Lutz Seiler, was haben Sie als Professor auf Zeit gelernt?

Am Mittwoch stellt der mit dem Berliner Literaturpreis 2023 ausgezeichnete Schriftsteller zusammen mit Studentinnen und Studenten ganz frische Texte vor.

Lutz Seiler erhielt im vergangenen Jahr sowohl den Berliner Literaturpreis als auch den Georg-Büchner-Preis.
Lutz Seiler erhielt im vergangenen Jahr sowohl den Berliner Literaturpreis als auch den Georg-Büchner-Preis.bildgehege/Imago

Gerade wurde verkündet, wer für das Jahr 2024 den Berliner Literaturpreis erhält – Felicitas Hoppe –, da nähert sich für den Preisträger des Jahres 2023 die mit der Auszeichnung verbundene Arbeit dem Ende: Lutz Seiler hat ein Werkstattseminar am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität gegeben. 16 der teilnehmenden Studentinnen und Studenten werden am Mittwoch mit ihm im LCB ihre Texte vorstellen. Vorab sei der Berliner Literatur- und Büchner-Preis-Träger gefragt: Lutz Seiler, was haben Sie in der Rolle des Professors gelernt?

Ich habe gelernt, dass ein Gespräch über eigene unfertige, unvollkommene Texte ohne Empfindlichkeiten und Ängste möglich ist. Das setzt ein gewisses Maß an Vertrauen voraus, kaum zu verlangen in einer Gruppe, die sich vorher nicht kannte. Wahrscheinlich beginnt es mit Respekt. Und der Einsicht, dass es ganz praktisch nur darum gehen kann, handwerkliche Mittel zu besprechen, die Texte besser machen. Ich habe gelernt, dass es gut ist, wenn alle mitsprechen, keine langen Monologe. Anschlussfähigkeit, an welchen Diskurs auch immer, musste in dieser Runde nicht bewiesen werden.

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Das heißt, es ging „nur“ um Literatur – keine Selbstverständlichkeit. Gelernt habe ich auch, dass Themen wiederkehren, die uns bekannt vorkommen, vor allem Themen des Familienlebens, kranke Mütter, trinkende Väter, die Welt der Alten, die Herkunftsgeschichten und die damit verbundene Geschichte der Definitionen: Wer bin ich, was hat mich gemacht?

Ich habe gelernt, wie man das Berliner Kaufhaus des Westens kapert, was ein Lokführer empfindet, wenn der Zug sich neigt in der Kurve, und was es bedeutet, ein Haus mit Nazigeschichte zu erben. Überraschend präsent: das Drama des ungeliebten Kindes, oder: Warum es sein kann, dass man Kinder hasst. Nichts über KI (zum Glück), dafür ein Roman über Menschenzucht und Zweifel. „Und in jedem Viertel eine mit Spezialfragen gestopfte Welten-Gans, die nur so auf Besuch wartet.“ (Sidney Kaufmann)

Nicht zu vergessen: Trotz wunderbarster Unterstützung des Sekretariats habe ich gelernt, die beiden Kaffeemaschinen in der Küche des noblen Peter-Szondi-Instituts zu bedienen. Auch kleines Gebäck wurde dankbar aufgenommen. Dann Literatur, so gut wie Proust.

Werkstattlesung, 14.2., 19.30 Uhr, Literarisches Colloquium Berlin, Am Sandwerder 5