Meierrecht in Erbpacht ausgegebenen Höfen zu unterscheiden. Diese Zeitpächter lebten auf „ihren" Höfen als freie landwirtschaftliche Unternehmer und waren unmittelbar in den Geldkreislauf eingebunden, eine Lebensform, wie sie die Großzahl der Bauern erst im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte. Erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden zunächst noch vereinzelt Erbpachthöfe nach Meierrecht und mit Eigenbehörigkeit der Aufsitzer zu persönlich frei- en Erbpachtgütern umgewandelt.35 Der zahlenmäßige Umfang der Pacht-Bauern für die Zeit vor der Mitte des 18. Jahrhunderts ist bislang nicht abzuschätzen, doch gab es sie in nahezu jeder Gemeinde. Die Pächter nahmen in der Regel bei ihrer Übernahme des Hofes dessen Namen an, zumal sie bei erfolgreichem Wirtschaften dort oft über mehrere Generationen blieben. Ebenso wie heute hatte man aber nicht immer Glück mit den Pächtern, da sie zuweilen auch schlecht wirtschafteten und große Pachtrückstände aufhäufen konnten. So schleppte man auf dem Gut Lütke Rumphorst bei Telgte in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen Pächter über vier Jahrzehnte mit einer stetig größer werdenden Pachtsumme mit, bis man ihm 1768 wegen hoher Pachtrückstände von inzwi- schen insgesamt 636 Rthl. (oder mehr als vier Jahrespachten) den Prozess machte. Zur Schuldenbegleichung wurde der Konkurs über seinen gesamten Besitz eröffnet, dieser versteigert und der Pächter vom Hof verwiesen. Danach musste auch das vernachläs- sigte Haus renoviert werden. Seine Nachfolger hatten in der dritten Generation nach 55 Jahren schon wieder so viele Schulden angehäuft, dass man auch sie 1822 wegen Pachtrückständen von 288 Thl. aus dem Vertrag klagte und über das Vermögen gerichtlich den Konkurs eröffnete. Anlass hierzu war nach einem Bericht, dass Berend Rumphorst schon früher sich dem Trunk ergeben ist, es jetzt nach dem im vorigen Monat erfolgten Absterben seiner Frau soweit gekommen, daß er fast täglich viehisch besoffen, und 12 Das Gut Oberhaus (später als „Mallinckrodthof" bezeichnet) in Borchen (Kr. Paderborn) wurde um 1550 neu als alloder Gutshof der Herren von Oeynhausen angelegt. Das Gebäude wurde 2005 baugeschichtlich untersucht (Fred Kaspar und Peter Barthold / LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen): Das Erdgeschoss des Herrenhauses stammt noch aus der Gründungsphase und wurde 1558(d) errichtet. Bei einem Umbau 1695(d) erhielt dieses kleinere Haus ein Obergeschoss und ein neues Dach. Seit 1749 wurde das herrschaftliche Gut nicht mehr als adeliger Wohnsitz genutzt, son- dern kam in die Hand von Kaufleuten und Beamten in Paderborn, die die Landwirtschaft verpachteten und das Herrenhaus als Sommerhaus nutzen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Herrenhaus dann wieder Wohnsitz eines bürgerlichen Gutsherren (Foto 2008). 247 248 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen die gantze Ackerwirtschaft in der größten Unordnung ist. Was die Schwester, welche brav ist und die weibliche Wirtschaft aufs beste besorgt zu ersparen sucht, wird von ihm durchgebracht. Die nun folgende Pächterfamilie Große Bexten stammte von einem der größten Höfe des nahegelegenen Kirchspiels Einen und blieb dort über 150 Jahre tätig. Bei schlecht wirtschaftenden Pächtern konnte es zu ernsthaften Schäden an Hofgebäuden kommen. Der Pächter des Gutes Haus Milte bei Telgte wurde 1833 aus dem Haus und vom Anwesen geklagt, da er nicht nur mit der Pacht in Rückstand war, sondern auch die Bauten hatte verfallen lassen. Danach mussten in den nächsten Jahren alle Gebäude des Gutes umfassend renoviert werden. Erträge aus den Besitzungen Freie Höfe waren zunächst erst einmal Kapital der Besitzer und dienten - insbesondere wenn es sich nicht um Erbgut, sondern um angekaufte Güter handelte - der Geldanlage und der Erwirtschaftung von Erträgen. Solche freien Höfe wurden daher schon im Spätmittelalter nicht selten in sehr kurzen Abständen musste, betrugen hingegen schon 1640 neben eini- gen Naturalleistungen 240 Rthl. jährlich.38 Der 1790 durchgeführte Neubau der Borg genannten Sommerwohnung auf dem Gut Kurze Rumphorst (Telgte, Kr. Warendorf) kostete ca. 225 Rthl., d. h. den Pachtertrag für eineinhalb Jahre und der ab 1800 dort durchgeführte Neubau des dortigen Pächter-Bauernhauses insgesamt 1 985 Rthl., was dem Pachtertrag von etwa 14 Jahren entsprach.39 Auch adelige, durch einen Rentmeister verwaltete Eigenbetriebe hatten keine wesentlich höheren Jahreserträge: So brachte etwa das Gut Haus Visbeck bei Dülmen (Kr. Coesfeld) seinem Eigentümer, dem Dros- te zu Vischering in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei Gesamteinnahmen von etwa 1 5002 000 Rthl. nach Abzug aller Unkosten (Personal etc.) einen jährlichen Reinertrag von etwa 300 bis 500 Rthl. Sie waren also mit den Ertragszahlen seines Stammsitzes der Burg Vischering in Lüdinghausen (Kr. Coesfeld) vergleichbar.40 oder ob man solches benötigte. Die Rendite aus dem Leiter und Bewohner des Gutes Ständige Bewohner der Pachthöfe als bürgerliche Güter auf dem Lande waren die Erbpächter bzw. Pächter. Die Herrschaft, sofern und solange sie die Erbpacht sitzenden Bauern vielfach ein direkter Die Gruppe der Hofverwalter umfasste ein weites verkauft, je nachdem ob man Geld anlegen wollte in Höfen angelegten Kapital bestand bis in das 16. Jahrhundert vielfach vor allem in den Abgaben, die die Höfe leisteten, da wegen der auf dem Hof zu Höfe besuchte und bewohnte, bildete also nur einen zweiten mehr oder weniger umfangreichen und vollständigen Haushalt auf der Hofstelle. Zugriff auf die Erträge noch nicht möglich war.36 Dies stellte sich erst dann anders dar, wenn man den Hof durch einen Zeitpächter betreiben ließ, ein Weg, der soziales Spektrum, das hier allerdings wegen bislang weitgehend fehlender Vorarbeiten kaum detaillierter behandelt werden kann. Es reicht von einem selbst- sich offenbar seit dem 16. Jahrhundert durchsetzte und dazu führte, dass die Höfe nun auch länger in einer Hand blieben. Dieses Phänomen lässt sich für viele Landschaften in Mitteleuropa nachweisen. Das im Folgenden noch näher betrachtete freie Erbe Wiggermann (seit dem 19. Jahrhundert als „Gut Lohfeld" bezeichnet) in der Gemeinde Everswinkel (Kr. Warendorf) befand sich schon im 14. Jahrhundert in der Hand von Stadtsässigen und wechselte seitdem vielfach seine Besitzer. 1747 wurde es für 3 710 Rthl. und 1773 ein weiteres Mal für 3 400 Rthl. und 1826 für dann 5 000 Thl verkauft (auch dieser Wert ist bei Berücksichtigung der Geldentwertung vergleichbar). Bei dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) betrugen die Pachtgelder 1687 pro Jahr 130 Rthl. und stiegen wegen der Geldentwertung in mehreren Schritten bis 1857 auf 200 Thl. an (nach 1871 dann 600 Mark). Ähnliche Summen lassen sich auch bei einer Vielzahl weiterer Pachthöfe nachweisen.37 Für das Gut Haus Westerhaus (Drensteinfurt, Kr. Warendorf) betrug 1740 die Jahrespacht 70 Rthl., beim Gut Haus Milte (Telgte, Kr. Warendorf) im frühen 19. Jahrhundert 210 Rthl. Die Abgaben, die der Pächter des Hofes Schulte Havichhorst in Münster- Handorf dem Domdechanten in Münster leisten ständig und auf seine Rechnung wirtschaftenden Pächter über einen im Lohn stehenden Verwalter oder Rentmeister bis zum Vorarbeiter, der unter der Leitung des Besitzers oder seines Vertreters arbeitete. Letzterer wird in Westfalen in der Regel als Baumeister bezeichnet - entsprechend dem Begriff des Bauhauses als Hauptgebäude des Landbaus. In Niedersachsen war der Begriff Bauschulte gebräuchlich.41 Der Baumeister gehörte formal zwar zum Gesinde, stand im Alltag aber der Herrschaft näher als dem übrigen Gesinde.42 Die Baumeister rekrutierten sich daher im Unterschied zu dem übrigen, in der Regel von Köttern und Heuerlingen abstammenden Gesinde vielfach aus Bauern- oder sogar Schultenfamilien.43 Dies kann als Hinweis gelten, dass auch diese geringste Form der Wirtschaftsleitung schon als eine semiprofessionelle Tätigkeit galt und sich die Position, die im 16. Jahrhundert noch von einem Baumeister ausgefüllt wurde, bis ins 18. Jahrhundert öfter zu einem professionellen Rentmeister gewandelt hatte. Die Lebensformen, die die Familie eines örtlichen Rentmeisters pflegte, kann daher nicht einfach mit den Lebensformen einer Bauernfamilie gleichgesetzt werden. Rentmeister lebten im gewissen Umfang herrschaftlich, zumal sie als Vertreter der Eigentümer Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische auftraten und in dieser Funktion auch disziplinarische Aufgaben wahrnahmen. Dieser durch die Herrschaft zugestandene Anspruch eines Rentmeisters wird an dem 1677-1679 errichteten Tor- und Brauhaus des Gutes Haus Visbeck bei Dülmen deutlich. Neben der Tordurchfahrt als Zufahrt zur umgräfteten Anlage erhielt das Gebäude eine Wohnung, die zunächst offensichtlich der Rentmeister bewohnte. Er konnte damit den gesamten Waren- und Viehverkehr überwachen. Die Wohnung wies einen Wandkamin auf in den letzten Jahrzehnten aus dem Sprachgebrauch verschwundene Begriff wird bei Grimm45 als Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Som- merzeit definiert, als Landlust der Städter im Sommer46 Zwar wird als früheste Nennung des Begriffes „Sommerfrische" immer wieder in der Literatur ein Südtiroler Quellenbeleg von 1534 genannt, doch ist das Phänomen sowohl durch erhaltene oder bildlich überlieferte Bauten wie auch durch anders formulier- und hatte zwei jeweils mit Aborterker versehene te Quellenbelege älter.47 Dies betrifft auch den nordwestdeutschen Raum. So wird es etwa schon für die in einem Erbpachtverhältnis zu unterscheiden. Eine vergleichbare Rentmeisterwohnung aus der Zeit um 1760 konnte als Anbau an das Pforthaus von Haus beschrieben: Ist darauf [...] nur ein gemaurter Spicker in einem geringen Graben und Wall erbauet, gestanden welchen Eberhard Buttel, gewesener Richter zu Unna zum Auß oder Lußthauß ohne eigene daselbst beschehene Viehaltung und Einstallung gebraucht, Räume. Der Rentmeister dieses Gutes wird im 16. und 17. Jahrhundert in den Quellen als Schulte zu Visbeck bezeichnet, ist also begrifflich nicht von einem Bauern Dieck (Kr. Warendorf) dokumentiert werden44. Es sei die These erlaubt, dass diese damit nur angedeutete soziale, allerdings bislang nicht weiter in den Fokus der Forschung geratene Gruppe der Hofverwalter recht umfangreich war. Solche Leute wurden auf den Wirtschaftshöfen und den ihnen nachgeordneten Vorwerken, den Gütern der Landesherrschaft, der Klöster und des Adels ebenso gebraucht wie zur Leitung von Pachthöfen. Das Leben dieser Pächter bzw. Rentmeister war nicht nur auf die Führung des ihm anvertrauten Hofes bezogen, sondern auch viel- fältig mit dem Leben der Hofbesitzer verbunden. Hierzu ein paar zufällige archivalische Nachrichten: Der Pächter des Gutes Kurze Rumphorst bei Telgte musste nach seinem Pachtvertrag von 1687 im Jahr zehn vierspännige Fuhren nach Münster ausführen, dort die halbe Obsternte des Hofes, 20 Hühner und zwei Fuhren Mist abliefern sowie sicherlich im Zuge dieser Leistungen bei Bedarf die Herrschaft auf ihren Sommersitz auf den Hof bringen. Nach überlieferten Verträgen von 1817 und 1822 ist das die Borg genannte Ferienhaus der Inhaber des Hofes vom Pächter zu beßern und besenrein zu halten. 1822 wird zusätz- lich bestimmt, dass der Pächter einmal im Jahr die Gutsherrschaft und ihren Besuch mittags zu bewirten habe. Zeit um 1500 für das Gut Brockhausen bei Unna sondern nur zur Sommerzeit aus Unna etliche, bey solchen Lusthauß gelegene Kempe mit melken Kühen beweidet gehabt. Das Lusthaus wurde auch von seinem Sohn Hermann Buttel bis zum Tod 1554 genutzt. Dessen Schwiegersohn Hermann Riddmckhausen hatte dann nach 1575 bei seiner Schwieger Eltern Lusthauß [...] sich zur Haushaltung begeben, daselbst ein Bawhauß, folgendts Kühe und andere Stallen gebaut.48 Extremste Beispiele dieser Entwicklung dürften die Villen sein, die sich begüterte Adelige und Angehörige der städtischen Oberschichten in Oberitalien errichten ließen. Bemerkenswerte Beispiele sind aber auch die Landhäuser, die im Umkreis oberdeutscher Städte entstanden. Dokumentiert ist etwa der Bestand um die großen Städte Augsburg,49 Nürnberg50 oder Zürich.51 Für die Städte Nordwestdeutschlands ist der Baubestand zwar offensichtlich ebenfalls umfangreich gewesen, doch blieb der Stand der Forschung hierzu bislang gering: Eine Untersuchung liegt für den Besitz der Erbsälzer in der Stadt Werl und ihrem Umkreis vor.52 Auf die Landgüter der Oberschicht von Münster wurde zwar wiederholt hingewiesen, doch unterblieb ihre weitergehende Dokumentation und Erforschung.53 Größere Bestände solcher Güter sind auch für den Umkreis der südlich anschließenden Die Höfe dienten also neben der Kapitalanlage und -Sicherung auch der Versorgung der Herrschaft mit landwirtschaftlichen Produkten und anderen Dienst- auch dort baugeschichtlich nicht weiter behandelt. Viele der Güter im Umkreis von Minden wurden hin- Sommerwohnungen Die in der Stadt lebenden Besitzer der Land-Höfe nutzten diese neben ihren anderen wirtschaftlichen gegen erfasst und beschrieben,56 ebenso im Umkreis von Lemgo und teilweise auch der Nachbarstädte in Lippe.57 Für Warburg ist ein patrizisches Gut untersucht,58 aber es sind auch weitere vergleichbare Patriziergüter in der Umgebung der Stadt belegt.59 Auch leistungen. Interessen aber auch aktiv als temporäre Aufenthaltsorte: Schon seit dem Spätmittelalter lässt sich belegen, dass in der Stadt Lebende ihre Wohnungen im Sommer verließen und auf das Land zogen. Hierfür wird in anderen Regionen schon seit dem Spätmittelalter der Begriff der Sommerfrische genutzt. Der erst Städte Hamm54 und Soest55 nachweisbar, wurden aber das Gut Brodhagen in der Hand der bürgerlichen Oberschicht von Bielefeld wurde mit seinem charakte- ristischen 1686 errichteten Pächterwohnhaus mit herrschaftlicher Sommerwohnung ausführlich dokumentiert.60 Jüngst wurde auch eine solche Untersuchung für eine norddeutsche Stadt vorgelegt und 249 250 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen der um Lübeck nachweisbare Bestand erfasst.61 Ebenso sind die Güter in der Hand des Salz-Patriziats von Lüneburg erfasst.62 Entsprechend den vielfach bescheideneren wirtschaft- lichen Möglichkeiten bestanden nach bislang vorliegender Kenntnis die Sommersitze der Bewohner mittlerer und kleinerer Städte Nordwestdeutschlands in aller Regel aus verpachteten Höfen, die über das besondere Rechtsverhältnis der Zeitpacht die Inhaber offensichtlich ihrer besonderen Bedürfnisse beim Aufenthalt auf dem Lande sicherstellen konnten: Der Pachtherr musste sich nicht um die Bewirtschaftung des Hofes kümmern, doch konnte er dem Pächter aufgeben, ihn bei seiner Anwesenheit auf dem Hof zu versorgen. Der Besitz solcher Pachthöfe mit Sommer- wohnungen dürfte für die oberen Sozialschichten aller Städte über Jahrhunderte üblich gewesen sein. Ihr Aufkommen allerdings in den Zusammenhang der Ausbildung von Gärten der Renaissance zu stellen, dürfte nicht zutreffend sein.63 Bislang liegen zu dieser besonderen Form der Stadt- Land-Beziehungen keine systematischen Forschungen vor. Bekannt und beschrieben ist diese Beziehung bis- lang vor allem für die patrizische städtische Oberschicht, deren Mitglieder in Münster als sogenannte Erbmänner bezeichnet wurden.64 Ausführlicher wurde das Thema für den eigentlichen münsterschen Stiftsadel erst im Jahre 2000 behandelt.65 Vergleichbare Lebensweisen lassen sich aus bislang eher zufälligen Belegen ebenso auch für Mitglieder der Geistlichkeit belegen, die die höheren Ämter in der bischöflichen Verwaltung und den zahlreichen Stiften der Stadt besetzten, zumal diese Geistlichen vielfach ebenfalls aus den führenden bürgerlichen Schichten stammten. So gehörte z. B. zum Amt des Dechanten am Münsteraner Domstift über Jahrhunderte der große Pachthof Schulte Havichhorst in Münster-Handorf, auf dem auch ein freistehendes „Herrenhaus" stand. Die Niederlassung der Johanniter in Münster besaß schon im 15. Jahrhundert den Hof Zumberge, einen großen Gräftenhof bei Senden, der bis 1534 in Eigenwirtschaft stand und danach verpachtet wurde. Dort befand sich ein in der Mitte des 16. Jahrhunderts neu errichtetes Bauhaus, dessen große Kammer mit Keller sowie der vor dem Gebäude stehende Pferdestall und die Fischerei in den Gräften nicht ver- 13 Die großzügige Villa „Haus Ostdorsel" östlich von Telgte wurde 1907 für Wilhelm Friedrich von Laer (1829-1926) in Münster als Landhaus für den sommerlichen Aufenthalt auf seinem verpachteten Bauernhof errichtet. Der Generaldirektor der westfälischen Bodenkreditbank hatte den Bauernhof Schulze Ostdorsel 1897 erworben und zu einem durch Pächter geführten Mustergut ausbauen lassen (Zustand 2008). 251 Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische pachtet, sondern den Brüdern zur Nutzung Vorbehalten blieb.66 Südlich der Stadt Münster unterhielten die Johanniter auf dem 1497 angekauften Pachthof Groß Kaldeloe bei Münster-Hiltrup eine umgräftete und als Sommerwohnung genutzte Borg.67 Der Orden der Jesuiten in Münster besaß zwischen 1590 und 1677 auf dem Pachthof Klostermann in Sendenhorst- sen massiv ausgeführt. Im Erdgeschoss befanden sich ehemals wohl eine Küche sowie ein Kapellenraum mit Chorapsis, im ersten Obergeschoss die Diele mit vier anschließenden Schlafkammern und im zweiten Obergeschoss ein Saal. Auch das St. Martini-Stift in Münster unterhielt Albersloh (Kr. Warendorf) eine durch die Ordensangehörigen genutzte Borg, die zuvor schon von anderen Geistlichen in Münster genutzt worden war.68 Nachdem dieser Bau wegen Baufälligkeit abgebro- zumindest in der Neuzeit auf dem ihm seit 1324 gehörenden und verpachteten Hof Rotland in MünsterHiltrup ein Sommerhaus für seine Kapitulare, das aus einem 1780 als Herrenzimmer bezeichneten Anbau heute erhalten geblieben und bis auf die beiden ritz vor Münster soll in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein „Herren-Lusthaus" mit Garten bei dem stiftischen Hof Lütke Lengerich nördlich von Münster-Handorf als Erholungsort der Stiftsherren unterhalten haben, wozu auch eine eigene Kapelle chen werden musste, nutzten die Jesuiten als ihr Sommerhaus ein 1661 errichtetes und ebenfalls als Borg bezeichnetes turmartiges dreigeschossiges Gebäude auf dem ihnen schon seit 1624 gehörenden Gut Haus Sieverding bei Altenberge (Kr. Steinfurt).69 Es ist bis Fachwerk-Längswände in den beiden Obergeschos- an das Pächterwohnhaus bestand.70 Das Stift St. Mau- gehörte.71 14 Das als „Borg" bezeichnete speicherartige Gebäude wurde 1661 als Sommerhaus für die Mitglieder des Jesuitenordens aus Münster auf dem Pachthof Sieverding bei Altenberge (Kr. Steinfurt) errichtet. Im Erdgeschoss bestanden eine Küche und eine Kapelle (der Chor wurde später abgebrochen), im ersten Obergeschoss gab es Schlafkammern und im zweiten Oberge- schoss einen Saal. Auf der Aufnahme von etwa 1910 ist der das Gebäude umgebende Gräftenring noch gut zu erkennen. 252 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Darüber hinaus lässt sich nachweisen, dass auch ein- zelne Geistliche - abhängig von ihrem persönlichen Vermögen - individuelle Sommerhäuser auf den ihnen gehörenden Pachthöfen unterhielten.72 Der Domherr Friedrich Christian von Galen (1689-1748) ließ sich neben der von ihm dauerhaft bewohnten Kurie am Domplatz am südlichen Stadtrand von Münster 1721-1729 ein großzügiges Landhaus errich- ten, das später Friedrichsburg genannt wurde.73 Neben diesem sicherlich extrem großen Beispiel stand aber in dieser Tradition z. B. auch der zum St. Martini- nutzte er fortan den Hof wohl nicht nur als Sommersitz für sich und seine Familie, sondern ließ - gegen die Interessen der Pächter - dort für sich auch größere Gartenanlagen anlegen. Da es hierüber zum Streit kam, wurde die Situation in den Akten genauer be- schrieben. Dadurch erfahren wir, dass der Hofrat 1764 im Sommer mit seinem insgesamt elf Personen umfassenden Haushalt (und teilweise auch mit einigen Fremden) im Sommer zunächst elf Tage auf dem Hof verbrachte und dann vom 26. August bis zum 5. Oktober noch einmal etwa sechs Wochen. Die zahlrei- Stift gehörende Kanoniker Johann Caspar Ostholt, der sich um 1765 ein Landgut vor Münster mit Sommerwohnung errichten ließ.74 Der Vicedomus 0. Schmiesing erwarb 1702 am nordwestlichen Rand von Münster Ländereien, um dort ein umgräftetes Gut mit der Bezeichnung Schnorrenburg einzurich- chen anreisenden Personen mussten jeweils vom Pächter nicht nur mit Lebensmitteln sowie herbeigefahrenem Bier versorgt, sondern auch mit Kutschen einen Hof in der Stadt,75 sodass die Erwerbung wiederum der Versorgung sowie als Ziel von Ausflügen gedient haben dürfte.76 Entsprechend dieser Tradition lich ganz in einer eigenen Wohnung auf dem Hof nieder, wobei er vom Hofpächter versorgt wurde.80 Als das Frl. Johanna Homeyer in Münster 1787 einen neuen Vertrag mit dem Pächter ihres Hofes Wesseling in der Bauernschaft Hansell (Altenberge, Kr. Steinfurt) schloss, behielt sie sich die eigene Nutzung des im Garten stehenden Speicher und dagegen liegendes ten. Seine Familie von Korff gnt. Schmiesing auf Schloß Tatenhausen unterhielt zu dieser Zeit auch wurde 1744 bei der Einbringung des Hofes Kurze Rumphorst bei Telgte in eine Münstersche Familien- stiftung bestimmt, dass die dort bestehende Borg fortan als Sommerwohnung für Geistliche dienen sollte, die aus der Familie Scheffer-Boichorst stammen. Ferner sollte sich dort die Familie des die Familien- stiftung verwaltenden Familienoberhauptes treffen können. Um dies zu gewährleisten, wurde dies Gebäude als einziges nicht vom Pächter unterhalten. Vergleichbare Bestimmungen blieben in allen Pachtverträgen des Gutes bis in das frühe 20. Jahrhundert bestehen. Bei dieser Regelung wurde also sowohl an Geistliche wie auch an andere Mitglieder aus der zur Schicht der Kaufleute und Beamten gehörenden Familie Scheffer-Boichorst gedacht. Obwohl weitgehend von der Forschung ignoriert,77 liegen schon zahlreiche weitere, sogar publizierte Hinweise vor, dass Mitglieder der gesamten Oberschicht der Stadt über Jahrhunderte vergleichbare Regelungen kannten: Das Gut Deitkamp bei Senden- horst (Kr. Warendorf) wechselte vielfach den Besitzer. 1727 wurde es von Franz Wilhelm von Kerckering zur Borg neu an die Bürger Johann Sieves und Johann Hintzenbrock für jährlich 125 Rthl. verpachtet. Obwohl der Verpächter und seine Familie eine größere Anzahl von Gütern besaß, blieben auch in diesem Fall Fischerei, Baumgarten hinter dem Haus sowie das hinterste Kämmerchen am Hause mit der großen Kammer vom Pachtvertrag ausgenommen.78 Ziel dieser Regelung dürfte es gewesen sein, sich Wohnräume für Jagdaufenthalte zu sichern. 1764 erbte Hofrat Costerus in Münster von der münsterschen Familie Mensing den Ahlkenkotten, einen freien Pachthof in der zu Sendenhorst (Kr. Warendorf) gehörenden Bau- ernschaft Sandfort.79 Wie auch schon seine Vorfahren aus Münster abgeholt oder zur Kirche in Sendenhorst gefahren werden. Die hierdurch entstandenen Kosten von über 122 Rthl. wurden dem Pächter erstattet. Auch in den folgenden Jahren behielt Hofrat Costerus diese Lebensweise bei und ließ sich im Alter schließ- Gartenland... vor.81 1790 wird berichtet, dass der Pächter des Hofes Horstmann bei Albersloh (Senden- horst, Kr. Warendorf, Sandfort 5) die Verpflichtung habe, seinen Verpächter auf Wunsch von und nach Münster zu fahren sowie diesem unentgeltlich Mittagessen zu geben.82 1817 werden in dem Pachtvertrag des Gutes Nevinghoff nördlich von Münster zwischen dem Eigentümer Matthias von Heeremann-Zuydwyck zu Surenburg und dem Pächter besondere Bestimmungen getroffen. Hiermit wollte der Verpächter offensichtlich sowohl eine ihm bereitstehende Jagdwohnung in dem Gutshaus wie auch eine Ausflugsmöglichkeit bei Besuchen in der Stadt ermöglichen (die Familie besaß zu dieser Zeit keinen Hof in der Stadt): Ausgeschlossen von der Pacht wurden das Belvedere, die Teiche und die zugehörige Jagd. Ferner wurde der Mitgebrauch eines der größeren Zimmer im Hauptgebäude vereinbart.83 Als 1853 das Haus renoviert worden war und das Gut einen neuen Pächter erhielt, wurde ein Pachtvertrag verfasst, der in § 5 wiederum bestimmte: Der Verpächter behält sich die Benutzung des größten Zimmers im Haupt-Wohnhauses stets vor. Nach § 2 des Vertrages wurde zudem wiederum ausgeschlos- sen die Nutzung der Warendörfer Teiche und des Belvedere In der Coerheide.M Noch bis 1893 wurden diese Regelungen in alle folgenden Pachtverträge übernommen. Die Inhaber des Valepagenhofes bei Delbrück (Kr. Paderborn) betätigten sich während des 18. und 19. Jahrhunderts als Beamte und Kaufleute. Sie hatten Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 15,16 Das umgräftete Gut Haus Nevinghoff liegt am nördlichen Stadtrand von Münster. Der Hof gehörte über viele Jahrhunderte verschiedenen in der Stadt ansässigen Erbmännerfamilien, die neben diesem Gut aber auch noch andere Güter vor der Stadt besaßen und den Hof durch Pächter bewirtschaften ließen. Von 1781 bis 1974 gehörte das Gut der Familie von Heere- mann, die es ebenfalls verpachtete. Das Hauptgebäude ist ein Längsdielenhaus mit massiven Umfassungswänden nicht bekannten Alters. 1791 und 1854 wurde das im Kern bis heute erhaltene Gebäude modernisiert und 1979 zur Kantine der Landwirtschahskammer umgebaut (es wurde bislang nicht baugeschichtlich untersucht). Bemerkenswert ist der außergewöhnlich umfangreiche Wohnteil des Hauses, bestehend aus einer hausbreiten Herdküche und einem fünf Räume (zwei Säle mit Ofenheizung und drei dahinter befindliche Kammern) umfassendem und unterkellertem Kammerfach (hier dokumentiert in einem Bestandsplan von 1906 aus den Akten der städtischen Bauverwaltung). Dieses dürfte zur Sommerwohnung oder als Jagdhaus der Herrschaft vorgesehen gewesen sein. Noch während des gesamten 19. Jahrhunderts bestand in den Pachtverträgen die Bestimmung, dass die Pächter den auf Haus Surenburg lebenden Eigentümern des Gutes der Gebrauch des grö- ßeren Zimmer im Hauptgebäude vorbehalten müssen. Die Abbildung zeigt das Längsdielenhaus während des Umbaus 1978. 253 254 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen zumindest ihre Hauptwohnung in Delbrück bzw. in Neuhaus und scheinen daher auf ihrem ererbten Hof nur eine Sommerwohnung unterhalten zu haben.85 So wird 1840 berichtet, dass der an dem großen und vom Pächter bewohnten Bauernhaus von 1577 befindliche Saal einen separaten Eingang habe und ausschließlich vom Eigentümer genutzt werden dürf- te.86 Die Motivation für den ländlichen Aufenthalt der Hofbesitzer ist im Einzelfall unterschiedlich, denn es lässt sich ein erstaunlich breites Spektrum der Nutzung feststellen. Es kann sich um Dauerwohnungen (als Altenteil) oder um temporäre Wohnungen han- deln, etwa um diese beim Aufenthalt in der Som- merfrische oder als Jagdwohnung zu nutzen. Regelmäßig aber sind es Wohnungen, die keinen eigenen 16 Gut Haus Nevinghoff abgeschlossenen Haushalt zuließen, sondern die Versorgung mit Lebensmitteln blieb bei ihnen mehr oder weniger Aufgabe der Hofpächter. Bauliche Lösungen zur Unterbringung einer Wohnung des Verpächters Nach Betrachtung der Nutzer und der Nutzungen der städtischen Besitzungen auf dem Land bleibt die Frage, welche baulichen Lösungen sich für die herrschaftlichen Wohnungen auf ihren Pachthöfen nachweisen lassen. Alle im Münsterland nachweisbaren Lösungen sind der baugeschichtlichen Forschung nicht neu, wurden aber bislang teilweise in anderen sozialen Zusammenhängen gesehen. Nur selten wurde ein von den Pächtern unabhängiger Haushalt mit einer eigenen Küche gebildet. Dennoch dürfte auch hier der Bezug zwischen Pächter und Verpächter eng geblieben sein, denn erstere haben sicherlich immer die notwendigen Lebensmittel be- sorgt und die Vorratskammern gefüllt. Es gab auf den Pachthöfen höchst unterschiedliche Lösungen für die Anlage einer herrschaftlichen Som- merwohnung. Alle Lösungen waren grundsätzlich davon bestimmt, dass zwei Wohnbereiche für die unterschiedlichen Haushalte von Pächter und Ver- pächtervorhanden sein mussten und diese mehr oder weniger zu trennen waren. Lebte auf dem Pachthof auch ein Altenteiler, konnte es auch drei Wohnungen geben. Weitere Wohnbereiche waren für das Personal der Herrschaft und das Gesinde des Hofes vorhanden. Das Wohnen in Teilen des Haupthauses der Hofanlage 17 Grundriss vom Hauptgebäude auf dem Gut Haus Ossenbeck bei Drensteinfurt (Kr. Warendorf). Das 1916 abgebrannte Haupthaus stand auf einem großen umgräfteten Gutshof, der sich über mehrere Jahrhunderte in der Hand von Großkaufleu- ten in Münster befunden hatte. Zu dem 1910 erstellten Bestandsplan (Archiv Haus Drensteinfurt) hat sich auch eine detaillierte Beschreibung erhalten, die die charakteristischen Merkmale eines Pächterwohnhauses mit herrschaftlicher Wohnung erkennen lässt: Kern war ein als „westfälisches Bauernhaus" bezeichnetes Längsdielenhaus von Fachwerk. An die dreischiffi- ge Wirtschaftsdiele schloss sich eine abgetrennte große Herdküche mit nur einer Lucht an; statt der zweiten Lucht gab es einen abgetrennten Wohnraum. An das unterkellerte Kammerfach mit großer Aufkammer ist ein zweigeschossiges Wohnhaus mit massiven Umfassungswänden, Satteldach und aufgesetztem Uhrturm angebaut. Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische stellt hierbei nur eine von mehreren Möglichkeiten dar. So wurden etwa beim Pachthof Wiggermann (später Haus Lohfeld) bei Everswinkel (Kr. Warendorf) 1762 die hintersten beiden Zimmer von der Verpachtung ausgeschlossen (ab 1782 zusätzlich genannt auch Stallung für die Pferde im Backhaus). 1815 werden wiederum in einem Pachtvertrag als Ausschluss die beiden hintersten Zimmer und Stallung für 4 Pferde genannt; 1858 wird als Ausschluss der Pacht formuliert: das Herrenhaus, Keller unter dem Backhaus, Bodenraum, Teile der Scheune sowie eine dortige Bedienstetenstube. Beim Gräftenhof Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) schloss 1808 die Herrschaft Folgendes von der Verpachtung aus: Den Saal auf dem Pforthaus (wo Gottesdienst gefeiert wird) sowie den Saal und zwei anschließende Schlafkammern im Prinzipalhaus. Nachdem man 1832 eine neue herrschaftliche Wohnung im Haupthaus hatte errichten lassen, wurden im nächsten, 1837 abgeschlossenen Pachtvertrag die Zimmer im Haus hinter der Küche, ferner Teile des Stalls, der ebenfalls neu errichtete Wagenschuppen und der Garten ausgeschlossen. In den verschiedenen bislang aufgefundenen Pachtverträgen wurden auch stets Fragen des Transportes zwischen dem Land und der Stadt und umgekehrt geklärt. Hierzu unterhielt man auf den Höfen teilweise umfangreiche Einrichtungen. Als ein erhaltenes Beispiel sei auf den 1837 neu errichteten und der Herrschaft vorbehaltenen Wagenschuppen auf Haus Milte verwiesen. Die Borg - Der Speicher als Sommerwohnung Eine eigenständige und zudem sehr alte Form der ländlichen Sommerwohnung ist der Speicher. Mit seiner Nutzung als Altenteilerwohnung, als Gerichtsort und für manche weitere Aufgaben hat sich die Hausforschung schon vielfach beschäftigt. Speicher oder speicherartige Gebäude hat man aber auch schon früh als Sommerhäuser genutzt. In der Regel wurden Speicher solcher Nutzung in der frühen Neuzeit nicht nur im Umkreis von Münster als Borg bezeichnet, ohne dass daraus allerdings noch auf ein zur Verteidigung fähiges Bauwerk geschlossen werden kann.87 So unterhielt die Münsteraner Familie Travelmann auf ihrem angekauften, südlich der Stadt im Kirchspiel Hiltrup liegenden Pachthof Haus Soest (bzw. Haus Maser) eine seit 1536 genannte Borg.88 Ebenfalls seit 1536 wird im Kirchspiel Hiltrup bei dem Hof Wegmann Wegmanns Borg genannt, ein umgräftetes Haus mit Garten, das bis in das 17. Jahrhundert als Sommersitz verschiedener Münsteraner Familien diente.89 Auch die wohlhabende Familie Warendorf zu Nevinghof in Münster unterhielt eine schon 1526 genannte Borg östlich der Stadt Münster bei dem Dorf Handorf.90 Als Hermann von Diepenbrock 1590 sein Gut Haus Buldern (Kr. Coesfeld) verpachtete, musste der Pächter auch die Versorgung der Tante des Verpächters zusagen, die auf der Borg, einem umgräfteten Bau, im Dorf Buldern lebte.91 Als Lambert Buck zum Grevinghoff das ihm gehörende Haus Soest bei Münster - Hiltrup im Jahre 1599 auf zehn Jahre verpachtete, behielt er für sich die Nutzung der Borg sowie eines Stallgebäudes und eines Bauhauses, während der Pächter Hauptgebäude, Stal- lung und Schuppen zur Nutzung erhielt. Auch die späteren Pachtverträge für dieses Gut blieben bei die- ser Teilung. Nach 1660 wird die Borg als Leibzucht einer Witwe Buck genutzt und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Borg des Hofes auch den neuen Eigentümern Kerckerinck zu Stapel zur Nut- zung vorbehalten.92 Der zumindest bis in das 17. Jahrhundert regelmäßig verwendete - aber noch bis in das 19. Jahrhundert vorkommende - Begriff Borg legt es nahe, einen engen Zusammenhang zwischen diesen umgräfteten Speichern und dem andernorts bekannten Phänomen der „Weiherhäuser" zu sehen.93 Inzwischen sind solche Bauten mit der Bezeichnung „Borg" auch im Umkreis vieler anderer Städte im Norden Deutschlands nachgewiesen worden.94 In Lübeck ist der fast synonyme Begriff „berchvrede" für solche Sommer- oder Gartenhäuser schon 1421 als allgemein gebräuchlich überliefert, wobei es sich hier jeweils um umgräftete Fachwerkbauten auf einem Hügel handelte. Auch hier wird dies weniger als tatsächliche Befestigung, sondern eher als bauliches Zeichen für standesmäßige, in Traditionen eingebundene Lebensformen interpre- tiert.95 Selbst in Stettin wird mit dem Begriff „Bergfried" 1529 das gleiche Phänomen beschrie- ben.96 Im Münsterland war die Bezeichnung „Borg" für einen bewohnten Speicher - sowohl aus Stein wie auch aus Fachwerk - allgemein gebräuchlich.97 Insbesondere die auf den großen Bauernhöfen des Münsterlandes erhaltenen steinernen Speicher fanden schon seit dem späten 19. Jahrhundert das Interesse sowohl der Ortsgeschichte wie auch der Baugeschichte. Während sie über lange Zeit vor allem als Zeugnisse grundherrlicher Nutzung und davon ausgehend zunehmend als „Fluchtspeicher" für Notzeiten interpretiert wurden, ist diese Zuweisung 1988 mit gutem Grund und vielen Belegen widerlegt worden.98 Allerdings blieb die Differenzierung des Besitzstandes der Höfe mit solchen Speichern wegen der zu dieser Zeit schlechten Quellenlageweitgehend undiskutiert99 und damit auch die Frage, ob zumindest ein Teil dieser Speicher nicht (auch) als Sommerwohnung durch die Hofbesitzer oder als ihre Jagdwohnung gedient habe.100 Abgesehen von den zahlreichen, inzwischen hierzu vorliegenden und im Folgenden besprochenen Befunden zur Nutzung einer solchen „Borg" als Sommerwohnung erhält diese Frage inzwischen auch vor 255 256 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 18 Gut Haus Wienburg, Wirtschaftsteil (Foto von 1950). 19 Gut Haus Wienburg, Sommerhaus (Foto von 1950). Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 20 Gut Haus Wienburg, Herdstelle im Flett des Wirtschaftsteiles (seitlich vom Rauchfang der Durchgang zum Sommerhaus). 18-21 Das Gut Haus Wienburg liegt am nördlichen Rand von Münster und befand sich über Jahrhunderte im Besitz einer der Erbmännerfamilien. Wie bei vielen weiteren Beispielen wurde es als eine umgräftete Hofanlage angelegt, dessen Haupthaus ein Längsdielenhaus von Fachwerk war. Das dort bis um 1960 stehende Haus wurde nach historischen Fotografien im späteren 17. Jahrhundert als Vierständerhaus mit Wirtschaftsdiele errichtet. Nachdem das Gut schon im späte- ren 17. Jahrhundert von der Familie von Wintgen erworben worden war, ließ der in Telgte bei Münster lebende Landrent- meister und Kammerherr Franz Anton von Wintgen (17101763) an das Haupthaus um 1760 einen neuen Wohnteil anbauen, der wohl als ländliche Sommerwohnung dienen sollte. Der eingeschossige Bau erhielt massive Umfassungs- wände und ein Mansarddach, wies aber im Erdgeschoss nur 21 Gut Haus Wienburg. einen Wohnsaal mit Ausgang zum Garten und eine unterkel- lerte Schlafkammer auf, sodass weiterhin die Feuerstelle in der anschließenden bäuerlichen Küche die Versorgung der Besucher sicherstellen musste. Neben diesem Sommerhaus ließ sich von Wintgen auch einen bemerkenswerten Ziergarten mit einer Vielzahl von lebensgroßen Sandsteinfiguren anlegen. Nachdem die Familie auf das 1788 erworbene Haus Ermelinghoff (Stadt Hamm) verzog, diente die Wienburg als eine vom Pächter der Landwirtschaft betriebene Kaffeewirt- schaft. Die Abbildungen 18 und 19 zeigen den (heute nicht mehr erhaltenen) Wirtschaftsteil und das angebaute Sommerhaus. dem Hintergrund anderer neuer Argumente weitere Nahrung: Bis in die Neuzeit bestand bei zu Erbpacht ausgegebenen Höfen die rechtliche Trennung zwischen dem Gebäude im Eigentum des Inhabers und dem nur pachtweise zu erwerbenden Baugrund, wohl ein wesentlicher Grund für die Dominanz des „Nicht- steinbaus" auf dem Lande. Auch wenn im Alltag kaum vorkommend hatte der Pächter bei seinem Abzug das Grundstück vom Gebäude zu befreien, was nur bei einem Fachwerkbau möglich war: „Ältere Steinbauten könnten daher auf dem Lande auch ein 257 258 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Indiz dafür sein, dass sich der Grund und Boden im freien, alloden Besitz des Bauherren befand bzw. der entsprechende Bau - etwa die massiven Steinspeicher auf den Schultenhöfen - nicht vom Pächter, sondern vom Grundherren errichtet worden sind."10' Der Begriff „Borg" war auch in der ostwestfälischen Grafschaft Lippe seit dem 15. Jahrhundert eine der Bezeichnungen für einen steinernen Speicher, der auf einem verpachteten Gut stand und der Nutzung durch die Herrschaft vorbehalten war: 1582 ist ein solcher Bau den Verpächtern, der in der Stadt Detmold lebenden Kaufmannsfamilie Flörke vorbehalten tempore pestis und sonst zur Notturfft zu gebrauchen.'02 Den Begriff Borg konnte Stiewe in der Grafschaft Lippe für 28 Objekte sicher nachweisen.'03 Zudem hat er verschiedene Belege einer (temporären) herrschaftlichen Nutzung vor der Mitte des 17. Jahrhunderts zusammen getragen.104 Turmartige und bewohnbare Speicherbauten sind im 16. und 17. Jahrhundert im Münsterland vielfach er- 1591 gehörte der Hof dem Pfennigmeister Martin Schnell. Er lebte zusammen mit seiner Ehefrau Anna von Amelunxen in Münster an zentraler Stelle in dem Haus Prinzipalmarkt 8. 1594 ließ er das alte Kammerfach mit Küche des Bauernhauses von fünf Gefachen Länge abbrechen und an der Stelle und in den bestehenden Proportionen einen aber westlich längeren Neubau mit massiven Umfassungswänden errichten. Hierdurch erhielt das Haus eine große Flettküche von vier Fachen und ein weitläufiges Kammerfach von ebenfalls vier Fachen.107 Der Hof Haus Markfort in Münster-Handorf wurde 1824 als allodes Pachtgut von Johann Hermann Hüffer erworben, um es wie die Vorbesitzer als Sommerhaus zu nutzen.108 Hüffer lebte als Buchdrucker, Verleger und Inhaber des Verlags Aschendorff in Münster. Bis heute wird das Anwesen von dessen Nach- fahren genutzt. Noch im Jahr des Kaufs wurde das hier stehende Pächterwohnhaus in der Form eines Vierständerhallenhauses von Fachwerk weitgehend erneuert, wobei dieses ein daran anschließendes mas- richtet worden, wobei ihnen gemeinsam ist, dass sie nur noch formal an befestigte Bauten erinnern, dieses aber verdeutlicht, dass es sich um herrschaftlich anmutende Gebäude handeln sollte. Entsprechende Gebäude konnten allerdings innerhalb eines breiten Rahmens unterschiedlichsten Aufgaben dienen, die zu- sives, einen Raum tiefes Kammerfach als Sommerwohnung der Familie erhielt.109 Es wurde 1896 durch eine seitliche Erweiterung vergrößert, wo man insbesondere Wirtschaftsräume und eine erstmals abgetrennte eigene Küche unterbrachte. konnten. Für den Raum um Dortmund konnte Spohn mehrere Beispiele solcher Bauten auch auf kleinen Herrensitzen untersuchen, bei denen sich sowohl eine Nutzung als Altenteilerwohnung wie auch als Absteigemöglichkeit der Eigentümer auf verpachteten Anlagen nachweisen ließ.105 Eine vergleichbare Funktion liegt auch bei weiteren speicherähnlichen Bruchstein- Das Torhaus als Sommerwohnung Die zweite Lösung war, die Wohnung der Herrschaft in einem Torhaus unterzubringen."0 Allerdings konnten bislang für eine solche Nutzung kaum eindeutige Belege aus den Schriftquellen beigebracht werden.'" Als eines der wenigen klaren und anschaulichen Beispiele ist auf das Torhaus auf dem Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) hinzuweisen. Es wurde 1599 dem einem schnellen Wandel unterzogen werden bauten auf großen Bauernhöfen an der mittleren Ruhr nahe.106 Es stellt sich daher die Frage, ob die nebeneinander vorkommenden Begriffe Steinwerk, Borg und Speicher bis zum 17. Jahrhundert nicht auf unterschiedliche Funktionen hinweisen. Ob allerdings die Funktion jedes Steinspeichers oder jedes „Borg" genannten Speichers damit ausreichend beschrieben ist, bedarf trotz der vorliegenden umfangreichen Erfassung nachweisbarer Bauten noch eingehender archivali- scher Quellenarbeit. Das Kammerfach des Pächterwohnhauses als Sommerwohnung Wenn es eine herrschaftliche Wohnung im Haupthaus eines Pachthofes gab, befand sich diese in aller Regel am sogenannten Wohnende. Trotzdem bot sich hier ein breites Spektrum baulicher Möglichkeiten: Haus Westerhaus bei Rinkerode (Drensteinfurt, Kr. Warendorf) ist ein Gräftenhof, dessen Mittelpunkt ein großes Vierständerhallenhaus von 1554(d) bildet. Zunächst hatte es eine Länge von neun Gefachen, von denen fünf zur Wirtschaftsdiele gehörten. Spätestens als Massivbau an der Innenseite der Gräfte mit einem über Holzknaggen vorkragenden Satteldach errichtet und erhielt auf beiden Seiten der mittleren Quer- durchfahrt jeweils einen größeren Raum. Der östliche ist unterkellert und offensichtlich ein kaminbeheizter Wohnsaal, der westliche war als ebenerdige und vom Hofplatz zugängliche Herdküche eingerichtet. Schon seit dem späteren 17. Jahrhundert diente das Torhaus allerdings nicht mehr dem ursprünglichen Zweck, denn der Wohnsaal wurde nun als Kapelle, die Küche als Brauküche bezeichnet. Das Obergeschoss oder einen Teil des Erdgeschosses eines Torhauses als Sommerwohnung zu nutzen, war allerdings nur eine von mehreren bekannten Nut- zungsmöglichkeiten. Die Versorgung der hier Lebenden dürfte zumeist nicht über eine eigene Küche (wie wohl bei dem Torhaus des Hauses Milte), sondern in vielen Fällen ebenso wie bei den Sommerwohnungen im Kammerfach des Bauernhauses durch den Haus- halt des Hofpächters erfolgt sein. Ohne konkrete archivalische Hinweise dürfte daher eine solche Som- merwohnung (ohne eigene Küche) kaum von der Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Nutzung des Obergeschosses eines Torhauses als Gerichtssaal oder Versammlungsort abzugrenzen sein, zumal alle diese Nutzungen mehr oder weniger ohne Feuerstellen auskamen. Viele der Schultenfamilien trugen besondere Ämter und Funktionen (etwa als Richter),112 zu deren Ausübung man ebenso die Torhäuser nutzte. Über die Nutzung des 1547 errichteten Torhauses auf dem Hof Schulte Aldrup bei Greven (Kr. Steinfurt) ist Folgendes überliefert: In seiner erblichen Funktion als Amtsschulte hatte der Hofinhaber einmal im Jahr alle Bauern, die zu seinem Amtsbezirk gehörten zu einer Versammlung einzuladen, in der die Abgaben und Dienste besprochen wurden. Dies soll im Saal des Torhauses geschehen sein.113 Das zweite Torhaus, das auf einem Bauernhof des Münsterlandes überliefert ist, wurde 1567/68(d) auf dem Hof Schulte Dernebockholt bei SendenhorstAlbersloh (Kr. Steinfurt) errichtet. Dessen Inhaber war Bauerrichter, wobei überliefert ist, dass auch diese Versammlungen auf dem Saal des Torhauses stattfanden.114 Ob diese Torhaussäle nur für diese jährlich einmalige Nutzung vorgesehen waren, ist allerdings nicht geklärt. Freistehende „Lusthäuser" und Gartenhäuser als Sommerwohnung Freistehende Lusthäuser auf landwirtschaftlichen Anwesen konnten bislang im erhaltenen Bestand kaum nachgewiesen werden. Sie sind allerdings gelegentlich aus Nachrichten in den Quellen zu erschließen, wobei es im Einzelfall fraglich bleibt, ob es sich hierbei um ein „Borg" genanntes Speichergebäude han- delte oder um ein frei in einem Gartengelände stehendes und wohl auch umgräftetes Sommerhaus über größerer Grundfläche. Eine gewisse Vorstellung vermag ein Fachwerkgebäude des 18. Jahrhunderts auf dem schon mehrmals erwähnten Pachthof Kurze Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) geben. Es wird nachweisbar seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhun- derts und noch heute als „Borg" bezeichnet. Das turmartige und in einer Gräfte stehende, aber gegenüber einem Speicher deutlich vergrößerte Gebäude ist in seiner Nutzung und Geschichte ungewöhnlich gut durch eine umfangreiche Überlieferung archivalischer Quellen dokumentiert.115 Danach ist es 1748/50 aus- drücklich als Sommerhaus an der Stelle eines hier schon zuvor stehenden Borg genannten Gebäudes 22 Das Sommerhaus Haus Schücking in Sassenberg (Kr. Warendorf) wurde 1754 als „Tusculanum" der in Münster ansässigen Familie im Auftrage des Kanzlers Christoph Bernhard Schücking (1704-1774) nach Plänen des Architekten Johann Conrad Schlaun inmitten eines weitläufigen Gartens errichtet. Der eingeschossige Backsteinbau mit ausgebautem Mansarddach ist ganz nach den speziellen Bedürfnissen als Sommerhaus eingerichtet: Zentral ist hierbei der Bezug der Wohnung zum Garten. Der mittlere Hauszugang führt über einen kurzen Flur zum Gartensaal. Seitlich von diesem Flur liegt vorn links ein Speisezimmer und rechts die Küche. Zum Garten befinden neben dem Saal beidseitig die Schlafzimmer des Hausherren und seiner Ehefrau (Foto 2008). 259 260 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen errichtet worden. Das Gebäude sollte in erster Linie jeweils einem Priester aus der Familie SchefferBoichorst aus Münster zur Verfügung stehen und ihm für die Vacanz dienen, d. h. in der freien Zeit, der Freizeit. In der heutigen Form wurde das Gebäude auf dem alten Sockel schon 1789/91 noch einmal in der bestehenden Form völlig erneuert. Es ist ein Wohnhaus mit zwei Querwänden, wobei die mittlere Eingangszone auch ein Herdfeuer aufweist, an dem neben der Wärmung der Besucher auch eine Nahrungs- 23, 24 Haus Daerl bei Wolbeck (Münster) war ein kleines freies Adelsgut, was sich schon seit dem Spätmittelalter in der Hand verschiedener Erbmännerfamilien Münsters befand. Es wurde als Sommerhaus genutzt und die Landwirtschaft verpachtet. Im Jahre 1705 wurde das Gut von den Reichsgrafen von Merveldt zu Wolbeck erworben. Während er die Landwirtschaft weiter- hin verpachtete, ließ er 1713 an das Pächterwohnhaus ein kleines pavillonartiges Herrenhaus anbauen, das wohl zunächst als Jagdhaus diente und später zur Försterei bestimmt wurde. Das angebaute Pächterwohnhaus wurde dann 1836(d) als Längsdielenhaus von Fachwerk erneuert (nach Bauuntersuchung durch Kaspar, Lammers und Barthold im Jahre 2002). Erdgeschossgrundriss des Herrenhauses und Pächterhauses: Rekonstruktionszeichnung (I. Frohnert 2013) und Ansicht der Anlage (2011). Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 25 Für den Fürstbischof von Paderborn wurdet 661 in der Senne ein Jagdhaus in Hövelhof (Kr. Paderborn) errichtet. Es wurde neben den verpachteten Meierhof gestellt, so dass der Haushalt von dem Bauernhof aus mit versorgt werden konnte. Das zweigeschossige Fachwerkhaus unter Satteldach war zunächst umgräftet und ist erst später durch einen Vorbau und Ecktürme erweitert worden (Ansicht von 1984). Zubereitung möglich war. Zusätzlich diente es bis in das 20. Jahrhundert der sommerlichen Zusammen- kunft der weitläufigen Familie Scheffer-Boichorst, wobei immer auch ein großer Baum- und Blumengarten dazu gehörte. Für den Dechanten des Domstiftes in Münster wurde ein solches freistehendes Herrenhaus auf dem Pachthof Schulze Havichhost bei Münster-Handorf unterhalten. Nach einer erhaltenen Baubeschreibung umfasste das zum Garten mit einer Terrasse geöffnete Gebäude um 1640 drei Räume (über einem Keller ein Zimmer, 2 Kabinetts und eine Terrasse zum Garten). Eine eigene Küche hatte es allerdings ebenfalls nicht, sodass wohl auch diese Bewohner vom Pächter des Hofes versorgt wurden.116 Die Grenze zu Gebäuden, die als Jagdhäuser oder herrschaftliche Sommerschlösser errichtet wurden, dürfte fließend gewesen sein: 1645 fiel der große Hof Meier zu Hövel (Hövelhof, Kr. Paderborn) an den Bischof von Paderborn als Landesherren zurück. Der Hof wurde fortan als Pachtgut vergeben und war seit der allgemeinen Verpachtung der landesherrlichen Ökonomien im Bistum Paderborn 1721 mit dem Sitz des landesherrlichen Försters für einen Teil der Senne verbunden.117 Pächter der Anlage waren zuvor in der Regel Beamte aus der Umgebung des Fürstbischofs. Über den letzten dieser Pächter, den Kammerherren von Hanxleden wurde berichtet, der Hof sei seine „Eremitage" gewesen, da dieser gerne den Eremitenstand liebte und wie Im Himmel mit den Engeln allein leben wollte."8 Entsprechend dieser besonderen Nutzung als Sommerfrische wies das Bauernhaus ein zweigeschossiges Wohnhaus als Anbau vor Kopf des Hauses auf.119 Der Hof diente darüber hinaus nicht nur hohen Beamten als Landsitz, sondern Fürstbischof Dietrich Adolf von der Recke (1650-1661) ließ sich unmittelbar daneben um 1660 selber ein kleines Jagdschloss aus Fachwerk errichten. Dieses wurde umgräftet und erhielt auch mehrere kleine Nebengebäude.120 Während diese wohl der Unterbringung seines Personals dienten, dürfte auch hier der enge Zusammenhang des Jagdhauses mit dem benachbar- ten verpachteten Bauernhof der Versorgung des Sommerhauses mit Lebensmitteln sowie Futter für die Pferde u. a. m. gedient haben. Die kleinere und vielfach genutzte Alternative zu Land- und Jagdhäusern waren die Gartenhäuser, kleine und kleinste Gebäude, die in einen Garten vor der Stadt gestellt wurden (hiervon sind - nicht bewohn- te - Gartenpavillons zu unterscheiden, die man in den 261 262 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen (1777-1842) zugeschrieben.122 Der Bau hatte in beiden Etagen jeweils einen mittleren achteckigen Saal von 16 qm Grundfläche und wurde auf zwei Seiten durch Flügel ergänzt: Der eine nahm einen Vorraum mit Treppenhaus auf, der andere in beiden Etagen jeweils einen kleinen Raum, wobei der untere als Küche, der obere als Schlafraum gedacht gewesen sein könnte. Anbauten an das Pächterhaus als Sommerwohnung 26 Das heute nicht mehr erhaltene Hauptgebäude des benachbarten Meierhofes war ein Längsdielenhaus von Fachwerk. Es wies ein zweigeschossiges Wohnende auf, das dem Pächter des Hofes als Sommerwohnung diente (Ansicht um 1910). Gartenanlagen von Herrenhäusern errichtete). Um die Stadt Münster herum gab es noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen breiten Ring von Gärten, deren Zahl auf etwa 1100 geschätzt wird.121 Allerdings war es in diesen Gartenhäusern nicht möglich, einen größeren Haushalt zu führen und es gab in der Regel wohl auch keinen Bauern, der Lebensmittel bereitstellte oder Fahrten und Transporte in oder aus der Stadt organisieren konnte. Die Gartenhäuser lagen daher in aller Regel so nahe an der Stadt, dass der Weg dorthin zu Fuß überwunden und Lebensmittel aus dem heimischen Haushalt geliefert werden konn- ten (wohl auch aus dem eigenen Gartenanbau ergänzt). Obwohl die Gartenhäuser bis auf wenige Reste schon im späteren 19. Jahrhundert den sich schnell ausbreitenden Städten wichen und der ehemalige Bestand daher weder in seiner Breite bekannt noch baugeschichtlich näher betrachtet worden ist, lässt sich schon aus den wenigen dokumentierten Beispielen erkennen, dass sie ein breites bauliches Spektrum aufwiesen. Neben den kleineren, eher an Pavil- lons erinnernden Beispielen aus Fachwerk oder Mauerwerk, die wohl nur Sonnen- und Regenschutz boten, gab es auch größere Gartenhäuser, die mehrere Räume hatten. Solche Gartenhäuser sollten offensichtlich auch längere Aufenthalte und Nutzung durch ganze Familien ermöglichen. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist für Münster dokumentiert, das in vielem an die Sommerwohnungen auf Pächterhöfen erinnert: Um 1815 wurde vor dem Neutor nahe der Stadt (heute Wilhelmstraße 11) ein zweigeschossiger massiver Bau mit mehreren Räumen und einer anspruchsvollen Gestaltung errich- tet. Bauherr war möglicherweise der erfolgreiche Maurermeister und Baumeister Ludwig Falger und der Entwurf wird dem Architekten Adolph von Vagedes Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert sind häufig an das Pächterwohnhaus als Lusthäuser angebaute Flügel nachweisbar. Sie scheinen die Tradition der Sommerwohnung im Kammerfach des Pächterhauses mit dem freistehenden Lusthaus zu verbinden. Ein solches Lusthaus von etwa 1710 steht auf dem Hof Haus Daehl bei Münster-Wolbeck: Nachdem Graf von Merfeldt zu Wolbeck das freie Gut um 1708 erworben hatte, wurde es fortan als Gut verpachtet. Zudem ließ er dort nach wenigen Jahren ein kleines Landhaus errichten, das wohl als ländliches Ausflugs- ziel der umfangreich begüterten Familie oder als Jagdhaus gedacht war. Es ist ein zweigeschossiger Backsteinbau über hohem Kellersockel, der den zu dieser Zeit herrschenden Vorstellungen herrschaftli- cher Barockarchitektur folgt. Der Querflur mit Freitreppe zum Garten wird seitlich jeweils von einem kaminbeheizten Saal begleitet. An das Landhaus schließt sich seitlich das 1837 erneuerte Pächterwohnhaus als zweischiffiges Längsdielenhaus von Fachwerk an. Von dessen Küche gibt es eine Verbindungstreppe zum Speisesalon der Herrschaft. Auf dem umgräfteten Pachthof „Haus Lohfeld" (Everswinkel, Kr. Warendorf) errichtete man vor dem Rückgiebel des Pächterwohnhauses ohne Kammerfach 1774 einen zweigeschossigen massiven Anbau, der sich schon durch seine achteckige Gestaltung der Front als Gartenhaus ausweist. In beiden Geschossen nahm der Bau jeweils nur einen achteckigen Saal auf, wobei die Zugänge von der Küche des Bauernhauses erfolgten. Bauherrin war die Witwe des Hofkammerrichters Buchholz in Münster, die den Neubau wohl für ihren Schwiegersohn, den späteren Landrentmeister Johann A. Th. zur Mühlen, ausführen ließ. Das heute als „Gut Werse" bezeichnete Anwesen (Münster-St. Mauritz) wurde erst um 1765 auf zusammengekauftem Land durch Johann Caspar Osthoff, Kanoniker am Martini-Stift in Münster, angelegt. Das Gutshaus ist eine Baugruppe aus einem zweischiffigen Längsdielenhaus (um 1825 mit Speichergeschoss versehen) mit einem dazu quer gestellten Wohnhaus. Dieses nahm in der einen Hälfte die Pächterwohnung mit hoher Küche auf, während es westlich anschließend als massiv aufgemauerter Flügelbau ausgeführt ist und dort einen herrschaftlichen Wohnsaal über hohem Kellersockel aufweist. Der Saal erhielt eine Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Freitreppe in den Garten und hatte ebenso Verbin- dung zur Küche des Bauernhauses. Ebenfalls um 1760 wurde das Gut Haus Wienburg nördlich der Stadt Münster als Pachthof mit Sommersitz für den Landrentmeister von Wintgen einschließlich eines großen Barockgartens ausgebaut: Hier wurde an das wie üblich von Fachwerk ausgeführte Längsdielenhaus für den Pächter ein deutlich abgesetzter herrschaftlicher Wohnbereich angefügt. Dieser ist als Massivbau unter einem Mansarddach ausgeführt. Weitere Arten der Sommerfrische Abschließend soll noch auf weitere Möglichkeiten für den sommerlichen Aufenthalt der in der Stadt Lebenden auf dem Land hingewiesen werden, den es neben der exklusiven herrschaftlichen Landpartie, dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen, und den Gartenhäusern vor der Stadt gab. Hier ist auf die eher kollektive Landpartie hinzuweisen. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich das Phänomen der ländlichen Gasthäuser und Wirtschaften auf dem Land, die im Umkreis von Münster in den letzten zwei Jahrhunderten allgemein als „Kaffeehaus" bezeichnet wurden. Sie waren das Ziel von Tagesausflügen der breiten Bevölkerungskreise, die sich kein eigenes Landhaus leisten konnten. Hierzu boten sich nahezu alle Bauernhäuser an, sofern ihre Bewohner an einem Nebenverdienst interessiert waren. Zudem war es eine Möglichkeit zusätzlichen Umsatzes der an den Straßen stehenden oder auch zu diesem Zweck eigens errichteter Gasthäuser. Immer musste allerdings ein großer Ausblick: Sommerwohnungen und Sommerhäuser werden bis heute errichtet Güter der beschriebenen Art sind nicht nur in der vorindustriellen Zeit entstanden. Sie wurden bis weit in das 20. Jahrhundert betrieben und sogar noch neu errichtet. Hierzu sei nur auf zwei von zahlreichen weiteren Beispielen verwiesen, die ebenfalls in dem klein gewählten Untersuchungsraum zu finden sind: In der Mitte des 19. Jahrhunderts unterhielt der Fami- lienverband der Beamten- und Bankiersfamilie von Olfers in Münster allein drei Höfe im Umkreis von Münster, auf denen sich auch herrschaftliche Woh- nungen bzw. Sommerhäuser zum Sommer-Aufenthalt befanden: Das schon mehrmals erwähnte Haus Milte östlich der Stadt bei Telgte, das Haus Runde westlich (Billerbeck, Kr. Coesfeld) und als Neubau von 1830 das Haus Hohenfeld südwestlich der Stadt (Münster- Roxel).124 Der Mühlenbesitzer Anton Scheffer- Boichorst (1821-1893) auf dem Mühlenhof in Warendorf ließ sich auf dem elterlichen Hof seiner Ehefrau Anna Maria Schulze Affhüppe vor dieser Stadt um 1860 ein Sommerhaus errichten. Der einge- schossige Backsteinbau unter Satteldach ist noch erhalten.125 Ab 1897 entstand Haus Ostdorsel bei Telgte (Kr. Warendorf), nachdem Friedrich Wilhelm von Laer den Hof Schulze Ostdorsel für 90 000 Mark angekauft hatte. Von Laer (9. Juni 1829 Gut Oberbehme bei Kirchlengern, Kr. Herford - 10. März 1926 Kassel) hatte ein bewegtes Leben.126 Er ließ den angekauften Hof zu einem Gutshof und als landwirtschaftlichen Musterbetrieb ausbauen und verpachtete Garten geboten werden, der längeren Aufenthalt, Spiel und Vergnügen ermöglichte. Nachdem die Sommerwohnung auf dem Gut Haus Wienburg, am nördlichen Rand von Münster gelegen, schon 20 Jahre nach der Errichtung aus dem Zentrum des Interesses der Besitzerfamilie geriet, wurde sie seit spätestens 1788 an einen Wirt verpachtet. Bis heute wird hier ein Landgasthaus mit Gartenbetrieb unterhalten. Auch das Gut Werse östlich von Münster wurde nach 1870 in ein Kaffeehaus umgewandelt und ebenso ist das Gut Nachtigall bei Paderborn schon seit Langem zu einer Ausflugsgaststätte geworden. Auf eine weitere Erscheinung der Sommerfrischen ist zumindest noch hinzuweisen: Schon seit spätestens dem Hochmittelalter war es üblich, im Sommer eine Reise zu einem Gesundbrunnen „ins Bad" zu unternehmen. Nachweisbar ist die Brunnenreise zumindest für die städtischen und geistlichen Oberschichten, doch ist der allgemeine Brauch der Sommerreise auch für viele der übrigen Bevölkerungskreise zu vermuten. So gehörte die Nutzung der 5-6 Wochen dauernden Ernte- und Brunnenzeit im Hochsommer zum verbrieften Recht in der 1801 erlassenen Ferienordnung des königl. Ober-Appellationsgerichtes von Braunschweig-Lüneburg zu Celle.123 27 Fotografie von etwa 1910 eines heute nicht mehr erhal- tenen Bauernhauses bei Altenberge (Hof Niemann, östlich von Hohenholte, Kr. Steinfurt). Der Wirtschaftsteil (rechts) des Bauernhauses war bis auf die Herdküche und das Kammerfach schon zum Zeitpunkt der Aufnahme abgebrochen. Erhalten war nur noch der großformatige Anbau, der nach Ausweis der massiven Umfassungswände und des Mansard- daches im späten 18. Jahrhundert als Sommerhaus errichtet worden sein dürfte (aus: Werner Lindner 1912, wie Anm. 161). 263 264 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 28 Das heute nicht mehr erhaltene Gartenhaus an der Wilhelmstraße 11 in Münster, wurde um 1815 als zweigeschossiger massiver Bau mit mehreren Räumen und einer anspruchsvollen Gestaltung durch einen Bürger der Stadt errichtet. Der Bau hatte in beiden Etagen jeweils einen mittleren achteckigen Saal von 16 qm Grundfläche und wurde auf zwei Seiten durch Flügel ergänzt: Der eine nahm einen Vorraum mit Treppenhaus auf, der andere in beiden Etagen jeweils einen kleinen Raum, wobei der untere als Küche, der obere als Schlafraum gedacht gewesen sein könnte. Rückwärtig wurde später ein kleineres Wohnhaus angebaut (Abbildung um 1900). Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 29 Das speicherartige Wohnhaus wurde im Jahre 1905 für Josef Brüning als Sommer- und Jagdhaus neben seinem elterlichen und verpachteten Hof Waldmann (Warendorf-Freckenhorst, Hägerort 4) errichtet. Der Bauherr bezeichnete sich selber als Gutsbesitzer. Die Baupläne erstellte der Regierungsbaurat Kösken, Leiter des Baubüros beim Westfälischen Bauernverein. Das Gebäude steht in der Tradition der bürgerlichen Landhäuser und wurde in der Form eines kleinen barocken Sommerhauses, aber in hohen, an einen Speicher erinnernde Proportionen und als Blickfang einer längeren Allee inmitten einer größeren Gartenanlage errichtet. Die zunächst geplante Anlage einer Gräfte um das Haus unterblieb (Foto 2013). ihn ab 1899. Im Jahre 1907 ließ er sich dort auch ein Sommerhaus für sich und seine Familie errichten. Das Gut Fronhof bei Wolbeck (Stadt Münster) ent- stand ab 1888, nachdem der Maschinenfabrikant Wilhelm Bischoff aus Gelsenkirchen den Bauernhof Schulze Fronhof erworben hatte. Der neue Eigentümer ließ diesen in den nächsten 20 Jahren zu einer umfangreichen Gutshofanlage mit neuen Wirtschaftsgebäuden, Villa und weitläufigen Parkanlagen ausbauen. Der Besitz diente in ganz klassischer Weise als Geldanlage und zur Aufzucht von in der Firma benötigter Pferde, aber auch dem Sommer- und Wochenendbesuch der Familie und stellte zudem die Versorgung der Familie mit Lebensmittel sicher. Sommerwohnungen und Sommerhäuser der Städter wurden vor dem Hintergrund sich ändernder Verhält- nisse immer wieder neu entwickelt und gestaltet. Insbesondere durch den Bau der Eisenbahnen sollte sich das Verhältnis zwischen Stadt und Land seit der Mitte des 19. Jahrhunderts grundlegend verändern, da die Bahnstrecken und die an ihnen liegen Bahnhöfe die Distanzen zwischen Stadt und Land wesentlich verkürzten. Schon wenige Jahre, nachdem die Nebenstrecke der Eisenbahn von Münster nach Warendorf im Februar 1887 in Betrieb gegangen war, ließen sich Auswirkungen auf die durchfahrene Landschaft feststellen: Etwa zwei Jahre später schuf man auf Initiative von Jägern aus Münster, die ihre Jagdreviere besser erreichen wollten, zwischen Münster und Telgte den Haltepunkt Jägerhaus. Schon drei Jahre später eröffnete der dem Haltepunkt benach- barte Bauer in seinem Hof eine Gaststätte, die innerhalb der nächsten zehn Jahre zu dem großen Ausflugsgasthaus „Jägerhaus" mit Garten und Saalbau werden sollte. Nach 1900 folgten dann wohlhabende Bürger aus Münster, die sich in der Umgebung auf angekauften Grundstücken Landhäuser, Sommerhäuser oder Wochenendhäuser errichten ließen. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war diese lockere Landhaus-Kolonie auf mindestens neun solcher Anwesen angewachsen.127 Aus ganz anderer Motivation entstand 1936 nordöstlich von Telgte (Kr. Warendorf) ein weiteres Sommerhaus. Hier ließ sich der Kaufmann Theodor Vanden- hoff, der in Köln-Nippes als Geschäftsführer einer Industriemühle lebte, ein Landhaus für nur zeitweili- gen Gebrauch im Sommer errichten. Er stammte aus 265 266 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Rheine an der Ems und hatte für sein Projekt einen stillen Platz an der heimischen Ems gesucht und diesen schließlich nahe Telgte gefunden. Auf dem sandigen Gelände in naturschöner Gegend ... ließ er sich ein betont ländliches Sommerhaus... im Stil des westfälischen Bauernhauses errichten. Das Haus folgte nach der Formulierung im Bauantrag dem Vorbild eines für das Münsterland traditionellen Längsdielenhauses, allerdings umgesetzt in eine reduzierte Form: Das unterkellerte Gebäude mit einer Grundfläche von 11,3x7,3 m erhielt aus Tannenholz verzimmerte Fach- werkwände mit Backsteinausmauerung und ein mit Falzpfannen eingedecktes Satteldach. Das Giebeldreieck von Fachwerk am Vordergiebel kragt über kleinen 30 Ausschnitt aus dem Bauplan von 1905. Knaggen vor.128 Die vordere Hälfte des Hauses wird auf ganzer Breite von einem als Halle bezeichneten Raum eingenommen, der in seinem Charakter der Diele eines Bauernhauses mit Herdstelle nachempfun- den ist: Dieser Hauptraum erhielt als Mittelpunkt in der Mitte der rückwärtigen Wand eine offene Feuerstelle mit einem darüber angebrachten Rauchfang in den traditionellen Formen eines westfälischen Bauernhauses. Hinter der Halle wurden ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer angeordnet. Die Ausstattung des Hauses war zunächst sehr einfach gehalten. So war neben dem offenen Herdfeuer keine neuzeitliche Kochküche vorgesehen und das Wasser wurde aus einem nahegelegenen Brunnen geholt. Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 31 Ein Sommerhaus von 1936 in Telgte (Kr. Warendorf). Das kleine Haus wurde für den in Köln-Nippes lebenden Kaufmann Vandenhoff inmitten eines Waldgeländes errichtet. Der Bauherr wollte nach dem Bauantrag ein einfaches Sommerhaus in naturschöner Gegend und im Stil des westfälischen Bauernhauses. Das Gebäude zitierte daher die für wesentlich gehaltenen Elemente ländlicher Architektur: Im Äußeren Fachwerkwände mit Satteldach und Torbogen im Giebel sowie im Inneren einen Dielenraum mit offenen Herdfeuer (Zustand 2011). Zusammenfassung Die vorgestellten, in den Details immer wieder unterschiedlich gestalteten und an das Pächterwohnhaus angebauten Wohnteile zeigen Gemeinsamkeiten: Wichtiges Element der Gesamtanlage ist der an den Wohngiebel des Hauses anschließende Garten. Die herrschaftliche Wohnung besteht jeweils aus ein oder zwei Wohnsälen, die regelmäßig einen guten und zumeist repräsentativ gestalteten Zugang zum Garten aufweisen. Eine strikte Abteilung der herrschaftlichen Wohnung von der Pächterwohnung besteht nur in den seltensten Fällen. Zumindest gab es regelmäßig keine eigenen Küchen, sodass die herrschaftlichen Haushalte wohl von den (also in ihr sommerliches Landleben einbezogenen) Pächtern versorgt blieben. Eine vollständige Trennung der Haushalte setzte sich wohl sogar erst in der Zeit nach 1900 durch. Zweifel an bisherigen Thesen zur Nutzung von Wohn- häusern, Wirtschaftsbauten und als Bauernhäuser bezeichneten Gebäuden auf dem Land, die sich in der Hand von in der Stadt lebenden Personen befanden, werden vor allem durch die Auswertung von Quellen genährt, die eher zufällig in den letzten Jahren in den Blick gerieten. Bislang waren die auf den Gütern und Pachthöfen Stehendenden Bauten in ihrer Bedeutung auf der Basis vielfach kaum geklärter und oft auch nicht klärbarer konkreter ökonomischer Hintergründe interpretiert worden. In der Regel wurde hierbei der Besitz eines Gebäudes durch eine Person auch gleichgesetzt mit der Nutzung durch diese Person. Dies gilt für die unterschiedlichen in der Stadt lebenden Kreise, etwa Kaufleute oder Ärzte, aber auch für den Adel. Hier von Hallenhäusern der Beamtenaristokratie zu sprechen - wie Baumeier 1988 den Begriff prägte129 verstellt aber eher den Blick auf konkrete Fragen: Sind diese Häuser ausschließlich, nur gelegentlich oder gar nicht von den nachgewiesenen Bauherren bewohnt worden? Deutlicher dürfte daher zwischen Häusern von Beamten und Häusern für Beamte zu unterscheiden sein, also zwischen Bauten, die Beamte besaßen und solchen, die sie bewohnten. Im letzteren Fall ist zudem zwischen einer Dauerwohnung und einer zeitweiligen Wohnung zu unterscheiden. Als der zur Münsteraner Oberschicht gehörende Heinrich Warendorf 1575 gestorben war, wurde ein Nachlassverzeichnis seines Besitzes aufgenommen.130 Es verzeichnete einen großen Stadthof in Münster mit mehreren Nebenwohnhäusern, das nördlich der Stadt gelegene Gut Haus Nevinghoff mit einer herrschaftli- chen Wohnung, das südwestlich von Münster bei Buldern gelegene und von ihm ausgebaute Gut Giesking mit einem Herrenhaus (mit herrschaftlicher Woh- nung und Pächterwohnung) sowie einem bewohnbaren Torhaus, ferner eine Borg auf einem Hof bei Handorf östlich von Münster. Wo befand sich die 267 268 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 32 Das Bauhaus auf der Wasserburg Kakesbeck bei Lüdinghausen (Kr. Coesfeld) wurde 1542 als Längsdielenhaus nach dem Prinzip eines Vierständergerüstes, aber mit massiven Umfassungswänden errichtet. Das Gebäude steht neben der Zufahrt zur Vorburg und ist - wie vielfach - mit zwei seiner Wände in die Umfassungsmauer der Vorburg einbezogen. Später ist die hofseitige Traufwand in Fachwerk erneuert worden. Anschließend (heute nicht mehr erhalten) ein ebenfalls massives Wirtschafts- gebäude mit massiven Umfassungswänden (Foto um 1900). Wohnung des Erblassers, welche Aufgabe hatten die allein schon vier nachweisbaren herrschaftlichen Wohnungen auf seinen verschiedenen Besitzungen? Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob der seit 1988 als geklärt geltende Bautyp der „Beamtenhallenhäuser" oder-wie später davon ausgehend all- gemeiner definiert wurde - der „Hallenhäuser als Gutshäuser"131 bestand bzw. in seiner Aussage zutreffend ist.132 Wie schon lange in der Literatur beschrieben, besaßen Städter landwirtschaftliche Betriebe mit sog. Hallenhäusern (also Längsdielenhäuser als Wohn- und Wirtschaftsgebäude) auf dem Land und ließen solche Gebäude sogar noch bis weit in das 19. Jahrhundert neu errichten. Sie bewohnten diese Häuser auch, doch wohl von Ausnahmen abgesehen, nicht als ihre Hauptwohnung. Die Bauten dienten zumeist unterschiedlichen Zwecken. Um ihrer konkreten Nutzung auf die Spur zu kommen, bedarf es nicht nur einer differenzierten Klärung aller der auf der Hofstelle zu welchem Zweck dauernd oder zeitweilig lebenden Personen, sondern bereichen zu unterscheiden. Es gibt reine Wirtschafts- bauten, solche, die nur einen Wohnbereich haben die wir gemeinhin als Bauernhaus bezeichnen - und solche, die zwei Wohnbereiche haben. Darüber hinaus ist danach zu fragen, wie viele Wohnungen der Eigentümer besaß und wozu diese dienten. Lage und Anzahl der Wohnräume im Hallenhaus als Indikator Nachdem die verschiedenen Nutzer und Bewohner der Pachtgüter benannt und in ihren Raumbedürfnissen beschrieben wurden, bleibt die Frage, ob sich Kriterien erkennen lassen, wie die Anlage der im konkreten Fall notwendigen Wohnungen gelöst wurde. Aus den bislang vorliegenden Befunden scheint sich abzuzeichnen, dass Wohnungen im Torhaus oder Speicher ältere Lösungen des vielschichtigen Phänomens sind, während sich seit dem späten 18. Jahr- hundert vor allem Wohnungen in Anbauten an das Pächterwohnhaus nachweisen lassen. Dies bedeutet allerdings, dass entgegen der allgemeinen Sozialge- auch der Analyse, wie viele Wohnungen oder schichtsschreibung in diesem Fall die Verbindung von bäuerlichem und herrschaftlichem Haushalt zu dieser waren. Bei den der Wirtschaft dienenden Längsdielenhäusern ist zwischen solchen mit und ohne Wohn- Zeit sogar enger wurde. Wohnbereiche auf der Hofstelle insgesamt vorhanden Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen 269 Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 33, 34 Das ehemalige Kuhhaus auf dem Gut Bexten bei Bad Salzuflen (Kr. Lippe). Der Meier zu Bexten lebte als Verwalter eines bedeutenden Haupthofes des Bischofs von Paderborn in einer weit über die bäuerliche Kultur hinausreichenden Weise (1771 wurde der Hof zu einer lippischen Landesdomäne). Einer der vielen großen Bauten auf seiner umgräfteten Hofanlage wurde als Kuhhaus bezeichnet. Es war nach der 2011 durchgeführten Bauuntersuchung um 1565 (d) als Längsdielenhaus mit einem Vierständergerüst über einer Breite von 11,50 m und einer Länge von sicherlich 28 m errichtet worden. Beide Seitenschiffe hatten eine lichte Breite von 2,50 m. Erhalten ist heute nur noch ein Teil, der erkennen lässt, dass die drei letz- ten Gefache durch eine Querwand abgeteilt waren und einen großen ungeteilten Raum bildeten. Dieser dürfte als Wirtschafts- oder Brauküche gedient haben. Die Abbildungen zeigen Zeichnungen zur Rekonstruktion des bauzeitlichen Zustandes (nach Bauuntersuchung Kaspar/Barthold 2011): Grundriss mit Rekonstruktion des erhaltenen Teiles von Längsdiele und vermuteter Wirtschaftsküche sowie Ansicht vom Giebel und Längswand. 270 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 35-38 Das Bauhaus von Haus Brückhausen (Everswinkel, Kr. Warendorf) wurde 1607 (d) als Längsdielenhaus auf dem Landgut des in Münster lebenden Landrentmeisters Caspar Höfflinger (um 1560 - 1623) errichtet. Das Gebäude nimmt einen großen Teil der Nordseite des Wirtschaftshofes ein und stand zur Bauzeit mit nördlicher Traufwand und östlichem Giebel entlang der den Platz einfassenden Gräfte. Das tragende Hausgerüst ist in seinen wesentlichen Strukturen überliefert, wurde aber später mehrmals verändert, nach Osten (für eine Wirtschaftsküche) verlängert und nach Westen mit einem neuen massiven Giebel versehen. Der Kernbau lässt sich noch weitgehend rekonstruieren: Es handelt sich um ein Vierständergerüst von 13 Gebinden über einer Grundfläche von 24,40 x 13,85 m, das als Durchgangsdielenhaus konzipiert ist. Die über das Tor im westlichen Giebel befahrbare Mitteldiele erhielt eine lichte Breite von 8,70 m, das nördliche Seitenschiff von 2,50 m und das südliche Seitenschiff von nur 1,95 m. Beide Seitenschiffe dienten als Ställe mit Bühnen darüber. Ein Wohnbereich bestand in dem Gebäude nicht. Foto der Gesamtanlage mit Herrenhaus und dem davor stehenden Bauhaus (2011). Die drei Zeichnungen (Grundriss, Ansicht und Querschnitt) dokumentieren den rekonstruierten Zustand (Bauaufnahme Andreas Eiynck und Fred Kaspar 1984; Rekonstruktionszeichnung Eiynck 1985; Dendrochronologie 2011 durch Peter Barthold / LWL-Denkmalpflege). Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische I. Das Längsdielenhaus ohne Wohnung bzw. mit Wohnräumen für das Gesinde: Das Bauhaus Längsdielenhäuser ohne Wohnung, also reine Wirtschaftsbauten, wurden zumeist als „Bauhaus" oder einfach als Wirtschaftsgebäude bezeichnet. Daneben taucht auch immer wieder der Begriff Kuhhaus auf, der offensichtlich gleichbedeutend mit Bauhaus gebraucht wird und sich darauf bezieht, dass bis in das 19. Jahrhundert der Viehbestand eines landwirtschaftlichen Betriebes, vor allem wenn er am Markt orientiert war, weitgehend aus (Milch-)Kühen und (Mast-)Ochsen bestand. Weiterhin wurden nach 1600 mit unterschiedlicher regionaler Verteilung auch die Begriffe Viehhaus oder der teilweise auch inhaltlich abweichend besetzte Begriff Vorwerk gebraucht.133 Einer der frühesten Nachweise für ein solches Bauhaus auf einem großen Betrieb findet sich im Inventarverzeichnis aus dem Jahre 1450 der Burg Lüdinghausen (Kr. Coesfeld). Hier werden im Bauhaus neben landwirtschaftlichem Gerät, das der Arbeit in dem 271 272 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 39 Das Haus Münsterstraße 33 in Wolbeck bei Münster wurde 1676 für den fürstbischöflichen Oberjäger Johann Hermann Scharf errichtet, der als Hausvogt der Burg zu Wolbeck der ständige Vertreter des Landesherren vor Ort war. Das Haus wurde als Längsdielenhaus mit einer großen repräsentativen Küche und einer unterkellerten Saalkammer als freistehender Bau auf einem großen Hofgelände am Rande des befestigten Ortes errichtet und dient seit der Zeit um 1800 als Gasthaus und Hotel (Aufnahme 2012). großen Wirtschaftsteil diente, auch die üblichen Gerätschaften einer Herdstelle sowie drei einfache Betten verzeichnet. Aus diesen Nachrichten ist zu erschließen, dass das Bauhaus neben der Längsdiele mit seitlichen Stallungen auch einen in der Gestalt nicht bekannten Wohnbereich umfasste, in dem in der Wirtschaft des Schlosses tätiges Gesinde lebte (das ebenfalls beschriebene Brauhaus hingegen befand sich neben dem Herrenhaus).134 Auch auf dem Wirtschaftsbetrieb des adeligen Gutes Haus Hameren bei Billerbeck (Kr. Coesfeld) gab es 1491 ein Kuhhaus, in dem sich auch eine Schlaf- kammer der Mägde befand.135 Im Jahre 1509 standen in diesem Bau- oder Kuhhaus, einem Längsdielenhaus mit zweigeschossigen Stallseitenschiffen, insgesamt 72 Rinder, wobei es für die etwa 12 Pferde und für tragende Kühe weitere Ställe in getrennten Gebäuden dass auf beiden Dielenseiten in jedem Fach des Gebäudes vier Rinder standen, muss schon aufgrund dieser Zahlen dieses Bauhaus mindestens neun Gefache lang gewesen sein. Da es aber wohl auch einen Wohnbereich für die „Bauleute" aufnahm, dürfte es allerdings noch wesentlich länger gewesen sein. Als 1608 der herrschaftliche Haushalt in Hameren aufgelöst und der gesamte Betrieb einem Burg- grafen (Rentmeister) zur Verwaltung übertragen wurde, wurde diesem seine Wohnung im Bauhaus angewiesen.138 Das noch erhaltene und 1607 (d) errichtete Bauhaus von Haus Brückhausen (Everswinkel, Kr. Warendorf) mit seinen 12 Gefachen hatte keinen Wohnteil, sondern war ein reiner Wirtschaftsbau. Die Stallbereiche hätten also ausgereicht, um auf jeder der beiden Seiten jeweils 12x4 Kühe/Rinder, d. h. insgesamt 96 Tiere aufzunehmen. Es solches hier wie vielfach im Land Lippe als „Vor- gab.136 Auf diesem adeligen Betrieb arbeiteten zu dieser Zeit insgesamt 48 Personen, die drei unterschied- werk" bezeichnetes Gebäude für 100 Kühe wurde denen eine „Bauleutetafel" genannt wurde137. Geht man bei dem überlieferten Viehbestand davon aus, dielenhaus mit einer Grundfläche von 15,5x50 m er- lichen Haushaltungen zugerechnet wurden, von 1690/1708 auf der lippischen Domäne Schieder (Schieder-Schwalenberg, Kr. Lippe) als dreischiffiges Längs- Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische richtet.'39 Auf dem nahebei befindlichen Gut Wöbbel bestand neben dem Vorwerkhaus 1649 zusätzlich noch das lange Hauß, Rinderhauß wie man es nennet.140 Auch im östlich anschließenden Niedersachsen wurden entsprechende Bauten als Vorwerk bezeichnet.141 Eines der ältesten noch erhaltenen Beispiele eines solchen Bauhauses dürfte das 1533 (d) errichtete Kerngerüst des heutigen Haupthauses des Gutes Haus Amelsbüren südlich von Münster sein. Zur Bauzeit des Gebäudes befand sich das Gut im Besitz der Münsteraner Erbmännerfamilie von Kerckerinck. Das Längsdielenhaus mit hohen Umfassungswänden wurde mit 14 Gebinden über einer Fläche von 31,50x1 1,95 m errichtet.142 Obwohl nach dem Prinzip des Vierständerhallenhauses ausgeführt, erhielten die Bauhäuser auf den Gütern sowie den Ökonomien der Klöster statt Umfassungswänden aus Fachwerk143 vielfach auch massive Wände.144 1 555/56 ließ das Stift Langenhorst (Ochtrup/Kr. Steinfurt) ein neues Bawhuiß für insgesamt 605 Rthl. errichten, das aber wohl schon im folgenden Jahr wieder abbrannte.145 Nach den erhaltenen Baurechnungen wurde es als Längsdielenhaus mit massiven Umfassungswänden ausgeführt.146 Das Innere umfasste neben den Ställen auch Küche, Kammer und Knechtebühne sowie eine Häcksel- bühne. 1632 wurde das Bauhaus von Haus Giesking bei Dülmen (Kr. Coesfeld) mit zwei Fachwerk- und zwei massiven Umfassungswänden errichtet. Hier erhielten die Stallseitenschiffe auf beiden Seiten der zehn Fach langen Diele lichte Breiten von etwa 3,40 m. An die Diele schloss sich eine große, drei Fach tiefe (Brau-?) Küche und ein zwei Fach tiefes Kammerfach an, das als Pächterwohnung interpretiert wird.147 Durch Überlieferung der Baurechnungen gut dokumentiert sind das 1639 auf dem nicht mehr erhaltenen Haus Balken in Gelsenkirchen-Buer und das um 1740 auf dem ebenfalls in Gelsenkirchen-Buer liegenden Haus Leythe errichtete und dort bis heute erhaltene Bauhaus.148 1802 wird das Bauhaus von Fachwerk auf der Vorburg vom Haus Bevern (Ostbevern, Kr. Warendorf) beschrieben: Ein Bauhaus mit daranstoßenden Backund Brauhaus, zusammen 16 Fach. Daneben stand ein Pferdestall von 13 Fachen.149 II. Das Längsdielenhaus mit einer Wohnung: Bauernhaus oder Pächterhaus? Landwirtschaftliche Bauten mit nur einer Wohnung machen den größten Bestand der ländlichen Architektur aus, denn hierzu zählen die Bauernhäuser. Dane- ben sind hier aber auch die Bauhäuser der großen Betriebe zu nennen, in denen zusätzlich eine Pächteroder Rentmeisterwohnung untergebracht war. In Ost- westfalen und im Weserraum werden diese Bauten seitdem 16. Jahrhundert als „Vorwerk" bezeichnet,150 wobei der Name einer üblichen Bezeichnung für den gesamten Betrieb entspricht und verdeutlicht, dass es sich um den zentralen Bau einer Meierei oder einer Domäne handelt.151 Die unterschiedliche Funktion allein aus baulichen Befunden abzulesen, mag im Einzelfall möglich erscheinen, erweist sich aber vor dem Hintergrund dessen, was sich bei Analyse der konkreten Geschichte vieler Güter und Pachthöfe bislang für unterschiedliche Entwicklungen zeigen lassen, zumeist doch als gewagt. Nicht selten hat dies in der Vergangenheit zu fehlerhaften Deutungen der Baubefunde geführt. Hierzu sei für Westfalen auf das seit nahezu 100 Jahren in der Forschung immer wieder behandelte Haus Rüschhaus bei Münster verwiesen,152 für Niedersachsen auch auf das Haus Sondermühlen bei Melle (Kr. Osnabrück). Seit vielen Jahrzehnten wird - allerdings ohne konkreten archivalischen Beleg davon ausgegangen,153 dass das dort erhaltene 1576 (d) errichtete Bauhaus von Fachwerk154 mit einem angeschlossenen massiven Kammerfach das alte Herrenhaus des Gutsbetriebes gewesen sei.155 Allerdings geschah dieser Schluss ohne genauere Kenntnis der Besitz- und Nutzungsgeschichte vor dem Hinter- grund der lange verfolgten These, dass sich das Bürger- und Herrenhaus aus dem Bauernhaus allein aus dem Umstand entwickelt habe, dass das auf dem Gut stehende Herrenhaus „erst" 1678 errichtet worden sei. Zum einen wurde nicht belegt, dass dieses Herrenhaus keinen Vorgängerbau hatte und zum anderen wurde nicht gefragt, ob auf dem Gut zuvor überhaupt dauernd ein herrschaftlicher Haushalt bestand und daher ein Herrenhaus benötigt worden wäre.156 Das Bauhaus wurde um 1800 als Administra- torwohnung bezeichnet und weist damit auf eine Funktion hin, die mit der Kenntnis der nunmehr bekannten Zusammenhänge auch für die früheren Zei- ten möglich ist.157 III. Das Längsdielenhaus mit mehreren Wohnungen: Pächterhaus mit Sommerwohnung Landwirtschaftliche Bauten mit zwei Wohnungen konnten sehr unterschiedliche Gestalt bekommen. Standard scheint gewesen zu sein, die herrschaftliche Wohnung möglichst entfernt vom Wirtschaftsteil ein- zurichten und diese an die auch der Herrschaft dienende Küche des Bauernhauses anschließen zu las- sen. Naheliegend war daher die Lösung, das Haus mit einem Kammerfach zu versehen und dieses der Herr- schaft zuzuweisen. In diesem Fall musste allerdings der Pächter einen Wohnbereich weiter unten im Haus erhalten, wozu nach den inzwischen vorliegenden baulichen Befunden oft der Bereich zwischen der Küche und dem Stall ausgebaut wurde. Offensichtlich hatte man hierzu schon früh eine räumliche Lösung gefunden, die sich in entsprechenden Häusern über mehr als zwei Jahrhunderte nachweisen lässt und als eine eigene Ausbildung der Raumstruktur des Längs- 273 274 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 40 Das Haus Herfeld bei Wadersloh (Kr. Warendorf) war bis um 1720 ein selbständiger, von der Herrschaft bewohnter Adelssitz. Das Haupthaus auf dem umgräfteten Hofplatz war 1597 als teilweise zweigeschosisger Fachwerkbau errichtet wor- den. Nachdem das Gut um 1720 an die Herren auf dem nahegelegenen Schloss Hovestadt verkauft worden war, wurde es nur noch von Pächtern bewirtschaftet. Zu diesem Zweck hat man das alte Herrenhaus 1721 zu einem Längsdielenhaus mit aufwändigem Wohnteil umgebaut und es erst damit zu einem ländlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäude umgestaltet (Aufnahme 2013). dielenhauses bezeichnet werden kann: Es ist ein Wohn-Wirtschaftsgebäude für Pachthöfe mit zwei getrennten Wohnbereichen. Bei diesen Häusern weist die traditionell große Herdküche des Hauses regelmäßig nur eine hohe Lucht auf, wobei es statt der zweiten Lucht eine Reihe von abgetrennten Wohnräumen gibt. Auch in dem daran anschließenden Seitenschiff des Wirtschaftsteils gab es einen oder mehrere weitere Wohnräume, teilweise sogar in beiden Seitenschiffen. Diese Bauform ist schon verschiedentlich von der Forschung festgestellt worden, doch reichten die Befunde bisher nicht dazu aus, sie in dem hier beschriebenen Kontext zu sehen. Dies war insbesondere dadurch erschwert, dass konkrete Nutzungsgeschichten der Bauten wegen fehlender bzw. nicht ausgewerteter Quellen nicht bekannt waren. Baumeier beschrieb solche Raumstrukturen 1988 erstmals ausführlicher.158 Hierbei wurde allerdings davon ausgegangen, dass der Eigentümer oder Erbauer eines solchen Hauses in der Regel auch mit dem Bewohner gleichgesetzt werden könne. Vor dem Hintergrund einer größeren Zahl durch archivalische Quellen abgesicherter Einzelstudien lässt sich allerdings die Nutzung dieser Bauform inzwischen genauer bestimmen und darüber hinaus über mehr als zwei Jahrhunderte als üblich für Wohnund Wirtschaftsgebäuden auf Pächterhöfen nachweisen. Für Baumeier war das Haus auf dem Domhof in Rheda von 1616 das früheste festzustellende Beispiel. Da ihm kein älteres Vorbild bekannt war, vermutete er, dass diese Bauform erst um 1600 entwickelt worden sei. Allerdings scheint das um 1590 (d) errichtete Haupthaus von Haus Milte bei Telgte ebenfalls schon einen solchen Grundriss besessen zu haben. Das Haupthaus auf dem Gut Haus Westerhaus bei Drensteinfurt (Kr. Warendorf) ist ebenfalls schon 1594/95 (d) fertig geworden: Auch dieses wurde von einem Pächter bewohnt und hatte eine Sommerwohnung für seine in der Stadt lebende Herrschaft. Dieses Haus erhielt keine „verbaute" zweite Lucht, dagegen aber ein sehr großes, möglicherweise mehrere Räume umfassendes Kammerfach (eine Struktur, wie sie sich in gleicher Weise auch bei dem Haus Nevinghoff nördlich von Münster findet). Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische Das charakteristische Raumkonzept mit einseitiger Lucht, einem repräsentativen Kammerfach und Wohnräumen auch in den Seitenschiffen lässt sich aber auch bei dem 1642 errichteten Pächterhaus auf dem Gut Haus Kleine Getter in Münster-Albachten nachweisen.159 Ebenso hat es das 1721 errichtete Pächterwohnhaus auf dem Gutshof Haus Horst bei Waltrop (Kr. Recklinghausen), hervorgegangen aus einer ehemaligen Kommende der Johanniter zu Münster und Steinfurt.160 Es dürfte daher als Pächter- wohnhaus mit einer Sommerwohnung der Johanniter zu interpretieren sein.161 Selbst das Gutshaus auf Haus Rüschhaus bei Münster, das 1745/47 nach Plänen von J. C. Schlaun in massiver Bauweise erneuert wurde, ist dem um 1590 (d) errichteten Pächterwohnhaus auf dem Haus Milte bei Telgte unverändert gewählt. Hier ist die Nutzung zusätzlich durch Quellen belegt: Die herrschaftliche Wohnung befindet sich hinter der Herdwand und hat weitere Räume im Obergeschoss. Die Pächter wohnen im linken Seitenschiff, wobei deren Wohnräume statt der wiederum nicht vorhandenen südlichen Lucht der großen Herdküche bis an die herrschaftliche Wohnung heranreichen. Es ergibt sich damit die Frage, warum man das Konzept nachweisbar über nahezu 300 Jahre beibehielt. Nach den Quellenbelegen muss davon ausgegangen werden, dass dies insbesondere in der Haushaltsstruktur begründet ist, bei der die herrschaftliche Wohnung ohne eigene Küche blieb und die „Be- trotz seiner ungewöhnlichen architektonischen Gestalt im Inneren nach diesem Prinzip ausgeführt. Das Konzept wurde noch bis in das 19. Jahrhundert weitgehend unverändert fortgeführt: Hierfür steht das 1828 weitgehend erneuerte Haus Lohfeld bei Everswinkel (Kr. Warendorf), das als Pächterwohnhaus mit herrschaftlicher Sommerwohnung belegt ist. Die gleiche Raumstruktur wurde auch noch 1833 bei der weitgehenden Neugestaltung des Wohnteils an Sommerwohnung aufgegeben zu haben. Anmerkungen die Einleitung bei Hugo Kempkes/Gerhard Theuerkauf/Man- verhältnisse im Münsterland bietet noch immer Julius fred Wolf, Die Lehensregister der Bischöfe von Münster bis 1379. Münster 1995. 1 Eine erste kurze Übersicht über die verschiedenen Rechts- Schwieters, Die Bauernhöfe des östlichen Theils des Kreises Lüdinghausen. Münster 1888, S. 3-13; weiteres Allgemeines bei Werner Rösener, Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter. München 1992; Peter llisch, Aspekte der mittelalterlichen Agrargeschichte, in: Sen- den. Eine Geschichte der Gemeinde Senden mit Ottmarsbocholt, Bösensell und Venne. Senden 1992, S. 17-160 bie- tet S. 17-23 einen guten Überblick; Leopold Schütte, Die Verfassung ländlicher Siedlungen in Westfalen vor 1800 im Spiegel ihrer räumlichen Struktur, in: Claudia Maria Korsmeier (Hg.), Leopold Schütte: Schulte, Weichbild. Bauernschaft. Ausgewählte Schriften zu seinem 70. Geburtstag. Bielefeld 2010, S. 17-46. 2 Einen Überblick über den Forschungsstand bietet Werner Rösener, Grundherrschaft und Bauerntum im hochmittelal- terlichen Westfalen, in: Westfälische Zeitschrift 139, 1989, S. 9-41. 3 Die Rechtsgrundlage des Lehnsrechtes war seit dem 13. Jahrhundert der Sachsenspiegel des Eike von Repgow. 4 Mark Mersiowsky, Niederadel, Großbauern und Patriziat. Soziale Dynamik im spätmittelalterlichen Westfalen, in: Kurt Andermann/Peter Johanek (Hg.), Zwischen Nicht-Adel und Adel. Stuttgart 2001, S. 239-284. Er weist S. 262-263 darauf hin, dass es sich hierbei vielfach um Einzelhöfe handelte, die erst seit dem 12. Jahrhundert außerhalb der bisherigen Villikationsordnung gegründet worden waren. 5 Zur Geschichte des Lehenswesen im Münsterland s. Gerhard Theuerkauf, Das Lehnswesen in Westfalen, in: Westfäli- sche Forschungen. 17. Münster 1964, S. 14-27; s. jetzt auch sucher" des Hauses durch die Pächterfamilie versorgt wurden. Daher waren beide Wohnbereiche funktional verbunden und auf die gleiche Küche bezogen und mussten daher auch nebeneinander liegen. Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts scheint man diese „traditionelle" Grundrissform mit gemeinsamer Küche für den Pächter und die herrschaftliche 6 Hierzu der breite Forschungsüberblick bei Mersiowsky 2001 (wie Anm. 4), hier insbesondere S. 251-255. 7 Peter llisch, Untergegangene Adelssitze in den Kirchspielen Darup, Nottuln und Billerbeck - Beiträge zur Geschichte des Niederen Adels im Münsterland, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. 15/ 1990, S. 55-75. 8 Theuerkauf 1964 (wie Anm. 4), S. 23. 9 Theuerkauf 1964 (wie Anm. 4), S. 26-27. 10 Gerhard Theuerkauf, Land und Lehnwesen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Verfassung des Hochstifts Münster und zum nordwestdeutschen Lehnsrecht. Köln 1971. Die starke Fluktuation konnte inzwischen beispielhaft für das Kirchspiel Hiltrup südlich von Münster dokumentiert werden (s. Volker Jarren, Hiltruper Höfe und Familien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Bielefeld 1999, S. 3640). 11 Dennoch wurde bislang bei dem Phänomen der Gräftenhöfe kaum berücksichtigt, um welche Art des Besitzes es sich bei ihnen handelte. Nahezu die Hälfte der Höfe, die Bockholt und Weber behandelten, sind freie Pachtgüter und nicht zu Erbpacht vergebene „Bauernhöfe" gewesen (Werner Bockholt/Peter Weber, Gräftenhöfe im Münsterland. Eine ländliche Siedlungsform an acht ausgewählten Beispielen. Warendorf 1988). In der Detailstudie für das Kirchspiel Hiltrup bei Münster konnte festgestellt werden, dass nahezu alle der dort vorhandenen Gräftenanlagen zu freien Gütern und Anlagen im herrschaftlichen Besitz gehörten, s. Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 58-60. 12 Die ältere Forschung ging davon aus, dass es einen engen 275 276 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Zusammenhang zwischen städtischem Patriziat und freiem ländlichen Besitz gab und dieser wohl ihr älterer Besitz war (Theodor Tophoff, Verzeichnis der münsterischen Erbmänner 19 Mehrere Triftwege von den Küsten trafen sich in Münster und gingen weiter über Drensteinfurt und Dortmund. Weitere Driften führten östlich an Münster vorbei von Osna- und deren Güter, in: Westfälische Zeitschrift. 35. Münster brück über Warendorf und Ahlen. „Münster selbst war sei- 1877, S. 119-126, hier S. 125; Werner Wittich, Altfreiheit und Dienstbarkeit des Uradels in Niedersachen, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band 4 / nerzeit der bedeutendste Viehumschlagsplatz Westfalens. Seine Bürger waren so stark am Ochsenhandel beteiligt, dass man in Köln unter einem Münsterer schlechthin einen Och- 1906, S. 1-127; Wilhelm Arnold, Zur Geschichte des senhändler verstand" (Heinz Wiese/Johann Bölts: Rinderhan- Eigentums in den deutschen Städten. Basel 1861, S. 9). Jüngere Arbeiten sehen die Herkunft der Münsteraner Erbmänner in den frühen Kaufleuten der Stadt, die ihren biet vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1966, S. 33). Landbesitz erst später erworben hätten (Wolfgang Weikert, Erbmänner und Erbmännerprozesse. Ein Kapitel Münster- scher Stadtgeschichte. Münster 1990, S. 33-38; Rudolfine Freiin von Oer, Der münsterische „Erbmännerstreit". Zur Pro- blematik von Revisionen reichskammergerichtlicher Urteile. del und Rinderhaltung im nordwesteuropäischen Küstenge- 20 Peter Johanek, Handel und Gewerbe, in: Franz-Josef Jacobi: Geschichte der Stadt Münster, Band 1. Münster 1993, S. 635-682, hier S. 662-663. 21 Othmar Pickl, Routen und Organisation des innereuropäi- schen Handels mit Schlachtvieh im 16. Jahrhundert, in: Alexander Novotny/Othmar Pickl (Hg.), Festschrift Hermann Köln 1988, S. 6). Darüber hinaus gingen viele dieser - im Wiesflecker. Graz 1973, S. 143ff. und S. 160. Zur Auswir- Auflösungsprozessen der hochmittelalterlichen Villikationen bäuerliches Selbstbewusstsein in der Wesermarsch vom 17. Unterschied zu den einfachen, als hove bezeichneten Siedlungsstätten - als curia bezeichneten Höfe aus dem hervor. 13 Franz Irsigler, Die Auflösung der Villikationsverfassung und der Übergang zum Zeitpachtsystem im Nahbereich niederrheinischer Städte während des 13./14. Jahrhunderts, in: Hans Patze (Hg.), Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, Band I. Sigmaringen 1983, S. 295-31 1. 14 Zur jüngeren Forschung in Nordwestdeutschland zum Thema: G. Ulrich Großmann (Hg.), Adelshöfe in Westfalen. München und Berlin 1989; Michael Sprenger, Bürgerhäuser und Adelshöfe in Rinteln. Marburg 1995; Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg 1996. 15 s. hierzu Mark Mersiowsky, Das Stadthaus im Rahmen der kung des Ochsenhandels auf die bäuerliche Kultur auch Christine Aka, Bauern, Kirchen, Friedhöfe. Sachkultur und bis zum 19. Jahrhundert. Cloppenburg 2012, S. 66-68. 22 1530 betrieben die Ochsenhändler Johann Panßer und Johann Graweloe aus Münster eine eigene Ochsenmast auf Ländereien, die sie von dem der Münsteraner Erbmännerfamilie Travelmann als Lehen gehörenden Haus Soest (süd- lich der Stadt im Kirchspiel Hiltrup) angepachtet hatten. Auf dem Hof unterhielt die Familie Travelmann offenbar auch ein als „Borg" bezeichnetes Sommerhaus (Jarren 1999 [wie Anm. 10], S. 140, 227). 1605 verkaufte der münstersche Viehhändler Bernd Lohmann dem Landesspital Haina in Nordhessen 13 westfälische Kühe und 1612 verkaufte er in Paderborn 21 münstersche Kühe (Ekkehard Westermann, Zur Erforschung des mitteleuropäischen Ochsenhandels der spätmittelalterlichen adeligen Wirtschaft, in: Der Adel in der frühen Neuzeit (1480-1620) aus hessischer Sicht, in: Zeit- Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg 1996, S. 199 - 214; Holger Rabe, „so haben auch etzliche von Adel, die daherumb in der Nachbarschaft wohnen, in Frankfurt/Main 1975, S. 1 - 31, hier 28ff. und Anlage IV). Bei dieser Stadt ihre Handelung ...". in: wie zuvor, S. 261-277. 16 Erich Mulzer, Vor den Mauern Nürnbergs. Kunst und Geschichte der Vorstädte. Nürnberg 1961; Gabriele von Trauch- burg, Häuser und Gärten Augsburger Patrizier. München schrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie. Band 23. diesem Viehhändler dürfte es sich um den auch als Bernd Loißmann oder Loussingk genannten Kaufmann handeln, der 1508 das in der Stadt exponierte Haus Alter Steinweg 1/ Alter Fischmarkt am Ende des Prinzipalmarktes erwarb. Seine dort noch im 18. Jahrhundert lebenden Nachfahren verleg- 2001. ten sich später auf den Weinhandel, einen ebenfalls kapital- 17 Tophoff 1877 (wie Anm. 12), S. 125, zählte 33 Güter im Besitz der Erbmänner auf. Der heutige Stand der Forschung serbuch der Stadt Münster Band 4]. Münster 2010, S. 41- ist in einer Karte zusammengefasst in: Münster 800-1800. 1000 Jahre Geschichte der Stadt, Münster 1985, S. 191. Zu den Besitzungen, die Erbmännerfamilien im Jahre 1700 in die Matrikel der landtagsfähigen Güter eintragen lassen wollten: Marcus Weidner, Die Matrikel der landtagsfähigen Häuser des Fürstbistums Münster, in: Westfälische Forschun- intensiven Fernhandel (Ralf Klötzer, Alter Steinweg [= Häu42). 23 Landesamt für Agrarordnung Nordrhein-Westfalen (Hg.), Münster und seine Landschaft 793-1993, Düsseldorf 1993, S. 51-55. 24 Landesamt für Agrarordnung 1993 (wie Anm. 23), S. 53. Werner Dobelmann, Kirchspiel und Stift St. Mauritz in Müns- gen. 147. Paderborn 1997, S. 93-178, hier S. 126. 18 Neben verschiedenen Studien zu einzelnen Familien ist ter. Münster 1971, S. 54-55 und 59-60. 25 Raban von Spiegel von und zu Peckelsheim, Geschichte für das Münsterland ungewöhnlich viel zu diesem Thema zu finden in der zahlreiche Archive und Quellen berücksichti- Honselmann, Piun - Bühne: Kulturgeschichte eines Dorfes in genden Studie von Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600-1760. Stadtverfassung, Standesbehauptung und Fürst- bischof. Münster 2000 (2 Bände). der Spiegel zum Desenberg. Privatdruck 1956; Wilhelm Ostwestfalen. Paderborn 1990. 26 Hierzu ausführlich Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 465468. Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 27 Bestimmt wird diese Kenntnis weniger durch eine syste- 39 1814 folgte der Neubau des Backspeichers für 949 Rthl. und 1845 der Bau eines Holzhauses für 120 Thl. matische Erfassung des überlieferten Bestandes, als vor allem durch die langjährige Tätigkeit des Autors im Bereich 40 Helmut Richtering, Die Grundherrschaft Vischering, in: der Denkmalerfassung und der baugeschichtlichen Grundla- Burg Vischering. Wehrburg und Wohnsitz. Dülmen 1993, genforschung zur Vorbereitung anstehender Baumaßnah- S. 48-62, hier S. 53 und S. 60-61. men. 41 Sonja Michaels, Leben auf einem Adelssitz im Niederstift 28 Dobelmann 1971 (wie Anm. 24), S. 30-41, hier S. 33-34. Münster. Bauen, Wohnen, Arbeiten und Haushalten auf 29 Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 59. Burg Dinklage zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Clop- 30 Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das seit dem 16. Jahrhundert allode Gut Ossenbeck nordwestlich von Dren- penburg 1998, S. 301-304. 42 Peter llisch, Zum Leben von Knechten und Mägden in steinfurt (Kr. Warendorf). Es befand sich im Besitz einer in vorindustrieller Zeit, in: Rheinisch-Westfälische Zeitschrift für der etwa 20 km nördlich liegenden Stadt Münster lebenden Volkskunde. 22. Münster und Bonn 1976, S. 255-265, hier Besitz einer in dem ebenfalls etwa 20 km südlich liegenden S. 256. Vgl. auch Peter llisch, Haus Hameren um 1500, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. 7. Coesfeld 1982, S. Hamm lebenden Familie. Hierzu: Clemens Steinbicker, Her- 7- 19, hier S. 8. ren und Pächter auf Ossenbeck, in: Auf Roter Erde, 45 Jg. Münster 1989, S. 9-11 und 15-16. 43 llisch 1976 (wie Anm. 42), S. 258. 31 Sie konnten in den letzten Jahren durch den Autor in pri- Oberstift Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 28, vater Überlieferung erschlossen und aufgearbeitet werden. wies darauf hin, dass Torhäuser auch die „Rentei" enthalten 32 Diese Güter sind in den letzten Jahren im Zuge denkmal- konnten. Herr von Oer, der erste Landrat des Kreises Oelde, pflegerischer Arbeit durch Fred Kaspar und Peter Barthold legte noch um 1820 sein Büro im Torhaus seines Gutes Haus baugeschichtlich untersucht worden (bei Haus Westerhaus Nottbeck an (Oelde, Kr. Warendorf). zusammen mit Axel Böcker - jetzt Saarbrücken). Ausführliche Dokumentationen zu diesen Gütern auch in den fol- 45 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch in 16 Erbmännerfamilie und kam danach durch Heirat in den genden Aufsätzen. 33 Hierzu ausführlich die Einleitung des Autors zu diesem Aufsatzband. 44 Schon Karl-Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Bänden. Leipzig 1854 ff. Band 16. München 1984, Spalte 1526-1527. Der Begriff erlebte zwar im 19. Jahrhundert einen Bedeutungswandel - etwa als Bezeichnung für einen heilklimatischen Kurort - ist allerdings keinesfalls erst zu die- 34 Ein eindringliches und gut dokumentiertes Beispiel ist die Familie der Meier auf dem Schönhof zu Wiedenbrück. Sie ser Zeit allgemein gebräuchlich geworden. Hiervon geht lebten zwar in einer sozial besonderen Stellung innerhalb der „Die Entstehung dieser bürgerlichen Praxis [Nutzung von Sommerfrischen] ist ein Kind der Moderne" schreibt Daniela Stadt, aber zu Erbpacht auf dem zu Lehen vergebenen Hof. Vgl. Bruno H. Lienen, Geschichte des Schönhofes, in: Stefan Baumeier/Kurt Dröge (Hg.), Beiträge zur Volkskunde und Hausforschung. Band 3. Detmold 1988, S. 11-56. allerdings die jüngere Literatur zur Tourismusgeschichte aus: Seidl, Ein Ort und eine Zeit für die Familie. Bürgerlicher Familienurlaub von der „Sommerfrische" zum Ferienhaus, in: Voyage. Jahrbuch für Reise- und Tourismusforschung. 8. München 2009, S. 46-56, hier S. 47. Ähnlich auch bei 35 Die rechtlichen Grundlagen der sich langsam entwickelnden Praxis wurden im Fürstbistum Münster in der 1783 erlas- Andreas Mai, Touristische Räume im 19. Jahrhundert. Zur senen Erbpachtordnung zusammengefasst. Hierzu: Bernhard Entstehung und Ausbreitung von Sommerfrischen, in: Schulze Pellengahr und Freiherr von Freusberg-Steinhorst, Die Schultenhöfe Steinhorst und Aldrup in Fürstbistum Münster in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Frank- furt am Main 2011, S. 81-85. 36 Schwieters 1888 (wie Anm. 1), S. 6. 37 Vgl. etwa die Liste der Pachtpreise aller Güter, Höfe und Pachtkotten, die zum Besitz des Münsterschen Studienfonds gehörten: Wilhelm von Laer, Die Entwicklung des bäuerlichen Wirtschaftswesens von 1815 bis heute. Erster Abschnitt: Die wirtschaftlichen Verhältnisse, in: Engelbert Freiherr von Kerckerinck zur Borg (Hg.), Beiträge zur Geschichte des westfälischen Bauernstandes. Berlin 1912, S. 164-223, hier S.197 und 223. 38 Hinzu kamen die Versorgung von zwei Pferden sowie die Bereitstellung von Lebensmitteln, was wohl mit dem noch im frühen 19. Jahrhundert auf dem Hof nachweisbaren herrschaftlichen Haus als ein Sommerhaus für den Domdechan- ten Zusammenhängen dürfte, s. Stiftung Westfälische Land- schaft (Hg.), Gut Havichhorst - ein Porträt. Münster 2002, S. 9 sowie 18-19. Werkstatt Geschichte. 36. Essen 2004, S. 7-23. 46 Überblick über die umfangreiche Literatur zum Thema die allerdings zumeist von einem Aufblühen des Phänomens erst im Laufe des 19. Jahrhunderts ausgeht - bietet etwa Willibald Rosner, Sommerfrische. Aspekte eines Phänomens. Wien 1994; Wiebke Kolbe, Christian Noak und Hasso Spode, Tourismusgeschichte(n) Voyage. München 2009. 47 Cord Meckseper, Kleine Kunstgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter. Darmstadt 1982, S. 134-135. 48 Dietrich von Steinen, Westphälische Geschichte, Zweiter Theil. Lemgo 1755, Kapitel 12-14, S. 1291-1292. 49 Christoph Metzger, Ulrich Heiß und Anette Kranz, Land- sitze Augsburger Patrizier. München 2005; Gabriele von Trauchburg, Häuser und Gärten Augsburger Patrizier. München 2001. 50 R. Freitag-Stadtler, Herrensitze im Bereich der Reichsstadt Nürnberg unter Berücksichtigung des Problems der Weiherhäuser. Erlangen 1973; Robert Giersch, Herrensitze im Nürn- berger Reichswald, in: Herbert May/Markus Rodenberg (Hg.), Der Reichswald. Holz für Nürnberg und seine Dörfer. 277 278 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Bad Windsheim 2013, S. 120-145. 61 Michael Scheftel, Holz- und Steinbau am Beispiel der 51 Hierzu die Ergebnisse der baugeschichtlichen Tagung mit Lusthäuser des Klerus und der vermögenden Bürgerschaft im verschiedenen Beiträge, die in einem Sammelband zusam- späten Mittelalter und der frühen Neuzeit in Lübeck, in: mengefasst wurden: G. Ulrich Grossmann (Hg.), „Stadt und Land. Novationen und Novationsaustausch am Zürichsee" Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des (= Jahrbuch für Hausforschung. 45). Marburg 1997. 217. 52 Friedrich von Klocke, Das Patriziatsproblem und die 62 Michael Hecht, Patriziatsbildung als kommunikativer Pro- Werler Erbsälzer. Münster 1965, hier insbesondere die Doku- zess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittel- mentation der seit spätestens seit dem 15. Jahrhundert alter und Früher Neuzeit. Köln 2010, hier S. 288-295. nachweisbaren Landgüter im Raum von Werl S. 274-286. 63 Solche insbesondere von stilgeschichtlichen und formalen 53 Hierzu folgender Beitrag von Kaspar. Überlegungen geprägte Thesen finden sich vielfach in der 54 Eine Erfassung und kurze Beschreibung aller herrschaftlichen Sitze im Umkreis der Stadt Hamm bei: Helmut Richte- Literatur und stellen die Nutzung eines Gebäudes als Som- ring, Adelssitze und Rittergüter im Gebiet der Stadt Hamm, Markowitz, Zur Formensprache des Gartenhauses in Mittelalters und der Neuzeit. 24. Paderborn 2012, S. 209- merhaus der Nutzung als Gartenpavillon gleich. Hierzu Irene in: Herbert Zink (Hg.), 750 Jahre Stadt Hamm. Hamm 1976, Deutschland. Köln 1955. Hierauf bezieht sich vielfach noch S. 115-160. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass in Uta Ribbert, Unser Weg ins Paradies. Gartenhäuser in Müns- der Neuzeit viele der Sitze in die Hand der städtischen ter und im Münsterland. Münster 2013, so etwa S. 24. Oberschicht gelangten, die hier seit dem 17. Jahrhundert aus dem preußischen Beamtentum bestand. 64 Tophoff 1877 (wie Anm. 12); Andreas Henkel, Beiträge zur Geschichte der Erbmänner in der Stadt Münster. Borna- 55 Friedrich von Klocke, Alt-Soester Bürgermeister aus sechs Leipzig 1910; Karl-Heinz Kirchhof, Die Erbmänner und ihre Jahrhunderten, ihre Familien und ihre Standesverhältnisse (= Studien zur Soester Geschichte. 2). Soest 1927. Höfe in Münster. Untersuchungen zur Sozial-Topographie einer Stadt im Mittelalter, in: Westfälische Zeitschrift, 11. Band. Münster 1966, S. 3-26; ders.: Die Münsterischen Erb- 56 Fred Kaspar (Bearb.), Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Band 50: Stadt Minden, Teil 1. Essen 2003, S. 393-397 mit weiterführenden Hinweisen. Vgl. auch die exemplarische Untersuchung von Peter Barthold, Der Wen- männer, in: Klaus Meyer-Schwickerath (Hg.), Der Landkreis Münster 1816-1966. Oldenburg 1966, S. 32-33; Rudolfine von Oer, Die Münsterischen Erbmänner, in: Helmut Richte- trupsche Freihof in Hille-Rothenuffeln. Zum Aufstieg und Niedergang einer Mindener Beamtenfamilie, in: Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Marburg ring (Hg.), 1688-1988 Dreihundert Jahre Stiftung Rudolph von der Tinnen. Münster 1988, S. 1-14; Wolfgang Weikert, 1996, S. 37-58; Beitrag von Peter Barthold in diesem Band. scher Stadtgeschichte. Münster-New York 1990. 57 Ellynor Geiger, Die soziale Elite der Hansestadt Lemgo 65 Das Thema wurde z. B. bei der 1993 in Münster durchge- und die Entstehung eines Exportgewerbes auf dem Lande in der Zeit von 1450-1650. Detmold 1976, S. 108-113; Günter Rhiemeier, Das adelige Gut Leese, in: Lippische Mitteilungen. 73 /2004, S. 109-132; Heinrich Stiewe, Der Traum vom Rittergut: Bürgerliche Landsitze in Lippe, in: Arbeitskreis für Hausforschung (Hg.), Wuppertal, das Bergische Land und der Hausbau im 19. Jahrhundert (= Jahrbuch für Hausforschung. 55). Marburg 2013 (im Druck). 58 Christian Hoffmann, Die Warburger Patrizierfamilie Erbmänner und Erbmännerprozesse. Ein Kapitel münster- führten Tagung „Adel und Stadt" nicht angesprochen (Gun- nar Teske [Hg.], Adel und Stadt. Vorträge auf dem Kolloquium der „Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e.V". 1993 in Münster. Münster 1998). Inzwischen liegt hierzu für die frühe Neuzeit die ungewöhnlich breit angelegte Arbeit von Weidner 2000 (wie Anm. 18) vor, die allerdings die städ- tischen Wohnhöfe der Schicht in den Blick nahm, die Landsitze hingegen meistens nur erwähnte und nicht in ihrer baulichen Entwicklung untersuchte. Reuber und das adelig-freie Landgut Engar, in: Westfälische 66 llisch 1992 (wie Anm. 1), S. 112-113. Zeitschrift 151/152, 2001/2002, S. 259-320. 59 Der fürstbischöfliche Richter Johann von Derenthal er- 67 Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 369-371. 68 Martina Bäcker, 1 171-1996. 825 Jahre Albersloh. warb 1680 ein Gut in Borgentreich-Körbecke, wo seine Sendenhorst 1996, S. 88-90. Nachfahren 1742 das bis heute erhaltene Gebäude errichte- 69 Mummenhoff 1951 (wie Anm. 44), S. 263-264; Franz ten. Die Familie hatte auch Güter in Borgentreich-Borgholz Mühlen, Der Speicher des Hofes Sieverding bei Altenberge, und Borgentreich-Natzungen. Die Familie von Geismar besaß schon ab 1410 den Dalpenhof bei Borgentreich-Lütgeneder und ab 1553 auch Landbesitz in Warburg-Dössel. Dort errichtete man dann 1667 ein dauernd bewohntes Gut. 60 Hierzu die verschiedenen Beiträge in dem Sammelband von Bärbel Sunderbrink (Hg.), Der Schlosshof. Gutshof Gasthaus - Jüdisches Lager. Bielefeld 2012. Ferner Lutz Vol- mer, Bautätigkeit von Bürgern auf dem Lande im preußischen Westfalen. Das Umfeld von Bielefeld im 17. bis 19. Jahrhundert, in: Arbeitskreis für Hausforschung. 2013 (wie Anm. 57). eine Villa des münsterschen Jesuitenkollegs, in: Westfalen, Band 56. Münster 1978, S. 111-119; zur Besitz- und Nutzungsgeschichte des Hofes im 16. und 17 Jahrhundert s. ins- besondere Andreas Eiynck, Steinspeicher und Gräftenhöfe - Aspekte der Bau- und Wohnkultur der großbäuerlichen Führungsschicht des Münsterlandes, in: Günter Wiegelmann/Fred Kaspar (Hg.), Beiträge zum städtischen Bauen und Wohnen in Nordwestdeutschland. Münster 1988, S. 306-374, hier S. 310-313. 70 Das Gebäude ist nicht mehr erhalten. 1780 wird es als massiver Anbau an das Bauernhaus beschrieben, in dem sich Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 1835 zwei Stuben und eine Schlafstube befanden (Jarren 85 Hans Jürgen Rade, Die Geschichte der Familie Valepage, 1999 [wie Anm. 10], S. 394-395). 71 Werner Dobbelmann, Handorf. Gestern und heute. Ge- in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung. 53. Münster 1995, S. 343-454, hier S. 416-417 und 421-422. schichte einer dörflichen Siedlung. Münster 1974, S. 15 und 86 Hierzu der Aufsatz von Heinrich Stiewe in diesem Band 96. (dort insbesondere Anm. 27). 72 Um 1700 errichtete Bernhard Gerdemann, Kaplan der Domkellnerei, auf dem 1697 durch ihn erworbenen und ver- 87 Zur Geschichte des Begriffs: Josef Schepers, Haus und Hof westfälischer Bauern. Münster 1960, S. 101-102 sowie pachteten Erbe Wesseling der Bauernschaft Hansell (Altenberge, Kr. Steinfurt) ein solches Sommerhaus (s. Eiynck Alfons Eggert/Josef Schepers, Spieker, „Bauernburgen", Kemenaden. Bäuerliche Speicherbauten im Münsterland. 1988 [wie Anm. 69], S. 367). 1735 erwarb Witwe Zurmüh- Münster 1985, S. 22-26. len aus Münster das verpachtete Gut Deitkamp bei Senden- 88 Diese Borg blieb jeweils (teils zusammen mit einem horst (Kr. Warendorf), auf dem es eine den Verpächtern vor- Stallgebäude und einem Bauhaus) bis in das 18. Jahrhundert behaltene Wohnung gab. Das Anwesen gehörte wenig spä- von der Verpachtung des Hofes ausgenommen. Ab 1660 diente die Borg der Witwe des früheren Eigentümers als Leibzucht. Sie blieb dort auch ab 1665 mit ihrem zweiten ter dem Kanoniker Heinrich Anton Zurmühlen an St. Ludgeri (Wilhelm Kohl, Haus Deitkamp bei Sendenhorst, in: Heimatkalender Kreis Beckum. Beckum 1963, S. 64-69). 73 Das Anwesen an der Weseler Straße 68 ist später mehr- mals für veränderte Nutzungen umgebaut worden und heute nicht mehr erhalten (Max Geisberg, Die Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Münster, Teil IV. Münster 1935, S, 128-132; Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 803). 74 Er erwarb um 1765 verschiedene Ländereien östlich der Stadt und richtete hier ein Gut mit Sommerwohnung ein. Dieses blieb bis heute erhalten (heute Münster-Handorf, Werse 17). Vgl. den Beitrag von Fred Kaspar und Peter Mann wohnen (Werner Dobelmann, Hiltrup. Münster 1974, S. 13; Jarren 1999 [wie Anm. 10], S. 226-232). 89 Nachweisbar ist zunächst die Familie Steveninck und im 17. Jahrhundert von Herding (Jarren 1999 [wie Anm. 10], S. 308-310 und 314-318). 90 Diese Borg befand sich wohl auf dem zum Stift Oberwasser gehörenden und als Lehen ausgegebenen Hof Pröpsting im Dorf und gehörte wohl zu dem Stadthof der Familie zwischen Salzstraße und Alter Steinweg. 1575 wird die Borg als Gebäude mit zwei Räumen, einigen Betten, Feuerstätte und Barthold in diesem Band. wenigen Möbeln beschrieben, ein Raum- und Funktionspro- 75 Der sogenannte Kleine Schmiesingsche Hof an der Neu- gramm, das dem eines Sommerhauses entspricht. 1587 wur- brückenstraße (Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 878-885). 76 Walter Kutsch, Ein fast vergessener Gräftenhof. Die Schnorrenburg in Münster, in: Auf Roter Erde, Heimatblätter für Münster und das Münsterland. Juni 2013; Dobelmann 1971 (wie Anm. 24), S. 40. de diese Borg dann von der Witwe des Lubbert Travelmann aus Münster bewohnt. Seit dem späten 17. Jahrhundert wurde die Borg vom Stift an ihren jeweiligen Vogt verpachtet. Vgl. Rudolf Lückmann, Haus Giesking - Geschichte und Baudenkmale. Teil I, in: Geschichtsblätter des Kreises 77 Entsprechend allgemeiner Thesen meinte noch eine jün- Coesfeld. 15. 1990, S. 89-100, hier S. 89 und 92-92; Wer- gere Studie zur Geschichte der Naherholung in Münster her- ner Dobelmann, Handorf gestern und heute. Geschichte ausarbeiten zu müssen, dass in älterer Zeit die Münsteraner vor allem „aus Gründen des Brauchtums" in organisierten Eintages-Wanderungen von geschlossenen gesellschaftlichen Gruppen in das Umland aufbrachen (etwa beim sog. Maigang) und sich allgemein übliche Ausflüge auf das Land erst seit dem späten 18. Jahrhundert einbürgerten. Ein wesentlicher Impuls sei hierbei von der Einführung des Kaffees ausgegangen (Kerstin Ullrich, Die Entwicklung von Naherholungsgebieten und Naherholungsverkehr im alten Landkreis Münster bis zum Zweiten Weltkrieg. Münster 1999, S. 225). 78 Heutige Adresse ist Rinkhöfen 16. Zur Geschichte s. Heinrich Peitzmeyer, Sendenhorst. Geschichte einer Klein- stadt im Münsterland. Sendenhorst 1993, S. 726-727; Kohl 1963 (wie Anm. 72). 79 Heutige Adresse ist Sendenhorst, Elmster Berg 6. 80 Peitzmeyer 1993 (wie Anm. 78), S. 635-637 und 737- 738. 81 Eiynck 1988 (wie Anm. 69), S. 367. 82 Werner Dobelmann, Sendenhorst. Geschichte einer Landgemeinde. Sendenhorst 1976, S. 21. 83 Archiv Haus Surenburg, M 378. 84 Archiv Haus Surenburg, M 379. einer dörflichen Siedlung. Handorf 1974, S. 15. 91 Peter llisch, Beiträge zur Geschichte des Hauses Buldern um 1600, in: Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. Band 16. Coesfeld 1991, S. 13-41, hier S. 14. 92 Jarren 1999 (wie Anm. 10), S. 230-232. 93 Bekanntestes Beispiel hierfür ist das sogenannte Toppierschlösschen im Taubertal unterhalb von Rothenburg o. d. T. Der steinerne - kaum zu Wohnzwecken geeignete - Turm wurde 1388 (d) errichtet, während der vorkragende Wohnbereich erst im frühen 16. Jahrhundert aufgestockt worden ist. 94 Uwe Albrecht, Princes et bourgeois ä la Campagne dans l'Allemagne du Sud: le cas de Grünau et de Nüremberg, in. Monique Chatenet (Hg.), Maison des chams dans l'Europe de la Renaissance. Paris 2006, S. 181-190, hier S. 184-186; Maurizio Paul, Wohntürme im Stadtgebiet von Magdeburg, in: Schaufenster Archäologie - Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg. Magdeburg 2005, S. 44-57. 95 Scheftel 2012 (wie Anm. 61), S. 209. 96 Scheftel 2012 (wie Anm. 61), S. 215. 97 Eiynck 1988 (wie Anm. 69). 98 Hierzu Eiynck 1988 (wie Anm. 69), hier zur Forschungsgeschichte insbesondere S. 329-333. 279 280 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 99 Schon Eiynck 1988 (wie Anm. 69), S. 332, wies allerdings auf Gräftenhöfen des Münsterlandes, in: Konrad Bedal (Hg.), zusammenfassend darauf hin, dass zukünftig „weiterführen- Hausbau im Mittelalter, Band III. Sobernheim 1988, S. 105- de archivalische Untersuchungen zum Gebäudebestand und 142, hier S. 137; Schulze Pellengahr 2011 (wie Anm. 35), S. zum Nutzungsgefüge münsterländischer Bauernhöfe" fol- 80, sowie Abbildungen S. 176-179. gen müssten. 100 Damit hätte die sicherlich noch in der zweiten Hälfte des 114 Stiewe 1988 (wie Anm. 113), S. 137. 115 Es handelt sich um die lückenlos für die Zeit seit dem 19. Jahrhundert lebendige Tradition über die ehemalige 101 Fred Kaspar, Von der Casa Loreto bis zur denkmalpfle- frühen 18. Jahrhundert erhaltenen Verwaltungsakten der Familienstiftung Scheffer-Boichorst, die durch den Autor erfasst und ausgewertet werden konnten. gerischen Rettungsaktion - Begriffe, Ursachen und Gründe 116 Westfälische Landschaft 2002 (wie Anm. 38), S. 9 sowie für das Bewegen von Bauten, Bauteilen und Bauformen, in: 18-19. Fred Kaspar, Bauten in Bewegung. Mainz 2007, S. 2-63, hier S. 21-22. 117 Johannes Buschmeier, Straßen und Wege in Hövelhof. Paderborn 1995, S. 85. 102 Heinrich Stiewe, „Bauernburgen". Spätmittelalterliche 118 Philipp Schniedertüns, Hövelhof. Paderborn 1952, S. 31. Steinspeicher in Lippe und Ostwestfalen, in: Lippische Mitteilungen. 71. Detmold 2002, S. 69-140. Nun auch 119 Abbildung des um 1910 abgebrannten Hauses bei Schniedertüns 1952 (wie Anm. 118), S. 27. Stiewe 2013 (wie Anm. 57). 120 Schniedertüns 1952 (wie Anm. 118), S. 27. 103 Stiewe 2002 (wie Anm. 102), S. 94-100. 121 Die überlieferten Beispiele werden besprochen bei 104 Stiewe 2002 (wie Anm. 102), S. 123-128, 134-135. Ribbert 2013 (wie Anm. 63). Hier wird allerdings nicht aus- 105 Thomas Spohn, „ich habe einen Pfächtiger auf meinem reichend zwischen den unterschiedlichen Aufgaben vom Gartenpavillon, Gartenhaus, Sommerhaus und Haus inmit- Nutzung solcher Bauten zumindest einen wahren Kern. Rittersitz". Zur Bau-, Wohn-, Wirtschafts- und Lebensweise auf dem kleinen Adelssitz Haus Steinhausen zwischen 1628 ten eines großen Gartens unterschieden. Die Aussagen ge- und 1712, in: Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Band 81/82. Dortmund 1990/91, S. 57-96, hen insbesondere zurück auf: Benedikt Kraft/Wulf Rieger, hier S. 76. dere S. 22-36. 106 Thomas Spohn, Speicherähnliche Bruchsteinbauten mit 122 Hermann Schmitz, Münster. Leipzig 1911, S. 188-189; Wohnfunktion entlang der mittleren Ruhr, in: Arbeitskreis für Geisberg 1935 (wie Anm. 73), S. 476-478; Walter Kordt, Hausforschung. 2013 (wie Anm. 57). Adolph von Vagedes 1777-1842. Ratingen 1961, S. 24 und 107 Hierzu der folgende Beitrag von Böcker, Barthold und Münster und seine Landschaft. Münster 1993, hier insbeson- Abb. 11; Ribbert 2013 (wie Anm. 63), S. 92-94. Kaspar. 123 Reinhold Kuhnert, Urbanität auf dem Lande. Badereisen 108 Der Hof war ein bischöfliches Lehen gewesen, das sich nach Pyrmont. Göttingen 1984, S. 9-13, 27-28, 86-98. 124 Bauherr war der Bürgermeister Heinrich von Olfers. Zu seit dem späten Mittelalter in der Hand der Münsteraner Oberschicht befand. 1694 wird es an B. Zurmühlen übertra- Runde und Hohenfelde s. Heinrich Brockmann, Die Bauern- gen und um 1760 an Herrn von Forckenbeck (Dobelmann Handorf 1974 [wie Anm. 90], S. 31). 109 Nach den Lebenserinnerungen des Bauherren schenkte höfe der Gemeinden Stadt und Kirchspiel Billerbeck, Beerlage, Darfeld und Holthausen. Billerbeck 1891, S. 199. 125 Er ist heute ein Anbau an das 1902 durch ihren Schwie- dieser dem stetig weiter ausgebauten Garten des Hauses gersohn Landrat Maximilian Gerbaulet fertiggestellte Villen- besondere Aufmerksamkeit. gebäude. 110 Der Autor hat eine größere Zahl von Torhäusern des 16. bis 18. Jahrhunderts auf Gütern, Pachthöfen und Herrenhäusern des Münsterlandes erfasst, in Bauaufnahmen doku- mentiert und auf ihre Nutzungsgeschichte hin archivalisch 126 Wegen seiner politischen Haltung während der Revolution 1848 hatte er Deutschland verlassen und lebte 13 Jahre in Ohio/USA, wo er ein Gut bewirtschaftete. 1862 kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm das elterliche Gut, zog aber nach zwei Jahren als Generalsekretär des untersucht. Die Veröffentlichung dieses Materials in einer eigenen Publikation ist in Vorbereitung. 111 Die Ausstattung des Torhauses von Haus Giesking bei Buldern (Kr. Coesfeld) ist durch ein Inventarverzeichnis von pe nach Münster. 1877 begründete er die Bodenkreditbank „Westfälische Landschaft" und blieb deren Generaldirektor 1575 belegt, wobei allerdings die Nutzer unklar sind (in die- bis zu seinem 90. Lebensjahr. sem Fall wohl nicht die Herrschaft, da für sie ein eigenes Haus zur Verfügung stand): Hier gab es im Obergeschoss zwei Räume, von denen der eine als große Kammer mit heide 1 für den Kaufhausbesitzer Wilhelm Rawe; 1905 Galg- einem besseren Bett sowie Tisch und Stühlen und der ande- re als eine kleinere Kammer mit Kamin und einem einfache- ren Bett eingerichtet war (Lückmann 1990 [wie Anm. 90], S. 94-96). 112 Hierzu viele Beispiele bei Mersiowsky 2001 (wie Anm. 4), S. 268-270. 113 Heinrich Stiewe, Zwei Torhäuser des 16. Jahrhunderts landwirtschaftlichen Provinzialvereins für Westfalen und Lip- 127 Nachweisbar sind folgende Neubauprojekte: 1904 Galg- heide 8 für Dr. med. Franz Vonnegut; 1906 Galgheide 13 für Privatier Gerhard Bröcker;1913 Kiebitzpohl 75 für Pferdeschlächter Fr. Schlehbusch; 1931 Jägerhaus 6 für Kaufmann Ernst Bierschenk; 1932 Jägerhaus 11 für Chefarzt Dr. med. Anton Sicking; 1935 Jägerhaus 10 für Bankdirektor Melchior Westhoff; 1936 Jägerhaus 13 für Kaufmann Dr. W. Mundinger aus Münster; 1938 Galgheide 9 für Dr. med. Felix Vonnegut (explizit als Wochenendhaus beantragt). Bauernhöfe mit Zweit- und Drittwohnungen Pächter, Verpächter, Kapital, Landwirtschaft und Sommerfrische 128 Diese und der darunter befindliche Torbogen wurden 1984, Heft 3/4, S. 9-13); 1508 (d) Schloss Brake bei Lemgo; durch ein Familienmitglied mit Tierdarstellungen und mittig 1542 Haus Kakesbeck bei Lüdinghausen; um 1550 Haus mit einer größeren Maske beschnitzt. Vörde bei Castrop-Rauxel (hierzu der Beitrag von Fred Kaspar 129 Stefan Baumeier, Hallenhäuser der Beamtenaristokratie. und Peter Barthold in diesem Band); 1558 Haus Byinck bei Der Domhof zu Rheda und der Schönhof zu Wiedenbrück, Ascheberg; um 1560 Haus Geist bei Oelde, 1569 Burg in: Stefan Baumeister/Kurt Dröge (Hg.), Beiträge zur Volks- Lüdinghausen; 1597 (d) Haus Klein Schönebeck bei Dülmen; kunde und Hausforschung. Band 3. Detmold 1988, S. 57- 96 1617 Haus Brabeck bei Recklinghausen; 1632 Haus Giesking 130 Lückmann 1990 (wie Anm. 90), S. 92-99. bei Dülmen; um 1660 Haus Vornholz bei Ennigerloh; ferner: 131 Roland Linde/Nicolas Rügge/Heinrich Stiewe, Adelsgüter Haus Ermelinghoff bei Hamm, Burg Raesfeld (weitere Bei- und Domänen in Lippe. Anmerkungen zu einem brachliegenden Forschungsfeld, in: Lippische Mitteilungen. 73. Detmold 2004, S. 13-107, hier S. 60-63. spiele für das Münsterland auch bei Mummenhoff 1961 (wie Anm. 44), S. 28 sowie für das Weserbergland bei Albrecht 1995 [wie Anm. 141], S. 84-90). 132 Auch wenn sich jüngere Untersuchungen vielfach auf 145 Wilhelm Eiling, Zur Geschichte des Stiftes Langenhorst. von Mummenhoff dokumentierte Beispiele beziehen, hat Ochtrup 2012, S. 14-16. dieser klargestellt: „Es ist kein Fall bekannt, wo ein Bauhaus 146 Der Maurermeister Matthias Wichmann aus Nottuln als herrschaftliches Wohnhaus gedient hat" (Mummenhoff 1961 [wie Anm. 44], S. 28). brauchte hierfür 12 000 Backsteine sowie für die Gliederung 133 Michaels 2008 (wie Anm. 41), S. 119. (Waaterschlääge) und die Gewände der Öffnungen Sandsteine aus Gildehaus bei Bentheim. Das Dach wurde mit 134 Mark Mersiowsky, Spätmittelalterliches Leben auf einer 20 000 Pfannen eingedeckt. Das Innengerüst wurde von westfälischen Wasserburg. Burg Lüdinghausen 1450/51, in: Zimmerleuten erstellt, wobei man das Bauholz ebenfalls aus Geschichtsblätter des Kreises Coesfeld. 18 / 1993, S. 25-63, hier S. 37. Nottuln bezog. 135 Peter llisch, Das Haus Hameren, in: Werner Freitag (Hg.), 148 Gustav A. Spürk/Helmut Weigel, Hausbau und Richtfest Geschichte der Stadt Billerbeck. Bielefeld 2012, S. 513-532, hier S. 521. 136 llisch 1982 (wie Anm. 42), S. 10. 137 Von ihnen aßen sechs an der herrschaftlichen Tafel, 28 an der Tafel der Knechte und Mägde und 14 an der Bauleutetafel (llisch 1976 [wie Anm. 42], S. 256). 138 llisch 2012 (wie Anm. 134), S. 518. 139 Linde/Rügge/Stiewe 2004 (wie Anm. 131), S. 76-80. 140 Heinrich Stiewe, Die Kirche, das Rittergut und das Dorf, 147 Lückmann 1991 (wie Anm. 90), S. 56-66 und 81. im Kirchspiel Buer Anno 1639/40, in: Vestische Zeitschrift. 90/91, 1991/92, S. 119-148. 149 Helmut Richtering, Haus Bevern, in: Franz Meier (Hg.), Ostbevern - Geschichte der Gemeinde. Band 1. Ostbevern 2000, S. 392-422 , hier S. 414. 150 Der Begriff hatte allerdings eine komplizierte Bedeutungsgeschichte mit regionalen Besonderheiten. Hierzu aus- führlich Leopold Schütte, Vorwerk - eine Sonderform grundherrlichen Besitzes in Westfalen, in: Westfalen. 57. Münster in: Roland Linde, Wöbbel. Geschichte eines Dorfes in Lippe. 1980, S. 24-44. Lage 2009, S. 197-262, hier S. 227. 151 Linde/Rügge/Stiewe 2004 (wie Anm. 131), S. 74-75. 141 Thorsten Albrecht, Die Hämelschenburg. Ein Beispiel 152 Dazu ausführlicher die Einleitung des Autors zu diesem adeliger Schloßbaukunst des späten 16. und frühen 17. Jahr- Band. hunderts im Weserraum. Marburg 1995. 153 Die Thesen gehen zurück auf Roswitha Poppe, Das Wirt- 142 Das Gebäude erhielt einen dreischiffigen Stallteil von neun Gefachen (mit Vorschauer am Wirtschaftsgiebel und unterschiedlich breiten Seitenschiffen) und daran anschlie- schaftsgebäude auf Sondermühlen, ein Herrenhaus aus dem ßend eine große Wirtschaftsküche mit nur einem abgetrenn- schien in erweiterter Form unter dem Titel: Das alte Herren- ten Seitenschiff. Angaben nach der bislang nicht veröffent- haus auf der Wasserburg Sondermühlen, in: Niedersächsische Denkmalpflege. 8. Hildesheim 1976, S. 99-107 und Abb. 16-19. lichten baugeschichtlichen Untersuchung durch Peter Barthold und Fred Kaspar/LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen während der Sanierung des Gebäudes im Jahre 2008. Hierbei erfolgte auch die dendro- chronologische Datierung (Auswertung durch Hans Tisje/ Neu-Isenburg). 143 So etwa das Bauhaus von 1542 auf Haus Kakesbeck oder das 1584 errichtete Bauhaus auf Burg Vischering (beide erhielten nur massive Fronten), ferner das Bauhaus von etwa 1600 auf Haus Holtfeld (Halle, Kr. Gütersloh). 144 Bekannte Belege sind insbesondere die folgenden Bauhäuser mit massiven Umfassungswänden: um 1495 (d) ehe- maliges Kloster Weddern bei Dülmen, Weddern 14 c (Thomas Spohn, Ein Gebäude aus der Gründungszeit des Karthäuserklosters Marienburg, in: Dülmener Heimatblätter. 16. Jahrhundert, in: Osnabrücker Mitteilungen. 81. Osnabrück 1974, S. 186-191 und Tafel I bis IV. Dieser Aufsatz er- 154 Die dendrochronologische Datierung erfolgte 2006 im Zuge einer durch Lea Rattmann und Maren Prüß erstellten Abschlussarbeit an der Universität Bamberg über Wasserbur- gen im Osnabrücker Land. Danach ist das Gebäude 1619 (d) im Wirtschaftsteil verlängert worden und erhielt hierbei einen neuen Schaugiebel. 155 Dies ist allerdings zumindest zweifelhaft, denn das Haus wurde zu einer Zeit errichtet, als die Erbin des Gutes Marga- rethe von Vincke (1535-1591) seit 1558 mit Hermann von Neheim zu (Nieder-)Werries (1530-1591) verheiratet war (seine Eltern dürften Johann von Nehem [*1480] und Else von Bestrate [*1485] gewesen sein). Dieser stammte als jün- gerer Bruder des Erben Dietrich von Neheim (1510-1571) 281 282 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen von dem 1733 abgebrochenen Haus Niederwerries bei Hamm, das in etwa 75 km Entfernung von Sondermühlen lag, aber ebenfalls Wohnort des Ehepaares gewesen sein könnte. Erbe wurde ihr Sohn Dietrich von Nehem, Osna- brücker Droste zu Gröneberg, Hunteburg und Wittlage. Dieser dürfte aufgrund seines Amtes auf mehrere Wohnungen Zugriff gehabt haben. Die Tochter Margaretha von Neheim (1550-1599) des älteren Dietrich von Neheim als 157 Es gleicht einem ähnlichen Gebäude auf dem Wirtschaftshof der Hämelschenburg (Kr. Hameln-Pyrmont), in dem daher ebenfalls das alte oder ein zeitweilig genutztes Herrenhaus vermutet wurde. Inzwischen konnte dies aller- dings als ursprüngliches Kuhhaus mit Hofmeister- oder Verwalterwohnung identifiziert und mit anderen ebensolchen „Vorwerkgebäuden" verglichen werden (Albrecht 1995 [wie Anm. 141], S. 84-88). Erben von Werries heiratete 1570 Rudolf von Vincke (1540- 158 Baumeier 1988 (wie Anm. 129). 1585), Erbe der Güter Ostenwalde und Kilver. Das Gut Sondermühlen diente vor diesen bislang nur andeutungs- 159 Es wurde von Peter Barthold bei der LWL-Denkmal- pflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen bauge- weise erhellten, komplexen Familien- und Besitzverbindun- schichtlich untersucht. Hierzu ist eine gesonderte Publikation gen der Herrschaft möglicherweise vor allem als Jagdhaus in Vorbereitung. oder Sommerwohnung. Zur Klärung der Nutzung von Haus Sondermühlen wären daher zunächst weitere archivalische 160 Hierzu Fred Kaspar/Peter Barthold, Das „Kommendenhaus" der ehemaligen Johanniterkommende Haus Horst bei Untersuchungen notwendig. Ein (neues oder erstes?) Herrenhaus wurde dort wohl erst zu dem Zeitpunkt errichtet, als der Besitz durch Erbschaft in die Hand eines zuvor wohl nicht Waltrop, in: Westfalen. 81. Münster 2003, S. 115-122. begüterten Hildesheimer Domherren kam, der danach sein wie es bis zum Jahre 1745 bestand. Die verschiedenen Vor- Amt aufgab, heiratete und nach Sondermühlen zog. 1677 wurde zudem über den Besitz der Herren von Neheim zu Werries der Konkurs eröffnet. 161 Es ist eine Vogelschauzeichnung überliefert, die den Zustand des Hauses Rüschhaus bei Münster dokumentiert, bauten lassen vor dem Hintergrund vermuten, dass sich dahinter individuelle Lösungen zur Unterbringung von zwei 156 Es befand sich im 16. und 17. Jahrhundert durchgängig Wohnungen im Haus verbergen (Werner Lindner, Die bäuerliche Wohnkultur in der Provinz Westfalen und ihren nördli- in Besitz von Herren, die weitreichende Besitzungen an ver- chen Grenzgebieten, in: Engelbert von Kerckerinck zur Borg schiedenen Orten der Region hatten (hierzu: Rudolf von Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück. Osna- (Hg.), Beiträge zur Geschichte des Westfälischen Bauern- brück 1930, S. 178-181). standes. 283 Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück Carolin Sophie Prinzhorn Trotz der vorherrschenden Holzbauweise im Mittelalter und der frühen Neuzeit waren auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland steinerne Wohn-Speicher-Bauten sehr weit verbreitet. Diese zumeist mit örtlich anstehendem Bruchstein errichteten und regional unterschiedlich als Steinwerke, Kemenaten, Steinkammern etc. bezeichneten Bauten stellen sowohl in ihrer Bau- als auch Funktionsweise eine eigenständige Gruppe im Profanbau dar. Im Osnabrücker Land finden sich Steinwerke nicht nur auf den Anwesen der Bürger in der Stadt Osnabrück, sondern auch auf den Bauernhöfen ihres Umlandes in ebenso bemerkenswert großer Zahl wie bautechnisch außergewöhnlicher Ausprägung. Die ländlichen Steinwerke Die ländlichen Steinwerke im Gebiet des Landkreises Osnabrück konzentrieren sich insbesondere auf das sogenannte Osnabrücker Nordland.1 Im dortigen Kirchspiel Ankum stehen allein elf der vierzehn bislang eindeutig identifizierten Steinwerke des Landkreises.2 Eine zweite Häufung ist am Nordrand der Stadt Osnabrück festzustellen, die wahrscheinlich mit der Osnabrücker Landwehr in Zusammenhang zu bringen ist (Abb. 1). Für eine Datierung der schmucklosen ländlichen Steinwerke scheiden stilkundliche Vergleiche in der Regel aus und eine gezielte Suche nach möglichen archivalischen Quellen ist noch nicht erfolgt. Eine zeit- 1 Kartierung der ländlichen Steinwerke des Landkreises Osnabrück, 2006. 284 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Ankum-Westerholte, Steinwerk des ehemaligen Meierhofes Westerholte. Das Steinwerk ist das einzige erhaltene Gebäude der Hofstelle, 2006. liehe Einordnung auf der Grundlage von archivalischen Quellen ist bislang wegen fehlender Auswertung nicht möglich. Ihre Datierung der zeitlichen Einordnung fußt allein auf bauhistorischen Beobachtungen und einigen wenigen dendrochronologischen Untersuchungen.3 Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen eine Entstehungszeit der Bauwerke um 1400 im 15. und 16. Jahrhundert möglich erscheinen. Die ländlichen Steinwerke Osnabrücks sind kompakte, auf annähernd quadratischem bis rechteckigem Grundriss stehende Baukörper mit Einraumgrundriss. Sie verfügen über zwei oder drei Vollgeschosse sowie zwei bis drei Dachgeschossebenen unter einem steilen Kehlbalkendach (Abb. 2 u. 3). Von den erhaltenen Bauten sind nur zwei Steinwerke unterkellert. In beiden Fällen werden die Kellerräume separat von außen Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück 3 Ankum-Rüssel, Steinwerk des ehemaligen Schultenhöfes zu Rüssel. Das Steinwerk ist das einzige erhaltene Gebäude der Hofstelle, 2003. 285 286 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen erschlossen. Anders als bei den städtischen Steinwerken, die als Rückgebäude einem zur Straße ausgerichteten Vorderhaus angeschlossen waren, wurden die ländlichen Bauten in der Art der bäuerlichen Speicher allein stehend auf dem Hofgrundstück in einiger Entfernung zum Haupthaus errichtet. Die Speicherfunktion ist im Falle der Steinwerke um eine Wohnnutzung im Obergeschoss erweitert worden, die sich anhand offener Kamine, Ausgusssteinen und mitunter auch Abtritten ablesen lässt. In diesem Zu- sammenhang bleibt jedoch anzumerken, dass die Kamine der Ankumer Steinwerke aufgrund der weiß verputzten Schornsteininnenflächen ohne jegliche Rußspuren offensichtlich nie in Benutzung waren. Die übrigen Geschosse werden angesichts fehlender Einbauten der Lagerhaltung vorbehalten gewesen sein. Die Durchfensterung der Gebäude ist äußerst spär- lich, die Belichtung erfolgt lediglich durch kleine, schlitzförmige Fenster. Einige der besonders schmalen Öffnungen machen zwar den Eindruck, es habe sich um Schießscharten gehandelt, die innere Nischengeometrie erlaubte die Benutzung als solche jedoch nicht. Bei einigen wenigen Steinwerken sind allerdings quadratische Scharten mit in situ befindlichen Prellhölzern vorhanden, die den Gebrauch von Ha- 4 Ankum-Westerholte, Steinwerk des Hofes GroßeHamberg. Detail des Giebeldreieckes mit Luke sowie den beigeordneten Balkenlöchern und Konsolsteinen, 2003. kenbüchsen ermöglichten. Diese Befunde dienen zugleich als Hinweis auf die Erbauungszeit der betreffenden Steinwerke, da in dieser Region mit Handfeuerwaffen dieser Art nicht vor dem 15. Jahrhundert zu rechnen ist. Eine weitere Auffälligkeit lässt sich indes an allen erhaltenen ländlichen Steinwerken Osnabrücks finden: An wenigstens einer, in den meisten Fällen je- doch an beiden Giebelseiten wurde am höchstmöglichen Punkt im Giebeldreieck eine Luke vorgesehen. Jede Luke wird unterhalb ihrer Schwelle von zwei Balkenlöchern mit darunterliegenden Konsolsteinen begleitet (Abb. 3 u. 4). Die demnach vor der Luke zu rekonstruierende balkonartige Plattform lässt sich als ein möglichst hoch gelegener Aussichtspunkt deuten (Abb. 5).4 Eine ähnliche Konstruktion, allerdings in werksteinerner Ausführung, findet sich auch im nördlichen Hessen. Als Beispiele seien der Ratshof in Alien- dorf, das Kloster Breitenau in Guxhagen und die Kirche in Bergheim (Edertal) genannt (Abb. 6).5 In gleicher Weise wie die Plattformen an den ländli- chen Steinwerken Osnabrücks in der zu diesem 5 Rosheim/Elsass, beim so genannten Romanischen Haus wurde eine balkonartige Aussichtsplattform nach Befund rekonstruiert, 2007. Thema spärlichen Literatur als Wehrerker gedeutet wurden, wird den Gebäuden insgesamt eine Verteidigungsfähigkeit zugesprochen, die sie bei genauerer Betrachtung nicht erfüllen können.6 Dies trifft nicht nur auf die schartenartigen Fenster zu, sondern mitunter auch auf besagte Luken. An einigen Steinwerken verfügen sie zwar über sämtliche Konstruktions- merkmale für einen balkonartigen Austritt, die Lukenöffnung ist jedoch so klein, dass ein, noch dazu 287 6 Bergheim (Edertal), Michaeliskirche. Westfassade mit balkonartigem Austritt im Giebeldreieck. Die Funktion der Plattform ist bislang nicht eindeutig geklärt, da sich als hoch gelegener Aussichtspunkt auch der Kirchturm eignen würde, 2008. 288 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 7 Osnabrück, rekonstruierter Stadtplan im Zustand um 1640. Verteilung und Charakteristik der Steinwerke (erarbeitet von Bruno Switala und Michael J. Hurst, aktualisiert von C. S. Prinzhorn). Das rote Rechteck kennzeichnet die Lage des Kartenausschnitts in Abb. 17. Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück 8 Osnabrück, Marienstraße 3. Steinwerk mit Dachgewölbe. 9 Osnabrück, Ledenhof. Der Palas des Ledenhofes wurde Das zugehörige Vorderhaus stand an der Parallelstraße im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erbaut, zur gleichen Hegerstraße 12 und wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, 2010. Zeit erfolgte wohl die Aufstockung des älteren Steinwerkes um zwei Speichergeschosse. Das ehemals unter dem Dach befindliche Gewölbe des Steinwerkes liegt seitdem über dem 1. Obergeschoss. Das bauzeitliche Vorderhaus schloss am heute frei stehenden Nordgiebel (rechts im Bild) an, 2010. bewaffnetes, Hindurchtreten nahezu unmöglich war.7 Es erweckt den Anschein, als wären diese wehrhaft anmutenden Baudetails lediglich auf eine abschreckende Wirkung hin konzipiert gewesen. Eingedenk der eingeschränkten Möglichkeiten, die der bäuerlichen Bewohnerschaft zur aktiven Verteidigung von Haus und Hof zur Verfügung standen, eine durchaus kluge Taktik. Einen konkreten Anlass hierzu boten beispielsweise die Auswirkungen des Spanisch-Nieder- ländischen Erbfolgekrieges, die besonders in den 1580er Jahren im Ankumer Raum für zahllose Plünderungen und Drangsal sorgten. In der Zusammenschau der vermeintlichen Scharten und Austrittsluken mit den nie genutzten Feuerstellen könnten diese Details aber auch als bloße Zitate betrachtet werden, die offensichtlich zum allgemeingültigen Formenkanon eines durchaus repräsentati- ven steinernen Speichers im Osnabrücker Land gehörten, ihren Zweck im Laufe der Zeit jedoch nicht mehr erfüllen mussten. Die städtischen Steinwerke Die bau- und kulturgeschichtliche Beschäftigung mit den Steinwerken der Stadt Osnabrück hat eine über hundertjährige Tradition.8 In jüngster Zeit konnte die Erforschung dieser besonderen Bauten durch die Initiative von Bruno Switala, bis zu seinem Ruhestand im Januar 2010 städtischer Denkmalpfleger, und dem Archäologischen Arbeitskreis für Stadt und Land Osnabrück e. V. wiederbelebt werden. Bruno Switala und Michael J. Hurst haben im Rahmen des Projektes „Osnabrücker Steinwerke" in den Jahren 2004 bis 2007 neben baubegleitenden Untersuchungen an Steinwerken durch die Sichtung und Sammlung historischer Fotos und Planzeichnungen aus dem Archiv der Stadt vor allem dafür gesorgt, dass der bekannte Bestand an nachgewiesenen Steinwerken auf nahezu 150 Gebäude in der Stadt angewachsen ist (Abb. 7).9 Nach Abschluss der Projektfinanzierung wurden die gesammelten Daten zur weiteren Auswertung der Verfasserin überlassen, die sich seit Herbst 2009 im Rahmen ihres Dissertationsprojektes mit den Osnabrücker Steinwerken beschäftigt.10 289 290 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Die zahlenmäßig größte Gruppe der Steinwerke Osnabrücks unterscheidet sich nicht von den Gebäuden gleichen Typs andernorts. Auch sie wurden aus Bruchstein errichtet und befinden sich, einem an der Straße stehenden Vorderhaus als Rückgebäude angefügt, auf den Hinterhöfen der städtischen Anwesen. Lediglich bei Eckgrundstücken oder einer rückwärtigen Gasse sind die Steinwerke vom Straßen- raum aus zu sehen (Abb. 8, 9). Aus der Gesamtheit der städtischen Steinwerke sticht eine kleine Gruppe von Gebäuden mit besonderen Merkmalen hervor, die sie nicht nur von den übrigen Steinwerken der Stadt unterscheidet, sondern insgesamt im mittelalterlichen Profanbau eine Sonderstellung einnehmen lässt: Anstatt der zu erwartenden Dachböden im Gebälk des Kehlbalkendaches wurde das oberste Geschoss dieser Steinwerke mit einem Spitztonnengewölbe überdeckt, das den darüber liegenden Dachraum nahezu vollständig ausfüllt (Abb. 10, 11).Das auf diese Weise allseits von Bruchstein umschlossene Haus stellte insbesondere gegen die wiederkehrenden Stadtbrände einen effizienten Schutz dar, worin wohl auch der Grund für diese aufwändige Bauweise zu suchen sein wird. Die Gewölbeschalen stellten keinen Dachabschluss dar, sondern bedurften eines zusätzlichen Witterungsschutzes. Allerdings liegen über das 10 Osnabrück, Ledenhof. Spitztonnengewölbe über dem 1 Obergeschoss. Dicht unter dem Gewölbescheitel stecken noch zwei ehemalige Kehlbalkenhölzer des bauzeitlichen Dachwerkes im Bruchsteinmauerwerk. Sie wurden bei der Aufstockung des Gebäudes im 16. Jahrhundert nicht ent- fernt, 2011. bauzeitliche Dachdeckungsmaterial bislang keine Befunde vor. Möglicherweise ist die von den Bauherren als notwendig erachtete steinerne Überdeckung des Gebäudes mit einem Dachgewölbe als Hinweis auf eine bauzeitliche Strohdeckung der Steinwerke zu deuten. 11 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Spitztonnengewölbe im Dachgeschoss aus der Zeit um 1200, 2010. Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück Ein weiteres Kennzeichen der überwölbten Steinwerke ist die überbreite Traufwand im Anschluss an das zumeist giebelseitig hierzu ausgerichtete Vorderhaus. Diese im Durchschnitt 2,50 m starke Bruchsteinwand diente nicht in erster Linie als Widerlager des Gewölbeschubes, die gegenüberliegende Traufwand ist stets über einen Meter dünner, sondern übernimmt zentra- le Haustechnik- und Erschließungsfunktionen. Zu- nächst sind hier die separaten Zugänge in den Keller und das erhöht liegende Erdgeschoss angeordnet. Die Wanddicke erklärt sich allerdings aus einem Wand- gang, der den Treppenlauf vom Erdgeschoss des Steinwerkes in sein Obergeschoss aufnimmt, sowie einem im Wandquerschnitt angelegten Kaminzug für 12 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Querschnitt, Blickrichtung Osten, 2010. 291 292 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 10 Osnabrück . Steinwerk Bierstraße 7 . Grundriss EG . verformungsgetreues Bauaufmaß . März/April 2010 . Dipl. Ing. (FH) Carolin Sophie Prinzhom M.A. 13 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Grundriss Erdgeschoss, 2010. die offene Feuerstelle des Vorderhauses, mitunter auch für eine Feuerstelle im Steinwerk (Abb. 12, 13). In ihrem äußeren Erscheinungsbild ist den Steinwerken zunächst nicht anzusehen, ob sie ein Gewölbe besitzen oder nicht. Der kundige Betrachter kann diese Gruppe der Gebäude dennoch anhand besonderer Fensterformen und Werksteinvarietäten von den ungewölbten Steinwerken unterscheiden: Neben vereinzelten spätromanischen bzw. frühgotischen Biforienfenstern verfügt eine Reihe der fraglichen Häuser über Fensteröffnungen mit einem charakteristischen Winkelsteinsturz (Abb. 8). Für die Tür- und Fenstergewände, aber auch Konsolsteine, wurde Karbonsandstein verwendet, der bei den ungewölbten Steinwerken nicht (mehr) anzutreffen ist. Dieses Konglomeratgestein war während des Mittelalters das einzige im nahen Umkreis der Stadt abzubauende Steinmaterial, das zum Herstellen von Werkstein ver- Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück ft2ePfflj61DSRW? WLflUXT- LOKRUfflg ■■S0CK6T?: -SKaGa.-1:100 J3I2. , 14 Gotland, Lokrume. Mittelalterlicher Speicher bei Lauks, Querschnitt. Aufmaß: Gotland Fornsal 1912. Rekonstruktionszeichnung von Jan A. Utas, ohne Datum. wendbar war.11 Die Steinbrüche konnten zwar bis zum beginnenden 17. Jahrhundert ausgebeutet werden, mit Blick auf sein Vorkommen an der Bausubstanz in der Stadt endete die Verwendung des Kar- bonsandsteins jedoch schon weitaus früher. Von den Steinwerken mit Dachgewölbe haben sich im Stadtgebiet sieben Gebäude vollständig erhalten; ins- gesamt lassen sich zurzeit 21 Steinwerke mit überwölbtem Dachgeschoss nachweisen. Für die Datierung der Gebäude können stilkritische Vergleiche des spärlichen, spätromanischen bis frühgotischen Baudekors hinzugezogen werden; eine erste urkundliche Nennung eines nicht näher beschriebenen Steingebäudes am Markt liegt aus dem Jahr 1177 vor.12 Im Zusammenhang mit den Ergebnissen einer Grabung am Steinwerk Bierstraße 7 im Jahr 2005 kann davon ausgegangen werden, dass Steinwerke mit Dachgewölbe spätestens seit der Zeit um 1200 errichtet wurden.13 Innerhalb der großen Gruppe der Steinwerke in Osnabrück ohne Dachgewölbe und ohne überbreite Traufwände mit Wandgängen bietet keines der Gebäude Anhaltspunkte für eine Datierung vor 1400.14 Wir dürfen nach bisherigem Kenntnisstand daher annehmen, dass die älteren Steinbauten dieser Art stets mit überwölbten Dachgeschossen errichtet worden sind und sich möglicherweise noch im 14. Jahrhundert die Bauweise dieses Steinwerkstyps grundlegend änderte: Der profane Gewölbebau wurde aufgegeben und die Mauerwerksmasse insgesamt redu- ziert. Vielfach erscheinen die jüngeren Steinwerke, vom Dachstuhl des Vorderhauses überdeckt und mit diesem zumeist auf jeder Geschossebene verbunden, lediglich als Bauteil des Vorderhauses. Die Vereinfachungen werden spürbare Einsparungen bei den Bau- kosten nach sich gezogen haben. Hierin mag ein Grund für die große Masse an jüngeren Steinwerksbauten liegen, die sich nun nahezu auf jedem zweiten altstädtischen Anwesen in Osnabrück finden lassen (vgl. Abb. 7). Inwieweit das 1338 vom Osnabrücker Magistrat erteilte Verbot von Strohdächern zu den baulichen Änderungen an den Steinwerken führte und ob darin ein Zusammenhang mit der Aufgabe des Gewölbebaus zu sehen ist, gilt es noch zu unter- suchen.15 Für die Osnabrücker Steinwerke mit Dachgewölbe finden sich im deutschen Profanbau keine Vergleichsbei- spiele, nicht einmal in den frühen Städten Südwestdeutschlands oder der Nordschweiz, deren Steinbautradition im Profanbau mitunter bereits im 11. Jahrhundert einsetzte.16 In Regensburg, wo nicht nur der Steinbau seit dem 11. Jahrhundert allgemeine Verbreitung fand, sondern auch der Gewölbebau im Pro- fanbau früh Einzug hielt, sind zwar aufwändige Kreuzgewölbe über den Erdgeschosshallen, mitunter auch im Obergeschoss, zu finden, aber nicht als oberster Deckenabschluss unterhalb des Dachwerkes.17 Auf der Suche nach den Wurzeln oder Vorbildern für 293 294 15 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Ansicht von Südwesten, 2006. die singulär auftretenden Dachgewölbe im mittelalterlichen Profanbau Osnabrücks führt bislang die einzige Spur nach Gotland. Dort wurden auf größeren Hofanlagen Speichergebäude und Wohnhäuser aus Bruchstein errichtet, deren oberste Geschosse ebenfalls von Spitztonnengewölben überdeckt wurden (Abb. 14). Die Erbauungszeit der Gebäude wird bislang allgemein im 13. und 14. Jahrhundert vermutet.18 Seit dem 12. Jahrhundert betrieben insbesonde- re westfälische Fernhandelskaufleute regen Handel mit Gotland. Aufgrund der Baubefunde ist davon auszugehen, dass auch Osnabrücker Kaufleute Gotland besuchten.19 Allerdings bleibt die Frage zu beantworten, ob es sich bei den Steinwerken mit Dachgewölbe um eine Osnabrücker Entwicklung handelte, die mit den Fernhandelskaufleuten nach Gotland gelangte, oder ob der Wissenstransfer die umgekehrte Richtung genommen hatte und eine volkstümlich gotländische Bautradition im Gepäck der Kaufleute Osnabrück erreichte. Im Falle der Entwicklungslinie Gotland Osnabrück müssten die gotländischen Steinhäuser mit Dachgewölbe älter sein als bislang angenommen und bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen. 16 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Blick auf das Funda- ment. Im Grabungsprofil zeichnet sich deutlich die Baugrube mit dem an den Bruchsteinabschlägen erkennbaren Bauhorizont ab, 2005. Das Steinwerk Bierstraße 7 Am Beispiel des Steinwerkes im Hinterhof des Grund- stückes Bierstraße 7 soll der bauzeitliche Zustand Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück eines Steinwerkes mit Dachgewölbe rekonstruiert werden (Abb. 11-13, 15). Dieses Gebäude wurde im Jahr 2000 unter Leitung von Frau Dr. Antje BuschSperveslage von Studierenden der Fachhochschule in Hildesheim in Grundrissen und Längsschnitt erstmals verformungsgetreu vermessen und in einem Raumbuch erfasst. Das erstellte Handaufmaß konnte von der Verfasserin, die als Studentin an der damaligen Baudokumentation beteiligt war, im Jahr 2010 mithilfe einer Tachymeter-Vollstation vervollständigt wer- den. Die Verfasserin war weiterhin vom Archäolo- gischen Arbeitskreis für Stadt und Land Osnabrück im Jahr 2005 mit der Durchführung einer archäologischen Grabung vor dem Westgiebel des Hauses be- traut worden.20 Die in ihrer Gesamtbreite noch nicht ausgewertete Grabung brachte für die Baugeschichte des Steinwerkes zunächst die Erkenntnis, dass die Hoffläche vor dem Westgiebel des Hauses zu keiner Zeit bebaut gewesen ist, stattdessen diese Grundstücksfläche zu- nächst als Gartenland und später als Platz für Latrinenschächte genutzt wurde. Das Fundament des Steinwerkes konnte auf einer Breite von etwa 1,50 m freigelegt werden. Neben der Fundamentunterkante, die wenige Zentimeter unter der Kellersohle liegt, zeichnete sich auch die Baugrube deutlich im Grabungsprofil ab (Abb. 16). Die Baugrubenverfüllung wurde durch eine homogene Schicht aus zahlreichen Bruchsteinabschlägen und Mörtelresten abgeschlossen, die sich jenseits der Baugrube auf der Hoffläche fortsetzte und den Arbeitsraum der Steinwerks- baustelle kennzeichnete. Der bauzeitliche Laufhorizont auf dem Hof zeichnet sich nicht eindeutig ab, das Geländeniveau muss jedoch zwischen der Sohlbank der Kellerfenster und der Oberkante des Bauhorizontes gelegen haben, demzufolge ca. 50-70 cm unter der heutigen Hofbefestigung. Der wichtigste Fund der Grabung konnte ebenfalls in der Baugrube gemacht werden, fand sich doch in der Baugrube unterhalb des Bauhorizontes eine Silbermünze Münsteraner Prägung aus der Zeit zwischen ca. 1160 und 1180. Da für die Umlaufzeit der Münzen dieses Typs die kurze Zeitspanne bis vor 1200 ermittelt wurde, dürfte der Bau des Steinwerkes an der Bierstraße 7 ebenfalls in dieser Zeit, spätestens um 1200 begonnen worden sein.21 17 Osnabrück, Ausschnitt aus dem aktuellen Katasterplan der Stadt. Das Grundstück Bierstraße 7 ist hellrot, das Steinwerk dunkelrot eingefärbt. An der Einmündung der Bierstraße auf den Rißmüllerplatz befand sich das Natruper Tor, 2001. 295 296 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 18 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Innenraumrekonstruktion des Erdgeschosses. Die Form der Kamineinfassung und der Mittelstütze sind nicht belegt, 2011. Das 14 m lange und 10,10 x 10,70 m breite Gebäude besetzt die Südostecke eines eigentümlich winkelförmigen Grundstückes am Ostrand der Altstadt, ehemals unweit des als Bocksmauer bezeichneten Abschnittes der Stadtmauer und des Natruper Tores gelegen (Abb. 17).22 Neben der Haupterschließungsrichtung von Norden, von der Bierstraße aus, verfügt das Grundstück über eine weitere Zufahrt von Westen, in Richtung der ehemals hier verlaufenden Stadtmauer. Die lange Tradition dieser Zuwegung belegen nicht nur historische Karten, sondern auch die auf- wändige Durchfensterung der Westfassade des Stein- werkes mit Biforienfenstern, die als Schaufassade demzufolge von der Stadtmauer aus einsehbar war. Die südliche Grundstücksgrenze markiert bis heute eine Hofmauer, die in der Verlängerung der Steinwerkssüdwand an das Gebäude anschließt. Die archäologische Untersuchung ihrer Fundamentierung erbrachte den Nachweis, dass sie auf den Resten einer Vorgängermauer aufsitzt, deren Fundamentunterkante in einer Tiefe von 2,70 m unterhalb des heutigen Geländeniveaus noch nicht erreicht war. Sie gründet damit mindestens 20 cm tiefer als das Steinwerk. Das Alter dieser Substruktion konnte nicht ermittelt werden, sie diente jedoch bereits beiden Latrinenschächten als Rückwand, deren älteste Füllungsschichten aus der frühen Neuzeit stammten. Es steht zu vermuten, dass der Mauerzug in die Bauzeit des Steinwerkes zurückreicht und die Konstanz der südlichen Grundstücksgrenze seit der Aufsiedelung dieses Stadtquartiers in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, spätestens um 1200, manifestiert.23 Im Hinblick auf den aufwändigen Bau des Steinwerkes mit Gewölbe darf sicherlich auf eine größere Kapitalkraft und Bedeutung des damaligen Bauherrn geschlossen werden. Möglicherweise geht die eigentümliche Winkelform des heutigen Grundstückes auf eine vormals große quadratische Parzelle zurück, die das gesamte Quartier zwischen Bocksmauer, Natruper Tor und Bierstraße eingenommen hatte. In der bisher zum Thema Osnabrücker Steinwerke erschienen Literatur wird stets betont, dass die frühen Steinwerke bauzeitlich keine Feuerstellen besessen hatten. Der im Steinwerk Bierstraße 7 im Mauerwerk der nördlichen Traufwand emporgeführte Kaminzug besaß ehemals eine zartgliedrige Einfassung aus Werkstein, die nur anhand einer historischen Fotografie überliefert ist. Aufgrund ihrer gotischen For- mensprache wurde der Ursprung der gesamten Kaminanlage erst in spätere Zeit datiert.24 Allerdings lassen sich am freiliegenden Mauerwerk in Ober- und Dachgeschoss keinerlei Indizien für ein nachträgliches Anlegen des Kaminzuges finden, eine Maßnahme, die umfangreiche Eingriffe in die massive Bruchstein- Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück Substanz bedeutet hätte. Auch eine chemische Analyse des Fugenmörtels im Bereich des Kaminzuges und des ihn umgebenden Mauerwerkes hatte zum Ergebnis, dass der Sand der Mörtelmischung angesichts auffälliger Pfadfinderminerale aus ein und derselben Grube stammen muss.25 Die Nutzung der gleichen Sandgrube sowohl zur Bauzeit als auch noch zur Zeit einer späteren Umbauphase kann als sehr unwahrscheinlich gelten. Der Wandputz im Erdgeschoss ermöglicht keine Untersuchung des Mauerwerkes, im Fußbodenbereich vor dem Kaminzug haben sich allerdings zwei kümmerliche Steinreste aus Karbonsandstein erhalten, die als Überbleibsel einer Kamineinfassung gedeutet werden können. Da diese Werksteinvarietät ausschließlich bei den bauzeitlichen Tür- und Fenstereinfassungen verwendet wurde, handelt es sich bei den Steinfragmenten mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Reste der bauzeitlichen Kaminwangen. Der Blick auf den Hausgrundriss zeigt, dass dieser Rauchabzug exakt hinter dem Rauchabzug der Feuerstelle des Vorderhauses angelegt ist (Abb. 13). Die notwendige Öffnungsgröße der beiden zuglosen Schornsteine ließ sich problemlos in der bis zu 2,80 m messenden Traufwand anlegen, möglicherweise war dieses haustechnische Detail sogar ursächlich für die große Wandstärke verantwortlich. Der Raum im erhöhten Erdgeschoss ist demzufolge unterstützt und hatte sich offensichtlich bis zu den alliierten Luftangriffen des Jahres 1944 erhalten.26 Über die Nutzung des Obergeschosses gibt es aufgrund der spärlichen Befundlage noch kein klares Bild. Bislang wurde es stets als Lagergeschoss angesprochen, jedoch lassen die Ausstattung mit zwei Biforienfenstern im Westen und drei großen Spitzwinkelfenstern nach Süden Zweifel an dieser These aufkommen (Abb. 15). Ebenfalls gegen einen Lagerraum spricht das Fehlen einer Ladeluke. Diese ist lediglich im Dachgeschoss vorhanden und konnte ausweislich einer quadratischen Öffnung in der Giebelspitze für einen Windenausleger auch als solche genutzt werden. Die Kaminhaube der Feuerstelle im Erdgeschoss ragte weit bis in das Obergeschoss hinauf (Abb. 19). Es kann zwar nicht von einer ausgesprochenen Beheizbarkeit des Obergeschosses die Rede sein, aber ein gewisser Kachelofeneffekt war durchaus gege- ben. Wir können uns im Obergeschoss daher ebenso eine untergeordnete Wohnfunktion (ggf. Schlafraum) vorstellen. Als nachgewiesene Lagergeschosse dien- ten wohl nur das Keller- und Dachgeschoss des Hauses. bereits bauzeitlich beheizbar gewesen und kann angesichts des zu rekonstruierenden offenen Kamins und der prominenten Biforienfenster mit Teilungssäul- chen und Würfelkapitell als repräsentativer Wohn- raum angesprochen werden (Abb. 18). Das Eingangs- portal liegt zu ebener Erde in der Nordwand und erschließt den Raum über einen massiven Treppenlauf mit zehn Stufen. Jeweils zwei Biforienfenster in der West- und Südfassade belichteten den Raum. Das westliche Fenster der Südwand hat sich in situ erhalten, aus dem östlichen Fenster wurde zu unbestimmter Zeit das Teilungssäulchen mit den beiden aufliegenden Bogensteinen entfernt. Die beiden Fenster an der Westfassade zeigen sich heute als Rekonstruk- tionen des Jahres 1968. Im Verlauf der Spätgotik/ Renaissance waren diese Öffnungen aufgeweitet und mit modernen Kreuzstockfenstern ausgestattet worden. Die Decke über dem Erdgeschoss kann analog zur Obergeschossdecke wohl als Holzbalkendecke auf Konsolsteinen und mittlerem Unterzug rekonstruiert werden. Die Reste der abgeschlagenen Konsolsteine aus Karbonsandstein können allerdings nur über dem Obergeschoss nachgewiesen werden, da die heutige Deckenkonstruktion über dem Erdgeschoss die Nachforschungen verhindert. Die bauzeitliche Decke musste bereits der Modernisierung des Hauses mit Kreuzstockfenstern weichen, da hierbei die Raumhöhe des Erdgeschosses angehoben wurde. Diese jüngere Decke wurde von einem Mittelunterzug auf einem großen profilierten Holzständer mit Kopfbändern 19 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Blick auf die nördliche Traufwand mit Kaminzug im Obergeschoss. Der Pfeil markiert die Ziegelzusetzung der ehemaligen Kaminhaube, 2010. 297 298 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 20 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Ansicht von Norden als verformungsgetreues Bauaufmaß, 2010. Im Hinblick auf die mit vielfältigen Funktionen ausgestattete nördliche Traufwand des Steinwerkes sollen schließlich noch einige Befunde an der Nordfassade setzten Wandnische mit geradem Sturz. Die Nische liegt einen Meter über dem Hofniveau, ihre Öffnung misst nur 40x65 cm. In gleicher Weise wie die Werk- bauzeitlichen Vorderhauses von Bedeutung sind. Die Nordfassade zeigt sich dem heutigen Betrachter als unmittelbar an die Reste einer Kaminwange, die noch vorgestellt werden, die für die Rekonstruktion des weitgehend geschlossene, von den verheerenden Bränden des Jahres 1944 stark gezeichnete Mauer- fläche (Abb. 20, 21). Das einzige Fenster der Fassade befindet sich im Obergeschoss und wurde erst in der Nachkriegszeit eingefügt. Es sitzt in einer ehemaligen, ebenfalls nicht bauzeitlichen Türöffnung, die eine Verbindung zwischen dem Obergeschoss des vorkriegszeitlichen Vorderhauses und dem Steinwerk herstellte. Alle bauzeitlichen Einbauten und Öffnungen in der Fassade liegen zu ebener Erde. Von rechts nach links betrachtet befindet sich dicht vor der Nordwestecke der von einem Rundbogen überdeckte Zugang ins Erdgeschoss des Steinwerkes. Daran anschließend zeigt sich eine weitere, mit 2,20 m Breite und 2,50 m Höhe sehr große Rundbogenöffnung, die seit der Nachkriegszeit den Treppenabgang in das Kellergeschoss aufnimmt. Ursprünglich war die Rückwand dieser 1,50 m tiefen Nische geschlossen. Die Werksteineinfassung der Nische berührt mit ihrer linken Laibung die Einfassung einer demgegenüber sehr kleinen und nachträglich zuge- steineinfassung auf der rechten Seite gegen die Rundbogennische stößt, reicht ihre linke Laibung einen abgeschlagenen Konsolstein trägt (Abb. 22). Die zugehörige linke Kaminwange ist spätestens beim Anbau des nachkriegszeitlichen Flügelbaues ver- schwunden. Die ehemalige Feuerstelle im Bereich der Wandfläche zwischen Kaminwange und Flügelbau wurde mit Ziegelsteinen vermauert. Am linken, östlichen Rand der Nordfassade befindet sich, ebenfalls vom Flügelbau verdeckt, als dritte Rundbogenöffnung der bauzeitliche Abgang in das Kellergeschoss des Steinwerkes (Abb. 21, 23). Alle diese beschriebenen Öffnungen und Einbauten an der Außenseite der Steinwerkswand wurden mit Karbonsandstein eingefasst und sind ungestört in den Bruchsteinverband der Fassade eingefügt. In der Summe sprechen sie daher für ein bereits mit dem Bau des Steinwerkes hier anschließendes Vorderhaus, das die Traufwand des Steingebäudes als Rückwand nutzte.27 Von diesem bauzeitlichen Vorderhaus hat sich auf Höhe des Steinwerkobergeschosses zudem eine Ortgangspur erhalten (Abb. 20). In der Fotosammlung der heutigen Besitzerfamilie findet Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück sich für die Vervollständigung dieser Spur eine Lösungsmöglichkeit, die bisher nicht in Betracht gezogen worden ist (Abb. 24, 25). Die Fotografien zeigen die Reste einer Giebelscheibe aus Bruchstein, die auf der Traufwand des Steinwerkes aufsitzt. Der Ortgang dieses Giebels führte die bauzeitliche Ortgangspur in der gleichen Dachneigung fort. Das dazugehörige Vorderhaus war demzufolge ebenso breit wie das Steinwerk lang. In einer späteren Bauphase wurde die Dachneigung durch Aufmauern von Ziegelschalen verringert. Dieses im Zweiten Weltkrieg zerstörte Vorderhaus trug eine Inschrift, die besagte, dass das Haus nach dem großen Stadtbrand 1613 im Jahre 1619 neu errichtet worden war.28 Die bruchsteinerne Giebelscheibe wurde kurz nach der hier abgedruckten fotografischen Dokumentation abgebrochen. Ihr Alter ist nicht bekannt, da sie jedoch sowohl bezüglich des Materials als auch der Dachneigung mit den Spuren am Steinwerk übereinstimmte, ist nicht auszuschließen, dass es sich um die Giebelscheibe des zeitgleich mit dem Steinwerk errichteten Vorderhauses gehandelt hat. Ein weiteres Indiz hierfür sind die beiden hintereinander angeordneten Kaminzüge aus den Erdge- schossen in Steinwerk und Vorderhaus, die ohne erkennbare Störungen oder Hinweise auf nachträgliche Veränderungen in der Giebelscheibe integriert waren und diese am First verließen. Die großen Abmessungen des bruchsteinernen Schornsteines deuten darauf hin, dass beide Züge separat bis über Dach geführt wurden, um einen gleichzeitigen Betrieb bei- 21 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Detail der Nordfassade. Das Bild schneidet auf der rechten Seite die große Rund- bogennische an, in der Bildmitte ist die zugesetzte Rechtecknische zu sehen, die links von einer Kaminwange mit auf- sitzendem Konsolsteinrest begleitet wird. Am linken Bildrand markiert das Ziegelmauerwerk die Zusetzung der ehemaligen Feuerstelle des Vorderhauses, 2010. 22 Osnabrück, Steinwerk Bierstraße 7. Kellergeschoss. Die Rundbogenöffnung an der Nordostecke des Raumes führt in den Kellerhals mit dem bauzeitlichen Kellerabgang. 2010. 299 300 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 23 Osnabrück, Bierstraße 7. Blick von Norden vom Flachdach des neu errichteten Flügelbaues auf das Dach und Teile der nörd- lichen Traufwand des Steinwerkes. In der Verlängerung der Traufwand ragt die Giebelscheibe des im Zweiten Weltkrieg zer- störten Vorderhauses empor, die kurz nach der Aufnahme abgebrochen worden ist, um 1957. der Feuerstellen zu gewährleisten. Der steinerne Rückgiebel hatte eine Mauerstärke von ca. 50 cm und saß auf der Traufwand des Steinwerkes bzw. wurde aus ihrem Mauerwerk ausgespart.29 Die Mauerstärke des Steinwerkes beträgt am Traufpunkt abzüglich des Auflagers für das Spitztonnengewölbe noch einen Meter und bot daher ausreichend Auflagerfläche für die Giebelscheibe. Auf Grundlage des verformungsgetreuen Aufmaßes der Nordfassade lässt sich die Dachneigung des Vorderhauses mit 48° ermitteln (Abb. 21). Über das Material seiner drei Umfassungswände ist nichts bekannt. Die maximale Wandstärke gibt der Abstand zwischen der nordwestlichen Hausecke und der 24 Osnabrück, Bierstraße 7. Blick von Westen auf das Steinwerk. Auf der nördlichen Traufwand des Steinwerkes stehen noch die Giebelscheibe des zerstörten Vorderhauses und der große Schornstein mit den beiden Kaminzügen, um 1957. Werksteineinfassung des Erdgeschosseinganges vor, wonach sie max. 50-55 cm betragen haben kann. Da es keine Anzeichen für eine Verzahnung vom Bruchsteinmauerwerk des Steinwerkes mit einem ehemaligen Vorderhaus gibt, war das bauzeitliche Vorderhaus wohl als Fachwerkbau konzipiert. Bei gleicher Breite des Vorderhauses zur Länge der Steinwerkswand ergibt sich aus der Ortgangspur eine Traufhöhe des Hauses von etwa 5 m. Dies spräche für einen eingeschossigen Bau unter einem ebenfalls etwa 5 m hohen Dachraum (Abb. 26). Der Laufhorizont auf der Hoffläche befand sich zwar zwischen 50 Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück 25 Osnabrück, Bierstraße 7: Rekonstruktionsaxonometrie von Steinwerk und Vorderhaus auf Grundlage der Befunde an der Steinwerksnordfassade im bauzeitlichen Zustand um 1200. Die Längenausdehnung sowie weitere Baudetails des Vorderhauses bleiben ungewiss, 2011. und 70 cm unter dem heutigen Niveau, die Befunde an den mit Werkstein gefassten Öffnungen am Fuße der Nordfassade deuten jedoch an, dass das Bodenniveau im Inneren des Vorderhauses bauzeitlich nicht wesentlich tiefer gelegen haben kann als heute. Demzufolge war der gegenüber dem Erdgeschosszugang etwa 90 cm tiefer liegende Kellerzugang nur über einige Stufen vom Vorderhaus aus zu erreichen. Die notwendige Dach-/Zerrbalkenlage des Vorderhauses spannte über eine Hausbreite von 14 m und be- durfte folglich einer Unterstützung durch einen Unterzug. Angesichts der mittig verlaufenden Kaminzüge und der zahlreichen Einbauten an der gemein- samen Nordwand von Steinwerk und Vorderhaus kommt für die Lage dieser Unterzugkonstruktion der Bereich zwischen der Feuerstelle und dem Kellerab- gang infrage. Hiermit hätte der Unterzug etwa im Drittelspunkt der Spannweite gelegen. Die bauzeitliche Nutzung der großen Rundbogen- nische zwischen Kamin und Erdgeschossaufgang ins Steinwerk, die sich bei mehreren Osnabrücker Steinwerken mit Dachgewölbe finden lässt, ist noch nicht eindeutig bestimmt. Sie könnte eine Ausstattung mit Wandregal besessen und zur Aufbewahrung vorzeig- baren Ess- und Trinkgeschirrs gedient haben oder wurde möglicherweise auch als Schlafplatz im Sinne eines Alkovens genutzt. Die daran anschließende, kleine rechteckige Nische direkt neben der Feuerstelle wird gerne mit der Aufbewahrung des Salzfasses in Verbindung gebracht. Dies würde voraussetzen, dass die Kaminanlage als Herdstelle genutzt wurde. Angesichts der eher zierlichen Form der erhaltenen Kaminwange und -konsole darf die vorsichtige Vermutung geäußert werden, dass es sich möglicherweise nicht um einen Herd, sondern einen Wohnkamin gehandelt haben könnte. In diesem Falle müsste die Herdstelle des Anwesens noch an einer anderen Stelle zu suchen sein. Über die Länge des bauzeitlichen Vorderhauses liegen keine Erkenntnisse vor. Die Entfernung zwischen dem Steinwerk und der Grundstücksgrenze an der Bierstraße beträgt etwa 27 m und erscheint als Länge eines Hauses vergleichsweise groß. Möglicherweise gibt uns das letzte bestehende Dielenhaus an dieser Stelle, das noch aus der Zeit nach dem Stadtbrand von 1613 gestammt haben soll und den Bombenangriffen 1944 zum Opfer gefallen ist, einen Anhaltspunkt für die bauzeitliche Hauslänge. Es reichte eben- falls nicht bis an die Bierstraße heran und war mit etwa 14-15 m etwa ebenso lang wie breit.30 Betrachten wir das möglicherweise große quadratische Grundstück an der Bierstraße, im Anschluss an 301 302 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen das Natruper Tor und die Bocksmauer, auf dem das Steinwerk mit Vorderhaus die südöstliche Ecke besetzte, ist eine ansonsten stadttypische straßenzeilige Bebauung auszuschließen. Stattdessen können wir uns für die Bauzeit um 1200 eine differenzierte Hof- bebauung vorstellen, die neben den Wohnbauten und dem archäologisch nachgewiesenen Gartenland über eine unbekannte Zahl weiterer Gebäude für Vieh, Pferde, Wagen und Gesinde verfügt haben wird. Schlussfolgerungen Die Ausstattung des Steinwerkes und auch des zu rekonstruierenden Vorderhauses ist angesichts der Abfolge von stets werksteingefassten Biforienfens- tern, Rundbogenöffnungen, Nischen und den Feuerstellen als überaus repräsentativ zu bezeichnen. Die bislang von der Forschung als Vorderhäuser der Steinwerke vorgeschlagenen kleinen Fachwerkhäuser fallen demgegenüber sicherlich zu unscheinbar aus und dürfen im Hinblick auf die hier vorgestellten Befunde möglicherweise auch andernorts größer rekonstruiert werden. An archivalischen Nachrichten über diese mehrteiligen Bauten aus Haus und Steinwerk liegen aus Osnabrück sowohl eine Nennung mit Fachwerk- haus und Steinwerk als auch mit steinernem Vorderhaus vor.31 Die schriftlichen Überlieferungen lassen im Allgemeinen jedoch keine Rückschlüsse auf den Stand der Bauherrenschaft dieser repräsentativen Wohnanlagen des 13. Jahrhunderts zu. Angesichts des Kulturtransfers von oder nach Gotland durch reisende Kaufleute liegt es nahe, das eine oder andere Anwesen mit gewölbtem Steinwerk in Osnabrück einem Fernhandelskaufmann zuzuschreiben. Die Errichtung eines Steinwerkes zu Speicherzwecken kann für die älteren, gewölbten Steinwerke in Osnabrück bislang jedoch nur am vorgestellten Beispiel in der Anmerkungen 1 Die folgende Darstellung der ländlichen Steinwerke stellt eine Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse zu Bierstraße 7 anhand der Luke im Dachgeschoss nach- gewiesen werden. Im Falle der Steinwerke auf dem Ledenhof und an der Rolandsmauer sind aufgrund der Befunduntersuchungen Luken im Dachgeschoss auszuschließen.32 Beiden Gebäuden fehlt zudem das Obergeschoss, sodass lediglich der Kellerraum als ausgewiesener Lagerraum angesprochen werden könnte. Das Gewölbegeschoss des Steinwerkes an der Rolandsmauer wurde überdies mit einem aufwändigen Biforienfenster sowie Vier- bzw. Sechspassfenstern ausgestattet. Die repräsentativen Fensterformen und das Fehlen von Luken schließt eine Nutzung als Speicherraum nicht grundsätzlich aus, deutet jedoch an, dass die Räume nicht in erster Linie zu Lagerzwecken, sondern wohl vielfältiger genutzt wurden. Allen drei Steinwerken ist gemein, dass sie auf Grund- stücken liegen, die für das 13. Jahrhundert als ausgesprochen groß und in prominenter Ecklage rekonstruiert werden können. Der Ledenhof liegt zudem in der südlichen Altstadt, einem Stadtbereich, der seit der Aufsiedelungsphase bevorzugt von der städtischen Führungsschicht, der bischöflichen Ministerialität und dem Landadel für die Anlage raumgreifender Hofanlagen gewählt worden war.33 Es wird wahrscheinlich nicht gelingen, die Grün- dungsfamilien der frühen Steinwerke mit Dachgewölben herauszufinden; ihre bautechnische Herausforderung, repräsentative Erscheinungsform und Lage verweist auf finanzstarke Bauherren, die sicherlich aus den Reihen der Handelsleute, aber ebenso aus der gerade beschriebenen adligen und nichtadligen Ober- schicht stammten. Mit Blick auf das Thema dieser Tagung können die Steinwerke somit als baulicher Ausdruck der Schnittmenge aus Adel und Bürgertum angesehen werden. Mehrzahl vom Büro Preßler (Gersten/Emsland) erstellt. 4 Für die Bereitstellung der Fotografie vom Romanischen Haus in Rosheim danke ich Herrn Dr. Volker Gläntzer sehr diesem Thema dar, die sich in ausführlicher Weise finden bei: herzlich. Carolin Sophie Prinzhorn, Die ländlichen Steinwerke des Landkreises Osnabrück, in: Michael J. Hurst et. al. u. a., au und Bergheim sei an dieser Stelle Herrn Dr. Jürgen Römer Steinwerke - ein mittelalterlicher Bautyp? Vorträge des Kollo- quiums Steinwerke vom 2. bis 4. März 2006 in Osnabrück. 5 Für die aufmerksamen Hinweise auf die Bauten in Breiten- vom Regionalmuseum Wolfhagener Land und Herrn Dr.-Ing. Bernd Adam (Garbsen-Berenbostel) sehr herzlich gedankt. Osnabrück 2008, S. 257-288. 6 Vgl. hierzu zuletzt Heinrich Siemer, Die Steinwerke im Dorf steinernen Speichergebäudes im Osnabrücker Land erneut Ankum-Grovern messen lediglich (bxh) 37,5 x 74 cm bzw. 2 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts und besonders im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde die Bauform des aufgegriffen und erlebte einen regelrechten Bauboom, der wohl mit der Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge im Allgemeinen und dem vermehrten Kartoffelanbau im Besonderen zusammenhing. Diese jüngere Gruppe der Steinspeicher ist bei der Erfassung der ländlichen Steinwerke dieser Region nicht berücksichtigt. 3 Die dendrochronologischen Gutachten wurden in der und Kirchspiel Ankum. Ankum 2000. 7 Die beiden Lukenöffnungen am Steinwerk Schulte-Geers in 46x81 cm. 8 Eine erste baugeschichtliche Darstellung der Osnabrücker Steinwerke lieferte Karl Brandi, Das osnabrückische Bauern- und Bürgerhaus, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück, 16, 1891, S. 265-314. 9 Hinzu kommen etwa 100 Verdachtsfälle. Im Rahmen des Projektes „Osnabrücker S^einwerke" wurde im März 2006 Steinwerke in Stadt und Land Osnabrück ein Kolloquium zum überregionalen Steinwerksbestand und Osnabrück 1937, S. 127-131. seiner Erforschung veranstaltet. Die Vorträge des Kolloqui- 20 Vgl. zu den im Folgenden erläuterten Grabungsergebnissen Carolin Sophie Prinzhorn/Bodo Zehm, Osnabrück ums sowie die Vorstellung des Projektes sind im Tagungsband veröffentlicht: Hurst (wie Anm. 1). 10 Für die uneingeschränkte Bereitstellung der gesammelten Daten richtet sich auch an dieser Stelle der herzliche Dank der Verfasserin an Herrn Bruno Switala (Osnabrück) und Herrn Michael J. Hurst (Mettingen). FStNr. 52 (Steinwerk und Hof Bierstraße 7), Gde. Osnabrück, KfSt. Osnabrück, Reg. Bez. Weser-Ems, in: Fundchronik Niedersachsen 2005. Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Beiheft 12, 2006, 180 ff., Kat.Nr. 216. [Anm. CSP: Die Fundchronik wird üblicherweise als Periodikum Prof. Dr. Georg Frebold, Technische Hochschule Hannover, zitiert, also ohne Erscheinungsort; sollte nach Ansicht der Red. dennoch einer genannt werden, wäre es „Stuttgart"] lagen die zugehörigen Steinbrüche am Hüggel (bei Has- 21 Die numismatische Einordnung des Silberpfennigs wurde 11 Nach Ergebnissen von Dünnschliffuntersuchungen von bergen) und bei Ibbenbüren (nach Adolf Ide, Die Steinwerke der Stadt Osnabrück. Osnabrück 1939, S. 32, 53 f.). 12 Friedrich Philippi (Hg. u. Bearb.), Osnabrücker Urkunden- vom Münzauktionshaus Künker GmbH & Co KG, Osnabrück, durchgeführt. buch, hrsg. von F. Philippi, Band 1. Osnabrück (1892), Nr. 22 Aufgrund des ersten Befestigungsprivilegs der Stadt Osnabrück wohl bereits aus dem Jahr 1171 sowie der dendro- 345. chronologischen Datierung eines Pfahlrostes eines Stadttur- 13 Die Grabung in der Bierstraße 7 und die Datierung des mes auf 1200/01 sei eine „Bauzeit des ersten Befestigungs- dortigen Gebäudes werden im folgenden Kapitel näher er- rings der Altstadt während des letzten Viertels des 12. Jahr- läutert. hunderts bzw. um 1200 [...] äußerst wahrscheinlich." Nach: 14 Vgl. hierzu Bruno Switala, Die frühen Osnabrücker Stein- 15 Erich Fink (Hg.), I. Das älteste Stadtbuch von Osnabrück; Wolfgang Schlüter, Archäologische Zeugnisse zur Entstehung der Stadt Osnabrück, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 14. Bonn 2002, S. 37-103; hier S. 97 f. 23 Ebenda S. 49 ff.; 94 f. II. Das älteste Legerbuch des Bürgermeisters Rudolf Ham- 24 Ide (wie Anm. 11), S. 39 Abb. 12. Die Kamineinfassung macher zu Osnabrück. Im Auftrage des Historischen Vereins war 1939 bereits abgebrochen, das Alter der Fotografie gibt Ide nicht an. werke - ein eigenständiger Gebäudetyp?, in: Hurst (wie Anm. 1), S. 217-230, hier S. 218. hrsg. von E. Fink. (= Osnabrücker Geschichtsquellen. IV). Osnabrück 1927, Nr. 27. 16 Aus dem umfangreichen Literaturbestand zum südwestdeutschen Hausbau sei hier exemplarisch genannt: Marianne Flüeler (Hrsg.), Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch - Die Stadt um 1300. [Katalog zur Ausstellung Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch - die Stadt um 1300; Stadtarchäologie in 25 Die Probenentnahme erfolgte durch die Verfasserin im März 2010, an der Technischen Universität München wur- den anschließend am Lehrstuhl für Ingenieurgeologie die Dünnschliffe der Mörtelproben angefertigt und Frau Dipl. Rest. (Univ.) Laura Thiemann führte am Lehrstuhl für Restau- rierung, Kunsttechnologie und Konservierungswissenschaft Baden-Württemberg und in der Nordostschweiz; eine die Mörtelanalyse durch. gemeinsame Ausstellung des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Zürich], Stuttgart 1992. - Frank Löbbecke, Das 26 Bei den Bombardierungen der Osnabrücker Altstadt zwischen 1942 und 1945 wurden bis auf das Steinwerk alle Ge- „Freiburger Haus". Ein Wohnhaustyp des 13. Jahrhunderts bäude des Quartiers vollständig zerstört. Das Steinwerk brannte zwar vollständig aus, war nach Kriegsende jedoch und seine Vorstufen, in: Südwestdeutsche Beiträge zur his- torischen Bauforschung. Band 4. Stuttgart 1999, S. 193203. 17 Vgl. hierzu Karl Schnieringer, Das mittelalterliche das einzige Gebäude mit intaktem Dach, da das Gewölbe ein Überschlag der Flammen aus dem Inneren des Gebäudes auf Bürgerhaus in Regensburg, in: Denkmäler in Bayern. III. 37, das Dachwerk verhinderte. Den Vorkriegszustand des Steinwerkes hatte Karl Brandi 1891 zeichnerisch dokumentiert. Stadt Regensburg. Regensburg 1997, S. LXXXVIII-CXII; sowie Vgl. Brandi (wie Anm. 8), Taf. 6. Heike Fastje, Bauforschung in Regensburg: Die Häuser „Goldener Turm" und „Vor der Grieb 1, 3, und 5", in: Jahrbuch der Bayerischen Denkmalpflege. 1985, S. 54-72. 18 Vgl. hierzu Gunnar Svahnström, Häuser und Höfe auf Gotland während des Mittelalters, in: Jahrbuch für Hausforschung. 27, Bericht über die Tagung des Arbeitskreises für Hausforschung e. V. in Visby/Gotland vom 31.08.- 27 In der älteren, aber immer noch vielzitierten Literatur zu den Osnabrücker Steinwerken wurde stets postuliert, dass Steinwerk und Vorderhaus erst im Verlauf des Spätmittelalters zusammenwuchsen. Bis dahin hätten die Steinwerke als selbstständige Gebäude frei auf dem Grundstück gestanden. So beschrieben bei Ide (wie Anm. 11, S. 35) und bei Roswitha Poppe, Wohnbauten des Adels und des Bürger- 03.09.1976. Detmold 1977, S. 1-39. An dieser Stelle geht mein herzliche1- Dank an Dietrich Maschmeyer (Reckling- tums in Osnabrück, in: Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, hrsg. vom Germanischen Nationalmu- 19 Hierfür sprechen auch Personennamen wie Gotland oder seum Mainz. Band 43: Das Osnabrücker Land II. Beiträge zur Geschichte der Stadt Osnabrück und ihres Umlandes. Mainz de Gotlandia, die in Osnabrück allerdings erst für das späte 1979, 75-92, hier S. 75-80. hausen), der mich auf diese Publikation hinwies. 13,/frühe 14. Jahrhundert belegt sind. Vgl. hierzu Hermann Rothert, Osnabrück im Mittelalter. Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück. Band 57. 28 Der Holzbalken mit der Inschrift ist zwar im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, der lateinische Wortlaut ist jedoch überliefert durch: Brandi (wie Anm. 8), S. 309. 303 304 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 29 In der Verwaltungsakte der städtischen Denkmalpflege Osnabrücks zum Anwesen Bierstraße 7 hat sich eine unda- Abbildungsnachweis tierte Aufmaßskizze des Steinwerkes erhalten, die den im Foto festgehaltenen nachkriegszeitlichen Zustand zeigt. Der Dr.-Ing. B. Adam (Garbsen-Berenbostel): 2; neue Flügelbau war als Ersatz für das Dielenhaus bereits Dr. Jürgen Römer (Lichtenfels-Dalwigksthal): 6; errichtet, die massive Giebelscheibe stand aber noch auf der Stadt Osnabrück, Fachbereich Städtebau, Fachdienst Geodä- Steinwerkstraufe und wurde mit einer Dicke von ca. 50 cm dokumentiert. ten: 7, 17; G. Svahnström (wie Anm. 18), Abb. 7b/e: 14; 30 Leider liegt zu dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Archäologischer Arbeitskreis für Stadt und Land Osnabrück Vorderhaus kein aussagekräftiges Planmaterial vor und aus e. V: 15 (Hurst); 16 (Prinzhorn); den vorkriegszeitlichen Stadtkarten lässt sich seine Kubatur nur abschätzen. Familie Wunderling (Osnabrück): 23, 24. 31 Vgl. Max Bähr (Hg. u. Bearb.), Osnabrücker Urkundenbuch, hg. von Max Bähr, Band IV, Osnabrück (1902), Nr. 287 (1290 März 5), in der ein größerer Hofkomplex mit unterschiedlichen Gebäuden genannt wird, hierzu zählen u. a. ein Holzhaus mit Kemenate sowie ein für die Weinlagerung genutzter Keller und ein Steinhaus: „[...] ligneamdomum cum caminata [...], celarium et domum totam lapidei edificii ad usus vini". In einer anderen Urkunde ist dagegen von einer Kemenate hinter einem Steinhaus die Rede: „[...] cam- inata [...] retrodomumlapideam [...]". Vgl. hierzu HorstRüdiger Jarck (Bearb.), Osnabrücker Urkundenbuch, hrsg. von Horst-Rüdiger Jarck, Band VI, Osnabrück(1989), Nr. 33 (1305 April 23). Für den Hinweis auf die letztgenannte Urkunde sei Dr. Karsten Igel (Osnabrück) herzlich gedankt. 32 Die drei Steinwerke an der Bierstraße 7, der Rolandsmauer 23a und am Ledenhof konnten bislang von der Verfasserin eingehend bauhistorisch untersucht werden. Die detaillierte Beschäftigung mit den übrigen vier bestehenden sowie den Überlieferungen zu den abgegangenen Steinwerken mit Dachgewölben steht noch aus. Das Steinwerk an der Rolandsmauer 23a wurde in der älteren Literatur unter der Adresse Dielingerstraße 13 geführt. Die heutige Zuweisung zur Rolandsmauer entspricht wieder der historischen Ausrichtung des ehemals zugehörigen Vorderhauses. 33 Vgl. Schlüter (wie Anm. 23), S. 90 f. und Abb. 21. C. S. Prinzhorn (Altenbücken): 1, 3, 4, 8-13, 18-22, 25; Dr. V. Gläntzer (Hannover): 5; 305 Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) Axel Böcker / Peter Barthold / Fred Kaspar Forschungsstand und Fragestellung Der steinerne Wohnteil von Haus Westerhaus ist wegen seiner reichen Werksteindekorationen als ungewöhnliche bauliche Erscheinung auf einem landwirtschaftlichen Anwesen schon seit über 100 Jahren bekannt, wobei allerdings stets nur Fragen nach der künstlerischen Einordnung und Datierung interessierten. Das Interesse haftete an der äußeren Gestaltung des massiv ausgeführten Wohnteils, da dieser ungewöhnliche, der „Lipperenaissance" zugeordnete Formen zeigt. Das sich daran anschließende und aus Fachwerk bestehende Bauernhaus fand hingegen kein Interesse. Der steinerne Wohnteil wurde schon 1897 in dem Band der Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Münster Land mit einer auf eine 1894 durch den Konservator Albert Ludorff selbst erstellten Fotografie1 zurückgehende Zeichnung dargestellt. Auf die dort vorgelegten knappen Informationen gehen alle weiteren Betrachtungen bis heute zurück.2 Lindner veröffentlichte 1912 zwei weitere Fotografien des Wohnteils und versuchte eine Einordnung des Hauses: Er sah es als ein „gesteigertes Bauernhaus" und kommentierte, dass Vierständerbauten üblicher- weise nicht zu herrschaftlichen Wohnzwecken gedient hätten.3 Aufgrund stilgeschichtlicher Vergleiche schloss Klapheck 1915, dass der Wohnteil wohl im frühen 17. Jahrhundert errichtet worden sei und es sich um ein Werk des Heinrich Johannssen, einem Sohn des Meisters Arndt Johannssen, handeln dürfe, vielleicht aber auch einem Mitglied der Werkstatt des Laurentz von Brachum. Beide Baumeister hatten wesentlichen Anteil am Bau von Schloss Horst.4 Geisberg zog 1934 Haus Westerhaus als Vergleich für die zwei- fache horizontale Gliederung von hohen Fenstern heran und datierte es hierbei auf die Zeit um 1570.5 Mummenhoff erschloss 1961 über Stilvergleiche eine 1 Nördliche Traufwand des 1594 und 1595 an das ältere Bauernhaus von Fachwerk mit massiven Umfassungswänden ange- bauten herrschaftlichen Wohnteils. Die älteste bekannte Abbildung des Hauses fertigte im Oktober 1894 Konservator Ludorff. Im Vordergrund die hohen Fenster der großen Herdküche, dahinter die unterkellerte Saalkammer mit später veränderten Fenstern. 306 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Die gleiche Ansicht im Jahre 1999. geschätzte Bauzeit zwischen 1570 und 1630 und ließ getreues Aufmaß der Fachwerkteile des Gebäudes im Bauteil sah er als „baulichen Rest" (und damit als Teil eines ehemals größeren Gebäudes) und das angebaute Bauernhaus als ein jüngeres Wirtschaftsgebäude, das einen älteren Fachwerkbau ersetzt habe.7 nologische Untersuchungen vorgenommen.9 Der steinerne Wohnteil konnte hingegen nur in seinen grundsätzlichen Strukturen erfasst werden, da er bewohnt blieb und daher keine tieferen Einblicke in die konstruktiven Details zuließ. Auch die erhaltene Fachwerk- Obwohl das Gebäude also seit Langem durch die architekturgeschichtliche Forschung bekannt ist, scheune des späteren 18. Jahrhunderts wurde in die die Frage des Baumeisters offen.6 Den steinernen wurde es bislang keiner genaueren Betrachtung und Analyse unterzogen. Es blieb bei kursorischen Hinweisen und Vermutungen, wobei auch nähere Angaben zum Anlass der Errichtung und möglichen Bauherren ausblieben. Selbst zum Versuch einer genaueren Datierung kam es nicht. Auch von der Eintragung des Gebäudes in die Denkmalliste im Jahre 1982 ging kein neues Erkenntnisinteresse aus. Anlass einer erstmaligen und hier in den Ergebnissen vorgelegten baugeschichtlichen Untersuchung des Hofes und seiner Gebäude waren dringende Sanierungsarbeiten, die insbesondere das seit Langem schadhafte Dach des Haupthauses erforderte. Wäh- rend mehrerer Termine in den Jahren 1999 und 2000 wurden durch die Autoren8 die zugänglichen bauhistorisch relevanten Merkmale des Gebäudes erfasst. Hauptaugenmerk wurde hierbei auf den in Fachwerk errichteten Wirtschaftsteil und das Dachwerk gerichtet. Zu diesem Zweck wurden ein nicht verformungs- Maßstab 1:50 angefertigt und zugleich dendrochro- Untersuchungen einbezogen.10 Die Bau- und Nutzungsgeschichte des Gutes und sei- ner Gebäude konnte in ihren Grundzügen geklärt werden und brachte völlig neue Erkenntnisse: Das überlieferte Hauptgebäude ist in mehreren Bauphasen entstanden, wobei der bisher im Zentrum stehen- de Steinbauteil einen späteren Anbau darstellt. Im Kern besteht das Haupthaus aus einem Fachwerkgebäude in Vierständerbauweise, das nach dendro- chronologischer Datierung in den Jahren 1554/55 errichtet worden ist. 1594-1596 wurde dann das bisherige, vermutlich in Fachwerk errichtete Kammerfach durch den bis heute erhaltenen steinernen Wohnteil ersetzt. Wohl zeitgleich hat man auch den Wirt- schaftsteil verlängert. Aus dem bis zu diesem Zeitpunkt als Bauernhaus genutzten Gebäude wurde das „Haus Westerhaus". Parallel zu der Bauuntersuchung wurde versucht, die Besitz- und Nutzungsgeschichte des Gebäudes zu klären und hierzu die schriftliche Überlieferung zu dem Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) Haus zu erfassen und zu erschließen. Hierbei stand die Frage im Mittelpunkt, wer das um 1594 fertiggestellte Gebäude errichten ließ. Im Zuge der wegen der komplexen Besitzgeschichte notwendigerweise umfangreichen Archivstudien gelang es,11 sowohl den Bauherren zu benennen wie auch die weitere Nutzungsgeschichte der Gebäude weitgehend aufzuhellen: Westerhaus wurde offensichtlich erst um 1594 von einem freien, wahrscheinlich verpachteten Bauernhof zu einem größeren Pachtgut mit herr- schaftlicher Sommerwohnung ausgebaut. Dieses befand sich während dreier Generationen in den Händen hoher landesherrlicher Beamte, die ihren ersten Wohnsitz in Münster hatten: Dem Pfennigmeister Martin Schnell folgte der Geheime Rat und Vizekanzler Melchior Mensing und danach dessen Bruder Lic. Ernst Melchior Mensing. Dessen Witwe und Erben nutzten das Gutshaus nach dem Verlust ihres mün- sterschen Wohnsitzes 1656/1657 erstmals als Dauer- wohnung. Nach Verkauf in den Jahren 1670-1673 wurde das zu dieser Zeit schon nicht mehr neue Haus zu einem nur noch von Pächtern bewohnten Gebäude und im 19. Jahrhundert zu einem von den Eigentümern bewohnten und genutzten Bauernhaus. Zur Besitz- und Nutzungsgeschichte Aufgrund der zahlreichen Besitzerwechsel gibt es für Haus Westerhaus keine einheitliche Archiv-Überlieferung mit geschlossenen Beständen von Urkunden und Akten zur Besitz- und Nutzungsgeschichte. Die hier erstmals rekonstruierte Geschichte wurde aus bruch- stückhaften und zum Teil widersprüchlichen Überlieferungen in verschiedenen Archivbeständen zusammengeführt. Hierbei gelang es, die Besitzfolge des Hauses und der wohl erst seit dem Bau des steinernen Wohnteils um 1594 ausgebildeten kleinen Grundherrschaft in ihren Grundzügen zu rekonstruieren.12 Nur ansatzweise erhellt werden konnten hingegen die davor liegenden Zeiten, sodass auch über den Bauherrn des 1554/55 d errichteten Bauernhauses bislang keine abschließende Gewissheit erlangt werden konnte.13 Der münsterische Pfennigmeister Martin Schnell, Bauherr des Wohnteils 1594/95d Die bislang erschlossene schriftliche Überlieferung zu Haus Westerhaus beginnt mit dem Jahr 1592: Am Mittwoch, dem 5. Juni 1592, schließen Martin Schnell und dessen Ehefrau Anna von Amelunxen einen Kauf- vertrag mit Johann Verendorpf und dessen Ehefrau Margarethe Platen. Kaufgegenstand ist ein Gutt daß Westerhauß genannt gelegen im Kirspell zu Rinnkenrodt mit seinem Zubehör, nichts davon ausbeschieden.'4 Schnell ist allerdings schon im Jahre 1591 in der Bauernschaft Hemmer nachweisbar. Er musste sich in diesem Jahr vor dem münsterischen Hofgericht wegen Fischereirechten am Hemmerteich bei Rinkerode gegen die Ansprüche des Hermann Kerkerinck zur Borg wehren. 1592 wurde das Verfahren in zweiter Instanz vor dem Reichskammergericht weiterge- führt.’5 Im Jahre 1594 sind Baumaßnahmen an der Gräfte von Haus Westerhaus, das Martin Schnells Burg in Rinkerode genannt wird, nachweisbar16 und 3 Ansicht des Haupthauses im Jahre 2002 von der Zufahrt im Nordosten des Hofplatzes: Links das Bauernhaus von 1554d, rechts dahinter der 1594 und 1595 errichtete herrschaftliche Wohnteil. Im Vordergrund der Rest des 1908 errichteten Anbau mit Back- und Göpelhaus. 307 308 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 4 Die gleiche Ansicht 2013 nach Abschluss der Renovierungsarbeiten. am 2. Juni 1599 vereinbarte Martin Schnell zum l/l/esterhauß mit seinem Nachbarn Johann Lütke Woestmann den Tausch einiger Flurstücke.17 Martin Schnell kann somit eindeutig als Bauherr des 1594 und 1595 angebauten steinernen Wohnteils von Haus Westerhaus identifiziert werden. Er ist seit 1587 im Amt des fürstlich münsterischen Pfennigmeisters nachweisbar18 und wohnte in dem bemerkenswerten Haus Prinzipalmarkt Nr. 8 in Münster direkt neben dem Rathaus. Dies hatte er von seinen Eltern geerbt,19 wobei es aus der Erbschaft seiner Mutter stammte.20 Schnell hatte aber mit einem Haus an der Stubengasse noch weiteren Grundbesitz im Zentrum der Stadt.21 Unmittelbar nachdem er sein großzügiges Neubau- projekt zum Ausbau des Hauses Westerhaus beendet hatte, wurde Pfennigmeister Schnell im Frühjahr 1596 der Veruntreuung im Amt beschuldigt22 und die Regierung des Fürstbistums Münster beschlagnahmte alle seine Güter.23 Schnell erhob hiergegen Klage vor dem Reichskammergericht24 und konnte die Beschul- digungen offensichtlich entkräften. Trotz späterer Nennungen als Pfennigmeister ist er allerdings nicht wieder in das Amt eingesetzt worden, behielt aber zeitlebens den Titel. Ab 1592 ist Martin Schnell Vogt des bischöflichen Hofes zu Münster, nach 1596 häufig mit dem Zusatz gewesener fürstlich münsterischer Pfennigmeister.25 Noch 1622 hatte er das Amt des Hausvogtes in Münster (Verwalter des bischöflichen Hofes am Domplatz 1).26 Martin Schnells Todesdatum nach 1628 ist bislang unbekannt.27 An Nachkommen aus seiner spätestens 1589 geschlossenen Ehe mit Anna von Amelunxen28 sind mit Lucia und Eva zwei Töchter bekannt, die in Klöster eintraten. Darüber hinaus können drei weitere Kinder dem Paar zugeordnet werden.29 Die Witwe Schnells lebte noch 1635.30 Anna von Amelunxen war vielfach anstelle ihres Ehe- manns in wichtigen Rechtsgeschäften tätig. Mehrfach handelte sie als Pfenninckmeisterin, so z. B. 1589 oder 1591, als sie anstelle ihres Mannes eine Schatzung quittiert.31 1607 führte sie auch die Verkaufsverhandlungen mit dem Rat der Stadt über das Haus am Prinzipalmarkt.32 Nachdem Schnell schon 1603 sein Elternhaus an den Rat der Stadt Münster als Weinhaus vermietet hatte, verkaufte er es, zusammen mit seiner Frau, im Herbst 1614 diesem für den Neubau des Stadtweinhauses.33 Hierbei wird er als fürstlicher Vogt bezeichnet. Mit seinem Amt als Hofmeister dürfte eine Dienstwohnung im bischöflichen Hof verbunden gewesen sein, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass er in seinen alten Tagen Haus Westerhaus als Dauerwohnung nutzte. Es dürfte nach seinem Tod (zwischen 1628 und 1635) verkauft worden zu sein. Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) Besitz der Familien Mensing und Zur Stegge (um 1625-1680) Als nächster Eigentümer ist der Jurist Melchior Mensing (1580-25. Oktober 1637) nachweisbar.34 Er entstammte einer einflussreichen Familie35 und ist seit 1609 als Geheimer Rat und Vizekanzler des Bischofs von Münster in zahlreichen Münsterischen Urkunden und Aktenvorgängen nachweisbar.36 Er heiratete Mar- garethe von Höfflinger (+ 1635), die 1623 den benachbarten Besitz Hunenborg erbte.37 Vermutlich in diesem Zusammenhang erwarb Melchior Mensing auch das Haus Westerhaus, entweder bereits von dem nach 1628 verstorbenen Martin Schnell oder erst von seiner nach 1635 verstorbenen Witwe.38 Fortan bezeichneten sie sich als Erbgesessene zu Westerhaus und Hunenborg. Melchior Mensing war Sohn des Magisters Peter Mensing, der in Münster zwischen 1550 und 1586 nachweisbar ist.39 Dieser war mit Anna Akolk verheiratet.40 und besaß umfangreichen Grundbesitz im münsterischen Martinikirchspiel. Zwischen 1581 und 1583 kaufte er den als Grael bekannten Besitz in der Neubrückenstraße 4 von Hermann von Kerssenbrock, den er allerdings schon 1591 wieder verkaufte.41 Ebenfalls 1583 erwarb er das Haus Hörsterstraße 6 von der Witwe des Erbmannes Macharius Schenking. Die Witwe war noch 1570 ebenfalls in Besitz eines Hauses in der Neubrückenstraße 58 gewesen. Das Haus wird jedoch wenig später von der Familie Mensing erworben, wohl weil dort schon sein Sohn Melchior Mensing wohnte.42 Das Haus blieb bis 1713 in Besitz der Familie Mensing.43 In den im gleichen Jahr begonnenen Neubau wurde der steinerne Saalbau aus der Zeit um 1580 integriert.44 Melchiors Bruder Johann Mensing (1585-1645 nach- weisbar, verheiratet mit Elisabeth Ricke aus Ahlen) war Osnabrücker Kanzler und kaufte 1641 in der Königstraße 52 einen Besitz mit Steinwerk und jüngerem Vorderhaus. Dieses Gebäude war bis zum Jahre 1778 im Besitz der Nachkommen von Johann Mensing, die einen zweiten Familienzweig bildeten. 1783 ließ der neue Besitzer, der Geh. Rat Clemens August von Ketteier zu Harkotten, einen Neubau errichten, seitdem als „von Kettelerscher Hof" bezeichnet.45 Nach dem Tod Melchior Mensings erscheint dessen Sohn Peter Mensing als Eigentümer in den Unterlagen. Er stand jedoch mit seinen zwei Schwestern Anna Elisabeth und Margarethe Mensing in fortwährenden Auseinandersetzungen über das väterliche Erbe.46 Umstritten war unter anderem die Verlängerung des Pachtvertrags über Haus Westerhaus mit Johann Stroband. Es scheint, als seien auf Veranlassung der Gegenpartei vor 1646 etlich fenster zum Westerhauß so allhie zu Munster gewesen. Das Gutshaus stand zu dieser Zeit also offensichtlich ohne Fensterverglasung, deren Rückbringung Peter Men- sing im Verlauf des Zivilprozesses forderte.47 In dem 1649 verfassten Testament des Peter Mensing, Erbgesessener zum Westerhaus und Hunenborg bestimmte er unter anderem:48 Einen Teil seines Erbes sollte sein Cousin Ernst Hoefflinger zum Brugh- und Osterhauß (Eigentümer der Häuser Brückhausen und Osterhaus in Alverskirchen) erben.49 Hierzu gehörte das Gut Hunenborg.50 Seine zwei weiteren Schwestern, Margarethe Mensing, Ehefrau des Johann Grui- ter zu Uhlenkotten, und Anna Elisabeth Mensing, Ehefrau des Arnold Tegeder, sollten hingegen nur sehr kleine Geldbeträge erhalten. Das Haupterbe mit dem Gut Westerhaus erhielt sein (zu dieser Zeit schon verstorbener) Bruder Lic. Ernst Melchior Mensing, verheiratet mit Anna Catharina zur Stegge.51 Anna Catharina zur Stegge stammte aus einer Offiziersfamilie.52 Ihr Vater war Johann von Gescher, genannt zur Stegge, der 1636 Anna von der Ketten geheiratet hatte.53 Diese war die Tochter des Michael von der Ketten und der Anna von Bielefeld.54 TerStegge ist seit 1633 als Rittmeister und fürstlich-münsterischer Obrist in Münster nachweisbar und scheint 1638 maßgeblich an der Eroberung der Stadt Mep- pen im Niederstift Münster beteiligt gewesen zu sein.55 Er kaufte 1641 zusammen mit seiner Frau ein großes, um 1590 errichtetes Renaissance-Haus auf der Aegidiistraße in Münster,56 starb aber wenig später. 1657 geriet neben anderen auch das Haus der Witwe Anna Zur Stegge bei der Beschießung der Stadt Münster in Brand und war noch 20 Jahre später eine Ruine.57 Witwe Zur Stegge hatte sich zudem schon 1649 bei Melchior Schwerinck so verschuldet, dass dieser 1656 in den Besitz des Hauses an der Aegidiistraße eingewiesen wurde.58 Sie dürfte daher spätestens 1656 in das von ihrem Schwager ererbte Haus Westerhaus gezogen sein, das sie wahrschein- lich fortan permanent bewohnte. Hier verstarb sie auch am 16. Oktober 1661, am gleichen Tag wie ihre Tochter. Erst einige Jahre später ist das Haus in Münster wieder bewohnbar, wird aber nicht von der Familie Zur Stegge genutzt, sondern zunächst an den Juristen Ohmerloh (+ 1690) und dann bis mindestens 1728 an dessen Witwe vermietet.59 Am 2. Februar 1740 verkaufte Dr. Maximilian Heinrich Mensing das Stadthaus schließlich an den Geh. Rat Anton Bernhard von Velen (1698-1767).60 Mitglieder der Familie Zur Stegge haben das Haus Westerhaus wohl seit 1657 über längere Zeit dauerhaft bewohnt. Zahlreiche Taufen und Hochzeiten im Castro Westerhauß6' dokumentieren diese herrschaftliche Wohnfunktion des Hauses. Das Gut blieb wohl Besitz einer Erbengemeinschaft, denn um 1670 befand es sich im Besitz der minderjährigen Kinder des verstorbenen Lieutenants Johann Bernhard zur Stegge sowie der minderjährigen Kinder des ebenfalls verstorbenen Lic. Ernst Melchior Mensing. Die Vormünder beider Parteien verkauften die jeweils von ihnen verwalteten Hälften des Gutes 1670 bzw. 1673 309 310 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 5 1753 wurde der gesamte Besitz des Gutes Haus Westerhaus durch den Vermesser Johann Heinrich Berteling aus Telgte in einem detailliert ausgearbeiteten und kolorierten Plan der zugehörigen Ländereien erfasst (Norden oben). Die Hofstelle liegt ganz rechts mit den umgebenden Ländereien. Die auf der linken Seite (im Westen) befindlichen Ländereien waren den Pachthöfen Hunnenkötter, Pfannenkötter und Nijehäuser zugeteilt. für 2 500 Reichsthaler an Dietrich Heinrich von Ascheberg zu Göttendorf.52 seinen Wohnsitz. Allerdings entsprach der Lebensstil nicht dem Einkommen, sodass die Schulden so anwuchsen, dass Arnold Heinrich Maximilian von Wes- Pachtgut mit adeligen Eigentümern (ab 1670/73) trem und seine Frau Rosina Wilhelmina von zu Göttendorf lebte auf einem Gut, das sich wenige Kilometer weiter südlich am Rand des Kirchortes Rinkerode befand und dürfte in dem Kauf eine Chance zur Erweiterung und Arrondierung seiner Ländereien gesehen haben. Haus Westerhaus dürfte daher seit schuldung das Haus Westerhaus zusammen mit dem Der neue Eigentümer Dietrich Heinrich von Ascheberg diesem Verkauf nicht mehr als herrschaftliche Wohnung genutzt worden sein. Im Jahre 1678 wurde durch den neuen Eigentümer ein Verfahren am Reichskammergericht Wetzlar angestrengt. Er klagte gegen Ferdinand Mensing auf Schadloshaltung.53 Der Kläger leitete dabei seine Ansprüche aus dem Ankauf des halben Gutes Westerhaus von den Erben der Anna von der Ketten her, Witwe des Johann Zur Stegge.54 Über die Tochter des schon 1683 verstorbenen Käufers Dietrich Heinrich von Ascheberg gelang- te das Gut später in den Besitz der Familie von Westrem: Alexandrine Agnes Catharina von Ascheberg heiratete Johann Albert von Westrem zu Gutacker (+12. März 1 691).65 Ihr Sohn Alexander von Westrem ließ sich bis 1704 auf Göttendorf ein neues Herrenhaus errichten, nutzte also weiterhin dieses als Ascheberg zu Göttendorf 1743 wegen ihrer ÜberGut Hunenborg an den münsterschen Domherren Anton Heinrich Hermann von Velen veräußern muss- ten.56 1746 wurde über ihr Gesamtvermögen der Konkurs eröffnet und 1758 schließlich auch das Gut Haus Göttendorf versteigert. Offensichtlich hatte man das Haupthaus von Haus Westerhaus schon seit längerer Zeit nicht mehr gepflegt, denn es war so verfal- len, dass der neue Eigentümer 1748 umfangreiche Reparaturen ausführen lassen musste. 1752 gelangte Gut Westerhaus (mit den zugehörigen Kötterhöfen sowie dem Gut Hunenborg) durch Erbschaft dann an den Freiherren Herrmann Anton Bernhard von Velen,67 der das Gut ebenso wie seine Nachfahren weiterhin verpachtete. Pächter und Bewohner Das Herrenhaus des Gutes Westerhaus wurde nicht von den Eigentümern selbst bewirtschaftet. Es wurde verpachtet, wobei die Pächter wohl auch das Haus kontinuierlich bewohnten. Es ist aber zu erschließen, Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) dass es in der Regel im Sommer temporär auch von der Herrschaft bewohnt wurde. Eine Ausnahme dürfte die Witwe Zur Stegge gewesen sein, die das Haus wohl von 1657 bis zu ihrem Tode 1661 dauerhaft bewohnte, nachdem ihr Haus in der Stadt Münster beschädigt worden war. Auch ihre Erben scheinen das Haus zunächst weiterhin als Dauerwohnung genutzt zu haben, bevor sie das Gut spätestens um 1678 an die Herren von Ascheberg zu Göttendorf verkauften. Seitdem wurde das Haus dann aber durchgehend nur noch von Pächtern bewohnt. Schon 1646 ist der Conductor Johannßen Stroband in Erbstreitigkeiten der Verpächter verwickelt.68 Der 1740 genannte Pächter Johann Werland zahlte 70 Rthl. pro Jahr. Auch 1755 ist Werland als Pächter überliefert, 1761 dann Knop und 1776 wird der ver- storbene Pächter Johann Bernd Heidmann genannt. 1781 erscheint Kellinghoff als Pächter, bis 1798 dann seine Witwe. 1799 folgte Hermann Anton Knopp und 1809 wurde ein Herr Rumphorst als Pächter eingesetzt, nachdem er kurz zuvor die Witwe Knopp geheiratet hatte.69 Der Pächter Rumphorst unterzeichnete auch die Auflistung der zu Westerhaus gehörenden Flurstücke, die 1832 zusammen mit der Urkatasterkarte angefertigt wurde. Zu dieser Zeit gehörten die Kötterhöfe Hunenkötter, Niehus und Panhus allerdings nicht mehr zu den Ländereien des Gutes,70 da sie wohl in Erbpacht ausgegeben waren und damit inzwischen zu Eigentum gewandelt worden waren. Wenig später verkauften die Freiherren von Landsberg-Velen das Gut Westerhaus mit dem Haus und den noch verbliebenen Ländereien an ihren Pächter. Bis 1882 waren dies die Erben Langkamp. In diesem Jahr heiratete die Erbin Katharina Langkamp den Landwirt Hubert Dabbelt.71 Seither befindet sich Haus Westerhaus in Besitz der Familie Dabbelt. Erbe wurde Melchior Dabbelt und danach dessen Sohn Ewald Dabbelt. Umfang und Lage des Hofes und seiner Ländereien Das Gut Haus Westerhaus liegt in der das Kirchspiel Rinkerode nach Norden begrenzenden Bauernschaft Hemmer.72 Die Bauernschaft wird von Süden nach Norden von der historischen Fernstraße von Hamm nach Münster (im frühen 19. Jahrhundert zur Chaussee ausgebaut, heute B 54) durchschnitten und nördlich von einem als Hohe Ward beziehungsweise Davert bezeichneten Waldgebiet begrenzt. Dieses bildet eine natürliche Begrenzung zwischen dem direkten Umland Münsters und den südlich davon gelege- nen Gebieten. Die Bauernschaft Hemmer ist aber auch vom weiter südlich gelegenen Kirchdorf Rinkerode sowie dem etwa gleich weit entfernten Kirchdorf 6 Ausschnitt aus dem 1753 erstellten Plan des Gutes Haus Westerhaus mit der eigentlichen und umgräfteten Gutsanlage. Auf der Insel mittig das Herrenhaus, nördlich davon ein Speicher und östlich eine Scheune. 311 312 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 7 Ansicht des Haupthauses von Südwesten, Zustand 1950. Albersloh durch Waldstücke geschieden. Es kann daher von einer eher späten Besiedlung dieser von Wald und Ödland umschlossenen Fluren ausgegangen werden. Die benachbarten Vollerbenhöfe dieser Bauernschaft finden sich alle schon in den Schatzungslisten von 1498/99.73 Zu diesem Zeitpunkt war das Gebiet daher schon weitgehend erschlossen. Einzelne Höfe finden bereits vor diesem Zeitpunkt in Urkunden ihrer Grundherren Erwähnung. Die frühe Geschichte der Hofstelle selbst wie auch ihr Name bleiben ungeklärt, da sich in den untersuchten Archiven keine Urkunden oder Akten fanden, die in die Zeit vor 1599 zurückreichen und eindeutig zu Haus Westerhaus zugeordnet werden konnten. Die Ländereien der Hofstelle umfassten im 18. Jahrhundert eine geschlossene Fläche, die sich östlich an die alte Fernstraße Hamm-Münster anschloss, wobei die Hofstelle nicht inmitten dieser Ländereien liegt, sondern unmittelbar an ihrem östlichen Rand. Nördlich schlossen sich die Ländereien der Höfe Große Wöstmann (heute Hemmer 42)74 und Lütke Wöstmann (heute Hemmer 53),75 südlich und östlich die Ländereien des Hofes Hofhamm (heute Hemmer 43) an,76 während sich westlich der alten Fernstraße die Hemmer Heide erstreckte.77 Auch an dieser hatte Haus Westerhaus große Anteile. 1753 ließ der neue Eigentümer seinen Besitz erfassen und hierbei durch den Vermesser Johann Heinrich Berteling aus Telgte auch einen bis heute überliefer- ten, detailliert ausgearbeiteten und kolorierten Plan der zugehörigen Ländereien erstellen.78 Hier sind zum Kernbestand die Hofstellen Hunnenkötter, Pfannenkötter und Nijehäuser dargestellt.79 Diese drei Kötter bewirtschafteten zu dieser Zeit den größten Teil der zum Haus Westerhaus gehörenden Ländereien.80 Es ist anzunehmen, dass die Kötter eingesetzt wurden, als man die Landwirtschaft auf dem Gut selber auf einen kleinen Betrieb reduzierte, der nur noch vier Flurstü- cke in unmittelbarer Nachbarschaft umfasste.81 Denkbar ist daher, dass die drei Kötterstellen um oder wenig nach 1657 angelegt wurden, als das Herrenhaus von der Herrschaft zur Dauerwohnung bezogen worden ist und damit der Gesamthof fortan nicht mehr verpachtet werden sollte.82 Weiter gehörten in der Mitte des 18. Jahrhunderts auch verschiedene Kötterstellen in der westlich an die Ländereien anschließenden Hemmerheide zum Gut: Thur, Stiegmann, Vogel, Stalljan, Voss, Witte, Kämper, Griese, Schneider sowie die Zeller Landwehr und Vrojhe83 Haus Westerhaus scheint in der Heide jedoch nicht der einzige Grundherr gewesen zu sein (oder die dortigen Kötterhöfe wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verkauft), denn in den Schatzungslisten von 1802 werden für fünf dieser Kötter in der Bauern- schaft Hemmer/Amt Wolbeck andere Grundherren genannt: bei Griese Gograf Bischopinck; bei Thur, Voss und Vogel die Domkellnerei in Münster und bei Witte das Haus Borg in Rinkerode.84 Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 313 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) BAUBESCHREIBUNG Zur Anlage des Hofes Die Gesamtanlage der wohl im späten 16. Jahrhun- dert in seiner Struktur geschaffenen Gutsanlage lässt sich mithilfe des erhaltenen Plans der zugehörigen Ländereien von 1753 noch gut erfassen. Die wesentlichen hier erkennbaren Strukturen lassen sich noch heute vor Ort nachvollziehen, auch wenn die Gräften inzwischen in Teilen verschüttet worden sind und etwa 100 m westlich des Gutes 1846-1848 die von Süd nach Nord verlaufende Bahnstrecke HammMünster quer durch die Ländereien des Gutes trassiert wurde (hierdurch sind in der Folge die meisten der parallel zum Verlauf der Gräfte, sondern leicht nach Norden verschwenkt und wurde zudem nahe dem zu rekonstruierenden südlichen Gräftenarm gestellt. Möglicherweise kann dieser Befund so gedeutet wer- den, dass das im Kern von 1554/55 stammende Hauptgebäude älter als die Gräftenanlage ist und diese daher erst im Zusammenhang mit dem Ausbau um 1594 gegraben wurde. So wurde 1594 nachweislich auf der Burg des Pfennigmeisters Schnell in Rinkerode gearbeitet, wobei es sich wohl um das Anlegen von Gräften handelte.85 Das Haus weist seinen Wirtschaftsgiebel mit der Torzufahrt zur Diele nach Osten, wobei an dem Ostgiebel im Jahre 1753 seitlich ein kleinerer Bau vorgesetzt historischen Wegeführungen verlegt worden). Kern der Hofanlage war eine längsrechteckige und war, der (nach Vergleichsbeispielen) wohl ein Schwei- einer etwa 10 m breiten Gräfte eingefasst ist (der zu rekonstruierende südliche Graben war schon 1753 nicht mehr vorhanden und verschüttet). Dieser Wassergraben wurde von einem kleinen 1753 und noch kleineres Gebäude, das als Scheune diente. Es wurde wenig später durch einen ein wenig nach Norden verschobenen Neubau ersetzt, der noch heute erhalten versorgt, der den als Zufahrt dienenden west-östlich verlaufenden Weg südlich begleitete. Zwischen dem Weg und der Gräfteninsel zog sich ein heute nicht te. Er wurde durch eine hölzerne Zugbrücke von Norden erschlossen. Vor dem westlichen, zum Wohnteil des Hauses gehörenden Giebel des Hauses befand sich hingegen nach dem Plan von 1753 ein Baumgarten und vor der nördlichen Tür der großen Herdküche der bis heute nachweisbare Hausbrunnen (1753 mit einer Wippe zum Wasserschöpfen dargestellt). Nördlich an der Innenseite der Gräfte stand 1753 noch ein rechtwinklige Fläche von etwa 40 x 90 m, die von heute als Rieth-Graben bezeichneten Bach mit Wasser mehr erhaltener schmaler Hofwald hin (1753 als Busch bezeichnet), durchquert von der Hofzufahrt mit hölzernen Brücken über den Bach und die Gräfte. Zentrales Gebäude auf der Hofinsel ist das bis heute erhaltene Hauptgebäude. Es steht allerdings nicht nestall war. Parallel der Innengrenze des östlichen Arms der Gräfte stand auf dem Plan von 1753 ein ist. Diese Befunde verdeutlichen, dass die östliche Hälfte der Gräfteninsel als Wirtschaftshof dienen soll- 8 Ansicht der nordwestlichen Ecke des Wohnteils von 1595 (d), Zustand 1950 (nach der wohl 1946 durchgeführten Renovierung des Westgiebels). 314 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 9 Querschnitt durch das Gerüst des 1554(d) errichteten Vierständerhallenhauses mit Konstruktion des Dachwerks (Aufmaß: F. Kaspar und A. Böcker, Reinzeichnung I. Frohnert). weiteres kleines Gebäude, das in seiner Stellung zum Haupthaus wohl als Speicher zu rekonstruieren ist. Südlich dieser Hofinsel schloss sich im schrägen Winkel eine weitere, ebenfalls umgräftete Garteninsel an. Die Gräfte zwischen beiden Inseln war allerdings schon 1753 zugeschüttet und einer schlichten Wiese gewichen. Nach mündlicher Tradition vor Ort gab es in der Gräfte zwischen den beiden Inseln am westlichen Ende ehemals eine kleine weitere Insel, die als Kapellenkämpken bezeichnet wurde und als Hinweis auf eine ehemals bestehende Hauskapelle gewertet werden kann. Der Wirtschaftshof wurde seit dem 19. Jahrhundert ausgebaut, wobei an seiner Südseite ein massives Stallgebäude für Schweine entstand und die Scheune des 18. Jahrhunderts nach Zuschüttung der hier vorhandenen Gräfte nach Norden verlängert und 1935 nach Osten verbreitert worden ist. Weitere massive Wirtschaftsgebäude wurden ab 1955 nördlich vor der Gräfte errichtet. Das Haupthaus Das Haupthaus ist ein etwa 34 m langes Gebäude mit west-östlicher Firstlinie, wobei der Wirtschaftsgiebel nach Osten und der Wohnteil des Hauses nach Westen weist. Das Gebäude ist in mehreren Bauphasen errichtet worden, wobei der Kernbau nachträglich sowohl nach Westen wie nach Osten verlängert wurde. Das Haus besteht aus einem Fachwerkgerüst 10 Grundriss des Haupthauses nach Errichtung der massiven 11 Rekonstruktion des wohl 1594 neu errichteten Wirt- Bauteile von Herdküche und Saalkammer 1594 und 1595 schaftsgiebels des Haupthauses (Aufmaß: P. Barthold, Rein- (d). Rekonstruktionsversuch nach Aufnahme durch A. Böcker zeichnung I. Frohnert). und F. Kaspar 1999 (Reinzeichnung I. Frohnert). Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 31 5 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) in Vierständerbauweise mit einem westlich daran neben einem einfach gezapften Hahnenbalken jeweils noch einen hoch sitzenden Kehlbalken (lichte anschließenden steinernen Wohnteil, der in den gleichen Proportionen ausgeführt wurde. Das Dachwerk, das als Sparrendach mit doppelter Kehlbalkenlage ausgeführt ist, zeigt vier verschieden ausgebildete Bereiche, die anhand der bisher vorhandenen dendrochronologischen Daten zwei wesentlichen Bauphasen zugeordnet werden können. Eine baugeschichtliche Untersuchung des Gebäudes und seiner konstruktiven Details sowie seiner Grundrissentwicklung im Inneren war im Inneren wegen des ausgebauten und in Nutzung befindlichen Zustandes bzw. im Äußeren wegen der starken späteren Überarbeitungen einschließlich einer umfassenden Überziehung der Werksteinfronten mit Zementputz um 1946 sowie der im Zuge verschiedener Reparaturen weitgehend erneuerten Fachwerkwände bislang nur in Teilbereichen möglich. schaftsteil mit Längsdiele von fünf Gefachen, sodass (nach Vergleichsbeispielen) zu vermuten ist, dass sich daran eine Flettküche von drei und ein Kammerfach von zwei Gefachen anschloss. Nähere Befunde hierzu konnten bislang nicht gemacht werden. Eine den Außenwänden vergleichbare Ausbildung mit nur einer mittleren Riegelkette besaßen die inneren Längswände der Diele. Sie trennten die beiden mit einer Zwischendecke unterteilten Seitenschiffe (die Deckenbalken sind jeweils in die Ständerpaare eingezapft) mit einer lichten Weite von 2,25 m ab. Zumin- Kernbau (1554d) Der Kernbau umfasste nach den Befunden im Dachwerk ursprünglich mindestens neun Gebinde.86 Wesentliche Teile des tragenden und nach dendrochro- Zwischengeschoss hinter dem Wirtschaftsgiebel eine abgetrennte Kammer gegeben zu haben, wovon eine nach Befunden zu erschließende Fenstergruppe neben dem Torbogen zeugt. nologischer Datierung 1554/55 errichteten Gebäudes sind noch vorhanden und lassen eine Rekonstruktion des ursprünglichen Gerüstes zu: Danach wurde der Fachwerkbau als Längsdielenhaus mit einem Vierständergerüst errichtet. Das Haus erhielt hierbei bei mäßi- gen Abmessungen und bei einer lichten Höhe von 4 m unter den Balken mit 10,90 m eine unterdurchschnittliche Breite, wobei das südliche (linke Seitenschiff) eine lichte Breite von 2 m und das nördliche (rechte Seitenschiff) eine lichte Breite von 1,90 m erhielt. Die Länge des Gebäudes dürfte zunächst etwa 22 m betragen haben. Die Dachbalken liegen auf den Rähmen der vier Ständerreihen und waren im Querverband zu allen vier Ständerreihen durch Kopfbänder gesichert. Das Gerüst ist mit Gefachbreiten von etwa 2 m verzimmert und mit einzelnen Kopfbändern in jedem zweiten Gefach im Längsverband ausgesteift. Die bauzeitlichen Außenwände aus Fachwerk des Kernbaus sind bis auf Teile des Wirtschaftsgiebels nicht mehr erhalten, sodass keine detaillierten Erkenntnisse zur Wandgestaltung und Ausfachung bekannt sind. Der Wirtschaftsgiebel kragte über Hakenbalken bzw. Rähmenden und zweifach geschweiften Knaggen mit Stabprofil dazwischen um etwa 0,55 m recht weit vor, wobei die Wand nur einfach verriegelt wurde. Danach ist im Vergleich mit zeitgleichen Bauten davon auszugehen, dass die sehr großflächigen Gefache mit Lehmflechtwerk ausgefacht waren. Der Torbogen des Wirtschaftsgiebels mit einer lichten Breite von 3,20 m ist wiederverwendet erhalten geblieben. Der Sturzbalken zeigt keine Inschrift. Über dem Hausgerüst erhebt sich ein Sparrendach. Die Sparrenfüße waren ursprünglich offensichtlich in die Balkenköpfe eingezapft. Die Sparrenpaare haben Höhe 3,85 m), der mit langen und leicht geschweiften Kopfbändern zu den Sparren unterstützt wird. Das Giebeldreieck erhielt eine in den Giebelsparren eingenutete Verbohlung. Das Gebäude umfasste offensichtlich einen Wirt- dest im nördlichen Seitenschiff scheint es im Östliche Erweiterung (um 1594?) Nachträglich wurde der bestehende Wirtschaftsteil in den vorhandenen Proportionen um 4,40 m nach Osten verlängert. Hierbei wurden der Wirtschaftsgiebel des Hauses verschoben und die Fachwerkkonstruktion mit zwei weiteren Gefachen fortgeführt. Die Dachkonstruktion wurde um drei Sparrenpaare er- gänzt, wobei diese weder Kopfbänder unter dem unteren Kehlbalken noch Abbundzeichen erhielten.87 Die konstruktive Ähnlichkeit mit dem Kerngerüst lässt vermuten,88 dass die Verlängerung noch im 16. Jahrhundert und damit möglicherweise etwa zur gleichen Zeit wie die Erneuerung des Wohnteiles um 1595 erfolgte.89 Ziel der Baumaßnahme war offensichtlich die Vergrößerung der Stallkapazitäten. Westlicher Wohnteil (von 1594 und 1595d) Nach dendrochronologischer Datierung erhielt das Gebäude zwischen 1594 und 1596 anstelle des bis- lang vorhandenen Wohnendes aus Fachwerk mit einer Länge von etwa 10 m oder wohl 5 Gefachen einen großzügigen und massiven Neubauteil. Dieser erhielt eine Länge von 16,5 m, wodurch das gesamte Haus (wenn zu dieser Zeit auch die östliche Verlän- gerung des Wirtschaftsteils schon bestand) fortan eine Gesamtlänge von fast 34 m aufweist. Der neue Wohnteil mit steinernen Umfassungswänden besteht aus zwei unterschiedlichen und offensichtlich nacheinander errichteten Bereichen. Das erkennbare Gesamtkonzept lässt allerdings darauf schließen, dass schon zu Beginn ein Plan für die gesamte Baumaßnahme vorhanden war. So erhielt der gesamte Neubau eine bemerkenswerte einheitliche Fassade. 316 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Die senkrechten Streifen enden allerdings nicht auf dem Sockel, sondern schon etwas höher auf einem waagerechten, als Brüstung der Küchenfenster bzw. als Sturz der Kellerfenster ausgebildeten Band. Unter den senkrechten Bändern wurden (in der Art von Konsolen) unterhalb der Fensterbrüstungen jeweils Diamantquader aus Sandstein gesetzt. Oberhalb der Küchenfenster ist ein ebenfalls aus Sandstein gefertig- ter halbrunder Bogen mit einem weiteren Diamant- quader im Feld aufgesetzt. Über den entsprechenden Fenstern der Saalkammerfenster gibt es keine solchen Bögen, da sie bis nahe unter der Traufe reichen. An beiden Traufwänden gibt es eine Tür, deren Gewände breiter ist und zudem stärker aus der Fassadenfläche hervortritt (möglicherweise deutet dieser Befund darauf hin, dass hier die weitere Ausarbeitung mit plasti- schem Dekor vorgesehen war). Zu einer ehemals möglicherweise vorhandenen farbigen Gestaltung der Fassade konnten keine Befunde ermittelt werden. Die Fassadenausbildung mit farbigen, aus rotem 12 Südwand der großen Herdküche von 1594 (d) (Zustand 1999). Fassadengestaltung Die Umfassungswände wurden massiv ausgeführt (das wohl seit 1946 nicht mehr erhaltene Dreieck des westlichen Giebels war allerdings vorkragend in Fachwerk): Über einem Sockel aus scholligem, wohl örtlich gewonnenen Bruchstein bestehen die Wände aus sorgsam aufgemauertem Backsteinmauerwerk, wobei in dieses ein aufwändiges Dekorationssystem aus Werkstein eingebunden ist: Es handelt sich aus sorgsam allseitig behauene und an der Oberfläche scharrierte Sandsteinblöcke, die man so versetzte, dass sie etwa 5 cm aus der Wandfläche vorstehend, durchgehende senkrechte und waagerechte Bänder auf der Fassade bilden. Die hierdurch geschaffenen Felder des nahezu gleichförmigen Rasters waren ent- weder mit Backstein geschlossen und dann offensichtlich verputzt oder aber als Fensterflächen ausgebildet. Backstein und gelben Sandstein gebildeten Flächen und Streifen ist in der Form der sogenannten Specklagen zwar schon um 1400 aus bautechnischen Gründen entwickelt worden, wurde aber in dem Jahrhundert nach der Mitte des 16. Jahrhunderts insbesondere im niederländischen Raum zu einem bewussten Gestaltungsmittel.90 Im Münsterland blieb die Fassadengestaltung mit Specklagen allerdings auf wenige besondere Bauten im Gebiet rund um die Baumberge mit dem dort vorkommenden hellgelben Sandstein beschränkt.91 Diese sich aus der Gestaltung ergebende Wirkung der Wände gehört ebenso wie auch der zur gleichen Zeit an Bauten anderer Regionen nachweisbare Streifenputz, die ornamentale Verwendung unterschiedlich gefärbter Backsteine oder die plastischen gemauerten Rautenmuster an den Bauten der sog. Lipperenaissance zu den Stilmitteln des Manierismus: Der horror vacui - die Scheu vor der leeren, ungestalteten Fläche - bestimmte das Bild und vermittelte zugleich den Eindruck von Pracht und Aufwand. Zwar steht die für Westerhaus gewählte spezielle Art der Gestaltung in der Tradition dieser plastischen und reichhaltigen Wandgliederungen, doch sind direkte Vergleiche zu weiteren Bauten der Zeit in der Region nur schwer zu ziehen.92 Hier sind vor allem Bauten der heute durch die architekturgeschichtliche Forschung als „Lipperenaissance" bezeichnende Gestaltungsform zu nennen. Allerdings unterscheiden sich diese Fassaden von denen des Hauses Westerhaus dadurch, dass man die Gliederung nicht aus Backstein fertigte und anschließend verputzte und/oder farbig gestalte- te, sondern aus Werkstein erstellte. Die größte Verwandtschaft zeigen durch die hier ebenfalls verwendeten Werksteinbänder die Fassaden von Haus Geist bei Oelde. Dieses im Wesentlichen zwischen 1560 und 1567 errichtete Herrenhaus geht auf den bedeutenden Steinhauer-Meister Laurentz von Bra- Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) chum (Anfang 16. Jahrhundert-1586) zurück.93 Dieser war auch für einige weitere reiche Fassadengestaltungen verantwortlich, die zwischen 1560 und 1570 im südlichen Teil des Münsterlands verwirklicht wurden.94 Mummenhoff wies 1961 darauf hin, dass diese spezifische Form opulenter Fassadengestaltung im Münsterland offensichtlich nicht den Vorstellungen breiter Kreise entsprach und daher weder größere Verbreitung noch Nachfolge fand. Hierbei ging es nicht um fehlende Fähigkeiten der in der Region vorhandenen Handwerker oder die finanziellen Möglichkeiten der Auftraggeber. Vielmehr bevorzugte man im Münsterland bei Neubauten weiterhin eine stilistische Haltung, die auf möglichst klaren und struktiv durch- gebildeten Fassaden beruhte.95 Der Wohnteil von Haus Westerhaus wurde erst etwa 30 Jahre nach den großen Schlossbauten des Laurenz von Brachum errichtet, wobei ihr Baumeister zu dieser Zeit schon einige Jahre verstorben war. So ist zu ver- muten, dass es sich bei der für Haus Westerhaus gewählten Fassadengestaltung um eine dem inzwischen herrschenden Zeitgeschmack entsprechende Übersetzung der schon länger bestehenden Fassaden großer Renaissancebauten im südlichen Münsterland in spezifisch strengere Formen vor dem Hintergrund der niederländischen Mode der Specklagen handelt. Hierbei reduzierte man die die Fassaden überziehende 13 Nordseite der 1594 errichteten großen Flettküche, Zu- stand um 1910. Auf dieser Aufnahme sind die auf die Bauzeit zurückgehende feststehende Bleiverglasung der hohen Fenster, Türblatt und Hausbrunnen noch erhalten. Die Gewände der Öffnungen und die die Wände gliedernden Bänder sind aus Sandstein. Gestaltung auf ihre reine Gliederung, auch wenn sie weiterhin vollständig aus Werksteinen erstellt wurde. Dass dies sogar im Unterschied zu vielen der weiteren bekannten Bauten geschah (hier sind die plastisch auf der Front vortretenden gliedernden Bänder zumeist aus Backstein gemauert und wurden wohl durch Verputz als Werkstein gestaltet), dürfte damit Zusammenhängen, dass die Baustelle nur in einer besonders kurzen Distanz zu den Steinbrüchen der Baumberge lag. Ob man für die Konzeptionierung und Ausführung dieser Fassaden einen besonders ausgewiesenen Baumeister bemühte oder dieses Konzept von einem Maurermeister zusammen mit den Steinhauermeistern aus den Baumbergen verwirklichte, die die zumeist schon mehr oder weniger zugerichteten Werksteine lieferten, entzieht sich unserer Kenntnis. Die für den Wohnteil von Haus Westerhaus gewählte Art der Fassadengestaltung vereint also verschiedene Elemente: Die plastische Gestaltung der Lipperenais- sance wurde mit dem sich aus den verwendeten Materialien ergebenden Farbspiel der Specklagen ver- bunden. Die Lösung fällt insbesondere durch die strenge und rasterförmig durchgeführte, durch die Schattenwirkung noch unterstrichene Gliederung durch die hervortretenden Werksteinbänder auf, wobei man kaum Bildhauerarbeiten verwendete. Zumin- dest nach der Kenntnis des noch überlieferten Baubestandes hat man dem Haus Westerhaus damit 14 Blick in die nordwestliche Ecke der großen Küchendiele. Die um 1910 entstandene Aufnahme zeigt ein auf die Bauzeit 1594 zurückgehendes Türblatt und die feststehende Bleiverglasung der hohen Fenster. 317 318 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 15 Sparrendach von 1594 d über der Herdküche mit Kopfbändern unter der unteren Kehlbalkenlage (Zustand 1999). trotz aller Anpassung der Renaissancefassade an regionale Traditionen eine eigenständige Gestaltung gegeben, die in ihrer spezifischen Ausgestaltung ohne unmittelbaren Vergleich ist. Es ist zu vermuten, dass gerade dies das erklärte Ziel und der besondere Wunsch des Bauherren Pfennigmeister Martin Schnell aus Münster war. Erster Abschnitt: Die Flettküche Die Spuren eines Giebeldreiecks an dem Sparrenpaar über der heutigen Herdwand lassen ebenso wie wei- tere Befunde und die Daten der dendrochronologischen Datierungen auf zwei Bauphasen schließen, die allerdings wohl in nur kurzem Abstand von einem Jahr ausgeführt wurden: Zunächst errichtete man 1594 im Anschluss an den bestehen gebliebenen Wirtschaftsteil von Fachwerk einen nicht unterkellerten Küchenbereich. Hiermit korrespondieren im Dach die Sparrengebinde 12-16, die hochsitzende und von nur kurzen Kopfbändern gestützte Kehlbalken erhielten. Die Abbundzeichen dieses Dachabschnitts zeigen die Ziffern V bis II.96 Das westlich des Kaminblocks ste- hende Sparrengebinde zeigt Spuren einer hieran ehemals befestigten Giebelverbretterung. Dieser im unte- ren Bereich durch die Herdwand abgeschlossene Bauabschnitt wurde also für den Winter mit einem provisorischen Giebeldreieck gegen Westwind und Regen geschlossen. Der Neubau erhielt auf drei Seiten massive Umfassungswände und wurde stumpf vor das letzte erhaltene Gebinde des Wirtschaftsteils gestellt. Gegen diesen ist er wohl mit einer geschlossenen Fachwerkwand abgetrennt worden. Im Inneren bestand dieser Bauteil nur aus einem ungeteilten und hausbreiten Raum mit offener Balkendecke, der mit einer Grundfläche von etwa 67 qm (6,70x10 m) als großzügige Herdküche diente. In Verlängerung der beiden Dielenseitenwände sind die jeweils drei offenen Dachbalken von Luchtbalken unterstützt. Diese haben an ihren beiden Enden Kopfbänder, die bei einer Höhe von 1 m auf der Stirn mit einem doppelten Karnisprofil versehen wurden, jeweils unten und oben begleitet von waagerechten Stäben. Die beiden massiven Seitenwände der Herdküche sind durch Bogenstellungen unabhängig von dem Abstand der Dachbalken in drei Nischen unterteilt, von denen jeweils die östliche mit einer Seitentür und mit Fenster darüber und die anderen mit großformatigen Fenstern verschlossen wurden. Sie belichten den Raum ausreichend. Einen Eindruck von dem ursprünglichen (heute durch junge Einbauten und eine abgehängte Decke stark veränderten) Charakter der Küche vermittelt noch eine vor 1913 aufgenommene und mehrmals publizierte Fotografie der nordwestlichen Raumhälfte:97 Der mit quadratischen und diagonal verlegten Sandsteinplatten ausgelegte Raum mit dunkler Balkendecke erhielt sein Licht über die hohen, mit Bleiverglasung verschlossenen Seitenfenster. Deren Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) feststehende Verglasung besteht aus kleinen hochrechteckigen Scheiben von weißem und nicht bemaltem Glas, wobei die meisten der Felder in den beiden oberen Reihen in ihrer Mitte durch eine größere und über Eck gestellte Scheibe akzentuiert sind. Auch hier ist eine Bemalung nicht erkennbar, doch bauzeitlich nach Vergleichsbeispielen mit Wappen naheliegend. Die untere Reihe der drei jeweils übereinander befind- lichen Fensterfelder konnte ehemals zudem von Außen mit in Nuten der Sandsteingewände schlagenden Läden verschlossen werden; die obere Reihe war durch jeweils zwei senkrecht in die Sandsteingewände eingelassene Eisenstangen gegen Einbruch gesichert. Die westliche Abschlusswand der Küche erhielt nur eine Stärke von 0,30 m (ein Stein breit), wobei man in ihrer Mitte unter dem First eine große Feuerstelle inte- grierte (ihre Ausbildung ist nicht bekannt, da man 1882 an dieser Stelle ein neues Herdfeuer mit großem hölzernen Bosen (Rauchfang) schuf.98 Weitere Details der ursprünglichen Ausstattung sind nicht mehr erhal- ten: Zwei wohl zum ursprünglichen Baubestand gehörende, aufwändig gestaltete Türblätter (als zwei weitere solche Fenster (dazwischen dürfte sich eine Tür zum Garten befunden haben, die noch 1758 als hinterste Tür genannt wurde, vielleicht auch noch ein Abort). Der Saal erhielt ebenfalls eine Balkendecke; ob diese unverputzt, bemalt oder stuckiert war, ist nicht bekannt. Da dieser Bereich heute ausge- baut und bewohnt ist, konnte er baugeschichtlich nicht weiter untersucht werden. So bleibt auch unbekannt, ob eine Feuerstelle in der östlichen Trennwand vorhanden und wie diese gestaltet war. Reparaturen 1758 1758 wurde nach einer erhaltenen Abrechnung eine Reparation zu Westerhues durchgeführt.100 Der Zimmermeister Becker rechnete hierbei einschließlich Material und Arbeiten insgesamt 57 Rthl. ab. Er erneuerte eine sohle vom Hause in der Länge von 80 Fuß (etwa 26 m), wobei anschließend das hause wieder gerade zu schrauben war und 500 Backsteine zur Ausmauerung der viehemauren benötigt wurden. Daraus ist zu erschließen, dass der Wirtschaftsteil des Rahmenwerk mit fünf Füllungen und den für diese Zeit charakteristischen Abfasungen ausgeführt) haben sich in Zweitverwendung noch im Keller des Hauses erhalten. Auf der vor 1913 aufgenommenen Fotogra- fie befand sich ein entsprechendes Blatt auch noch am Zugang zur Saalkammer, der in dieser Form allerdings ebenfalls auf einen jüngeren Umbau in diesem Bereich zurückging. Zweiter Abschnitt: Der Wohnsaal In einem zweiten Abschnitt wurde 1595 in weiterer westlicher Verlängerung ein neuer Wohnteil in der Form eines unterkellerten Kammerfaches errichtet. Die Baumaßnahmen dürften wohl mit ihrem Innenausbau erst 1596 abgeschlossen worden sein. Befunde der Dachkonstruktion lassen erkennen, dass dieser Bauteil selbstständig errichtet wurde: In diesem Bereich haben die Sparrenpaare nur einen tief liegenden Kehlbalken und sind von Ost nach West getrennt durchnummeriert.99 Auch dieser Bauteil umfasste offensichtlich zunächst nur einen sehr großen Raum von 80 qm (8x10 m), der als Wohnsaal bezeichnet werden kann (er wurde 1758 als [Saal-]Cammer bezeichnet) und daher als herrschaftlicher Wohnbereich dienen sollte. Darunter legte man einen halb eingetieften Keller mit Balkendecke über einem mittleren Längsunterzug an (der darauf liegende Boden aus Eichendielen wurde 1758 erneuert). Sowohl Saalkammer wie auch der Keller erhielten ihren Zugang von der Herdküche über kurze Treppen, die man nebeneinander auf der Nordseite zwischen der Herdstelle und der nördlichen Traufwand anlegte. Der Saal erhielt eine umfassende Befensterung: In seinen beiden Längswänden schuf man jeweils vier Kreuz- stockfenster und in der westlichen Giebelfront wohl 16 Türblatt aus dem herrschaftlichen Wohnteil von 1595, heute in Zweitverwendung im Keller genutzt. 319 320 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 17 Gusseiserne Platte der Zeit um 1600, ehemals wohl Teil eines Ofens oder als Rückwand der Herdstelle genutzt. Heute in die mehrmals veränderte Herdstelle des Hauses von 1882 eingemauert (Zustand 2013). Hauses zu dieser Zeit aus älteren, zu reparierenden Fachwerkwänden mit Backsteinausmauerung bestand und dessen Umfassungswände durchgängig neue Schwellen erhielten. Auch in dem massiven Wohnteil des Hauses wurden zur gleichen Zeit Teile des Innenausbaus erneuert. Die Arbeiten deuten ebenfalls auf einen offenbar zuvor bestehenden Verfall des Hauses hin. Es wurde abge- rechnet: Auf die cammer eine neue Dielung von Brettern, die hinterste thür für dem Haus, noch 2 thü- ren an der küche und zwey fenster rahmen an der kuche, so mursche sein in den Maßen 3 3/4 Fuß lang und 2 1/4 Fuß breit. 321 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) Veränderungen seit dem 19. Jahrhundert Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die Stallungen im südlichen (linken) Seitenschiff durch Vorschieben der Dielenwand verbreitert. Die verbleibende Diele erhielt zudem einen Bodenbelag aus großformatigen Sandsteinplatten. Möglicherweise gehen diese Bau- maßnahmen auf das Jahr 1882 zurück, da man in die- sem Jahr anlässlich einer Eheschließung auch das Herdfeuer erneuert hat. 1908 errichtete der Zimmermeister Heinrich Horstköt- ter101 entlang der nördlichen Traufwand ein größeres Wirtschaftsgebäude aus Fachwerk.102 Es wurde mit Backsteinen ausgefacht und erhielt ein parallel zum Altbau ausgebildetes Satteldach mit Pfanneneinde- ckung. Das Gebäude wurde im Bauantrag zwar schlicht als „Backhaus" bezeichnet, nahm aber neben Backkammer mit Backofen am westlichen Ende am östlichen Ende auch Pferdeställe und in der Mitte vor allem einen großen Göpelraum auf. Dieser Anbau wurde 1984 wegen Baufälligkeit abgebrochen. Wohl zugleich mit dem Bau des „Backhauses" wurde die Gestalt des Wirtschaftsgiebels erneut verändert und dem anschließenden Neubau angepasst. Die das ver- bretterte Giebeldreieck tragenden, vorkragenden giebels hat man auch die linke Traufwand unter Zweitverwendung alter Bauhölzer (Riegel und Ständer) neu aufgerichtet.103 Nach mündlicher Tradition wurden die alten bleiverglasten Fenster der großen Küche um 1930 durch einen Sturmregen mit Hagelschlag vernichtet. Sie wurden durch große Scheiben in Holzzargen ersetzt. Der Wohnteil soll um 1946 modernisiert worden sein. Hierbei hat man das Giebeldreieck des Westgiebels massiv aufgemauert, sodass die Arbeiten wohl auf die Schaffung einer Notwohnung für Flüchtlinge oder ausgebombte Bürger aus Münster im Dachgeschoss zurückgeht. Im Zuge dieser Baumaßnahmen hat man Teile der Werksteinfronten des Wohnteils mit Zementputz überzogen. Weitere Modernisierungen können bislang nicht datiert werden. Hierzu gehört die Schaffung der heute bestehenden kleinteiligen Aufteilung des Wohnteils, verbunden mit abgehängten Decken. Im Jahre 2000 wurde das Gebäude mit öffentlicher Förderung instand gesetzt. Hierbei wurde das Dach statt der bislang vorhandenen handgestrichenen Hohlpfannen mit Falzpfannen eingedeckt. Knaggen wurden aufgegeben und unter Verwendung des alten Torbogens eine neue vorgeschobene Giebelwand in der Ebene des Giebeldreiecks errichtet. Zeitgleich mit dieser Neugestaltung des Wirtschafts- 18 Plan des Zimmermeisters Horstkötter von 1908 zur Errichtung des nördlichen, als Backhaus bezeichneten und an den Wirtschaftsteil des Bauernhauses angefügten Anbaus mit einer Göpelhalle. 322 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 19 Ansicht der im späteren 18. Jahrhundert errichteten Scheune von Südwesten. Das Gebäude wurde im 19. Jahrhundert nach Norden verlängert und 1925 dann auch rückwärtig erweitert (Zustand 2013). Die Scheune (Ende 18. Jahrhundert) Der Fachwerkbau wurde mit der östlichen Längswand parallel zur Innenseite der östlichen Gräfte errichtet und später nach Norden erweitert sowie mehrmals in Ausfachung und Dacheindeckung und innerer Aufteilung modernisiert. Die ursprüngliche Gestalt ist allerdings in den wesentlichen Strukturen noch zu erkennen: Das Gerüst über einer Grundfläche von 8,80x7,95 m erhielt fünf Gebinde und eingehälste Balken, zweifach verriegelte Wände und ist im Wandverband mit Ständer-Ständer-Streben unterschiedlicher Gestalt ausgesteift.104 Das Gerüst wurde ohne Schwelle über einem gemauerten Sockel ver- zimmert. Die Ausfachung mit Backstein ist erneuert. In beiden Giebelfronten bestehen Toreinfahrten, wobei diese ohne Torbalken blieben.105 Die beiden Giebeldreiecke kragen leicht über Konsolknaggen und Balkenüberstand vor und sind verbrettert (zu deren Halterung ist das Giebeldreieck mit einer Hochsäule und zwei Riegelketten verzimmert). Die konstruktiven Details lassen auf eine Errichtung im späteren 18. Jahrhundert schließen. Das Innere wurde von einer Längswand bestimmt, die östlich eine schmalere Zone mit verschiedenen Räumen von der breiteren Durchfahrtsdiele auf der Hofseite abtrennt. Die heute nur noch teilweise erhal- 20 Bestandsaufnahme der im späteren 18. Jahrhundert errichteten Scheune: Ansicht von Südgiebel und westlicher Traufwand sowie Querschnitt und Grundriss (Bauaufnahme Barthold 1999, Rekonstruktion I. Frohnert 2013). Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) 21 Plan von 1935 zur Erweiterung der Scheune. tene Längswand war ebenfalls zweifach verriegelt und lässt zwei nebeneinander befindliche Räume von jeweils zwei Gefachen Breite erkennen: Der südliche war von der Diele abgeschlossen, der nördliche als Lucht zur Diele geöffnet (Wandrähm mit Kopfbändern zu den Ständern gesichert). In der südwestlichen Ecke der Diele war neben dem Tor ein weiterer mit einer Grundfläche von 2x1,15 m sehr kleiner Raum nicht bekannter Funktion abgetrennt (als Abkleidung einer Treppe zum Dachboden?). Im späteren 19. Jahrhundert wurde die Scheune nach Norden verlängert, wobei man den alten Nordgiebel verschob und dahinter neue Gebinde einfügte. 1935 errichtete man entlang der östlichen Traufwand einen weiteren schmalen Anbau mit angeschlepptem Dach.106 Ergebnisse Das Hauptgebäude des Gutes Haus Westerhaus wurde 1554 (d) als ein Vierständer-Bauernhaus mit Längsdiele errichtet und bis 1596 durch Um- und Anbauten zu einem Längsdielenhaus eines freien Pachthofes mit ungewöhnlich großem Wohnteil entwickelt. Dieser erhielt massive Umfassungswände mit reicher Fassadengestaltung und dokumentierte sich so als herrschaftliche Sommerwohnung. Diese Nutzung durch die in Münster lebenden Besitzer ist auch durch Quellen belegt. Trotz der Größe umfasste dieser Wohnteil allerdings nur zwei Räume: die große von der Pächterfamilie genutzte Herdküche und eine weitläufige Saalkammer mit anschließendem Garten. Nur diese dürfte der Nutzung durch die Verpächter Vorbehalten gewesen sein. Wo sich die Wohnräume der das Haus dauernd bewohnenden Pächterfamilie befanden, konnte nicht geklärt werden. Sie befanden sich aber nicht - wie durch Vergleichsbeispiele belegbar seitlich der hohen Küche, da diese in diesem Fall die gesamte Hausbreite einnimmt. Daher ist zu vermuten, dass sich diese Wohnräume von Anfang an im Bereich zwischen der Küche und den Stallungen in den beiden Seitenschiffen befanden. Noch heute sind hier die Wohnräume in den verbreiterten Seitenschiffen un- tergebracht, wobei es allerdings im Zuge dieser Untersuchung nicht möglich war, diese Räume in ihrer baulichen Entwicklung detaillierter zu erfassen. 323 324 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen hausen: Bestand Mensing, Akten; Archiv Frhr. von Ketteler- 1 Diese historisch bedeutende Fotografie zeigt die nördliche Längswand des Wohnteils und hat sich im Bildarchiv der Harkotten I, Bestand Möllenbeck, Akten. Wertvolle Hinweise sind Karl-Heinz Kirchhoff in Münster zu LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur erhalten. verdanken, der im Jahre 2000 Auszüge aus dem in Bear- 2 Albert Ludorff, Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises beitung befindlichen Häuserbuch der Stadt Münster zur Ver- Münster-Land. Münster 1897, S. 146. fügung stellte. Ebenso ist Clemens Steinbicker zu danken, 3 Wilhelm Lindner, Die bäuerliche Wohnkultur in der Provinz dessen Aufzeichnungen aus den Kirchenbüchern in Münster Westfalen und ihren nördlichen Grenzgebieten, in: Engelbert und Rinkerode verwendet werden konnten. von Kerkerinck zur Borg (Hg.), Beiträge zur Geschichte des westfälischen Bauernstandes. Berlin 1912, S. 635-840, hier 13 Ein Zusammenhang mit dem nur wenig weiter östlich in S. 780-781 (mit zwei Abbildungen, die vom Freifräulein von Kerckerinck zur Borg angefertigt wurden). der zum Kirchspiel Albersloh gehörenden Bauernschaft Alst liegenden Gut Westerhaus konnte nicht nachgewiesen werden. Dieses war im 14. und 15. Jahrhundert ein Lehen des 4 Richard Klapheck, Die Meister von Schloß Horst im Broi- Bischofs von Münster. 1348 wird statt Johann Travelmann che. Düsseldorf 191 5, S. 244-246 (mit zwei Abbildungen). 5 Es diente als Vergleich für das Haus Ägidiistraße 62 in nun Johann Stevening aus Münster mit dem Gut parva Westerhus belehnt (LA NW, Abt. MS Gesamtarchiv von Münster (Max Geisberg, Bau- und Kunstdenkmäler von Landsberg-Velen (Dep.), Velen - Urkunden, Nr. 4) und scheint Westfalen. Bd. 41: Die Stadt Münster, Teil III. Münster 1934, später seine Nachfolge in dem grundherrlich gebundenen S. 230. Nach Geisberg ist diese Einzelform vor allem in Bremen und Dänemark oft nachzuweisen. Hof Westermann gefunden zu haben (Martina Bäcker: 1171-1996. 825 Jahre Albersloh. Sendenhorst 1996, S. 6 Er kannte das Haus seit spätestens 1950, wie einige von 137). Den Neubau des bäuerlichen Anwesens könnte Jo- ihm angefertigte und in dieses Jahr datierte Fotografien der hann Verendorp veranlasst haben, der 1592 zusammen mit Werksteinfronten im Bildarchiv der LWL-Denkmalpflege, seiner Frau das Gut verkaufte (hierzu weiter unten). Landschafts- und Baukultur in Westfalen belegen. 14 LA NW, Abt. MS, RKG S 989 Bd. 1 BI. 114-115 Abschrift 7 Karl-Eugen Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 299-300. des Kaufvertrags von 1592 zur Vorlage beim Reichskam- 8 Axel Böcker (jetzt Saarbrücken) übernahm federführend die Darstellung der Familiengeschichte, Peter Barthold die Dokumentation der Baubefunde vor Ort und Fred Kaspar die mergericht im Verfahren von 1596. Der Verkäufer Johann Verendorp (1519-1592) war ein angesehener münsterischer Bürger, der in der Martinileischaft am Hörsterberg wohnte. Er war Ziegelherr (1574), Bierherr (1576, 1579-1582), Hospi- Darstellung der baugeschichtlichen Ergebnisse. talherr (1 594) sowie Gruetherr (1586-1592). Sein Vermögen 9 Probenentnahme durch Peter Barthold. Gutachten vom umfasste etwa 4 000 Rthl. (R. Po-chia Hsia, Society and Reli- 10. März 1999 und 7. Juli 1999 durch das Büro Tisje, Neu- gion in Münster, 1535-1618. New Haven 1984, S. 250, Nr. 143). Aus seinem Vermögen, das er zusammen mit seiner Isenburg. Die Datierungen im Einzelnen: 1554/55 Dachwerk, Südseite, 10. Sparren von Osten 1553/54 Torbogen, südlicher Ständer 1554 +-1 Dachwerk, Nordseite, 11. Sparren von Osten (zweitverwendet) 1554/55 Dachwerk, Südseite, 12. Sparren von Westen (BZ Illi) Frühjahr 1594 Kopfband unter dem Luchtbalken 1587 +-6 Kopfband unter dem Luchtbalken 1593 +-1 Dachwerk, Südseite, 9. Sparren von Westen (BZ III) 1 594 +-1 Dachwerk, Südseite, 8. Sparren von Westen (BZ II) 1594/95 Dachwerk, Südseite, 4. Sparren von Westen (BZ III) 1591 +-8 Dachwerk, Nordseite, 2. Sparren von Westen 10 Hier konnte allerdings bei der dendrochronologischen Datierung kein Ergebnis erzielt werden. 11 Durchgeführt von Axel Böcker. Die Überlieferung des 18. und 19. Jahrhundert durch Fred Kaspar. 12 Insbesondere wurden folgende Bestände ausgewertet: im Stadtarchiv Münster (STaMS): Gerichtsarchiv, Akten (nach Frau gestiftet hatte, wurde 1592 nach seinem Tod das Waisenhaus am Wegesende gegründet, von dem umfangreiches Archivgut im Stadtarchiv Münster überliefert ist. 15 LA NW, Abt. MS. RKG K 1117/ (diese Akten wurden nicht detailliert ausgewertet!). 16 STaMS, Gerichtsarchiv Acta Criminalia Nr. 103, Nr. 6 vom 08.12.1594. S. auch Anm. 86. 17 STaMS, KuR 36 vom 2. Juni 1599: Joh. Lütke Woestmann besaß die Hofstelle als Eigenhöriger des münsterischen Erb- manns Rudolph (Roleff) von der Tinnen zum Kaldenhoff (1540-1612/14). Mit der Vermessung werden Johann Schul- te Pröbsting zu Rinkerode, Reinhold Brennsmann und Melchior Veldmann beauftragt. Weiterführende Personendaten zu von der Tinnen bei Gerd Dethlefs, Rudolph von der Tinnen (1612-1702), in: Dreihundert Jahre Stiftung Rudolph von der Tinnen. Münster 1988, S. 15-73. Der Grundstücks- tausch wurde am 20. März 1600 durch ein Protokoll abgeschlossen, das vermutlich unmittelbar nach der Vermessung durch die im Vertrag von 1599 benannten Nachbarn ange- Namenskartei Gerichtsarchiv). - Im Landesarchiv Nordrhein- fertigt wurde (Archiv Frhr. v. Ketteler-Harkotten. Best. Möl- Westfalen, Abteilung Münster (LA NW, Abt. MS): Reichskammergericht (RKG); Dep. Archiv Landsberg-Velen, Bestand Westerhaus; Dep. Altertumsverein Münster, Familien- der fürstlichen Pfennigkammer vor, deren Aufgabe es war, archiv Mensing; Manuskripte MSCR VI, Nr. 254: Stammtafel Mensing. - Aus Privatarchiven wurden genutzt: Archiv Brück- lenbeck. Akten 237). 18 STaMS, Gerichtsarchiv, c.d. 80 Der Pfennigmeister stand die Einnahmen und Ausgaben des Landesherren aus allge- meinen Landsteuern (Schatzungen) zu verwalten. Weiter- Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) mer der Kirchenprovinz Köln (= Germania Sacra NF. 37, 4). 1631 (Kohl 2004, wie Anm. 18, S. 200. Zu Morrien auch: Helmut Lahrkamp, Über Münsters Protestanten im konfessionellen Zeitalter (1560-1620), in: Westf. Zeitschrift, Bd. Das Bistum Münster. Bd. 7, 4. Die Diözese. New York-Berlin 142. Münster 1992, S. 139). 2004, S. 200-201. 19 Karl-Heinz Kirchhoff: Häuserbuch der Stadt Münster. Bd. 24 LA NW, Abt. MS, RKG S 989. 1 Prinzipalmarkt. Münster 2001, S.82-84. Weitere Daten nach STaMS, Namenkartei Gerichtsarchiv bzw. Georg Kette- Urkunden 251 (1600), STaMS, Gerichtsarchiv, KuR 76 (1607); c.civ.l. 72 (1613); Scab II. 56 (1615); c.civ.l 237 ler, Die Catharinen-Bruderschaft an St. Lamberti in Münster (1629-1631). von 1330. Münster 1993, S. 79 und 91. Die münstersche 26 Kirchhoff 2001 (wie Anm. 19), S. 82. Am Domplatz 1 Familie Schnell führte das gleiche Wappen wie die kölnische befand sich auch die Pfennigmeisterei. Bürgerfamilie Snellen oder Snelle. (Anton Fahne, Geschichte 27 Er wird zusammen mit seiner Frau noch 1618 als Gläu- der Kölnischen, Jülichen und Bergischen Geschlechter, Erster biger des Grafen Arnold Jobst zu Bentheim und Tecklenburg Theil. Stammfolge und Wappenbuch (A-Z). Cöln-Bonn 1848 belegt (LA NW, Abt. MS, Fürstbistum Münster, Landesarchiv, S. 391; Wilhelm Kohl, Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Urkunden). Im Verfahren mit den Gebr. von Velen vor dem Das Bistum Münster. Das Zisterzienserinnen-, später Benediktinerinnenkloster St. Aegidii zu Münster-Berlin-New Reichkammergericht tritt er noch bis mindestens 1628 aktiv auf (LA NW, Abt. MS, RKG V 72, Bd. 2). York 2009, S. 339). Der kölnische Namensvetter Martin 28 LA NW, Abt. MS, Dep. Landsberg-Velen, Akten Nr. Schnell (1542-1601) war Jurist, Ordinarius an der juristischen 18631. Max von Spiessen setzt in seiner genealogischen Sammlung (Tafel Familie von Amelunxen) die Hochzeit erst für das Jahr 1601 an und bezeichnet Schnell in diesem Zu- führend dazu: Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600- 1760. Münster 2000, S. 355-356; Wilhelm Kohl: Die Bistü- Fakultät der Universität und Ratsherr. (Rita Wagner (Bearb.): Kölnischer Bildersaal. Köln 2006, S. 62.) Sein Vater Johann Snell stammte aus Büren und wurde 1535 Bürger in Müns- 25 Kohl 2004 (wie Anm. 18), S. 200. Archiv Haus Brincke, ter. Spätestens 1562 war er Ratsschöffe von Deventer und sammenhang noch als Pfennigmeister. 29 Während Eva 1640-1673 Äbtissin im Schwarzen Stift in bewohnte dort ein Haus am Brink (Haus Nr. 45), dem Haupt- Bocholt war, trat Lucia 1614 in das Stift St. Ägidii in Münster platz (A.C.F. Koch: Het Bergkwartier te Deventer. Huizen- ein, wo sie 1649 verstarb. Eine Anna Schnell wird 1607 boek van een middeleeuwse stadswijk tot 1600. Zutphen 1988, S. 89). 20 In dem Gebäude befand sich in der ersten Hälfte des 16. genannt (STaMS KuR 76) und Gertrud Schnell 1605 (STaMS T. II 1917). Ein für die 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts beleg- Jahrhunderts auch die Leinenlegge. Es gehörte dem Doek- ter Johann Schnell könnte ein Sohn gewesen sein (LA NW, RKG 990. Verfahren 1652/55 um einen Besitz den Schnell legger Johann von Vreden (t 1534) und seiner Frau Else. von Engelbert von der Wick zu Neuhaus 1623 erhalten Diese wird zwischen 1535 und 1545 als Witwe erwähnt. Ihre Tochter Anna von Vreden (*1520) heiratete Johann Schnell (t 1572), der als Krameramtsverwandter und Ratsherr seit 1554 bzw. 1555 in Münster öffentliche Ämter inne hatte. Die Witwe Schnell lebte noch 1603 (Kirchhoff 2001 [wie Anm. 19], S. 82-84). Neben ihrem Sohn Martin sind auch zwei Töchter belegt: Elisabeth (Else), die mit Johann Garde- man (STaMS c.civ. I 611) und Eva, die mit Gerhard Steck, dem Rentmeister des Amtes Bocholt verheiratet war (STaMS c.civ. 72; Po-chia Hsia [wie Anm. 14], S. 245, Nr. 123). Bei den 1549 belegten Einwohnerinnen im Kloster St. Aegidii Elisabeth wird Gertrud Snelle als Professjungfer genannt. Es dürfte sich um eine der Schwestern des Vaters Johann Schnell handeln (Kohl 2009, wie Anm. 18, S. 339 bzw. 370). hatte). 30 LA NW, Abt. MS, Dep. Landsberg-Velen, Akten Nr. 19441. 31 LA NW, Abt. MS, Dep. Landsberg-Velen, Akten Nr. 14912 und Archiv Haus Harkotten II, Harkotten Akten Nr. 1073. 32 Der Vertrag wird am 13. Februar 1607 geschlossen (StaMS, Kauf- und Rentenbriefe 76). Weidner interpretierte den zum Verkauf des Hauses Prinzipalmarkt Nr. 8 an den Rat der Stadt Münster erhaltenen Kaufbrief vom 9. Dezember 1614 (STaMS, Ratsarchiv, A VIII, Nr. 23 a) fälschlich so, dass der Pfennigmeister Martin Schnell zuvor verstorben sei und seine Witwe Anna von Amelunxen nun einen gewissen Vogt geheiratet habe (Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 10941095). 21 Es muss sich hierbei um das Haus Nr. 4 oder 6 gehandelt haben, da es 1589 in einer Verkaufsurkunde als neben dem 33 Geisberg III 1934 (wie Anm. 5), S. 313-323; Kirchhoff Haus Nr. 5 gelegen beschrieben wird (LA NW, Abt. MS, des 1615 errichteten Gebäudes, die Doppelnutzung als Waage (Nr. 8) und Stadtweinhaus und die Weiterverwen- Verein f. Gesch. u. Altertumskunde, Urkunde 1172). 22 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 1094-1095. Ob dies mit dem Verkauf seiner Besitzung auf der Hundestiege (später Clemensstraße 20-21) an die Familie von Raesfeld zu Hame- ren zusammenhängt, der für das Jahr 1596 belegt ist, bedürfte einer genaueren Überprüfung. 23 Am 27. Mai 1596 wurde Dietrich Morrien, der Sohn des Stadtlohner Richters Johann Morrien, mit dem Amt des Pfennigmeisters bestallt. Dietrich Morrien wird 1611 Bürger der Stadt Münster. Er resignierte als Pfennigmeister am 1. Juli 2001 (wie Anm. 19), S. 82. Die Zweiteilung im Erdgeschoss dung beider Hausnummern machen deutlich, dass das neue Gebäude auf zwei Hausstellen errichtet wurde. 34 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ.l. 696 (1646/47). Der verstor- bene Melchior Mensing wird darin als Besitzer des Erbes Westerhaus im Kirchspiel Rinkerode und eines Hauses in der Neubrückenstraße, dem späteren sogenannten großen Schmiesinger Hof, genannt. Weitere Lebensdaten Melchior Mensings wurden freundlicherweise durch Karl Heinz Kirch- hoff zur Verfügung gestellt. 325 326 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 35 Als Quellen wurden für diese Familie herangezogen: LA frühen 19. Jahrhundert weiter mit Haus Westerhaus verbun- NW, Abt. MS, Familienarchiv Mensing, Findbuch Einleitung. den. Zur Genealogie der Familie Mensing wurden herangezogen: 51 Die Hochzeit fand 1649 in der St. Aegidii-Kirche in LA NW, Abt. MS, Manuskripte, MSCR VI, Nr. 254 Stammtafel Münster statt (Kirchenbuchauswertung Clemens Steinbi- Mensing. Clemens Steinbicker, Vom Geschlechterkreis der cker). münsterischen Rats- und Bürgermeistersfamilie Timmerscheidt, in: Westf. Zeitschrift. Bd. 111. Münster 1961, S. 95- 52 Kirchenbuch Rinkerode. Sterbefälle ab 1664 (Auswertung Clemens Steinbicker). Die archivalische Überlieferung zur Fa- 117, hier besonders S. 107-111; Max Geisberg, Die Bau- und milie des Johann von Gescher gnt. zur Stegge ist ungleich Kunstdenkmäler der Stadt Münster, Band IV. Münster 1935, S. 60 ff. geringer. Ein Familienarchiv als gesonderter Bestand existiert weder im Staatsarchiv Münster noch im Stadtarchiv Münster. 36 LA NW, Abt. MS, Gerichtsarchiv, a.j. 75 (1609). 53 Clemens Steinbicker: Die Liebfrauenbruderschaft an der 37 Das Anwesen Hunenborg hatte Margarethe von Höfflinger zusammen mit dem Gut Sandfort in Alverskirchen 1623 geerbt (Steinbicker 1961 [wie Anm. 36], S. 107-111; Pfarr- und Klosterkirche St. Aegidii (1441-1941), in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster. NF Bd. Archiv Brückhausen, Bestand Mensing). ten gibt einen Goldgulden, um die Privilegien der Bruder- 38 Eine Kaufurkunde konnte in den untersuchten Archiva- schaft zu genießen. lien nicht aufgefunden werden. 39 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 865, kann auch für Peter 54 Fahne 1848 [wie Anm. 19], Bd. 1, S. 221. Dort wird er mit Johan von Steigen, Rittmeister bezeichnet. Mensing die Funktionen Lic. Geh. Rat und Kanzler nachwei- 55 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ. I 265. sen. Anscheinend ist Mensing 1586 auf der Burg Fürstenau verstorben. 56 Das Gebäude ist nicht überliefert, da es später zusammen 40 Steinbicker 1961 (wie Anm. 36), S. 107-111: Als Vater von Peter Mensing ist Johann Mensing (1540/50) Geheimer Rat des Fürstbischofs Franz von Waldeck bekannt. Er war mit 3. Münster 1966, S. 287-382, hier S. 359: Anna von der Ket- mit dem Nachbarhaus in die Neugestaltung des Velenschen Hofes an der Aegidiistraße 63 einbezogen wurde. Der Besitz bestand aus einem vermutlich in Stein errichteten Hinterhaus und einem wohl jüngeren Vorderhaus: 1578-1586 gehörte Elisabeth von Eilen verheiratet. Nach Kirchhoff ist darüber es Hermann von Unna und spätestens seit 1595 dem Juristen hinaus noch ein Peter Mensing (1529/34), Sohn von Bernd Friedrich Otterstedde, der als Aldermann der Steinhauergilde Mensing (ca. 1518) als Besitzer eines Hauses am Alten Fisch- eine öffentliche Funktion ausübte. Am 20. Juni 1641 ver- markt 11 bekannt. Dieses Haus befand sich ab 1578 im Be- kaufte er das Haus an Joh. Zurstegge (nach Weidner 2000 sitz der Familie Bispinck. [wie Anm. 18], S. 1027; Geisberg III 1935 [wie Anm. 5], S. 273-279). Schon 1642 wird seine Frau als Witwe bezeichnet 41 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 1023. 42 STaMS, Gerichtsarchiv, c.d. 349 (1628/35); Kirchhoff 2001 (wie Anm. 19). 43 Weidner 2000 (wie Anm. 18), S. 894. (Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 1027). 57 Noch 1676 bzw. 1678 wird Haus auf der Aegidiistraße in Münster als wüst bezeichnet (STaMS, Archiv Mensing Akten 44 Geisberg IV 1935 (wie Anm. 35), S. 64. 25). Eine Witwe Zurstegge wohnt 1685 bei dem Bäcker 45 Geisberg IV 1935 (wie Anm. 35), S. 381 ff.; Weidner Henrich Twehues in der Ludgeri-Leischaft. 2000 (wie Anm. 18), S. 865. 46 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ. 696 (1643); b.pup. 14 58 LA NW, Abt. MS, Dep. Verein f. Altertumskunde, Handschriften, Nr. 386, Bd. 7 und Nr. 539. (1648). 59 Catharina Gertrud Mensing und die Witwe des Peter 47 STaMS, Gerichtsarchiv, c.civ. 696 Schreiben Nro. 3 Schreiben des Arn. Tegeder, Ehemann der Anna Elisabeth 1713 als Eigentümer des sog. Schmiesinger Hofs in der Stadt Mensing (Transkription durch Peter Barthold). 48 Archiv Haus Brückhausen, Akten 71, bezeichnet mit: Mensing, Maria Magdalena Hubin gen. von Gulichen, treten Münster auf. Peter und Catharina Gertrud Mensing waren Kinder von Anna Catharina zur Stegge und Ernst Melchior Testament des Peter Mensing mit Legat für Ernst von Mensing, also direkte Nachkommen der Eigentümer von Höfflinger (Transkription mit freundlicher Unterstützung von Claudia Kollbach, Westfälisches Archivamt, Münster). 60 Der Verkäufer war der Enkel Johann Mensings, der 1641 49 Für den Fall, dass sein Bruder ohne Nachkommen bleiben sollte, wird dem Testamentsvollstrecker Höfflinger auch das Gut Hunenborg zugesprochen. 50 Das Erbe Hunenborg war über Peter Mensings Mutter, Margarethe Höfflinger (t 1635), verheiratet mit Melchior Mensing (t 1637), die es 1623 geerbt hatte, in seinen Besitz gelangt. Im Testament von 1649 wurde damit Ernst von Höfflinger bedacht. Die ungenannten Erben von Haus Westerhaus scheinen den Besitz jedoch einschließlich des Erbes Hunenborg veräußert zu haben (stattdessen wurde das Gut Sandfort 1652 an die Familie von Höfflinger übergeben), denn Hunenborg blieb bis zum Verkauf an die Pächter im Haus Westerhaus. das Haus in der Königstraße 52 erworben hatte (Weidner 2000 [wie Anm. 18], S. 1022; Steinbicker 1961 [wie Anm. 36], S. 107-111). 61 Für diese Zeremonien musste der Pfarrer von Rinkerode jeweils Dispens erteilen, da sie nicht in seiner Kirche stattfan- den. Ob auf Haus Westerhaus eine Kapelle bestand und wer die Zeremonien durchführte, ist nicht bekannt. 62 LA NW, Abt. MS, Dep. Archiv Landsberg-Velen, Findbuch Westerhaus - A 450 Wh II, Einleitung sowie Akten Gesamtarchiv Landsberg-Velen Nr. 28289. 63 LA NW, Abt. MS, RKG M 726. 64 Anscheinend hatten die Erben Mensings die Erträge aus Ein Sommerhaus für Münsteraner Hofbeamte von 1594 Haus Westerhaus bei Drensteinfurt-Rinkerode (Kreis Warendorf) Haus Westerhaus für sich behalten. Vermutlich zog Ferdi- 82 Das im Kern noch aus dem 17. Jahrhundert stammende nand Mensing, der als Sohn Johann Mensings den väterli- Vierständerhaus auf dem Kötterhof Niehüser ist am Torbo- chen Besitz in der Königsstraße 52 übernommen hatte, in gen 1677 datiert. Eine weitere im Inneren des Hauses aufbe- 65 Daten durch freundliche Mitteilung von Herrn Raban von wahrte Inschrift von 1677 nennt als Bauherren Bernhard Niesmann auf der Woeste. Das Haus wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stark erneuert und erhielt hier- Westrem/Seeheim. bei am alten Torbogen eine neue Inschrift. 66 1746 wurde zur weiteren Schuldentilgung auch der ehe- 83 LA NW, Abt. MS-Archiv Landsberg-Velen, Bestand Wes- mals zu dem Haus gehörende Kötterhof Niehus an die neuen terhaus, Nr. 28294 und 28295. Eigentümer verkauft (LA NW, Abt. Münster, Dep. Landsberg- 84 Bernhard Feldmann, Die Höfe des Münsterlandes und Velen, Akten Nr. 28289). ihre grundherrlichen Verhältnisse. Münster 1995. 67 Hierzu Besitzergreifungsprotokoll mit Beschreibung der Güter (nicht eingesehen) in LA NW, Abt. Münster, Dep. Alle anderen genannten Hof- und Kötterstellen wie auch Haus Westerhaus tauchen dort in den nach Schatzungs- Landsberg-Velen, Akten Nr. 28390. registern erstellten Listen nicht auf. Das Gut Westerhaus und 68 STaMS, Gerichtsarchiv, c. civ. 696. 69 Bruchstückhafte Archivbestände zu Haus Westerhaus für die von ihm abhängigen Kotten und Höfe waren also schatzfrei. die Zeit zwischen 1670 und 1810 sind im LA NW, Abt. MS, 85 In einem Kriminalverfahren vor dem Stadtgericht in Dep. Landsberg-Velen, Bestand Westerhaus erhalten. Münster gegen den Stiftssoldaten Wilhelm Erdtman im Jahre 70 LA NW, Abt. MS - Katasterbücher Münster (Findbuch B 285 l),16. Rinkerode, 2 Bde, Nr. 118. 71 Datum nach Kaminplatte auf Haus Westerhaus. 1594 wird dargelegt, dass der Angeklagte bei der Befestigung von Rheine geholfen, an den Wällen von Ochtrup, Schöppingen und Schöneflieth gearbeitet hat und bei dem 72 Heutige Adresse des Hofes ist Drensteinfurt, Hemmer 41 Pfennigmeister Martin Schnelle auf seiner Burg in Rinkerode (von 1815 bis um 1980 trug der Hof die Bezeichnung Rin- in Arbeit gestanden hat (STaMS, Acta Criminalia Nr. 103-6. seiner Funktion als Vormund der Erben seines Cousins Ernst Melchior Mensing die Klage auf sich. kerode, Hemmer Nr. 25). 73 Joachim Hartig, Die Register der Willkommschatzung von 1498 und 1499 im Fürstbistum Münster, Band 1: Quellen. Münster 1976. 74 Bis 1975 Hemmer Nr. 23. 75 Bis 1975 Hemmer Nr. 22. 76 Er war schon im 18. Jahrhundert - wie noch heute - ein Pachthof der Herren von Droste-Vischering (Haus Lütgenbeek). 77 Die heutige Fernstraße wurde als Chaussee (B 54) im frü- hen 19. Jahrhundert etwa 500 weiter östlich der alten Straße durch die Hemmerheide trassiert. 78 LA NW, Abt. MS-Karten A 9146 (aus Archiv Landsberg- Velen, Kartensammlung Nr. 688 - hier mit der alten Bezeichnung Westerhaus Nr. 3). 79 In den überlieferten Akten zu Haus Westerhaus auch mit „Huneborg", „Niehus" und „Panhus an der Heide" bezeich- net. Die gleichen Hofstellen finden sich mit ähnlichen Bezeichnungen auch auf der Urkatasterkarte von 1830 und dem Messtischblatt von 1895 wieder. Bei der in den Akten des 18. Jahrhunderts genannten Hofstelle Kellinghoff handelt es sich wohl um Haus Westerhaus selbst, da es in dieser Zeit mit einem gleichnamigen Pächter besetzt war. 80 Der Kotten Niehues (heute Große Wöstmann, Hemmer 51) war zunächst 1743 nicht verkauft worden, ist dann aber zur weiteren Schuldentilgung der Eigentümer 1746 ebenfalls an Anton Henrich Hermann von Velen verkauft worden. Der Kötterhof Pannhues wurde um 1900 Werth und heute Tümler genannt und der Hunenkötter heute als Hülsbusch bezeichnet (Hemmer 36). 81 Sie wurden 1753 bezeichnet als Eschkamp, Buschkamp Hier nach den Regesten zitiert). 86 Es lassen sich noch Sparrenpaare mit Abbundzeichen von Illi bis Vllll nachweisen. 87 Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt wurde das Dach des Wirtschaftsteiles repariert und teilweise durch neue Hölzer ergänzt. Zudem wurde nach Abnahme der Sparrenpaare hierbei eine Sparrenschwelle über den möglicherweise geschädigten Balkenköpfen eingebaut: So erhalten einzelne Sparrenpaare zweitverwendetes Holz, das bisher nicht datiert werden konnte: bei den Nummern VI (8) und Vllll (5) wurden Balken zweitverwendet, bei den Nummern VII (7) und VIII (6) Kopfbänder. Der 11. Sparren auf der nördlichen Dachseite wurde zwar ebenfalls um das Jahr 1554 gefällt, ist allerdings an dieser Stelle zweitverwendet und trägt keine Abbundzeichen. Daher kann er in dieser Lage nicht dem Kernbau zugeordnet werden. 88 So wurde das tragende Gerüst der Dielenseitenwände in der gleichen Weise wie beim Kerngerüst mit einzelnen Kopfbändern im Längsverband verzimmert. 89 Eine dendrochronologische Datierung dieses Bauabschnitts brachte wegen fehlender geeigneter Hölzer bislang kein Ergebnis. 90 Klaus Freckmann, Specklagenformationen - nur in den Niederlanden? Zur zeitlichen und regionalen Verbreitung von Specklagen, in: Naturstein als Baumaterial (= Jahrbuch für Hausforschung. 52). Marburg 2007, S. 193-206. 91 In Horstmar (Kr. Steinfurt) auf zwei Giebel des Merfelder Hofes (um 1560), in Billerbeck auf das im adeligen Besitz befindliche Haus Münsterstraße 6 (um 1570) und zwei Türme des Hauses Niederhameren der Burganlage Haus Hameren (um 1600). Das späteste und zugleich reichste Beispiel ist sowie der vorderste und der hinterste Kirschkamp. Ferner gab es unmittelbar nordwestlich des Gutes auch einen klei- der 1625 begonnene Neubau von Haus Alst bei Horstmar. nen Busch (Waldstück). vor allem angeführte „Ohmsche Haus" in Münster, Roggen- 92 Das hier von Klapheck 1915 (wie Anm. 4), S. 244 - 246, 327 328 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen markt 11/12 folgt allerdings prinzipiell einer anderen Gestal- Abbildungsverzeichnis tungsrichtung, da es vor allem mit einem vielfältigen Bild aus bildhauerischer Arbeit beeindruckt. Diese Fassade wurde Bildarchiv LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen: zudem nach heutiger Kenntnis um 1565 und damit schon Kaspar 3, 4, 17, 19; wesentlich früher im Auftrage des Hofgerichtsnotars Ludorff: 1; Magister Arnold Isfordinck errichtet (Geisberg III 1934 [wie Anm. 5], S. 192-197; Ralf Klötzer, Häuserbuch der Stadt Münster, Band III. Münster 2008, S. 189-198). Als Baumeis- Mummenhoff: 7, 8; Nieland 2, 12, 15, 16; ter dieser Fassade wird Laurenz von Brachum vermutet Landesarchiv NW, Abt. MS, Karten A 9146: 5, 6; (Mummenhof 1961 [wie Anm. 7], S. 86). Lindner 1912, Abb. 257: 13; 93 Auftraggeber war Franz von Loe für seinen Sohn Bertram Lindner 1912, Abb. 258: 14; von Loe und Palsterkamp und dessen Frau Margarethe von Stadtverwaltung Drensteinfurt, Bauregistratur: 18. der Horst (Franz Flaskamp, Die Brachums. Ein rheinisch-west- fälisches Baumeistergeschlecht aus Renaissance und Barock, in: Westfalen. 40. Münster 1962, S. 150-168). 94 Als sein erster Bau das Haus Horst im Fest Recklinghausen sowie die Schlösser Haus Assen und Haus Crassenstein (bei- de im Kreis Warendorf). 95 Mummenhoff 1961 (wie Anm. 7), S. 86-87. 96 Sie stehen heute in einer nicht der ursprünglichen Nummerierung entsprechenden Reihenfolge (von Ost nach West: V, III, II, Illi), ein Hinweis auf eine spätere Reparatur mit Abnahme der Sparrenpaare. 97 Das Bild nicht nachgewiesener Herkunft wurde zunächst publiziert bei Lindner 1912 (wie Anm. 3), danach bei Klapheck 1915 (wie Anm. 4). 98 Mehrere Werkspolien in Renaissanceformen sind heute in Zweitverwendung in der Front des erst im späteren 19. Jahrhunderts entstandenen Kötterhauses Hemmer 32 (in der Hemmerheide unmittelbar an der Chaussee) eingemauert. Sie haben möglicherweise zu einer ehemaligen Gestaltung der Feuerstelle gehört. 99 Mit römischen Ziffern von I bis V. 100 LA NW, Abt. MS, Dep. Archiv Landsberg-Velen, Bestand Westerhaus, Nr. 28294. 101 Er lebte auf dem nahegelegenen Kötterhof Stotter in der Hemmerheide. 102 Hierzu hat sich in der Registratur der Bauaufsicht bei der Stadtverwaltung der Bauantrag erhalten (Akte aus dem ehe- maligen Amt Wolbeck). 103 Die beabsichtigten Umbauten am alten Haus gehen nicht aus dem Bauantrag hervor, lassen sich aber als eine Baumaßnahme aus dem durchgehend verzimmerten Fach- werkgefüge erschließen. Die rechte (nördliche) Traufwand wurde durch den inzwischen abgebrochenen Anbau von 1908 ebenfalls stark verändert, ist aber nach seinem Abbruch heute auch in dieser Form nicht mehr erhalten. 104 Sie sind in den Giebelfronten gerade, in den Traufwänden geschweift 105 Kaum geschweifte Kopfbänder an den den Giebelbalken tragenden Torständern. 106 Hierzu hat sich in der Registratur der Bauaufsicht bei der Stadtverwaltung der Bauantrag erhalten (Akte aus dem ehe- maligen Amt Wolbeck). Planarchiv LWL-Denkmalpflege: 9-11, 20-24; 329 Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommer- wohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) Fred Kaspar / Peter Barthold Einleitung Haus Milte1 ist eine große Hofanlage, die in ihrer gesamten Struktur auf eine Neuanlage in der Zeit um 1590 mit Gräftenring, Haupthaus und Torhaus durch Zusammenfassung verschiedener Besitzungen entstanden ist. Trotz der für solche nicht grundherrlich gebundenen Besitzungen charakteristischen häufigen Eigentumswechsel aufgrund komplizierter Erbwege gelang die Rekonstruktion der Nutzungsgeschichte als Pachtgut mit verschiedenen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts genutzten Sommerwohnungen der in Münster lebenden und zur bürgerlichen Oberschicht gehörenden Eigentümer.2 Da der Hof zudem in seinen wesentlichen Strukturen bis heute erhalten blieb, ist er ein exemplarisches Beispiel der ehemals zahlreichen vergleichbaren Anlagen im Umkreis von Münster. Zu- dem ist das hier stehende Haupthaus eines der größten bekannten Vierständerhallenhäuser im Münsterland. Baugeschichtliche Untersuchungen zum Haus Milte und den verschiedenen dort überlieferten historischen Bauten bzw. eine Würdigung der Gesamtanlage waren bislang ebenso unterblieben wie Untersuchungen zur Geschichte und Entwicklung des Gutes. Nur das große auf dem Hof stehende Haupthaus ist zwar schon vor 1940 von der volkskundlichen Hausforschung hinsichtlich der bemerkenswerten Größe und des aufgrund der Giebelgestaltung ersichtlichen besonderen Alters in baugeschichtlicher Bedeutung erkannt worden, doch blieben die Vorarbeiten von Josef Schepers3 aus nicht bekannten Gründen bei Skizzen zu einer Bauaufnahme4 und sind später nicht mehr weitergeführt worden. 1 Gut Haus Milte bei Telgte; östliche Gräfte. Der Verlauf der wohl erst um 1590 angelegten Gräben ist streng rechteckig, wobei entlang der Innenseite mehrere Gebäude gestellt wurden: Im Vordergrund der Wagenschuppen von 1834, dahinter das Torhaus von 1599 (Aufnahme Kaspar 2012). 330 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Zur Geschichte und den Besitzern des Gutes Das Gut scheint in seiner für die letzten vier Jahrhunderte gültigen Form erst um 1590 durch Zusam- menlegung verschiedener Besitzungen entstanden zu sein.5 Die mittelalterliche Geschichte eines hier gelegenen und wohl zunächst Graffhorst genannten Anwesens ist bislang nur in Ansätzen bekannt. Dieses lag im Verband mit zwei unmittelbar benachbarten Höfen (den heutigen Höfen Pollert und Austermann), die gemeinsam den kleinen Drubbel Grafhorst unmittel- bar außerhalb der städtischen Feldflur von Telgte im Kirchspiel Telgte bildeten. Erst seit der Neuzeit zählten die drei Höfe zu der innerhalb der Feldmark von Telgte liegenden Flur Woeste6 und wurden Teil der Bauernschaft Schwienhorst. Ob es sich bei der 1340 belegten Bezeichnung Graffhorst zunächst um den Namen eines großen Hofes oder um die Bezeichnung des daraus hervorgegangenen Höfe-Drubbels handelt, ist bislang nicht sicher geklärt. Letztere Entwicklung scheint sich allerdings aus den Quellen erschließen zu lassen, wobei vermu- tet wird, dass der Ursprung der freie Hof Sutbeke gewesen sei.7 1379 wird eine curtem Sutbeke im Kirchspiel Telgte genannt, mit dem Wessel Wettinchdorf belehnt ist.8 Dieser ist mehrmals als Freigraf bzw. Richer in Telgte genannt. Der zunächst große Hof Sutbeke wurde offensichtlich schon spätestens in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in mehrere Höfe aufgeteilt. Zu ihrer Unterscheidung gebrauchte man verschiedene Bezeichnungen, wobei wohl erst Ende des 15. Jahrhunderts der ursprüngliche Name Sutbeke verschwand. 1411 ist eine Hälfte des Hofes Sutbeke dem Temme von Werne verlehnt, so wie sie früher ein Lehen von Wessel Wettinchdorf war. Er gibt an, sie von Bernd von Lonne erworben zu haben.9 1427 ist das Erbe Sudbecke im Kirchspiel Telgte ein Lehen des Roland von Lonne,10 womit vielleicht ein weiterer Teil des Gutes gemeint ist. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tode um 1450 verkauft von Lon- ne, der wohl auf dem Haus Lonne in der Telgte Bauernschaft Vechtrup lebte11, nach und nach zahlreiche Flächen sowie sein Haus innerhalb der Stadt Telgte,12 wobei es möglicherweise auch zu einer Zersplitterung des Gutes Sutbeke und dem folgenden Untergang des Namens kam. 1340 wird das Haus Grafhorst (domus ton Grafhues) und ein darauf lebender Miltmann als Zubehör der Obödienz Bullersen genannt.13 1352 verkauft der Graf von Tecklenburg dieses Haus Grafhorst im Kirchspiel Telgte an Eckbertus, Sohn des Machorius, der das Haus zuvor schon zu Lehen hatte.14 Der Hof Miltmann (1412 domus ton Graffhorst per Bem. Miltmann) tradierte also Rechte des 1340 belegten freien Hofes Graffhorst und scheint mit einem Bauern besetzt worden zu sein. Im 16. Jahrhundert befand sich der Besitz an dem Hof (wohl durch Erbschaft) in zwei verschiedenen Familien. Im Zuge der Telgter Flurprozession um die Stadt machte man 1541 auch auf der Graffhorst Station.15 Nach dem Viehschatzregister von 1547 lebten auf dem Hof Miltmann zwei Familien und man hielt dort 6 Pferde, 5 Kühe, 4 Rinder, 6 Schweine und 10 Schafe. 1549 wurden neben der Bauernfamilie vier Knech- te, drei Mägde sowie ein Jungknecht genannt, und 1589 hat Miltmann neun Volck. Erkennbar handelte 2 Gut Haus Milte bei Telgte; Plan der Gesamtanlage. Ausschnitt aus dem Urkatasterplan von 1829. Deutlich erkennbar ist die rechteckige Gräftenanlage mit dem zentralen gro- ßen Haupthaus (der Wirtschaftsgiebel mit dem vorgelagerten Hof nach Nordwesten). Die Zufahrt auf die Gräfteninsel erfolgt von Südwesten über eine Zugbrücke und das Torhaus, das an die südöstliche Ecke der Gräfteninsel gestellt ist. Entlang der östlichen Gräfte stehen zwei weitere kleine Wirtschaftsgebäude. Einen zugehörigen Schafstall gab es südlich der Gesamtanlage an der Zufahrtsstraße. es sich noch immer um eine sehr große Hofanlage. Die für die weitere Geschichte des Hofes entscheidende Familie von der Wyck (auch Wiek)16 gehörte seit dem frühen 16. Jahrhundert zur Gruppe von Verwaltern und Beamten des Bistums Münster.17 Ein Zweig der Familie war spätestens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auch in Telgte ansässig und erwarb dort Grundbesitz.18 1458 wird Maes von der Wiek mit der Dauvenmühle vor Münster und damit auch mit de Graffhorst im Kirchspiel Telgte belehnt.19 1484 besaß Heinrich von der Wyck in Telgte Landstücke vor dem Steintor,20 doch bleibt unklar, ob es sich hierbei um Saalkammer und Torhaus. 331 Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) 3 Gut Haus Milte bei Telgte; das um 1590 errichtete Haupthaus. Der Fachwerkbau wurde mit einem Vierständergerüst errich- tet und später in Gestalt mehrmals modernisiert (Aufnahme Kaspar, Zustand 2009). Güter im Bereich vom späteren Haus Milte handelt.21 Dies scheint allerdings wahrscheinlich, denn 1505 stiftete Heidenreich von der Wyck zusammen mit seiner Frau Sophia umfangreichen Besitz zur Einrichtung einer Vikarie an der neuen Kapelle des Rochus-Hospi- den Fruchtgebrauch an seinen Gütern in Münster und Telgte. Zeuge dieses Testaments war auch Heinrich Stadt Telgte und dem Gut Grafhorst/Haus Milte lag. Die Stiftung geschah zu ihrem und ihrer Verwandten Seelenheil unter der Bedingung, dass die Vikarie für drei Generationen nach ihm von der Familie besetzt Wyck befunden hatte, hatte Heinrich von der Wyck weiteren Grundbesitz 1584 durch Heirat erhalten und konnte dann noch im gleichen Jahr auch die andere Hälfte des freien Erbes oder Gutes, genannt die Milte oder Grafhorst von Egbert Travelmann erwerben. tals, das etwa auf dem halben Weg zwischen der werden könne.22 Das später als Wohnsitz der Familie von der Wiek genutzte Gut Haus Milte südwestlich von Telgte und nahe der alten Landstraße nach Münster scheint in der bis heute bestehenden Form auf Betreiben von Heinrich III. von der Wyck aus Münster aber erst nach mehreren seit 1584 betriebenen Ankäufen ab 1590 durch Ausbau des bisherigen Hofes Miltmann entstanden zu sein. Innerhalb von etwa 15 Jahren ließ er den Hof zu einer repräsentativen umgräfteten Anlage mit herrschaftlichem Torhaus um- und ausbauen. Heinrich von Wiek hatte eine Ausbildung als Rechtsanwalt23 und war mit Ida Droste verheiratet, die in erster (kinderloser) Ehe mit Dietrich von Merfeld und in zweiter, ebenfalls kinderloser Ehe mit Everhard von Schenking verheiratet gewesen war. Letzterer vermachte seiner Frau mit Testament vom 18. März 1579 von Wiek, den dann 1584 die Witwe Schenking in dritter Ehe heiratete. Nachdem sich mit dem Hof Miltmann eine Hälfte des Gutes Grafhorst schon lange im Besitz der Familie von Damit ließ er sich und seine Familie durch den Bischof von Münster belehnen. Nachdem er zwei Jahre später die andere Hälfte des Gutes von seinem Onkel Hein- rich (I.) von Wyck (1496-13. Mai 1586) zu Neuhaus bei St. Vit (Kr. Gütersloh)24 erbte, verfügte er schon über einen größeren Komplex an Ländereien. 1581 hatte Bernd Oistermann, Eigenbehöriger des Münsteraner Bürgermeisters Johann Bischopinck zu Enkingmühle-Hacklenburg, einen Erdwall aufgewor- fen, der zu einem Wasserstau in der Flur Woeste führte.25 1590 konnte Heinrich von der Wiek auch diesen Teil des Gutes, genannt Ostermann oder Grafhorst aus der Hand des Herrn Bischoping zu Enkingmühle in Seppenrade26 erwerben. Beim Verkäufer handelte es sich um ein weiteres Mitglied der städtischen Oberschicht in Münster.27 332 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Später vermerkte Heinrich von Wiek, er habe sein Gut für über 2 000 Rthl verbessert und ausgebaut, wobei das notwendige Geld die Familie seiner Frau Ida Droste bereitgestellt habe. Ihre Familie bzw. Alhard von Droste sollte es daher nach seinem ersten Testament von 1592 auch erben. Am 25. Dezember 1598 formulierte Ida Droste, Frau des (wohl verstorbenen) Heinrich von Wiek zur Milte allerdings ein weiteres Testament. Zu dieser Zeit war Arnold von der Wiek, Bruder des Heinrich von Wiek, Mitinhaber von Haus Milte, da er in großen Schulden ausgeholfen hatte. Er wurde nun zum Erben bestimmt. Möglich ist, dass in diesem Zusammenhang das 1599 datierte Torhaus errichtet wurde, um einen zweiten herrschaftlichen Wohnbereich auf dem Gut - etwa für die Witwe des Bauherren - zu schaffen. Bei Abfassung eines dritten Testamentes im Jahre 1619 waren alle Erben des Ehe- paares bereits verstorben, sodass Heinrich von Wiek (ein Sohn?) nun seine Cousine Else Bertling, verheiratet mit Hermann Grotegesen, als Generalerbin einsetzte. Durch dieses Testament sollte das Gut Milte als Erbschaft an die Familie Berteling gelangen, die auf dem Haus Berteling (bzw. später Haus Runde) bei Billerbeck saß.30 Für die folgende Zeit ist die jeweilige 4 Gut Haus Milte bei Telgte; Wirtschaftsgiebel des Haupthauses im rekonstruierten Zustand der Bauzeit um 1590 (Bauaufnahme F. Kaspar 2009, Zeichnung I. Frohnert 2013). Nachdem er damit bis 1590 verschiedene Besitzungen zu einem größeren Gut vereinen konnte, bezeichnete sich Heinrich von der Wiek seit dieser Zeit mit dem Zusatz zu Milte. Allerdings blieb der unmittelbar nördlich ohne weiteren Abstand der Hofflächen anschließende Hof Pollert (heute Grafhorst 1) auch weiterhin ein selbstständiger grundherrlich gebundener Besitz. Er baute seitdem das neu geschaffene, fortan als „Haus Milte" bezeichnete Gut systematisch aus. Hier- bei scheint es zu einer umfangreichen Erneuerung bzw. auch einer Neuanlage der Gräften sowie einem Neubau von Haupthaus und Torhaus gekommen zu sein. Das wenig später noch einmal durch Zukauf erweiterte Gut28 blieb als ungeteilter Besitz im Verband der Familie, die ihren Hauptwohnsitz allerdings weiterhin in der Stadt Münster hatte.29 Es wurde verpachtet, diente daneben aber den Eigentümern noch bis ins 20. Jahrhundert auch als Sommersitz. Hierzu bestand neben dem um 1590 errichteten Pächterwohnhaus mit seiner herrschaftlichen Wohnmöglichkeit auch noch eine zweite herrschaftliche Wohnung in dem 1599 errichteten Torhaus. Seit 1687 gab es mit dem Umbau des Torhauses zu diesem Zweck wohl nur noch den Wohnteil des Haupthauses, den man um 1833 noch einmal völlig in zeitgemäßen Formen erneuert und um 1903 wiederum durch einen villenartigen Ausbau des alten Torhauses ersetzte. Nutzung der verschiedenen zum Familienverband Bertling/Runde gehörenden Wohnsitze im Einzelnen nur noch schwer nachzuvollziehen.31 Dennoch scheint im 17. und 18. Jahrhundert auf Haus Milte zumindest zeitweilig für Teile der Familie eine Dauerwohnung bestanden zu haben. Nachdem Else Bertling zur Universalerbin ihres Onkels Heinrich von Wiek zur Milte geworden war, lebte sie noch 1649 als Witwe Grotegese auf Haus Milte.32 Nach ihrem Tode 1666 gelangte das Gut an Maria Bertling, Tochter ihres Bruders Caspar Bertling, der mit Maria Lembeck verheiratet gewesen war. Maria Bertling heiratete 1663 in Telgte Johann Caspar Runde, Landrentmeister in Meppen.33 Er wird schon 1664 als Besitzer von Haus Milte genannt (dieses ist schatzungsfrei) und 1665 wird Johann Caspar Runde zur Milte als bischöflicher Sekretär in Münster bezeich- net.34 Das Ehepaar lebte noch 1679/85 auf Haus Milte,35 unterhielt auch ein Haus im Zentrum von Münster36 und erbte 1693 auch das Haus Bertling bei Biller- beck (später „Haus Runde"). Zu ihrer Zeit scheint Haus Milte vernachlässigt worden zu sein, denn 1687 mussten am Torhaus wegen starker Bauschäden um- fangreiche Bauarbeiten durchgeführt werden. Möglicherweise war dies mit einer Besitzweitergabe verbunden und ist damit Ausdruck des Generationenwechsels (in diesem Jahr heiratete ihr zweitältester Sohn). Die Bauherren haben ihre Anfangsbuchstaben in einer aus Eisenankern gebildeten „Inschrift" an dem Gebäude hinterlassen: Diese sind leider wohl nur teilweise erhalten (/ M /), sodass die Namen dieser Inhabergeneration bislang noch nicht entschlüsselt werden konnten. Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) 1720 ist das Gut Milte im Besitz von Hermann Runde zu Telgte. Er ließ in diesem Jahr umfangreiche Repara- turen an dem Haupthaus des Gutes durchführen. 1738 werden als Inhaber Johann Caspar Runde37 und seine Frau Anna Maria Elisabeth Frahling genannt.38 Nach dem Tode von Hermann Runde wurde das Gut 1774 von seiner Schwester Anna Sophia Runde über- nommen, verheiratet mit Joan Bernard Olfers, Hofund Kammerrat und zeitweilig auch Bürgermeister zu Münster. Mit dieser Ehe gelangte das Gut an die Familie (von) Olfers, durch deren Mitglieder es über 150 Jahre genutzt werden sollte. Die Familie Olfers zählte im 18. und 19. Jahrhundert zur Führungselite in der Stadt Münster, deren Mitglieder sich als Juristen und Mitinhaber eines Bankhauses, aber auch verschiedentlich als langjährig tätige Bürgermeister der Stadt hervortaten. Ebenso wie seine Nachkommen wohnte Joan Bernhard Olfers in guten Verhältnissen in der Stadt Münster.39 Das Landgut blieb verpachtet und wurde durch die Familie als Sommersitz genutzt. Seiner Frau diente Haus Milte später aber auch als Witwensitz. 1791 stiftete sie von dort zwei Memorialmessen für Mitglieder ihrer Familie an der Pfarrkirche zu Telgte.40 Nach ihrem Tode lebten Verwandte auf Haus Runde: Erben wurden die Nachfahren ihres Bruders Johann Caspar Runde (t 1788) aus seiner Ehe mit Clara Leimann.41 Sie hatten nur zwei Töchter, von denen nur Anna Elisa- beth (t 1799) heiratete. Aus ihrer Ehe mit Johann Melchior Voltermann ging der Sohn Heinrich Balthasar Voltermann hervor, Rentmeister des Gutes Groß Schönebeck bei Senden.42 Er erhielt als Universalerbe das Gut 1807 nach dem Tode seiner unverheirateten Tante, der Mademoiselle Clara Gertrudis Runde43 Von dem vor 1820 verstorbenen Heinrich Voltermann gelangte das Gut schon einige Jahre später im Erbgang an einen Verwandten der früheren Eigentümer, den geheimen Legationsrat und Bankier, Hofrat Franz Theodor Olfers (7. Juni 1755-10. Oktober 1828). Dieser hatte sich 1778 in Münster als Jurist niedergelassen, bald verschiedene Ämter übernommen und war schnell in der staatlichen Verwaltung aufgestiegen.44 1798 legte er seine Stelle als Assessor am Hofgericht nieder und trat in das seinem Schwager gehörende Bankhaus Lindenkampf ein, dessen Leitung er bald übernahm. Von seinen Nachfahren wurde es unter dem Namen Lindenkampf & Olfers noch bis 1888 fortgeführt.45 Nach der Säkularisation 1803 konnte er ein Adelsdiplom erwerben, hatte wesentlichen Einfluss auf die Neuordnung der Besitzverhältnisse bei der Übernahme des Bistums Münster durch Preußen und erhielt unter anderem bald auch den Titel „Geheimer Hofrat" des neu eingerichteten Herzogtums Arenberg.46 Nach Übernahme des Hauses Runde vor 1820 erweiterte er seinen Namen um die Bezeich- nung „Herr zu Haus Runde". Nach seinem Tode 1828 erhielt seine Witwe Maria Elisabeth (Liesette), geb. 5 Gut Haus Milte bei Telgte; Grundriss des Haupthauses im rekonstruierten Zustand der Bauzeit um 1 590. Grundlage ist eine baugeschichtliche Untersuchung durch die Autoren im Jahre 2009, wobei allerdings für den - hier nur angedeuteten - Wohnteil dieser Zeit keine detaillierten Befunde mehr vorliegen. Seine Größe und Struktur ergibt sich allerdings aus der nachweisbaren Zahl der Gebinde und späteren Baubeschreibungen (Bauaufnahme F. Kaspar/P. Barthold 2009, Zeichnung I. Frohnert 2013). 333 334 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Ihre Tochter Maria Göring (16. Mai 1884-1963) heira- tete 1905 den Rechtsanwalt Philipp Haerten (12. Dezember 1869 Rotterdam-3. April 1942 Münster), der zunächst ab 1901 als Stadtphysikus von Münster, dann von 1907 bis 1919 Bürgermeister von Limburg und danach bis 1933 Oberbürgermeister von Pader- born war. Auch von dem Ehepaar Haerten wurde Haus Milte als Sommerhaus genutzt, selbst nachdem man 1933 wieder das ererbte Haus der Familie an der Zumsandestraße 15 in Münster bezogen hatte. Da der Erbe Philipp Haerten 1944 gefallen und sein kranker Bruder Karl ebenfalls schon 1946 verstorben war, wurde Haus Milte von der dort noch lebenden Witwe Haerten ihrer Tochter Maria Haerten überschrieben. Sie adoptierte 1949 Gisbert Lensing-Hebben (13. März 1930-27. Juli 2007), der auf dem Ortscherhof bei Emmerich-Hürthum aufgewachsen war und übersiedelte nach dem Tode der Mutter 1952 in das wieder aufgebaute Haus nach Münster. Gisbert Lensing- 6 Gut Haus Milte bei Telgte; Querschnitt durch den Wirtschaftsteil des Haupthauses. Rekonstruktion des bauzeitli- Hebben übernahm nach Renovierung des Hauses 1953 die Wirtschaft des Hofes, sodass fortan auch kein Pächter mehr auf dem Hof lebte. 1961 heiratete er Hildegard Schulze-Niehoff. chen Gerüstes (Bauaufnahme: F. Kaspar/P. Barthold 2009, Zeichnung I. Frohnert 2013). Lindenkampf (10. August 1763-7. Februar 1848) das Haus Runde zunächst zum Nießbrauch, gab es aber vor 1833 als Erbe47 in die Hand ihres ältesten Sohnes48 Dr. Clemens August von Olfers (25. Juli 1787-5. Juli 1861) in gemeinsamen Besitz mit seinen zwei Töch- tern aus erster Ehe.49 Dieser war ab 1812 als Jurist bei verschiedenen Behörden in Münster tätig gewesen, wurde vor 1836 Oberlandesgerichtsrat, 1846 zum Vizepräsident und 1856 schließlich zum Präsidenten des Oberlandesgerichtes in Münster ernannt.50 Nachdem er das Haus Milte erhalten hatte, ließ er dort eine umfangreiche Erneuerung der Bauten durchführen und schuf damit der Familie wieder eine zeitgemäße Sommerwohnung, die man neben der Stadtwohnung in Münster auch nutzte. Nach seinem und dem Tod seiner Witwe zweiter Ehe Anna Driver (10. Juni 1794- 1. April 1869) erbte das Gut ihr Sohn Gerichts- Assessor Franz von Olfers (24. April 1827-1 1. Mai 1891), seit 1858 verheiratet mit Maria Vonnegut (23. Mai 1829-9. November 1918).51 Ihre Tochter Anna von Olfers (18. August 1863-2. Dezember 1952) heiratete 1883 den Rechtsanwalt Dr. jur. David Bernhard Göring (21. Mai 1850-12. August 1910) in Münster52 und erhielt Haus Milte als Erbe. Zu ihrer Zeit wurde um 1902 das Torhaus umgebaut, erweitert und zu einer herrschaftlichen Wohnung ausgebaut, um es fortan als zeitgemäßes Sommerhaus zu nutzen. Rechtsanwalt Dr. Göring starb dort 1910 während sei- nes Sommeraufenthalts, wonach seine Witwe das Haus bis zu ihrem Tode 1952 ganzjährig bewohnte. Pächter des Gutes und Pachtbedingungen (bis 1937) Die Landwirtschaft des Gutes Milte wurde sicherlich schon seit der Neuanlage um 1590 verpachtet (bzw. von einem Rentmeister geführt), wobei davon auszugehen ist, dass die Pächter/Rentmeister im Hauptgebäude wohnten, aber verschiedene Räume für die gelegentlichen Aufenthalte der Eigentümer bereithalten mussten: Während die Pächter wohl Räume nörd- lich der Flettküche im Hauptgebäude bewohnten, standen für die „Herren auf Milte" insbesondere Teile des Wohnteiles vom Hauptgebäude sowie ab 1599 möglicherweise auch der größte Teil des Torhauses (das neben einem herrschaftlichen Wohnsaal auch eine große Küche bzw. das Brauhaus aufnahm) bereit. Die Namen der Pächter sind allerdings für die Zeit vor 1800 bislang nicht bekannt. Wohl schon vor 1807 waren Mitglieder der Familie Heymann Pächter des Gutes. 1807 trat Anton Heimann oder Huermann aus dem Kirchspiel Lamberti in Münster in den bestehenden Vertrag ein. Dieser lief über 12,5 Jahre bei einer jährlichen Pachtsumme von 210 Rthl. Der Vertrag wurde 1820 wiederum für 12 Jahre erneuert, wobei die Pachtsumme nun 219 Thl. betrug. In den ausführ- lichen Verträgen wurden jeweils einige bei den Verpächtern bleibende Rechte definiert, darunter insbesondere die Nutzung des Saales auf dem Pforthaus, worauf bisher der Gottesdienst gehalten sowie die dabei befindliche Käsekammer und die Nutzung der zwei Schlafkammern hinter dem Saal im Prinzipalhau- se, ferner auch die Nutzung des Schranks auf dem Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus derzeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) Saal. Hieraus dürfte wohl zu erschließen sein, dass zumindest der Saal bei Abwesenheit der Herrschaft von wird der Hofplatz seit 1834 von einem Wagen- den Pächtern genutzt werden konnte. 1832 sollte der Pachtvertrag mit Heumann nicht mehr erneuert werden, da er sowohl im Rückstand mit den Pachtzahlungen war als auch nicht im notwendigen und vertraglich zugesicherten Maße Erhaltungsmaßnahmen an den daher inzwischen sehr verfallenen Gebäuden durchgeführt hatte. Bis 1833 wurde er daher aus dem Haus und vom Anwesen geklagt. Nachdem die gesamten Bauten des Gutes in den folgenden drei Jahren umfassend renoviert und für den zeit- ersetzte. weiligen Gebrauch der Besitzerfamilie neue Räume geschaffen wurden, verpachtete man das Gut ab 1837 wieder für 12 Jahre an Theodor Pohlmann und seine Frau Clara Brockmann. Wieder waren von der Nutzung durch den Pächter Räume ausgeschlossen: Die Zimmer im Hause hinter der Küche, nähmlich der Saal nebst den vier dahinter liegenden Zimmern und Abtritt, eine Kammer auf dem Boden und eine weitere im Keiler - alles Bereiche, die man in den Jahren zuvor hatte neu errichten lassen -, ferner einen Teil des Gartens sowie Pferdestail und Wagenschuppen. Das Torhaus kam hingegen im Unterschied zu den älteren Verträgen in den Vereinbarungen nicht mehr vor. Die Namen der weiteren Pächter sind bislang nicht bekannt. 1911 wird ein Herr Hellmer genannt. Ab 1937 wurde das Gut nicht mehr verpachtet, sondern in Eigenwirtschaft betrieben (mit Ausnahme der Jahre 1945 bis 1953, als man es von Hubert Pröbsting und seiner Frau Anna, geb. Peperhove, bewirtschaften ließ)53. Bauliche Analyse Zur Anlage Die heute von Norden über eine schmale Zufahrtsstraße erschlossene, abseits der Durchgangsstraßen liegende Hofanlage war bis zum Bau der Chaussee Münster-Telgte im Jahre 1811 in das historische We- genetz von Süden eingebunden: Die alte Fernverbindung Münster-Warendorf (mit dem Werseüber- gang am Nobiskrug), der Münsterweg, führt nur etwa 200 m südlich am Hof vorbei. Auf ihn wurde die wohl ab 1590 geschaffene umgräftete Hofanlage ausgerichtet, wie es die Lage des an der Südseite der Gräfte stehenden Torhauses verdeutlicht. Die Anlage besteht im Kern aus einem nahezu recht- ekkigen Hofplatz, der von einer etwa 8 m breiten Gräfte umschlossen wird. Etwa mittig auf der Gräfteninsel platzierte man mit west-östlicher Rich- tung das große Haupthaus als Wohn- und Wirt- schaftsgebäude, wobei der Wirtschaftshof die östliche Hälfte des umgräfteten Platzes umfasste. Dieser wird südlich von dem Torhaus begrenzt, während zumindest seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar an der nördlichen Grenze Stallgebäude standen. Östlich schuppen begrenzt, der wohl ein Vorgängergebäude Bis heute hat sich nur dieser umgräftete Hofplatz er- halten. Die Handrisse des 1829 aufgenommenen Urkatasterplans lassen noch weitere, zu dieser Zeit allerdings schon weitgehend verlandete Gräften erkennen: Danach kann rekonstruiert werden, dass dem umgräfteten Hofplatz südlich vorgelagert eine ebenfalls von Gräften eingefasste größere Garteninsel mit unregelmäßigem Zuschnitt bestand. Die gesam- ten Gräftenanlagen dürften wohl in den Jahren um 1590 gegraben worden sein und wurden von einem vorbeiführenden Bach gespeist. Noch 1829 hatte der Hof nur südliche Zufahrten: einen west-östlich verlaufenden Weg, der die äußere Gräfte südlich tangierte und wohl als Nebentrasse des alten Münsterweges gelten kann und zwei hierauf senkrecht endende gerade Wegetrassen als kurze Verbindungswege zum alten Münsterweg. Das Hauptgebäude des Hofes (um 1590d) Das Hauptgebäude ist ein großformatiges Wohn- und Wirtschaftsgebäude, das als Längsdielenhaus von Fachwerk in west-östlicher Richtung stehend mit Toreinfahrt im Ostgiebel errichtet wurde. Dieses wurde als Vierständerhallenhaus mit aufgelegten Dachbal- ken verzimmert, wobei das mit Eichenbohlen ver- schlossene Giebeldreieck weit über zweifach gekehl- ten Taubandknaggen und Hakenbalken vorkragt. Allein schon diese konstruktiven Details ließen die baugeschichtliche Forschung seit Langem von einer Errichtung des Gebäudes im späteren 16. Jahrhundert ausgehen, wobei diese bislang vermutete Bauzeit durch eine dendrochronologische Untersuchung im Zuge von 2009 durchgeführten Sanierungsmaßnah- men bestätigt und die Errichtung genauer auf die Jahre um 1590 eingegrenzt werden konnte.54 Damit ist davon auszugehen, dass das Gebäude im Zusammenhang mit dem ab 1590 nachweisbaren Aufbau des Gutsbetriebes neu errichtet wurde. Um 1590 entstand eines der größten Längsdielenhäuser, das heute noch zumindest in Teilen aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg im Münsterland überliefert ist. Entsprechend seines hohen Alters ist das Gebäude allerdings später mehrmals modernisiert und verändert worden, wobei man es nach Baubefunden und dendrochronologischer Datierung zumindest im Wirtschaftsteil 1720 modernisiert, nach dendrochronologischer Datierung sowie archivalischen Quellen 1834 am Wohnende vollständig erneuert und zugleich ein weiteres Mal umfassend modernisiert und schließlich 1953 im Wirtschaftsteil erneut stark verändert sowie im Wohnteil modernisiert hat. Da das ursprüngliche Hausgerüst durch den Zimmermann durchnummeriert wurde, kann der Kernbau in seinen wesentlichen Strukturen noch immer gut 335 336 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen erschlossen werden: Dieser erhielt 15 Gebinde (von denen die ersten vier im Jahre 1834 entfernt wurden).55 Bei einer ungewöhnlich großen Breite von 14,20 m erhielt das Vierständergerüst eine Gesamtlänge von etwa 30,90 m. Das Wandgefüge der jeweils etwa 1,95 m breiten Gefache war an beiden Traufwänden nur einfach verriegelt (die Riegel einfach ver- nagelt) und wies an jedem zweiten Ständer im Längsverband verdeckt verzimmerte paarige Kopfbänder auf; diese bauzeitlich sehr großen Gefache dürften daher mit Lehmflechtwerk verschlossen gewesen sein. Während im Querverband zwischen den Ständern der Außenwände und den Dachbalken keine Kopfbänder vorhanden waren, bestanden diese zwischen den beiden inneren Ständerreihen und den Dachbalken. Das Dachwerk des Hauses bestand aus starken, auf die Balkenköpfe gezapfte Sparren, die zwei hochsitzende und eingezapfte Kehlbalkenlagen aufwiesen. Hierbei wurde die untere Kehlbalkenlage durch Kopfbänder zu den Sparren gesichert56 und war daher wohl als weiterer Lagerboden vorgesehen. Das erhaltene Giebeldreieck des Wirtschaftsgiebels kragt über breiten Taubandknaggen und Hakenbalken bzw. Rühmenden vor und ist verbohlt: Zur Halterung der in eine Nut an der Unterseite der Giebelsparren eingenuteten Bohlen bestehen mehrere zurückgesetzt verzim- merte Riegelketten, die von drei Ständern mit Fuß- blättern gehalten werden.57 Der Wirtschaftsteil des Hauses umfasste neun Gefache, gefolgt von einer wohl nicht durch eine Scherwand abgetrennten Flettküche von drei und einem Kammerfach von zwei Gefachen. Beide Seitenschiffe erhielten eine lichte Breite von 2,30 m und dürften daher als Kuhställe eingerichtet gewesen sein. Die weitere Untergliederung des Wirtschaftsteiles in den beiden Seitenschiffen kann in den Details heute nicht mehr nachvollzogen werden, da man 1953 die inneren Ständerreihen nahezu vollständig entfernt hat. Der ursprüngliche daran nach Westen anschließende Wohnteil („Kammerfach") ist insgesamt nicht erhalten und in seiner Gestalt auch durch andere Quellen kaum dokumentiert. Bei einem Umbau 1833 wurde dieser zwei Gefache umfassende Bereich insgesamt abgebrochen und auch der davor befindliche Bereich der ehemaligen Flettküche von drei Gefachen stark umgebaut. Baubefunde deuten darauf hin, dass das Haus schon bauzeitlich im Flettbereich nur eine nörd- liche hohe Lucht aufwies, während das südliche Seitenschiff auch im Bereich der Flettküche fortge- setzt war. Hier ist nach Vergleichsbeispielen ein Wohnbereich für den Pächter anzunehmen (1807 als Küchenstube und Küchenkammer genannt). Das wohl mit einem Halbkeller versehene Kammerfach scheint nach den Angaben in den Pachtverträgen des frühen 19. Jahrhunderts aus einer großen Saalkammer bestanden zu haben, an die seitlich zwei kleine Kammern anschlossen (sie wurden um 1800 als 7 Gut Haus Milte bei Telgte; Grundrissplan zum Umbau des Haupthauses im Jahre 1833. Hierbei hat man den gesamten alten Wohnteil erneuert und massiv ummauert: Die Herdküche wurde verändert und das Kammerfach zu einer mehrräumigen Wohnung mit Toilettenanbau erweitert. Die herrschaftliche Wohnung blieb ohne eigene Küche und erhielt mehrere Ausgänge in der südlichen Traufwand zu dem davor angelegten Garten. Die Wohnräume des Pächters schlossen sich östlich an die herr- schaftlichen Wohnräume an. Den Plan erstellte der Regierungs- und Baurat Teuto (1783-1856) bei der Regierung in Münster (Archiv, Hs Runde). Saalkammer und Torhaus. 337 Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) Schlafkammern bezeichnet und könnten auch nach- träglich von der Saalkammer abgetrennt worden sein). Modernisierung/Reparatur (1720d) 1720 wurde das Haus - wohl vor allem im Bereich des Wirtschaftsteiles - renoviert und hierbei wohl auch das gesamte Dachwerk bei Abnahme der Sparren und Einbau einer Sparrenschwelle über den Balkenköpfen saniert. Viele der Sparren und wohl auch einige Dachbalken hat man hierbei ausgetauscht, was auf einen zuvor eingetretenen Verfall des Hauses hindeutet. Wohl im Zuge dieser Erneuerung hat man zudem hinter dem großen Dielentor einen Vorschauer und seitlich davon jeweils abgetrennte Räume mit Zwischen- geschoss von einem Gefach Tiefe geschaffen. Hier dürften die 1807 genannten Kammern für Knechte und Mägde untergebracht gewesen sein. Im Zuge dieser Baumaßnahmen hat man den Vordergiebel modernisiert, mit größeren seitlichen Fenstern versehen und wohl mit Backstein ausgemauert. Bauspuren weisen auf eine weitere - allerdings wohl erst später vorgenommene - konstruktive Veränderung der Dachkonstruktion hin: Nachträglich, aber zu nicht näher bekannter Zeit, wurden zwischen allen der weit gestellten Sparren über dem Wirtschaftsteil jeweils vier Wechselbalken eingefügt: Sie wurden jeweils am östlichen Ende seitlich in die Sparren gezapft und am westlichen Ende mit einem Jagdzapfen befes- tigt. Denkbar sind sie als Unterkonstruktion für Zwischensparren, um die Dachdeckung fester unterstützen zu können.58 Dieser Befund könnte auf eine zunächst vorhandene Eindeckung mit Stroh hindeuten. 1807 wird das Dach des Prinzipalhauses bei Er- 8 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Haupthauses von Südwesten im Zustand nach dem Umbau von 1833. Im Vordergrund dargestellt ist der erneuerte Wohnteil des alten Haupthauses mit der Sommerwohnung von Oberlandesge- richtsrat Dr. Clemens August von Olfers in Münster. Darstellung auf einem Pfeifenkopf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; Miniaturmalerei auf Porzellan (Foto westfalia picta, Deuker 1986). neuerung der Lattung umgedeckt, wofür man 600 neue Pfannen und 4 000 Docken beschaffte. Zugleich wurde der westliche Giebel neu verbrettert.59 Im Inneren scheint man zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor 1830 beide Seitenschiffe durch Vorschieben der Ständerreihe in die Diele verbreitet zu haben: Hierbei wurde das südliche um etwa 0,50 m und das nördliche um etwa 0,75 m verbreitert.60 Möglicherweise geschah dies, um zumindest im Norden statt der Kühe die im späteren 18. Jahrhundert nachweisbar größere Zahl von Pferden unterbringen zu können. Das Hausinnere lässt sich in seinen wesentlichen Strukturen und Funktionen mithilfe eines überlieferten Inventarverzeichnisses aus dem Jahre 1807 genauer erfassen, da man hier die meisten der im Haus angetroffenen Gegenstände mit ihrem Standort verzeichnete: Auf der Diele standen zu dieser Zeit acht hölzerne Futterkisten. Beidseitig wurde die Diele von Ställen begleitet, wobei auf der einen Seite Kühe, auf der anderen Seite Pferde aufgestallt waren. Die Pferdeställe wiesen vier steinerne und einen hölzernen Trog auf, die Kuhställe acht hölzerne Tröge - die 9 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht der südlichen Traufwand des Haupthauses (Foto von 1963 aus: Der Landkreis Münster. Münster 1963, S. 47). 338 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Kuhställe dürften daher die ganze Länge der zu dieser Zeit acht Gefache langen Diele umfasst haben, während sich an die Pferdeställe möglicherweise Wohnräume im Bereich von drei Gefachen anschlossen. Sowohl über den Pferdeställen wie über den Kuhställen gab es jeweils eine Knechtbühne, auf der Bettladen standen - hierbei dürfte es sich um Kammern im Zwischengeschoss der seitlichen Räume im Vorschauer handeln. In der offenbar von der Diele durch eine Scherwand abgetrennten Küche befand sich 1807 ein offenes Herdfeuer mit zwei Brandruten. Neben der Küche lag eine Küchenstube, in der ein Plattenofen und ein ovaler Tisch standen, ferner eine Kammer an dieser Küchenstube, in der eine Bettlade mit Behang aufgestellt war. Auch in einer weiteren Schlafkammer an der Küche befand sich eine Bettstelle mit Behang. Ferner wird noch eine Mägdekammer mit drei Bettladen und eine Waschkammer mit einem steinernen Kump genannt. Alle diese genannten Nebenräume befanden sich nach der weiteren Beschreibung des Hauses nicht im westlichen Kammerfach des Hauses und müssen daher - wie dann für die Zeit vor dem Umbau nach 1832 nachweisbar - im nördlichen Seitenschiff gelegen haben. Während im südlichen Seitenschiff nach den Baubefunden61 offensichtlich eine hohe Lucht von drei Ge- fachen bestand, kann im nördlichen Seitenschiff höchstens eine Lucht von zwei Gefachen Länge be- standen haben, sodass auch eine hier durchgehende Ständerreihe anzunehmen ist.52 Das Kammerfach am westlichen Ende des Hauses bestand nach den schriftlichen Quellen aus einem wohl unterkellerten Saal, an den sich (wohl seitlich daneben) zwei Schlafkammern anschlossen. Auf dem Saal stand 1807 ein großer Schrank, dessen Nutzung den Eigentümern des Hauses vorbehalten war. Zwei Fenster waren mit Gardinenstangen versehen, an denen vier weiße Gardinen hingen. In der ersten, der kleinen oder Eck-Kammer am Saal standen 1807 eine Bettlade mit Behang, ein kleiner eckiger Tisch, ein runder Tisch, sechs Binsenstühle und an der Wand hing ein Spiegel. In der zweiten Kammer stand ebenfalls eine Bettlade mit Behang. Das damit zumindest für die Zeit um 1800 noch fassbare Raumprogramm im Wohnteil des Hauses (auch 1832 wird es noch im gleichen Zustand beschrieben) zeichnet sich durch eine ungewöhnlich große Zahl von Wohnräumen aus, die sich teils im Kammerfach, teils aber auch neben der Flettküche befanden. Diese Struktur war möglicherweise in wesentlichen Teilen noch bauzeitlich und dokumentiert die besondere Nutzung, da der Bereich nicht nur der dauernd in dem Haus lebenden Pächterfamilie dienen sollte, sondern auch Raum für die Besuche der Besitzer bereithalten musste, z. B. wenn sie ihr Gut und das Haus insbesondere als Sommerfrische aufsuchten. 10 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht der südlichen Traufwand des Haupthauses (Foto Kaspar 2009). Saalkammer und Torhaus. 339 Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) 11 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht der Feldseite des Torhauses von Südosten mit vorgelagerter, im 19. Jahrhundert massiv erneuerter Brücke über die Gräfte (Foto Kaspar 2011). Umbau/Erneuerung (1832/34) 1832 befand sich das Haus in einem solchen Umstande, daß der obere Theil [= der Wohnteil] bis auf den Grund abgebrochen und neu aufgebaut werden muß ... bey dieser Gelegenheit habe ich [= der Eigentümer] es als zweckmäßig gefunden, in diesem oberen Theiel Wohnung für uns bauen zu lassen. Im Zuge des Bauprogramms erhielt das Haus in den Jahren 1832/33 nicht nur einen vollständig erneuerten Wohnteil mit massiven Umfassungswänden, sondern im folgenden Jahr wurde auch das Fachwerk des Wirtschaftsteils repariert: Hier baute man in den bislang weiten Gefachen der Außenwände Zwischenständer ein, schuf zudem statt der bislang zwei Riegel am Wirtschaftsgiebel nun dort drei Riegelketten (seitlich der Torständer zudem jeweils eine lange Fußstrebe), sodass die durch die Maßnahmen erheblich verkleinerten Gefache gut mit Backsteinen ausge- mauert werden konnten. Das Hausgerüst erhielt außerdem einen neuen höher gesetzten Sockel aus Sandsteinschwellen. Die Öffnungen der neu und massiv erstellten Umfassungswände des Wohnbereiches fasste man mit Werksteinen ein. Die Bauarbeiten wurden in den Jahren 1832 und 1833 nach Plänen und unter Leitung des Bauinspektors Teuto aus Münster durch Maurermeister Wickhoff und den Zimmer- meister Philipp Lodde aus Telgte ausgeführt, wofür insgesamt die umfangreiche Summe von 1 456 Thl. abgerechnet wurde. Die große Zahl der hierbei notwendigen Backsteine bezog man von zwei nahegelegenen bäuerlichen Ziegeleien63 und den Kalk vom Kalkbrenner Heukamp. Den neuen Wohnteil orientierte man in den Höhenabmessungen am bestehenden Altbau, doch wurde das Haus um etwa 5 m nach Westen verlängert, um die nun gewünschten, separat zu nutzenden und getrennt zu erschließenden Wohnräume für den Aufenthalt der Herrschaft schaffen zu können: Der neue herrschaftliche Wohnteil wurde im Kammerfach in der Hausverlängerung untergebracht, während man die neue Flettküche im Bereich des alten Kam- merfaches unterbrachte. Der Bereich der alten Flettküche wurde im Bereich der Seitenschiffe zu Wohnzwecken eingerichtet und im mittleren Bereich der Wirtschaftsdiele zugeschlagen, die damit um drei Gefache verlängert werden konnte. Die neue Balkenlage über dem Wohnteil erhielt ebenso wie das darüber ebenfalls neu verzimmerte Sparrendach einen bedeutend geringeren Gebindeabstand.64 Die innere Aufteilung folgte zwar den überlieferten Formen, wurde jedoch modifiziert: Kern blieb zwar noch immer eine große, allerdings nur von der rech- 340 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen ten (nördlichen) Traufwand belichtete Herdküche, die nicht die ganze Hausbreite einnahm. Diese Herdküche erhielt ein offenes Herdfeuer vor dem großen, in der Hausmitte gestellten Kaminblock mit weitem hölzernen Rauchfang („Bosen") darüber und diente sowohl den Pächtern als auch der Herrschaft und ihrem Gesinde bei ihrem Aufenthalt. Die Balkenlage über der Nordseite der Küche wurde in traditioneller Weise von einem Luchtbalken unterstützt, der mit Kopfbän- dern mit doppeltem Karnies getragen wird. In die Küche eingestellt wurde eine offene Treppe zum Dachboden, wobei ihr Wendepodest auch einen Zugang zu den herrschaftlichen Räumen ermöglichte. Auf dem Dachboden wurden über dem Kammerfach drei von einem kleinen Vorflur erschlossene Wohnräume mit Fachwerkwänden abgetrennt: Nach Nor- den ein schmalerer Raum unter der Dachschräge und nach Süden zwei große und vom Giebel gut belichtete Kammern.55 Diese Räume waren auf Wunsch der Hauseigentümer entstanden und wohl als Schlaf- und Gästezimmer vorgesehen. Entlang der Südseite des Hauses erfolgte eine um zwei Gefache bis in den alten Wirtschaftsteil hineinreichende Raumfolge, die neben einem von einer in klassizistischen Formen gestalteten und mit Oberlicht betonten Haustür zugänglichen Durchgang zur Küche mehrere mit großen Fenstern gut belichtete Räume aufnahm. Die östlich des Durchgangs befindlichen drei Räume hatten nur einen Zugang von der Küche und waren daher wohl zur Wohnung des dauernd im Haus lebenden Pächters mit Stube und zwei anschlie- ßenden Schlafkammern vorgesehen. Zwei weitere zur Pächterwohnung gehörende Schlafkammern (für das männliche und das weibliche Gesinde?) schuf man im Anschluss an die Küche im nördlichen Seitenschiff. Der herrschaftliche Wohnbereich im Kammerfach war getrennt von der südlichen Traufwand über einen kleinen Flur erschlossen und erhielt zudem eine (erhaltene) zusätzliche zweiflügelige und verglaste Gartentür im südlichen Zimmer, doch konnten sämtliche Zimmer auch über Innentüren von der Flettküche des Hauses betreten werden. In der südlichen Hälfte des Kammerfaches befanden sich zwei größere Wohnräume, jeweils von hohen vierflügeligen Fenstern gut belich- tet. Die nördliche Hälfte des Kammerfaches wurde mit einem niedrigen, wegen des Grundwasserspiegels nur wenig eingetieften Keller mit Balkendecke versehen. Hierüber befanden sich weitere etwas niedrige und entsprechend nur mit zwei Flügeln versehene Fenster belichtete Räume, von denen der vordere wohl als Schlafkammer diente, der hintere nach Norden durch eine Trennwand unterteilt - als Vorraum zu 12 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Torhauses mit der 1902 geschaffenen Villa im westlichen Teil: Ansicht von Südwesten (Foto Kaspar 2011). Saalkammer und Torhaus. 341 Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) 13 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Torhauses mit der 1902 geschaffenen Villa im westlichen Teil: Ansicht von Norden (Foto Kaspar 2011). einem dem Westgiebel vorgebauten Abort und einem weiteren kleinen Raum unbekannter Funktion. Diesen Zustand dokumentiert eine Ansicht, die als Erinne- rungsbild auf einem Pfeifenkopf von Porzellan gemalt worden ist.66 Während der Sanierung konnten 2009 einzelne Befunde zur ursprünglichen Gestaltung der Oberflächen in den herrschaftlichen Räumen dokumentiert werden: Die Fenster des südwestlichen Wohnraumes waren zunächst mit einer dünnen umbragrauen Farbschicht überzogen, auf die erst viele Schichten weißer Farben folgten, die Fenster des östlich anschließenden Raumes hingegen zunächst grün gefasst. Die zwischen diesen Räumen liegende Gartentür war einschließlich des Gewändes auf der Innenseite über wohl als Grundierung gedachten leicht hellgrauen Schicht zunächst grün gefasst und später darüber mit einer rotbraunen Farbschicht mit Firnis als Holzimitation versehen worden.67 Weitere Umbauten/Reparaturen 1861 wurde das Dach des Hauses repariert, wofür man 11 280 Strohdocken abrechnete. Es dürfte sich um eine Umdeckung gehandelt haben. Der gesamte Innenausbau des herrschaftlichen Wohnteils blieb bis zum Jahr 2009 einschließlich der teilweise aufwändig gestalteten Türblätter und Zargen, der Flügelfenster (einschließlich ihrer Beschläge), die Flettküche mit Kaminstapel und Rauchfang (ohne Gesims) weitgehend in den wesentlichen Strukturen erhalten. Seit 1902 dürfte allerdings die herrschaftliche Wohnung nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck gedient haben, da hierzu nun die neue Wohnung im Torhaus vorhanden war. Bei folgenden, im Umfang nicht näher bekannten und datierten Umbauten im Laufe des 20. Jahrhunderts68 hat man ohne größere Eingriffe in die Substanz lediglich verschiedene Zwischenwände in die Flettküche und unter dem Rauchfang Wände zur Abkleidung einer Waschküche gestellt. Im südlichen Flur hat man die beiden seitlichen Türblätter um 1900 erneuert. Um 1930 erhielt der Boden der Küche neue Fliesen und die Balkendecke wurde abgehängt. Zudem wurde der Abortvorbau am Westgiebel abgebrochen.69 Die Kammern des Pächters in den Seitenschiffen des Stallbereiches sind bei einem eingreifenden Umbau des Wirtschaftsteils im Jahre 1952 abgebrochen worden. Hierbei hat man zur Schaffung breiterer Stallbereiche beide inneren Ständerreihen mit der Ausnahme von jeweils einem Ständer entfernt und stattdessen eine Stahlbetonkonstruktion mit Zwischendecken 342 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 14 Gut Haus Milte bei Telgte; Grundriss des Torhauses, rekonstruierter Zustand der Bauzeit 1599 (nach Bauaufnahme F. Kaspar 2009, Zeichnung I. Frohnert 2013). 15 Gut Haus Milte bei Telgte; Feldseite des Torhauses (Südfront). Skizze mit Baubefunden zum ursprünglichen Zustand von Josef Schepers aus Münster um 1950 (Planarchiv LWL-Dankmalpflege, Landschafts- und Baukultur). Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus derzeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) über den Ställen eingebaut. Im Flettbereich wurden die Haustür und die Fenster der Nordwand erneuert. 2009 wurde der Wohnteil umfassend modernisiert, wobei man weitgehend alle baulichen Details wie Türen und Fenster austauschte. Das Torhaus (von 1599) Das massive Torhaus wurde in der südöstlichen Ecke der Gräfteninsel errichtet, wobei es mit seiner südlichen Traufwand und dem östlichen Giebel entlang der Außenkante der inneren Gräfte gestellt ist.70 Damit ist es so gestellt, dass es sich mit seiner langen Hauptfront jedem darbot, der über die historische Erschließung von dem südlich an dem Gut vorbeikommenden Münsterweg ankam. Das großformatige Gebäude hat eine Grundfläche von 22,60x10,85 m und wird von einer Querdurchfahrt bestimmt. Diese wird von Torbögen mit nach innen aufschlagenen Fiügeltoren erschlossen, wobei der feldseitige Torbogen in der Südfront ehemals zusätzlich von außen mit einer vor die Wand schlagenden hölzernen Zugbrücke über die Gräfte verschlossen werden konnte (hiervon zeugen noch die sandsteinernen Öffnungen darüber für die Laufräder der Brückenaufhängung). Die ursprüngliche Gestalt des Gebäudes ist aufgrund einschneidender Um- und Erweiterungsbauten in den Jahren 1687 und 1902 nicht mehr erhalten und auch nicht mehr in allen Details nachvollziehbar. Josef Sche- pers vermutete aufgrund der am östlichen Giebel in Zweitverwendung erhaltenen hölzernen Knaggen, die auf den dortigen sandsteinernen Konsolen ruhen, dass das Gebäude zunächst ein nicht weiter dokumentiertes Obergeschoss gehabt hätte.71 Dies ist aller- dings nicht sicher zu belegen.72 Sollte ein solches Obergeschoss vorhanden gewesen sein, wäre es als aus Fachwerk verzimmertes und umlaufend leicht vor- kragendes Stockwerk zu rekonstruieren und schon 1687 abgebrochen worden.73 Eine in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Ansicht des Gebäudes auf einem Pfeifenkopf zeigt das Gebäude eingeschos- sig und mit umlaufenden Knaggen unter dem Dachansatz74 (siehe Abbildung 16). Die Umfassungswände das Gebäudes bestehen über dem Sockel aus schollenartigem, anstehenden Bruch- stein aus sauber gearbeiteten Backsteinmauerwerk, wobei alle Gebäudeecken aus groben Blöcken gelben Sandsteins gebildet und die Öffnungen mit Sandsteingewänden eingefasst wurden (der Sandstein stammt wohl aus den Baumbergen). Auch die rundbogigen Torbögen haben Sandsteingewände,75 wobei der Scheitelstein des feldseitigen Bogens die eingeschlagene Datierung 1599 aufweist (daneben heute nur noch schwach erkennbar IHS). Über den Mauern liegt eine Lage aus stark dimensio- nierten Eichenbalken. Hierüber erhob sich bis 1902 ein Sparrendach, wobei die beiden Giebeldreiecke allerdings nicht massiv ausgeführt waren, sondern als mit Bohlen beschlagene Holzkonstruktion über Konsolen vorkragten. Links und rechts der Durchfahrt schlossen sich zwei jeweils eigenständige, von der Durchfahrt durch ebenfalls aus Backstein aufgemauerte Wände abgetrennte Bereiche an. Beide umfassen jeweils nur einen großen Raum, sind allerdings deutlich unterschiedlich ausgebildet. Der Auf- und Ausbau des westlichen Bereiches ist heute nur noch aus den teilweise erhaltenen Umfassungswänden und den wenigen vorliegenden archivalischen Nachrichten zu erschließen: Hier bestand ein ebenerdiger und daher sehr hoher, bis unter die Dach-Balkenlage reichender Raum, der wohl auch eine Feuerstelle besaß (sie ist im westlichen Seitengiebel zu vermuten) und der daher wohl als Küche diente. Im 18. Jahrhundert wurde dieser Raum wohl nicht zuletzt wegen der Feuerstelle als Brau- küche des Gutes genutzt, eine (zusätzliche) Nutzung, die der Raum auch seit der Errichtung gehabt haben kann. Der Raum war vom Hof durch eine großformatige Tür mit Sandsteingewände erschlossen (der Sturz ist erhalten). Die Ansicht des Gebäudes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts lässt ein Zwischengeschoss unter dem Dach erkennen; ob es später geschaffen wurde, ist unklar. Weitere Befunde zur Gestalt der Küche sind nicht bekannt. Der östliche Bereich des Torhauses ist hingegen schon bauzeitlich unterkellert worden (hierauf weisen die kleinen Luken mit Sandsteingewänden auf allen drei Seiten hin). Da der mit einer Balkendecke überspann- te Keller wegen des Wasserspiegels der Gräfte nur halb eingetieft ist, erhielt der darüber befindliche Wohnraum eine noch immer respektable Höhe. Sowohl der Keller wie auch der Wohnraum darüber haben ihren Zugang von der Durchfahrt. Der obere Raum dürfte ehemals in der Mitte des Ostgiebels wohl einen Wandkamin aufgewiesen haben (dieser dürfte schon im Zuge der 1687 notwendigen Erneuerung der Wand entfernt worden sein; seitdem ist hier nur noch eine Wandnische erhalten), neben dem sich zwei Kreuzstockfenster befanden. Auch an den beiden anderen Außenwänden gab es jeweils ein bzw. zwei Kreuzstockfenster. Die Balkenlage über diesem Raum wird von zwei Längsunterzügen gestützt. Sie sind ebenso wie alle Balken der Decke sauber verar- beitet, auf Sicht gearbeitet und an den unteren Kanten mit einem Stabprofil versehen. Befunde zu historischen Putzen und Farbfassungen des Raumes konnten bislang nicht erhoben werden. Die wenigen noch nachweisbaren baulichen Details sprechen dafür, dass der östliche Raum als eine unterkellerte und repräsentativ ausgestattete Saalkam- mer dienen sollte: Es dürfte sich daher um einen Wohnsaal gehandelt haben, der als Sommerwohnung der wohl in Münster lebenden Verpächter ebenso denkbar ist wie ihre Altenteilerwohnung. 343 344 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 16 Gut Haus Milte bei Telgte; Ansicht des Torhauses von Südwesten im Zustand vor dem Umbau von 1903. Darstellung auf einem Pfeifenkopf aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; Miniaturmalerei auf Porzellan (Foto: westfalia picta, Deuker 1986). Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) 17 Gut Haus Milte bei Telgte; Wagenschuppen von 1834 zur Unterbringung der herrschaftlichen Fuhrwerke auf der verpachteten Hofstelle. Zufahrt vom Torhaus in zwei Toreinfahrten des südlichen Giebels (Foto Kaspar 2011). 345 346 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 1687 ist eine größere Reparatur an dem Gebäude vor- genommen worden, wobei man offenbar auch die Balkendecke über dem östlichen Kellerraum erneuerte oder zumindest reparierte (der Keller ist zumindest seitdem durch eine Längswand aus mit Holzfeldern verschlossenem Fachwerk in zwei Teile unterteilt). Hintergrund der Baumaßnahme scheint ein starker Bauschaden gewesen zu sein, sodass offensichtlich der gesamte Ostgiebel einschließlich eines Abschnitts der beiden anschließenden Traufwände erneuert wer- den musste.76 Die Köpfe der im Zuge dieser Baumaßnahme eingezogenen Eisenanker zur Befestigung der die Kellerdecke tragenden Balkenlage ergeben eine umlaufende Inschrift: Auf der Südseite: R [= renoviert?] ANNO, dann auf der Ostseite: 1687 und auf der Nordseite: [...] / M I [= wohl die Initialen der Bauherren], Die Einrichtung des damit stark erneuerten und veränderten Gebäudes ist durch ein Inventarverzeichnis von 1807 genauer zu erfassen: Zu dreser Zeit befanden sich in der westlichen Hälfte, im Brauhaus alle zum Brauen notwendigen Geräte und Gegenstände. Ferner gab es - wohl in der östlichen Hälfte - einen Keller sowie an nicht näher bekannter Stelle eine Käsekammer (wohl der nachweisbare zweite Kellerraum). Auch ein Raum zum Backen mit einem Ofen lässt sich nachweisen (möglicherweise als Abtrennung vom Brauhaus). Der Saal in der östlichen Hälfte war (seit 1687?) als Hauskapelle eingerichtet; der Altar dürfte vor der Ostwand gestanden haben, wozu man möglicherweise 1687 eine dort noch vorhandene mittlere Wandnische geschaffen hatte. Von dieser Hauskapelle zeugt neben dem Inventar von 1807 auch ein weiteres von 1832. Beschrieben werden hier 14 Paar Bilder am Altar, zwei blecherne Wandleuch- ten, vier weitere von Holz, zwei Kirchenbänke, eine Bank, ein Sessel, sechs Brettstühle und sechs weitere mit Leder beschlagene Sessel, ein runder Tisch und weitere kleinere Gegenstände. 1807 wurde das Dach des Pforthauses umgedeckt, wofür man auch 500 neue Pfannen benötigte. Die sieben vorhandenen Dachfenster wurden abgenommen und erneuert. Ferner erneuerte Zimmermeister J. Schmidt aus Münster die Verbretterung des westli- chen Giebels. 1842 wurde die bislang vorhandene hölzerne Zug- brücke abgebrochen und durch eine neue massiv aus Backstein von Zimmermeister Lodde aus Telgte ge- mauerte und bis heute erhaltene Bogenbrücke ersetzt. te die Backöfen. Die Arbeiten wurden durch den Zimmermeister Wilh. Brinckschulte aus Münster und den Maurermeister Ferdinand Wiese aus Münster ausgeführt. 1902 wurde das Torhaus einschneidend verändert: Den westlichen Teil baute man als Landhaus für den Justizrat Dr. Göring aus.77 Hierbei wurde unter teilwei- ser Verwendung der alten Umfassungswände ein zweigeschossiger Backsteinbau geschaffen. Darüber entstand ein ausgebautes Mansarddach in malerisch gebrochener Gestalt. Seit 1905 wurde das Gebäude als Sommerhaus durch die Erbin Maria Göring und ihren Ehemann Rechtsanwalt Philipp Haerten genutzt. Er war zunächst Stadtphysikus in Münster, dann aber über zwei Jahrzehnte seiner Laufbahn in anderen Städten, wobei sie während dieser Zeit Haus Milte regelmäßig im Sommer bewohnten. Der Wagenschuppen (von 1834) Der Schuppen wurde im Zuge der umfassenden Erneuerung des Gutes errichtet, um hier die Fuhr- werke der Besitzerfamilie unterzubringen, wenn diese aus Münster anreisten. Der Fachwerkbau wurde mit der Traufwand an der Ostseite des Hofplatzes als Fachwerkbau von zehn Gebinden mit aufgelegten Balken errichtet. Das beim Bau verwendete Eichenholz ist teilweise zweitverzimmert. Das Gerüst steht auf einer Sandsteinschwelle über Bruchsteinsockel, die Wände wurden zweifach verriegelt und mit Backstein ausgemauert. Das Dach ist mit Sparrenpaaren im gebundenen System verzimmert, hat einen Kehlbalken und erhielt eine Eindeckung mit Holzpfannen auf Docken. Das Gebäude wurde als zweischiffiger Bau mit einer mittleren Längswand ausgeführt. Die beiden nebeneinander befindlichen Dielen sind jeweils von beiden Giebelfronten über die dort vorhandenen Torbögen befahrbar. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die mittlere Längswand zum größten Teil entfernt worden und drei der ursprünglichen Tore wurden durch Fachwerkwände verschlossen. 1986 wurde das Gebäude instand gesetzt (hierzu wurde ein Inschriftenstein von Sandstein in der westlichen Traufwand eingemauert) und das Dach umgedeckt. Holzschuppen (von 1863) Auf der inneren Insel errichtete man 1863 zwei neue Holzschuppen, die mit ihren Rückseiten entlang der Für das Jahr 1870 sind Bauarbeiten an einer Stallung, Gräften gestellt werden.78 Die weitere Geschichte des Gebäudes ist nicht bekannt. Torhaus. Denn in diesem Zusammenhang wurde nicht nur das alte Braugerät verkauft (der Kessel sei ganz Stallgebäude (von 1903/1928/1934) Wagenremise und einer Bedienstetenstube überliefert. Offenbar handelt es sich um Umbauten im alten unbrauchbar), sondern man brach auch ein neues Einfahrtstor in bestehendes Mauerwerk und beseitig- Im Jahre 1903 wurde entlang des nördlichen Randes der Gräfte ein neues Stallgebäude als eingeschossiger Backsteinbau errichtet.79 Die Pläne dürften von dem Saalkammer und Torhaus. Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) Baurat Löfken, Leiter des Baubüros des Westfälischen Bauernverbandes, gezeichnet worden sein.80 1928 wurde das Nebengebäude mit Ställen durch das Baugeschäft von Heinrich Tumbrink/Münster in der nordöstlichen Hälfte als eingeschossiger Backsteinbau mit Drempelgeschoss unter Satteldach erneuert. 1934 wurde die südwestliche Hälfte des Gebäudes ebenfalls durch das Baugeschäft H. Tumbrink mit einer Grundfläche von 104 qm für 4 000 Mark erweitert, allerdings ohne Drempel unter dem Satteldach.81 Das nicht mehr genutzte Stallgebäude wurde 1970/71 zu Wohnzwecken ausgebaut (Planung durch Wilhelm Bellmann/Telgte). Schafstall außerhalb der Gräfteninsel (bis 19. Jahrhundert) Bis 1733 unterhielt der Hof einen Schafstall auf der nördlich gelegenen „Hohen Heide". Ein bestehender Schafstall ist dann wieder 1833 nachzuweisen, der nach Ausweis des Urkatasters von 1829 südlich außer- halb des Gräftenringes neben der Zufahrt zum Gut stand. Das Gebäude wurde zu nicht näher bekannter Zeit abgebrochen. Anmerkungen Bischöfe von Münster 1379-1450. Münster 2007, F 2007. 1 Adresse 1769 bis 1975 Schwienhorst Nr. 10, seitdem Graf- 8 Zu dem Lehen gehört auch das Gut Dauvenmühle bei horst 2. 2 Hierzu hatte schon der damalige Eigentümer Gisbert Münster. Lensing-Hebben nach 1950 viele Besitznachrichten für die 9 Kempkes/Wolf 2007 (wie Anm. 7), S. 67 (nach Pfarrarchiv Lembeck, Urkunde 211), H 33. Zeit zwischen dem 17. bis 20. Jahrhundert zusammengetra- 10 Hugo Kemkes, Gerd Theuerkauf und Manfred Wolf, Die gen, die von seinem Sohn dankenswerterweise zur Auswer- Lehnsregister der Bischöfe von Münster bis 1379. Münster tung zur Verfügung gestellt wurden. Auf dieser Grundlage wurden zwischen 2009 und 2012 durch die Autoren noch zahlreiche weitere Quellen und im Einzelnen zitierte Nachrichten zusammengetragen und ausgewertet werden. 3 Josef Schepers aus Münster war die Hofanlage und die Bedeutung der dort stehenden Bauten schon um 1935 durch seine zahlreichen Erkundigungsfahrten mit dem Fahrrad durch das Münsterland bekannt geworden. Er berei- tete eine eingehende Untersuchung der Bauten vor, auf die er später auch verschiedentlich hinwies (Josef Schepers, Das Bauernhaus in Nordwestdeutschland. Münster 1943, S. 203, Anm. 142; Wilhelm Schmülling, Hausinschriften in Westfa- 1995, E 759. 11 Ehemals Vechtrup Nr. 17 (heute Vechtrup 8). 12 Kempkes/Wolf 2007 (wie Anm. 7), J 305. 13 Friedrich Walter, Grundherren, Bauern und Kötter im Kirchspiel Telgte vor 1820, in: Telgte - Chronik einer Stadt. Telgte 1974, S. 51-76, hier S. 67. 14 1353 wird Machorius als genannt Schenking bezeichnet. 15 Werner Freitag, Die Telgter Marienverehrung und Wall- fahrt, in: Werner Frese (hg.), Geschichte der Stadt Telgte. Münster 1999, S. 295-318, hier S. 299. 16 Die Familie, die wahrscheinlich von dem gleichnamigen Gut bei Albachten nahe Münster stammte, saß auf zahlrei- len und ihre Abhängigkeit vom Baugefüge. Münster 1950, S. 43, 50, 153 und 165; Josef Schepers, Haus und Hof west- chen Gütern im Umkreis von Münster, so Vehoff im Kirch- fälischer Bauern. Münster 1960, S. 103; Fred Kaspar, im Kirchspiel Nienberge und Borcherdinghof, ferner auf Fachwerkbauten in Westfalen vor 1600. Münster 1986, S. 220). 4 Die sorgfältig vermaßten Skizzen liegen im Archiv des ehemaligen Baupflegeamtes des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (heute LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Bau- kultur in Westfalen), sind aber nie ausgearbeitet oder veröffentlicht worden. 5 Die jüngere Geschichte wird im Folgenden nach dem bis- lang unverzeichneten Quellenbestand „Haus Milte" im spiel Handorf, Arnhorst im Kirchspiel Albersloh, Rüschhaus Neuenhaus bei St. Vit (Kr. Gütersloh). Mitglieder der Familie zählten auch schon früh zu den führenden Kreisen in Münster. Hierzu Anton Fahne, Die Herren und Freiherrn von Hövel. Cöln 1860, Band 1, Abt. 2, S. 219-200; Franz Flas- kamp, Die Herren von der Wyck auf Neuhaus und im Umkreis, in: Quellen und Forschungen zur Natur und Geschichte des Kreises Wiedenbrück, Heft 7. Rietberg 1934; Franz Flaskamp, Die adelige Familie von der Wyck auf Neuhaus und im Umkreis, in: Quellen und Forschungen zur West- Archiv von Haus Runde dargestellt. Hier haben sich für die Baumaßnahmen des 19. Jahrhunderts alle Akten einschließ- fälischen Geschichte, Heft 100. Gütersloh 1968, S. 98-101. lich der Quittungen für die ausgeführten Arbeiten, ferner zwei raumweise aufgenommenen Inventare von 1807 und terscher Staatsmann der Reformationszeit, in: Westfälische 1832 erhalten. Die Grundakten des Hofes sind wegen 18 So werden 1503 Heidenreich und Bernd von der Wiek Bombenschäden beim Amtsgericht in Münster nicht überliefert. 6 Etwa (nach STA Telgte, A. 615) 1653 Gut Graffhorst alias Pollert in Woeste (dieser Hof heute unter der Adresse Grafhorst 1). 7 Hugo Kempkes/Manfred Wolf, Die Lehnsregister der 17 Robert Stupperich, Dr. Johannes von der Wyck. Ein müns- Zeitschrift. 123, Münster 1973, S. 9-50. unter den führenden Schichten der Stadt genannt (STA Telgte, L. 211) und 1506 Bernd tor Wiek auch als Bürger von Telgte (STA Telgte, Urkunde 21 b). 19 Beide Güter waren schon 1379 als ein gemeinsames Lehen unter der Bezeichnung Sutbecke genannt wurden. S. Kemkes/Wolf 2007, S. 67. 347 348 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 20 PfA Telgte, Urkunde 204. Hermann Grotegesen. (1586 wurde das bisherige Lehnsgut Heidenreich von der Wycks Frau Hilleborg Buck 1484 in die Bertling zu einem Pachtgut des Stiftes St. Mauritz, wobei diese Bindung 1744 wieder gelöst werden konnte.) Familie. Diese Telgter Güter hatte Sophia von Schönebeck als 31 So diente neben Haus Milte auch das Haus Runde in der Brautschatz in ihre Ehe mit dem münsterschen Bürger Ger- zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Besitzer und des- lach Buck, eingebracht. Die Tochter seiner zweiten Ehe, Hill- sen Familie zum Sommer-Aufenthalt (Heinrich Brockmann, borg Buck heiratete Heidenreich von der Wyck, wobei sie den Telgter Besitz mit der Peperhove 1484 als Brautschatz erhielt. Er heiratete 1497 in zweiter Ehe Sophia Vincke zu Die Bauernhöfe der Gemeinden Stadt und Kirchspiel Ostenfelde, die diese Telgter Güter als Morgengabe zur frei- speicher 1889 zu einem Sommerhaus erweitert. en Verfügung erhielt (nach: Bernd Feldmann, Geschichte der 32 STA Telgte, Urkunde 322. Peperhove zu Telgte, in: Beiträge zur westfälischen Familien- forschung. 54. Münster 1996, S. 257-334, hier S. 262). 33 Sie hatten zahlreiche Kinder: Caspar (*1663), Ludwig (*1665, heiratete 1687 in Telgte Anna Christina Lorde- 22 Urkundenbuch Pfarrarchiv Telgte, Nr. 140. mann), Johann Caspar (*1668), Franz Maurits (*1670); Anna 21 Weiterer Grundbesitz kam wohl als Brautschatz von Billerbeck, Beerlage, Darfeld und Holthausen. Billerbeck 1891, S. 199). Zu diesem Zweck ist der dortige alte Stein- 23 Zur Geschichte W. Moorrees, het münstersche Geslacht Catharina Runde (1673-nach 1733 Hohenholte, heiratete von der Wyck. S'-Gravenhage 1911. 1693 in Telgte Wilhelm Rudolf Brockman) und Bernhard Heinrich Runde (*1676) - Informationen aus dem Nachlass 24 In Neuhaus war die Familie von Wyck seit 1495 ansässig. 1546 hatten sich dort die drei Brüder Heinrich, Engelbert und Jasper von Wyck geeinigt, dass sie das ererbte Gut gemeinsam verwalten wollten und es dann der Letztüberlebende erben sollte. Dies Erbe trat schließlich der älteste Bru- von Carl Knüppel in Billerbeck. 34 1668 gehörte zum Besitz des Hofes auch der Hof Marquard (heute Markfort) in der westlich benachbarten, zum Kirchspiel Handorf (heute Stadtteil von Münster) zäh- der Heinrich an. Er hatte zunächst im Konkubinat mit seiner lenden Bauernschaft Kasewinkel (Hof Nr. 14, heute Köchin Else Osterbrock gelebt, die er aber nach der Geburt mehrerer Kinder 1 545 heiratete. Nach seinem Tode musste Kasewinkel 98). 1800 wurde er dann als Eigentum des Geheimrates Forckenbeck Senior in Münster bezeichnet und sich sein Sohn und Erbe Heinrich mit den Nachkommen der 1824 von seinen Erben an die Familie Hüffer in Münster ver- Schwestern seines Vaters um die Rechtmäßigkeit des Erbes kauft. in langwierigen Prozessen streiten, konnte sich aber durch- 35 STA Telgte, Urkunde 322. setzen. Bei seinem Tode 1601 war er dann aber völlig verarmt (Rudolf von Bruch, Die Rittersitze des Fürstentums Osnabrück. Osnabrück 1930, S. 394-395). 25 STA Telgte, A 641. 26 Archivbestände zur Geschichte dieser Familie sind im Archiv Haus Merlsheim/Kr. Höxter erhalten. 27 Gut und Mühle Enkingmühle lagen wenige hundert Meter nördlich der Stadt Münster (im Bereich der heutigen Kanalstraße) und waren ein Lehen des Bischofs von Münster. Es befand sich seit etwa 1400 in der Hand der Erbmänner- 36 Es stand auf der Ostseite der Kirchherrengasse (Lamberti- Leischaft 420). In diesem Jahr wohnen hier seine beiden 15 und acht Jahre alten Söhne Johann Caspar und Bernd Henrich sowie verschiedenes Personal (Helmut Lahrkamp, Münsters Bevölkerung um 1685. Münster 1972, S. 51). Gestalt, Geschichte und Alter des seit Langem nicht mehr erhaltenen Hauses sind unbekannt. 37 Es ist wohl der 1668 geborene Sohn von Johann Caspar Runde und Maria Bertling. 38 Sie verkauften für 250 Rthl ein Stück Land mit einem dar- familie Bischopink. 1877 wurde die Anlage von der Stadt auf stehenden Schafstall auf der nördlich des Hauses gelege- Schlachthof errichtet. J. Bischopink soll um 1560 ein Reiterblockhaus vor der Stadt Münster zu einem weiteren Gut aus- Haus Kurze Rumphorst (auf diesem Land entstand dann Münster erworben und an der Stelle wenig später der gebaut haben, das den Namen Hacklenburg erhielt (heute Hof Meckmann). Beide Güter fielen um 1700 an die Familie von Wenge-Severinghausen und später an die Herren von Graes zu Diepenbrock (Werner Dobelmann, Kirchspiel und Stift St. Mauritz in Münster. Münster 1971, S. 36-38 und 90-91). 28 1664/72 als Halberbe mit 285 Morgen zugehörigem Land nen „Hohen Heide" an die Stiftung Scheffer-Boichorst auf 1752 der Heugers-Kotten, Kiebitzpohl 19). 39 In dem Haus Ringoldsgasse 2 neben dem Erbdrostenhof (Sabine Jarnot, Die Salzstraße. Häuserbuch der Stadt Münster, Teil 2. Münster 2001, S. 305; Max Geisberg, Bauund Kunstdenkmäler von Westfalen. Stadt Münster, Band IV. Münster 1935, S. 99). 40 1789/91 wird Haus Milte von der Jungfer Anna Sophia Runde bewohnt. Sie verlieh 1789 von dort Geld (PfarrA 29 Die Lage des Wohnortes in Münster ist für die Zeit um Telgte, Akte 155, S. 78 und Akte 157, 22). 41 Er war der einzige Sohn von Johann Caspar Runde und 1600 bislang unbekannt. 30 Das freie Erbe Bertling war 1574 dadurch entstanden, 42 Sein Vater Johann Melchior Voltermann war mit Anna bezeichnet. seiner 1762 geheirateten Frau Anna Maria Frahling. Heinrich von Wyck auf Haus Milte) Heinrich Berteling seinen Elisabeth Runde (t 1799) verheiratet. 43 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte auch Hof zu freiem Eigentum überließen, da er Catharina von Wyck, Schwester des Heinrich Wyck, auf Milte geheiratet hatte. Tochter dieser Ehe war Else Bertling, verheiratet mit zum Gut. 44 Zum Leben s. Wilfried Reininghaus, Die Familien Olfers dass die Brüder Heinrich und Caspar von Wyck (Vettern des der bei Telgte gelegene Kötterhof Schüttenkötter, Berdel 13, Saalkammer und Torhaus. 349 Ein bürgerliches Pachtgut mit Sommerwohnungen aus der Zeit um 1590: Haus Milte bei Telgte (Kr. Warendorf) und Lindenkampf. Anmerkungen zur Geschichte des Wirt- auf sehr feuchten Standorten gewachsen war. Die Proben schaftsbürgertums in Münster (1780-1888), in: Westfälische Zeitschrift. 157. Münster 2007, S. 163-175, hier S. 167-169. ergaben im Einzelnen folgende sichere Datierungen (leider 45 Die zuletzt von Franz Theodor von Olfers betriebene Bank Kerngerüstes ohne Ergebnis): befand sich in dem ihm gehörenden Haus Prinzipalmarkt 3. Die Bank wurde 1888 von der Osnabrücker Bank unter der Bezeichnung „Münstersche Bank" übernommen und ging wenig später in dem „Westfälischen Bankverein" auf. 46 Nach Eintritt in dieses Amt ließ er sein Elternhaus in blieben drei weitere der untersuchten Sparren des nach 1 580 4. Dachbalken von Norden (BZ X) wenig nach 1587 Winter 1719/20 1991, S. 288-289). 47 Hintergrund dieser komplexen Entwicklung war eine 2. Dachbalken von Osten (BZ XII) um 1715 (nach 1703) Dachwerk, Nordseite, 11. Sparren von Westen (zweitverwendet) Münster an der Ringoldsgasse 2/3 durch den Architekten August Reinking umfangreich umbauen und erweitern (Karlheinz Hauke, August Reinking 1776-1819. Münster Wirtschaftsgiebel, östlicher Torständer nach 1686 Dachwerk, Südseite, 11. Sparren von Westen (zweitverwendet) Winter 1831/32 Dachwerk, Südseite, 3. Sparren von Westen schwierige und langwierige Erbteilung, die sich über Jahre 55 Die Gebinde des Baus wurden - wohl ohne die Giebel- hinzog, da Franz Theodor von Olfers ohne Testament verstorben war (hierzu Reininghaus 2007, S. 170). 48 Er hatte drei Brüder: Johann Heinrich von Olfers (22. Mai wände - vom Westgiebel (Wohnende) aus mit römischen Zahlen von I bis XIII nummeriert, wobei man die Dielenstän- 1791 Münster-22. Dezember 1855 Münster) übernahm das der und Kopfbänder auf der Nordseite jeweils mit Beistrich versah. An der südlichen Traufwand sind ab Gebinde IV alle elterliche Bankhaus in Münster, wurde 1835 Gründungsvor- Ständer einschließlich dem darauf ruhenden Rähm erhalten, sitzender des Münsterschen Vereins der Kaufmannschaft, an der Nordwand nur etwa die Hälfte der ehemals vorhan- war 1847 Mitglied des Vereinigten Landtages in Berlin und Juli 1851 Oberbürgermeister). Er ließ sich 1850 westlich von denen Ständer sowie das Rähm. Von den beiden inneren Ständerreihen blieben nur die Ständer im Gebinde IV und der südliche Ständer des Gebindes VI erhalten. Die auf den Münster bei Roxel ein eigenes Sommerhaus mit der Wandrähmen ruhenden Dachbalken und die Sparrenpaare Bezeichnung Haus Hohenfelde errichten (die Anlage wird heute als Hotel genutzt und ist völlig erneuert). Ignatz Franz sind ab Gebinde IV vollständig überliefert. Allerdings stehen Josef von Olfers (1793-1872) wurde Diplomat und 1839 zum Generaldirektor der königlichen Museen in Berlin ernannt. Benedikt von Olfers (1800-1876) wurde ebenfalls Jurist und war später Oberlandesgerichtspräsident in Kob- Verband, sondern sind sowohl im Zuge der Modernisierung lenz. unterschiedliche Verzimmerungen nachweisen: solche mit von 1850 bis zu seinem Tode Bürgermeister in Münster (ab 49 Aus dieser Ehe mit einer Schwester des Landrates Mers- mann in Coesfeld gingen die Töchter Maria Sophie und Maria Elisabeth hervor. 50 Er veröffentlichte 1848 bei Coppenrath in Münster "Beiträge zur Geschichte der Verfassung und Zerstückelung des Oberstifts Münster". 51 Ihr Vater Clemens Vonnegut (*1788) war Rendant und Rechnungsrat in Münster und von 1821-1840 Bürgermeister von St. Mauritz bei Münster. 52 Er war 1876 zum Gerichtsassessor ernannt worden und erhielt 1896 den Titel Justizrat. Von 1901 bis 1905 war er die Sparren heute nicht mehr in ihrem ursprünglichen 1720 wie auch um 1834 abgenommen und neu aufgestellt worden. 56 Aus nicht bekannten Gründen lassen sich hierbei zwei zweifach vernagelten längeren Kopfbändern und solche mit einfach vernagelten kürzeren Kopfbändern. 57 Die Gestaltung des seit Langem erneuerten westlichen Giebels ist nicht bekannt. 58 Diese Wechselbalken sind heute nicht mehr erhalten und durch eine wohl um oder nach 1900 eingebaute Konstruktion ersetzt. Diese besteht aus zwei stehenden Stühlen, deren Pfetten als Unterlage für in diesem Bereich gestoßene Zwischensparren von Nadelholz dienen. 59 Durch Zimmermeister J. Schmidt aus Münster. Mitglied des Magistrats der Stadt Münster und Stadtrat (zu 60 1832 wurden auf dem Bestandsplan als lichte Breite des südlichen neun und als Breite des nördlichen Seitenschiffes seinem 1964 im Haus aufgefundenen Nachlass s. LA NW, zehn Fuß angegeben. Abt. Münster, Nachlass Goering/Haerten). 61 Hierauf deuten fehlende bzw. vorhandene Zapfenschlitze 53 Sie wechselten danach auf dem Hof Biedendiek in der Bauernschaft Versmar/Gmd. Everswinkel. 54 Durchgeführt durch Peter Barthold bei der LWL- für ehemals vorhandene Kopfbänder im Querverband zwischen den Balken und den nicht mehr vorhandenen Ständerreihen hin. Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen, Referat Bauforschung/Inventarisation am 5. Februar 2009 62 Eine entsprechende Situation konnte in dem auch in der sowie am 19. Februar 2009 (hierbei erfolgte zugleich eine des 17. Jahrhunderts auf Haus Kleine Getter bei Münster- Funktion vergleichbaren Vierständerhallenhaus aus der Mitte Dokumentation von Baubefunden durch Fred Kaspar). Amelsbüren nachgewiesen werden. Auswertung der Proben durch Hans Tisje / Neu-Isenburg mit 63 Ziegeleien des Schulzes Schwienhorst (heute Telgte, Gutachten vom 16. Februar 2009 und vom 2. März 2009. Für eine Untersuchung erwiesen sich nur wenige Hölzer als geeignet, da das verbaute Holz vielfach breitringig und wohl Schwienhorst 26) bzw. des Bauern Pröbsting (heute Telgte, Kiebitzpohl 44). Die neuen Umfassungswände wurden aus grob abgestrichenen Backsteinen im Format 28,5 x 14 x 5,5/6 cm 350 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen aufgemauert, während die Backsteine, die man zur Ausmauerung der Innenwände benutzte, mit 27/28 x 13,5 x wendig. 6,5/7 cm ein kleineres Format aufweisen. In diesen Formaten 73 Im Besitz der Familie gibt es eine historische Fotografie dürften die beiden unterschiedlichen Produktionsstätten der chen Dachboden wäre eine solche Konstruktion nicht not- Steine deutlich werden. des Bauzustandes vor 1902, die ebenfalls kein Obergeschoss erkennen lässt. 64 Die untere Kehlbalkenlage der Sparrenpaare blieb in dem 74 Diese zweite Ansicht des Gutes auf der anderen Seite des neu aufgebauten Bereich ohne aussteifende Kopfbänder. Pfeifenkopfes ist nicht bei Schmitt 2002 (wie Anm. 66) doku- 65 Die Fachwerkwände wurden mit Backsteinen ausgemau- mentiert und wird hier erstmals veröffentlicht. ert und auf der Innenseite verputzt. Auf dem Putz konnten 75 An den Bogensteinen des äußeren Bogens sind Versatz- noch im Januar 2009 Reste einer wohl bauzeitlichen zeichen zu erkennen, die die Reihenfolge der Steine festle- Ausmalung festgestellt werden: Danach waren die Wände mit einer blauen Kalkfarbe versehen und erhielten rotbraune gen und darauf hindeuten, dass der Bogen fertig aus dem Begleitstriche. Steinbruch angeliefert wurde: Von rechts nach links sind beidseitig aller Stoßfugen jeweils lateinische Zahlen in auf- 66 Dokumentiert bei Micheal Schmitt, Münsterland (= west- steigender Reihenfolge eingeschlagen. falia picta, Band VI). Münster 2002, Nr. 552. 76 Im Unterschied zum Kernbau gibt es in den neu aufge- 67 Kurzbericht des Amts-Restaurators Beat Sigrist vom 19. mauerten Bereichen keinen Sockel aus Bruchsteinen und die Februar 2009 in den Akten der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen. Gebäudeecken sind auch nicht aus grob zugerichteten Sandsteinen, sondern aus weitgehend sauber bearbeiteten 68 Ältere Bauakten haben sich in den einschlägigen Archiven Sandsteinblöcken aufgesetzt. In der hofseitigen Traufwand nicht aufgefunden. Die Akten des Landratsamtes in Münster wurden 1945 durch Bombenschaden vernichtet. lässt sich die Baufuge zwischen der alten Bausubstanz und 69 Die Zugangstür blieb aber einschließlich des Türblattes vermauert erhalten. 70 Die nur von den älteren Teilen des Gebäudes vorgenom- dem neu aufgemauerten Giebel noch klar erkennen. 77 Baugenehmigung ohne Pläne hierzu in StA Telgte, C 2043. Weitere Unterlagen zu der Baumaßnahme konnten nicht aufgefunden werden. Die Gestaltung des Gebäudes mene und nicht datierte Bauaufnahme von Josef Schepers hat sich mit mehreren detailliert vermaßten Skizzen - zusam- könnte dafür sprechen, dass man die Planungen durch den men mit der Bauaufnahme des Haupthauses - im Archiv des schen Bauernverbandes in Münster erstellen ließ. Dieser ist in ehemaligen Baupflegeamtes des Landschaftsverbandes den nächsten Jahren nachweislich auf der Hofstelle tätig ge- Münster erhalten (heute LWL-Denkmalpflege, Landschafts- wesen. und Baukultur in Westfalen). 78 StA Telgte C 2043. 71 Schepers 1960 (wie Anm. 3), S. 103. 79 StA Telgte C 2043. 80 Noch 1906 leitete das Bauamt des westf. Bauernvereins 72 Einziges Indiz hierfür könnte sein, dass die Balkendecke Baurat Löfken, Leiter der Bauberatungsstelle des westfäli- über der östlichen Saalkammer des Torhauses zwei Längs- weitere Bauarbeiten auf dem Gut. unterzüge aufweist, also auf eine starke Belastung ausgelegt 81 StA Telgte, C 3592. ist. Für die Einlagerung von Korn auf dem darüber befindli- 351 Die Vasbach bei Kirchhundem Aspekte der Baugeschichte Josef Georg Pollmann DIE VASBACH IM WANDEL DER ZEIT 1 Die Vasbach im Wandel der Zeit. Die Postkarte mit den Bauphasen wurde vom Bürgerverein Kirchhundem e. V. herausgegeben. 2 Gebäudegruppe Haus Vasbach vor 1960 (aus: Der Kreis Olpe in alten Ansichen, Olpe 1992, S. 24). 352 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Das Mühlengut Vasbach wird 1462 erstmals urkundlich genannt.1 Die anfänglich in verschiedene Besitzanteile aufgeteilte Mühle gehörte unter anderem den adeligen Familien von Ole sowie von und zum Bruch. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts erscheint in mehreren Urkunden Hans Schmid zu Hundem als alleiniger Eigentümer. Er gilt als Stammvater des Geschlechts der Familie Vasbach. Neben der Mühle mit ihrem alleinigen Mahlrecht für viele Ortschaften der Umgebung sowie einer umfangreichen Landwirtschaft2 betrieb die Familie Vasbach auch die Erzeugung bzw. den Handel mit Stahl. Mit Anton Vasbach (1500-1590) setzte darüber hinaus auch eine juristische Tradition der Eigentümer der Vas- bach als Gerichtsschreiber oder Richter des Amtes Bilstein und Amtmann des Amtes Kirchhundem ein, die zu Kontakten zu den Adels- und Honoratiorenfamilien der Region führte und über mehr als 300 Jahre Bestand hatte. Bis 1960 war diese Familie im Besitz des Gutes, wobei allerdings durch Heirat von Erbtöchtern zweifach der Name wechselte: Maria Ber- nardine Vasbach (1740-1817) heiratete Johann Wilhelm Höynck (1723-1803) und Franziska Höynck (1805-1866) Engelbert Brüning (1807-1872). Die einheiratenden Männer übernahmen auch die genannten öffentlichen Ämter. Der Erbauer Für die Baugeschichte des Gutes ist aus der Reihe der 15 zwischen 1500 und 1960 aufeinander folgenden Generationen die Person Georg Vasbach (1635-1695) am bedeutendsten.3 Noch während des Studiums am 3 Porträt von Georg Vasbach (Südsauerlandmuseum Attendorn). Jesuitenkolleg in Köln, das er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder absolvierte, starb der Vater Johannes (1604-1653). Nach Abschluss des Studiums, das ihn zur Übernahme des Gerichtsschreibers des Gerichts in Bilstein qualifizierte, musste er im Alter von 25 Jahren das Gut von seiner Mutter und gleichzeitig die Sorge für seine acht zum Teil noch unmündigen Geschwister übernehmen. Sein Vater hatte das Gut hoch verschuldet und in schlechtem Zustand hinterlassen. Wie das von Georg geführte Bau- und Mauerregister4 ausweist, war er zur vollständigen Erneuerung nicht nur aller Gebäude des Gutes sowie des zugehörigen „Bettinghofes", sondern auch sämtlicher Wasserbauten der Mühle gezwungen. 1664-69 entstand das neue Gutshaus, 1669 eine Scheune, 1676 ein schiefergedecktes Back- haus, Schafställe und Schweinestall, 1677 Immenhütte und Eishaus und 1681 als letztes ein Pferdestall. 1671 ließ Georg Vasbach zusätzliche Teiche auf der Schellerwiese sowie beim Haus einen Garten anlegen, 0 / C Va i b ae L/rti ck vf v * 0 au s Akte fit K,'vth kv Afchi'i/ Yatbac h /k'r. ^l6o ^Yh2cich 2. G . Pt>H 'LolS' 4 Lageplan von Gut Vasbach im Jahre 1882 (Umzeichnung nach GAK Archiv Vasbach, Nummer 260). in dem u. a. eine Lindenhecke und eine Allee aus Eschen sowie Pflaumen- und Apfelbäume gepflanzt wurden. Darüber hinaus sorgte er für die Memoria, indem er 1672 ein Marienbild für die Pfarrkirche des nahe gelegenen Dorfes Kirchhundem stiftete, 1676 ein Barockepitaph für das dortige Erbbegräbnis der Familie aufstellen und auf dem Gut Vasbach selbst 1677-1680 eine bruchsteinerne Kapelle über oktogonalem Grundriss und mit geschweiftem Dach errich- ten ließ.5 Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte 5 Dachstuhl des Haupthauses, Grundriss mit Bauphasen nach Aufmaß Pollmann. Georgs Erfolge um die wirtschaftliche Gesundung des Guts, der auch das Braurecht - 1664 sind ein Braukessel und ein Hopfengarten sowie der Handel mit Bier erwähnt6 - und ab 1693 dann auch das Brennrecht dienten, wurden 1689 durch einen Brand zunächst zunichte gemacht, der fast alle Neubauten zer- störte. Nur die steinerne Kapelle und das schon in Brand geratene Gutshaus konnten gerettet werden. Zu neuerlichen Baumaßnahmen gezwungen, hinterließ auch er bei seinem Tod im Jahr 1695 das Gut hoch verschuldet. Während die von Georg Vasbach in der zweiten großen Bauphase bis 1692 erneut errichteten Gebäude in den folgenden Jahrhunderten untergegangen bzw. stark verändert worden sind, blieben aus der ersten Bauphase das Gutshaus, das im Folgenden im Mittelpunkt steht, sowie die Kapelle erhalten. Das Gutshaus von 1664 und 1669 mit den späteren Erweiterungen Die Baumaßnahmen Georg Vasbachs setzten unmittelbar mit der Übernahme des Gutes ein. Anlass war seine am 1. August 1660 bevorstehende Hochzeit mit Elisabeth Hoff (1641 -1683).7 Noch vor seiner Hochzeit {ante nuptias meas) hatte er das alte Haus [...] for ein geringes untermauern lassen.8 1664 hat er dann - die beiden ersten Kinder waren geboren - hinter das alte Haus mit Ausgrabung vieller Erden ein new Haus ... gesetzet und auswendig künstlich aufgebaut mit Mauren Thüren Tischen Fenstern und zwarn pretiös kostet sehr viell0 Mit diesem sogenannten Achter- haus'0 war ein neuer Wohnteil geschaffen, dem knapp fünf Jahre später anstelle des alten Hauses ein gleich breiter, neuer Wirtschaftsteil angefügt wurde: Anno 1669 habe das alte Haus abgebrochen und nach Flape verkauft u. das neue Gebau kontinuiert u. ein vollenkomen Haus gebawet. Untermauren lassen alles wie jetze befindlich. Was ein solches gekostet, das weiss keiner er habe denn gebawet sonst versteht solches keiner. Die Bauregister weisen in etwa den weg seind über 150 beuhme darzue gangen." Der 1664 errichtete Bau erhielt bei einer Breite von 10,45 m eine Länge von 7,50 m und wurde 1669 um einen 9,40 m langen Wirtschaftsteil verlängert. Sowohl der Wohnteil von 1664 wie auch der Wirtschaftsteil von 1669 weisen im Erdgeschoss massive Umfassungswände aus Bruchstein auf, wofür wohl Brandschutzgründe maßgeblich waren. Bereits beim Bau des „Achterhauses" hatten laut dem Bau- und Mauerregister12 im Jahr 1665 Arbeiten und Mauerleute zwei Tage Brandmauer gearbeitet. Aus Sorge vor Bränden hatte Georg Vasbach seine Unterlagen teil- weise als Duplikate auch an anderen, besonders brandsicheren Orten deponiert. 353 354 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Auf den bruchsteinernen Umfassungswänden des Erdgeschosses steht ein auffallend hohes und allseits vorkragendes Stockwerk aus kräftigen Fachwerkhölzern. Lange Fußstreben, die über zwei Gefache aus- greifen, dienen der Aussteifung. Die beiden Vorkragungszonen des Giebeldreiecks am Wirtschaftsgiebel sind durch mit Schnürrollen beschnitzte Füllhölzer zwischen profilierten Stichbalkenköpfen und Zahnschnittprofilen auf den darüberliegenden Schwellen besonders geschmückt, während die Traufseiten des Vorderhauses schlichter bleiben. Florale Schnitzereien zeigt der jeweils mittlere Ständer in beiden Stockwerken des Giebeldreiecks, der durch die Aussteifung mit Kopf- und Fußbändern zugleich die Unterstützung des Dachwerks durch einen mittig stehenden Stuhl verrät. Dazu treten am Wirtschaftsgiebel zahlreiche lateinische Inschriften, die - teils in der Form von Chronogrammen - vier Mal die Jahreszahl 1669 nennen und hier in deutscher Übertragung wiedergegeben werden: „Selige Jungfrau, Johannes, Magdalena, Georg, Franziskus, wendet Brandunglück ab von diesem unserm Haus", steht oben am Giebeldreieck. Auf dem Sturz des erhaltenen der beiden Stürze’3 des auffallend schmalen Dielentores heißt es, zwischen den Monogrammen IHS und MRA: „Von Gott ist des Himmels Anfang so sprich mit dem himmlischen Lichte, der du hier wohnst." Auf den Schwellen des vorkragenden oberen Stockwerks links und rechts des Tores ist zu lesen: „Was Du gebaut, wem wird es gehören? Eitelkeit der Eitelkeiten und alles ist Eitelkeit." Die Schwelle des Giebeldreiecks gibt - ebenfalls in Latein - eine Anleitung zur Ermittlung des Erbauungsjahrs: „Rechne zweimal 8 Jahrhunderte, zweimal 3 Jahrzehnte, ein Lustrum und zweimal 2 Jahr sowie die Kaldenden des Juni, so wirst du finden, wann Georg Vasbach aufgebaut hat."14 Ein nächster Anbau wurde bereits 1671 dem „Achterhaus" angefügt; er nimmt heute die Nordostecke des Wohnteils ein: Hierbei entstand über einem Keller mit Ziegelsteingewölbe das „Fürstenbergzimmer" (ca. 5x5 m), so genannt, weil hier Johann Adolf von Fürs- tenberg (1631-1704), Domprobst in Paderborn und Münster sowie Droste im Herzogtum Westfalen, gewohnt haben soll, während er den Bau seiner Adolfsburg im benachbarten Oberhundem beaufsichtigte.15 Georg Vasbach benennt in seinen Aufzeichnungen auch die ausführenden Bauhandwerker am Gutshaus.16 1664 war Bauleiter Conpauerent Meister Joseph accept Koch. Weiter nennt er Hermes von Oberhundem, Peter auf dem Bettinghof, Hermes Sohn, Hans Hauser (Knecht), Meinert zu Erlhof und Tripman zu Flape als Bauhelfer. 1669 leitete Meister Johann die Bauarbeiten (Zimmerarbeiten). 1671 arbeiteten beim Kellerbau mit Konrad Hauß, Johann Müller, Dirk auf dem Bettinghof, Conrad Tripmann und der alte Müller Conrad wiederum Bewohner der näheren Umgebung Georg Vasbachs. Ein weiterer Anbau mit einer Grundfläche von 9,40 x 4,70 m entstand 1776 westlich und quer zum First des Vorderhauses unmittelbar am Wirtschaftsgiebel. Hier lautet die lateinische Inschrift in Übertragung: „Dir Josef als gutem Patron sei anvertraut dieses Haus; behüte es vor schädlichen Bränden und sei gnä- dig den Eheleuten Wilhelm Höynck und Bernhardine Vasbach."17 Anlass zu diesem Anbau soll der steigende Wohnraumbedarf der schnell wachsenden Familie dieser Eheleute gegeben haben; Maria Bernardine Vasbach (1740-1817) hatte als Erbin des Gutes noch nicht 14-jährig den Gerichtsschreiber zu Bilstein und Patrimonialrichter zu Oberkirchen Johann Wilhelm Höyinck (1723-1803) geheiratet und gebar 15 Kinder.18 Das massive Erdgeschoss dieses Bauteils ist höher als das des Vorderhauses von 1669, das fachwerkene Obergeschoss dagegen niedriger; vermutlich im Zuge dieses Anbaus hat man am Vorderhaus die Zone links des Dielentors den Nutzungsmustern des Anbaus angepasst, d. h. in seinem Fachwerk weitgehend erneuert. Ihr Sohn Josef Theodor Höynck (1762-1840) ließ 1835 in den Zwickel zwischen dem Wohngiebel des „Ach- terhauses" und dem „Fürstenbergzimmer" nach Westen hin ein weiteres Wohnzimmer anbauen, wodurch erst der heutige, geschlossene Wohngiebel von 10 m Breite (bei 27 m Länge des Gesamtbaus) mit einem gänzlich neuen Giebeldreieck entstand. 1854 erfolgte eine Modernisierung,19 die am äußeren besonders durch die Entfernung des Dielentores bzw. den Einbau einer doppelflügeligen Haustür mit Oberlicht in neugotischer Formensprache erkennbar wird. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurden landwirtschaftliche Nutzräume aus dem Haus verbannt. 1885 schließlich wurde als letzte Anbaumaßnahme ein risalitartiger, verputzter Massivbau mit Küche und darüber angeordneter Räucherkammer mittig vor die rechte, östliche Traufwand gestellt. Grundriss des Gutshauses und Raumnutzungen im 20. Jahrhundert20 Erschlossen wurde das Gutshaus durch das geteilte Deelentor an der Giebelseite des Vorderhauses, während das „Fürstenbergzimmer" einen separaten Eingang an der Ostseite besaß. Im Erdgeschoss betrat man die Deele mit einem Fußboden aus Lesesteinen. Im linken Anbau von 1766 befand sich die Bibliothek und rechts wohl eine Kammer. Am Ende der Diele befand sich eine Scheidewand. Da das Haus in zwei Abschnitten errichtet worden war, blieb sie als einziger Teil des Vorgängerbaus erhalten. Hier in der Mitte befand sich vermutlich schon 1559 ein Kamin, später im 19. Jahrhundert eine Kochmaschine. In Richtung „Achterhaus" folgten die Küche und die Kellerräume, in denen sich noch neben dem Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte 6 Giebelseite des „Vorderhauses" von 1854 vor dem Umbau. Das Haus zeigt sich noch als ein Vierständerhallenhaus mit geteiltem Deelentor, wie es vielfach im Sauerland zu finden war. Nach dem Umbau präsentierte sich das Gutshaus teilweise im Stil der Neugotik (GAK, Archiv Vasbach, Nr 567). Vorrat wohl auch der Braukessel befand. Über dem alten Küchen-/Kaminbereich schloss sich im Obergeschoss bis 1885 die Räucherkammer an. Bei Umbauarbeiten im Jahre 1877 fand der damalige Besitzer Friedrich Brüning im Bereich der Küche (bis 1885), dem ältesten Teil des Hauses, Reste eines gemauerten Rauchfangs. Dieser hatte schon einen Vorgänger aus gestecktem Lehmfachwerk, wobei man im Inneren des Rauchfangs auf die Jahreszahl 1559 stieß.21 Das Obergeschoss wurde durch eine Treppe in der Mitte der Diele erschlossen und an beiden Seiten lagen Schlafzimmer sowie ein Esszimmer. Zum „Achterhaus" hin folgten Räume, wie große Wohnzimmer oder der „Blaue Salon", benannt nach der blauen Seidentapete an den Wänden. Der Speicherboden oberhalb diente immer nur als Abstellraum für Gegenstände, die nicht mehr benötigt wurden. 7 Gutshaus Vasbach, Blick vom Speicherboden der Mühle (Foto Pollmann 2010). 355 356 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen — J. - J&b. o/fte Po#"-, Q tr • G "ff 8f-fo hfa-'P^auS P<*« :><■-, ty,'? Üqc^i sfvk l ü'tÄ /^r^^rcS '(82>P(C fiirfe') 8 Haupthaus Vasbach. Längsschnitt Vasbach (Aufmaß Pollmann). 9 Detail der Giebelgestaltung am Haupthaus Vasbach von 1664: Tauband-Füllhölzer zwischen profilierten Balkenköpfen (Foto Pollmann). Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte Das Dachwerk Im Dachwerk mit seinen 24 Gebinden lassen sich alle Bauphasen von 1664 bis 1885 ablesen. Das Holz ist bis auf den Bereich des Anbaus von 1835 schwarz verräuchert, unter anderem durch die neue Räucherkammer an der Ostseite des Dachraumes. Das Dachwerk erhielt in den verschiedenen Bauphasen teils ste- hende und teils liegende Dachstühle. Die Mittelständer der stehenden Konstruktion besaßen alle gerade Fußbänder. Auffällig ist der schon 1671 teilweise und 1835 endgültig verbaute Giebel von 1664. Er weist zur alten Außenseite hin eine lateinische Inschrift mit Chronogramm und eine auf die Erbauer und das Baujahr 1664 hinweisende Inschrift auf. Der Dachraum selbst blieb bis auf eine um 1900 einge- richtete Bedientenstube (Grundfläche von 4,60 x 4,30 m) bis heute unausgebaut. Im Bereich zwischen den 1664 und 1669 errichteten Bauteilen steht eine Giebelfront, wobei unklar ist, aus welcher Bauphase sie stammt. Im Gegensatz zum Bereich des einfach stehenden Stuhles ist diese Giebelfront dreifach stehend. Es handelt sich möglicherweise um den Giebel des 1669 angebrochenen Vorgängergebäudes. Bislang für das Sauerland ungewöhnlich sind die Ab- bundzeichen, die während der Bauhasen 1664 und 1669 verwendet wurden. Der Zimmermann versah hier alle römischen Ziffern mit einem oder zwei Beistrichen oberhalb, ähnlich dem französischen Zimmermannsalphabet.22 Die Abbundzeichen dieser Phasen beginnen an jedem Giebel mit der Zahl eins. Zur Einrichtung der Innenräume Die Inneneinrichtung der Räume wurde bis zur Modernisierung 1960 unter anderem von hochwertigen und kostbaren Möbelstücken aus verschiedenen Jahrhunderten geprägt.23 Sie wiesen teilweise reiche Schmuckschnitzereien auf. Auch eine Galerie von Porträts der Ahnen sowie eine blaue Seidentapete wiesen auf einen gehobenen Lebensstil hin. Leider haben sich nur wenige Fotografien von dieser Innen- Innovationen der Bautechnik Nicht nur Georg Vasbach, sondern auch seine Nachfolger hinterließen als Bauherren ihre Spuren an den Gebäuden des Gutes Vasbach. Verschiedene Mitglie- der der Familie nahmen auch Einfluss auf die Ent- wicklung des Bauwesens der Region. Noch unter Georg Vasbach entstand 1692 das unweit der Vasbach gelegene Pfarrhaus von Kirchhundem. Dieses in Konstruktion und Dekor dem Haus Vasbach ganz ähnliche Gebäude wurde laut Inschrift unter „Georgi Vasbach iudicy scribae in Bilstein" errichtet. Besonderes Interesse zeigte Georg Vasbach auch für den Wasserbau. Neben der Wasserversorgung für seine Mühle betrieb er ab 1671 auch den Bau einer eigenen Frisch-Wasserleitung zu seinem Hof. Hierzu schrieb er in seinem Bau- und Mauerregister 1671: eodem anno habe ich das Wasser ins Haus leiten las- sen durch Erden Feisten [Tonrohre], dasmal der Wasserstein wie auch die anderen Steine dadurch die bleiernen Feisten [Bleirohre] gehen verfertiget. 1674 vermerkte er: eodem anno weilen das Wasser den peisten folget, habe ich in den Keller ein Puzze graben lassen und darin in Quicksilber thuen lassen, damit das Wasser in dem Keller nur einen nicht hindern thete und Elstern lassen. Diese hauseigene Wasserleitung steht möglicherweise im Zusammenhang mit dem engen Verhältnis, das zwischen den Familien Vasbach und von Fürstenberg bestand. So sind schon früh Wasserleitungen in zwei Schlössern der Familie von Fürstenberg nachweisbar:24 1658 in der Küche des alten Schlosses Herdringen und 1701 in der Küche auf Burg Schnellenberg. Für die Wasserversor- gung des Gutshauses Vasbach nutzte man einen namenlosen Bach, der sich oberhalb des Hauses von der Vasbacher Hude fand. Er wurde angestaut und mittels eines Grabens zum Haus geführt. Durch unter der Straße oberhalb des Gutshauses geführte Tonrohre gelangte das Wasser in die im Gutshaus befindlichen Bleirohre und weiter zum Wasserstein. Der Graben besaß auch einen Schützschieber,25 sodass ausstattung erhalten. Einen Eindruck kann man jedoch noch im Südsauerlandmuseum in Attendorn erahnen, da dort einige wertvolle Einrichtungsgegenstände der Vasbachs ausgestellt werden. Hierzu gehört ein Stuhl von 1662 oder ein Himmelbett von 1563. Letzteres gehörte zur Mitgift der wohlhabenden Margarete Wittemund in der Ehe mit dem kur- fürstlichen Richter und Gutsbesitzer Hermann Vasbach (1534-1624). Bis 1960, als man eine Zentralheizung einbaute, wurde das Gutshaus durch eine Vielzahl von Öfen verschiedenster Art geheizt. 10 Haupthaus Vasbach. Erhaltene Teile der historischen Ausstattung: Im Vordergrund das Bett von 1564 (Ausstellung im Südsauerlandmuseum Attendorn). 357 358 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 11 Haus Vasbach. Darstellung der historischen Wasserversorgung (Aufnahme Pollmann). die zufließende Wassermenge geregelt und über- schüssiges Wasser in den Graben neben der Straße geleitet werden konnte. Die Bedeutung des in diesem Zusammenhang 1674 genannten „Puzze" bleibt unklar. Es ist es möglich, dass es sich um einen aus der französischen Sprache übernommenen Begriff handelt, denn auch Georg Vasbach bediente sich dieser Sprachmode. So wird er nicht nur in einem Brief von einem Siegener Arzt Monsieur Fassbach gerichtsschreiber present Kirch Honnen angeschrieben,26 sondern benutzte auch selber französische Begriffe, etwa beim Hausbau. 1669 nennt er den Preteur meiner zu Erlhof.27 Der Begriff „Puzze" könnte daher die niederdeutsche Form von pousser [franz.] meinen und daher von „stoßen, schieben" abgeleitet sein. Mit der „Puzze" dürfte er daher einen Graben oder Schieber gemeint haben, der möglicherweise austretendes Wasser aus den wohl nicht immer dichten Wasserrohren in dem aus als Vorratsraum dienenden Keller ableiten sollte. Ein Hinweis darauf sind möglicherweise die in zwei Reihen in gleichmäßigen Abständen in das Gewölbe eingemauerten Flacheisen, welche unten zu einer Öse gebogen sind und dort Eisenringe aufnehmen. Rund 150 Jahre und damit sechs Generationen später äußerte sich der Hüttenverwalter, Landwirt und Amtmann des Amtes Kirchhundem Engelbert Brüning (1807-1872), späterer Besitzer der Vasbach,28 ausführ- lich nicht nur zu den landwirtschaftlichen Verhältnissen des Kreises Olpe, sondern legte in seinem amt- lichen Bericht auch Vorschläge zur neuzeitlichen Organisation ländlicher Gebäude vor. Er erteilt hier dem Haustyp des niederdeutschen Hallenhauses in der Art des vererbten Hauses Vasbach eine Absage und schlägt stattdessen den Bau von Querdielenhäusern mit einer klaren Trennung von Wohn- und Wirtschaftsteil vor.29 Eine diesem Bericht beigelegte Zeichnung ist leider verloren gegangen. Es sei, so schreibt er, dem Landmanne ...zu wünschen, dass die Räume, die er bewohnt, gesund und bequem seyn und das überhaupt die Gelasse, worin der die Früchte seines Fleißes aufgespeichert hat und worin er sein Vieh gestallet hat, so eingerichtet sind, dass sie allen Anforderungen genügen, sowohl für die Geräumigkeit, für die Gesundheit, für Ersparung von Arbeit, für Beaufsichtigung als auch für Feuersgefahr. Soll diesen Bedingungen vollkommen entsprochen werden, so kann man die erforderlichen Räume für Menschen, Vieh und Früchte unter einem Dache nicht vereinigen, man kann aber die verschiedenen so gruppiren, dass sie vollkommen genügen.30 Die Nebengebäude Mühle Das Gebäude wurde nach dem Brand des Vorgängers 1689 vom Zimmermeister Hans Schulte errichtet.31 Er war ebenfalls für den Neubau des 1692 errichteten Pastorates in Kirchhundem verantwortlich. Beide Fachwerkbauten erhielten einen Bruchsteinsockel. Trotz der geringeren Dimensionen (Grundfläche von Die Vasbach bei Kirchhundem - Aspekte der Baugeschichte 14,20 x 9 m) und einer einfacheren Ausführung zeigt das Fachwerkgerüst der Mühle von neun Gebinden viele Merkmale des Haupthauses von 1664/69, wie etwa die giebelseitige Vorkragung oder die floralen Formen der Zierschnitzereien und die Art der Inschriften. Das Dach besteht aus 19 Gebinden. Von der Mühlentechnik hat sich nur die Aufzugsluke mit Teilen der Aufzugstechnik erhalten, die an der Längsseite etwa 1,80 m weit vorkragt. Im 20. Jahrhundert erhielt die Mühle einen Anbau. Nach 1945 wurde das Wasserrad durch eine Turbine ersetzt und damit bis nach 1960 noch Strom erzeugt. Scheune Die Kenntnisse über die nicht erhaltene Scheune sind gering. Die Gestalt ist nur durch eine Fotografie über- liefert. Nach einem Mietvertrag, den der Amtmann Fritz Brüning mit dem Ökonomiearbeiter Peter Beste am 30. September 1877 abschloss, befanden sich in dem Gebäude Kuh-, Schweine- und Rinderställe, eine Dreschtenne sowie ein Dachboden.32 Giebelseitig gab es eine Wohnung mit vier Zimmer für den Ökonomie- arbeiter, der alle anfallenden Arbeiten auf dem Hof 7 Sie war die uneheliche, später legitimierte Tochter von Peter Hoff, Pastor in (Meschede)-Remblinghausen, gebar zehn Kinder und starb im Alter von 42 Jahren. S. o. BestVasbach (wie Anm. 4), S. 30f. 8 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 37. 9 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3). 10 Ernst Henrichs, Fachwerkhäuser in Kirchhundem, in: Schwatt op Witt uit Hungeme, Neues und Altes, Geschichte und Geschichte, Dorfzeitung für Kirchhundem und Umgebung Nr. 5, 1991, S. 7. 11 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 37. 12 Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 41. 13 Eine „Doppelung" des Dielentorgestells ist in jener Region des Sauerlandes üblich und technisch notwendig, wo das Obergeschoss gegenüber dem Erdgeschoss vorkragt. 14 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 41. 15 GAK, Archiv Vasbach D 564; Anmerkung von Paula BestVasbach. 16 GAK, Archiv Vasbach D. 204. 17 Nach Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 41. 18 Best-Vasbach (wie Anm. 3), S. 53 f. 19 In den dazu erhaltenen Bauunterlagen befindet sich eine Abbildung der Giebelseite des „Vorderhauses"; GAK Archiv auszuführen hatte. Sein Lohn bestand aus freier Woh- Vasbach 567. nung in der Scheune und 45 Mark pro Monat. Ferner erhielt er etwa 2 Morgen Ackerland als Garten und 40 Quadratruten Land an der Chaussee bei Fasbach zu Zeitpacht. 20 Beschrieben werden die Zustände in der Zeit um 1960 bis Noch bis etwa 1960 wohnten in der Scheune die Ökonomen oder Faktoren, die den Wirtschaftsbetrieb des Gutes leiteten.33 1990 aus Erinnerungen von Herrn Robert Erwes, Kirchhundem. Über die Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert liegen keine Aufzeichnungen vor. 21 Henrichs (wie Anm. 10). 22 Simona Valeriani, Kirchendächer in Rom. Zimmermanns- kunst und Kirchenbau von der Spätantike bis zur Barockzeit Anmerkungen (= Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege. 3). Petersberg 2006, S. 30. 1 Martin Vormberg, Das Rechenbuch des Hermann Vasbach. 23 Bei den Modernisierungen wurde das meiste der Innen- Kirchhundem 2010, S. III ff. 2 Sie wurde zeitweise von einem Verwalter betrieben (Ge- meindearchiv Kirchhundem [im Folgenden GAK], Archiv Vasbach D 260). Zum Gut gehörten 1960 noch 360 ha Land verschiedenster Bewirtschaftung. ausstattung auf den Müll geworfen. 24 Durch Otto Höffer nachgewiesen. Hierzu die Quellen: HSO 2/2004, S.109 - AFH (Archiv Fürstenberg Herdringen) 238, BI. 279 und AFH 562 S. 45, HSO 2007. 25 Ähnlich solchen Einrichtungen in Flößerwiesen. 3 Paula Best-Vasbach, Die Vasbachs auf der Vasbach. Müns- 26 GAK, Archiv Vasbach 558. ter 1949, S. 29 ff. 1960 wurde das Gutshaus durchgehend 27 GAK, Archiv Vasbach D 204. modernisiert und diente bis 1969 als Dienstwohnung des 28 Ehemann der Erbin Franziska Höynck. Direktors. Nach langem Leerstand nutzte man das Gutshaus als Asylunterkunft. Anschließend erwarb es, wie schon vorher die Mühle, eine Kartonagenfabrik. Heute wird das Gutshaus als Wohnhaus genutzt. 4 Ebd., S. 37 ff., sowie GAK, Archiv Vasbach D 204. 5 Nach den erhaltenen Verträgen wurde sie von Meister Henrich Leist errichtet und von dem Bildhauer Johannes Sasse (beide Attendorn) ausgestattet; Martin Vormberg, Vasbachkapelle bei Kirchhundem, in: Heimatstimmen Kreis Olpe. 195, 1999, S. 129-142. 6 ausführt feile Bier. Vgl. Martin Vormberg, Die Bier- und Branntweinproduktion im Kirchhundemer Land, in: Brennen und Brauen im kurkölnischen Sauerland (hg. vom Schieferbergbau - und Heimatmuseum Schmallenberg-Holthausen). Schmallenberg 1991, S. 57-60. 29 Martin Vormberg, Ideen zur Verbesserung landwirtschaft- licher Wohnverhältnisse im Kreis Olpe 1848, in: Rödger Belke-Grobe, u. a. (Red.), Bauern im südwestfälischen Bergland. Schmallenberg-Holthausen. 2006, Bd. 2, S. 41-47. 30 Belke-Grobe 2006 (wie Anm. 29), S. 44 f. 31 Inschrift im Giebeldreieck: Meister Hans Schulte von Heinsberg Baumeister. 32 GAK, Archiv Vasbach, D 260. 33 Nach Erinnerungen von Herrn Robert Erwes aus Kirchhundem. 359 360 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden Peter Barthold Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird der Begriff „Freihof" definiert als ein „freies Landgut, das keiner Dienstbarkeit unterworfen" ist.1 Freihöfe sind also landwirtschaftliche Höfe oder Güter, die sich im freien Eigentum befinden. Zudem befinden sich diese Betriebe nicht in den Städten. Es stellt sich die Frage, ob und wodurch sich diese Freihöfe von anderen Formen freien Besitzes landwirt- schaftlicher Betriebe unterscheiden. Da der Begriff im frühen 19. Jahrhundert seine Bedeutung verlor, weil seitdem jeder Besitz an Grund und Boden frei eigen war und nicht mehr mit bestimmten Rechten und Pflichten verbunden war, wird der Blick insbesondere auf die Jahrhunderte davor gelenkt. Anhand von Beispielen des 16. bis 19. Jahrhundert im Territorium des Fürstentums Minden soll ein Überblick über Entstehung und Vergehen sowie die bauliche Vielfalt von Freihöfen gegeben werden. Die zahlrei- chen im Umkreis der Stadt Minden noch nachweisbaren Freihöfe boten sich für eine solche exemplarische Untersuchung besonders an, da einige von ihnen archivalisch ungewöhnlich gut überliefert sind. Dies muss als besonderer Glücksfall gelten, da dieser freie Besitz in der Regel kaum Niederschlag in öffentlichen Archiven fand und wegen seiner oft zahlreichen Besitzerwechsel auch selten geschlossene private Archivbestände entstanden sind.2 Durch die exemplarische Untersuchung von zehn Gutshöfen in chronologischer Anordnung nach ihrer zumeist bekannten oder 1 Karte mit Eintrag der im Folgenden behandelten Freihöfe: 1. Hille-Eickhorst: Der Freihof, 2. Hille-Rothenuffeln: Das Wen- trupsche Hofgut, 3. Minden: Gut Rodenbeck, 4. Minden: Gut Tietzels Denkmal, 5. Minden: Gut Kuhlenkamp, 6. Minden: Gut Masch, 7. Minden-Aminghausen: Der Duxsche Freihof, 8. Minden-Aminghausen: Der Barkhausensche Hof, 9. Bücke- burg-Cammer: Der Cammerhof, 10. Porta Westfalica-Lohfeld: Der Hof Kriete". 361 erschlossenen Gründung3 wurde es möglich, nicht nur Näheres zu den Gründen zu ermitteln, die zur Einrichtung dieser Höfe im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts führten, sondern auch Einblicke in deren Wirtschaftsweisen, ihre Bedeutung für die Inhaber sowie ihren Baubestand und die bauliche weitere Entwicklung zu bekommen. Neben der Klärung der Besitzgeschichte machte es eine Auswertung entsprechender Kirchenbücher4 und landesherrlicher Archive5 möglich, auch Nachrichten über Unterpächter, auf dem Hof wohnende Verwandte und Gesinde zu bekommen. Auffallend ist der teilweise häufige Wechsel der Eigentümer der Freihöfe. Ermöglicht durch den Freibrief, wurden diese Höfe nicht nur zum Statussymbol, Zeichen für den erfolgreichen Aufstieg einer Familie, sondern auch zu Spekulationsobjekten, zu einer Möglichkeit der Geldanlage und war es zudem ermöglicht, auch Teile oder einzelne Grundstücke davon zu verkaufen. Zumeist mit einem herrschaftlichen Haus ausgestattet, wurden die Höfe aber zunächst in der Regel nicht von den Besitzern dauerhaft bewohnt, sondern von ihnen als Sommersitz genutzt, während die Landwirtschaft durch Bedienstete betrieben bzw. insgesamt oder in Teilen verpachtet war. Der Unterhalt der oft auf den Freihöfen errichteten umfangreichen Anlagen mit Herrenhaus, manchmal auch mit Gärten und Teichen setzte größere Einkünfte voraus. Von vornherein oft nicht groß genug, manch- mal aber auch nachträglich verkleinert, hatten viele der Freihöfe keine ausreichende Wirtschaftskraft, um ihren Bestand dauerhaft zu sichern, insbesondere nachdem sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Erträge aus landwirtschaftlicher Tätigkeit wesentlich verschlechtert hatten. So sind sie vereinzelt schon nach kaum mehr als einer Generation wieder zu dem Bauernhof gewandelt worden, aus dem sie zumeist hervorgangen waren. Aufstieg und Niedergang der Freihöfe dokumentiert sich daher nicht zuletzt in der Art und dem Aufwand der auf den Höfen stehenden Hauptgebäude, die von den bäuerlichen Längsdielenhäusern bis zu selbständig stehenden, zweigeschossigen Herrenhäusern reichen konnten. Von diesen hat sich allerdings nach dem Niedergang der Freihöfe kaum noch etwas bis heute erhalten, wobei die Beschreibungen in den überlieferten archivalischen Quellen nur grobe Kenntnisse vermitteln. Danach kam es nicht selten zu der charakteristischen Verbindung von herrschaftlicher Wohnung und landwirtschaftlichem Gebäude in der auch andernorts bekannten Form eines T-Hauses. Nach der Definition kann ein Freihof nicht in der Stadt liegen. Daher kann es nicht um die freien Höfe gehen, die sich in den drei Städten des Fürstentums Minden, in Minden, Lübbecke und Petershagen sowie dem befestigten Amtsort Hausberge befanden, sondern nur um die große Zahl von freien Höfen, die in den Kirchdörfern, Dörfern und auf dem platten Land lagen. Hiervon sind allerdings die landtagsfähigen Rittergüter zu unterscheiden, da sie in einer anderen rechtlichen Tradition stehen. Bei ihnen handelt es sich in der Regel um Lehngüter, deren adelige Aufsitzer bei jedem Wechsel neu belehnt werden mußten. Der Erwerb eines Freihofes war für vermögende Bürger oder den Militär- und Beamtenadel des 16. bis 17. Jahrhunderts die entscheidende Möglichkeit, an steuerfreien und damit lukrativen Grundbesitz außerhalb der Städte zu gelangen.6 Freihöfe waren sogenannte Allodialgüter, die keinem Lehnsverband angehörten und somit von ihren Eigentümern als freies Eigentum ohne Zustimmung Dritter verkauft werden konnten. Allerdings war ihre Zahl nicht feststehend, denn auch im Fürstentum Minden war es möglich, ein Lehngut gegen Zahlung einer bestimmten Summe zu Allodialgut wandeln zu lassen. Die Zeit der von den Mindener Bischöfen vergebenen Freihöfe scheint im späten 17. Jahrhundert zu Ende gegangen zu sein. Hierbei spielte eine entscheidende Rolle, dass die Freihöfe steuerfrei waren, was nach 1648 die Steuerdirektion der neuen brandenburgi- schen Regierung in Minden schnell als großes Ärgernis empfand.7 Der Landesherr Friedrich Wilhelm von Brandenburg, „der Große Kurfürst" (1640-1688) ließ 1684 von neun Höfen die Freiheiten aufheben lassen. Grundsätzlich sollen die Freiheiten welche die vorigen Bischöfe mit Conses des Thumb Capitulß ertheilet... haben nicht länger als zu derselben Lebzeiten bestehen8 Tatsächlich haben viele der Freihöfe in der Regel schon im Laufe des 18. Jahrhunderts ihren besonderen Charakter verloren und wurden wieder zu „normalen" Bauernhöfen. In einem zweiten Teil werden dann einige Neugründungen von landwirtschaftlichen Betrieben im unmittelbaren Umkreis der Stadt Minden betrachtet, die zwischen 1760 und der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Diese gehen nicht mehr auf die Erteilung von Freibriefen zurück, sondern wurden von Städtern als Kapitalanlage außerhalb der Stadt gegründet, aber von den Besitzern und Zeitgenossen ebenfalls als „Güter" bezeichnet. Gerade diese jüngeren Gutshöfe sind heute kaum noch erhalten, da sie inzwischen von der sich ausweitenden Stadt verschluckt und durchgehend heute bebaut sind. Duxscher Freihof in Minden-Aminghausen, Breekamp 7, heute Bauernhof Am 6. Juli 1563 bestätigt Herzog Georg von Braun- schweig-Lüneburg als Bischof von Bremen und Minden seinem Neffen Erich Duxen, neben den schon bestehenden Freiheiten umb geleisteder getreuwer dienste willen auch die Aufhebung des Mahlzwanges für dessen „Freien Hove zu Aminckhausen."9 Erich Dux war schon spätestens 1560 Droste des bischöflichen Amtes Hausberge10 und hatte vermut- 362 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 2,3 Der Freihof in Minden-Aminghausen wurde durch Erich Dux und seine Frau Magdalene von Halle begründet. Ihrem besonderen Stand entsprechend erinnern aufwändige Grabplatten, die in der Mindener Martinikirche und der ev. Kirche in Porta Westfalica-Hausberge erhalten blieben. lieh auch auf der dortigen Schalksburg seinen Hauptwohnsitz. Zudem ist er 1558 als Besitzer eines Hauses in Minden auf der Bäckerstraße belegt.11 Als außerehelicher Sohn des Mindener Bischofs Franz I. (1508-1529) hatte Erich Dux eine besondere gesellschaftliche Stellung,12 die bislang von der Forschung nicht weiter beachtet worden ist, aber in seinem Lebensweg deutlich erkennbar wird. Aus seiner ersten Ehe mit der 1566 verstorbenen Amanda Ma(rgarethe) Li(sbeth) von Halle,13 der Tochter des Mindener Dompropstes Thomas von Halle und der Anna Borries14, gingen die drei erbberechtigen Kinder Elisabeth, Georg und Thomas Dux hervor. 1570 wurde Erich Dux herzoglich Braunschweig-Wolfenbüttelscher Rat und Oberamtmann.15 Er heiratete 1571 in zweiter Ehe Katharina von Dassel, Witwe des Curdt Warnecke, und wurde unter Herzog Julius von BraunschweigWolfenbüttel zum ersten Amtmann des neu gegründeten Amtes Calvörde (nordöstlich von Helmstedt) ernannt. Erich Dux geriet 1572 zusammen mit seiner Frau in Gefangenschaft, da sie der Verschwörung zum Giftmord an Herzog Erich II. zu Braunschweig-Lüneburg angeklagt war, was zu diplomatischen Verwick- lungen der beiden Braunschweiger Herzogshäuser führte.16 1581 starb Erich Dux17 und wurde in der Mindener Martinikirche begraben (hier ist seine Grabplatte noch erhalten).18 Nach seinem Tod wurde Johan Rosenthaell, vermutlich für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährigen Söhne, als Verwalter „Duxischer Güter" eingesetzt. Zwischen den Brüdern Georg und Thomas Dux sowie ihrem Schwager Johan Clare kam es nach 1600 zu einer Reihe von Klagen, die bis vor das Reichskammergericht gelangten. Hintergrund waren nicht nur unklare Erbschaftsverhältnisse, sondern offenbar auch ein früh vor Gerichten verhandelter Fall häuslicher Gewalt:’9 Elisabeth Dux war mehrfach vor ihrem Ehemann geflüchtet, zunächst in ihr innerhalb der Mindener Domfreiheit liegendes Vaterhaus und 1597 dann zu Verwandten nach Lübbecke. 1624-1630 vermietete die Witwe Elisabeth Clare, geborene Dux ihr Haus an der Bäckerstraße an den Bürgermeister Dr. Schreiber.20 Ihr Bruder Georg Dux wurde 1591 Amtmann in Münden2' und gründete dort eine Familie. Thomas Dux nahm den Freihof in Aminghausen für sich und seine Frau Anna Vogeler, Tochter des Mindener Bürgermeisters Kaspar Vogeler, in Besitz. Da er aber aus militärischen Grün- den oft und lange unterwegs war, dürfte er das Gut wohl nicht selber bewirtschaftet haben. 1649 musste Anna Vogler, die Witwe Dux', die Freiheiten ihres Hofes in Aminghausen nachweisen.22 Einige Zeit nachdem die Witwe Dux 1666 verstarb, scheint das Gut den Besitzer gewechselt zu haben, denn 1693 gehörte es dem in Goslar lebenden Dr. jur. Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden David Kühnemann. Er klagte vor dem Reichskammergericht gegen die kurfürstlich brandenburgische Steu- Chaussee, einzelne Häuser, Mühlen und Dörfer nebst der Stadt Minden, der Porta und das Gebirge umfaßt freiheit seines Hofes zu Aminghausen.23 Auch von ihm gleich befriedigend für diejenigen, welche einen ruhigen ländlichen Aufenthalt wünschen, wie vortheilhaft für Wirthe, Gärtner und Fabrikanten, da die Nähe von erdirektion in Minden auf Beibehaltung der Steuer- wurde der Hof offenbar verpachtet, denn 1681 lebte Tönnies Deirberg mit seiner Familie auf der Duxin Hoffe zu Aminckhausen.24 1754 ist der Mindener Regierungsrat Culemann Eigentümer des Freihofes, den er 1756 an Johan Philipp Schlichthaber verkauft. Dieser hatte zuvor mit seiner Frau Henriette Maria Ledebur und den vier erstgeborenen Kindern als Verwalter auf dem Gut Haddenhausen bei Minden gelebt. Erst ab diesem Besitzwechsel scheint das Gut zum Hauptwohnsitz seiner Inhaber geworden zu sein.25 1792 heiratete ihr Enkel, der Freisass Christopher Friderich Schlichthaber die Kaufmannstochter Marie Eleonore Wilhelmine Oldenburg aus Sulingen. 1810 scheint ihre Familie den Freihof als Hauptwohnsitz aufgegeben zu haben und zog vermutlich nach Min- den. 1812 verkaufte die Witwe des Kaufmanns Schlichthaber geb. Sophie Dorothee Oldenburg26 den Hof für 5410 Rthl. an den Tribunalrichter Jacob Josua Rappard.27 1816 inserierte die Witwe des Kriminalrates von Rappard in den Mindischen Intelligenzblättern den Verkauf ihres Freihofes zu Aminghausen, den sie in einzelnen Stücken oder im Ganzen anbot:28 Der Hof liegt eine halbe Stunde von Minden, Ist mit einem zweistöckigen Hause, worin 8 Zimmer nebst Küche und andere Behälter, Scheunen und Stallungen, Backhaus ec versehen. Das Haus hat eine gesunde Lage, Gärten, Wiesen, Kämpe, fließendes Wasser und Teiche umgeben es. Die Aussicht ist einzig reizend: Wiesen und Ackerland liegen im Vordergrund, die das Auge mit einem Blick. Die Lage des Hofes ist Minden und das Eingehn der beliebtesten öffentlichen Gärten und Kaffeehäuser nicht allein, sondern auch Gartenbau und Milchwirthschaft, wozu die Vorbereitungen getroffen, den Wünschen und Bedürfnissen der Stadt Minden und jedem Besitzer entgegen kommt. Der Verkauf kam allerdings nicht zustande. Erst 1822 verkaufte Oberlandesgerichtsrat Jacob Josua Rappard den Hof für 8050 Thl. an den Cantons-Beamten Ernst Weißhuhn.29 Wenig später fand die Hochzeit des sich nun Gutsbesitzer nennenden Ernst Weißhuhn mit Sophie Henriette Friderike Lisette Ebbeke aus Wietersheim am 23. April 1823 auf dem Hofe des Bräutigams statt.30 Neben dem Wohnhaus wies die Hofstätte auch eine 1845 abgebrochene Leibzucht auf. 1841 verstarb Daniel Ernst Weißhuhn 74jährig und hinterließ neben seiner Frau fünf minderjährige Kinder. 1858 ist der aus Minden stammende Ökonom Johan Heinrich Böke Besitzer der Hofstätte. Auf der Hofstätte wohnten in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundertszusätzlich mehrere Einliegerfamilien, 1861 unter anderem der Kutscher Wilhelm Krüger. Bis in das 19. Jahrhundert stand auf dem Freihof in Aminghausen ein zweistöckiges Wohnhaus. Näheres über seine Gestalt ist nicht bekannt. Es wurde zu nicht näher bekannter Zeit abgebrochen und durch ein Längsdielenhaus mit Umfassungswänden ersetzt, wie es für Bauernhöfe dieser Zeit charakteristisch ist. 4 Standort des ehemaligen Dux sehen Freihofes in Minden-Aminghausen. Die Hofanlage ist heute völlig erneuert und über- formt. Auch die früher angepriesene gute Aussicht vom Hof zur Porta Westfalica wird durch Hochregallagerbauten des angrenzenden Gewerbegebietes verstellt. 363 364 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 5 a-d Die Katasterpläne verdeutlichen die baulichen Veränderungen auf der Hofstätte des Cammerhofes in BückeburgCammer in den letzten 260 Jahren: links oben Zustand 1752, rechts oben 1795, links unten 1898 und rechts unten 1998. Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden Cammerhof in Bückeburg-Cammer, Dankerserstraße 18, später schaumburg-lippisches Vorwerck Graf Otto IV. zu Holstein-Schaumburg (1544-1576) ließ 1567 die sogenannte Cammer besiedeln, ein Areal nordwestlich des Schaumburger Waldes, im Grenzgebiet seiner Grafschaft zum Fürstentum Minden. Vor 1576 vergab er auch ein gudtken ahm Du- dinghauser forde in der Karrieren und Schöwen- burgeschen Walde gelegen. Dieses Gut befand sich 1605 im Besitz des Mindener Bürgers Curt Brüning (Cürtt Bruningk). ' Dieser bat in einem Schreiben an Graf Ernst zu Schaumburg-Holstein ... die gleichen Gerechtigkeiten zu bekommen, die ein Haußman (in Cammer) in gedachtem wolde alda im gebruch und gerechtigkeitt had. Curt Brüning beruft sich auf einen gesiegelten Brief den er und seine vorfederen ... von Graf Ernst Her Vatter und Her Brüder Graff Adolff Seliger erhalten habe.32 Zwar sei ihnen gestattet wor- den, auf dem Gut ein Haus zu bauen, die Waldgerechtigkeiten wie die Schweinehude aber nicht aufge- führt worden. Wegen einer Lanckwirigen Leibes kranckheitt habe Brüning nicht auf sein guttken ... achten können, und habe es etzliche Jahr zinslich außthun müssen, es also vermieten müssen. Wenige Jahre später wechselte der Eigentümer: 1607 stellt Graf Ernst seinem Amtmann Adolf Waschen als Abfindung einen Hoffe in der Cammer gelegen, welchen Cordt Brüning hiebevon besessen und noch jetzo inhatt, mitt lenderei, wiesenwecht und allen zubehorungen, wie er den ersessen, erblich begnadet und Ihme dem Amptman zugeeignet haben, in Aussicht. Ihm sollte bei Antritt des Hofes außerdem die jährliche Abgabe von 3 Thl. an das Amt Bückeburg erlassen werden. Hauptmann Adolff Weschen verkaufte allerdings schon 1611 das Gut an die von Münchhausen, die es durch Zukauf verschiedener Ländereien erweiterten. 18 Jahre später kam es zu einem weiteren Besitzerwechsel: 1629 verkaufte Margarete von Münchhausen als Kindsmutter und Vormund des Hanses von Münchhausen mit Zustimmung des Gräfl. Holstein Schaumburgischen Geheimrat und Landdrosten Statzes von Münchhausen33 für 5500 Rthl. an den bayerischen Hauptmann Arnoldtes von Velstrum und seiner Hausfrawen Ludovica geborener von Brinck zu Innhausen (muß Iggenhausen heißen) daß Hauß und gutt zur Cammeren ... neben alles und jedes dazu gehöriges lendereien benenntlich funftzig sechs mor- gen sadiger landerei, acht und zwantzig morgen kuheweiden und dreizehen morgen wiesenwachs, geholtz, mastungen, Viehe drifften, Schaffereien, gebeuwden und anderen pertinentienW Auch sie behielten das Gut nur wenige Jahre: Nach 1631 wurde es von Emst Ludwig von Ditfurth, Gr. Holstein Schawenburgischen CammerJunckern und zu Danckersen Erbsäßen erworben. Ein letzter Eigentümer- 6 Die Gebäude des Cammerhofes wurden 1711 in einem Protokoll anlässlich eines Grenzvergehens skizziert. Stark ver- einfacht, aber dennoch erkennbar wird das Hauptgebäude aus zwei Bauteilen bestehend dargestellt: Links wird der Wirtschaftsteil von Fachwerk und mit Toreinfahrt dargestellt, rechts das anschließende zweigeschossige Herrenhaus. wechsel erfolgte Ostern 1662: Nun erwarb es Graf Philipp zu Schaumburg, Lippe und Sternberg umb ein gewiß Summ geldeß von Arendt Ludewig von Dittfurth auff Dankersßen, sein in unserm Ambt Bückeburgk belegenes freyes Erbguth die Cammer genand.35 Graf Philipp legt den Cammerhof mit der schon seit 1650 bestehenden herrschaftlichen Meierei Höckersau zusammen und verpachtete36 beide 1670 an den Conductor Carl Wippermann.37 1 699 folgte als Pächter der Mindener Kaufmann Johan Lipperding. 1727 wurde Jörg Henrich Wecke Pächter, dem 17291759 Carl Balthasar Gaden und 1763-1769 Balthasar Gaden folgen. Von 1769-1786 wurde Kammerrat Caspari Pächter der Meierei Höckersau und Cammerhof. Vier in den Jahren 1699,38 1729,39 176340 und 176941 erstellte Inventare ermöglichen einen Überblick über den auf dem Cammerhof vorhandenen Baube- stand, dokumentieren aber auch dessen langsamen Verfall. Das Hauptgebäude wurde in allen Beschreibungen in die drei wesentliche Bereiche Vorwerk, Küche und Wohnhaus unterteilt: Zunächst wird jeweils das Vorwerck als ein 14 Fach langer, ursprüng- lich wohl mit Lehmflechtwänden ausgefachter Fachwerkbau beschrieben, der als Längsdielenhaus mit seitlichen Stallungen vorzustellen sein dürfte. Durch eine Scherwand gelangte man vom Vorwerk in eine 365 366 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 3. Der Platz, worauf diese Gebäude stehen, benebst dem Hofraum und kleinen Garten, kann jemanden zum Anbau einer Colonie überlassen werden. 1775 wurden die Bauten versteigert. Am 12. März 1775 bot der Zimmermann Scheife aus Evesen 450 thl vor vorbesagtes Wohn und Viehhaus nebst Schmiede und dem Hoff Platz, doch erbat er bei der Bezahlung um ein Jahr Zeit. Der Kaufkontrakt kam daher erst am 6. Februar 1776 zustande, wobei Scheife wenig später die Gutsgebäude abbrach. Er errichtete auf dem Hofplatz einen Neubau.45 Wesent- lich kleiner als das alte Hauptgebäude erhielt der näher an die Straße gestellte Neubau die Form eines bäuerlichen Längsdielenhauses.46 1792 bewohnt Johann Wilhelm Scheive das für 275 Rthl. versicherte Wohnhaus welches auf den Cammer- hof neu erbauet ist und keine Nummer hat. Nur in dieser fehlenden Hausnummer war die 1776 endende 7 Das heute auf der Hausstätte in Bückeburg-Cammer vorhandene Gebäude lässt nicht mehr die besondere Bedeu- tung des Cammerhofes erkennen und keine Rückschlüsse mehr auf die frühere Bebauung der Freihofstätte zu. Küche, der sich ein unterkellerter Wohnteil anschließt. Erwies mehrere durch Kachelöfen beheizbare Stuben auf und dürfte als ein wohl zweigeschossiges und daher herrschaftliches Haus zu rekonstruieren sein.42 Johan Sigmund Moritz Wilckening ist mit seiner Familie als (Unter-)Pächter des Hochherrschaftlichen Cammerhofes zwischen 1760 und 1769 nur durch Einträge in die Friller Kirchenbücher nachgewiesen. Wohl nach seinem Abzug kam es ab 1772 zu weitreichenden Änderungen in der Wirtschaft. Fortan wurden die zugehörigen Wirtschaftsflächen einzeln an verschiedene Interessenten verpachtet. Im gleichen Jahr hat man auch den zum Herrschaftlichen Vor- wercke Kammerhof gehörige kleine Garte ad ’Z? Morge 15 rutehn groß und die Wohnung auf dem Vorwercke an Johan Diedrich Kruse aus Frille für jähr- lich 5 thl verpachtet. Er habe den Garten und die Wohnung nach seiner gutträglichkeit zu nutzen, dahin aber zu sehen ..., daß die Gebäude nicht in Verfall gerathen, sondern wenn daran Reparationes vorzunehmen nötig, solches zu fernerer Verfügung anzeige43 Doch bereits im Folgejahr 1773 beschließt die Gräfl. Schaumburg Lippische Rentkammer, den Cammerhof ganz aufzulösen.44 Die auf dem Herrschaftlichen Vorwerck zum Cammerhofe befindlichen Gebäude sollten verkauft und auf Käufers Kosten abgebrochen werden. Dabei 1. Ein Wohnhaus benebst dem daran befindlichen großen Viehgebäude, worin eine Parthey steinerne Krippen befindlich und überhaupt dieses weitläufige Gebäude annoch in überaus in guten Bauholtze bestehet, auch mit Ziegelsteinen behangen. 2. Eine Scheune von sehr gutem brauchbaren Holtze, so eben fals mit Ziegeln gedeckt. Geschichte des Freihofes noch erkennbar geblieben.47 Bäcker Henrich Tönjes Schmidt, Schwiegersohn des Schieve und späterer Besitzer des freyen Kammer Hofes in Bückeburgischen, kaufte am 2. April 1806 für 1000 Rthl. im angrenzenden preußischen Päping- hausen drei Ackerflächen von etwa fünf Morgen Größe.48 Hof Kriete in Porta Westfalica-Lohfeld, später Bauernhof Die Gründung des Freihofes mit Umwandlung des vorher als Hof in der Tilosen bezeichneten Anwesens durch Vogt Daniel Kriete geht auf einen noch erhalte- nen Freiheitsbrief von 1570 zurück.49 Da dieser in anschaulicher Weise die wesentlichen Merkmale eines Freihofes benennt, sei er im Folgenden wörtlich wiedergegeben (die wesentlichen und vielfach vorkom- menden Formulierungen wurden fett hervorgehoben: Lage, Grund der Verleihung, Art und Umfang der Freiheiten): Von Gottes gnadenn Wir Hermenn Postulirter auch verordneter und Bestetigter Administrator des Stifftes Minden s. thuen kunt und bekennnen hiermit vor unß unser Nachkommen an diesem unserm Stifft und jedermanniglichen. Nachdem unser diener und lieber getrewer Daniell Krite bei uns underthanig angehalten das ehr vorhabens vor sich und seiner erben in der Vogtei Landtwehr, boven dem Solenwege eine Hausstete und wonung zu bawen. Mit underthaniger bitte wihr dafür unsern Consens und bewilligung ertheilen mügten, Weß haben wir nun auß vorbitte etzlichen unserer verwanten Herrn und freundte, auch wegen viel- fältiger unß und unßeren Stiffte geleisteten getrewen dienste, die wir ferner von Ihm gewertig sein, seiner bitte Stadt gethan, thuen das auch hiemitt und Crafft dieses vor uns und unser nachkom- men, dieser gestalt und alßo das ehr die angewiese- ne stedte forderlichst bebawen und mit einem garten und vorhoffe befrietigen soll und magh Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden 8 Freihof der Familie Wentrup in Hille-Rothenuffeln. Das Hauptgebäude ist eines der wenigen noch erhaltenen Herrenhäuser der Freihöfe aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Johann Wentrup ließ es 1581 wenige Jahre nach Erhalt seines Freibriefes als zweigeschossigen Steinbau errichten. Im 18. Jahrhundert (um 1779?) modernisierte man diesen Bau mit einem flacheren Krüppelwalmdach. 9 Freihof der Familie Wentrup in Hille-Rothenuffeln. 1849 entstand ein neues Wirtschaftsgebäude, an die südliche Traufe des alten herrschaftlichen Steinhauses angefügt. 367 368 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Unnd haben Ihm daneben die begnadung wiederfahren laßen das ehr und seine Erben dieselben Dienst: Schatz und andere uflage frei, mit sambt aller des 17. Jahrhunderts unterhielten die Nachfahren der Bauherren auch noch einen Stadthof in Minden, sodass das Herrenhaus von ihnen wohl nur zeitweilig als Successorn wollen Ihm und seinen erben dieser unße- worden ist. Erst nachdem das Gut in Folge wirtschaftlicher Schwierigkeiten und verschiedener Erbschaften zu einem üblichen und von den Eigentümern selber bewirtschafteten Bauernhof geworden war, entstand 1849 ein unmittelbar an das alte Herrenhaus angebautes Wirtschaftsgebäude, wodurch man ein Wohn- gerechtigkeit deß orts in Holtz und grase, wie daß nahmen haben konthe, jegen jemantz einkerr und hlnderung gebrauchen sollen undt mögen und damit gleich anderen Ihren erb: und eigentumblichen güttern geberen, und nach willen und gefallen thuen und laßen sollen und mögen, und wir von unsere rer vergoestigungk freiheit und begnadigung kennig und geständig herent und wehrent Wesen, so offt des von uns erfürdert wirt, Deßen in Urkundt haben wir diesen brieff auf eigene Handt untergeschrieben und unßer Fürstlich InsiegelI daran wißentlich hangen laßen Der gegeben im Jahr nach Christi Unsers erlösers und Salichmachers geburtt, Im Tausent, fünfhun- dert und siebenzigsten Jhare an dingstage nach Visitationis Maria virginis Hermannus postulatus min- densis e Maria propria.50 Es gelang Daniel Kriete seinen Hof in den Tilosen boven dem Solenwege zwischen 1580 und 1592 durch Zukäufe von Wiesen und Ackerflächen zu erweitern.51 Die spätere Geschichte dieses Freihofes konnte allerdings bislang nicht nachvollzogen wer- den. Im Hauptregister der Vogtei Landwehr wird 1667 unter Eißbergen der Churfürstlch freyer Meyer (später Eisbergen Nr. 1) Henrich Kriete aufgeführt,52 doch ist es fraglich, ob diese Hofstätte identisch mit dem Freihof des Daniel Kriete ist, da die Fluren mit der Bezeichnung Im Tilosen etwa 5 km entfernt liegen. Sommerhaus oder von Teilen der Familie bewohnt und Wirtschaftsgebäude in Form eines T-Hauses schuf. Barkhausenscher Hof in Minden-Aminghausen Rußkamp 2, heute Bauernhof Die Geschichte dieses Freihofes ist bislang erst in Bruchstücken ermittelt worden. 1754 ist der Barckhausen Hoff einer von zwey freye Höffe in Aminghausen, so die freyheit erhalten, und davor bezahlet haben54 Wann dies geschah, wird nicht überliefert, so dass über die Gründungsge- schichte des Hofes bislang nichts bekannt ist.55 Eine auf der Hofstätte noch erhaltene und 1583 datierte Spolie aus Sandstein, vermutlich Teil eines Wandka- mins, zeigt das Wappen des Mindener Bürgermeister Johan Sobbe (um 1524 Hameln - um 1592 Minden).56 Es ist durchaus vorstellbar, dass dieser Johann Sobbe die Rechte zur Anlage eines Freihofes erhalten hatte. In den 1676 und 1678 erstellten Katasterregistern werden Johan Dencker, später Barckhusen jetzo Wentrupsches Hofgut in Hille-Rothenuffeln Am Mühlenbach 7, heute Bauernhof Exemplarisch konnte die Geschichte der Familie (von) Wentrup und die Entwicklung ihres Haus-, Land- und Grundbesitzes als Aufstieg und Niedergang einer Beamtenfamilie untersucht werden.53 Daher reicht es hier, die wesentlichen Informationen zu ihrem Freihof in Rothenuffeln bei Hille (Kr. Minden-Lübbecke) zusammenzufassen: 1578 erhielt der Mindener Syndi- kus Johann Wentrup aus Dankbarkeit für seine Dienste von seinem Herren, dem Mindener Bischof Hermann von Schaumburg, einen Freibrief. Hiermit konnte er zwei bisherige Bauernhöfe in Rothenuffeln (Hille, Kr. Minden-Lübbecke) zu einem Gutshof zusammenfassen. Schon unmittelbar danach begann er mit dem Bau eines 1581 fertig gestellten herr- schaftlichen Wohnhauses. Freistehend, zweigeschossig und mit massiven Umfassungswänden ausgeführt entsprach es der zeitgenössischen Bauform kleinerer Herrenhäuser. Es erhielt um 1645 noch einen bemer- kenswerten, neu mit Malereien ausgestatteten Raum im Obergeschoss, der als Amtsstube genutzt wurde. Abgesetzt hiervon gab es ein 1674 nach Brand erneuertes Wirtschaftsgebäude, das offenbar dem Pächter der Landwirtschaft übergeben wurde. Bis in die Mitte 10, 11 Zwei Werksteinspolien sind die letzten baulichen Zeugnisse des Barckhausenschen Freihofes in MindenAminghausen. 10 Auf dem Bruchstück einer Kaminplatte befindet sich die Jahreszahl 1583 und das Wappen des Mindener Bürgers Johann Sobbe. Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden 11 Ein im oberen Teil zerstörter Ofenstein zeigt beidseitig einer sechsblättrigen Rose die Initialen von H(einrich) B(arckhausen) sowie im oberen Teil die Reste einer Datierung des 17. Jahrhunderts. Johan Hinrich Rösener als Eigentümer des Freihofes genannt.57 1 672 läßt Heinrich Rösener von Aminghausen, sonsten auch Barckhausen genand seine Tochter beerdigen. Den 1.6.1677 sindt zu Aminckhausen auff des Vogts hoffe copuliert worden Caspar Heinrich Riepe (?), Jobst Riepen (?) Bürgermeisters zur Bückeburg ehelicher Sohn undt Anna Dorthea Catri na Rosen ers Seel. Heinrich Röseners zu Aminckhausen nachgelassene Tochter. Das erste in den Quellen eindeutig als Freisass bezeichnete Mitglied der Familie war allerdings erst Johan Heinrich Barckhausen gen. Rösener, der 1678 die Pastorentochter Sophia Catharina Elisabeth Mebesia heiratete.58 1 837 heiratete die Anerbin Sophie Eleonore Barkhausen, verwitwete Klöpper, in zweiter Ehe Carl Friedrich Schäkel. Bis heute befindet sich der Hof im Besitz der Familie Schäkel. Über Art, Größe und Gestalt der auf dem Freihof zwi- schen dem 17. und 19. Jahrhundert bestehenden Bauten ist nichts bekannt. Das 1871 neu als Längs- dielenhaus errichtete Haupthaus des Hofes ist schon 1910 abgebrannt; der danach errichtete Neubau ist ein Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit einer Grundfläche von etwa 34 x 17 m. Freihof in Hille-Eickhorst, Hiller Straße 36 seit 1655 Burgmannshof, heute Bauernhof Nach der älteren örtlichen Geschichtsüberlieferung kam das aus dem 13. Jahrhundert stammende Hofgut Echhorst nebst Höfen, Kotten und Eigenbehörigen 1335 von der Familie von der Horst als Pfand in den Besitz der Familie von der Sioen. In der Folgezeit sei es in den Besitz der von Sioen gen. Tribbe und von diesen auf die Familie Derenthal gekommen.59 Grundlage des erst später mit Burgmannsrechten belegten Hofes bildete aber nach Aktenlage des 17. und 18. Jahrhunderts die 1626 erfolgte Zusammenlegung der beiden Bauernhöfe Korff und Meyer durch deren Grundherr und Eigentümer Reinike Amelingk von Schlön gen. Tribbe,60 der 1628 als Besitzer der Fiegenburg bei Börninghausen (Preußisch Oldendorf) belegt ist.61 Seine Söhne Hieronymus Henrich und Johan Philip Tribbe werden um 1640 als Besitzer der Fiegenburg und eines Burgmannshofes in Lübbecke ge- nannt. Zu dieser Zeit wurde ihr Vater Reinike Amelung von Schloen gen. Tribbe nicht mehr erwähnt. Er nutz- te möglicherweise die zusammengelegte Hofstätte bei Eickhorst als Leibzucht, eine Vermutung, die sich aus dem Aktenvermerk ergibt, er habe die Höfe zusammen in einen Corpus gezogen und Persönlich bewohnt.62 1655 erwirbt der mindische Vizekanzler Daniel Ernst von Derenthal den Hof, der ihm dann vom Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg in Ansehung seiner treuen gehorsamen Dienste als Burgmannshof eingestuft wurde. Er sollte als freier Burgmannshof die gleichen Gerechtigkeiten besitzen wie andere zum Petershagen und Hausberge belegene Burghöfe. Ob von Derenthal den erworbenen Hof in Eickhorst allerdings jemals bewohnte, ist bisher ungeklärt. Zu seinem in Minden nachgewiesenen Stadthof in der Ritterstraße erklärte Derenthal 1650, dass seine Familie 369 370 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen diesen Hof seit 16 Jahren nicht mehr bewohnt hätte.63 Dieser wäre auf 20 Jahre an den Postmeister vermietet. Derenthal wohnte zu dieser Zeit als Vize-Kanzler in Petershagen, wo bis 1669 auch die Regierung des Fürstentums Minden untergebracht war.64 Nach dem Tod des Vizekanzlers von Derenthal ver- kauften seine Kinder und Erben am 23. Juli 1682 ihren mit einer newen Mauwer umgebenen Burgmannshof für 5 800 Rthl. an Henrich Öxemann und seine Frau Magdalene Agnese Tacken. Zu diesem Hof gehörte ein Wohnhaus, das Vorwerk, ein Backhaus und ein kleiner Stall, Kirchenstühle in Hille, 4 Fischteiche, Gärten, 74 Morgen zins- und zehntfreies Erbland, 9 Wiesen, Wald in den Netteistädter Bergen, freie Erbäxte in der Lübber Mark, freie Hude und Weide in der Eickhorster Bauerschaft und die auf dem Felde gelegene freie Windmühle, mit allem was dazugehört, niet und nagelfest, davon niemand etwas zu geben als jährlich einen Reichsthaler an das Amtsregister zu Hausberge. Durch kurfürstliche Verfügung wurde 1684 die Steuerfreiheit des Hofes aberkannt und bestimmt, dass Öxemann fortan jährlich 1 Rthl. 12 gr. Abgaben zu zahlen habe. Anscheinend reagierten Henrich Öxemann und Magdalene Agnese Tacken 1686 auf diese Infragestellung ihrer Burgmannsgerechtigkeit mit ven Wohnhauses. Wie der Plan des kurz zuvor im Jahre 1680 auf dem Rittersitz Fiegenburg errichteten Herrenhauses zeigt, steht der Neubau der Ochsmanns dieser Ausführung in keinem Punkt nach. Die Frage, wie die Öxemanns den Ankauf des Hofes und den Neubau des Herrenhauses finanzierten, war den Zeitgenossen bekannt, nicht aber den späteren Chronisten:65 Magdalena Agnesa Tacken, Ehefrau von Henrich Öxemann, war Nichte des den Zeitgenossen sehr bekannten, aber später in Vergessenheit geratenen, aus Herford stammenden und zuletzt in Venedig lebenden Arztes Otto Tachenius (1610-1680).66 Als Universalerben seines umfangreichen Vermögens setzte er seinen 1666 geborenen Großneffen Johan Gerhard Öxemann ein. Otto Tachenius forderte bereits vor dem Tod seine Erben auf, von dem Vermögen einen geeigneten Hof anzukaufen, diesen durch Zukauf von Grundstücken zu erweitern und als Gutshof zu betreiben.67 Heinrich Öxemann starb während oder kurz nach Fertigstellung des Neubaus. Seinen Kindern und deren Vormünder gelang es, die Burgmannsgerechtigkeit und die damit verbundenen Freiheiten durch ein königliches Privileg vom 15./25. Januar 1693 bestätigen zu lassen.68 1 721 ist Carl Gerhard Öxemann Eigentümer des Hofes.69 dem Neubau eines großen zweigeschossigen, massi- 12 Auf dem „Öxemannschen Burgmannshof" in Hille-Eickhorst blieb das 1686 für Henrich Öxemann und seine Frau errichtete Herrenhaus erhalten. Auf der Ansicht von Nordwesten ist im Vordergrund der Bereich zu erkennen, an dem sich nach Norden im rechten Winkel das um 1917 abgebrannte Vorwerk anschloss (siehe die eingetragene gestrichelte Linie). Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden 13 Um 1680 wurde anlässlich des Neubaus des Herrenhauses ein Grundplan des gesamten Rittersitzes Fiegenburg in Lübbecke-Börninghausen gezeichnet. Während die eine Seite des rechteckig umgräfteten Platzes von dem so genannten Vorwerck, dem landwirtschaftlichen Hauptgebäude mit Diele und einer Pächterwohnung am unteren Ende eingenommen wird (links), stellte man das Herrenhaus an die andere Seite (rechts). Das Herrenhaus weist mit dreizonigem Erdgeschoss einen ähnlichen Grundriss wie der nur wenig später errichtete Neubau auf dem Öxmannschen Burgmannshof in Hille-Eickhorst auf. 1745 wurden Wertgutachten über des Hern Oexe- manns Wohnhaus in Eickhorst durch die beiden (Maurer-)Meister Johan Andreas und Coron Zimmermeister Hirsche angefertigt.70 Sie erhalten zusammenfassend folgende Angaben zu den vorhandenen Ge- bäuden: Es gibt ein zweigeschossiges (wohl 1686 errichtetes) Wohnhaus mit massiven Umfassungswänden, ein daran angebautes eingeschossiges und eben- falls mit massiven Umfassungswänden errichtetes Vorwerksgebäude sowie weitere kleine Wirtschafts- gebäude und einen großen ummauerten Garten. Das Wohnhaus ist 88 fuß lang und 49 fuß breit, mit 3 fuß dicken Außenwänden und vier gewölbten Kellern. Im Erdgeschoß befinden sich 3 Stubens mit Ofens, item 3 Cammers nebst einer großen Küche und Dehl. Im Obergeschoß befindet sich ein Saal, ein Entree oder Vorgemach, eine Stube mit einem Ofen und 2 Cammern. Der aus Fachwerk errichtete Westgiebel war vollständig mit Bruchsteinen ausgefacht. Im rechten Winkel an den westlichen Fachwerkgiebel des Wohnhauses war das 78 Fuß lange und 40 Fuß breite, eingeschossige Vorwerckshause angebaut. Es besaß 2 Fuß starke massive Außenwände, 14 Deckenbalken und im Inneren backsteinausgefachte Fach- werkwänden. Außerdem befand sich auf dem Gut ein Hause oder Wagen Schaur, ein Backhaus, Pferdestall und ein wasche Häußchen. Um den Garten und Hoff zog sich eine 1247 fuß (= etwa 392 m) lange und 12 fuß (etwa 3,75 m) hohe Bruchsteinmauer. Zwey gewölbte Brücken führten über Bach und Fischteich auf den Hof. Das revidierte Kataster über die 45 Hofstätten umfassenden Bauerschaft Eickhorst von 1754 nennt unter der Nr. 19 den freyen Jobst Ochsemann. Dieser besitzt 26 Morgen zehntfreies Ackerland, 2 Kühe und 3 Rinder.71 1769 betragen seine jährliche Gesamtabgaben 25 Rthl. 3 Ggr.72 1 801 ist Amtmann Gaden als Besitzer vom Eickhorster Freyhoff genannt. Das Gut wird auf 11 997 Rthl 22 Ggr. taxiert. Nach dem Abzug der jährlichen Abgaben in Höhe von etwa 55 Rthl. konnte in diesem Jahr ein Reingewinn von 479 Rthl. 22 Ggr. erwirtschaftet werden.73 1816 wollte die Frau Amtmännin (= Witwe) Gaden ihren ... freien Burgmanns, genannt Oesemanns Hoff, ... wiederum auf mehrere Jahre verpachten.741851 gelangte das Gut dann in den Besitz der Familie Peper, denen es bis heute gehört. 371 372 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Gut Denkmal oder Tietzels Denkmal Minden, Stiftsallee 109 Das Gut geht nicht auf Erteilung eines Freibriefes zurück, sondern entstand erst 1777 aus der soge- nannten Kuhtorschen Schäferei.75 Diese Anlage umfasste einen Schafstall und ein kleines Schäferhaus und war um 1747 durch verschiedene Mitglieder der Hudegenossenschaft eingerichtet worden, da sich die Schafhaltung zunehmend als lukrativ erwies. Nachdem allerdings die bislang genutzten Gemeinheiten um 1775 aufgeteilt wurden und sich daher die Anlage als nicht mehr kostendeckend erwies, ließ sie die Gemeinschaft 1777 versteigern. Den Zuschlag erhielt der Mindener Kaufmann Johann Dietrich Valentin Tietzel76 für 6 450 Rthl. (wobei sich der Reg. Rat zur Hellen in Vlotho bis 1786 mit 3 225 Rthl. als stiller Teilhaber an dem Unternehmen beteiligte). Tietzel wandelte die Schäferei zu einem Gutsbetrieb, wobei er schon unmittelbar nach der Übernahme begann, hier zahlreiche neue Gebäude zu errichten. Bemerkenswert war insbesondere das große Haupthaus von Fachwerk, das den Vorstellungen eines Längsdielen- hauses folgte, aber auch mit einem weitläufigen Wohnteil als Sommerwohnung des Besitzers versehen war. Nach den erhaltenen Fotografien des 1972 abge- brochenen Hauses handelte es sich um ein ungewöhnlich großes und mit 42,80 m sehr langes Vier- ständerhallenhaus mit Steilgiebeln. Das Tor der Diele im Wirtschaftsgiebel war nicht ganz mittig, so dass davon auszugehen ist, dass das rechte Seitenschiff breiter ausgeführt war. Am Torbogen bestand eine Inschrift mit der Datierung 1778. Das Wohnende war mit einem fünfachsigen Giebel gestaltet, wobei der erwähnte Saal im Dach drei Fenster in dem nur in der Spitze verbretterten Dreieck erhielt. Nach Vergleich der kurz nach der Errichtung angefertigten Baube- schreibung77 mit dem letzten Zustand ist davon auszu- gehen, dass der Bau in zwei Abschnitten errichtet 14 Gut Tietzel bei Minden. Als Ersatz für die zwei beidseits des Zufahrtsweges stehenden Wirtschaftsgebäude (Schafstall und Viehhaus) baute man1904 einen 33 m langen und 10,5 m breiten Wirtschaftsflügel an das alte Hauptgebäude an. worden ist, wobei der Wohnteil offenbar nachträglich um drei Zimmer verlängert wurde. Bis 1805 wurden auf dem Gut insgesamt sieben größere Gebäude errichtet. Auf einer Geburtstagsfeier des Bauherren im Mai 1797, zu der er viele Gäste auf sein Gut eingeladen hatte, erhielt das Gut seinen bis heute prägenden Namen: Tietzels Denkmal, woraus später auch die 15 Gut Tietzel bei Minden. Das Hauptgebäude wurde 1778 als Fachwerkbau in der Form eines Längsdielenhauses errichtet. Zustand vor dem Abbruch 1956. Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden 16 Carl Georg Tietzel lebte in dem ausgedehnten Wohnteil des Haupthauses von Gut Tietzel. Die Fotografie zeigt ihn als Gutsbesitzer mit seiner ersten, 1866 verstorbenen Ehefrau Wilhelmine und ihren ältesten Kindern Hermann und Johanna. Bezeichnung „Gut Denkmal" wurde. In der Entfernung einer halben Stunde, auf die Westseite von auf dem er einen Namen für das Gut vorschlug. Der zweitälteste Sohn las die Vorschläge vor und Tietzel Häuschen und ein Schaaf stall stand, wo der schlech- Vorschlag „Tietzels Denkmal". Christian Gottlieb Tietzel (1769-1818), die 2. Gene- Minden befindet sich ein Platz, die Kuhthorsche Schäferey genannt, allwo vorzeiten ein kleines teste Heideboden und nichts als unfruchtbarer Heidegrund anzutreffen war Dieser Boden ist durch unermüdlichen Fleiß, durch richtige Behandlung und durch den schöpferischen Geist des Herrn Johann Dietrich Valentin Tietzel zu einem irdischen Paradies umgeschaffen worden, so daß, wo sonst wilder Heideboden, jetzt die schönsten nutzbarsten Anpflanzungen, wo sonst Sümpfe und Moraste, jetzt die blühendsten Fluren, wo sonst ein Schäferstall, jetzt die ansehnlichsten Gebäude prangen, und jetzt also das ganze eines der schönsten Landgüter ist. [...] Voll Heiterkeit und Vergnügen, aber auch voll Ernst beschloß die ganze Gesellschaft, das dieser ehemalige Schafstall, dieses jetzige Elisium, nicht mehr Tietzels Schäferey müsse genannt werden, sondern es verdiene einen Nahmen, welches der Entstehung deseiben und seines Urhebers angemessen sey; und die Gesellschaft verband sich, dieses nunmehrige Landgut zu taufen. Der Eigentümer fand die Idee gut, man bildete einen Kreis und jeder bekam einen Zettel, senior entschied sich mit lauter Stimme für den ration auf dem Gut Denkmal, erbte nicht das Gut, sondern hat es 1797 von seinem Vater für 20 400 Rthl. erworben. Der junge Tietzel zog sich aus der Stadt zurück und betätigte sich fortan ebenso wie seine Nachfahren als Gutsbesitzer; zugleich übernahm er zahlreiche Ehrenämter. Den städtischen Handelsbetrieb baute sein Bruder Johann Dietrich Tietzel unter eigener Regie weiter erfolgreich aus. Der Gutsbesitzer Carl Georg Tietzel, die dritte Generation, war ab 1849 für über 50 Jahre Gemeindevorsteher von Minder- heide und bekleidete in den Jahren 1872/82 auch das Amt eines Provinzialabgeordneten. Seit dem frühen 20. Jahrhundert wurde der Gutsbe- trieb durch Verwalter geführt. 1955 wurde der gesamte im Bereich der sich ausweitenden Stadt Minden gelegene Betrieb aufgegeben und von den nicht mehr vor Ort lebenden Erben verkauft,78 wobei später alle bestehenden Bauten abgebrochen wurden, so dass die von altem Baumbestand umgebene Hofstelle heute wüst liegt. 373 374 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Gut Kuhlenkamp Minden, Stiftsallee 100 Das Gut befand sich in unmittelbarer Nähe zu Tietzels Denkmal und entstand ebenfalls aus einer der Schäfereien vor der Stadt.79 Die Marienthorsche Schäferei bestand 1781 aus einem Wohnhaus, Scheune und Schafstall, die zusammen für 488 Rthl. veranschlagt wurden. Nachdem die Mindener Fluren um 1775 separiert wurden, scheint man zwar auch hier die gemeinsame Hude aufgegeben zu haben, doch wurden die Gebäude nicht verkauft, sondern durch die Genossenschaft zunächst verpachtet. Erst 1827 wurden die Gebäude durch die Hudegenossenschaft zur Gut Rodenbeck bis 1908 Trippeldamm 47 Nachdem Grund und Boden zu einem freien Wirtschaftsgut geworden war, nutzte der aus Schmoditten in Ostpreußen nach Minden spätestens 1798 zugezogene Kaufmann Friedrich Wilhelm Seydel80 die neuen rechtlichen Möglichkeiten und begann 1814 mit dem Aufbau eines Gutsbetriebes vor der Stadt Minden. Hierzu erwarb er zunächst 210 Morgen Land von Herrn von Bessel in der sogenannten Roden- Stall an. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beck.81 Zudem konnte er städtische Ländereien einschließlich einer Schäferei für 121 Thl. pro Jahr anpachten (dies konnte er erst 1826 von der Stadt für 2 975 Thl. erwerben). Erklärtes Ziel war offensichtlich die Schaffung eines repräsentativen Gutsbetriebes, denn schon 1820 lebte er in seinem inzwischen fertig gestellten neuen Gutshaus. Es war nach seinen eigenen Plänen errichtet worden und dokumentiert in seiner für Häuser im Raum von Minden eher ungewöhnlichen Konzeption und Gestalt wohl seine heimatlichen Vorstellungen von Architektur. Das Haus wurde als eingeschossiger und verputzter Massivbau über Gutsgelände wurde nach 1934 nach und nach völlig Untergeschoss und mit nicht ausgebautem Satteldach Finanzierung des Ausbaus der heutigen Marienstraße an einen Herrn Koch verkauft, der sich schon kurz danach als Gutsbesitzer Koch bezeichnete und die Anlage zu einem großen landwirtschaftlichen Anwesen ausbaute. Bis 1874 wuchs der Gebäudebestand auf ein Wohnhaus/Oekonomiegebäude mit Anbau, zwei Scheunen, Schweinehaus, Wagenremise, Remise und Göpelschuppen sowie ein Heuerlingshaus mit wechselte das Gut mehrfach den Besitzer. Das besiedelt, wobei zunächst bis 1938 die Siedlung Kuhlenkamp entstand (seit 1952 erweitert). Heute ist der Gutshof verschwunden. hohem und nur wenig in den Boden eingetieftem über einer Grundfläche von 34,50 x 15,40 m aufge- führt. Die Front wurde elfachsig und mit mittlerer Haustür gestaltet, der ein Vorplatz mit geschwungener Freitreppe vorgelegt ist. 17 Gut Rodenbeck bei Minden. Ansicht des 1816/20 errichteten Gutshauses, das in seiner Gestalt als eingeschossiger Massivbau über hohem Kellersockel an Vorbilder der Barockzeit erinnert. Rechts an der Traufe ein Renaissanceerker, der von einem Mindener Bürgerhaus stammte. Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden 18 Gut Rodenbeck bei Minden. Erdgeschossgrundriss des 1816/20 errichteten Gutshauses (Bestandsaufmaß von 1948). 19 Gut Rodenbeck bei Minden. Das Foto anlässlich des Erntefestes 1931 auf Gut Rodenbeck zeigt die Gutsherren mit ihren Familienangehörigen und anderen auf der Anlage lebenden Mitarbeitern. 1836 umfasste das Gut Rodenbeck Wohnhaus, Windmühle, Rossmühle, Brennerei, Stall und Scheune und ferner das 1835 durch Seydel neu errichtete Förster- haus im Nordholz, alles zusammen mit 6000 Rthl. taxiert. Die drei Söhne des Kaufmanns Friedrich Wilhelm Seydel gingen verschiedene Wege: Der älteste Sohn Fritz erbte das Gut Lehnarten in Ostpreußen, das sein Vater schon 1810 erworben hatte. Der zweite Sohn Karl Theodor erbte das Gut Nordholz bei Petershagen, zog dann aber aus Minden fort und war später Regierungspräsident von Sigmaringen und zuletzt Oberbür- germeister von Berlin. Der jüngste Sohn Ferdinand erbte Gut Rodenbeck, zog aber nach Minden in die 375 376 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 20 Gut Masch bei Minden. Das 1846 als zweigeschossiger Fachwerkbau errichtete Gutshaus ist schon 1881 wieder abgebrochen worden. Es ist nur durch eine um 1870 entstandene Ansicht von Südosten überliefert. Das Obergeschoss erhielt als herr- schaftliche Wohnung einen umlaufenden Balkon. Stadt und verkaufte das Gut 1890. Käufer wurde Otto Quante. Seine Witwe verkaufte das Gutsgeiände an die Stadt Minden, die hier ab 1938 die Siedlung Rodenbeck auswies. Das Gutshaus blieb noch bis 1960 erhalten und wurde zuletzt von der Stadt als Mietshaus genutzt. Gut Masch abgebrochene Gutshaus ist nur aus einer Zeichnung und einer Beschreibung bekannt. Danach war es ein zweigeschossiger Bau mit einem recht flach geneigten Satteldach. Während das Erdgeschoss in traditio- neller Weise eine befahrbare Diele mit seitlichen Ställen und einen Wohnteil für den Pächter/Wirtschaf- ter erhielt, nahm das sowohl über eine Innen- wie eine Außentreppe erschlossene Obergeschoss Wohn- Minden, südlich Viktoriastraße 18 räume der Familie von Progrell für einen sommerlichen Aufenthalt auf und erhielt einen umlaufenden Ufer der Weser. Das Gut Masch ist aus einem seit dem Balkon. Der Betrieb liegt östlich der Stadt auf dem anderen Mittelalter zu belegenden Vorwerk hervorgegangen, das Teil des Güterkomplexes des Domstiftes war. Zuletzt war 1846 das hier stehende Wohnhaus an den Steinhauer Karl Bock vermietet. Wohl im gleichen Jahr wurde das Gut vom preußischen Staat an Stadtmajor Leopold von Pogrell verkauft, der in dem Haus Markt 6 lebte und dort ein großes Handelsgeschäft unterhielt.82 Schon 1846 wird erstmals die Pogrellsche Oekonomie genannt. In den nächsten Jahren gelang es, das Gehöft durch Ankauf von weiterm Land zu einem Gutsbetrieb auszubauen, so dass das Gut 1859 25 Morgen umfaßte. Von Pogrell soll das Gut in erster Linie zur Versorgung seiner ältesten und kranken Tochter Helene erworben haben. Daher wurde das gesamte Gut schon 1861 nach ihrem Tode wieder verkauft. Auf dem Gut wurde offenbar nach dem Ankauf 1846 im Auftrag von Leopold von Pogrell ein neues Gutshaus errichtet. Wegen der Lage im Rayon der Mindener Bahnhofsfestung konnte dieses nur als Fachwerkbau ausgeführt werden. Das schon 1881 wieder 1877 gelangte der Besitz an den durch Industrie- ansiedlung vertriebenen Gutsbesitzer Heinrich Pleuger aus Bochum-Stockum. Nach Auflösung der Festungs- werke 1879 und mehreren schweren Weser-Hochwassern 1880/81 entschloss sich Pleuger zu einem Neubau des Gutshofes auf dem nördlich anschließenden, hochwasserfreien Grundstück Viktoriastraße 18 im ehemaligen Festungsgraben. Nachdem eine noch am alten Standort stehende Scheune des Gutes 1894 abbrannte, fiel der alte Siedlungsplatz endgültig wüst. Anmerkungen 1 Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 4. Leipzig 1863. 2 Einer der wenigen Ausnahmen, in denen sich für ein Gut umfangreiche Archivbestände über Jahrhunderte überliefert haben, ermöglichte die aufgrund ihrer Dichte und Vielfalt der berücksichtigen Aspekte höchst anregende Studie über das Gut Neuhof bei Petershagen nördlich von Minden: Bernd-Wilhelm Linnemeier, Ein Gut und sein Alltag. Neuhof an der Weser. Münster 1992. Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden 3 Minden-Aminghausen, Duxscher Freihof (Freibrief vor Heubtmhan zum Hauß Berge unnd lieben getreuwen Erich 1563), heute Bauernhof. Porta Westfalica-Lohfeld, Hof «rie- Duxen umb geleisteder getreuwer dienste willen Ihme die te (Freibrief von 1570) unklare Lage. Bückeburg-Cammer, Cammerhof (Freibrief vor 1576), später Schaumburg-Lippi- Jerlichen freien ausfur unnd Pflicht an seinem Freien Hove zu Bauernhof. Hille-Eickhorst, Freihof (Freibrief von 1655/1686), Aminckhausen gnedlich erlassen und nachgeben haben, also das solches mitt unserem gutten wissen unnd willen, wan sein mahlkorn in der rechnung nitt befunden geschehen und ausgelassen sey Ahne geferde, zu Urkunde haber wir diese unsere bewilligunge mitt eigener Handt unther- später Bauernhof. Gut Kuhlenkamp (ab 1827 auf freiem, schrieben, unnd Mitt unserem fürstlichen Secrett bevestigen angekauftem Land angelegt), später abgebrochen. Gut Tiet- lassen, Geben zum Peterßhagen den sechsten July, AO p63 zels Denkmal (1778 auf freiem, angekauftem Land ange- (Abschrift der Urkunde in LAV NRW W, RKG K Nr. 1027, Bl. legt), später abgebrochen. Gut Rodenbeck (um 1820 auf freiem, angekauftem Land angelegt), später abgebrochen. Gut Masch (1846 auf freiem, angekauftem Land angelegt), 26). später abgebrochen. setzte Thomas Duvelshöft syn hues stede vnd alle des thobe- 4 Im Pfarrarchiv Frille (Petershagen, Kr. Minden-Lübbecke). horinge belegen jn der Beckerstratenn twusschen Erick Dux 5 Vor allem aus dem Bestand „Fürstlich Schaumburg- vnd Wedekynck Smedes husen dem Johann Sobbe als Pfand Lippisches Hofkammerarchiv" im Landesarchiv Bückeburg (KAM, Mi, A I, Nr. 636). (fortan zitiert als LAV Bü) sowie Bestand „Kriegs- und 12 Erich und dessen Bruder Heinrich Dux, genannt Minder, sche Meierei. Hille-Rothenuffeln, Wentrupsches Hofgut (Freibrief von 1579/81), heute Bauernhof. Minden-Aminghausen, Barkhausenscher Hof (Freibrief von 1583?), heute 10 NLA Bü, L 0 c Bd. 3 Nr. 370. 11 Es lag neben dem Haus von Thomas Düwelshoft. 1558 Domänenkammer Minden" und den Akten des Reichskam- konnten 1556 gegenüber dem Kölner Ritter und kaiserli- mergerichtes im Staatsarchiv Münster, heute Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen (fortan zitiert als LAV NRW W). Weitere Akten im Stadtarchiv Minden im Kommunalarchiv Minden chem Rat Dr. Matthias Held glaubhaft machen, dass sie von Franz I., Bischof zu Minden (1508-1529), Herzog zu Braun- (fortan zitiert als KAM, Mi). schweig und Lüneburg gezeugt sind und von einer ledigen Person außerhalb der Ehe (vermutlich N. von Halle, eine 6 Dafür unterwarf man sich in einigen Fällen sogar der über- Schwester des Dompropstes Thomas von Halle), abstammen. lieferten Rechtsform der Burgmannsgerechtigkeit, die im Mittelalter zur Verteidigung einer Stadt eine ganz andere Bedeutung gehabt hatte, als in der 2. Hälfte des 17. Jahr- Held, der das Recht hatte, unehelich Geborene zu legitimie- hundert auf dem platten Land. Es gab auch Nichtadelige, die Lüneburg ergaben sich daraus nicht, weil Bischof Franz darauf bereits verzichtet hatte. Die Brüder Dux ließen sich auch Lehngüter, und Adelige, die Freihöfe erwarben, ferner gab es landtagsfähige Rittergüter, die zu Freihöfen absanken, und Freihöfe, die zu landtagsfähigen Rittergütern erhoben wurden. 7 Bereits 1649 musste die Witwe Anna Dux den neuen ren und ehelich Geborenen rechtlich gleichzustellen, legitimierte die Beiden. Ansprüche an das Haus Braunschweig- ein eigenes Wappen anfertigen: Zwei aufeinander zuschrei- tende Löwen mit ausgestreckten Pranken, aufgetanen Mäulern und blauen Zungen. Behörden die Steuerfreiheit ihres Hofes belegen (siehe hier- 13 Das 1551 datierte Epitaph vom Dompropst Thomas von Halle ist im Mindener Dom erhalten. Sein Sohn Diedrich von zu im Folgenden). Halle (er war im Januar 1537 sieben Jahre alt), einziges Kind 8 LAV NRW W, RKG 0 307. In einem Schreiben vom 29.12.1681 an die „Mindener Accis=Directonio" (Steuerbehörde) erklärt der Kurfürst Friedrich Wilhelm, dass sich im Fürstenthumb Minden ... unterschiedliche gefunden, die sich für Steuer frey gehalten und dahero von Ihren Gütern, gleich andern dero Unterthanen weder zu dem ordinär noch extraordinär Contributionen etwas beygetragen, worüber die andern sich beklaget. Er fordert deshalb eine genauere Untersuchung und examination aller solcher Exemten und aller anderen die bisher für Steuer frey gehalten. Diejenigen, die Brieffe und Siegel! ihrer Freiheiten in Abschriften vorlegen könnten, sollen mit allem Fleiß examiniret werden. Alle anderen sollen nach Ermessen der Steuerbehörde veranlagt werden. Die Anzahl der hierbei insgesamt überprüften steu- erfreien Höfe wird in der Akte nicht vermerkt. Aus der Aufzählung ergibt sich aber, dass es mindestens 16 Höfe gewesen sein müssen. 9 Von Gottes gnaden, Wir Georg Confirmirter der Ertz unn Stiffe Bremen unnd Minden, Administrator zu Verden, Hertzog zu Braunschweig unnd Leunneburgk ect Bekennen hiemitt vor unß unnd Jedermenniglich, das wir unserem aus der Ehe mit Anna Borries, starb 1559 in der Schlacht bei Heide und wurde im Chor der Kirche von Meldorf bestattet (J. Hanssen und H. Wolf, Chronik des Landes Dithmarschen, Hamburg 1833, S. 340). 14 In der Lübbecker Andreaskirche ist das Epitaph der Anna Borries, Witwe des Thomas von Halle (1514 - 9.2.1593 Lübbecke) erhalten. 15 NLA Hannover, Cal. Br. 15 Nr. 1028. Die umfassende Akte wurde aus konservatorischen Gründen bis auf weiteres gesperrt, so dass eine ausführliche Auswertung nicht möglich ist. 16 Dazu siehe: Helga-Maria Kühn, Eine „unverstorbene Witwe". Sidonia Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg gebo- rene Herzogin von Sachsen 1518-1575. Hahnsche Buchhandlung. Hannover 2009 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Band 247). 17 Seine Witwe Katharina von Dassel zog auf ihr Altenteil. 1592 stand ihr ein halber Hof auf Pattensen wegen ihrer Ehe mit Curdt Warncke zu (NLA Hannover, Cal Br. 8 Nr. 1592). Unklar ist, ob der gleiche Hof gemeint ist bei Max Burchard, 377 378 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Die Bevölkerung des Fürstentums Calenberg. Göttingen ge- zelfelde, Pfandhalter zu Wölpe und Uchte; verh. mit Agnesa gen Ende des 16. Jahrhunderts. Die Calenbergische Muste- von Ripperda (1577-08.10.1647 Steyerberg). Sein Grabstein rungsrolle von 1585. Leipzig 1935. S. 11: Claus Weiger, ist an und sein Epitaph in der Kirche Steyerberg erhalten (Gebhard von Lenthe und Hans Mahrenholtz, Stammtafeln Geboren zu Hohnstedt, hat einen an das Kloster Wiebrechts- der Familie von Münchhausen. Rinteln 1976, S. 133). Statius hausen gehörigen Weierhof von 5 Hufen, an dem Erich Dux Witwe die Leibzucht zusteht. war möglicherweise ein Bruder (?) des Hans von Münchhau- 18 Ulf-Dietrich Korn, Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt sen, dem Inhaber des Freihofes in Cammer. Minden. Die Stifts- und Pfarrkirchen (= Bau- und Kunstdenk- mäler von Westfalen, Band 50, Teil III). Essen 2003, S. 415- 34 NLA Bü, F 3 Nr. 833 (alte Signatur L 1 III D Nr. 51a F 1): Kaufkontrakt zwischen den von Münchhausen und von Vels- 416. trum über den Kammerhof... 1629. 19 Hans Seehase, Ehesachen vor dem Reichskammergericht. 35 NLA Bü F 2 Nr. 2920. Die Ehe im Spannungsfeld zwischen Recht und Theologie 36 NLA Bü, K 1 M 90, S. 33, Der erhaltene Pachtbrief wurde sowie zwischen Reich, Territorien und Kirche am Beginn der von Graf Philip, Caroli Wippermann und seinem Bürgen Neuzeit. (Diss.). Münster 1999. S. 60-63. Elisabeth Dux erklärte 1600 in einem ausführlichen Bericht, dass sie von Hermann Hecker gesiegelt. 37 NLA Bü, K 1 M 90, S. 41 Carl Wippermann ist der ihren Eltern gezwungen worden sei, den Mindener Schwiegersohn des abgetretenen Verwalter Lambrecht. Stadtsyndicus Johannes Clare zu heiraten. Dieser habe ihrem 38 NLA Bü, K 1 M 90 S. 168ff. Vater als Gegenleistung lukrative Geldgeschäfte verspro- 39 NLA Bü, K 1 M 92. chen. 40 NLA Bü, K 1 M 92 Vol. III. 20 KAM, Mi, B 56 alt. 21 NLA Wolfenbüttel, 3 Alt Nr. 300. 41 NLA Bü, K 1 M 93. 22 Johan Schering, der zum Hasenkamp wohne und sich des 42 Als zwei wesentliche äußere Unterscheidungsmerkmale zum bäuerlichen Wohnbau dieser Zeit sind die weithin sicht- Thomas Duxens Hoff oder Guth, zum Bogen genant, alhir in bare Pfannendeckung auf den Dachflächen und das Vorhandensein von zwei Aborten am Wohnteil zu nennen. der Vogtey übern Stiege, Stifft Minden belegen eingehabt 43 NLA Bü, K 1 M 95 S. 40. Ackerlandes ernähre, bestätigte ,daß seel. Hauptman genoßen und besessen habe. Ein weiteres Zeugnis stellte der über 60 Jahre alte, auf der Mindener Fischerstadt lebende 44 NLA Bü, K 1 M 97. 45 Da die Kenntnis über den Standort des herrschaftlichen Hauses im Laufe der Zeit weitgehend verlorengegangen war, Johan Rose aus. Er habe für 35 Jahren (also um 1614) bey sei. Haubtmann Thomaß Duxen für einem Knecht vier Jahr wurde der hintere Teil der alten Freihof-Stätte 2005 ohne lang gedienet, In welcher Zeit keine dienste, contributation archäologische Begleitung neu bebaut. oder andere beschwer vom hoffe gangen (LAV NRW W, RKG K Nr. 1027). 46 Es ist unklar, ob in dem heute rundum versteinerten Haus möglicherweise noch wiederverwendete Bauhölzer aus den 23 Diesen habe früher (1563) Erich Dux besessen und gehö- 1776 abgebrochenen Bauten des Cammerhofes vorhanden re jetzt dem Kläger (LAV NRW W, RKG K Nr. 1027). sind. 24 Pfarrarchiv Frille. 47 Die Hofstätte erhielt erst zwischen 1906 und 1911 eine 25 Dies wird besonders durch die zahlreichen Kirchenbuch- Hausnummer. eintragungen in Frille deutlich. 48 LAV NRW W, KDK Minden 626. 26 Möglicherweise wohnte sie weiterhin auf der zum Hof gehörenden und erst 1845 abgebrochenen Leibzucht. Am Juli 4). 06.05.1836 heiratet ihre Tochter, die 35jährige Sophie Marie 49 LAV NRW W, Fürstentum Minden Urkunde Nr. 478 (1570 50 Auf der Rückseite ist zusätzlich vermerkt: nA No. 1 Fun- Charlotte Schlichthaber vom Hof Aminghausen Nr. 7 den datio des Höffes Tilose, undt Bischoffs Hermanni gegebene 24jährigen Carl Heinrich Rabe, Einlieger in Leteln. gnädig Freiheit. 51 LAV NRW W, Fürstentum Minden Urkunden Nr. 505, 525, 27 Oberlandesgerichtsrat Jac. von Rappard, geb. 1770 in Hamm, wohnte 1815 in seiner Mindener Stadtwohnung im Haus Brüderstraße 20 (Haus 564 c). Siehe STA Dt, Grundakte Kreis Minden Bd. 1 Blatt 35. 28 KAM, MIB 1816, S. 611. 29 LAV NRW OWL, Grundakte Kreis Minden Bd. 1 Blatt 35. 30 PfA Frille. 31 NLA Bückeburg, L 1 Nr. 9497. 32 Der Vater Graf Otto IV. zu Holstein-Schaumburg regierte von 1544 bis 1576, der Bruder Graf Adolf XI. zu HolsteinSchaumburg von 1576-1601. 33 Statius von Münchhausen (Februar 1582 - Steyerberg 10.6.1646) war ein Sohn von Hans von Münchhausen (1550-602); 1622 Gräflich Schaumburgischer Geheimrat und Landdrost zu Bückeburg, Herr auf Steyerberg und Ren- 527. 52 LAV NRW W, KDK Minden 595, BI.16R Kriete besaß 73 Morgen Land (davon 35 Morgen als schlecht bezeichnet), 4 Pferde, 2 Kühe und 1 Rind, und zahlte ZI gr. Giebelschoß. Im Katasterprotokoll der Vogtei Landwehr von 1680 (LAV NRW W, KDK Minden 558, S. 69 ff.) gab Henrich Crite seinen Grundbesitz mit 79/2 Morgen an, davon 31 Morgen freies Land und 43 Morgen zinspflichtiges Land auf der anderen Weserseite. Kriete war leibfrey und dienet nicht. 27/2 Morgen waren an sieben verschiedene Gläubiger mit insgesamt 810 Rthl. belieben. 3 Morgen von Otto Lübker Sterbfal 60 ThL, 2 Morgen Johan Stemeyer 70 Thl., 4 Morgen Obristin Kreksch 100 Thl., 5 Morgen Johan Homöller 200 Thl., 8 Morgen Probst Pfeil 200 Thl., 3/2 Morgen Levin Freihöfe des 16. bis 19. Jahrhunderts im Fürstentum Minden Struckmeyer 100 Thl., 2 Morgen Jobst Powe 80 Thl. 53 Siehe hierzu: Peter Barthold, Der Wentrupsche Freihof in Hille-Rothenuffeln. Zum Aufstieg und Niedergang einer Mindener Beamtenfamilie, in: Der Adel in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (= Materialien zur Kunst- 70 LAV NRW W, KDK 304. Hintergrund der Taxation war, dass Oexemann sein Eickhorster Gut als Kaution für die Anpachtung der Hauß Himmelreichischen Pacht einsetzen wollte. Der den Antrag prüfende Kriegsrat Rieschmüller erklärte hierbei, dass auf dem Gut in Eickhorst keine und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland, Band Schulden haften würden. Der Wert des Gutes wurde mit 25). Marburg 1996, S. 37-58. 54 LAV NRW W, KDK Minden 595, S. 13r, 14. 11260 Rthl taxiert. 71 LAV NRW W, KDK Mi 490. 55 Heutige Adresse ist Minden-Aminghausen, Rußkamp 2 72 LAV NRW W, KDK Minden 2584. (ehemals Aminghausen Nr. 8, kurzzeitig um 1832 auch 73 LAV NRW W, KDK Minden 292. Aminghausen Nr. 7). 74 Kommunalarchiv Minden, MIB 1816. ...Zu diesem Hofe 56 Johann Sobbe war seit 1549 mit Anna Kohlwose (um 1528-1608?) verheiratet. In der Mindener Martinikirche ist gehören 8O/2 Morgen der schönsten Saatländereien, 5 ein 1610 datiertes Epitaph der Familie Sobbe erhalten. Dazu Johann Karl von Schroeder, Eine Nachfahrentafel Sobbe mit Fischteiche, 2 Torfwiesen, jährlich 12 Fuder Brannt-Holz aus der Lübbecker Mark. Porträtdarstellungen aus dem Jahre 1610, in: Westfalen 47. 75 Zur Geschichte siehe die ausführliche Darstellung in Fred Münster 1969, S. 131-133, hier S. 131, Abb. S. 132. Zuletzt: DI 46, Stadt Minden, Nr. 153 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net. Kaspar, Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Minden, Band V, Teil 1: Minden außerhalb der Stadtmauern. Essen 1998, S. 877-879. Abbildungen bei Fred Kaspar, Bau- und Kunst- 57 LAV NRW W, KDK Minden 591 und 592. Die bewirtschaf- denkmäler der Stadt Minden, Band I, Teil 1: Einführung und tete Hoffläche beträgt nach dem Landprotokoll von 1678 140 Morgen. Damit ist es die zweitgrößte Hofstätte in der Darstellung der prägenden Strukturen. Essen 2003, S. 396397. Bauerschaft Aminghausen. 76 Dieser wohnte in Minden im Haus Königstraße 41 (zu sei- 58 Am 03.08.1681 wird ihre Tochter Catharina Margreta ner Biografie: Fred Kaspar/Barthold 2000, wie Anm. 63, Morgen Gartenland, 5 Heu- und 2 Weide-Wiesen, 4 getauft. PfA Frille. S. 1030). 59 Zuletzt Heinrich Wesemann, Die Hiller Rittersitze in ihren 77 1780 wird berichtet: hat der Herr Regierungs-Rath zur Hellen und der Worthalter Tietzel außer dem Neyen Thor Beziehungen zur Hiller Kirche, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtschichtsvereins, Jahrgang 27. Minden 1955, 1 12115, hier S. 114/115. jenseits den Gärten an der Heyde ein neues Gebäude erbau- 60 LAV NRW W, RKG O Nr. 307. und 12 Fuß hoch, aus Fachwerk und 25 Gebinde lang. 61 Dieter Besserer, Die Fiegenburg im Eggetal. Beiträge zur Geschichte eines Rittersitzes derer von Schloen gen. Tribbe in Börninghausen, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins, Jahrgang 64. Minden 1992, S. 7-47, hier S. 18. 62 LAV NRW W, RKG O Nr. 307. 63 Fred Kaspar/Peter Barthold, Bau- und Kunstdenkmäler der Stadt Minden, Teil IV, 2: Die Profanbauten (= Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Band 50). Essen 2000, S. 1884 ff. 64 KAM, Mi B57alt. en lassen. Es ist 132 Fuß lang, 40 Fuß breit (38 x 11,50 m) Eingang am unteren Ende, zwei Stuben, drei Kammern und Küche, Keller und ein Saal in der Dachetage. Ferner enthält das Haus Stallungen für Pferde und Kammern für die Vorzucht. Der Wert wird mit 2 295 Thl. angegeben. 78 Von dem Verkaufserlös erwarb die Familie das „Rittergut Bockerode" bei Springe am Deister. Durch stetigen Zukauf erreichte dieses Gut mit 130 ha (520 Morgen) bis 1995 in etwa die Größe des ehemaligen Gutes Denkmal der Familie Tietzel. 65 Aus Eickhorsts Geschichte. Was erzählt die Chronic und 79 Zur Geschichte s. Kaspar 1998 (wie Anm. 75), S. 877. 80 Er lebte in Minden in dem Haus Bäckerstraße 65. was erzählt das Volk von Oxemann?, in: Die Heimat. Heimat- 81 Zur Geschichte s. Kaspar 1998 (wie Anm. 75), S. 239- kundliche Beigabe zum Mindener Tageblatt vom 04.11.1936. 66 Heinz H. Take, Otto Tachenius (1610-1680). Ein Wegbe- reiter der Chemie zwischen Herford und Venedig. Herforder Forschungen. 16. Herford 2002. 240. 82 Zur Geschichte s. Kaspar/Barthold 2000 (wie Anm. 63), S. 1415. 67 In diesem Zusammenhang ist auch eine Kanzleiabschrift des 18. Jhs. zu sehen. Demnach haben Hinrich Öchßeman zu Bildnachweise Eikhorst und dessen Frau Magdalena Agnesen Tach nach 2, 3, 8, 9, 15, 16 (Bildarchiv), 4, 7, 10, 11, 12 (Barthold); 1677 zuerst versucht, das Wentrupsche Hofgut des seeligen Georg Wentorp, weyland Erbgesessen zu Rohdenufelln für 4500 Rtl. zu kaufen (Barthold 1997, wie Anm. 53, S. 50). Möglicherweise wurde über diesen Weg das Wentrupsche Herrenhaus auch die Vorlage für den 1686 errichteten eigenen Neubau. 68 LAV NRW W, KDK 304. 69 LAV NRW W, KDK 304. LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur: 1 (Bange); Niedersächsisches Landesarchiv Bückeburg 5a, 5b, 6; Kreiskatasteramt Rinteln 5c, 5d; Landesarchiv NRW Westfalen 13; Kommunalarchiv Minden 20; Mindener Museum 2, 3, 8, 9, 17,18. 379 380 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus, (Kreis Paderborn) Fred Kaspar „Die Nachtigall" (heute Wald-Hotel Nachtigall), Hatzfelder Straße 45, Paderborn-Schloss Neuhaus), ist seit Langem als Landgasthaus ein beliebtes Ziel für Ausflügler, doch blieb die Geschichte des einsam gelegenen Anwesens bislang unbekannt. Das alte Gebäude galt schon spätestens 1957 als Baudenkmal1 und wurde 1990 förmlich in die Denkmalliste der Stadt Paderborn eingetragen, wobei man allerdings nur wenige allgemeine Aussagen zur Geschichte und Bedeutung machen konnte. Das Gebäude wurde aber bislang nicht zum Gegenstand baugeschichtlicher Untersuchungen. Zur Vorbereitung einer denkmalpflegerischen Beratung bei der geplanten Sanierung des Gebäudes wurden daher 2002 durch den Autor als Bauhistoriker bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, baugeschichtliche Untersuchungen in dem leergeräumten Gebäude durchgeführt.2 Die Ergebnisse der Bauuntersuchung, ergänzt durch eine erst später erfolgte Auswertung weiterer archivalischer Quellen, wird hier vorgestellt. Lage Das schon um 1700 unter der Bezeichnung „Nachtigall" geführte Gut3 liegt im südlichen Bereich des sogenannten Mastbruches, einer feuchten und bis in das 19. Jahrhundert fast menschenleeren Wiesenlandschaft östlich von Neuhaus. Die seit dem 17. Jahrhundert nachweisbare Bezeichnung Mastbruke weist auf die Beschaffenheit der Landschaft und ihre besondere Funktion hin: Mit Bruch bezeichnete man eine feuchte, sumpfige Wiesenlandschaft und Mast ist gleichbedeutend mit Mästung. Der Mastbruch war also eine Weidelandschaft mit Heideflächen, die von den Bürgern von Neuhaus als Gemeindehude, als Viehweide genutzt wurde. Im 17. Jahrhundert wurde am Südrand des Mast- bruchs ein erster größerer Hof errichtet. Als zunächst einzige Ansiedlungen entstanden danach im späten 17. Jahrhundert das Gut Nachtigall sowie 1689 in der Nähe ein weiterer umgräfteter - heute nicht mehr bestehender - Hof (Hatzfelder Straße 64). Sie lagen in einer als Sandberg bezeichneten Flur. In den feuchten 1 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Das Gutshaus von 1715 nach Umbau zum Gasthaus von Südosten. Ansicht der ehemaligen Gartenfront (2011). 381 Hausstätten an der Hatzfelder Straße an, wobei diese alle zur politischen Gemeinde Neuhaus und der dorti- cherweise auch der Bauherr gewesen ist. Aus seiner Ehe mit Elisabeth Schultze ging die Tochter Cordula Stumpff als Erbin hervor. Als diese am 23. Juli 1703 Franz Dietrich Junffermann heiratete, wurde das Gut die Nachtigall genannt dem Bräutigam von der Witwe Bezeichnung „Dorfstraße" zusammengefasst wur- Franz Arnold von Wolff-Metternich zur Gracht am 15. Niederungen der Nachbarschaft des Gutes wurden zudem Fischteiche angelegt.4 Erst seit dem späten 18. Jahrhundert legte man nach und nach weitere gen Mühlenbauernschaft gezählt unter der den.5 Nachrichten zur Geschichte Die Entstehungsgeschichte des Gutes Nachtigall konnte bislang nicht vollständig aufgehellt werden.6 Es scheint um 1680 angelegt worden zu sein, wobei die seit etwa 1700 nachweisbare Namensgebung darauf hindeuten dürfte, dass es sich um den Landsitz einer in der Stadt lebenden Familie „inmitten frischer Natur" handelt. Zu dem Gut gehörte seit dem 18. Jahrhundert7 auch ein Heuerlingshaus.8 1803 wurde das Gut Nachtigall als schätz- und dienstfrei bezeichnet.9 Allerdings ist es gelungen, die weitere Geschichte des Gutes seit dem späten 17. Jahrhundert in wesentlichen Zügen zu klären. Wesentlich ist, dass sich das Anwesen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts immer in der Hand von Personen befand, die auf dem fürstbischöflichen Residenzschloss in Neuhaus beschäftigt waren:10 Schon 1688 gehörte das Gut dem hochfürstlichen Hoftrompeter Hans Jacob Stumpff," der mögli- Stumpff übertragen. Wenige Monate später wurde September 1703 zum Coadjutor des alten Fürstbi- schofs von Paderborn bestimmt. Nach dessen Tod im folgenden Jahr ernannte man ihn zum neuen Fürstbischof (1704-1718) und bestellte Junffermann zu seinem Kammerdiener. Der Bischof bestätigte am 27. Februar 1715 nicht nur die Übertragung des Gu- tes Nachtigall, sondern bewilligte 1 000 Rthl. als Baukosten. Nach seinem Wunsch sollte damit auf der Nachtigall ein gantz newes gebäw auff unsere kosten herauffgerichtet werden. Es solle sich um eine Schenkung an seinen langjährigen Kammerdiener Junffermann handeln, die auch von seinen Nachfolgern nicht bestritten werden könne. Junffermann erwarb nach und nach weitere Grundstücke zur Vergrößerung des Anwesens.12 1728 ließ der gewesene hochfürstliche Premier-Cammerdiener Franz Diedrich Junffermann aus Paderborn durch seinen Schwiegersohn Dr. Johann Bernhard Witte dem Fürstbischof (1719-1761) Clemens August von Bayern die ohnweith der hochfürstl. Residentz Neuhaus belegene Nachtigall sambt allem Zubehö- 2 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Das Gutshaus von 1715 nach Umbau zum Gasthaus von Westen. Ansicht der ehemaligen Hoffront. Das mittige Einfahrtstor ist nach den verschiedenen Umbauten des 20. Jahrhunderts nicht mehr erhalten (2013). 382 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen rangen und der Braugerechtigkeit für 5 000 Rthl. zum Verkauf anbieten. Das nicht meierstättische, sondern freie Gut umfasse sechs Morgen und habe zwei teils mit groben Steinen und teils mit Backsteinen aufgeführte Gebäude. Ferner habe es einen großen Garten Anton Grundmeier, 1965 von Witwe Bernhardine Grundmeier und ihrer Tochter Käthe Rempe, geb. Grundmeier, 1990/2000 von Katharina Rempe und Flecken Neuhaus 116 Rthl. sowie 21/2 Taler Schatzung Der Hofplatz wurde nördlich der als Damm ausgebildeten Straße durch die feuchten Wiesen angelegt. Zunächst scheint man hier im späteren 17. Jahrhun- und einen Bleichplatz. An Abgaben seien nur dem jährlich zu leisten. Zugehörig zum Gut sei ein 416 Morgen großer Kamp, eine 716 Morgen umfassende Ackerfläche sowie weiter entfernt in der Senne ein Kamp von 15 Morgen. Der Fürstbischof ließ das An- gebot untersuchen, wobei seine Verwaltung verschie- dene Nachrichten über die Entstehung zusammenstellte. Man versuchte zudem, den Wert der Grundstücke und der Bauten zu ermitteln. Daher liefen noch 1732 die Verkaufsverhandlungen. Mittlerweile war Junffermann allerdings verstorben, sodass als Verkäu- fer nun seine Witwe auftrat. Um 1730 soll das Gut durch den Kammerherren des 2003 von Käthe Rempe. Zur Anlage des Gutes dert ein kleineres Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet zu haben, das schon im 18. Jahrhundert als einfach und unbedeutend beschrieben wurde. Nachdem man daneben um 1705 das bis heute erhaltene Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet hatte, diente das alte Haus als Wirtschaftsgebäude mit Gesindewohnungen und wurde als Scheune bezeichnet. In einer Spezification der Nachtigäller Güter vom 10. November 1732 wurde das noch erhaltene Haupthaus sowie das Wirtschaftsgebäude beschrieben:18 Fürstbischofs von Hanxleden angekauft worden sein.13 Zwischen ihnen liege ein weiter und breiter, mit Rheder (bei Brakel/Kr. Höxter) stammenden Ferdinand Moritz von Mengersen (1706-1788).14 Er hatte zahl- Das Gut die Nachtigall bestehe aus: 1734 gehörte das Gut Nachtigall dem vom Haus reiche öffentliche Ämter: Seit 1731 war er Ritter des Deutschen Ordens, von 1737 bis 1746 Komtur der Kommende Brakei, wurde 1740 auch Komtur zu Osnabrück und schließlich 1741 zum Landkomtur der Ballei Westfalen mit Sitz in Mühlheim ernannt. Darü- ber hinaus war er geheimer Rat, General-Major des Paderbornischen Infanterieregiments und kurkölnischer Generallieutenant.15 Er dürfte das Gut nicht selbst bewohnt haben. Seit seinem Ankauf haben die Eigentümer das Gutshaus nicht mehr selber genutzt,16 sodass „die Nachtigall" fortan verpachtet und von den Pächtern bewohnt wurde. 1787 wird als Pächter des Gutes Herr Becker und 1804 Heinrich Baukel als Hofmeister des Gutes genannt, der also der örtliche Verwalter gewesen zu sein scheint. Um 1830 ist ein Herr Stockebrand Pächter (zu dieser Zeit sind 153 Morgen Land zugehörig). Nach dem Tod des Generalmajors von Mengersen wurde das Gut 1796 dem protestantischen Stifts- Amtmann A. Röttken (auch Rötteken oder Röttcken) verkauft. Er war 1791 Rentmeister des Stiftes Cappel bei Lippstadt gewesen und übernahm 1801 das Gut Johanettental bei Detmold im Fürstentum Lippe für 21 Jahre zur Pacht. Ebenfalls noch 1796 erwarb er zu Erbpacht den neben den Ländereien des Gutes Nach- tigall liegenden Dümmerteich, um eine Teichwirt- Eichenbäumen besetzter Wirtschafts- und Vorhof. Einem Gutshaus: In Mitte aus 8 Zimmern, 3 Cam- mern, guthen Balken, rauchbühne, auch Küche, nebst einem beneben dem Feuerherdt in einem gewölbe belegenen Backofen, aufgeführter Wohnung, brauhause, samt der eingemauerten kupfernen brauwpfan, die 300 Rthl gekostet, feststehender Büdden, einer Wasserpumpen, nebst anderer brauwgereldtschaften, undt gleich darvor liegender brauhaus-, apfel- odero speisen auch molcken Keller [...] Zur rechten in der zum Dreschen und schlachten be- quemen mit einem Camine aufgeführten Scheuren samt zwey großen mit quadraten hoxersteinen belleygten Zimmers wiehe Dreschehaus, balkens sambt zwey kleine Stuben oder cammeren [...] Dieses Scheuren genannte Wirtschaftsgebäude diente als Wirtschaftsgebäude und zu Verwaltungszwecken des Gutes und war nach der weiteren Beschreibung be- quem zum waschen undt schlachten eingerichtet, hatte einen Kamin und zwei große, mit quadratischen Höxter-Steinen ausgelegte Zimmer mit angefügten Scheißhäusern, ein Vieh-Dreschhaus, und im Obergeschoss zwei kleine Stuben und Kammern, von denen eine dem Schreiber diente. Ferner gab es einen Treib- Keller sowie Kuh- und Pferdeställe und in einem Anbau auch einen Schweinestall. Das Gutshaus (von 1715 a) Das mit einer Grundfläche von 15,50x23 m recht schaft einzurichten.’7 Noch 1816 wird der Amtmann Rötteken zu Nachtigall genannt. Um 1850 wird als Besitzer und Bewohner des Gutes Nachtigall ein Strohtmann genannt, dem 1891 die Familie Grundmeier folgte. Spätestens seit dieser Zeit Nachrichten19 wohl um 1705 durch Franz Dietrich Junffermann, bischöflicher Kammerdiener in Schloss Neuhaus, errichtet worden, wozu er einen Zuschuss 1925/29 als Hatzenfelder Schützenkrug (Besitzer H. Grundmeier) bezeichnet. 1935 ist es im Besitz von binierten Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichtet, wird das Haus als Gastwirtschaft genutzt und großformatige Gutshaus ist nach archivalischen seines Dienstherren, des Fürstbischofs erhalten hatte. Das Haus wurde in traditionellen Formen eines kom- Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn) allerdings nicht mehr (wie auch das wohl etwa 25 Jahre zuvor auf dem Gut stehende alte Haus) als ein Längsdielenhaus, sondern als Querdielenhaus ausgeführt. Das freistehende und traufseitig erschlossene Haus wurde weitgehend symmetrisch mit einer mittleren hohen Diele und seitlichen zweigeschossigen, jeweils fünf Gefache breiten Bereichen (Fenster jeweils im 2. und 4. Gefach) gestaltet und mit einem hohen Krüp- pelwalmdach abgedeckt. Die möglichst axiale und symmetrische Gliederung der Ansichten und das Krüppelwalmdach entsprechen dem zur Bauzeit herrschenden Geschmack für einen zeitgemäßen Neubau. Nur die Erdgeschosse der beiden seitlichen, zweige- schossig ausgebauten Abschnitte, die als Wirtschaftsräume eingerichtet waren, erhielten massive Umfas- sungswände, während der gesamte übrige Bau als Fachwerkbau aus stark dimensioniertem Eichenholz errichtet ist. Die hohe zentrale Diele des Hauses wurde von der westlichen Längswand erschlossen. Noch heute liegt vor dieser Front der baumbestandene Wirtschaftshof (der dort schon 1732 beschrieben wurde), während sich vor der östlichen Längswand ein Gartengelände anschließt. Heute dient allerdings die östliche Längsfront als Vorderansicht mit Zugang. Da die Fachwerkfront des Dielenbereiches auf der Westseite inzwi- schen weitgehend erneuert wurde, ist die zur ur- 3 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Das Gutshaus von 1715 nach Umbau zum Gasthaus von Südosten. Ansicht der südlichen Giebelfront (2011). 383 384 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen sprünglichen Gestaltung des Baus gehörende axial ausgebildete und dreigeteilte Gestaltung der Längsfronten heute nicht mehr erkennbar. In der Mitte der westlichen Front bestand eine Toreinfahrt, die in das zwischen den neben den seitlichen massiven Bauteilen wandhohe Fachwerkgerüst von sechs Gefachen Breite eingestellt war.20 Das Gerüst des Baus ist weitgehend gebindeweise errichtet worden, wobei sich Ständeranordnung, Balkenlage und Sparrenstellung aufeinander bezogen. Balken- und Stichbalkenlagen wurden auf starke Rühme gelegt. Die erhaltenen, nur ein Stockwerk hohen seitlichen Bereiche des Fachwerks sind ebenso wie die darüberstehenden Giebeldreiecke zweifach verriegelt und mit Fußstreben unter den oberen Riegeln ausgesteift. Die recht kleinen Gefache wurden mit Backsteinen ausgefacht. Für die Fenster besteht ein Riegelversprung der oberen Riegelkette. Der Bau ist mit einer aufgelegten Balkenlage abgedeckt, in die zu den Giebeln lange, die leicht vorkragenden Giebeldreiecke tragende Stichbalken einge- zapft sind. Die Vorkragung wurde zwischen den Stichbalkenköpfen mit profilierten Füllhölzern geschlossen. Im gesamten Gerüst gibt es allerdings keine Kopfbänder im Querverband. Im Wohnteil wurden die Balken schon bauzeitlich verputzt,21 wobei als Träger des Kalkputzes Stroh verwendet wurde, das mit auf den Balken festgenagelten Weidenruten befestigt ist. Über dem Bau erhebt sich ein aufwändig und aus ungewöhnlich stark dimensionierten Hölzern verzimmertes Dachwerk (die Sparren bestehen aus Nadelholz, Stühle und Kehlbalken aus Eiche). Es wurde als Sparrendach mit tiefen Krüppelwalmen und elf Paaren von Vollsparren verzimmert. Die Sparren sind in die Dachbalken gezapft, haben drei gezapfte Kehlbal- kenlagen und werden unter den unteren mit etwa 2,8 m im Lichten sehr hoch sitzenden Kehlbalken durch eine Stuhlkonstruktion über dem mittleren Hausteil unterstützt. Mit ihrer Hilfe wurde das Dachwerk für die Lagerung von großen Lasten ausgebildet, wobei wohl zumindest in den unteren beiden Etagen eine Kornlagerung vorgesehen war (hierzu ist der unterste Dachboden noch heute in weiten Flächen mit sehr breiten und durch eingenutete Federn dicht miteinander verbundenen Eichenbohlen ausgelegt). Unter jeden zweiten Vollsparren wurde zudem ein liegender Stuhl gestellt, wobei im mittleren Hausteil (der Bereich über der hohen Diele) vier große Stühle ent- standen, die die Lasten von den in diesem Bereich nicht unterstützten Dachbalken ableiteten. Seine Stuhlsäulen sind durch Spannbalken verbunden, wobei lange Kopfbänder der Aussteifung im Querverband dienen. Diese vier Stühle sind jeweils durch Strebenkreuze und zwischengespannte Längshölzer miteinander verbunden. Daran anschließend folgte bis zu den Sparrenpaaren unter den Walmspitzen je- weils noch ein einfacher gestalteter Stuhl, wobei diese 4 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Rekonstruktionsversuch des bauzeitlichen Grundrisses vom Erdgeschoss mit den Wirtschaftsräumen in den seitlichen Bereichen (2011). Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn) zum großen Teil nachträglich abgebrochen worden sind. Zur Beförderung der Lagerlasten bestand bauzeitlich ein innerer Aufzug von der mittleren Diele, für den ein Wechsel von zwei Gefachen Breite in der Mitte des Hausgerüstes vorgesehen war. Das nördliche Seitenschiff des Hauses dürfte Wohn- zwecken gedient haben. So ist hier das kaum in den Erdboden eingetiefte Erdgeschoss mit einem langen Tonnengewölbe überdeckt, während darüber ehemals eine Saalkammer bestanden haben dürfte. Zudem war in der anschließenden mittleren hohen Diele auf der nördlichen Seite westlich des Firstes ehemals ein Herdfeuer angeordnet, dessen nicht mehr erhaltener Schornsteinzug sich noch im Dachwerk abzeichnet.22 Das Tonnengewölbe hatte einen Zugang von der Diele im östlichen Bereich und wird durch mehrere Fenster in den Umfassungswänden belichtet. Es ist zu vermuten, dass es als Lagerraum und (wie in der 1732 erstellten Beschreibung genannt) als Brauhaus Verwendung finden sollte. Auch das Erdgeschoss des südlichen Seitenschifffes dürfte Wirtschaftszwecken gedient haben, wobei hier von Stallräumen auszugehen ist. Hier zeigt das Erdgeschoss nur eine Balkendecke, während man darüber drei hintereinander angeordnete Wohnräume einrichtete. In der Trennwand zwischen dem ersten und zweiten Raum von Osten besteht ein weiterer noch bis zum Dach erhaltener Schornstein, der zum Abzug von Wandkaminen in den Wohnräumen dien- te. In der westlichen Trennwand bestand ehemals ebenfalls ein weiter, besteigbarer Schornstein (für ihn gibt es einen Wechsel in der Dachbalkenlage). Die zu Wohnzwecken eingerichteten Obergeschosse der beiden Seitenschiffe wurden durch eine breite Galerie erschlossen, die sich vor der Ostwand der hohen mittleren Diele befand. Sie ist noch weitgehend erhalten, wird von an der Unterseite profilierten Balken getragen, von Geländern mit Sagebalustern eingefasst und über eine gewendelte Treppenanlage er- schlossen. Am Obergeschoss des Nordgiebels haben sich in einem von einem späteren Anbau verdeckten Bereich umfangreiche Farbbefunde zur Gestaltung der Fachwerkaußenwände erhalten. Spätere Umbauten Größere Umbauten scheint das wohl lange nicht wesentlich veränderte Gebäude erst im Laufe des 20. Jahrhunderts erfahren zu haben: 1925 entstand vor der östlichen Längsfront ein Balkonvorbau. Zu dieser Zeit wurden die Bereiche des südlichen Erdgeschosses in der Mitte als Küche, vor den Längswänden als Stube genutzt. Im Jahre 1929 wurde die hohe Diele aufgegeben. Hierbei baute man im Anschluss an die Galerie auf der ganzen Fläche eine Zwischendecke aus Eisenbeton ein und erneuerte zugleich bei Aufgabe des westlichen Torbogens die westliche Traufwand in großen Teilen massiv. Vor der Front entstand zudem 5 Paderborn-Schloss Neuhaus, Gut Nachtigall. Rekonstruktionsversuch des bauzeitlichen Grundrisses vom Zwischengeschoss (2013). 385 386 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen ein zweigeschossiger Vorbau, der Toiletten aufnahm. Während im Erdgeschoss mehrere Gastzimmer einge- richtet wurden, entstand darüber im ehemaligen Bereich der Diele ein Saal, dem nach Abbruch von Innenwänden auch die beiden westlichen Zimmer des südlichen Obergeschosses zugeschlagen wurden.23 Dieser neue Saal erhielt zudem an der Westwand einen eigenen äußeren Zugang. 1954 entstand nördlich des Gebäudes ein neuer Saalbau. Um diesen an das Gasthaus anzuschließen, mussten das östliche Drittel des nördlichen Kellergewölbes abgebrochen und in diesem Bereich auch die östliche Front des Baus verändert werden. Der 1929 im Obergeschoss geschaffene Saal wurde durch Zwischenwände zu Gästezimmern umgestaltet. 1991 hat man die Gästezimmer im Obergeschoss modernisiert.24 2007 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft ein Hotelneubau mit 50 Zimmern errichtet, der mit einem Zwischenbau an den historischen Altbau angeschlos- sen ist. Dieser ist in diesem Zusammenhang ebenfalls erneut einer umfassenden Modernisierung unterzogen worden. Hierbei wurde das Fachwerk der westlichen Längswand insgesamt erneuert. Zur Bedeutung des Gebäudes Das Haus wurde für den Kammerdiener des Fürst- bischofs nach Dienstantritt beider errichtet. Der fernten Schloss lebte. Das Gutshaus und das Gut dienten vor diesem Hintergrund wohl vor allem der wirtschaftlichen Absicherung und als Basis für ein Leben nach dem Ende der Tätigkeit als Kammerherr (was gewöhnlich mit dem Tod des Dienstherren verbunden war). Vor diesem Hintergrund dürfte es sich um ein vor allem temporär von den Gutsherren (etwa im Sommer oder bei Abwesenheit des Fürstbischofs als Dienstherren) bewohntes Haus gehandelt haben. Das um 1705 errichtete Gutshaus war - vergleichbar einem traditionellen Bauernhaus - sowohl Wirt- schafts- als auch Wohngebäude. Allerdings wurde der Bau nicht mehr in den hierfür seit langen erprobten, traditionellen Formen eines Längsdielenhauses errich- tet, sondern als Querdielenhaus. Hierdurch konnte man dem Haus nicht nur eine modernere Gestaltung mit symmetrischer Traufansicht verleihen, sondern es wurde auch möglich, eine ausschließlich Wohnzwecken vorbehaltene Zone in dem von der hohen zen- tralen Diele über eine Galerie erschlossenen Zwischengeschoss zu schaffen. Im Erdgeschoss befanden sich seitlich der wohl in erster Linie als Verkehrs- und Küchenraum dienenden hohen und über ein Tor noch immer befahrbaren Diele Wirtschaftsräume: Auf der einen Seite Stallungen, auf der anderen Seite wohl Lagerräume. Das Dach war zur Einlagerung großer Erntemengen vorgesehen, die mittels eines Aufzuges in der Diele transportiert werden konnten. Die „Wohnung" der Hausherren hingegen erstreckte sich Bauherr war trotz seines gesellschaftlich nicht besonders privilegierten Standes ein enger Vertrauter des Landesherren. Das auf engem Vertrauen aufbauende Dienstverhältnis dürfte sich zum einen in der großzügigen Förderung der Neubaumaßnahme durch den Landesherren ausdrücken, aber auch darin, dass der Zwischengeschosse, erschlossen über eine Treppe mit verbindender Galerie in der hohen Diele. Dass dieser Kammerherr bei Anwesenheit seines Herren wohl zumindest persönlich - oder aber mit seiner Familie nicht auf dem Gut, sondern in dem etwa 2 km ent- sein, dass der Hausherr wohl zumeist nicht anwesend war, sondern im Residenzschloss Neuhaus lebte. Anmerkungen Hausinschriften an Fachwerkhäusern im Kirchspiel Neuhaus. Landeskonservator bezuschusst. 1966 und 1991 erfolgten 6 Die wenigen bislang bekannten Nachrichten zur Ge- 1 1957 wird ein Neuanstrich der Außenfronten durch den über die schmalen Bereiche der beiden seitlichen Wohnbereich nur ein begrenztes Raumprogramm aufwies, dürfte insbesondere darauf zurückzuführen Paderborn 1986, S. 10-12. Beratungen bei weiteren Neuanstrichen. schichte stellte der Ortsheimatpfleger M. Pavlicic zur Verfü- 2 Die Untersuchung mit dem Ziel, den Kernbau näher zu erfassen, wurde am 25. Juli 2002 (mit Ergänzungen am 5. Juli 2003) durchgeführt. Ergebnis war, dass trotz der verschiedenen, ab 1929 in dem Bau vorgenommenen und das Innere in seiner historischen Struktur heute kaum noch er- gung. 7 Das Haus entstand möglicherweise um 1728, da im Zuge lebbar machenden Umbauten sich große Teile der Kernsubstanz erhalten hatten. 3 Mit diesem Namen wurden häufiger Gebäude bezeichnet. Für den Dorfkrug von Schieder in der Grafschaft Lippe ist er schon vor 1658 belegt. Walter Schmidt, Schieder. Die Geschichte eines lippischen Dorfes. Schieder 1964, S. 255-262. 4 Elisabeth von Kanne, Mastbruch in der südlichen Senne. Ein Ortsteil von Schloß Neuhaus. Paderborn 1985. 5 Micael Pavlicic, Elisabeth von Kanne und Josef Leiwen, der in diesem Jahr einsetzenden Verkaufsverhandlungen ein Fachwerkhaus errichtet wurde (hierzu sind der Akte mehrere Abrechnungen mit dem Zimmermann beigelegt). 8 Das Haus (ab 1768 Neuhaus Nr. 147) trug den Namen Bockei (später Busch), wobei die Familie Bockel/Baukel lange als Verwalter des in auswärtigem Besitz befindlichen Gutes nachweisbar ist. 9 Pavlicic 1986, S. 15. 10 Das spiegelt sich auch darin wider, dass der Besitz bis nach 1800 ohne Hausnummer blieb, also als frei galt und nicht bei der 1769 im Fürstbistum Paderborn gegründeten und für die Einwohner pflichtweisen Brandversicherung auf- Ein Gutshaus von 1715 für den fürstbischöflichen Kammerherren Die Nachtigall bei Schloss Neuhaus (Kr. Paderborn) genommen war. Erst 1815 erhielt das Gut die Hausnummer Neuhaus Nr. 173. Abbildungsnachweis 11 Zur Besitzgeschichte zwischen dem späten 17. Jahrhundert und 1732 siehe LA NW, Abt. Münster, Paderborn, Hof- Westfalen: Kaspar 1-3; kammer Nr. 1817. 12 Hierzu liegen die Kaufverträge und weitere Auszüge den Akten von 1768/73 bei. Einer der Verkäufer war der Corpora! Müssing. 13 Er habe zuvor den Hof Meier zu Hövel als seine Eremitage angepachtet (s. Philipp Schniedertüns, Hövelhof. Paderborn 1952, S. 31). 14 LA NW, Abt. Münster, Paderborn, Hofkammer Nr. 1899. 15 Friedrich Keinemann: Das Hochstift Paderborn am Aus- gang des 18. Jahrhunderts. Verfassung, Verwaltung, Gerichtsbarkeit und soziale Welt. Bd. 1, 1996, S. 308. 16 Die Familie von Mengersen besaß zudem schon seit Langem ein Wohnhaus in Neuhaus an der fürstbischöflichen Residenz. Dieses wurde 1754 von C. B. Platz verwaltet (er war auch für die Verwaltung der Nachtigall zuständig und wies in diesem Jahr auf notwendige Reparaturen hin). Der Drost von Mengersen verkaufte das Mengersche Haus in Neuhaus 1764 an den Fürstbischof (s. hierzu einen größeren Aktenbestand im Archiv Haus Rheder). 17 Hierzu war die Anlage von Entwässerungsgräben notwendig, die einen Straßendamm querten. Vgl. LA NW, Abt. Münster, Paderborn, Hofkammer Nr. 3898. In der Akte eine Skizze zur Lage der Grundstücke und der neuen Gräben. Weitere Akte zur Pacht des Dümmertteiches s. LA NW, Abt. Münster, Paderborn, Hofkammer Nr. 250 und 2474. 18 LA NW, Abt. Münster, Hofkammer Paderborn Nr. 1817. 19 Für diese nun aus archivalischen Quellen erschlossene Bauzeit sprechen auch die Ausführung der konstruktiven De- tails und die Ausführung der Gestaltung. 20 Denkbar ist, dass ein ebensolches Tor auch in der in die- sem Bereich ebenfalls völlig veränderten östlichen Längswand bestand. Hier kann aber auch eine große Fensterfront angenommen werden. 21 Sie haben daher bis heute eine helle Oberfläche und sind an den Unterkanten teilweise nicht scharfkantig ausgebildet. 22 Reste der vermauerten Feuerstelle dürften in der unteren, massiven Wand vor dem Keller noch erhalten sein; der zwei Gefach breite und auf der Innenseiten einschließlich der Balken verputzte weite Bosen zeichnet sich ebenfalls noch an der Balkenlage ab 23 Zur Abfangung der Balken in diesem Bereich baute man darüber ein firstparalleles Sprengwerk ein. 24 Erst hierbei wurden die noch erhaltenen Türen der Bauzeit ausgebaut und durch schlichte Türblätter ersetzt. LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Reinzeichnung Ingrid Frohnert/LWL-Denkmalpflege nach Aufmaß Kaspar und älteren Bauplänen: 4 und 5. 387 388 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf)1 Fred Kaspar Der Beitrag geht insbesondere auf die Erschließung des der Forschung bislang völlig unbekannten Archivs der 1734 eingerichteten Münsteraner Familienstiftung „Exekutorium Scheffer-Boichorst" zurück, dessen Existenz an entlegener Stelle dem Autor im Jahre 2009 zufällig bekannt wurde. Es handelt sich um einen sehr umfangreichen, mehrere hundert Aktenbände umfassenden Quellenbestand, wobei insbesondere auf die geschlossen überlieferten Jahresrechnungen von 1740 bis 1920 einschließlich aller beiliegenden Quittungen und anderer ergänzender Belege sowie das 1767 angelegte und bis weit in das 19. Jahrhundert fortgeführte Rentenbuch (das Hauptkontobuch der Stiftung) hinzuweisen ist.2 Dieser bislang nicht bekannte und auch nicht verzeichnete Bestand wurde für die folgende Darstellung erstmals erschlossen und in Auszügen ausgewertet.3 Da eine umfassende Dokumentation zur Geschichte der Stiftung, ihrer Bedeutung in der Geschichte der Stadt Münster und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen durch den Autor in Arbeit ist, konnte der Beitrag hier auf das zum Stiftungsvermögen gehörende Gebäude der Borg beschränkt werden. Die hierzu erhaltene umfangreiche Aktenüberlieferung ermöglicht einen für das Münsterland bislang einzigartig detaillierten Einblick in die Nutzungs- und Baugeschichte eines bürgerlichen Sommerhauses auf dem Lande. Das von allen Mitgliedern der Familie bis heute stets als Borg bezeichnete Gebäude bildete über mehrere Jahrhunderte einen wichtigen Baustein in dem Vermögen der bis heute existierenden Familienstiftung. Dieses auf dem Hof Lütke Rumphorst südlich von Telgte stehende, heute allgemein als „Haus Rumphorst" bezeichnete Gebäude ist in seiner ungewöhn- lichen Gestalt der baugeschichtlichen Forschung zwar schon länger bekannt,4 blieb allerdings mangels datie- render Inschriften und anderer detaillierterer Kenntnisse bislang in seiner Baugeschichte, seiner Bedeutung und Nutzungsgeschichte ungeklärt. Zur Geschichte der Familie Scheffer-Boichorst und ihrer Stiftung Das freie und zu Lehen vergebene Bauerngut Kurze Rumphorst soll Ende des 15. Jahrhunderts durch Abtrennung von Teilflächen des unmittelbar benachbarten Hofes Rumphorst (dieser wird seitdem als Große Rumphorst bezeichnet) entstanden sein, doch sind nähere Quellen hierzu bislang nicht bekannt. Beide Höfe galten als grundherrlich frei. Im frühen 17. Jahrhundert befanden sich beide Teile in der Hand des in Groningen geborenen Kaufmanns Johann Lancelot Witton in Münster,5 wurden aber nach seinem Tod 1626 unter den Erben aufgeteilt. Hierbei fiel das Gut Kurze Rumphorst an seinen Schwiegersohn Dr. Albert Boichorst (1600-1665), dessen Nachkommen noch heute Nießbrauch an dem Besitz haben. Es ist zu vermuten, dass der Hof schon zu dieser Zeit nicht nur als Renditeobjekt diente, sondern auch als sommerlicher Aufenthaltsort der Besitzer,6 denn das Ehepaar lebte zu dieser Zeit in Münster in dem von Witton neu errichteten Haus Alter Fischmarkt 5. Da alle Söhne vom Dom-Syndikus Dr. Albert Boichorst in den geistlichen Stand traten bzw. vor ihm und seiner Frau verstarben, fiel das Erbe nach seinem Tode 1665 an die beiden Töchter Katharina Genovefa und Brigitte Elisabeth Boichorst. Die jüngere der Schwestern verkaufte aller- dings ihren Teil fünfzehn Jahre später an ihre ältere Schwester Katharina Genovefa (1635-1692), Witwe des fürstlichen Hofrates und Notars Dr. Adam von der Beek (1630-1680). Noch vor ihrem Tode teilten sich 1688 ihre beiden Töchter das Erbe Gut Kurze Rumphorst, wobei beide ihre mit je 2 000 Rthl. bewerteten Hälften an Dr. Henning Scheffer (16571734) in Münster verkauften, seit 1684 mit Maria Anna von der Beek gnt. Boichorst verheiratet. Da keine Namensträger mehr vorhanden waren und der Käufer das Familienerbe weiterführte, übernahm er die Bezeichnung Boichorst als Beinamen. Bis heute blieb es bei der damit 1688 entstandenen Namensgebung Scheffer-Boichorst. Der Hof bei Telgte dürfte weiterhin als Sommeraufenthalt gedient haben, wozu man einen möglicherweise zu dieser Zeit schon vor- handenen Kammeranbau an das dortige Pächterwohnhaus nutzen konnte. Der Hofgerichts-Amtsverwalter bzw. Hofgerichtsrat und spätere Münsteraner Bürgermeister Dr. Henning Scheffer gnt. Boichorst begründete zusammen mit seiner Frau durch Testament vom 31. Januar 1717 eine Familienstiftung. Diese wurde mit der Hälfte ihres Gutes Kurze Rumphorst im Kirchspiel Telgte ausgestattet und mit seinem Tode eingerichtet. Zweck dieser Stiftung sollte es sein, die Erträge aus dem Gut männlichen Nachkommen zukommen zu lassen, sofern sie Priester würden. Erster Nutznießer war ihr Sohn Dr. jur. Adam Jacob Scheffer-Boichorst (1687-1744), Kanoniker am Stift St. Ludgeri in Münster und in Leyden. Er bestimmte 1741 in einem weiteren Testament eine Erweiterung dieser Stiftung, indem auch seine geerbte Hälfte an dem Gut Kurze Rumphorst der Stiftung zufallen sollte, sodass die Benefizien fortan nicht nur aus einem 389 Betrag von 100 Rthl. jährlich bestehen würden, son- dern aus den gesamten Einkünften des Gutes. Nutznießer sollten die Nachfahren Söhne seines älte- sten Bruders, des Hofgerichts-Amtsverwalters Dr. Friedrich Christian Scheffer-Boichorst (1685-1746) als dem einzigen Agnaten seiner Eltern sowie deren männliche Nachkommen werden. In dem Testament wurde ferner geregelt, dass dem Inhaber des praestimonii [d. i. der Nießbruch der Stiftung] die Nutzung der Borg auf dem Gut Hof Kurze Rumphorst und weitere Rechte zustehen würde. Er habe allerdings auch die Pflicht, für Erhalt und Einrichtung des Gebäudes zu sorgen. Dieses sollte nicht nur dem Sommeraufent- halt (für den Aufenthalt in der Vacanz) der aus der 1 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Ansicht der in der Gräfte stehenden Borg von Südwesten mit dem Zugang über eine hölzerne Brücke (2013). 390 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Familie stammenden Priester dienen, sondern auch dazu, dass sich der Stiftungsvorstand dort während Wie die Hofanlage vor der Übernahme durch die Familienstiftung im Jahre 1734 aufgeteilt, bebaut und in nachten könne. Nach dem schon 1746 eingetretenen Tode von Dr. Friedrich Scheffer-Boichorst wurde die bekannt, kann aber in Ansätzen aus Hinweisen in der seit der Mitte des 18. Jahrhunderts sehr gut nachweisbaren Struktur der Anlage erschlossen werden. Offenbar sind mit der Übernahme des gesamten Hofes in der Besichtigung der Stiftungsländereien und der Abrechnung mit den Pächtern aufhalten und überStiftung zunächst von seiner Witwe verwaltet, bis 1767 durch Erbschaften ihrer beiden Söhne die Stiftung mit weiteren Teilen des Familienvermögens reformiert und um eine Studienstiftung für männliche Nachfahren der Familie erweitert wurde. Zur Anlage und Struktur des Hofes Kurze Rumphorst Die heute recht abgelegene Hofstelle wird von Nordwesten über einen historischen Weg erschlossen, der von Telgte nach Wolbeck führte. Der Weg verbindet den Hof mit dem etwa 100 m weiter nördlich westöstlich verlaufenden alten Fernweg von Münster nach Warendorf (der alte Münsterweg). Der Hof lag also ehemals sehr nahe der Hauptstraße, sodass er gut von Münster erreichbar war. ihrer Umgebung gestaltet war, ist nicht im Detail die Verwaltung der Stiftung 1746 Baumaßnahmen eingeleitet worden, von denen sich noch der Neubau der Borg in den Jahren 1748-1750 und der Scheune im Jahre 1750 aus den Akten belegen lässt. Detaillierte Informationen hierzu liegen für das Jahr 1751 vor: In diesem Jahr wurde ein Gesamtinventar des Stiftungsgutes aufgenommen, wozu auch vor Ort neu vermessene Pläne gehörten.7 Sie dokumentieren die Größe, Lage und Umgebung der einzelnen Ländereien sowie die eigentliche Hofanlage mit der Gestaltung ihrer umgebenden Wege, Wasserflächen, Gärten und Wiesen sowie den dort befindlichen Bauten. Die Zeichnung scheint den Zustand nach Abschluss der in den Jahren zuvor vorgenommenen Ausbauten auf der Hofanlage festzuhalten: Doku- 2 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Ausschnitt aus dem 1751 gezeichneten Gesamtplan des Gutes mit Darstellung der Hofanlage (Norden oben): Die westliche (linke) Hälfte der Anlage umfasst den verpachteten Bauernhof mit einer zu diesem Zeitpunkt nur noch teilweise erhaltenen Gräfte. Das im Jahre 1800 durch einen Neubau ersetzte Haupthaus zeigt einen östlichen Anbau, der nach archivalischen Nachrichten einen der Herrschaft vorbehaltenen Wohnsaal aufnahm. Die östliche Hälfte der Hofanlage wird von der umgräfteten „Borg" mit anschließendem Garten eingenommen und sollte dem Sommeraufenthalt eines Priesters aus der Familie dienen. Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) 3 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Lageplan der Hofstätte im Jahre 1904 (gezeichnet anlässlich von Umbauten in dem 1930 abgebrannten Haupthaus in der Bildmitte). Die Gräften um die Hofstätte sind zu dieser Zeit nicht mehr vorhanden und vor dem Wirtschaftsgiebel des Haupthauses wurde eine Durchfahrtsscheune errichtet. Hinter dem Wohnteil des Haupthauses befindet sich die umgräftete „Borg" mit anschließendem Garten. mentiert werden auf der Hofstelle vier Gebäude: die Borg, das Hauß des conductoris Rumphorst, die Scheune und das Backhauß. Als fünftes Gebäude ist auf der Karte auch ein Torhaus dargestellt, wird aber in ihrer Legende und in der Beschreibung nicht erwähnt. Ebenso wird an der südlichen Ausfahrt des Hofes auch noch ein kleiner quadratischer Bau darge- stellt, aber nicht im Text behandelt, bei dem es sich um die noch bis in das 20. Jahrhundert erhaltene Hofkapelle gehandelt haben dürfte. Das Verzeichnis der zum Gut gehörenden Ländereien nennt als erstes den Herrengarten ohne, was hinten mitt bäume besetzet ist, 2) der Garten beym Hause [..]. Die schon 1744 genannte und kurz danach erneuerte und vergrößerte Borg steht inmitten eines langgezogenen Teiches nordöstlich des Haupthauses, sodass es naheliegend ist, hierin die Reste einer älteren und größeren Gräftenanlage zu sehen, die wohl ehemals den Hofplatz mit dem Haupthaus (das sogenannte Päch- terwohnhaus) umgrenzt haben dürfte. Zu dieser Gräftenanlage dürfte ebenso auch ein 1751 noch vorhandener kleiner Abschnitt an der nördlichen Grenze des Hofplatzes zu gehören wie auch ein weiterer Teich, der zu dieser Zeit noch im Südwesten des Hofes lag. Die 1748/50 erneuerte Borg ersetzte innerhalb dieser Struktur einen wohl kleineren und als Speicher dienenden Vorgänger an gleicher Stelle, der in dieser Position - wie bei solchen Bauten üblich - nahe dem Wohnteil mit der Küche des Bauernhauses innerhalb der Gräfte gestanden hätte. Entsprechend der besonderen Bedeutung, die die Besitzer dem Hof schon spätestens im 17. Jahrhun- 391 392 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen dert zugewiesen hatten, lassen sich in den 1751 vor- handenen Bauten und den hier funktional deutlich unterscheidbaren Bereichen der Hofstelle offensichtlich zwei Bestandsschichten der Entwicklung erkennen: Zum einem gibt es charakteristische Elemente, wie sie sich in der Regel bei einem größeren umgräfteten Bauernhof des Münsterlandes schon seit dem Spätmittelalterfinden lassen. Hierzu gehört innerhalb des mehr oder weniger rechteckig umgräfteten Hofplatzes als Zentrum das längs aufgeschlossene Bauernhaus, das sich hier mit seinem Wirtschaftsgiebel und der Toreinfahrt nach Westen orientiert. Dem diesem Giebel vorgelagerten Wirtschaftshof steht quer die 1750 errichtete Scheune, bei deren Errichtung der westliche Teil der Gräfte schon verschüttet gewesen sein muss. Nördlich des Haupthauses steht - wie üblich aus Brandschutzgründen abgesetzt - das Backhaus, offensichtlich ebenfalls im Bereich der ehemals hier wohl vorhandenen Gräfte. Im Nordwesten stand an der Zufahrt ein kleines, mit einem Dach versehenen Gebäude, das als ein Torhaus interpretiert werden kann. Glaubt man der Darstel- lung auf der Zeichnung, stand dieses Bauwerk an der Außenseite der zu rekonstruierenden Gräfte. Zum anderen gibt es Bereiche, die nicht zu den charakteristischen Elementen eines bäuerlichen Gräften- hofes gehören: Das Bauernhaus hatte am östlichen Giebel einen schmaleren Anbau. Er scheint nachträglich errichtet worden zu sein, da auch in diesem Bereich die alte Gräfte schon 1752 zugeschüttet gewe- sen sein muss. Dass dieser Anbau den Verpächtern als Sommerwohnung diente, ist zwar nicht explizit belegt, ist aber - wie auch bei vergleichbaren Bauten nachzuweisen - zu erschließen, da die in dem Bauteil 1768 vorhandene Einrichtung nicht dem Pächter des Bauernhauses zustand, sondern der Herrschaft gehörte. Durch die dort verzeichneten Möbel lässt sich eine behalten blieben. Seit wann diese besonderen Bereiche bestanden, ist nicht bekannt, doch ist zu vermuten, dass der herrschaftliche Kammer-Anbau an das Wohnhaus aus einer anderen Zeit als die 1748/50 erneuerte Borg in der Gräfte stammte. Naheliegend ist, dass der Hof schon vor seiner Übertragung an die Familienstiftung im Jahre 1734 Möglichkeiten gebo- ten hatte, den jeweiligen in Münster lebenden Besitzern Aufenthaltsmöglichkeiten für einen Sommeraufenthalt zu bieten. So waren beispielsweise schon 1687 die Pächter dazu verpflichtet, den Hof- besitzern neben 20 Hühnern sowie Mist und die halbe Obsternte des Hofes frei Haus nach Münster zu liefern. Bei den verschiedenen Ausbauten des Hofes, die insbesondere dazu dienten, einen Aufenthalt der Herrschaft zu ermöglichen, scheint man vor der Mitte des 18. Jahrhunderts damit begonnen zu haben, die umgebende Gräfte zuzuschütten (etwa durch den Anbau einer der Herrschaft dienenden Wohnung an das Bauernhaus). Seit Erweiterung der Familienstiftung im Jahre 1744 war der Hof insbesondere dafür bestimmt, eine Sommerwohnung für einen aus der Familie stammenden Priester bereitzuhalten. Zu dem damit einsetzenden Ausbau gehörte neben dem 1748-1750 neu errichteten und die Borg genannten Gräftenhaus auch der nordöstlich daran anschließende rechteckige Herrengarten, der als regelmäßige Barockanlage mit vier von geschnittenen Hecken eingefassten Beeten gestaltet war. Die verschiedenen Generationen der die Stiftung verwaltenden Familienmitglieder haben sich zwar mit sehr unterschiedlicher Sorgfalt für Pflege und Erhalt der Gesamtanlage eingesetzt, sodass es immer wieder auch zum Verfall kam und nicht zuletzt deswegen später verschiedene Bauten innerhalb der Anlage erneuert werden mussten,9 doch blieben die spätestens Nutzung als herrschaftlicher Wohn- und Schlafraum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bestehenden Strukturen der Hofanlage bis 1930 (als man nach die Borg genannte Gebäude, das damit spätestens seit deren Neubau im Jahre 1748 eine zweite herrschaftliche sommerliche Wohnung auf der Hofstelle Die Borg Südöstlich des durch den Pächter des Hofes genutz- erkennen.8 Einer gleichen und hier zudem durch Quellen belegbaren Nutzung diente auch das umgräftete, bot. Südöstlich der Gräfte schloss sich ein größeres, von einer Hecke umgebenes Gartengelände an, das südlich von einem kleinen Bachlauf umgrenzt wurde. Der nördliche Teil dieses Gartengeländes ist von dem übrigen, zum Haushalt des Pächters gehörenden Garten abgetrennt und wird schon 1751 als herrschaftlicher Garten bezeichnet. Die Hofanlage wies also schon vor der Mitte des 18. Jahrhunderts Bereiche auf, die deutlich einen „herrschaftlichen" Charakter aufwiesen und die in den seit der Mitte des 18. Jahrhunderts vorliegenden Pachtverträgen stets nicht dem Hofpächter überlassen waren, sondern den Verpächtern zu ihrer Nutzung Vor- Brand ein neues Haupthaus in anderer Lage errichtete) weitgehend unverändert. ten großen Bauernhauses befand sich schon vor 1744 ein umgräftetes Gebäude, das als Borg bezeichnet wurde. Die Bezeichnung erhielt das Gebäude wohl, weil es in seiner Form einem Gräftenspeicher ähnelte (es ersetzte möglicherweise einem hier zuvor stehenden Gräftenspeicher des Hofes). Eine entsprechende Nutzung von Bauten mit der Bezeichnung Borg ist seit dem 15. Jahrhundert auch bei anderen vergleichbaren Pachthöfen mit Sommerwohnungen im Umkreis von Münster belegt.10 1744 wurde im Zusammenhang mit der Erweiterung der Familienstiftung geregelt, dass dem Nutznießer aus den Einkünften der Stiftung auch die Nutzung der Borg auf dem Gut Hof Kurze Rumphorst und weitere Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) 4 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Die in der Gräfte stehende Borg von Nordwesten (2013). Rechte zustehen sollten. Nach den Statuten der Stiftung konnte allerdings nur ein Priester Nutznießer des Stiftungsvermögens werden. Da sich aber seit 1744 hierzu nie ein Mitglied der Familie entschloss, blieb das Gebäude mehr oder weniger ungenutzt und wurde von der Stiftung zumeist auch nur soweit un- terhalten, dass man hier die Verwaltung der Güter und die Abnahme der Rechnungen durchführen konnte. Den Verfall begünstigend musste das Ge- bäude zwischen 1748 und 1900 in einem nur 50-jährigen Rhythmus dreimal einschneidend erneuert werden. Erst nachdem man nach 1800 die Bestimmungen der Stiftung nicht mehr so eng auslegte und das Gebäude von einzelnen Generationen als Sommerhaus genutzt wurde, ist der Bauunterhalt intensiviert worden. Dies geschah aber wohl auch deswegen, weil mit dem Neubau 1798-1803 des auf der Hofstelle befindlichen großen Bauernhauses für die Pächter die bislang dort angebaute und ebenfalls den Verpächtern vorbehaltene Saalkammer nicht mehr bestand. Die so genannte Borg wurde in den Verträgen zur Verpachtung des Gutes Rumphorst über mehrere Jahrhunderte regelmäßig ausgenommen. Sie blieb mit einigem zugehörigen Gartenland bis ins frühe 20. Jahrhundert ein besonderer Besitz und war der Nutzung durch die Vorstände der Familien-Stiftung Vorbehalten.11 Die Nutzung der an die Borg anschließen- den, als Herrengarten bezeichneten Gartenflächen fand allerdings bei den Nutzungsberechtigten der Stiftung sehr unterschiedliches Interesse: So unterblieb zwischen 1807 und etwa 1850 eine intensivere Pflege des Gartens durch die Stiftung und seine Nutzung wurde den Pächtern des Hofes übertragen. Bei der Gesamtaufnahme des Gutes Rumphorst 1751 wird die Borg kartiert und auch verzeichnet, aber sonst nicht weiter erwähnt. Auch in einem Vertrag mit dem neuen Pächter des Hofes von 1768 wird sie nur kurz genannt. Später wird berichtet, die Borg sei nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) verfallen und später durch Dr. Adam Scheffer als zeitigem Inhaber der Nutzungsrechte ganz wiederhergestellt und eingerichtet worden (dies geschah nach den Rechnungen der Stiftung in den Jahren 1789 bis 1792). 1807 wird dann aber sehr ausführlich in einem Pachtvertrag über den Hof ausgeführt: Das neben dem Pfächtiger Hauß befindliche Haußgen die Borg genannt, wird von der Guthsherrschaft zum eigenen Gebrauch vor- 393 394 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 5 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Die in der Gräfte stehende Borg von Osten. Im Wandgefüge erkennbar die zwei Querwände und die Abortanlage vor den nördlichen Wohnräumen (2013). behalten und sind Pfächtiger verpflichtet, dasselbe beßern und rein zu halten, danebst vorschaltenen sogenannten Herren Garten, wie auch dahinter liegen- der Hoffkamps Garten, können Pfächtiger bis zur extra Aufforderung des Gutsherren zum Gemüßziehen und respective Besamung nutzen und daß im Fall die Guthsherrschaft davon Gebrauch machen will, diese dem Pfächtigern mit halb Jahre vorher angekündigt. Formulierungen in späteren Pachtverträgen sind wiederum wortkarger und weitgehend formalisiert, doch wechseln verschiedentlich die Zusätze: 1822 nennt ein Pachtvertrag neben den Gartenflächen wiederum das Häusgen, die Borg genannt, die der Pächter des Hofes selber auf keine Art ohne Genehmigung nutzen dürfte. Er wurde darüber hinaus verpflichtet, das Gebäude besenrein zu halten. Zusätzlich gibt es nun die Bestimmung, dass der Hofpächter einmal im Jahr die Gutsherrschaft einschließlich der bei sich habenden Gesellschaft mittags zu bewirthen habe.'2 Auch 1857 wird die sogenannte Borg und der daran liegende, zu einer kleinen Anlage geschaffene Theil des Herrengartens im Pachtvertrag von der Verpach- tung des Hofes ausgenommen. Auch 1883 ist die sogenannte Borg nebst der dieselbe umgebende Teich und eine vor ihr liegende Anlage wiederum von der Verpachtung ausgeschlossen (allerdings wird nun der Herrengarten mit verpachtet, kann aber bei einer Kündigungsfrist von sechs Monaten wieder vom Verpächter übernommen werden). Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) Zwischen 1800 und 1855 wurde die Nutzung der Borg jeweils dem Emonitor (der Verwalter) der Stif- tung ohne Berechnung überlassen, wohl insbesondere, weil das Gebäude als Verwaltungssitz der Stiftung genutzt wurde, hier auch deren Buchführung geschah und das Archiv untergebracht war. Allerdings hatten die in der Zeit zwischen 1820 und 1841 tätigen Emonitoren nur wenig Interesse an einer eigenen Nutzung des Gebäudes, sodass es erneut vernachlässigt wurde. Zu dieser Zeit scheinen die Familienvorstände statt der Borg bei Telgte ein anderes vergleichbares und eben- falls um 1800 erneuertes Sommerhaus genutzt zu haben, das sich durch Erbschaft des Hofes Haus Reithaus (Münster-Wolbeck, Kasewinkel 230) ebenfalls im Besitz der Familie befand und nur wenige Kilometer südlich von Telgte stand. Nach einer durch den Verfall notwendig gewordenen grundlegenden Reparatur der Telgter Borg fasste der Stiftungsvorstand am 12. Dezember 1855 einen Beschluss, der wohl auch vor dem Hintergrund geschah, dass seit über hundert Jahren kein Mitglied der Familie Priester geworden war und dies auch für die nächsten Jahre nicht in Aussicht stand: Es ist bisher als zweckmäßig angese- hen, daß der Emonitor als Beaufsichtiger und Verwalter der Rumphorster Grundgüter die restaurierte s.g. Borg bei Rumphorst in Benutzung nehmen und solche namentlich zur Herbstzeit mit seiner Familie beziehen und sie auf diese Weise auch zum Sammelplatz für die gesamte Familie machte. - Um jedoch für die Zukunft diese Benutzung nicht als Zur Baugeschichte der Borg Bau (bis 1748) Über die bauliche Gestalt und das Alter des bis 1748 bestehenden und als Borg bezeichneten Gebäudes ist nichts bekannt. Es ist zu vermuten, dass es ein speicherartiges Gebäude war, das innerhalb der Gräfte stand. Sommerwohngebäude (1748-1789) Das als Borg bezeichnete Gebäude wurde in den Jahren 1748 bis 1750 völlig neu als ein zweigeschossiger Fachwerkbau über einem massiv aufgemauerten und wohl nicht als Keller ausgebautem Sockel errichtet und erhielt seinen Zugang über eine hölzerne Zugbrücke über die Gräfte: 1748 mauerte man zunächst ein neues hohes Fundament auf.14 1749 wurde darüber das Fachwerkgerüst erstellt und ausgemauert.15 Der Innenausbau konnte im folgenden Jahr fertig gestellt werden. Ab 1765 sind mehrmals kleinere und größere Reparaturen an dem Gebäude durchgeführt worden.16 Da allerdings kein Familienmitglied Priester wurde und das Gebäude als Sommerhaus nutzten konnte, unterblieb ein kontinuierlicher Unterhalt, sodass die Borg nach 1780 offenbar schnell verfiel. Schon 1789 muss- te sie daher wieder durch einen Neubau auf dem alten Sockel ersetzt werden. Neubau als Sommerhaus (von 1789/92) Das wiederum als Borg bezeichnete Gebäude wurde einen Ausfluß aus dem Amte des Emonitors erscheinen und als eine ihm zustehendes Recht aufkommen zu lassen, so hat der Vorstand sich veranlaßt gefunden, die Benutzung der Wohnung etc. dem Ferdinand auf Initiative von Dr. Adam Scheffer-Boichorst (24. Dezember 1736-17. Mai 1808) nach seiner Übernahme der Stiftungsverwaltung neu errichtet. Er war Canoni- überlassen. Auf der Grundlage dieser Regelung blieb das Gebäude für die nächsten 45 Jahre dem jeweiligen Emonitor der Stiftung für die geringe Miete von 4 Thalern jährlich zur Nutzung überlassen,13 wobei die chen münsterschen Hofgerichtes. Nach eigenem Bericht ließ er die Borg wieder ganz so herstellen, wie er das Gebäude aus seiner Jugend vor dem siebenjährigen Krieg gekannt habe. Bei der Baumaßnahme ging es ihm also nicht darum, ein größeres oder moderneres Haus zu schaffen, sondern es in Niedieck, derzeitigen Emonitor der Stiftung für die jährliche Miete von 4 Thalern bis zum Widerruf zu Unterhaltungs- und Renovierungskosten der Borg aber weiterhin die Stiftung trug: Bis 1869 nutzte Rechtsanwalt und Bankier Niedick in Münster das Gebäude und danach Theodor Scheffer-Boichorst (13. Dezember 1819-20. Oktober 1898), der von 18791886 Bürgermeister von Münster war, später zum preußischen Geheimrat ernannt wurde und zuletzt als Rentner bezeichnet wurde. Erst mit seinem Tode endete die bisherige Nutzungsregelung; fortan wurde die Borg Mitgliedern der Familie Scheffer-Boichorst als Dauerwohnung überlassen. Zunächst lebte hier nach einer umfangreichen Renovierung ab 1902 der entfernte Vetter Theodor Scheffer-Boichorst (11. Dezember 1837-2. März 1906) und nach seinem Tode 1906 über lange Zeit seine unverheiratete Tochter Maria Scheffer-Boichorst (*11. Dezember 1865). cus am Domstift und ab 1761 Mitglied des Hofrates in Münster sowie Amtsverwalter des fürstbischöfli- den bestehenden Formen wieder zu erneuern. Den Fachwerkbau scheint man über dem alten Sockel weitgehend in den alten Formen kopiert zu haben. Anhand der Jahresrechnungen lässt sich Verlauf der Bauarbeiten weitgehend nachvollziehen: 1786 begann man mit mehrjährigen Vorbereitungen, in dem man das notwendige Baumaterial beschaffte und dieses vorbereitete.17 Erst im Sommer des Jahres 1790 scheint man den Fachwerkbau verzimmert, aufgerichtet und ausgemauert zu haben.18 1791 war der Rohbau ausgetrocknet, wobei noch ergänzende Arbeiten erfolgten19 und 1792 wurde offensichtlich der Innenausbau fertig,20 sodass der der Neubau bewohnt wer- den konnte. Die Gesamtkosten des Neubaus betrugen etwa 225 Rthl. 395 396 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Es wurde ein zweistöckiges Fachwerkgebäude mit Vollwalmdach errichtet, das auf dem vom Vorgängergebäude übernommenen massivem Sockel inmit- ten der Gräfte steht. Entsprechend den Zielen der Stif- tung kann davon ausgegangen werden, dass das neue Haus in seinen wesentlichen Strukturen das vorher hier stehende Gebäude wiederholte, hierbei allerdings in zeitgenössischer Konstruktionsweise errichtet wurde. So ist das Hausgerüst von neun Gebinden ohne geringste Vorkragung der Stockwerke zweistö- ckig verzimmert. Die Geschoss- und Dachbalken sind aufgelegt. Das Gerüst ist in beiden Stockwerken zweifach verriegelt (mit Riegelversprung für die zu dieser Zeit üblichen großen Fensteröffnungen) und an den Eckständern mit langen und geraden Fußstreben ausgesteift; im Obergeschoss finden sich stattdessen an den Giebelwänden kürzere Kopfstreben, mit denen an den Längswänden auch die Ständer der Zwischenwände ausgesteift sind. Über dem Gebäude steht ein für „herrschaftliche Gebäude" im 18. Jahrhundert charakteristisches Vollwalmdach recht flacher Neigung mit einer Pfanneneindeckung, wobei die Sparrenpaare eine gezapfte Kehlbalkenlage erhielten. Die Fenster wurden mit kleinen in Bleiruten gefassten Glasscheiben versehen und erhielten Läden. Das Innere ist in der Mitte der nördlichen Längswand von einer Haustür (mit vorgelegter hölzerner Brücke über die Gräfte) erschlossen und offensichtlich in beiden Stockwerken von zwei in das Hausgerüst eingebundenen Querwänden bestimmt, durch die vor den beiden Giebelwänden jeweils Wohnräume von zwei Gefachen Breite abgetrennt sind. Die mittlere, vier Gefach breite Zone dazwischen dient im Erdgeschoss als große Eingangsküche und im Obergeschoss als eine durchgehende Flurdiele. Offen eingestellt. In der südwestlichen Ecke gab es eine zweimal gewendelte hölzerne Etagentreppe mit einem Geländer aus Sägeballustern. In der östlichen Seitenwand der Eingangsdiele steht bis heute der große gemauerte Kaminblock mit einer offenen Herdfeuerstelle; ihre Front wurde mit Werksteinen aus Sandstein verkleidet. Der Feuerstelle vorgelagert ist ein hölzerner Rauchfang mit einem breiten umlaufenden und profilierten Gesims. An der südlichen, vom Hof abgewandten Längswand des Gebäudes gibt es über massiv in der Gräfte auf- gemauerten Pfeilern einen zwei Gefache breiten Fachwerkvorbau mit Pultdach, in dem zwei Aborte mit Fallschächten zur Gräfte untergebracht sind: Im östlichen eingeschossigen Teil befindet sich ein von 6 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Die Eingangs- und Herdküche der Borg um 1910. Die Küche war zu dieser Zeit mit vie- len historischen Gegenständen als „romantischer" Raum eingerichtet und konnte so von Mitgliedern der Familie und ihren Besuchern als traditionsreicher Platz mit ländlichem Flair empfunden werden. Das Foto wurde von der Familie als Postkarte verschickt und zeigt zwei historische Trachten tragende Familienmitglieder. Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) dem nördlichen Raum des Erdgeschosses zugänglicher Abort (dieser Raum sollte daher sicherlich als Schlafraum dienen) und im südlichen, zweigeschossigen Teil gibt es einen vom Obergeschoss zugänglichen Abort. Er befindet sich an der dortigen mittleren Diele und diente damit den beiden anschließenden Schlafräumen. In den Jahren 1800/02 befand sich die Borg nach verschiedenen Berichten in den Akten während des Baus des benachbarten Pächterwohnhauses in einem guten Zustand. Sie wurde von den Exekutoren der Stiftung während ihres Aufenthaltes auf dem Hof und bei den stetigen Besuchen auf der Baustelle öfters genutzt. Es folgten nun kontinuierlich kleinere Arbeiten zur Bauunterhaltung.21 Zwischen etwa 1820 und 1841 scheint die Borg dann allerdings von dem Nutzungsberechtigten nicht mehr als Sommerhaus genutzt worden zu sein und wurde wiederum kaum noch unterhalten, sodass das Gebäude entgegen den Bestimmungen der Familienstiftung schnell wieder verfiel und schon nach 50-jährigem Bestand erneut als baufällig galt.22 Modernisierung 1844-1845 Im Herbst 1840 wurden erste Reparaturen an dem Gebäude durchgeführt.23 Trotz dieser auf das Äußere beschränkten Unterhaltungsarbeiten wurde das Haus 1842 als verwahrlost beschrieben: Die Einrichtung sei zerstört oder fortgebracht. Daher beschloss der Stiftungsvorstand, das Gebäude unter Hinzuziehung des Bauinspektors Teuto in Münster gründlich instand set- zen zu lassen und auch wieder zum Bewohnen notwendiges Inventar zu beschaffen. Die Kosten in Höhe von 446 Thl. der 1844 bis 1845 durchgeführten Baumaßnahmen wurden von der Stiftung ebenso übernommen wie die 239 Thl., die im folgenden Jahr für die Innenausstattung und die Neugestaltung des Gartens anfielen. Insgesamt wurden die Kosten zum Schluss mit 701 Thl. berechnet. Bei den Arbeiten wurde nicht nur der gesamte Bau in seiner Konstruktion saniert, sondern auch das Raum- programm modernisiert. Hierbei hat man von der breiten mittleren Diele im Obergeschoss durch eine Querwand einen zusätzlichen Raum abgetrennt und alle Fenster mit großen Scheiben und hölzernen Sprossen erneuert. Alle Räume wurden zudem neu ausgestaltet.24 In der Abrechnung werden verschiedene Räume genannt: Küche mit dem Rauchfang, Zimmer der Kinder, Vorratskammer, der Entree oben. In jeder Etage gab es fünf Zimmertüren. Das große und ein kleines Zimmer wurden grün, ein kleines Zimmer blau, zwei Zimmer rot und ein Zimmer gelb gestrichen. Der Schreiner Philipp Rumphorst führte nicht nur den gesamten Anstrich aus,25 sondern lieferte auch die meisten der neu beschafften Möbel. Hierfür rechnete er insgesamt 208 Thl ab.25 Er lieferte an Einrichtungsstücken: einen großen Kleiderschrank mit acht Schubladen, zwei zweischläfrige und zwei einschläfrige Bettstellen, drei Garderoben, einen ovalen Tisch, eine Kirschbaumkommode, einen Spiegelschrank, 18 Zimmerstühle, zwei Küchenstühle und einen kleinen Küchentisch mit Schublade. Weitere Einrichtungsgegenstände beschaffte man in Münster: Bei Fr. Koch kaufte man für 7 Thl. einen großen und zwei kleinere Spiegel. Brüggemann lieferte für 12 Thl den im Haus aufgestellten Friedrichsofen Nr. 1 und Schmitz für 1 Thl. 15 sgr. einen Ofenstein als seine Unterlage. A. Ewertz aus Münster rechnete 3 Thl. 5 gr. dafür ab, dass er ein Wappen auf Glas gemahlt und noch drei kleine Wappen gemalt habe, von denen eines zusätzlich mit Schrift versehen sei. Ferner wurden Roleaux für die Fenster und Lambris beschafft. Um zu verhindern, dass das Haus fortan wieder verwahrloste, beschloss der Stiftungsvorstand, jährlich ein Inventar über das vorhandene Mobiliar anfertigen zu lassen. Hierbei blieb man allerdings nur bis 1851, als man die Borg an den Banquier Niedik aus Münster vermietete. Zuvor hatte man noch eine umfassende Renovierung für etwa 150 Thl. durchführen lassen.27 Fortan lässt sich ein kontinuierlicher Bauunterhalt nachweisen.28 1 898 werden die im Gebäude vorhan- denen Räume aufgezählt: Küche, Wohnzimmer, erstes und zweites Schlafzimmer sowie zwei Kammern. Reparaturen 1900 1898 wurde beschlossen, die Borg gründlich reparieren zu lassen.29 Nachdem der Vorstand der Stiftung aufgrund des von Handwerkern festgestellten Verfalls zunächst im September 1899 einen kompletten Neubau beschlossen hatte, entschied man sich nach Einholung verschiedener Gutachten und einer Skizze des Baudirektors Löffken aus Münster sowie einer von diesem vorgelegten Kalkulation über die Kosten für einen Neubau von etwa 25-30 000 Mark im Januar 1900 doch dazu, den bestehenden Bau zu reparieren und wieder so bewohnbar zu machen. Er sollte danach dem derzeitigen Stiftungsvorstand Theodor Scheffer-Boichorst vermietet werden. Das Gebäude wurde im Inneren einer eingehenden Renovierung un- terzogen, wobei die Wände teilweise einen neuen Verputz, die Böden und teilweise auch die Wände einen Linoleumbelag erhielten, andere Wände tapeziert wurden und man die alten Möbel mit einem Anstrich versah.30 Im Zuge der Neuvermietung 1906 erneuerte man die schlechte Dacheindeckung und den Außenanstrich. Im Inneren wurde die Küche verlegt.31 In den nächsten Jahren folgten weitere Modernisierungsarbeiten vor dem Hintergrund der zu dieser Zeit umfangreichen Einkünfte der Familienstiftung.32 Als ihre Erträge spä- ter zurückgingen, wurde das Gebäude nur noch geringfügig unterhalten. Erst 1990 erfolgte eine erneute Sanierung des Gebäudes.33 397 398 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Nachrichten zum Hof- und Herrengarten Der Hofgarten Das wohl weitgehend als Obstgarten genutzte Ge- In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich lände war von einer Hecke eingefasst. keine Pflegemaßnahmen am Herrengarten in den Rechnungen der Stiftung nachweisen. Vielmehr wurde der Garten 1807 den Hofpächtern bis auf bäume für 6/2 Thl. 1831 wurden durch Maurer- Samenzucht überlassen. Möglicherweise unterblieb eine intensivere Pflege, sodass die Anlage mit den Hecken fortan verwilderte. Erst im Zusammenhang mit der grundlegenden Erneuerung der Borg wurde 1844 auch der anschließende Garten neu angelegt Im Jahr 1791 kaufte man 9 französische Pflaumenbäume für 6 Rthl. Die regelmäßige Pflege der Obstbäume mit Beschneiden durch den Gärtner Dumme lässt sich schon vor 1800 und bis 1821 nachweisen. 1817 lieferte Dumme im März auch 16 neue Obst- meister Alfermann aus Telgte für 2 Thl. wilde Obststämme geliefert und gepflanzt. Vor 1800 bis 1821 übernahm Gärtner Dumme das Schneiden und Instandsetzen der Hecken. Er erhielt hierfür jährlich etwa 1/2 Rthl. Nach 1821 scheint man die Pflege durch einen Gärtner allerdings eingestellt zu haben, denn ab 1822 übernahm Maurermeister Alfermann aus Telgte im Zuge seiner jährlichen Reparaturarbeiten an den Bauten auch das Scheren der Hecken. 1826 pflanzte er auch Hecken nach. Auch 1830 reparierte Maurermeister Alfermann aus Telgte die Hecken am Fruchthof für 4 Thl. und 1833 arbeitete er mit einem Gehilfen 2 Tage bei der Hecke. Der Herrengarten der Hofanlage ist möglicherweise erst in den Jahren um 1750 nach Abtrennung einer Teilfläche vom Hofoder Baumgarten angelegt worden. Auf dem 1751 gezeichneten Plan des Hofes wird er als rechteckiges Parterre dargestellt, das durch ein Wegekreuz in vier Felder eingeteilt ist. Der Plan deutet an, was sich für spätere Zeiten auch durch weitere Quellen belegen lässt: Die vier Felder wurden von Buchsbaumhecken eingefasst. Die Anlage bedurfte einer kontinuierlichen Pflege: Nach der Jahresrechnung der Stiftung von 1776 (wie auch in allen weiteren Jahren) wurde beispielsweise den Gärtnern, welche zum Rumphorst Hecken und Widerruf zum Anbauen von Gemüse und zur und war in den nächsten Jahrzehnten auch nicht mehr den Hofpächtern zur Nutzung überlassen. Die Neugestaltung übertrug man dem Gärtner Bernhard Schuhmacher, der für etwa 16 Thl. auch den hierfür nötigen Buxbaum und den Blumensamen lieferte. Zusätzlich beschaffte man vom botanischen Gärtner Revermann in Münster sieben verschiedene Rosen- ströcke und weitere Blumen für 1 Thl. 15 sgr. Bei Peters erwarb man acht Apfelbäume für 4 Thl. 12 sgr., die Schuhmacher dann einpflanzte. Auch beschaffte man 12 Gartenstühle. In den nächsten Jahren pflegte dann Gärtner Schuhmacher den Garten kontinuierlich.34 Nachdem man die Borg und den zugehörigen Garten 1851 dem Rechtsanwalt Niedik in Münster mietweise zur Nutzung übertragen hatte, beschäftigte sich die- ser offensichtlich intensiv mit dem Zustand des Gartens und seinem weiteren Ausbau. Im Sommer 1852 gab man den westlichen Teil des Herrengartens in seiner bislang noch immer bestehenden barocken Gestaltung auf und gestaltete den übrigen Bereich nahe der Borg zu einer kleinen Anlage im romanti- schen Geschmack.35 Nur noch diese neue kleine An- lage wurde fortan von den Verpächtern genutzt und unterhalten, während der übrige Herrengarten den Hofpächtern überlassen blieb und zum Teil des Hofgartens wurde. 1871 errichtete man eine Gartenlaube unter der Buchsbaum geschoren, jeweils über einen halben Esche' 1891 reparierte man die Gartenlaube sowie die Gartenmöbel und 1895 die Laube aus hölzernen Lat- genannt. Gelegentlich waren auch grundlegendere ten grundlegend. Taler Lohn gezahlt. 1779 wurde der Gärtner Schivede Arbeiten wie das Neupflanzen der Buchsbaumhecken notwendig: 1787 wurden wegen Umlegen des Buchsbaums 1 Rthl. 18 sch. verbucht. 7 Haus Lütke Rumphorst bei Telgte. Schematischer Plan der Gartenanlagen mit dem westlich anschließenden Bauernhaus sowie der umgräfteten Borg. Der Plan mit Angabe der zu pflanzenden Bäume, Sträucher und Blumenstauden entstand 1852 zur Vorbereitung einer Neugestaltung des von der Herrschaft bei ihren Besuchen auf dem Land genutzten Gartens. Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) 399 400 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen 1 Bis 1975 war das Gebäude Teil des Hofes Kirchspiel Telgte, größeren Blatt, das in zwei identischen Exemplaren überliefert ist. Schwienhorst Nr. 2; heute wird es unter der Adresse Telgte, 8 In einem wegen Konkurs des Pächters im Jahre 1768 Schwienhorst 3 a geführt. erstellten Inventarverzeichnis des gesamten Bauernhauses 2 Weiterhin sind zahlreiche Aktenbände zum Ankauf von wird vermerkt: Auf der großen Kammer eine ßette-Stelle, Grundstücken und Höfen sowie zum Unterhalt, Baumaßnahmen und Rechtsstreitigkeiten auf den Besitztümern der Stiftung erhalten. Hierzu gehören vereinzelt auch Akten, die eine weitere Bette-Stelle, ein kleines Schapp, ein großes Schapp, eine große und eine kleinere Kiste ... ein Tisch, so aus Vorarchiven stammen und im Zuge des Ankaufs von Höfen und Grundstücken in das Archiv gelangten (etwa Akten zu dem in einem weiteren Beitrag vom in diesem Band ebenfalls in einem eigenen Beitrag vom Autor dargestellten Hof Haus Lohfeld). Andere Akten betreffen die von der Stif- 9 1788/91 Erneuerung der Borg, 1800/02 Neubau des tung zu Zinsen vergebenen Geldbeträge, wozu auch bis in das 17. Jahrhundert zurückreichende Obligationen gehör- 11 1688 wird die Borg nicht im Pachtvertrag angeführt, was darauf hindeuten könnte, dass sie zu dieser Zeit noch nicht ten. in der Form eines Wohnhauses bestand. 3 Da eine Erschließung des Bestandes durch ein Verzeichnis 12 Ferner musste der Pächter achtmal im Jahr Spanndienste oder Findbuch nicht vorhanden ist, musste auf den Ein- mit vier Pferden leisten, unter anderem, um die Hälfte des zelnachweis der Nachrichten verzichtet werden. Die Quellen auf dem Gut anfallenden Obstes zu den Verpächtern nach für die angeführten Belege ergeben sich allerdings in aller Münster zu bringen. Regel daraus, dass sie in der Regel den jährlichen Rechnun- 13 1871 wurde die Miete auf 15 RM jährlich umgestellt. 14 Diese Arbeiten führte Maurermeister Renvers von Steinen gen bzw. den zugehörigen Quittungen bzw. Sitzungsprotokollen und Beschlüssen entnommen wurden. aber dem Herrn Scheffer zugehörig. Haupthauses und 1814 eines größeren Backspeichers, 1889 und 1907 Erweiterung der Scheune. 10 Hierzu der einleitende Beitrag von Fred Kaspar in diesem Band. 4 Albert Ludorf, Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, aus, die man für 20 Rthl. von dem Bauern Frommelt erwarb und durch den Zeller Dankbar für etwa 12 Rthl. hatte anfah- Münster-Land. Münster 1897, S. 179; Karl Eugen ren lassen. Den notwendigen Kalk lieferte für fast 30 Rthl. Mummenhoff, Die Profanbaukunst im Oberstift Münster von Grimmeismann. 1450 bis 1650. Münster 1961, S. 8; Fred Kaspar, Stand und 15 Nach den Rechnungen wurde das Holz durch Zimmer- Aufgaben historischer Hausforschung in Nordwestdeutsch- meister Wilhelm Heinrich Haesch zugeschnitten und über dem Sockel verzimmert. Maurermeister Renfers mauerte es land, in: Westfälische Forschungen. 39. Münster 1989, S. 543-572, hier Abb. 13. 5 Witton lässt sich erstmals in Münster 1603 als Mieter des anschließend aus. 16 1765 wurde das Dach mit Pfannen und Docken neu ein- Hauses Prinzipalmarkt 6 und dann 1604 als Mieter des gedeckt. 1771 ist das Gebäude zugleich mit allen anderen Hauses Alter Fischmarkt 8 nachweisen. Seit 1605 besaß er Bauten des Gutes mit einem Wert von 200 Rthl. in die Brand- dann das Haus Alter Fischmarkt 5, das er bis zum Bezug des versicherung aufgenommen (die Versicherungssumme wur- 1616 angekauften und dort bis 1617 errichteten aufwändigen Neubaus mit Renaissancefassade am Roggenmarkt 14 de 1781 auf 300 Rthl. erhöht). 1776 wurden wegen der aus- gebesserten Gläsern auf der Borg 5/2 Rthl und 1778 wegen mit seiner Familie bewohnte (Max Geisberg, Bau- und Kunst- reparierter Schlösser auf der Borg 13 Schilling ausgezahlt. Im denkmäler von Westfalen. Stadt Münster, Band III. Münster gleichen Jahr erhielt Zimmermann Holtkötter zur Brücke auf 1934, S. 323-327; Ralf Klötzer, Häuserbuch der Stadt Müns- Rumphorst 10 Rthl. 18 sch. 1786 wurde das Dach für 5 Rthl. ter, Band III. Münster 2008, S. 208 und 249). repariert und umgelegt. 17 Zunächst wurden 300 Pfannen für das Dach auf der Borg 6 Im Erbe des Kaufmanns Witton befanden sich große Besitztümer in der Stadt Münster: Der Orden der Jesuiten für etwa 20 Rthl. sowie Kalk geliefert, den man einsumpfte. erhielt das Haus Alter Fischmarkt 5, während der restliche Im folgenden Jahr rechnete Zimmermann Hermann Holtköt- Besitz unter seinen drei Kindern aus seiner 1596 geschlosse- ter aus Telgte für seine Arbeiten zur Bauholzbeschaffung etwa 28 Rthl. ab. Er hatte zunächst mit drei Mann an sieben nen Ehe mit Gese Berends verteilt wurde: Der einzige Sohn Johann Lancelott Witton erbte die Häuser am Roggenmarkt und das Haus an der Voßbrede in Münster. Die Tochter Katharina, verheiratet mit Dr. Lennep, erbte den Hof Lange Rumphorst in Telgte und die Tochter Maria (1605-1677) den Tagen Holz geschlagen und beschnitten und dann noch ein- mal mit vier Mann an 24 Tagen Holz behauen und beschnitten. 1788 schnitt der Zimmermann noch einmal für 7 Rthl. 8 sch. Holz für die Brücke und die Bänke zu und verarbeite- benachbarten Hof Kurze Rumphorst, ferner das Haus Alter te das Holz. Fischmarkt 5 und das von Witton um 1640 angekaufte Anwesen Neubrückenstraße 20 in Münster. 7 Der Text sowie der von dem fürstlichen Landmesser und ration der borg zu Rumphorst mit 94 Rthl. 20 sch. mit dem wohl den Bau überwachenden Pächter des Hofes Rumphorst Notar Johann Henrich Berteling in Telgte aufgenommene Plan der zum Stiftungsvermögen gehörigen Grundstücke ist abgerechnet. Der Zimmermeister Holtkötter erhielt 32 Rthl., der Maurermeister Bernd Venne, der 18 Tage mit vier Mann im Archiv der Familienstiftung erhalten. Die kolorierten Zeichnungen befinden sich zusammengefasst auf einem ebenfalls 32 Rthl., der Schmiedemeister H. Werning für die 18 Im Herbst des Jahres wurden Rechnungen wegen Repa- und dann 14 Tage mit drei Mann auf der Baustelle tätig war, Ein Sommerhaus des 18. Jahrhunderts für Priester aus gutem Hause Die Borg auf dem Hof Lütke Rumphorst bei Telgte (Kr. Warendorf) benötigten Dielennägel, Anker und Bänder 11 Rthl. und der mit 10 Thl. 15 sgr. ab. Für die Fenster bezog man bei Pächter Rumphorst für zwei Fuder Stroh, Pliesternägel und Christian Becker in Telgte 102 Scheiben doppelt weiß glaß, vieles andere durch ihn besorgtes Material 18 Rthl. die bei einem Preis von 12 sgr. pro Scheibe allein 20 Thl. 24 19 Maurermeister Venne stellte noch einmal eine Rechnung sgr. kosteten. Ferner wurden drei runde Scheiben für das Oberlicht [der Haustür] geliefert. Alle Scheiben wurden für über 9 Rthl. 22 sch. für neun Tage Arbeit mit drei bis vier Mann aus. Ferner rechnete der Pächter weitere kleinere Auslagen behuf der reparation mit über 6 Rthl. 7 sch. ab. 51/2 Thl. eingesetzt und von innen verkittet. Ferner wurde das Rthl. 21 sch., der Schlossermeister Johannes Schäffer aus Oberlicht über der Haustür in Blei eingefasst mit blau und roth Glas, was noch einmal 1 Thl. 20 gr. kostete. Abschließend wurde das Haus außen und innen neu gestrichen, wobei man die Fenster und Innentüren weiß (bleiweiß in Öl) Telgte 13 Rthl. 22 sch., der Schlosser Johann Hermann Otloh und die Blendläden und Außentüren grün fasste. Das 20 Der Schreinermeister Johann Engelbert Hontes aus Telgte erhielt für mehrere Wochen Arbeit mit zwei Personen 15 12 Rthl. 6 sch. und Engelbert Harteug für Färbung der Fenster und Tür zu Rumphorst 17 Rthl. 25 sch. Diese Kosten wurden in den Jahresrechnungen für 1790/91, 1791/92 und 1792/93 abgerechnet. In den Rechnungen der folgenden Jahre finden sich hingegen keine weiteren Kosten für den Bau mehr. Die jeweils angegebenen und zu den Abrechnungen gehörenden Belege wurden allerdings nicht aufgefunden. 21 1806 erneuerte Philipp Fockenbrock die Brücke an der Borg und 1807 reparierte man die Dacheindeckung mit Kalk und Stroh für 14 Rthl. Brückengeländer erhielt einen Anstrich aus Mineralteer. 25 Die Plafonds aller Zimmer erhielten einen weißen Anstrich. Auch nahezu alle neu beschafften Möbel erhielten einen Anstrich. 26 Er fertigte auch das Brückengeländer, eine Doppeltür von Eiche vor dem Eingang, die äußere Verkleidung des Abtritts mit Eichenbrettern und den Deckel auf dem Abtritt. 27 Hierbei erhielt das gesamte Fachwerkgebäude durch F. H. Laukamp neue Sohlsteine aus Sandstein, sodass auch die Gefache darüber erneuert und andere repariert werden mussten. Ferner wurde auch der Beschuss auf der Wohn- 22 Nur die nötigsten Arbeiten führte man an dem leerstehenden Gebäude durch: 1819 wurde der hohe gemauerte stube erneuert. Bei der großen Reparatur wenige Jahre zuvor Sockel wegen Verfalles ebenso wie bei den anderen Bauten nun allerdings als Bedürfnis empfunden. Ferner wurde das Dach mit 600 Pfannen neu eingedeckt. auf der Hofanlage durch Maurermeister Joachim Alfermann aus Telgte repariert und 1830 das Dach von Borg und Päch- terwohnhaus mit Kalk umgedeckt, wozu man auch 1000 neue Pfannen ankaufte. Schon im November 1834 erlitten die erneuerten Dachdeckungen schwere Sturmschäden, sodass Maurermeister Alfermann aus Telgte das Dach der Borg im folgenden Frühjahr für 15 Thl. wieder ausbessern musste. 1835 folgte eine Erneuerung der Brücke. 23 Maurermeister Heinrich Laukamp arbeitete ab August mit zwei Männern etwa vier Wochen in dem Gebäude. Er ver- brauchte hierbei größere Mengen von Steinen, Wasserkalk, Rohrdraht und Nägeln und rechnete alles mit etwa 30 Thl. ab. Der Glaser H. Wielage aus Telgte reparierte die in Blei gefassten Fenster, wobei er viele der kleinen Scheiben neu in Blei setzte, teilweise auch die Rahmen erneuern musste. Anschließend führte der Schreiner Philipp Rumphorst aus Telgte für etwa 13 Rthl. einige Reparaturen an den Fenstern (jeweils mit Klappen) und den Türen durch und strich diese auch an. 24 Im Sommer 1844 wurde das Gebäude durch Zimmermann Ringemann im Rohbau für 42 Thl. repariert, wozu der Schmied Bernhard Zumbrock verschiedene eiserne Anker lieferte. Im Inneren wurde der Grundriss teilweise verändert: Im unteren Geschoss wurden Türen versetzt und im Obergeschoss Zwischenwände gemacht. Mit den angekauften 150 Fuß Flursteine aus Ibbenbüren dürfte das Erdgeschoss, insbe- sondere die Eingangsküche ausgelegt worden sein. Der Maurermeister Laukamp führte umfangreiche Arbeiten an der Gefachausmauerung durch, die er mit 67/2 Thl. abrechnete. Er lieferte auch Zinkblech und gläserne Pfannen, um in dem neu eingedeckten Dach eine Belichtung zu ermöglichen. Die Schlosserarbeiten rechnete Schlosser Frölinghaus hatte man diese Arbeiten nicht für notwendig erachtet, dies 28 1855 wurde der Anstrich repariert und 1865 das Haus innen (genannt wird insbesondere das grüne, blaue, gelbe Zimmer und die Küche) und außen sowie die Fenster mit den Blendläden und das Brückengeländer durch den Schreiner Philipp Rumphorst für 32 Thl. neu angestrichen. Schon 1867 wurde der Anstrich teilweise durch Rumphorst für 15 Thl. erneuert. 1871 reparierte Maurermeister H. Laukamp die be- sonders dem Schlagregen ausgesetzte Westwand des Gebäudes und versah sie anschließend an der Außenseite mit einem Zementputz über Drahtgeflecht. 1872 fertigte Schrei- ner Rumphorst für 67 Mark eine neue Brücke. 1875 wurde das Dach durch Maurer H. Laukamp umgedeckt. 1878 wur- de der Putz mit Wasserkaik repariert und danach das Gebäude durch den Maurer Laukamp mit einem neuen Außenanstich versehen. Auch 1880 flickte Laukamp für 14 Mark einige Tage an der Borg, wobei er insbesondere Zement, Öl und Farbe benötigte. 1891 wurden durch den Schreiner B. Bücker aus Telgte alle Fenster und 1892 durch Maurer Wilhelm Deiters für 40 Mark unter Verwendung von Zement das Fundament repariert. 1893 strich er das Wohnzimmer neu und reparierte das Brückengeländer und 1895 strich er ein weiteres Zimmer (hierzu benötigte er 10 Pfund Grün, 19 Pfund Bleiweiß und 6 Liter Öl). 1898 wird durch Schreiner Bücker aus Telgte die Brücke für 226 Mark erneuert. 29 Maurermeister Gerdemann und Zimmermeister Horstmann aus Telgte legten hierzu im Sommer 1899 Kostenanschläge vor. 30 1903 ließ man die Wetterseite des Gebäudes mit Brettern beschlagen und 1904 wurde das Äußere und Innere des Gebäudes durch den Dekorationsmaler Bernhard Bockmann aufgearbeitet. 401 402 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 31 Die bislang wohl noch in der Eingangsdiele befindliche Koch-Feuerstelle wurde damit zu einem romantischen Sitz- Abbildungsnachweis platz. Die Küche wurde in den östlichen Schlafraum verlegt. Die Arbeiten führte Zimmermeister A. Gerdemann und an- falen: 1, 4, 5 (Kaspar); dere für insgesamt 2 270 Mark aus. 32 1908 wurde die Kellertreppe repariert und das Closett erneuert. Schon im Frühjahr 1909 wurden im Inneren weite- re umfassende Reparaturen ausgeführt (Baugeschäft H. Horstmann/Telgte) und auch 1911 führte man weitere Arbeiten im Inneren des Gebäudes aus. Hierfür erhielt der Dekorationsmaler Bernhard Bockmann aus Telgte 100 Mark. Er brauchte für die Renovierung des Wohnzimmers 20 Rollen Tapete, Bordüren und goldene Dekorationsleisten und für das Fremdenzimmer 14 Rollen Tapete und Bordüren. Andere Räume wurden gestrichen, etwa die Garderobe und das Po- dium in Blau und der Abort in Steinfarbe. Zugleich scheint man einen neuen Schornsteinkopf aufgemauert zu haben. Der Unternehmer H. Horstmann rechnet für seine Arbeiten insgesamt 105 Mark ab, wobei er 400 Zechensteine, 20 Sack Zement und weitere Materialien benötigte. 1916 lieferte der Bildhauer Bernhard Stuchtei aus Münster ein Wappenschild für 30 Mark. 1921 wurde das Innere modernisiert. Die Wände beschlug man mit Rohr und versah sie danach mit einem Gipsputz. Auch das Dach wurde repariert (Firma August Bäumer/Telgte). Die meisten Räume wurden tapeziert, ande- re Wände auch nur gestrichen (Dekorationsmaler Bernhard Bockmann/Telgte). 33 Das Gebäude wurde zusammen mit der umgebenden Gräfte im gleichen Jahr in die Denkmalliste der Stadt Telgte eingetragen. Erneuerung der Dacheindeckung sowie der im Holz weitgehend verfaulten Westfassade (sie wurde neu ver- zimmert) sowie Reparatur der Fenster und der Brücke über die Gräfte (hierzu Zuschuss des Amtes für Agrarordnung). Im Inneren wurde die historische Treppe in der Hausmitte ent- fernt und in den in einen Treppenraum und eine Küche unterteilten östlichen Raum verlegt. Ferner wurden einige Türen versetzt. 34 1848 erhielt er für Gartenarbeit 15 sgr. und 1850 für das Pflanzen und Anlagen 7 Thl. 6 sgr., zudem wurde jemand anderem 7 Thl. für Bäume gezahlt. 1851 wurden seine Pflegearbeiten mit 1 Thl. 10 sgr. verrechnet. 35 Von den Überlegungen und den verschiedenen Planungszuständen zeugt ein umfangreiches erhaltenes Konvolut von Skizzen, Plänen, Bestands- und Pflanzlisten im Archiv der Familienstiftung. LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- Archiv Stiftung Scheffer-Boichorst (Telgte): 2, 3, 6, 7. 403 Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 Fred Kaspar / Peter Barthold Die in den Quellen des 19. Jahrhunderts als „Gut" bezeichnete Anlage wurde in dieser Form erst ab 1764 von dem aus der Münsterschen Oberschicht stammenden und in seiner Heimatstadt als Stiftsherren lebenden Joan Caspar Osthoff geschaffen. Mit der Begründung und speziellen Ausgestaltung des Gutes knüpfte Osthoff an die bis in das Spätmittelalter zu- rückreichende Tradition der Münsterschen Ober- schicht, vor den Toren der Stadt Landsitze zu erwerben, die nicht nur als Kapitalanlage, sondern auch der Standesrepräsentation und zum gelegentlichen Aus- flug oder sommerlichen Aufenthalt der Familie auf dem Land dienten. Die Ländereien der Landsitze wa- ren in der Regel einem Rent- oder Baumeister zur Bewirtschaftung übergeben oder insgesamt verpachtet, wobei die auf dem Gut als Bauern Lebenden den Eigentümern für ihre Besuche einen besonderen Wohnbereich vorhalten und diese dort auch versorgen mussten. Die herrschaftlichen Wohnbereiche auf solchen Gütern wurden in den meisten Fällen als ein kleinerer Anbau an das bäuerliche Wohn- und Wirtschaftsgebäude gestaltet oder aber in einem besonders aufwändigen Bereich innerhalb des Wohnteils untergebracht. Auch Osthoff und seine Nachfolger haben das Gut nicht als ständigen Wohnsitz genutzt, sondern verpachtet. Deutlichster Beleg für die gelegentliche Nutzung durch die Eigentümer ist der hoch gelegene Saalteil, der über eine Freitreppe von außen zu erreichen und mit einer repräsentativen Eingangstür ausgestattet ist. Das Gut dürfte eines der letzten Anlagen dieser Art gewesen sein, die im Umkreis von Münster neu entstanden. Im Unterschied zu den übrigen, in der Regel wesentlich älteren Anlagen konnte sich dieses Gut daher auch nicht mehr mit einem festen Namen verbin- den. So wurde es bis zum 20. Jahrhundert immer nach den momentanen Besitzern zunächst als Gut Osthoff bezeichnet, wurde dann im frühen 19. Jahrhundert Hof Hammer bzw. Offerhaus, später Gut Waldeck und danach Hof Terner genannt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielt der zuvor private Sommersitz über mehrere Generationen hinweg wie auch vergleichbare Anlagen im Umkreis von Münster einen öffentlichen Charakter, da er nun als Kaffeehaus für Ausflügler genutzt wurde.' 1 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der Baugruppe von Osten: rechts das Längsdielenhaus mit späterer Auf- stockung, links das daran angebaute Pächterwohnhaus (Zustand 2010, vor Beginn der Sanierung). 404 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 2 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der Baugruppe von Südosten: im Vordergrund das Pächterwohnhaus mit dem links anschließenden herrschaftlichen Sommersaal (Zustand 2010, vor Beginn der Sanierung). Anlass und Ziel der Untersuchung Die Geschichte des Gutes war bislang ungeschrieben. Weder in der ortsgeschichtlichen Literatur2 noch in der Besitzerfamilie waren hierzu Informationen bekannt. Im Zusammenhang mit der Eintragung der Gebäude in die Denkmalliste der Stadt Münster wur- den daher in den Jahren 2000 und 2001 erstmals Re- cherchen zur Besitzgeschichte durchgeführt.3 Zudem führten Fred Kaspar und Peter Barthold bei der LWLDenkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, eine erste baugeschichtliche Untersuchung des Hauptgebäudes durch, wobei die zugleich entnommenen dendrochronologischen Proben allerdings leider alle ohne belastbare Ergebnisse blieben. Nachdem die seit Längerem vernachlässigte Hofanlage im Jahre 2009 den Besitzer gewechselt hatte und eine Sanierung sowie neue Nutzungen in den Gebäuden vorgesehen waren, sollte die weitere Klärung der Baugeschichte und der Bedeutung der Anlage zur Vorbereitung denkmalpflegerischer Entscheidungen dienen. Nachdem die Bauten im Inneren von den um- fangreichen jüngsten Einbauten und Verkleidungen befreit worden waren, bot sich die Möglichkeit, hierzu notwendige Untersuchungen durchzuführen. Sie erfolgten einschließlich dendrochronologischer Probenentnahme durch Peter Barthold und Fred Kaspar im Februar 2010. Leider blieben auch die hierbei erneut entnommenen dendrochronologischen Proben ohne Ergebnis.4 Zur Geschichte und Anlage des Gutes Joan Caspar Osthoff erwarb die „Kleppelshove" zu einem freien Besitz, eine Stätte, die zuvor vom Dom- kapitel als Grundherren zur Erbpacht ausgegeben worden war.5 Sie lag am östlichen Rand der ehemali- gen Mauritzheide, noch bis um 1800 ein nahezu unbesiedeltes Gebiet östlich von Münster, das weitgehend zur Bauernschaft Werse gehörte.6 Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) hatte man das Gebiet zur Anlage von Heerlagern und als Aufmarschgebiet bei den verschiedenen Belagerungen der Stadt Münster genutzt. Es wird vermutet, dass die beiden im rechten Winkel aufeinander stoßenden, sich lang durch das Gelände ziehenden geraden Gräften, die westlich und nördlich das Gelände begrenzen, noch auf die um 1760 entstandenen Verteidigungsanlagen zurückgehen. In Folge dieser Entwicklungen waren etliche Höfe der Bauernschaft unbewohnt, wurden nicht mehr bewirtschaftet und deren Bauten verfielen. Die Kriegsverhältnisse sind wohl auch der Grund dafür, dass Ost- hoff die wüst gewordene Hofstelle „Kleppelshove" erwerben konnte. Zusätzlich konnte er durch Tausch mit dem Domkapitel einige Ländereien des an der Mauritzheide gelegenen Hofes Riecke hinzuerwerben, sodass er in den Besitz eines genügend großen Gebietes kam, um ein Gut anlegen zu können7. Die bauliche Anlage dürfte aufgrund dieser Nachrichten in den Jahren nach 1764 und vor 1774 ge- Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 schaffen worden sein. Wie aus dem Urkatasterblatt von 1829 hervorgeht, umfasste sie das Haupthaus, ein heute nicht mehr erhaltenes, durch die heutige große Scheune ersetztes kleineres Wirtschaftsgebäude sowie Gräften und Garten mit einem Gartenhaus. Das Haupthaus, ein Teil der Gräfte und die Gartenfläche sind noch vorhanden. Nördlich des Gebäudes hat sich ein Teil einer ursprünglich rechteckigen Gräftenanlage erhalten, die eine Gartenfläche umschloss, nach barocker Art als architektonischer Garten angelegt gewesen sein dürfte und offenbar nur über eine Brücke über den östlichen Gräftenarm zugänglich war. Nach mündlicher Überlieferung stand in diesem Garten bis etwa 1943/44 ein als „Tempelchen" bezeichnetes Garten- haus, das während des Zweiten Weltkriegs durch einen Bombentreffer zerstört wurde. Von ihm stammt angeblich die Wetterfahne, die das Datum 1774 auf- weist und die sich heute auf dem modernen Gar- tenhaus befindet. Heute besteht der Garten aus einer großen Rasenfläche sowie einigen alten Großbäumen und Sträuchern unbestimmten Alters und einem um 1960 erbauten Gartenhaus. Die Einbindung des Gutes in das Straßen- und Wegenetz der Landschaft hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts einschneidend verändert, wobei es durch den Bau des Dortmund-Ems-Kanals und insbesondere durch den Bau der sogenannten Ringbahn in den Jahren um 1920 in eine eher abseitige Situation geriet.8 Zuvor hatte das Gut eine direkte und als Allee sicher- lich auch repräsentativ ausgebaute Zufahrt von der Stadt Münster, die von Südwesten auf die Gutsanlage zuführte und damit den herrschaftlichen Wohnbe- reich in die Ansicht rückte: Diese (namenlose) Trasse ist heute nur noch in Teilbereichen erhalten; sie ver- läuft wenig östlich der Kanalüberführung von der Warendorfer Straße (bei Haus Nr. 271) diagonal bis zur Wienburgstraße.9 Besitzer Joan Caspar Osthoff entstammte einer Familie, die seit Langem zur städtischen Oberschicht gehörte und aus der verschiedene Domherren hervorgegangen waren; er selbst war Kanoniker am St. Martini Stift in Münster.10 Nachdem Osthoff offensichtlich schon früh verstarb, fiel sein erst wenige Jahre zuvor gegründe- tes Gut schon vor 1770 an seine Erbin, die Witwe Eueren, geb. Osthoff (eine Schwester oder Nichte?). Nach ihrem Tod erbten 1806 Ernestine von Plönnies und ihre Geschwister das Gut. Ernestine von Plönnies war seit 1801 mit Lambert Hammer (20. Februar 1763 Haselünne - 19. Mai 1831 Münster) verheiratet, einer 3 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Grundriss vom Erdgeschoss des Hauptgebäudes, Rekonstruktion des Zustandes im frühen 19. Jahrhundert. 405 406 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen für die Neuorganisation der staatlichen Verwaltung und politischen Organisation nach 1800 in Münster bedeutenden Persönlichkeit. Er hatte zunächst im fürstbischöflich-münsterschen Militärdienst gestanden und avancierte bis zum Hauptmann.11 Durch die Heirat mit der jüngsten Tochter seines Vorgesetzten, des Majors Alexander von Plönnies, der aus einer alt- eingesessenen und bedeutenden münsterschen Familie stammte, war Hammer in den Kreis der mün- sterschen Oberschicht aufgestiegen.12 Nach der Auflösung der Regimenter 1802/03 machte er eine Verwaltungsausbildung und wurde 1809 im Zuge der „napoleonischen" Verwaltungsreformen zum Maire (Bürgermeister) von St. Mauritz und 1813 von der preußischen Regierung in der Funktion der bisherigen Unterpräfekten mit der Leitung des Arrondissements Münster beauftragt. 1816 folgte die Ernennung zu- nächst zum kommissarischen, 1819 dann zum ersten Landrat des neu geschaffenen Landkreises Münster. Er behielt dieses Amt, das ebenso wie zuvor als Maire nicht dotiert war und eigene Einkünfte aus einem entsprechend großen Vermögen voraussetzte, bis zu seinem Tod 1831,13 Als Landrat führte er 1824 die Aufteilung der bis dahin zum Gemeineigentum der Bauernschaften gehörenden Marken durch. Hierbei ent- wickelte er selbst den Teilungsplan für die Mauritzheide,14 wobei seiner eigenen Besitzung Gut Osthoff 24 Anteile zufielen. Lambert Hammer hatte seinen ständigen Wohnsitz nicht auf seinem Gut, sondern in der Stadt Münster: Er wohnte zunächst an der König- straße 42, später an der Ludgeristraße, wobei sein Privathaus gleichzeitig als Landratsamt diente. Nach seinem Tod erbte sein Sohn den inzwischen als „Gut Offerhaus in St. Mauritz" bezeichneten Besitz. 1871 wurde das auch als „Gut Hammer" bezeichnete Anwesen von den Erben an die Familie Waldeck verkauft. Es wurde wohl seit dieser Zeit von der Pächterfamilie Meckmann bewohnt. Sie betrieben in dem Haus auch eine öffentliche Kaffeewirtschaft, wozu man den ehemaligen herrschaftlichen Gartensaal umbaute. Noch 1931 befand sich das Gut im Besitz der in Münster lebenden Witwe Elisabeth Waldeck. Später kam es durch Erbgang an die Familie Terner. Die Landwirtschaft wurde weiterhin verpachtet und das Haus nun auch wieder von den Besitzern als Landsitz genutzt, aber nicht ständig bewohnt. Um 1950 ließ man an den Wirtschaftsflügel einen Pferdestall und um 1960 im Garten ein großzügiges Gartenhaus errichten. Nachdem die Nutzung der Anlage durch die Eingentümer aufgegeben worden war, vermietete man den Saal. Um 2008 wurde das Gut von der Erbengemeinschaft Waldeck (Prof. Dr. Rudolf Terner und Miterben) an Sebastian Schneeberger verkauft. 4 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Grundriss vom Obergeschoss des Hauptgebäudes, Rekonstruktion des Zustandes im frühen 19. Jahrhundert. Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 5 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Rekonstruierter Querschnitt durch den zweischiffigen Wirtschaftsteil nach dessen Aufstockung durch eine zusätzliche Lagerbühne. Baubeschreibung Das heutige Haus ist ein baulich komplexes Gebilde, das - obwohl sicherlich erst in den Jahren nach 1764 entstanden - erkennbar aus drei selbstständig errichteten Bauteilen besteht, die wiederum teilweise mehrmals umgebaut worden sind. In der grundsätzlichen Struktur entspricht der Kom- plex einem traditionellen Haupthaus eines Bauern- hofes, insbesondere in der Trennung in ein dem land- wirtschaftlichen Wirtschaften dienenden Längsdie- lenhaus und einem daran anschließenden, der Haus- wirtschaft und dem Wohnen dienenden Wohnteil, hier unter einem guer zum Wirtschaftsteil stehenden Krüppelwalmdach. Als zugleich herrschaftlicher Wohnsitz vor der Stadt erhielt der Wohnteil eine besondere Gestalt und Ausformung: Er besteht aus zwei selbstständigen, aber zugleich errichteten Teilen. Die Entwicklung des Komplexes erfolgte in folgenden Schritten: Um 1764 wurde ein zweischiffiges Längsdielenhaus errichtet. Hierbei verwendete man möglicherweise ein älteres Hausgerüst, dessen Erstverzimmerung wohl 1654(d) erfolgt war. An dieses landwirt- schaftliche Gebäude wurde wohl nur wenig später um 1765 östlich ein zweiteiligerWohnteil unter quergestelltem Krüppelwalmdach angebaut, wobei man den südlichen herrschaftlichen Wohnteil als massiven Flügelbau aus der Baugruppe hervortreten ließ. Im frühen 19. Jahrhundert ist das Wirtschaftsgebäude nach Westen verlängert und zugleich mit einem zu- sätzlichen Speichergeschoss versehen worden (diese Baumaßnahme dürfte im Gefolge der 1824 erfolgten Teilung der gemeinen Mark geschehen sein). Wohl nach dem Besitzwechsel 1871 erfolgte ein eingreifender Umbau der Pächterwohnung und Ersatz ihrer öst- lichen vom Schlagregen besonders betroffenen Längswand aus Fachwerk durch verputztes Back- steinmauerwerk. Die neue Wand und auch die Fassaden des massiven Wohnflügels erhielten eine einheitliche Putzgestaltung. Der ehemalige herrschaftliche Gartensaal wurde nun zu einer Kaffeewirtschaft für Ausflügler aus der nahen Stadt Münster eingerichtet und hierbei mit einer neuen Ausstattung versehen. Um 1900 kam es als Vergrößerung der Pächterwohnung zum Einbau von zusätzlichen Wohnräumen in der Wirtschaftsdiele und Ersatz der südlichen Fachwerkwand des alten Wirtschaftsgebäudes. Um 1950 wurde der Wirtschaftsteil umgestaltet und durch einen Anbau als Pferdestall erweitert. Um 1970 er- neuerte man auch die nördliche Längswand des alten Wirtschaftsgebäudes massiv. Da bislang keine festen Datierungen für die einzelnen Bauteile vorlagen und sich auch keine verlässlichen datierenden Inschriften an den Bauteilen erhalten haben, wurden im Zuge der baugeschichtlichen Untersuchungen auch dendrochronologische Untersuchungen veranlasst, die allerdings bislang ohne Ergebnis blieben.15 407 408 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Das Stallgebäude ehemals Schafscheune von 1654(d)? Das Gebäude besteht im Kern aus einem eingeschossigen Fachwerkbau von zunächst sieben Gebinden. Das Gerüst dieses Gebäudes mit einer Grundfläche von etwa 13x9,50 m war zweischiffig verzimmert, wovon sich allerdings heute nur noch die Dachbalken in ihrer alten Lage erhalten haben, während das Dachwerk durch Aufstockung um 1825 und alle Stän- der im Zuge der verschiedenen Umbauten des 20. Jahrhunderts entfernt worden sind. Im Querverband waren die Ständer der beiden Traufwände und der tragenden Innenwand jeweils zur Gerüstmitte mit gezapften Kopfbändern ausgesteift. Die auf der südlichen Seite befindliche Diele hatte eine lichte Breite von etwa 6,70 m, das nördliche Seitenschiff von etwa 2,20 m.16 Es wird durch mündliche Tradition auf Grundlage heute nicht mehr sicher nachvollziehbarer Belege vermutet, dass das Gerüst aus dem Jahre 1654 stammt und daher um 1764 wiederverwendet und nach hier versetzt worden ist. Hierauf deutet ein heute noch erhaltener Rest einer Inschrift an dem vermutlichen ursprünglichen Torbalken mit der Aufschrift SALUS HUIC DOMUS sowie ein heute an anderer Stelle auf dem Grundstück verwendetes Kopfband (mit der Datierung 1654) hin, das möglicherweise ebenfalls zum Torbogen gehörte. Da Inschriften mit lateini- schen Texten im ländlichen und bürgerlichen Bereich nicht üblich waren, lässt sich vermuten, dass dieses Gebäude im Einflussbereich des Klerus entstand. Vergleichbare zweischiffige Gerüste sind nicht als Gerüste von Bauernhäusern bekannt,17 wohl aber von Schafscheunen. Möglicherweise diente daher auch dieser Bau an seinem ersten Standort als ein Schafstall. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das Gebäude einschneidend verändert worden. Hierbei ging es erkennbar um die Vergrößerung der Kapazitäten an Stallraum und an Lagerfläche. Anlass hierfür könnte daher die ab 1824 durchgeführte Teilung der gemeinen Marken gewesen sein, die zu einer Erhöhung der bewirtschafteten Flächen führten. Möglich ist daher, dass die Bauarbeiten in den Jahren um 1825 durchführt worden sind.18 Auffällig ist, dass man bei Das bestehende Stallgebäude wurde um etwa 2,80 m nach Westen verlängert.20 Konstruktive Details hierzu sind aufgrund der Umbauten des 20. Jahrhunderts, bei denen alle Wände ersetzt wurden, nicht mehr bekannt. Über dem verlängerten Gebäude wurde durchgehend ein zusätzliches Lagergeschoss errichtet. Es erhielt Umfassungswände aus Fachwerk (die in ihrer Ständerstellung dem darunter befindlichen Gerüst folgten) mit einer Riegelkette sowie Fußstreben an den Gebäudeecken und wurde mit Backsteinen ausgemauert. Dieses neue Lagergeschoss erhielt mit einer lichten Höhe unter den Balken von 1,78 m nur eine geringe Höhe. Allerdings blieb die auf den Wandrähmen (im engeren Abstand als bei dem darunter befindlichen Hausgerüst) aufliegende Balkenlage nicht nur ohne einen Belag von Dielen, sondern erhielt auch eine besondere Ausprägung: Nur jeder zweite Balken der insgesamt 12 Dachgebinde wurde zu einem der sieben Hauptgebinde ausgebildet, die große Zugkräfte aus dem Dachwerk aufnehmen mussten. Die dazwischen als Auflager der Sparren liegenden Balken sind in Wechselbalken eingezapft, die in einem Abstand von etwa 0,75 m zu den Traufwänden in die Hauptgebinde gezapft sind.21 Die Sparren stehen im gleichen Abstand wie die darunter befindliche Balkenlage und sind nur durch eine hoch sitzende Lage von Kehlbalken miteinander verbunden. Der Winkel zwischen den Sparren und den Kehlbalken ist zusätzlich durch lange gerade Kopf- bänder ausgesteift. Der Grund für die Verwendung dieser bei Wirtschafts- gebäuden in dieser Zeit insgesamt ungewöhnlichen Konstruktion22 ist offensichtlich darin zu suchen, dass durch den Fortfall der Hälfte der Balken, die fehlende Decke und die hoch gesetzte Kehlbalkenlage große balkenfreie Zonen für die Erntebergung entstanden. Diese im Allgemeinen erst im späteren 19. Jahrhundert bei bäuerlichen Scheunen üblich werdende Bau- weise ermöglichte es bei Fortlassung einer Dielung des Dachbodens, ungedroschenes Getreide hoch aufzustapeln. Um 1900 baute man in das rückwärtige (östliche) Ende der Wirtschaftsdiele zwei Wohnräume ein, die von den beiden Traufseiten her belichtet und von dem Um- und Erweiterungsbau moderne, vom Ingenieurwesen beeinflusste konstruktive Lösungen anwandte, die darauf hindeuten, dass ein geschulter Planer an der Baumaßnahme beteiligt war.19 Hier ist deren Diele aus erschlossen wurden. Sie dienten der beamten zu denken. Bauinspektor Friedrich Wilhelm Müser, der Bauinspektor, der bei der Regierung in wand unterhalb der unteren Balkenlage massiv mit Backsteinmauerwerkersetztworden. Um 1950 errich- Münster für den Hochbau und die Bauaufsicht im tete man vor der südlichen Traufwand einen massiven Landkreis Münster zuständig war, dürfte bei den jährlich zahlreichen öffentlichen Baumaßnahmen (insbesondere für Schulen, Kirchenreparaturen) oft mit dem Bauherrn, dem Münsteraner Landrat Lambert Hammer, zusammengekommen sein. Stallanbau unter eigenem Satteldach, der zur Unterbringung von Pferden diente. Zugleich dürfte die innere Ständerreihe von Fachwerk in dem alten Wirt- schaftsgebäude entfernt und durch eine massive Konstruktion ersetzt worden sein. Hierdurch wurde daher insbesondere an einen ausgebildeten Bau- Erweiterung der nur kleinen Pächterwohnung. Zu- gleich ist das Fachwerk der südlichen Traufwand und des westlichen Vordergiebels sowie im Bereich des neu eingebauten Zimmers an der nördlichen Trauf- Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 die Breite der Stallräume im Seitenschiff erhöht. Ebenfalls zu dieser Zeit23 dürften drei der Hauptbinder der Dachkonstruktion durchtrennt und durch eiserne Anker ersetzt worden sein, womit offenbar eine weitere Erhöhung der Lagerkapazitäten erreicht werden sollte. Dieser konstruktive Eingriff hat zu massiven Schäden geführt, da die neuen Anker ein Ausweichen der nördlichen Traufwand nicht verhindern konnten. Um 1970 ist auch das Fachwerk der nördlichen Traufwand unterhalb der unteren Balkenlage massiv mit verputztem Kalksandsteinmauerwerk ersetzt worden. Das Pächterwohnhaus Das Gebäude wurde als geschossig verzimmerter Fachwerkbau über einer Grundfläche von 9,40x7,90 m errichtet und bei gleicher Breite mit seiner Traufwand vor das östliche Ende des Bauernhauses gestellt (die- ses scheint man in diesem Zusammenhang um ein Gefach verlängert zu haben).24 Das Hausgerüst aus Eiche wurde aus sechs Gebinden mit eingehälsten Balken verzimmert und ist in den Wänden dreifach verriegelt. Im Querverband waren die Ständer mit den. Balken durch Kopfbänder gesichert.25 Die Gefache des Gebäudes wurden mit Backsteinen ausgemauert und offensichtlich schon bauzeitlich verputzt.26 Über den Rähmen des Gerüstes wurde ein Dachgerüst von neun Sparrengebinden aus Eiche mit einer Kehl- balkenlage aufgeschlagen, das nach Norden einen Krüppelwalm erhielt. Die Sparrenpaare stehen heute nicht mehr in dem vom Zimmermann vorgesehenen Verband27 und dürften bei einem einschneidenden Umbau um 1870 abgenommen und neu aufgeschlagen worden sein. Hierbei wurden auch die wohl bauzeitliche Lattung aus Eichenholz (Querschnitt 7/8x4 cm) erneut verwendet (auf der Ostseite erhalten). Das Innere des Gebäudes wird weitgehend von einer im Lichten etwa 5,7 m hohen, bis unter die Balkenlage reichenden Wohndiele eingenommen. Nur in der nordöstlichen Ecke war ein zwei Gefache langer und zweigeschossig aufgeteilter Einbau mit einer lichten Grundfläche von 3,40x4,20 m abgetrennt (die beiden Ständer der inneren Längswand hatten ehemals ebenfalls Kopfbänder zur Balkenlage). Der untere Raum des Einbaus wurde als Stube mit einem Vorderladerofen in der südwestlichen Raumecke ein- gerichtet, wobei der Rauch über ein Rohr - mittels eines erhaltenen Rohrsteins aus Sandstein im Gefach der Wand - auf die hohe Diele abgeleitet wurde. Der Raum darüber scheint zunächst als Lager- oder Speicherraum gedient zu haben, da sich im Nordgiebel an der Stelle eines Fensters zunächst eine Ladetür befand. Das Hausgerüst zeigt im ersten südlichen Gebinde keine Fachwerkwand, was darauf schließen lässt, dass es zugleich mit dem anschließenden, allerdings mas- siv aufgeführten herrschaftlichen Wohnsaal errichtet 6 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der westlichen Hauptfront des herrschaftlichen Sommersaales (Zustand 2010, vor Beginn der Sanierung). wurde. Zudem befindet sich in dem massiv aus Backsteinen aufgeführten Nordgiebel dieses anschließen- den Gebäudes ein (heute weitgehend erneuerter) Schornstein, der den Rauch aus einer großen Herd- feuerstelle der Wohndiele ableitete.28 Nach Besitzwechsel hat man um 1871 das Gebäude einer umfassenden Modernisierung unterzogen. Hier- bei gab man den südöstlichen Bereich der hohen Küchendiele einschließlich des offenen Herdfeuers auf und teilte ihn zweigeschossig auf. Das Herdfeuer und der sicherlich zugehörige, nicht mehr nachweisbare Rauchfang wurden abgebrochen. Die Wand des Einbaus wurde mit schlichtem Fachwerk aus Nadelholz mit Backsteinausmauerung bis zur südlichen Wand verlängert. Vor der südlichen Innenwand des alten Einbaus wurde eine schmale Treppe eingebaut, die das neu geschaffene Zwischengeschoss erschloss. Zudem wurde die östliche Traufwand auf der ganzen Länge aus massivem Mauerwerk erneuert, erhielt Fenster für die neue Geschosseinteilung dahinter und 409 410 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen wurde mit einem Quaderputz versehen. Die Zwischendecke über der vorderen älteren Stube wurde um etwa 0,7 m angehoben; im dem oberen Raum schuf man eine Stuckvoute.29 Der umgestaltete Raum im Erdgeschoss erhielt zunächst ein Fenster in der öst- lichen Wand, das man allerdings zu nicht näher bekannter Zeit zumauerte. Zu nicht genau bekannter Zeit im 20. Jahrhundert hat man auch den noch verbliebenen hohen Bereich der Diele mit einer Zwischendecke aufgeteilt, sodass zwei durchgehende Wohnetagen in dem Gebäude entstanden.30 Der herrschaftliche Gartensaal (um 1765) In der südlichen Verlängerung des Pächterwohnhauses wurde bei gleicher Höhen- und Breitenentwicklung und nach verschiedenen Befunden im Pächterwohnhaus (s. o.) auch zugleich damit um 1765 ein weiterer Bauteil errichtet. Diesen führte man allerdings mit massiven von Backstein aufgemauerten Umfassungswänden aus (sie sind mit etwa 0,48 m Querschnitt 1 !6 Stein stark). Über dem Gebäude wur- de ein Dachwerk aus sieben Sparrengebinden mit einer Kehlbalkenlage aufgeschlagen, wobei das südli- che Gebinde in dem massiv aufgemauerten Giebel eingebunden ist. Das nördliche Gebinde ist in eine geschlossene und mit Backsteinen ausgemauerte Fachwerkwand eingebunden, deren Bundseite nach Nor- den zeigt. Die Wand wird mittig unterbrochen durch ein breites Feld für einen Schornsteinstapel,31 ist aber ohne Krüppelwalmkonstruktion.32 Dieser Bauteil ist in seiner Bautechnik sowie der äuße- ren und inneren Gestaltung deutlich aufwändiger ausgeführt als die beiden übrigen, dem landwirtschaftlichen Betrieb dienenden Bereiche. Er nimmt über einer quadratischen Grundfläche von 7,95x 7,95 m einen herrschaftlichen Wohnbereich auf. Das Gebäude erhielt ein niedriges, mit einer Balkendecke abgeschlossenes Untergeschoss, das nur mit kleinen Fenstern versehen und als Wirtschaftsraum und Keller von der Küche des Pächterwohnhauses erschlossen ist (einen zweiten Zugang gibt es in der südlichen Giebelwand). Darüber befindet sich ein hoher und geräumiger herrschaftlicher Wohnsaal mit einer Grundfläche von 7x7 m (etwa 49 Quadratmeter), der in den drei freien Wänden mit jeweils drei Fensteröffnungen (ihr Abschluss mit Stürzen aus Backstein mit gerundeten Stichbögen) gut belichtet wurde; die mittlere Öffnung des südlichen Giebels ist als Zugang von außen gestaltet und dort durch ein geohrtes aufwändiges 7 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht von Südwesten nach Abnahme des um 1870 aufgebrachten Putzes. Das bauzeitliche Backsteinmauerwerk des westlichen Herrensaales unterscheidet sich stark von dem nachträglich an Stelle des Fachwerks aufgemauerten Mauerwerk am Pächterwohnhaus (2012). Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 8 Münster-St. Mauritz, Werse 17, Gut Werse. Ansicht der westlichen Hauptfront des herrschaftlichen Sommersaales (Zustand 2012, nach Abnahme des nachträglichen Putzes auf den Backsteinwänden). Sandsteingewände betont, wobei in der Mitte des Sturzes eine Kartusche mit einem heute leider völlig verwitterten und nicht mehr erkennbaren Allianzwappen eingearbeitet ist. Dieser „Garten-Tür" ist eine einläufige Freitreppe aus Sandsteinplatten mit geschmiedetem Geländer vorgelegt. In der Nordwand gibt es im westlichen Teil einen zweiten großen Zugang über eine - nicht mehr erhaltene - Treppe von der hohen Küchendiele des Pächterwohnhauses.33 Der Boden des Wohnsaals besteht über der Balkendecke aus breiten, sorgfältig mit eingenuteten Federn ver- bundenen Eichendielen.34 Im östlichen Teil der Nordwand gab es ehemals einen etwa 2,25 m breiten Schornsteinstapel mit einer offenen - nicht mehr erhaltenen - Feuerstätte,35 die allerdings scheinbar nicht als Herdfeuer mit Bosen, sondern als Wandkamin gestaltet war.36 Die Balkendecke wurde offensichtlich schon bauzeitlich mit einer geputzten Spiegeldecke versehen, die eine besondere Gestaltung durch umlaufende, schlicht geputzte Vouten erhielt.37 Wohl nach Verkauf des Anwesens 1871 hat man auch den großen Saal umgebaut, wobei man durch eingestellte dünne Fachwerkwände das nördliche Drittel abtrennte und dahinter zwei kleinere quadratische Räume schuf.38 Der verbliebene größere Raum wurde als eine Kaffeewirtschaft eingerichtet, erhielt eine Stuckdekoration der Decke, ein umlaufendes hölzernes Lambris und in der alten Zugangstür ein neues Türblatt in historistischer Gestaltung. Zu nicht bekannter Zeit wurde der Saal durch einen Windfang vor dem Zugang ergänzt. 411 412 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen Alexander von Plönnies im Jahre 1817 wurde das Anwesen Münster zu nennen, das schon um 1785 zu einem bis heute in Münster 1600-1760. Stadtverfassung, 1 Hier ist insbesondere das Gut Wienburg nördlich von genutzten Kaffeehaus eingerichtet wurde. 2 Ausführlich insbesondere: St. Mauritz. Münster, Westfalen wieder von der Familie verkauft (Marcus Weidner, Landadel Standesbehauptung und Fürstbischof. Münster 2000, S. 728). - neun Jahrhunderte. Münster 1970; Werner Dobelmann, 13 Füser 1966 (wie Anm. 11), S. 320 f. Kirchspiel und Stift St. Mauritz in Münster. Ursprung und 14 Nach: Heinrich Geisberg, Die Anfänge der Stadt Münster. Werdegang eines Stadtviertels in Münster. Münster 1971. Studien zur Geschichte ihrer Entstehung und ältesten Verfas- 3 Durch Josef Lammers/LWL-Denkmalpflege, Landschafts- sung, in: Westfälische Zeitschrift. 47. Münster 1889, S. 1-40, und Baukultur in Westfalen, sowie durch Mechthild hier S. 19. hörde. Beiden sei für die Vorarbeiten gedankt. auch die weitere Probenentnahme am 4. Februar 2010 4 Eine Sondage restauratorischer Befunde nahm am 4. Janu- brachte ebenfalls kein Ergebnis. Die Proben wurden durch ar 2010 Restaurator Beat Sigrist/LWL-Amt für Denkmalpfle- Peter Barthold entnommen und durch das Büro Hans Tisje/ ge in Westfalen vor. Neu-Isenburg ausgewertet. Mennebröcker bei der Stadt Münster/Untere Denkmalbe- 5 In dem Kaufvertrag vom 13. November 1764 in LA NW, Abt. MS, Domkellnerei, Nr. 1987 wird nur von Kleppels Garten gesprochen, ein Hinweis, der den zu dieser Zeit wüst gefallenen Hof erkennen lässt. 15 Sowohl die erste Untersuchung vom Dezember 2000 wie 16 Das Gerüst wurde vom Zimmermann von Osten nach Westen gebindeweise mit römischen Zahlen durchnummeriert. 17 Nicht zu klären ist, ob das Gerüst ehemals eine rechtssei- 6 175 Jahre Schützenverein Werse von 1821. Beiträge zur Geschichte der Bauernschaft Werse. Die Bildstöcke und tige niedrige Abseite hatte und damit ehemals zu einem Wegekreuze. Münster 1996; Heinz Pape, Die Kulturlandschaft des Stadtkreises Münster um 1828 aufgrund der Katasterunterlagen. Remagen 1956 (= Forschungen zur lassen allerdings keinen hierzu gehörenden ehemaligen dreischiffigen Bau mit Dreiständergerüst gehörte. Die Balken Balkenüberstand erkennen. deutschen Landeskunde. 93). 18 Sicherlich erfolgte die Erweiterung vor 1829, da das Gebäude auf dem in diesem Jahr erstellten Urkataster schon die 7 Alle Angaben nach: Werner Dobelmann, 150 Jahre Schüt- heutige Länge zeigt. S. 24-25. 19 Um 1825 ist die gleiche Konstruktion auch an der gleichen Stelle in der ebenfalls zum Kreis Münster gehörenden Scheune von einem Gasthof in Telgte an der Emsstraße 24 8 Für die nur dem Güterverkehr dienende, knapp westlich am Gut vorbeiführende, nord-südlich verlaufende Bahntras- angewandt worden. 20 Hierbei ist allerdings nach Ausweis des noch an der alten zenverein Werse von 1821. Geschichte der Bauernschaft Werse und Beiträge zur Vereinschronik. Münster 1971, se mussten alle historischen Wegetrassen unterbrochen werden. Als neue Erschließung der Region schuf man durch Aus- bau und teilweise Verlegung eines alten Weges die Wienburgstraße, von der aus (unmittelbar neben der Unterführung der Ringbahn) von Nordwesten das Gut einen neuen Zugang erhielt. 9 Auch die weitere nördlich parallel west-östlich zur Warendorfer Straße verlaufende Erschließungsachse der Region ist heute nur noch in Teilabschnitten westlich als Coppenrathsweg und östlich als Werseesch erhalten. 10 Werner Hülsbusch (Hg), 800 Jahre St. Martini. Münster 1980. Darin: Alois Schröer, Aus der Geschichte von St. Marti- ni, S. 65-74 mit Erläuterungen über die Kanoniker. A. Bink- hoff, Dekane und Kanoniker der Kollegiatkirche St. Martini in Münster (Mskr.). Stelle liegenden alten Giebelbalkens nicht der bestehende Giebel verschoben worden. Ob man bei der Erweiterung allerdings das ausgebaute alte Torgestell erneut verwendete, ist bislang nicht untersucht, wird allerdings bislang aufgrund der Inschriftreste vermutet. 21 Eine Unregelmäßigkeit in diesem Gerüst ergab sich dadurch, dass bei insgesamt 12 Gebinden sieben Hauptgebin- de geschaffen wurden und damit zwei Hauptgebinde direkt nebeneinander zu liegen kamen. Da man diese Unregelmäßigkeit nicht vor einem der beiden Giebelfronten in das System einbaute, sondern hierzu das dritte und vierte Gebinde von Osten wählte, kann vermutet werden, dass man hier auch einen inneren Aufzug einbauen wollte. 22 Bislang ist aus dem ländlichen Bereich kein früheres Bei- spiel für diese Bautechnik in Westfalen bekannt. Vergleich- 11 Monika Lahrkamp, Münster in napoleonischer Zeit 1800 -1815. Administration, Wirtschaft und Gesellschaft im Zei- chen von Säkularisation und französischer Herrschaft. bare konstruktive Lösungen waren allerdings schon länger bekannt und können als Vorbilder gedient haben: Hier sind die Unterkonstruktionen von Dachstühlen über den Gewöl- Münster 1976 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster. NF 7/8); Heinrich Füser, Persönlichkeiten ben von Kirchen seit dem Mittelalter ebenso zu nennen, wie etwa große Bansenscheunen auf Gutsanlagen und die Lö- aus der Kreisgeschichte, in: Der Landkreis Münster 18161966. Münster 1966. S. 320 f. 12 Er war der Sohn des Mathias von Plönnies (1738-1814), der 1786 das Anwesen Alter Steinweg 13 in Münster für 4 000 Rthl. angekauft hatte. 1804 wurde dieser Besitz seinen Kindern übertragen. Nach dem Tode von Mathias sungen, die sich noch heute im Siedehaus der Saline Gottes- gabe bei Rheine erhalten haben. 23 Möglicherweise erfolgte der Eingriff allerdings auch schon früher. 24 Erkennbar darin, dass der Balken des ersten westlich anschließenden Gebindes des Bauernhauses ohne Numme- Bauernhof und Landsitz vor der Stadt. Das Gut Werse bei Münster von 1764 Münster-St. Mauritz, Werse 17 rierung blieb - erst das westlich danach folgende Gebinde Abbildungsnachweis: trägt die Nummerierung I - und an der Unterseite Zapfenschlitze (für die ursprüngliche Giebelwand?) aufweist. falen: 25 Das Gerüst wurde durch den Zimmermeister gebindewei- 1, 2 (Kaspar); se mit römischen Zahlen von Süden nach Norden durchnum- 3-5 (Aufmaß Fred Kaspar/Peter Barthold 2010, Reinzeich- meriert. Daher kann vermutet werden, dass die Aufstellung nung Ingrid Frohnert 2012); des Fachwerkgerüstes nach Fertigstellung des südlich anschließenden massiven Wohnteiles von Süden nach Norden 6, 7 (Barbara Seifen). erfolgte. 26 Hierzu hat sich ein wohl bauzeitlicher Befund im obersten Gefach am nördlichen Ende der Westwand erhalten, der erkennen lässt, dass die offene Wand oberhalb der hier bis etwa 1825 anschließenden Dachfläche des Bauernhauses einen groben, sehr sandigen Putz aufwies. 27 Von Nord nach Süd zeigen die Gebinde folgende Nummerierung: III, I, VI, II, II, [erneuert], ohne Nummer. 28 Diese Feuerstelle ist zwar nach 1871 beseitigt worden, lässt sich aber noch an der in diesem Bereich etwa 0,20 m vorspringenden Wand und dem hierin integrierten Kamin aus erhaltenen Resten mit einer Breite von fast 3 m rekons- truieren. 29 Sie weist die gleichen Formen wie die Stuckdecke in dem verkleinerten Saal auf. 30 Hierbei dürften die Kopfbänder unter der Balkenlage zur Gewinnung einer ausreichenden Kopfhöhe auf dem oberen Flur entfernt worden sein; zudem wurde die alte Zugangstreppe zum Saal abgebrochen und durch ein schlichtes, einmal mit schmalem Wendepodest versehene Etagentreppe ersetzt. 31 Heute befindet sich hier ein wohl im frühen 20. Jahrhundert als Ersatz aufgemauerter schmalerer Schornstein. 32 Da die Sparren heute nicht mehr in der vom Zimmermann gekennzeichneten Reihenfolge stehen, dürfte das Dach im Zuge einer Sanierung (um 1870?) abgenommen und erneut aufgeschlagen worden sein. Heute tragen die Sparren von Norden nach Westen folgende Bezeichnungen: (Giebelge- binde), lll, Illi, V, I, II (Giebel). Bei der erneuten Aufstellung sind auf der östlichen Seite auch die alten aus Eiche gesäg- ten Lattungen wieder verwendet worden (mit dem enormen Querschnitt 10x4 cm). 33 Der erhaltene Türstock ist aus Eichenbalken gefügt und mit einer Abfassung an den inneren Kanten. 34 Sie haben eine Breite von etwa 0,40 m (vergleichbar ist auch der gut erhaltene Boden darüber auf dem Dachboden ausgeführt). 35 Die Maße sind noch heute an der Ausnehmung in den bauzeitlichen Dielen des Fußbodens ablesbar. 36 Diese Feuerstelle wurde im frühen 20. Jahrhundert zusammen mit dem breiten besteigbaren Kaminblock abgebrochen und durch einen schmaleren Schornstein ersetzt. 37 Eine anzunehmende farbige Gestaltung der Wände und Decke ist bislang nicht durch Untersuchung belegt worden. 38 Die mittlere Trennwand endet nicht vor dem heutigen Schornstein, sondern deutlich davor und deutet darauf hin, dass zu dieser Zeit die historische Schornsteinanlage mit Kamin bestehen blieb. LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in West- 413 414 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 Fred Kaspar Die Geschichte des Hofes war bislang weitgehend unbekannt und nicht zum Gegenstand historischer Nachrichten zur Geschichte des Hofes Der recht große Bauernhof, der zum Kirchspiel von recht grundherrlich gebundenen „Bauernhof" han- im 14. Jahrhundert Wiggering, später Wiggermann Forschungen geworden. Dies erscheint insbesondere deswegen erstaunlich, weil es sich nicht - wie weitgehend im Münsterland üblich - um einen nach Meier- Everswinkel gehört, war nicht nach Meierrecht grundherrlich gebunden, sondern ein freies Erbe, das als Lehen des Bischofs von Münster galt. Er wurde schon delte, sondern um ein freies Gut. Zudem befindet sich genannt. 1844 genehmigte die preußische Regierung Bauernhaus ein für das Münsterland sehr ungewöhnliches Wohngebäude aus dem späteren 18. Jahrhundert, das zusammen mit allen anderen Hofgebäuden tragte Namensänderung von Wiggermanns Erbe zum auf der Hofanlage als Anbau an das zentrale schon seit 1983 in die Denkmalliste der Gemeinde Everswinkel eingetragen worden ist.1 Mit der folgenden Darstellung wird erstmals versucht, auf der Grundlage einer Erfassung der überlieferten Quellen zum einen die Geschichte des Hofes darzustellen,2 zum anderen die auf dem Hof erhaltenen historischen Gebäude zu dokumentieren und in ihrer Bedeutung einzuordnen. in Münster die - vom damaligen Eigentümer, dem ehemaligen BürgermeisterZumloh in Münster-beanColonat Lohfeld. Erst seitdem trägt der Hof die Be- zeichnung Haus Loh feld. Während auf den zum Hof gehörenden Ländereien noch 1630 keine Kotten standen, wurden 1747 zwei zu dieser Zeit schon länger bestehende und ein weiter, jüngst entstandener Kotten genannt. 1773 hatte sich die Zahl der zum Hof gehörenden Kotten auf vier erhöht. 1 Haus Lohfeld. Ansicht der Anlage von Südwesten im Winter 1900. Das Foto zeigt das herrschaftliche Sommerhaus als Anbau an das Bauernhaus noch ohne die wenig später errichteten seitlichen Anbauten. Das älteste bekannte Bild der Anlage ist offensichtlich von einem durchreisenden Fotografen (am Rand „Velophot Porträt" bezeichnet) angefertigt und den Eigentümern verkauft worden. 415 Vor 1379 wurde Heinrich von Langen durch den Münsteraner Bischof Florenz mit verschiedenen Erben aufgeteilt hatte.7 Hierzu gehörte durch die Hei- rat seiner Tochter auch die Familie Voss.8 Heinrich Voss Gütern belehnt. Darunter befand sich das domum to Wicgerinc in parochia Euerswincle. 1381 wurden die Brüder Heinrich und Hermann von Langen als Inhaber des Hofes genannt. Das hus to Wiggerinch in den kerspel Euerswinkel wird zu dieser Zeit als in der burschap von Lakestyn gelegen bezeichnet.3 Diese wohl im 16. Jahrhundert aufgelöste Bauernschaft Lakesten oder Loxten befand sich im Grenzbereich der Kirchspiele von Everswinkel und Telgte4 und scheint in den beiden benachbarten Bauernschaften Raestrup und Müssingen aufgegangen zu sein. 1420 verkaufte Henrich de Voget aus Warendorf verschiedene Ländereien aus dem Erbe seines Vaters, dem Warendorfer Vogt Wulfhard Vogt (mit Zustimmung seines Bruders Lüdecke Voget), an die Äbtissin von Freckenhorst. Darunter befand sich auch das domum Bernahrdi des Langhen in dem Kirchspiel Everwinkel, das offenbar zuvor aus dem Besitz der Herren von Langen angekauft worden war.5 Der 1498 wieder aus Telgte trat das Erbe vor 1613 an, worüber es lange im Besitz des Klosters.6 1604 wird in einem Erb- Wiggermann mit dem gesamten zugehörigem Land14 sowie den beiden Kotten Eschkämper (heute Müssingen Nr. 4) und Nippstädt (heute Raestrup Nr. 24) und weiteren Ländereien auf dem Rott, auf dem zuvor der Kotten Haverkamp (Müssingen Nr. 18) errichtet worden sei, sowie einem Kirchensitz und einen Begräb- Wiggermann genannte Hof blieb allerdings nicht streit deutlich, dass der Hof Wiggermann mit weiteren Höfen zum Erbe des zu dieser Zeit schon verstorbenen Everhardt von Langen auf dem im Kirchspiel Everwinkel liegenden Haus Köbbing (ein Lehen des Stiftes Freckenhorst) gehört hatte, das er unter seinen ebenfalls zu einem lange währenden Erbstreit kam.9 Hierdurch gelangte der Hof ebenso wie die zwei benachbarten großen Höfe10 zum Besitz der in Telgte ansässigen Adelsfamilie von Voss. 1630 wird der Hof als Wiggermanns Erbe genannt11 und 1665 als wüst bezeichnet, dürfte also gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges von den Pächtern verlassen worden sein. Auch 1668 gehört Wiggermanns Erbe den Herren von Voss zu Telgte.12 Nachdem die Familie Voss im späten 17. Jahrhundert ausgestorben war, verkauften ihre Erben die ererbten Güter im Jahre 1702 an Franz Wilhelm von Galen, Erbkämmerer des Bistums Münster. Das Erbe Wiggermann gelangte wenig später von diesem auf bislang nicht bekanntem Wege an die Telgter Familie Evens. 1747 verkaufte Christina Elisabeth Baumhove, Witwe des Nikolaus Ferdinand Evens zu Telgte,13 im Namen ihrer Miterben den alloden (d. h. freier) Besitz Hof 2 Haus Lohfeld. Ansicht der umgräfteten Gesamtanlage von Süden um 1903: zentral die Längsfront des von der vorbeifüh- renden Straße zurückgesetzten Längsdielen-Bauernhauses mit dem westlich anschließenden Sommerhausanbau (links). Diesem vorgelagert eine Gartenanlage (Ausschnitt aus einem 1903 entstandenen Gemälde des Malers Riebel im Besitz der Familie). 416 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen nisplatz in der Kirche zu Everswinkel für 3 710 Rthl. an die Gebrüder Dütting in Münster: Käufer waren Hermann Heinrich Dütting, Kanoniker in Collegio ad fontem salientem, das Frater-hauß genannt15 und der Doktor beider Rechte Arnold Henrich Dütting, der in Münster auf dem Bült lebte. Seit 1747 befand sich der Hof dann durchgängig im Besitz von Bürgern, die in Münster lebten und den verpachteten Hof auch als ihren Sommersitz nutzten: 1756 werden als Eigentümer des Hofes Hermann Heinrich Dütting und seine Schwägerin, die Witwe Dr. Dütting genannt, 1762 aber nur noch Maria Catharina Poll, Witwe von Dr. Arnold Dütting. Nach ihrem Tode verkauften 1773 die erbenden Töchter Catharina Elisabeth Eickholt,'6 geb. Dütting, mit ihren sie- ben Kindern sowie Anna Elisabeth Temme, geb. Dütting) den Hof mit den zugehörigen vier Kotten17 für 3 400 Rthl. an Theodora Martha Cormann,18 Witwe des Hofkammerrichters Christoph Anton Buchholtz (starb 1769) in Münster.19 Erbin wurde vor 1782 ihre Tochter Maria Magdalena Elisabeth Buchholtz (19. Mai 1746-13. September 1781), seit 1769 verheiratet mit dem Juristen Johann Anton Theodor zur Mühlen (27. Februar 1742-1. Dezember 1791). Zunächst Hofkammerrat, stieg er bis zum Landrentmeister des Fürstbistums Münster auf. Das Ehepaar zur Mühlen lebte in Münster20 in einem großzügigen, von ihnen 1779 angekauften und danach erneuerten Haus an der Mauritzstraße 23.21 Nach dem frühen Tod beider Eltern wurde 1791 ihr Sohn Franz von Zur- mühlen (1774 Münster-2. Februar 1825) Erbe sowohl des Hofes in der Stadt Münster wie auch des freien Erbes Wiggermann. Er bezeichnete sich daher 1803 auch als „Gutsbesitzer".22 Auch er bekleidete hohe Ämter: 1802 war er bei einem jährlichen Gehalt von fast 1 700 Rthl. Offizial und Vizekanzler des Geheimen Rates im Fürstbistum Münster.23 1818 wurde der im Wert nun auf 8 590 Rthl. geschätzte Hof in einer Erbteilung mit Dr. Caspar zur Mühlen (10. Januar 1777-2. Dezember 1859) dessen Schwester Ernestine Theodora zur Mühlen zugeschlagen,24 verheiratet mit Franz von und zur Mühlen25. Dieser war Bürgermeister des Bezirks Roxel (heute Stadtteil von Münster) und Besitzer von Haus Ruhr bei Senden-Bösensell (Kr. Coesfeld), wohnte aber in Münster. 1826 verkaufte dessen Witwe Theodora von und zur Mühlen26 Wiggermanns Colonat in der Bauernschaft Müssingen Nr 5 für 5 000 Thl. innerhalb der angeheirateten Verwandtschaft an Kaufmann und Leinenhändler Bernhard Christian Zumloh (1. November 1769 Warendorf-14. Februar 1845 Münster) in Münster und dessen Ehefrau Maria Anna Zurmühlen (8. November 1773 Münster-22. März 1842 Münster). Er war zeitweilig bis 1821 auch Mitglied des Magistrats der Stadt Münster und Bürgermeister.27 Zugehörig zu dem Hof waren zu dieser Zeit drei Kotten und das Obereigentum an dem Eschkotten.28 Der Hof hatte ein Wohn- haus, zwei Schoppen, ein Backhaus und einen Kirch- stuhl in der Pfarrkirche zu Everswinkel. 1829 und 1832 wird der Bürgermeister Bernhard Christian Zumloh in Münster als Besitzer des Hofes genannt.29 Die neuen Eigentümer ließen zunächst umfangreiche Er- neuerungen an den Bauten durchführen und 1832 wurden dem Hof bei der Teilung der Gemeinheit Große Heide weitere Flurstücke zugewiesen. Nach dem Tod der Eltern wurde ab 1846 Erbe ihr jüngster Sohn Andreas Martin Zumloh (*11. November 1815). Er bezeichnete sich fortan als Ökonom Andreas Zumloh zu Lohfeld bzw. ab 1861 als Andreas Zumloh in Dorsten.30 Mit Urkunde vom 5. März 1864 übertrug er das Gut seinem Sohn Louis Zumloh, wobei er seiner Frau Lina geb. Wilkes ein lebenslanges Wohnrecht mit Verpflegung auf dem Hof und einem jährliches Taschengeld von 200 Mark zusicherte.31 Auf dieser Grundlage lebte sie als Witwe noch 1896 auf dem Hof. Ab dem Winter 1870/71 wurde der Hof nicht mehr verpachtet, sondern von Louis Zumloh fortan selber bewirtschaftet, der sich daher nun als Ökonom auf Lohfeld bezeichnete. Er heiratete 1874 Franziska Schulze Bockholt, die als Mitgift aus einer früheren Ehe den benachbarten Hof Wegmann32 zu den bewirtschafteten Ländereien beibrachte.33 Nach seinem frühen Tode vor 1886 wurde der Hof von ihrem Sohn Bernhard Ludwig Zumloh übernommen, nachdem dieser seiner Mutter 1887 in der Stadt Telgte an der zu dem soeben neu eröffneten Bahnhof führenden Straße ein Wohnhaus (Bahnhofstraße 31) als ihren Alterssitz hatte errichten lassen.34 1 891 lebte Gutsbe- sitzer Ludwig Zumloh mit Familie sowie seiner Großmutter auf dem Hof. Nach dem frühen Tod des Ehepaares Zumloh wurde das Gut Lohfeld im Jahre 1900 durch Rentmeister Schütte in Münster verwaltet, der es spätestens seit dem Frühjahr dieses Jahres zum Verkauf anbot. Mit Datum35 vom 21. Dezember 1900 wurde der gesamte Hof mit 188 Morgen Land und anderen Zubehörungen (darunter auch das noch bis nach 1909 von der Witwe Zumloh bewohnte Wohnhaus in der Stadt Telgte) von den Vormündern der fünf minderjährigen Kinder36 des verstorbenen Ehepaares Zumloh für 66 500 RM an die Familienstiftung Scheffer-Boichorst verkauft37 und von dieser danach an ihren Vertreter Fritz Scheffer-Boichorst (18651931) für 500 Mark jährlich verpachtet.38 Nachdem dieser 1904 geheiratet hatte, wurde für ihn das auf dem Hof stehende Wohnhaus zunächst renoviert und dann nach mehrjähriger Planung in den Jahren 1907/08 wesentlich erweitert. Die bewirtschafteten Flächen des Hofes wurden von der Stiftung zudem in diesen Jahren durch Zukauf weiterer Grundstücke in der Umgebung ergänzt, darunter der Aulickskotten39 und 1910 für 1400 Mark Land des Anwesens Röttgermann.40 Nachdem Fritz Scheffer-Boichorst schon früh starb, wurde der Hof zunächst von seiner Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 3 Haus Lohfeld. Giebel des Bauernhauses von 1827. Zustand um 1910. Witwe Clara, geb. Friedrich (1883-1946), weiterge- führt und dann ihrem Sohn Reinhard Scheffer- Boichorst (1908-1997) übergeben. Er war ebenfalls Emonitor der Familienstiftung Scheffer-Boichorst und betrieb die Landwirtschaft des Hofes bis zum Jahr 1960. Danach wurde sie verpachtet. Reinhard Scheffer-Boichorst ließ sich eine neue kleinere Wohnung in einem Anbau einrichten, sodass die bisherige Wohnung mit den Stallungen an den Pächter vermietet werden konnte. Pächter des Hofes und Pachtbedingungen Als freies Eigentum wurde der Hof - wie im Münsterland üblich - von den Eigentümern einem Bauern in Pacht zur Bewirtschaftung übergeben. Die Namen der als Wiggermann bezeichneten Pächter sind für die Zeit vor 1762 nicht bekannt. In diesem Jahr wurde der Hof neu an Henrich Haverkamp aus der Bauernschaft Raestrup verpachtet. Zugehörig zum Pachtgut war nach dem Pachtvertrag das dort erbaute Haus sambt dem garten, schaafstal und plaggenmath [...] Mit Ausnahme der zwei hintersten Zimmer, die sie für sich und ihren Gebrauch ein- und unterhalten wollen. Der Pächter habe das Haus in guten Stand zu halten. 1773 wurde der Hof an Anton Brockmann, jetziger Zeller Wiggermann verpachtet, wobei der Pachtvertrag gleichlautend mit dem 1762 abgeschlossenen Vertrag war. 1782 wurde Wiggermanns Erbe an Johann Franz Wilhelm Achtermann aus dem Kirchspiel Alverskirchen und seine Braut Anna Gertrud Marfort auf Lebenszeit ihrer Kinder (d. h. für zwei Genera- tionen) verpachtet.41 Zugehörig zum Pachtgut waren Wohnhaus mit Schoppen und Schafstall sowie ein Backhaus und ausgenommen blieben wiederum die beiden hintersten Zimmer und Stallung für die Pferde im Backhaus. 1815 wurde als Pächter von Wiggermanns Colonat statt Johann Franz Wilhelm Achtermann dessen Sohn Bernhard Theodor Achtermann als Nachfolger angenommen. Die Pachtzeit blieb auf vier Jahre begrenzt. Von der Pacht wiederum ausgenommen waren die beiden hintersten Zimmer Im Haus und die Stallung für vier Pferde im Backhaus. Die Pachtsumme bis 1827 betrug 36 Thl. jährlich und umfasste auch die drei zum Hof gehörenden Kotten. 1829 wurde als Pächter Achtermann, gnt. Wiggermann verzeichnet. 1858 wurde das Gut Lohfeld für 12 Jahre an den Öko- nomen Johann Große Lackmann aus Buer verpachtet. Ausgenommen wurde das sogenannte Herrenhaus, der unter dem Backhaus gelegene Keller, der oberste Boden, wo die Glocke hängt, die zwei mittleren Scheunen und eine daneben befindliche Bedienstetenstube. Große Lackmann zog allerdings schon 1862 aus nicht bekannten Gründen wieder ab und lebte fortan in Wolbeck. In seinen Pachtvertrag trat ein Herr Barthels für 260 Mark jährlich ein. Nach Auslauf des Pachtvertrages im Herbst 1870 wur- de der Hof von den nunmehr dauerhaft dort leben- den Besitzern selber bewirtschaftet und bewohnt. Erst von 1960 bis 1975 verpachteten die weiterhin hier lebenden Besitzer die Landwirtschaft wieder an Herrn Ruch. Seitdem werden die Ländereien nicht mehr vom Hof aus bewirtschaftet, sondern in Teilflächen an umliegende Höfe verpachtet. 417 418 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 4 Haus Lohfeld. Straßenansicht der Gesamtanlage von Nordosten. Im Vordergrund das Bauernhaus von 1827 mit dem rück- wärtig anschließenden Sommerhaus, rechts davon das Wirtschaftsgebäude (Brauhaus und Scheune) von etwa 1830 (um 1930). Zur Anlage des Hofes Die Hofanlage ist heute von einer inzwischen stark wurde die bisherige östlich am Hof vorbeiführende die eigentliche Hofstelle gefasste Gräftenanlage kleine Straße durch die Amtsverwaltung Everswinkel als Chaussee ausgebaut42 und schließlich 1891 mit Ausnahme der Passage durch den Wald mit Obstbäumen bepflanzt. Nur die letzte kurze Strecke vor dem Bahnhof (zur Telgter Bauernschaft Raestrup gehörend) erhielt eine Bepflanzung mit Ulmen. Nördlich parallel zum Bauernhaus und als nördliche Grenze des Wirtschaftshofes stand bis in das 19. Jahrhundert ein Wirtschaftsgebäude (1826 werden zwei Der eigentliche Hofplatz liegt im Südosten der Wohnteil des Haupthauses ein kleines Nebengebäude als Hauptgebäude des Hofes bestimmt, wobei der Wirtschaftsgiebel mit seiner Toreinfahrt nach Osten weist. Von dieser Seite dürfte der Hofplatz auch seit Langem von einem kleineren örtlichen Weg von Haupthaus wurde um 1774 ein Sommerhaus für die in Münster lebende Besitzerfamilie angebaut, das sich verlandeten Gräftenanlage umgeben. Diese wird von dem an der Nordseite vorbeiführenden Bachlauf versorgt. Die regelmäßige, rechteckige und weitläufige Anlage, die auch weite Gartenflächen südwestlich des Wohngebäudes einschließt, dürfte in dieser Gestalt wohl erst im 18. Jahrhundert entstanden oder neu gestaltet worden sein und könnte eine ältere, enger um ersetzt haben. Schoppen genannt), während südlich neben dem Gräftenanlage und wird durch das große Bauernhaus stand, das wohl als Speicher mit Backofen diente (1826 als Backhaus bezeichnet). Westlich an das Everswinkel nach Norden erschlossen gewesen sein, der weiter nördlich auf den alten Münsterweg von Münster nach Warendorf stieß. Diese historische Erschließung der Hofanlage sollte sich durch den Bau der Chaussee Telgte-Warendorf im Jahre 1832, der dieser seit 1886/87 folgenden Eisenbahnstrecke und dem wenig nördlich des Hofes angelegten Bahnhofes Raestrup-Everswinkel wesentlich ändern. 1890/91 auf drei Seiten zu den recht weitläufigen Gartenanlagen innerhalb des Gräftenringes öffnete. Alle landwirtschaftlichen Gebäude sind im 19. Jahrhundert abgebrochen und durch Neubauten ersetzt worden, wobei statt der Scheune und dem Stall ein vielen Zwecken dienender Neubau entstand, der den Hofplatz westlich von dem westlich anschließenden Gartengelände abschirmte. Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 5 Haus Lohfeld. Giebel und anschließendes Bauernhaus nach den Erneuerungen 1955 und 1984 (Zustand 2011). Das Bauernhaus (von 1827) Das Wohn- und Wirtschaftsgebäude als Hauptge- bäude der Hofanlage ist nach Hinweisen in den Schriftquellen nach Besitzwechsel des Hofes im Jahre 1827 völlig erneuert worden.43 In der Stellung auf dem Hofplatz und in der Größe dürfte es allerdings dem schon zuvor bestehenden Pächterhaus entsprochen haben, da man das neue Gebäude wiederum an das schon seit um 1774 bestehende herrschaftliche Sommerhaus anbaute und dieses mit einer bis heute erhaltenen und zum Sommerhaus gehörenden massiven Brandwand gegen das Bauernhaus abgeschlossen ist.44 Das erneuerte Pächterhaus errichtete man in der traditionellen Form eines Längsdielenhauses mit Vierständergerüst unter steilem Satteldach über einer Grundfläche von 18,90x13,80 m: Das Hausgerüst mit eingehälsten Balken wurde über einem Schwellenkranz aus Sandsteinblöcken aus Eichenholz verzimmert, in den Umfassungswänden dreifach verriegelt und mit langen Fußstreben ausgesteift. Entsprechend den Vorstellungen der Zeit erhielt der Wirtschaftsgiebel mit dem mittleren Torbogen zur Einfahrt auf die Diele (ohne Vorschauer) keine Vorkragung des mit ausgemauertem Fachwerk verzimmerten Giebeldreiecks und ist im oberen Drittel abgewalmt. Seitlich der Diele schlossen sich die üblichen schmale- ren zweigeschossigen Stallbereiche an (sie sind nicht mehr erhalten und in ihrer Detailausbildung nicht bekannt). Der rückwärtige Teil des Hauses wird von einer hausbreiten Küche mit beidseitigen hohen Luchten eingenommen, wobei die Luchtbalken von geschweiften Kopfbändern getragen werden. Die Herdstelle der Küche befindet sich in der Mitte der Wand des dahinter befindlichen Wohnhauses und ist in für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts typischen Formen gestaltet: Die Herdwand besteht aus einer Rahmung aus Sandsteinplatten mit seitlichen Kragsteinen für den Hahlbaum und ist von einem großen aus Fachwerk gezimmerten Bosen mit abgeschrägten Ecken überspannt. Diese den Mittelpunkt des Hauses bildende Herdstelle wird beidseitig begleitet von Verbindungstüren zum erdgeschossigen Saal des angebauten Herrenhauses. Die Herdküche wurde von bei- den Traufseiten des Hauses belichtet und zum Wirtschaftsteil schon bauzeitlich von einer durchgehenden Fachwerkwand begrenzt. Der Wirtschaftsteil reichte allerdings mit den die Diele begleitenden schmalen Stallseitenschiffen nicht bis zu dieser Wand. Zwischen den Ställen und der Herdküche gab es einen Bereich, der zu breiten seitlichen Wohnräumen und einem mittleren Flur aufgeteilt war, wobei der Flur die 419 420 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Verbindung zwischen der Diele und der Herdküche herstellte. Zur Erschließung des Flures gibt es von der Herdküche eine breite Tür, deren beide Flügel im oberen Bereich verglast sind und daneben jeweils ebenso gestaltete einflügelige Türen zu den beiden seitlichen Tiefställen mit einem kleinen Tor. Hierbei gestaltete man die Giebelfront mit Klinker ausgemauertem Fachwerk in Formen heimatverbundener Bauformen. In der Mitte der nördlichen Traufwand entstand ein neues Tor zu einer kurzen Quer-Wirtschaftsdiele. Wohnräumen. Diese dürften der den Hof bewirtschaftenden Pächterfamilie gedient haben. Nach- Am 11. November 1983 brannte der Dachstuhl über dem Wirtschaftsteil erneut teilweise ab und wurde danach im Frühjahr 1984 neu verzimmert. die trennende Fachwerkwand an den Luchtbalken anblattete. Die Herdküche wurde 1907 und 1955 im Zu- Das Sommerhaus oder „Herrenhaus" (von 1774d) Vor dem westlichen Giebel des bäuerlichen Haupt- träglich vor 1900 wurde linksseitig (südlich) von der großen Küche ein Esszimmer abgetrennt, wobei man sammenhang mit Umbauten des Herrenhauses modernisiert. Das Bauernhaus erhielt am Wirtschaftsgiebel südlich einen niedrigeren Anbau unter eigenem Satteldach. Er dürfte als zusätzlicher Stall gedient haben und ist 1956 im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Brand abgebrochen worden. Nach einem Brand im Herbst 1955 erneuerte man den gesamten Bereich der Wirtschaftsdiele einschließlich des östlichen Wirtschaftsgiebels im Frühjahr 1956 nach Plänen des Warendorfer Architekten Theodor Altefrohne45 in den bestehenden Proportionen durch das Bauunternehmen W. Brandhofe in Warendorf.46 Hierbei erhielt das Gebäude nun massive, mit Klinker verkleidete Umfassungswände und einem inneren Traggerüst aus Beton. Statt Längsdiele mit Dielentor schuf man nur noch einen Futtergang zwischen hauses steht ein zweigeschossiger und massiver Anbau. Dieser wurde nach verschiedenen Quellen in der Tradition Münsteraner Bürger als durch sie genutztes Sommerhaus errichtet. Nach den überlieferten Pachtverträgen, die die Eigentümer des Hofes mit dem diesen bewirtschaftenden Pächtern abschlossen - stand ebenso wie bei anderen vergleichbaren Höfen - ein Teil der im Haus vorhandenen Wohnräume nicht den Pächtern zur Nutzung zur Verfügung; diese blieben als eine eigenständige Wohnung den Eigentümern vorbehalten. Schon in Pachtverträgen von 1762 und 1773 sind die zwei hintersten Zimmer des Bauern- hauses zum Gebrauch der Vermieter vorbehalten. Das bis heute erhaltene Sommerhaus scheint demnach eine schon zuvor bestehende Sommerwohnung an gleicher Stelle ersetzt zu haben. Sie dürfte wesentlich 6 Haus Lohfeld. Zustand des Sommerhausanbaus von um 1774 nach Ausbau zum Wohnhaus 1908. Die zeitgenössische Postkarte wurde von der Familie der Bewohner verschickt und zeigt ihr Haus inmitten einer aufwändigen sommerlichen Gartenanlage. Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 7 Haus Lohfeld. Zum Wohnhaus erweiterter Sommerhausanbau von um 1774 aus Nordwesten (Zustand 2010). einfacher gewesen sein und aus Räumen im Kammer- fach des Hauses bestanden haben. Auch 1782 blieben wiederum die hintersten Zimmer des Bauernhauses (nun in dem erneuerten Sommerhaus) von der Verpachtung ausgenommen, ferner auch Stallung für die Pferde im Backhaus. Diese Formulierungen lassen erschließen, dass die in Münster lebenden Verpächter zur längeren oder kürzeren Nutzung ihrer an das verpachtete Bauernhaus angebauten Sommerwohnung mit einer Kutsche anreisen wollten. Auch ein neuer Vertrag mit den Pächtern aus dem Jahre 1815 lautete entsprechend, wobei nun angegeben wird, dass die Stallung für vier Pferde ausreichen würde. Entsprechende Formulierungen tauchen zum letzten Mal in einem Pachtvertrag aus dem Jahre 1858 auf, wobei nunmehr statt von den beiden Räumen von dem sogenannten Herrenhaus gesprochen wurde. Ferner beanspruchte die Herrschaft nun auch einen in dem Backhaus befindlichen Keller sowie den obersten Boden, wo die Glocke hängt, ferner auch einen Teil der Scheune (wohl für Kutsche und Pferde) und auch die daneben befindliche Gesindestube (diese sicherlich für die mitreisenden Bediensteten). Erst nachdem ab 1870 der Hof nicht mehr verpachtet, sondern durch die Eigentümer selber bewirtschaftet wurde, stand wohl auch das Herrenhaus in ihrer kontinuierli- chen Nutzung. Da zu dieser Zeit über mehrere Jahrzehnte neben der Familie des Inhabers auch dessen verwitwete Mutter auf dem Hof lebte und sie dort nach Erbschaftsverträgen versorgt werden musste, kann vermutet werden, dass man das ehemalige Herrenhaus nunmehr als ihre abgetrennte (Altenteiler-) Wohnung nutzte. Sowohl die Bauzeit des Gebäudes wie auch die Bauherren sind bislang nicht durch archivalische Nachrichten oder eine Inschrift mit Datierung am Gebäude bekannt geworden. Zur weiteren Klärung der Bauzeit wurde 2012 eine dendrochronologische Untersuchung des im Dachwerk verbauten Holzes vorgenommen.47 Hierbei konnte als wahrscheinliche Zeit für die Aufrichtung der heutigen Dachkonstruktion das Jahr 1774 ermittelt werden. Da die architektonischen Formen für eine Errichtung nach der Mitte des 18. Jahrhunderts sprechen, dürfte es sich um das Baudatum handeln. Da die später als Herrenhaus bezeichnete Wohnung nach Aussage älterer Pachtverträge aber schon spätestens 1762 vorhanden war, dürfte der errichtete Neubau der Verbesserung der herrschaftlichen Wohnverhältnisse gedient haben. Der Neubau erfolgte unmittelbar nach dem Verkauf des Hofes im Jahre 1773. Als Bauherrin wäre demnach die Witwe des Hofkammerrichters Buchholz in Münster anzu- 421 422 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen nehmen. Ob sie den Neubau für ihren Schwieger- sohn, den Hofkammerrat und späteren Landrentmeis- ter Johann Anton Theodor zur Mühlen, in Münster durchführte oder dieser selber der Bauherr war, ist nicht zu klären. Das 1774 in der bis heute überlieferten Form entstandene Sommerhaus wurde in überlieferter Weise, allerdings in ungewöhnlicher Gestaltung an der Stelle des zu erschließenden, hier zuvor vorhandenen Wohnteils als westliches Ende des Fachwerk-Bauernhauses errichtet: Der Neubau unterschied sich nicht nur in der Bautechnik vom Bauernhaus, sondern setzte sich auch in seinen Proportionen und seiner Gestalt deutlich davon ab. Man erstellte einen zweigeschossigen und verputzten Bau von Backstein über einem hohen Sockel (darunter ein Keller mit nicht mehr erhaltener gewölbter Decke). Der Bau einer Länge von 9,20 m erhielt mit einer Breite von 8,10 m eine deutlich geringere Breite als das Bauernhaus. Das westliche, dem Garten zugewandte Ende gestaltete man durch abgeschrägte Ecken mit gebrochenem Grundriss und gab ihm damit eine Form, wie sie Gartenfronten zu dieser Zeit moderner herrschaftlicher Häuser hatten. In bei- den Stockwerken erhielt der Bau in den seitlichen Wänden jeweils zwei Fenster und an den drei westlichen Stirnseiten jeweils ein Fenster (in der Mitte der westlichen Stirnwand stattdessen eine Gartentür). Alle Öffnungen erhielten Gewände aus breiten Blöcken von Baumberger Sandstein. Das abgewalmte Dach wurde aus starken, teilweise zweitverwendeten Eichenbalken mit einer Kehlbalkenlage verzimmert und erhielt eine Eindeckung mit Tonpfannen. Über allen Fenstern der Fassaden erhielt es Gaupen.48 Entsprechend der nach Westen abgeschrägten Ecken nahm der Bau in jeder Etage nur einen Wohnsaal mit sechs oder achteckiger Grundrissfläche auf. Der Boden des Erdgeschosses befand sich etwa 0,50 m über dem Erdboden, sodass der Eingangstür vom Garten mehrere Stufen vorgelegt waren. In der Ostwand der beiden Wohnräume wurde jeweils ein offener Wandkamin eingebaut, der den gleichen Schornsteinblock wie das Herdfeuer des östlich anschließenden Bauernhauses nutzte. Der Kamin in dem achteckigen Erdgeschossraum erhielt eine sandsteinerne Einfassung in spätbarocken Formen. In die beiden diesen flankierenden dreieckigen östlichen Zwickelräume führten ehemals Türen, durch die die Flettküche des Bauernhauses erreicht werden konnte. Der Raum des Obergeschosses erhielt östlich gegen die Brandwand zum Bauernhaus keine dreieckigen Abmauerungen, aber ein umlaufendes niedriges, sorgfältig aus Rahmen und Füllungen geschreinertes Lambris (es ist heute nur noch unter den Fenstern erhalten, wo es kleine Wandschränke in den Fensternischen verdeckt). Der Zugang zu diesem Raum erfolgte über eine Tür auf der Nordseite des Kaminblocks, die über eine offen in der Herdküche des Bauernhauses verlaufen- de Treppe erschlossen war. Durch mehrere Umbauten im Laufe des 20. Jahrhunderts sind allerdings alle weiteren Details (etwa die Gestaltung der Decken) verändert.49 Sowohl im Dachboden des Herrenhauses wie auch des Bauernhauses über der Flettküche sind spätestens mit dem Neubau des Bauernhauses im Jahre 1827 mehrere bis heute in Resten erhaltene Kammern eingebaut worden.50 Beispiele für ovale oder achteckige, aber immer aus den Gartenfronten hervortretende Gartensäle lassen sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in und um Münster mehrfach nachweisen.51 Als Vorbilder dienten den Bauherren wohl in erster Linie französische Landhäuser, die Interessierten durch mehrere weit verbreitete Tafelwerke bekannt waren.52 Bemerkenswer- te Beispiele dieser Bauten mit einem sog. „gefaltetem Mittelrisalit" als Zeichen des wichtigen Bezugs zwi- schen Gartensaal und Garten aus dem Raum Münster sind die Orangerien bei Schloss Tatenhausen (1751) und Schloss Eggersmühlen (um 1754), die alle von dem Münsteraner Architekten Joh. Conrad Schlaun (1695-1773) geplant worden waren. Gleiches zeigt sein eigenes 1753 errichtetes Wohnhaus in Münster und 1754 entstand nach seinen Plänen auch ein entsprechendes Sommerhaus der Familie Schücking in Sassenberg bei Warendorf. Das auf dem Hof Wig- gering wohl in Nachfolge solcher Beispiele 1774 errichtete kleine Sommerhaus erhielt jedoch im Gegensatz zu den Vorbildern eine völlig auf den Kern eines ländlichen, auf einen Garten ausgerichteten Besuch reduzierte Struktur und besteht daher nur aus dem Gartensaal mit gebrochener Fassade. Möglicherweise stammt der Entwurf vom Nachfolger Schlauns, dem Münsteraner Oberbaudirektor Ferdinand Lipper (1733-1800). Er war für den Ausbau des Münsteraner Schlosses zuständig, wobei er mit dem Hofkammerrat Zurmühlen zusammen gearbeitet haben muss.53 Die Reduktion des Hauses auf den Gartensaal selber dürfte weniger mit dem möglicherweise nur begrenzt zur Verfügung stehenden Kapital der Bauherren Zusammenhängen, sondern den speziellen Reiz deutlich werden lassen, der mit dem ländlichen Aufenthalt verbunden war: Das „Sommerhaus" bestand nur aus einem einzigen herrschaftlichen Wohnraum mit direk- tem Zugang zum Garten und einem ebenso großen Raum darüber, der wohl als herrschaftlicher Schlaf- raum gedient hat.54 Dessen Zugang kann nur über die hohe ländliche Küchendiele des unmittelbar anschlie- ßenden Bauernhauses erfolgt sein, die auch der Essenszubereitung gedient haben muss und ebenso Zugangsraum war. Da diesem „Sommerhaus" jegliche Wirtschafts- und Nebenräume fehlten, war eine enge Verbindung mit der traditionellen ländlichen Lebens- welt und dem Leben der auf dem Hof lebenden Pächterfamilie nicht zu umgehen. Diese besondere und kontrastreiche Spannung, die zwischen dem herrschaftlichen Wohnsaal und dem bäuerlichen Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 8 Haus Lohfeld. Eintreffen der Herrschaften mit ihrer Kutsche auf dem Hof, um 1910. Leben im Bauernhaus bestand, kann die Bauherren demnach bei der Planung nicht gestört haben und war Teil ihres Aufenthalts auf dem Land. Umbau des Sommerhauses zum Wohnhaus/Landhaus (1904/08) Das „Herrenhaus" am westlichen Ende des Bauernhauses blieb offensichtlich bis zum frühen 20. Jahrhundert unverändert. Anlässlich der Heirat von Fritz Scheffer-Boichorst wurde es durch den Telgter Bauunternehmer A. Gerdemann für 1150 Mark umfassend repariert. Allerdings beschäftigte sich der auf dem Hof lebende Vertreter der neuen Eigentümer des Hofes nach seiner Heirat 1904 im Zuge der bald größer werdenden Familie mit einem Bauprojekt, das einem kontinuierlichen Aufenthalt in einem gesellschaftlich zeitgemäßen Rahmen sicherstellen sollte. Nachdem der Bewohner im Frühjahr 1906 zum Vorstand der Stiftung wurde, legte das Baubüro des Westfälischen Bauernvereins Vorschläge für notwendige Reparaturen am Haus vor, die eine gewünschte großzügige Erweiterung des Wohnbereiches erkennen lassen. Diese ersten Planungen erstellte der in Münster ansässige Baurat Löfken,55 Leiter des Baubüros des westfälischen Bauernvereins, das zwischen 1906 und 1908 auch Planungen zur Modernisierung vieler weiterer Wohn- und Wirtschaftsbauten der Familienstiftung „Executorium Scheffer-Boichorst" übernommen hatte. Zunächst wurde die Aus- führung der ausgearbeiteten Pläne aber von dem Stiftungsvorstand zurückgestellt, wohl nicht zuletzt deswegen, weil Fritz Scheffer-Boichorst als Pächter des Hofes weitere Überlegungen zum Raumprogramm anstellte und überlegte, ob und wie man eine Wohnung mit dem Wirtschaftsteil des Bauernhauses verbinden könne. Endgültige, zur Ausführung bestimmte Pläne für die Erweiterung des alten Wohnteiles lagen erst im November 1906 vor.56 Sie hatte der dem Kunsthandwerk verpflichtete Münsteraner Architekt Jobst-Hans Muths erstellt.57 Der Bauschein zum „Um- und Erweiterungsbau des Wohnhauses" wurde am 20. März 1907 ausgestellt. Baukonzept war nun, den bisherigen Wohnbau beidseitig durch jeweils nur einen Raum tiefe, zweigeschossige und unterkellerte Flügelbauten so zu erweitern, dass sie über die Flucht der Seitenwände des anschließenden Bauernhauses 423 424 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 9 Haus Lohfeld. Grundriss aus dem Plan des Architekten Muths aus Münster von 1906 zur Erweiterung des Sommerhausanbaus am Bauernhaus zu einem Dauer-Wohnhaus. Hierbei erhielt der achteckige Gartensaalbau jeweils nach Süden und Norden Anbauten. Deutlich erkennbar der alte Bestand: Unmittelbar an den Gartensaal schließt sich die große Herdküche des Bauernhauses sowie in Richtung auf die Stallungen danach die Wohnräume der Pächterfamilie an. Der folgende Wirtschaftsteil - auf dem Plan links - ist nur angedeutet, (aus Kreisarchiv Warendorf, Gemeinde Everswinkel, B 76). hinausreichten. Der nördliche Anbau wurde unterkellert, wobei man das Niveau der Kellerdecke auch im alten Bereich des Wohnteils, als „Mittelbau" bezeichnet, absenkte: Hier wurden Decken aus Zementbeton bis in das Dach hochgezogene Fensterfront belichtet wurde. Hierunter entstand der Wohnungszugang mit einer großen sandsteinernen Wappentafel der Familie über der Tür (das Wappenschild wurde 1907 von dem Bildhauer Bernhard Stuchtei aus Münster für 80 Mark Wohnteil nach Norden ein Herrenzimmer, in der Mitte ein Speisezimmer und nach Süden ein Wohnzimmer auf. Die beiden neuen Flügelbauten führte man im Erdgeschoss massiv und in den Ansichten verputzt aus, geliefert). mit T-Eisen eingebaut. Im Erdgeschoss nahm der gestaltete sie darüber aber mit hintermauerten Fachwerkwänden und gab ihnen im Anschluss an das alte Dach geringfügig niedrigere Vollwalmdächer.58 Die alte Flettküche des Bauernhauses gestaltete man als zentralen Eingangs- und Wohnraum, der einen dunklen Terrazzoboden erhielt. Hierbei entstand im nördlichen Flettarm eine neue repräsentative Treppenanlage, die das Obergeschoss des vergrößerten neuen Wohnteils erschloss und nördlich über eine große und Den Rohbau erstellte im Frühjahr 1907 der Telgter Bauunternehmer Heinrich Horstmann für 12 700 Mark,59 während sich der Ausbau wohl noch bis zum nächsten Jahr fortsetzte. 1908 wurde der fertiggestellte Erweiterungsbau mit insgesamt 22 067 Mark Gesamtkosten abgerechnet. Da man das Kellerge- wölbe unter dem alten Sommerhaus abbrach, um den Fußboden des Gartensaales auf das Niveau des Gartens absenken zu können, mussten auch alle Türund Fensteröffnungen im Erdgeschoss verlängert werden. Der Kupferschmied Josef Günther in Telgte übernahm den technischen Innenausbau für 1100 Mark, wozu insbesondere der Einbau einer kompletten Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 Fließwasseranlage gehörte. Da kein Wasserwerk im Umkreis mit Anschlussmöglichkeiten an eine Druckwasserleitung vorhanden war, lieferte er eine Wasserpumpe, mit der ein eisernes Wasserbassin gespeist werden konnte, das man mit einer Isolierung auf dem Dachboden aufstellte (es ist bis heute erhalten geblieben) sowie das umfangreiche Leitungsnetz aus Eisen und Blei. Hiermit wurden zwei Spülklosetts und eine Badewanne mit kupfernem Badeofen versorgt. Das durch die Um- und Erweiterungsbauten zu einem herrschaftlichen Wohnhaus ausgebaute Sommerhaus erhielt eine aufwändige und allen zeitgenössischen Ansprüchen als Wohnkomfort in einem Landhaus entsprechende Inneneinrichtung. Hierzu haben sich einzelne Rechnungen überliefert: Architekt Hans Muths legte auch Detailzeichnungen für eine Hängelampe für die Diele in Formen des Jugendstils vor. Sie wurde aus Eisen geschmiedet (sie ist bis heute erhalten). Ferner liegt der Kostenanschlag der Firma Clemens Kaltenbach in Münster über 3 Roll-Jalousien vor und in dem neuen südlichen Wohnraum wurden im Erdgeschoss zwei sog. Stumpfsche Reformschiebe- fenster für 290 Mark eingebaut. Die neuen Türen bezog man von der Firma Ostermann & Proctor in Münster. Die innere Ausgestaltung (Bemalung, Putz und Stuck) lieferte der Dekorationsmaler Bernhard Bockmann aus Telgte. 1917 erhielt die Küche eine Wandverkleidung mit Mosaikwandplatten. Auch der Raum des Abortes erhielt nun eine Verkleidung mit Wandplatten (Lieferung und Einbau durch die Firma Carle in Warendorf für 585 Mark). Um 1930 wurde der erst 1907 zu einem breiten und oben gerundeten Fenster umgebaute mittlere Gartenzugang von dem alten Herrenhaus wiederhergestellt. Wohl 1949 erhielt der nördliche Flügelbau eine eingeschossige Erweiterung für die notwendigen Wirtschaftsräume, insbesondere die Küche. Dieser Bauteil wurde mit einem flachen Pappdach versehen. Hierdurch konnte unter Einschluss der in dem nördlich anschließendem alten Wirtschaftsgebäude befindlichen Abschnitt untergebrachten Räu- me eine zweite abgetrennte Wohnung geschaffen werden. Als man im Frühjahr 1956 den gesamten Wirtschaftsteil des Hauses nach Brand erneuern musste, sind auch die Traufwände im Bereich des erhalten gebliebenen Wohnteils massiv von Backstein aufgemauert; zudem wurde die Treppenanlage im nördli- 10 Haus Lohfeld. Die großzügige Herdküche im Bauernhaus von 1827. Auf der Abbildung schließt sich rechts hinter dem offe- nen Herdfeuer unmittelbar der große Saal der herrschaftlichen Sommerwohnung an. Der historische Herdraum wurde im 20. Jahrhundert stimmungsvoll in „alt-westfälischer" Art mit Möbeln, Hausgerät und Jagdwaffen ausgestaltet (Zustand um 1930). 425 426 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen chen Flett verändert und die repräsentative Front mit dem großen Fenster über der Haustür entfernt.50 Hierbei wurde auch eine Modernisierung des Wohnbereiches durchgeführt: Im Gartensaal baute man Bauteile ein, die aus dem 1945 ausgebrannten Schloss in Münster stammen sollen:61 zwei qualitätvolle zweiflügelige Türen in Formen des frühen Rokokos mit Kastenschlössern aus Messing sowie als Fensterbänke zwei geschweifte Marmorplatten und profilierte Kanten. 2004 wurde das obere Geschoss des Wohnteils als Hebammenpraxis umgestaltet. Gartenanlage Über die Größe und Gestalt des sicherlich mit Bezug auf das um 1750 errichtete Herrenhaus auch schon seit dem 18. Jahrhundert vorhandenen herrschaftlichen Gartens ist vor 1900 nichts Konkretes bekannt. Nach Abschluss an die Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen des Herrenhauses wurde im Herbst 1907 der Garten durch die Gärtnerei Theodor Brüggemann in (Münster-) Pleistermühle für 300 Mark neu gestal- tet, wobei man die gesamte Pflanzung erneuerte. Hierzu wurden Buxbäume, Taxusbäume und Ilex, Magnolien, Azaleen sowie Glyzinien und andere Pflanzen geliefert. Bauhaus/Scheune (um 1830) Der langgezogene Fachwerkbau unter Satteldach besteht aus einem nördlichen, als Scheune dienenden und mit drei Querdurchfahrten und einem Stallbe- reich am südlichen Ende versehenen Wirtschaftsteil. Dieser hat eine Länge von zehn Gefachen und ein zweifach verriegeltes Fachwerkgerüst aus Eichenholz mit eingehälsten Dachbalken und einem Sparrendach. Die Gefache sind mit Backstein ausgemauert. Da die Konstruktion weitgehend derjenigen des 1827 errichteten Haupthauses der Hofanlage gleicht, dürfte das Gebäude auch zur gleichen Zeit entstanden sein und war damit Teil einer umfassenden Erneuerung des Gehöftes. An diesen Wirtschaftsteil von Fachwerk schließt sich südlich ein kleiner Bereich mit massiven, aus Backstein aufgemauerten Umfassungswänden. In der Mitte der ebenfalls massiv zum Stall ausgeführten Trennwand befindet sich eine Kaminanlage; daher dürfte der südliche Teil wohl als Wirtschaftsküche und Backhaus mit anschließender Gesindestube eingerichtet worden sein. Unter der Stube bestand ein halb eingetiefter Keller,62 mit einem Tonnengewölbe aus Bruchstein versehen. 1904 wurden die Stallungen durch den Bäljurrter- 11,12 Haus Lohfeld. Historische Ausstattungsdetails im Erdgeschosssaal des Sommerhausanbaus von um 1774: Kamin- rahmen aus Sandstein und zweiflügelige Tür (Zustand 2011). nehmer A. Gerdemann/Telgte für etwa 200 Mark repariert. 1939 wurde der Gewölbekeller am südlichen Ende durch eine westlich vorgebaute Rampe zur Garage ausgebaut.63 Im Laufe des 20. Jahrhunderts sind die Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 427 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 Dachbalken im Wirtschaftsteil zur besseren Einlagerung von Ernte teilweise entfernt worden. Brennerei (von 1846) 1846 wurde durch den Ökonomen Andreas Zumloh der Neubau und der Betrieb einer Branntweinbrennerei mit einem Feuerungsapparat über Dampf beantragt. Das in diesem Jahr errichtete Gebäude dürfte der bis heute erhaltene Bau sein, der sich östlich an das Nordende des Wirtschaftsgebäudes anschließt und noch immer als Brennerei bezeichnet wird. Es handelt sich um einen Bau über quadratischem Grundriss. Das hohe, halb in den Boden eingetiefte Sockelgeschoss hat massive Umfassungswände, die aus Bruchsteinen aufgemauert sind. Darüber befindet sich ein recht niedriges aus Fachwerk verzimmertes Stockwerk. Dieses zeigt eine stabile Konstruktion aus Eichenbalken in traditioneller Verzimmerung (eine Riegelkette, Fußstreben zu den Eckständern) und eine haben, während darüber wohl ein Lagerraum bestand. Wohl um 1900 ist das Fachwerk der nördlichen Wand durch Backsteinmauerwerk ersetzt worden (es ist heute verputzt). Zudem brach man in dieser Wand ein Tor in das massive Untergeschoss und legte davor eine Zufahrtsrampe an. Das Brennereigebäude dürfte zu den frühesten früh- industriell geprägten landwirtschaftlichen Produktionsgebäuden gehören, die in weiterer Umgebung auf dem Lande errichtet worden sind. Daher kommt den erhaltenen Teilen dieses Gebäudes trotz der späteren Veränderungen eine hohe Zeugniskraft zu. Pferdestall (von 1902) Das Gebäude wurde nach Erwerb des Hofes durch die Familienstiftung Scheffer-Boichorst im Jahre 1902 errichtet.64 Anlass des Neubaus dürfte gewesen sein, eine adäquate Unterbringung der für die Kutsche der neuen Inhaber notwendigen Pferde zu schaffen. Das Gebäude wurde östlich an das Brennereigebäude an- Ausfachung mit Backsteinen. Über dem Bau schlug man ein recht flach geneigtes Walmdach auf. Die technische Einrichtung der wohl schon nach wenigen Jahrzehnten wieder eingestellten Brennerei ist nicht mehr vorhanden. Offenbar wurde der Betrieb gebaut und erhielt ein „Frackdach", wobei man der Vorderfront eine wesentlich höhere Trauflinie gab: Während man die nördliche Traufwand und den östlichen Giebel von Fachwerk aufführte, erhielt der Bau Jahresrechnung des Gutes Lohfeld wurden für dieses Jahr als Einnahmen der Erlös von 271 Thalern für an nach Süden zum Hofplatz im Erdgeschoss eine Backsteinfront, darüber eine verbretterte Front. Das Innere weist eine massive Mittelwand auf, wobei kurz vor 1865 aufgelöst, denn in der erhaltenen Happe verkaufte Brennereigeräte verbucht. Es kann davon ausgegangen werden, dass das massive Untergeschoss zum Teil der Lagerung diente, wozu zwei in rechtem Winkel aneinander stoßende und mit Backsteintonnen überwölbte Kellerräume vorhanden sind. Zudem dürfte hier der Brennraum bestanden die beiden Räume massive Decken aufweisen: Die preußischen, aus Backstein aufgemauerten Kappen werden von gusseisernen Säulen und Eisenträgern getragen. Im westlichen Stallraum hat sich die wohl noch bauzeitliche Einteilung für Pferdeställe aus Eisen erhalten. Anmerkungen 3 Hugo Kemkes/Manfred Wolf, Die Lehnsregister der 1 Eine erste baugeschichtliche Erfassung und Beschreibung Bischöfe von Münster bis 1379. Münster 1995, E 488. der Gebäude erfolgte schon im Jahre 1972 durch Stefan 4 Hugo Kemkes/Manfred Wolf, Die Lehnsregister der Baumeier, Bauhistorische Häuserliste der Gemeinde Everswinkel, Band 1 (Mschr.). Detmold 1972, S. 3-6 (im Kreisarchiv Bischöfe von Münster 1379-1450. Münster 2007, H 21, H 35 und J 378. Warendorf und als Kopie in der Bibliothek der LWL- 5 Kempkes/Wolf 2007 (wie Anm. 4), F 246. Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen). 6 Der Hof findet in der Auswertung der überlieferten archi- 2 Es hat sich ein größerer Bestand an Akten und Urkunden zur Geschichte des Hofes für die Zeit seit der Mitte des 18. valischen Quellen des Klosters keine Berücksichtigung. Jahrhunderts im Archiv der Familienstiftung „Executorium S. Wilhelm Kohl, Das freiweltliche Damenstift Freckenhorst (= Germania sacra. N.F. Band 10). Berlin 1975. Scheffer-Boichorst" auf Haus Lütke Rumphorst in Telgte erhalten (Eine Publikation dieses Gesamtbestandes durch 7 Landesarchiv NW, Abt. MS, Dep. Verein für Geschichte, Urkunden 1281. den Autor ist in Vorbereitung). Die Stiftung hatte den Hof im 8 Anna von Langen, Erbin von Haus Köbbing, heiratete um Jahre 1900 angekauft, wobei auch die dort vorhandenen Archivalien übernommen wurden. Hierzu gehören auch eini- 1600 Rotger von Voss aus Telgte. Ihr Sohn Heinrich von Voss ge wenige erhalten gebliebene Jahresrechnungen des Hofes zu Köbbing lebte wohl ebenfalls in Telgte auf dem ererbten Burgmannenhof und heiratete Catharina Droste. (für die Jahre 1862-1865). Der Quellenbestand ist bislang ungeordnet und nicht verzeichnet. Ferner konnte der um- 9 A. Brüning, Mittelalterliche Burganlagen im Kreise Warendorf, in: Warendorfer Blätter für Orts- und Heimatkunde, 2. fangreiche historische Bestand an Fotografien der Zeit seit Jg. 1905, Nr. 9. dem Jahre 1900 aus der Familie Scheffer-Boichorst gesichtet 10 Es handelte sich um die Höfe Schulze Revering, Raestrup werden, was freundlicherweise Frau Rosemarie Berger, geb. Nr. 28 und Große Dahlmann, Raestrup Nr. 17. Hierdurch besaß die Familie Voss in der Bauernschaft ein großes und Scheffer-Boichorst, in Telgte im Dezember 2011 ermöglichte. 428 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen nahezu zusammenhängendes Gelände. 26 Zusammen mit ihrem Sohn Peter von und zur Mühlen. 11 In einer Liste der zum Hof gehörigen Pertinentien wird noch kein zugehöriger Kotten genannt. 12 Bernhard Feldmann, Die Höfe des Münsterlandes und 27 Lebensdaten nach Bernd Walter: Die Beamtenschaft in ihre grundherrlichen Verhältnisse. Münster 1995, S. 401- 28 Dies waren die beiden in der Gemeinde Telgte liegenden 402. Kotten Jülkenbeck gnt. Nippstädt (Raestrup Nr. 24) und 13 Sie wohnten in Telgte wohl im Eckhaus Kirchplatz/Kapel- Vennekotten (Raestrup Nr. 25) sowie die beiden in der Ge- lenstraße, heute Kardinal-von-Galen-Platz 5. meinde Everswinkel liegenden Kotten Haverkamp (Müssin- 14 Hierüber fertigte der Landmesser Bertelink aus Telgte im gen Nr. 18) und Eschkötter (Müssingen Nr. 4). Jahre 1746 ein Verzeichnis an (als Beilage dem Kaufvertrag 29 1840 wurde er vertreten durch Dr. Franz von und zur beigegeben). Mühlen in Münster und 1842 bezeichnete er sich als Rentier. 15 Der zuletzt nur noch fünf Brüder umfassende Konvent des Fraternhauses (es lag an der Neustraße südlich des heu- 30 Er lässt den Hof vom Amtmann Schütte in Everswinkel verwalten. tigen Schlossplatzes in Münster) wurde im Jahre 1766 mit 31 Nach Vertrag mit dem Sohn Louis vom 27.4.1881. der Pensionierung der letzten Insassen aufgelöst. Schon seit 32 Telgte, Raestrup Nr. 22. 1661 stand der größte Teil des Gebäudekomplexes dem 33 Dieser wurde allerdings 1891 von Ludwig Zumloh für 4 500 Mark verkauft. Konvent nicht mehr zur Verfügung, sondern wurde als bischöfliche Residenz genutzt (Max Geisberg, Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Stadt Münster, Bd. I. Münster 1932, S. 323-330; Karl-Heinz Kirchhof, Die Ent- Münster zwischen ständischer und bürgerlicher Gesellschaft, Münster 1987, S. 481. 34 Seit 1886 verkaufte die Witwe Zumloh verschiedene grö- ßere Grundstücke, die nahe dem in diesem Jahr auf ihrem stehung des Fraternhauses „Zum Springhorn in Münster", Land errichteten neuen Bahnhof Raestrup-Everswinkel lagen. In seiner Nachbarschaft entstanden hierbei neue in: Westfalen. 51. Münster 1973, S. 92-114; Hubert Höing, Häuser. Möglicherweise wurde durch diese Verkäufe auch Kloster und Stadt ... dargestellt besonders am Beispiel der Fraterherren in Münster. Münster 1981). 16 Es dürfte sich um die Ehefrau vom Notar Eickholt han- der Neubau ihres Hauses in der Stadt Telgte finanziert. deln. schaftsgerichtes im Januar 1902 erfolgen. 17 Niepskötter und Hülsmann (Vennekötter) im Kirchspiel 36 Oskar, Leopold, Fernande, Renate, Maria und Franziskus. Telgte sowie Haverkamp und Eschkötter im Kirchspiel Evers- 37 Als Vormünder der minderjährigen Kinder handelten der winkel. Kaufmann Joseph Zumloh in Düsseldorf und der Gutsbesit- 18 Es dürfte sich um eine Tochter von Franz Andreas Cor- zer Hermann Bernhard Tyrell. 38 Der Pächter war sehr stolz auf sein von ihm bewirtschaf- mann handeln, der Rentmeister des Stiftes Borghorst (Stein- furt, Kr. Steinfurt) war. 19 Er war der jüngere Bruder des Franz Caspar Cajetan Buchholz, der als Herr auf Haus Welbergen (Ochtrup, Kr. 35 Die grundbuchliche Besitzübertragung an die Stiftung konnte allerdings erst nach der Genehmigung des Vormund- tetes Gut. Er ließ es unmittelbar nach Bezug von einem Maler erfassen und noch im Winter 1900 auch eine Postkarte mit der Ansicht des Hauses von der Gartenseite aus erstellen. Steinfurt) Rentmeister des Stiftes Metelen war (s. H. Bremer, 39 Telgte, Raestrup Nr. 76 - heute Am Raestruper Bahnhof Haus Welbergen. Aus der Geschichte einer münsterländi- 47. schen Wasserburg, Gronau 1931). 40 Telgte, Raestrup Nr. 89. 20 1777 bis zum Bezug des erneuerten Hauses 1780 lebten sie in dem Haus Salzstraße 60 (s. Max Geisberg, Bau- und Kunstdenkmale von Westfalen. Stadt Münster, Bd. III. Münster 1934, S. 309). 21 Das Haus war zuvor der Stadthof der Familie von Ketteier gewesen und ist 1911 abgebrochen worden (s. Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600-1760. Münster 2000, S. 860). Der Neubau wurde von dem Architekten Clemens August von Vagedes geplant (s. Max Geisberg, Die Bau- und 41 1820 wird Franz Wilhelm Achtermann als Erbpächter bezeichnet. 42 Der kurze, zur Gemeinde Kirchspiel Telgte gehörende nördlich an den Hof anschließende Abschnitt der Straße bis zum Bahnhof folgte erst einige Jahre später. 43 Nachrichten zu dieser Baumaßnahme oder ein Plan hier- zu konnten in den für diese Zeit einschlägigen Quellen zu Baugenehmigungen beim Landratsamt Warendorf bzw. der Gemeindeverwaltung (Kreisarchiv Warendorf, Everswinkel, A 404-406; Thorsten Albrecht, Pläne und Bauten. C. A. von 887 und 793) nicht aufgefunden werden. 44 Diese Brandwand mit einem doppelten Schornsteinzug Vagedes. Architekt und Schaumburg-Lippischer Landbaumeister, 1760-1795. Bückeburg 1995, S. 26). Wand eine Stärke von einem Stein (etwa 30 cm) und hat die Kunstdenkmäler der Stadt Münster, Bd. IV. Münster 1935, S. 22 In diesem Jahr scheint die Erbengemeinschaft das Haus in der Stadt verkauft zu haben. 23 Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Göttingen 1979, S. 464. 24 Sie werden 1810 vertreten durch seinen Rentmeister Anton Verloh. 25 Er trat schon 1810/15 als Vertreter der Erben auf. ist aus Backstein aufgemauert (im Bereich des Daches hat die Breite des Bauernhauses. Sie lässt zudem erkennen, dass die Firste beider Gebäude die gleiche Höhe hatten. 45 Theodor Altefrohne (5. Februar 1904-24. Dezember 1990) arbeitete ab 1928 als freier Architekt in Warendorf und war Mitglied in der Reichskammer der Bildenden Küns- te. Mit einer Vielzahl von Entwürfen wurde er für über 50 Jahre prägend für ein architektonisch anspruchsvolles Bau- Pachthof mit bürgerlichem Sommerhaus von 1774 Haus Lohfeld (ehemals Hof Wiggermann) bei Everswinkel (Kr. Warendorf), Müssingen Nr. 5 46 Hierzu sind die Akten beim Bauordnungsamt der Kreis- ter in Münster (s. Christian Schulze Pellengahr, Der Direktor des Bauamtes des Westfälischen Bauernvereins Albert Josef verwaltung Warendorf erhalten: Akte 1040/6. 47 Entnahme von sieben Proben durch Peter Barthold, LWL- feld, Band 35, 2010, S. 209-214). wesen im Kreis Warendorf. Löfken (1855-1932), in: Geschichtsblätter des Kreises Coes- achten vom 20. Juli 2012. Es konnte hierbei nur eine Probe 56 Die Vorgänge zur Baugenehmigung sind einschließlich des erhaltenen, zur Genehmigung vorgelegten Plansatzes in Kreisarchiv Warendorf erhalten: Gemeinde Everswinkel, B (Dachwerk, Nordseite, 1. Sparren von Westen) auf das Fäll- 76. Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur, am 13. Juli 2012. Auswertung durch Erhard Preßler/Gersten mit Gut- datum Herbst/Winter 1773 fest datiert werden. 57 Er erhielt 1908 als Honorar insgesamt 1296 Mark. Seine 48 Erhalten ist hiervon nur die Gaupe in der westlichen Stirn- Pläne waren vor der Ausführung noch einmal von dem Bau- seitlichen Ausnehmungen der Sparren nachweisen lassen. rat Löfken in Münster begutachtet und teilweise verbessert worden. 49 Die Decke des Obergeschossraumes wurde 1906 an einem bemerkenswerten, aus Eisenstangen gebildeten Schermbecker Thon- und Falzziegelwerke. wand, während sich die übrigen Öffnungen nur noch an Sprengwerk aufgehängt. 50 Die Gestaltung der teilweise ebenfalls noch erhaltenen Türblätter legt eine Datierung in diese Bauphase nahe. 51 Johann Conrad Schlaun plante einen entsprechenden Gartensaal schon um 1744 für den nicht verwirklichten Neu- 58 Alle Dächer erhielten eine Eindeckung aus Falzziegeln der 59 Alle Stundenzettel des Unternehmers haben sich in der Akte der Belege zur Jahresrechnung der Stiftung 1907/08 erhalten. 60 Die Wappentafel wurde ausgebaut und ist seitdem auf bau des Schlosses Senden. der Hofstelle eingelagert. 61 Die Herkunft der Bauteile ist nach mündlicher Tradition 52 Karin Zinkann, Die Landhäuser, in: Klaus Bußmann/Florian der Familie belegt. Die abgebeizten Türblätter aus Eiche ent- Matzner/Ulrich Schulze (Hg.), Johann Conrad Schlaun 1695- sprechen tatsächlich den überlieferten, allerdings durchgän- 1773. Stuttgart 1995. S. 523-534. Kristin Püttmann, zur gig farbig gefassten Türblättern der ersten - noch von J. C. noth und zur lust." Orangerien und Gewächshäuser in den Gärten westfälischer Schlösser. Münster 1988; dies., Schlaun selber begonnenen - Phase der Ausstattung des Schlosses, die heute im Landesmuseum für Kunst- und Kul- Orangerien und Fasanerien, in: Bußmann/Matzner/Schulze turgeschichte in Münster verwahrt werden (freundlicher Hin- 1995, S. 535-539. weis von Markus Kamps M.A./Münster 2011). 53 Der Architekt Clemens August Vagedes, der zur entfern- 62 Die Begriffe „Backhaus" sowie „Gesindestube" werden ten Verwandtschaft des Bauherren gehörte und 1780 auch in dem Pachtvertrag von 1858 genannt, wobei die Stube den Umbau des Stadthauses der Familie zur Mühlen in und ein Keller im Backhaus der Herrschaft vorbehalten blie- Münster plante, war zu dieser Zeit erst 14 Jahre alt war und ben. begann gerade mit seiner Lehre bei Lipper. 63 Bauantrag mit Zeichnungen hierzu beim Bauordnungs- 54 Entsprechende „einräumige" Gartenhäuser sind in der Mitte des 18. Jahrhunderts auch mehrfach in den Gärten amt der Kreisverwaltung Warendorf: Akte 680/10. unmittelbar vor den Befestigungen der Stadt Münster errich- Stiftung nachgewiesen werden, während der Bauantrag in der Aktenüberlieferung des Kreisarchives Warendorf, Everswinkel B 76 nicht nachzuweisen war. tet worden (s. etwa die von Johann Conrad Schlaun geplanten Beispiele bei Bußmann/Matzner/Schulze 1995 (wie Anm. 52), Bd. II, S. 510-516). 55 Albert Josef Löfken (19. März 1855 Wetter/Ruhr - 4. No- vember 1932 Münster) war von 1895-1920 Leiter der Bau- 64 Der Bau konnte nur über die Aktenüberlieferung der Abbildungsnachweis: Alle historischen Abbildungen entstammen dem Besitz der beratungsstelle des westfälischen Bauernvereins und prägte Familie Scheffer-Boichorst bzw. Rosemarie Berger, die übri- während seiner langen Dienstzeit das ländliche Bauwesen in gen von Fred Kaspar, LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Westfalen nachhaltig durch hunderte von ihm ausgearbeitete Entwürfe. Von 1899 bis 1917 war er auch Stadtverordne- Baukultur in Westfalen. 429 430 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Wohnen in der Feldmark Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780 Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf) Laurenz Sandmann Der Major und Regimentskommandeur Franz Xaver von Tönnemann hatte nach seinem Umzug von Münster nach Warendorf nach 1780 vor dem dorti- gen Emstor in der Feldmark ein Grundstück erworben und darauf ein Landhaus errichtet. Ein nur wenig später von dem 14-jährigen Sohn Christoph Tönnemann 1789/90 verfasstes Tagebuch gibt einen ungewöhnli- chen Einblick von dem Leben einer wohlhabenden Familie auf dem Land. Er beschreibt das kurz zuvor fertiggestellte Haus mit Garten, nennt Familienangehörige und Dienerschaft, berichtet von Besuchen und Reisen. Da der Verfasser des Tagebuches auch Einblick in das Soldatenleben bekam, schrieb er auch diese Eindrücke nieder. In einem weiteren Kapitel befasste er sich mit der gesellschaftlichen Position der Familie und nimmt Bezug auf den Adelsstand. Das Tagebuch von Christoph Tönnemann wird in den Geschichtsblättern „Warendorfer Blätter für Orts- und Heimatkunde" von 1919 durch den Autor Brüning ausführlich beschrieben,' ist aber im Original heute nicht mehr erhalten. Der Familienname Tönnemann geht auf den Namen Thöne, genannt Thönemann, später auch von Tönne- mann zurück. Die Familie hat ihre Wurzeln in Warburg,2 die vor allem als Wollweber zu Reichtum kam. In einem Verzeichnis, das die Bürgermeister und Ratsherren der Stadt Warburg auflistet, ist erstmals für 1283 ein Thöne erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte finden sich die Mitglieder der Familie im städtischen Patriziat, als Akademiker in gehobenen Positionen, im Offizierscorps oder im Adelsstand.3 Wilhelm Xaver von Tönnemann, am 1. März 1745 in Wetzlar geboren, machte Karriere als Oberst und Regimentskommandeur in münsterschen Diensten. Er führte das Regiment in fürstbischöflicher Zeit und auch noch nach der Säkularisation des Bistums Müns- ter weiter. Zunächst in Münster ansässig, bewohnte er ab 1775 den von ihm für 2 000 Rthl. erworbenen alten Drostenhof in der Grünen Gasse.4 Der vorherige Bewohner, Freiherr von Droste zu Vischering, hatte sich durch den Baumeister Johann Conrad Schlaun statt dessen ein neues Stadtpalais bauen lassen (den heutigen „Erbdrostenhof"). Er bewohnte das stattli- che Anwesen mit dem großen Park bis zu seiner Berufung nach Warendorf im Jahr 1778 und veräußerte 1782 den münsterschen Besitz an die schon zuvor hier als Untermieterin lebende Fürstin von Gallizin. Tönnemann zog mit seiner Familie zunächst nach Warendorf in die Emsstraße. Das Haus mit der Nummer 18 befindet sich in unmittelbarer Nähe des Emstores an einer der vier Hauptdurchgangsstraßen der Alt- stadt, an denen sich überwiegend Kaufleute und Gastronomen niedergelassen hatten. Das zweigeschossi- ge Gebäude war um 1770 zu einem modernen 1 Fürstbischöflich-münsterischer Infanterie-Offizier aus der Zeit um 1800, Blatt in Privatbesitz. Mittelflurhaus ausgebaut worden.5 Küche und Kammer im hinteren Hausteil waren bei der Renovierungsmaßnahme des 18. Jahrhunderts erhalten geblieben. Das Steinhaus besaß ein Hinterhaus und hob sich in 431 der Bauart von den meist in Fachwerkbauweise errich- teten Gebäuden der Nachbarschaft deutlich ab. Später bekam die Straße durch das Vorblenden von massiven Mauerschalen einen Ensemblecharakter. Vor 1785 erwarb Tönnemann ca. 2 km vor dem Ems- tor einen Grundbesitz von ungefähr 500 Morgen und errichtete dort ein barockes Landhaus mit Ökonomie und Gartenanlagen.6 In direkter Nachbarschaft befand sich der Exerzierplatz der Soldaten. Fortan lebte die Familie ganzjährig auf ihrem Landsitz. Eine Kaserne gab es in Warendorf weder in der fürstbischöflichen noch in der preußischen Zeit. Einige der rekrutierten einfachen Soldaten schliefen in Dachkammern oder kleinen Nebenzimmern der Warendorfer Bürgerhäuser. „Viele der Soldaten waren ver- heiratet und hatten ein beweibtes Quartier in der Stadt und vielfach auch eine größere Familie. [...] In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten 75 Soldatenfrauen und 126 Soldatenkinder in der Stadt. [...] In engem gesellschaftlichem Kontakt stand das Offizierscorps zur bürgerlichen Oberschicht."7 Das acht Kompanien umfassende Infanterie-Regiment in Warendorf wurde von ca. 30 Offizieren zwischen Generalleutnant und Fähnrich geführt. Der letzte fürstbischöfliche Stadtkommandant Oberst Xaver von Tönnemann führte ein gastfreundliches Haus auf dem Land, das Bürger und Militär verband.8 Brüning, der das 1885 durch einen Brand zerstörte Landhaus des Kommandanten von Tönnenmann noch aus eigener Anschauung kannte, beschreibt 1919 in seinem Aufsatz die „Tönneburg", wie dieses Haus bis heute in Warendorf genannt wird: „Es war ein sehr solider, eingeschossiger Ziegelsteinbau im einfachen Barockstil, der mit dem satten Rot seiner Wand- und Dachflächen zu dem dunklen Grün der ihn umgebenden Nadelholzwälder außerordentlich gut passte und einen wohltuenden Eindruck hervorrief. Burgartig befestigt war die Tönnenburg nicht [...]. Nach dem [...] Grundplane hatte das Wohnhaus 10 Zimmer; Küche, Keller und die Wirtschaftsräume für die Ökonomie befanden sich in einem großen Anbau."9 Die Tönneburg hätte bei aller Einfachheit doch den herrschaftlichen Charakter nicht verkennen lassen.10 Der Sohn des Majors, Christof Tönnemann, gibt mit seinem Tagebuch einen Einblick in den Alltag der Familie auf dem Land: Der zugehörige Hof wurde von einem Verwalter geführt, der die An- und Verkäufe leitete. Zu den Mitarbeitern gehörten ein Kutscher, ein Ochsenknecht und mehrere „Burschen". Zur Pflege des Gartens und der Obstbäume wurde jeweils ab 2 Ausschnitt aus der Preußischen Kartenaufnahme von 1841 mit der Lage der Tönneburg in der weitgehend unbesiedel- ten Feldmark nördlich der Stadt. Das Original befindet sich im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kultur- besitz (Nachdruck Hg. vom Landesvermessungsamt NRW 1994). Für die häusliche Küche wurden jedes Jahr vier Schweine geschlachtet, was allerdings zur Fleischversorgung des großen Haushaltes nicht ausgereicht hat. Immer wieder wurden dem Major zu Hause junge Leute vorgestellt, die um die Aufnahme als Rekruten baten. Aber nicht alle hielten den Soldatendrill aus und desertierten über die benachbarte Grenze nach Osnabrück. Der Tagebuchschreiber beschreibt das Spießrutenlaufen ergriffener Deserteure, das oft schwere Verletzungen oder sogar den Tod zur Folge hatte. So erging es auch einem entlaufenen Soldaten, der als gelernter Friseur für die Haarpflege der Familie April eines jeden Jahres ein Gärtner aus Holland ange- Tönnemann zuständig gewesen war. Nach den Vorkommnissen wurde an seiner Stelle ein Zivilist Hauswirtschafterin, die eine weitgehende Vertrauensstelle einnahm und von mehreren Mägden unterstützt angestellt. Weil die Familie Tönnemann nicht zum sogenannten stellt. Die „Frau Oberst" hatte an ihrer Seite eine wurde. Zur typischen Winterarbeit gehörte das Spinnen von selbstgezogenem Hanf, Flachs und Hasenwolle.11 Geburts- oder Blutadel gehörte, sondern nur zum „Verdienstadel", gab es auch keinen gesellschaftli- chen Verkehr mit den in ihrer Nähe wohnenden Ade- 432 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen 3 In dem Haus Emsstraße 18 mit der klassizistischen, heute rot eingefärbten Fassade wohnte der Major Tönnemann vorüber- gehend mit seiner Familie (Sandmann 2010). ligen. Wenn Kinder eine „Staatsstellung" anstrebten, mussten sie adliger Herkunft sein oder studieren. Das Ehepaar Tönnemann war bestrebt, seinen Kindern eine möglichst hohe Ausbildung zu ermöglichen. Der Oberst hatte seine vier Kinder teilweise selbst unterrichtet. Für den regelmäßigen Unterricht sorgte allerdings ein Lehrer aus Warendorf. Später wurden sie zum Studieren in die Stadt geschickt.12 Darüber hinaus war den Tönnemanns das Familienleben sehr wichtig. Zusammen machten sie Ausflüge in die Region: Im Kloster Vinnenberg besuchten sie eine dort lebende Tante, blieben eine Nacht und ließen sich mit dem Fuhrwerk des Klosters nach Hause kutschieren. Mit den Eltern nahmen sie an den Hoch- festen der Kirche teil und fuhren jährlich auch zur Prozession nach Freckenhorst. Der Vater fuhr gerne nach Münster, speiste dort meistens beim General und besuchte die Bälle. Manchmal durften die Kinder ihren Vater begleiten. Dann wurden Sehenswürdigkeiten angesteuert. Besondere Abwechslung brachte der Besuch des Wachsfigurenkabinetts. Eine Reise mit der eigenen Kutsche nach Münster dauerte auf den noch nicht chaussierten Wegen vier Stunden. Auch auf der Jagd nahm der Major seine Kinder mit. Zum Abschuss kamen Hasen, Füchse, Marder, wilde Enten, Schnepfen, Tauben und Rebhühner. Ausflüge in die Natur und das Beobachten von Tieren und Brutplätzen gehörte zum Zeitvertreib der Kinder. Der Vater wollte seinen Kindern die Vorzüge des Land- lebens aufzeigen. Die Kinder besaßen daher eine Fasanerie. Regelmäßig wurden die zahmen Tiere nach Münster, Osnabrück und bis hin nach Holland ver- kauft. Zum Hof gehörten auch Schafe und eine große Anzahl von Truthähnen. Jedes Familienmitglied hatte darüber hinaus mindestens einen eigenen Bienen- stock.13 In den eisigen Wintermonaten vergnügten sich die Kinder mit Eisläufen und die Eltern fuhren abends nach Warendorf und besuchten die Soldatenbälle, die in verschiedenen Lokalen stattfanden. Hohe Gäste aus Münster wurden zum Essen in das renommierte Hotel zur Kaiserlichen Reichspost begleitet. Für Abwechslung im Soldaten- und Hofalltag sorgten die Tönnemanns mit ihrer großen Gastlichkeit selbst. Kaffeehäuser, wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert um Warendorf zahlreich entstanden, gab es um 1790 noch nicht auf dem Land. Schuld war eine Verordnung, die das Kaffeetrinken nur wenigen bevorzugten Ständen gestattete. Die Tönneburg entwickelte sich zu einem ersten Ausflugslokal. Fast täglich Wohnen in der Feldmark-Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780 Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf) kamen Besucher und stürmten die Kuchentafel, tranken Kaffee oder spielten Schach und Karten. In der Gästeliste finden sich alle Namen der gehobenen Warendorfer Gesellschaft und benachbarter Ortschaften.14 Das Familienleben änderte sich mit den wachsenden Erfolgen der französischen Freiheitskämpfer. Weil die Fürstbischöfe in Münster ihre Positionen gefährdet sahen, kam es zur Dämpfung des Aufruhrs auch zu militärischen Handlungen: Am 21. Oktober 1789 wurde der Oberst über einen bevorstehenden Krieg in Kenntnis gesetzt. Am 17. November marschierte Wil- helm Xaver von Tönnemann mit seinem Regiment nach Münster. Bis dahin hatte ihn seine Familie beglei- tet und dann verabschiedet. Drei Tage später zogen die beiden Regimenter aus Münster und Warendorf gemeinsam mit 15 Kistwagen, 6 Munitionswagen und 6 Kanonen Richtung Lüttich. Erst Ende August 1791 kam das Regiment nach Warendorf zurück. In der Abwesenheit des Familienoberhauptes blieb der Lehrer auf der Tönneburg und kümmerte sich um die Bildung und die Erziehung der Kinder. Der Vater verließ sich nicht auf die Post, sondern entsandte Boten, die Nachrichten und Geschenke an die Familie direkt weiterleiteten. Ab 1791 wurden die älteren Kinder in die Stadt zum Studieren geschickt.15 Mit dem Ende der täglichen Notizen von Christoph Tönnemann enden 1790 auch die Überlieferungen mit den Einblicken in das Leben in der Familie Tönnemann. Am Ende der fürstbischöflichen Zeit war das Münstersche Heer weitgehend überaltert. Beim Einmarsch der Preußen im August 1802 wurde kein Widerstand geleistet. Nur geringe Teile des Offizierscorps und der Truppen sind später von den Preußen übernommen worden. So auch Franz Xaver von Tönnemann. In der zwischenzeitlichen Franzosenzeit von 1807- 1813 war der Sohn und Tagebuchschreiber Christoph Tönnenmann zum Bürgermeister der Stadt Warendorf ernannt worden. Auch dessen Bruder Karl bekleidete zu dieser Zeit ein städtisches Amt. Gemeinsam mit einigen Mitgliedern der städtischen Oberschicht gründeten sie im Jahr 1810 die Bürgergesellschaft „Har- monie". Der Herrenclub, der 1811 ein Clubhaus an der Münsterstraße errichtete und 1846 einen stattlichen Saal hinzufügte, besteht noch heute. Nach 1830/40 kam die Tönneburg in verschiedene andere Hände, es wurde mit wenig Erfolg versucht, hier eine Brennerei und eine Stärkefabrikation zu betreiben. 1887 brannte das Haus ab, das Grundstück wurde verkauft und von dem neuen Besitzer Linnemann aus Ahlen neu bebaut. Der neue Hausherr richtete dort eine Kaffeewirtschaft ein, in deren Nachfolge man heute Pizza und Pasta genießen kann. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Major Tönnemann zwar auf dem Land wohnte und durch seine Angestellten eine Landwirtschaft betrieb, er selbst mit seiner Frau und den Kindern aber weiter am städtischen Leben teilnahm. Er ermöglichte seinem Nachwuchs ein freies ungebundenes Leben mit Tieren in der Natur. Er verband die Erziehung der Kinder mit einem hohen Anspruch auf Bildung und pflegte mit ihnen städtische Kontakte. Das gesellschaftliche Leben in der Stadt holte er sich mit seiner Gastfreundschaft in das Landhaus. 4 Das barocke Landhaus „Tönneburg" brannte im Jahre 1887 ab. Das danach als Gasthaus neu errichtete Fachwerkhaus präsentiert sich heute mit zahlreichen Anbauten (Sandmann 2010). 433 434 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Anmerkungen 1 Brüning, Die Tönneburg. Nach dem Tagebuch des Chris- toph von Tönnemann, in: Warendorfer Blätter für Orts- und Heimatkunde. 14. Jg. 1919, Nr. 4, S. 15 f; Nr. 5, S. 17f; Nr. 6, S. 22f. 2 Wilhelm Thöne, Nachrichten zur Soziologie der Familie Thöne genannt Thönemann, v. Tönnemann aus WarburgAltstadt, in: Mitteilungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde, Bd. VIII. 1933-1936, Sp. 375-418, hier Sp. 376. 3 Thöne 1933 (wie Anm. 2), S. 376. Weitere biografische Hinweise über die Familie finden sich bei Wilhelm Thöne, Nachrichten über die Familie von Thönemann auf der Thöne- burg bei Warendorf, in: Warendorfer Blätter. NF 1934, S. 47ff. und bei Martha Gotting, Über die Familie von Tönnemann, in: Westfälischer Heimatbund (Hg.), Westfälischer Heimatkalender, 10. Jg. 1956, Münster 1955, S. 203-205. 4 Marcus Weidner, Landadel in Münster 1600-1760. Münster 2000, S. 774-775. 5 Stefan Baumeier, Das Bürgerhaus in Warendorf. Münster 1974, S. 39, s. dort auch Anmerkung 17. 6 Thöne datiert den Erwerb zwischen 1787 und 1790. (Thöne 1933, wie Anm. 2, S. 416), Büning nennt als Baudatum des Hauses vor dem Emstor das Jahr 1780 (Brü- ning 1919, wie Anm. 1,14. Jg. Nr. 4, S. 15). Dethlefs konn- te weitere Quellen erschließen und datiert die Anlage des Gutes in die Jahre vor 1785, da es schon in diesem Jahr als fertig beschrieben wurde (Gerd Dethlefs, Zur Geschichte der „Tönneburg" und der Familie von Tönnemann in Warendorf, in: Paul Leidinger, Geschichte der Stadt Warendorf, Band III). Warendorf 2000, S. 733-736). 7 Paul Leidinger, Warendorf als Garnisonstadt in fürstbischöflicher und preußischer Zeit, in: Warendorfer Schriften. 11/12. Warendorf 1981/82, S. 105. 8 Leidinger 1981 (wie Anm. 7), S. 105. 9 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15. 10 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15. 11 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15. 12 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 16. 13 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 15. 14 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 16. 15 Brüning 1919 (wie Anm. 1), S. 16. 435 Orts- und Objektregister Ortsregister Ahlen (Kr. Warendorf) Haus Vorhelm Alfhausen (Landkreis Osnabrück) Meppenburg Meierhof Heeke Altenberge (Kr. Steinfurt) Haus Bödding Hof Wesseling (bei Hansell) Hof Niermann Hof Sieverding Ankum (Landkreis Osnabrück) Haus Brüning Meierhof Westerholte Schultenhof Rüssel Hof Große Hamberg in Westerholte Bad Bentheim (Kr. Grafschaft Bentheim) Gut Esche Bad Driburg (Kr. Höxter) Stift Neuenheerse Bad Essen (Landkreis Osnabrück) Schloss Hünnefeld Bad Iburg (Landkreis Osnabrück) Haus Scheventorf Bad Salzuflen (Kr. Lippe) Gut Ahmsen Gut Bexten Gut Papenhausen Gut Sylbach bei Holzhausen Bakum (Landkreis Vechta) Haus Bakum Haus Harme Barsinghausen (Landkreis Hannover) Gut Langenreder Beverungen (Kr. Höxter) Gut Blankenau Bielefeld Gut Brodhagen Stift Schildesche Billerbeck (Kr. Coesfeld) Haus Hameren Haus Runde Bissendorf (Landkreis Osnabrück) Schloss Ledenburg Blomberg (Kr. Lippe) Gut Gröpperhof Gut Nassengrund Bohmte (Landkreis Osnabrück) Haus Lagelage Borchen (Kr. Paderborn) Malinckrodthof / Gut Oberhaus Borgentreich (Kr. Höxter) Gut Bühne Borken (Kr. Borken) Haus Engelrading Bocholt (Kr. Borken) Haus Büling Brakei (Kr. Höxter) Klosterökonomie Gehrden Bramsche (Landkreis Osnabrück) Haus Limbergen Haus Rothenburg Bückeburg (Kr. Schaumburg) Cammerhof in Cammer Büren (Kr. Paderborn) Klostergut Böddeken Buldern (Kr. Coesfeld) Haus Buldern Haus Giesking Castrop-Rauxel (Kr. Recklinghausen) Haus Vörde Delbrück (Kr. Paderborn) Gut Espenlake bei Boke Valepagenhof Dinklake (Landkreis Vechta) Haus Dinklake Ledebursches Haus Dörentrup (Kr. Lippe) Domäne Oelentrup bei Schwelentrup Drensteinfurt (Kr. Warendorf) Haus Ossenbeck Haus Venne GutWesterhaus Dülmen (Kr. Coesfeld) Haus Giesking Haus Visbeck Gronau (Landkreis Hildesheim) Gut Heinsen bei Deilmissen Ennigerloh (Kr. Warendorf) Haus Diek bei Westkirchen Haus Vornholz bei Ostenfelde Extertal (Kr. Lippe) Gut Vallentrup Essen (Kr. Oldenburg) Haus Groß Arkenstede Everswinkel (Kr. Warendorf) Gut Lohfeld Haus Brückhausen Fröndenberg (Kr. Unna) Stift Fröndenberg Fürstenau (Landkreis Osnabrück) Haus Wegemühlen Gelsenkirchen Haus Balken (bei Buer) Haus Leythe (bei Buer) Geseke (Kr. Soest) Stift Geseke Gevelsberg (Ennepe-Ruhr-Kreis) Damenstift Gevelsberg Greven (Kr. Steinfurt) Schulze Aldrup Göttingen 436 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Gut Geismar Gyhum (Landkreis Rotenburg) Gut Bockei Hagen Stift Elsey Haltern am See (Kr. Recklinghausen) Stift Flaesheim Hannover Herrenhausen, Hardenbergsches Haus Am Markt 13, Hardenbergsches Haus Linden, Küchengarten, Pavillon Haselünne (Landkreis Emsland) Haus Hamm Haus Lotten Havixbeck (Kr. Coesfeld) Haus Hülshoff Stift Hohenholte Herdecke (Ennepe-Ruhr-Kreis) Stift Herdecke Hille (Kr. Minden-Lübbecke) Freihof in Eickhorst (Öxmannscher Burgmannshof) Wentrupscher Hof in Rothenuffeln Hövelhof (Kr. Paderborn) Jagdschloss Höxter (Kr. Höxter) Domäne Corvey Thonenburg Holdorf (Landkreis Vechta) Haus Ihorst Hoya (Landkreis Nienburg) Amtshaus Hoya Siebenmeierhof in Magelsen Siebenmeierhof in Wührden Hof Hecht in Dahlhausen Kirchhundem (Kr. Olpe) Gut Vasbach Langwedel (Landkreis Verden) Gut Koppel bei Etelsen Legden (Kr. Borken) Stift Asbeck Leopoldshöhe (Kr. Lippe) Gut Dahlhausen (von Exterde) Lichtenau (Kr. Paderborn) Klosterökonomie Dalheim Lingen (Landkreis Emsland) Haus Spyck bei Bramsche Lippstadt (Kr. Soest) Stift Lippstadt Stift Cappel Lohne (Landkreis Vechta) Haus Hopen Lübbecke (Kr. Minden-Lübbecke) Fiegenburg bei Börninghausen Lüdinghausen (Kr. Coesfeld) Haus Kakesbeck Burg Lüdinghausen Burg Vischering Marienmünster (Kr. Höxter) Klosterökonomie Marienmünster Melle (Kr. Osnabrück) Haus Auburg Gut Gesmold Haus Sondermühlen Menslage (Landkreis Osnabrück) Haus Mundeinburg Metelen (Kr. Steinfurt) Stift Metelen Minden (Kr. Minden-Lübbecke) Barkhausenscher Hof in Aminghausen Duxscher Freihof in Aminghausen Gut Denkmal (Tietzels Denkmal) Gut Kuhlenkamp Gut Masch Gut Rodenbeck Moisburg (Landkreis Harburg) Vorwerk Moisburg Münster Friedrichsburg Gut Werse (in St. Mauritz) Gartenhaus Wilhelmstraße 11 Haklenburg Haus Amelsbüren Haus Daerl (bei Wolbeck) Haus Enkingmühle Haus Hohenfelde (bei Roxel) Haus Markfort (bei Handorf) Haus Kleine-Getter (bei Albachten) Haus Nevinghoff Haus Rüschhaus Haus Soest (bei Hiltrup) Haus Wienburg Hof Groß Kaldeloe (bei Hiltrup) Hof Rotland (bei Hiltrup) Hof Lütke Lengerich (bei Handorf) Hof Fronhof (bei Wolbeck) Hof Wegmann (bei Hiltrup) Schnorrenburg Schulte Havichhorst bei Handorf Haus Münsterstraße 33 in Wolbeck Nordwalde (Kr. Steinfurt) Haus Althaus Nörten-Hardenberg (Landkreis Northeim) Gut Hardenberg Nottuln (Kr. Coesfeld) Stift Nottuln Ochtrup (Kr. Steinfurt) Stift Langenhorst Oebisfelde (Landkreis Börde) Gut Seggerde bei Weferlingen Oelde (Kr. Warendorf) Haus Geist Ostbevern (Kr. Warendorf) Haus Bevern Orts- und Objektregister Ostercappeln (Landkreis Osnabrück) Haus Schwegerhoff Osnabrück Ledenhof Steinwerk Bierstraße 7 Steinwerk Marienstraße 3 Paderborn (Kr. Paderborn) Gut Nachtigall bei Neuhaus Porta Westfalica (Kr. Minden-Lübbecke) Hof Kriete in Lohfeld Rheda-Wiedenbrück (Kr. Gütersloh) Haus Aussei Haus Bosfeld Domhof in Rheda Schönhof in Wiedenbrück Ronnenberg (Landkreis Hannover) Gut Bettensen Rotenburg a.d. Wümme (Landkreis Rotenburg) Gut Mulmshorn Sassenberg (Kr. Warendorf) Haus Schücking Schieder-Schwalenberg (Kr. Lippe) Domäne Schiedet Domäne Schwalenberg Gut Wöbbel Schlangen (Kr. Lippe) Jagdschloss Oesterholz Schledehausen (Landkreis Osnabrück) Schelenburg Senden (Kr. Coesfeld) Wallbaum, Gräftenhof bei Ottmarsbocholt Zumberge, Gräftenhof Sendenhorst (Kr. Warendorf) Ahlenkotten Gut Deitkamp Hemisburg (bei Albersloh) Hof Horstmann (bei Albersloh) Hof Klostermann (bei Albersloh) Schulze Dernebockholt (bei Albersloh) Soest (Kr. Soest) Kloster Paradise Walburgisstift Sögel (Landkreis Emsland) Haus Campe Steinfurt (Kr. Steinfurt) Stift Borghorst Steinheim (Kr. Höxter) Haus Vinsebeck Stemwede (Kr. Minden-Lübbecke) Stift Levern Tecklenburg (Kr. Steinfurt) Stift Leeden Telgte (Kr. Warendorf) Haus Milte Haus Ostdorsel Jägerhaus (Gasthaus) Lütke / Kurze Rumphorst Sommerhaus Vandenhoff Unna (Kr. Unna) Gut Brockhausen bei Königsborn Vechta (Landkreis Vechta) Haus Bakum Haus Füchtel Haus Welpe Wadersloh (Kr. Warendorf) Haus Herfeld Waltrop (Kr. Recklinghausen) Haus Horst Warburg (Kr. Höxter) Amtmannhaus in Nörde Klosterökonomie Hardehausen bei Scherfede Warendorf Kloster Freckenhorst Haus Hoetmar Schulze Affhüppe Hof Waldmann (bei Freckenhorst) GutTönneburg 437 438 Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen Objektregister Affhüppe, Hof Ahlenkotten, Hof Ahmsen, Gut Althaus, Haus Amelsbüren, Gut Asbeck, Stift Auburg, Haus Aussei, Haus Bakum, Haus Balken, Haus Barkhausenscher Hof Bettensen, Gut Bevern, Haus Bexten, Gut Bierstraße 7, Steinwerk Blankenau, Gut Böddeken, Klosterökonomie Bödding, Haus Bockei, Gut Borghorst, Stift Bosfeld, Haus Brockhausen, Gut Brodhagen, Gut Brückhausen, Gut Brüning, Haus Büling, Haus Bühne, Gut Buldern, Gut Cammerhof 32 252 10, 28, 56, 144-148 56 273 81 56 56, 58, 140 54, 55, 57, 58 273 368-369 212 273 269 290-302 18, 20 22 57 10, 24, 26, 88-104 74, 75, 80 57 249 24, 249 31, 270-272 57 57 19, 21 255 364-366 52, 53, 56 73, 74 Campe, Haus Cappel, Stift 20 Corvey, Domäne Daerl, Haus 260, 262 Dahlhausen, Gut 10, 24, 28, 57, 149-152 199 Dahlhausen, Hof Hecht 21 Dalheim, Klosterökonomie 252, 279 Deitkamp, Gut Dieck, Haus 29, 224-238, 249 Dietrichsburg siehe Haus Dinklage 52, 54, 56, 58, 59 Dinklage, Haus 274 Domhof in Rheda Duxscher Freihof 361-363 Elsey, Stift 71 Engelrading, Haus Enkingmühle, Gut 17 Esche, Haus Espenlake, Gut Exterde, Gut Fiegenburg Flaesheim, Stift Füchtel, Haus Freckenhorst, Stift Freckenhorst, Stiftskurie von Freihof in Eickhorst Friedrichsburg, Gut Fröndenberg, Stift 348 54, 56 29 24 371 81 52, 57 Hanxleden 227 65 369-371 252 81 Fronhof, Hof Gehrden, Klosterökonomie Geismar, Gut Geist, Haus Gesmold, Gut Geseke, Stift Gevelsberg, Stift Giesking, Haus Gröpperhof Groß-Arkenstede. Haus Groß Kaldeloe, Hof Gut Denkmal Haklenburg, Gut Hameren, Haus Hamm, Haus Hardehausen, Klosterökonomie Hardenberg, Gut Hardenbergsches Haus in Hannover Harme, Haus Heeke, Meierhof Heinsen, Gut von Hardenberg Hemisburg (Heimburg), Haus Herdecke, Stift Herfeld, Haus Herrenhausen, Hardenbergsches Haus Herbortsburg, Haus Hövelhof, Jagdschloss Hoetmar, Haus Hohenfelde, Haus Hohenholte, Stift Hopen, Haus Horst, Haus Horstmann, Hof Hoya, Amtshaus Hülshoff, Haus Hünnefeld, Schloss Ihorst, Haus Jägerhaus, Gasthaus Kakesbeck, Haus Kleine-Getter, Haus Klostermann, Hof 265 20 217-219 22 42, 45 78, 79, 80 68, 70 267, 273, 280 57 54, 57 251 372-373 348 272 52, 57 22 215-218, 221 214-215 54 47 211-213 226 81, 83 274 213-214 57 140, 261 56 263, 349 68 54, 56 275 252 197 23 46 54, 57 265 268 275 251 Koppel, Gut 10, 24, 26, 127-139 Kriete, Hof Kuhlenkamp, Gut Langelage, Haus Langenhorst, Stift Langenreder, Gut 366, 368 374 45, 56 82, 273 Leeden, Stift 64, 65, 68, 69, 81 Ledenhof in Osnabrück Ledebursches Haus zu Dinklage Ledenburg, Schloss Levern, Stift Leythe, Haus Linden, Küchengarten Limbergen, Haus 25 43, 289, 290 54, 58 43 71, 72, 78 273 220 52, 57 Lippstadt, Stift 65, 66, 77, 78, 79 Lüdinghausen, Burg 271 Orts- und Objektregister Lohfeld, Gut 27, 248, 255, 262, 275, 414-429 Lotten, Haus 54, 56 Lütke (bzw. Kurze) Rumphorst, Gut 247, 248, 249, 251, 259, 388-402 251 Lütke Lengerich, Hof 10, 24, 28, 190-209 Magelsen, Siebenmeierhof 247 Mallinckrodthof, Haus j 22 Marienmünster, Klosterökonomie 289 Marienstraße 3, Steinwerk 245, 258, 348 Markfort, Haus 376 Masch, Gut 46, 47 Meppenburg, Haus 67, 74, 81 Metelen, Stift 24, 26, 56, 248, 256, 258, 263, Milte, Haus 274, 275, 329-350 Moisburg, Vorwerk 10,16,105-126 Münsterstraße 33 in Münster-Wolbeck 272 Mundeinburg, Haus Mulmshorn, Gut Nachtigall, Gut Nassengrund, Gut Neuenheerse, Stift Nevinghoff, Gut Niermann, Hof Nörde, Haus des Amtmanns Nörten-Hardenberg, Gut Nottuln, Stift Oelentrup, Domäne Oesterholz, Jagdschloss Öxmannscher Burgmannshof Ossenbeck, Gut Ostdorsel, Haus Paradiese, Kloster Papenhausen, Gut Rodenbeck, Gut Rothenburg, Haus Rotland, Hof 57 24, 26, 88-104 10, 28, 380-386 10, 28, 57, 155-156 75, 78 252-255, 267, 274 363 239-240 215-218, 221 82 57 140 369-371 254, 276 250, 263 78 57 374-376 53, 56 251 Rüschhaus, Haus 10-15, 240-243, 273, 275 Rüssel, Schultenhof Runde, Haus Schelenburg Scheventorf, Haus Schieder, Domäne Schildesche, Stift Schnorrenburg, Gut 285 263, 348 42 33 57, 272 76 251 Schönhof in Wiedenbrück Schücking, Haus Schulze Affhüppe Schulze Aldrup Schulze Dernebockholt Schulze Havichhorst Schwalenberg, Domäne Seggerde, Gut Sieverding, Hof Soest, Haus Sondermühlen, Haus Spyck Schwegerhoff, Gut Sylbach, Gut Thonenburg, Gut Tietzels Denkmal Tönneburg, Gut Valepagenhof, Gut Vallentrup, Haus Vandehoff, Sommerhaus Vasbach, Gut Venne, Haus Vinsebeck, Schloss Visbeck, Haus Vischering, Haus Vörde, Haus Vornholz, Haus Vorhelm, Haus Waldmann, Hof Wallbaum, Gräftenhof Walburgisstift Soest Wegemühlen, Haus Wegmann, Hof Welpe, Haus Wentrupscher Hof Werse, Gut Wesseling, Hof 276 259 263 259 259 248, 250, 261, 262 57 19 251 255, 276 12, 47, 52, 56, 273 52, 56 57 10, 28, 57, 152-155 20 372-373 28, 430-434 10, 28, 140-145, 252, 254 57 265-267 26,351-359 57 243-244 29, 168-189, 248, 249 171-174 29, 161-166 ZI 57 265, 266 14, 56 80, 81 48 255 53, 54, 57, 58 367-368 ZI, 262, 403-412 252, 279 Westerhaus, Gut 24, 26, 248, 258, 274, 305-328 Westerholte, Meierhof 284-285 Wienburg, Gut 256-257, 263 Wilhelmstraße 11 in Münster, Gartenhaus 262, 264 273 Wöbbel, Gut 198 Wührden, Siebenmeierhof 250 Zumberge, Hof 439 i i j i i tion für den denkmalpflegerischen Alltag ein wichtiges Handbuch dar und f besitzt zugleich Bedeutung für künftige Forschungen. Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen, Heft 43 ISBN 978-3-8271-8043-8 783827 180438 Wohnen in der Feldmark - Vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780 Das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf) kamen Besucher und stürmten die Kuchentafel, tranken Kaffee oder spielten Schach und Karten. In der Gästeliste finden sich alle Namen der gehobenen Warendorfer Gesellschaft und benachbarter Ortschäften.14 Das Familienleben änderte sich mit den wachsenden Erfolgen der französischen Freiheitskämpfer. Weil die Fürstbischöfe in Münster ihre Positionen gefährdet sahen, kam es zur Dämpfung des Aufruhrs auch zu militärischen Handlungen: Am 21. Oktober 1789 wurde der Oberst über einen bevorstehenden Krieg in Kenntnis gesetzt. Am 17. November marschierte Wil- helm Xaver von Tönnemann mit seinem Regiment nach Münster. Bis dahin hatte ihn seine Familie beglei- tet und dann verabschiedet. Drei Tage später zogen die beiden Regimenter aus Münster und Warendorf gemeinsam mit 15 Kistwagen, 6 Munitionswagen und 6 Kanonen Richtung Lüttich. Erst Ende August 1791 kam das Regiment nach Warendorf zurück. In der Abwesenheit des Familienoberhauptes blieb der Lehrer auf der Tönneburg und kümmerte sich um die Bildung und die Erziehung der Kinder. Der Vater verließ sich nicht auf die Post, sondern entsandte Boten, die Nachrichten und Geschenke an die Familie direkt weiterleiteten. Ab 1791 wurden die älteren Kinder in die Stadt zum Studieren geschickt.15 Mit dem Ende der täglichen Notizen von Christoph Tönnemann enden 1790 auch die Überlieferunqen mit derE Widerstand geleistet. Nur geringe Teile des Offizierscorps und der Truppen sind später von den Preußen übernommen worden. So auch Franz Xaver von Tönnemann. In der zwischenzeitlichen Franzosenzeit von 1807- 1813 war der Sohn und Tagebuchschreiber Christoph Tönnenmann zum Bürgermeister der Stadt Warendorf ernannt worden. Auch dessen Bruder Karl bekleidete zu dieser Zeit ein städtisches Amt. Gemeinsam mit einigen Mitgliedern der städtischen Oberschicht gründeten sie im Jahr 1810 die Bürgergesellschaft „Har- monie". Der Herrenclub, der 1811 ein Clubhaus an der Münsterstraße errichtete und 1846 einen stattlichen Saal hinzufügte, besteht noch heute. Nach 1830/40 kam die Tönneburg in verschiedene andere Hände, es wurde mit wenig Erfolg versucht, hier eine Brennerei und eine Stärkefabrikation zu betreiben. 1887 brannte das Haus ab, das Grundstück wurde verkauft und von dem neuen Besitzer Linnemann aus Ahlen neu bebaut. Der neue Hausherr richtete dort eine Kaffeewirtschaft ein, in deren Nachfolge man heute Pizza und Pasta genießen kann. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Major Tönnemann zwar auf dem Land wohnte und durch seine Angestellten eine Landwirtschaft betrieb, er selbst mit seiner Frau und den Kindern aber weiter am städtischen Leben teilnahm. Er ermöglichte seinem Nachwuchs ein freies ungebundenes Leben mit Tieren in der Natur. Er verband die Erziehung der Kinder mit einem hohen Anspruch auf Bildung und pflegte mit ihnen städtische Kontakte. Das gesellschaftliche Leben in der Stadt holte er sich mit seiner Gastfreund- mann. Am E Einmar schaft in das Landhaus. üö 4 Das b sentiert o o O 387 ab. Das danach als Gasthaus neu errichtete Fachwerkhaus prä3010). □ m 0) 433