Längliche Holzfiguren auf einem Mauervorsprung stehend.
Bildrechte: © Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg - Foto Andreas Weiss

Klassiker des deutschen Expressionismus: Holzskulpturen des Bildhauers Ernst Barlach.

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Hörend kommt der Mensch zur Ruhe - Ernst Barlach in Neumarkt

Der Bildhauer Ernst Barlach war Expressionist. Figuren und Formen veränderte er, um das Wesentliche sichtbar zu machen. Zum 150. Geburtstag des Künstlers zeigt jetzt das Lothar Fischer Museum in Neumarkt eine Retrospektive seiner Arbeiten.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Ja, tatsächlich rätselhaft erscheint dem Betrachter diese berühmte Figurengruppe von Ernst Barlach, genannt das "Fries der Lauschenden".

"Bei Barlach geht es ja einfach um den Menschen, die Gefühlszustände, und dieser Fries ist ja geschaffen worden in einer sehr düsteren Zeit, also 1930 bis 1935, wo die Machtergreifung Hitlers schon da war. Und Barlach stellt eben nicht das Heldische da und den wunderbaren Körper, sondern das Zerbrechliche, das Verinnerlichte." Komplex und wechselhaft ist die Geschichte des Frieses, erzählt Museumsdirektorin Pia Dornacher, lange Zeit blieb es unfertig, bis der Sammler Hermann F. Reemtsma den Auftrag für die Vollendung gab. Neun Figuren wurden es, die dann bei dem Zigarettenfabrikanten lange Zeit im Hamburger Wohnzimmer standen, gleich rechts neben dem Kamin.

Archetypen des Hörens

"Also die Träumende, der Gläubige, die Tänzerin, der Blinde, dann die Pilgerin, der Empfindsame, der Begnadete, die Erwartende also, die sind einzeln benannt", erklärt Leiterin Pia Dornacher. Fehlt noch "Der Wanderer", jene Figur in der Mitte, mit der Ernst Barlach sich selbst darstellte.

Dem Künstler erschienen die Menschen geheimnisvoll, auch er selbst ein eher introvertierter Charakter. So interessierte sich der große Expressionist für diese seltsame Spezies auf Erden, wie er selbst es einmal formulierte, für dieses [Zitat] "unheimliche Rätselwesen", das im "Fries der Lauschenden", einem Spätwerk – vollendet drei Jahre vor dem Tod 1938 des nie konkret politisch agierenden Künstlers –, so faszinierend vielschichtig dargestellt ist. Seine Arbeit war ihm ein Gegengewicht zu dunklen Zeiten – sie "schob mich durch die Zeit und hob mich über ihre schlammigen Gründe", sagte er.

Rätselwesen Mensch

Die Figuren sind wie eingesperrt in steif stehende Gewänder, enge Mäntel und Kleider, alle mit den entsprechenden Werkzeugen aus dem dunklem Eichenholz hervorgeholt und teilweise erinnernd an gotische Portalplastiken oder auch ein Chorgestühl. "Das heißt: Ihm geht es nicht um eine Körperlichkeit, um den Körper des Menschen, sondern es geht ihm wirklich um diese Gewänder. Es sind ja eigentlich wie Gewandfiguren."

Schlank und hochgestreckt stehen die neun Lauschenden, gut einen Meter groß, jede Figur stark auf sich bezogen, verinnerlicht. "Barlach hat ja immer so ein bisschen dieses Pathetische und dann dieses Mystische, das finde ich jetzt gerade hier sehr schön, dass der Barlach eine unglaubliche Frische bekommt hier und gerade dieses Düstere vielleicht gar nicht so in den Vordergrund tritt."

Figuren aus Gips und Styropor als Kontrast

Der Betrachter verweilt vor den Figuren und rätselt, forscht nach dieser Innerlichkeit, nach der menschlichen Regung, wird zurückgeworfen auf die eigene Haltung, die Positionierung in Gesellschaft und Zeit. Beseelend ist das, sich in den stillen Dialog mit den Lauschenden zu begeben, zu versuchen, sie zu erkennen und darin auch sich selbst.

Der Clou bei der Ausstellung: Museumsdirektorin Pia Dornacher hat dem "Fries der Lauschenden" die Gruppe der "Enigma-Variationen" gegenübergestellt, jene Figuren, die der in Neumarkt lebende Lothar Fischer Mitte der neunziger Jahre schuf: Hier sind es die aus Styropor und Gips gearbeiteten, meterhohen Modelle für die späteren Bronzegüsse – abstrahierte Wesen, die dem Bildhauer selbst ein Rätsel waren.

"Er hat einmal gesagt, ich weiß eigentlich selber nicht, was die Figuren darstellen, bedeuten oder in der Hand halten oder auch tun. Es sind Kunstfiguren, wo es um formale Aspekte geht und nicht um eine Abbildlichkeit."

Zeitlose künstlerische Aussagen

Das Rätselwesen Mensch in ganz unterschiedlichen, skulpturalen Ausprägungen. So stehe der Betrachter zwischen diesen beiden Friesen, die in ihrer dringlichen künstlerischen Form zeitlos seien und trotzdem einen Bezug herstellen zur Gegenwart, sagt Museumsleiterin Pia Dornacher. "Klar, man muss wieder über was in unserer Welt los ist nachdenken, auch in uns gehen und schauen, was passiert eigentlich? Ich meine, das kann in so einem Museumsbesuch wirklich ganz, ganz stark kommen."

Und es kommt – diese Nachdenklichkeit, wer wir sind und wohin wir wollen.

"Rätselwesen Mensch" - Skulpturen von Ernst Barlach. Bis 28. Januar im Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz.

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