Prof. Roloff kennt das Geheimnis uralter Bäume: Ich bin Baum-Dolmetscher

Baum-Professor Andreas Roloff sucht die ältesten Bäume Deutschlands

Im Volksmund wird die Collmer Linde „tausendjährig" genannt. Baum-Professor Andreas Roloff (67), der hier im verschlungenen Stamm des Uralt-Baum steht, schätzt ihr Alter auf etwa 800 Jahre

Im Volksmund wird die Collmer Linde „tausendjährig" genannt. Baum-Professor Andreas Roloff (67), der hier im verschlungenen Stamm des Uralt-Baum steht, schätzt ihr Alter auf etwa 800 Jahre

Foto: NIELS STARNICK / BILD
Von: Volker Weinl (text) und Niels Starnick (Fotos)

Der Linde, die vor der Dorfkirche von Collm (250 Einwohner, Sachsen) steht, sieht man ihr Alter an. Und das ist gut so!

Ein mächtiger, vielfach verzweigter Stamm, elf Meter Umfang. Der Hauptstamm innen hohl. Wurzelstränge sind aus dieser Höhle heraus bis zum Boden gewachsen, inzwischen jeder so dick wie der Stamm eines normalen Baums. Die Rinde ist von tiefen Furchen geprägt, Moos und Flechten wachsen auf ihr. Eine lebendige Skulptur. 25 Meter hoch und etwa 800 Jahre alt. Was hätte diese Linde alles zu erzählen!

Weil Bäume bekannterweise selten sprechen, brauchen wir einen Dolmetscher. BamS trifft Professor Andreas Roloff von der TU Dresden. Der 67-Jährige ist Baumwissenschaftler, Spezial-Gebiet: uralte Bäume. „Methusalem-Bäume“, nennt er sie.

Die Collmer Linde ist einer davon. „Früher fanden hier unter dem Blätterdach Gerichtsverhandlungen statt“, erzählt Roloff. Die mussten damals unter freiem Himmel stattfinden. Bis ins 20. Jahrhundert war im Stamm des Baums noch ein eiserner Halsring verankert – für Verbrecher, die hier einst am Pranger standen. „Heute ist der Baum das Zuhause von Fledermäusen und Käfern. Während der Lindenblüte schwirren hier Tausende von Hummeln und Bienen auf Nektarsuche.“

Gibt es in Deutschland 1000 Jahre alte Bäume?

Und auch Menschen wandern zum Baum – und staunen. „Jahrhundertealte Bäume sind sowohl für die Natur als auch uns Menschen enorm wertvoll“, sagt Roloff. „Hierzulande wird dieser Wert zu oft übersehen. In England gibt es sicher hundert Bäume, die 1000 Jahre und älter sind. Bei uns heißen zwar einige Exemplare im Volksmund tausendjährig. Auch die Collmer Linde. Aber bestätigen konnte ich das bisher für keinen Baum in Deutschland.“ Immerhin: Eine Eiche in Raesfeld (NRW) schätzt er auf bis zu 950 Jahre.

Die Deutschen täten sich schwer, Bäume in Würde altern zu lassen, meint der Experte. Dazu gehöre etwa, dass auch mal ein Ast abstirbt. In England werde dann ein Warnschild aufgestellt, in Deutschland vor allem auf die Sicherheit geschaut und meist mit der Säge angerückt. Womit das Leben des Baums verkürzt oder gar beendet werde.

Im Laufe der Jahrhunderte verändern Uralt-Bäume ihre Form. Früher soll die Sommer-Linde in Collm (Nordsachsen) 32 Meter hoch gewesen sein. Heute misst sie noch 25 Meter. Und 11 Meter Stammumfang

Im Laufe der Jahrhunderte verändern Uralt-Bäume ihre Form. Früher soll die Sommer-Linde in Collm (Nordsachsen) 32 Meter hoch gewesen sein. Heute misst sie noch 25 Meter. Und 11 Meter Stammumfang

Foto: NIELS STARNICK / BILD

Roloff sucht im ganzen Land nach uralten Eichen, Linden, Eiben, Berg-Ahornen oder Lärchen. Er vermisst sie, erforscht ihre Geschichte. Die imposantesten werden als Nationalerbe-Bäume ausgezeichnet. 25 sind es schon. 2025 soll die Mark 50 erreicht sein. Und auf lange Sicht 100.

„Ein alter Baum ist so wertvoll wie 400 Jungbäume"

Das alles ist mehr als Liebhaberei. Denn alte Bäume sind für uns überlebenswichtig. „Sie kühlen und beschatten ihre Umgebung, sie filtern die Luft, speichern das Klimagas CO2. Um die Leistung eines alten Baumes mit einem Kronendurchmesser von 20 Metern zu ersetzen, bräuchte man 400 junge Bäume mit einem Kronendurchmesser von einem Meter.“

Wenn in Deutschland bei einem Bauvorhaben ein alter Baum zu weichen hat, muss je nach Verordnung nur ein neuer gepflanzt werden, manchmal auch drei. Roloff: „Man könnte sagen, das ist lächerlich – wenn es nicht so traurig wäre.“

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„Dieser Artikel stammt aus BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.

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