Einer größeren Öffentlichkeit wurde Bibiana Beglau bekannt, als sie in Volker Schlöndorffs "Die Stille nach dem Schuss" eine in der DDR untergetauchte RAF-Terroristin verkörperte.

Foto: Gregor Hohenberg

Bibiana Beglau klingelt. Es ist nachts um halb eins, sie steht an einer Ampel am Berliner Alexanderplatz, wartet mit ihrem Fahrrad auf das grüne Ampelmännchen, hat einen leichten Pullover an, Jeans, klingelt noch mal und erzählt dann von der Grillparty in einem halb fertiggestellten Haus an der Spree. Schnell, gerade heraus, überschwänglich.

Wohin sie will? Nach Hause, nach Prenzlauer Berg. "Da wohne ich", sagt sie. Und ergänzt: "Noch." Ihr Mund verzieht sich schamhaft wie bei einem Mädchen, das man beim Kaugummi-Klauen erwischt hat. Im Moment herrscht eine Antistimmung in der Stadt, niemand weiß, ob der Bezirk noch liberal und offen oder schon spießig und engstirnig ist. Bibiana Beglau steigt auf ihr Rad, eine drahtige kleine Frau, sie lacht ein tolles Kneipenlachen, und unwillkürlich fragt man sich, ob es auf dem Fest vielleicht mehr als Saft und Wasser gab. Oder ist die 39-Jährige einfach natur-high?

Nachtaktives Energiebündel

Sie steckt voller Energie, das ist klar. Das erzählt sie selbst, ein anderes Mal, auf einer Party in der Bar Tausend, im Gewölbe unter der S-Bahn Friedrichstraße. Wie schwer es für sie ist, nach einem Dreh oder einer Theatervorstellung wieder zurückzufinden, wenn plötzlich das Licht angeschaltet wird – und in Bibiana Beglaus Körper tobt es noch. "Dann gehe ich nachts joggen, in einen Club, einfach nur raus", sagt sie. Die Energie will abgebaut werden. Beglau dreht sonst durch.

Das kann man sich schwer vorstellen, wenn man sie in ihrem neuen Film Was du nichts siehst beobachtet, der Mitte Juli in die heimischen Kinos kommt. Da spielt sie eine Frau, die ihren Mann verloren hat und mit dem volljährigen Sohn und dem neuem Freund in die Bretagne fährt.

In dem kammerartigen Thriller ist sie reduziert, beinahe emotionslos, eine Leinwand, auf der die anderen Männer ihre Wünsche projizieren. Oder für ihre Rolle als Ursula im neuen Stück von Peter Handke, Immer noch Sturm. Die Koproduktion mit dem Hamburger Thalia-Theater zeigen die Salzburger Festspiele als Uraufführung am 12. August. Handke erinnert sich an die Geschichte seiner Familie in Slowenien, Bibiana Beglau spielt die Schwester der Mutter.

Hingabe zum Spiel

Da wird sie wieder ganz anders sein als die Schauspielerin, die Partygäste auf der Berliner Fashion Week bewundern. Einmal hat sie ein Kleid des Berliner Designers Sam Frenzel getragen, eine Art große Plastikschleife hing am Ausschnitt, sie sah wie ein gut geschnürtes Plastikpaket aus. Sie lobte den Modeschöpfer ("Für ihn würde ich alles machen!") – und jeder spürte, diese Frau ist keine leere Leinwand, sondern pralles Leben.

Die Hingabe zum Spiel und zur Verkleidung fing im Kindesalter an. Sie wuchs in Braunschweig auf, als Tochter einer Krankenschwester und eines Grenzbeamten, besuchte die örtliche Waldorf-Schule und verkleidete sich für einen Kindergeburtstag als Cassandra. Da war sie acht, in der Schule hatte die Lehrerin gerade von der antiken Seherin erzählt. "Die Geschichte hat mich sofort gepackt", erzählt sie. "Diese Tragödie, da sitzt eine Frau, redet und warnt die Menschen – und alle sagen: Du sprichst nicht die Wahrheit, du bist hysterisch."

Was tat die kleine Bibiana? Sie nähte sich ein Sackkleid, von dem sie sich vorstellte, dass Cassandra dies trug, als sie mit Agamemnon vor den Toren Mykenes stritt. Die anderen Kinder hatten sich als Ritter und Prinzessinnen zurechtgemacht, mit bunten Kostümen, nur sie stand in dem schmucklosen Kleid da, mit Mittelscheitel und langen Haaren – und sah, nun ja, deplatziert aus. "Aber ich stellte mir vor, die wirkliche Verkleidung war nicht das Kleid, sondern dass ich mich innen drin so fühlte wie Cassandra." Und das war vielleicht einer der ersten Momente, in dem sie eine Ahnung vom Schauspielern erhielt.

Vorbilder und Inspiration

Es folgten Faszinationen für sehr unterschiedliche Menschen: Grace Jones ("Diese Arschbacken, diese Wangenknochen, diese roten Lippen! Wie sollte der Mensch sein, der in diesem Körper steckt?"), Joan Collins als Biest Alexis im Denver Clan ("Die war so böse, so klug, das kannte ich in meiner Welt gar nicht. Sie war eine Figur wie Lady Macbeth. Wenn sie ein Wort sagte, drehte sich die Welt in die andere Richtung.") und Anna Magnani ("In Mamma Roma hat sie einen tollen Blick, so wie Feuer in den Augen. Und dann dieses weiße gerade gewachsene Gesicht. Sie besitzt etwas Harsches, Verschlossenes, wie ein Stück altes gutes schwarzes Holz, das schon mal im Feuer gelegen hat.")

Sie saugt die androgynen Kampagnen von Comme des Garçons aus den 80er-Jahren mit derselben Intensität auf wie die Filme von Pier Paolo Pasolini aus den 50ern. Anfang der 90er-Jahre absolviert sie eine Schauspielausbildung in Hamburg, sie steht sofort danach auf der Bühne, bleibt bis heute eine der wichtigsten Gesichter des deutschsprachigen Theaters – und spielt überall, an der Schaubühne in Berlin, im Thalia-Theater Hamburg und auch schon mal im Wiener Burgtheater.

Das war zwischen 2005 und 2009, sie gab die Kunigunde in dem Stück König Ottokars Glück und Ende von Franz Grillparzer. Über das berühmte Haus sagt sie: "Was für ein Riesenkasten! Es gibt Schauspieler, die alles rauf- und runter- spielen – und dann gibt es fest angestellte Schauspieler, die noch nicht mal den Mund aufmachen dürfen. Die erste Leseprobe werde ich nie vergessen, wir saßen mit 50 Leuten im Saal – das habe ich noch nie erlebt. Da saßen der Assistent des Assistenten, mit seiner Familie, die technischen Abteilungen, die Berater, das war wie ein ganzer Stab drumherum." Sie lacht. "Aber die Geschwindigkeit und Organisation der Arbeit, das hat mich stark beeindruckt."

Darstellerpreis der Berlinale

Einer großen Öffentlichkeit wurde sie 2000 bekannt, als sie in Volker Schlöndorffs Die Stille nach dem Schuss eine in der DDR untergetauchte RAF-Terroristin verkörperte. Die Rolle brachte ihr viel Lob ein, der New Yorker schrieb begeistert: "We can't take our eyes off Beglau." Und mit ihrer Filmpartnerin Nadja Uhl erhielt sie den Darstellerpreis der Berlinale. Seitdem hat sie in vielen Kinofilmen mitgewirkt, manchmal auch im Tatort gespielt und dem Theater immer die Stange gehalten.

Anfang des neuen Jahrtausends zog sie von Hamburg nach Berlin, dahin, wo es immer mehr Schauspieler hintrieb, Künstler, Galeristen und Modeschaffende. Sie genoss die Verbindung von Hoch- und Popularkultur, ging ins Theater genauso wie in Clubs, war auf Vernissagen zu sehen und nachts in Bars. Sie wollte es nicht, aber sie wurde eines der Gesichter der Stadt – sie verkörperte das Herzliche und Harte genauso gut, sie war wie die Stadt hungrig nach neuen Erfahrungen. Und immer, ja man muss es sagen, sah sie dabei sehr lässig aus.

Selektion statt Laufsteg-Trend

Sie trug nie die herablassende Modeverachtung der Berliner Neuschnöseligen vor sich her, rannte aber auch nicht jedem Laufsteg-Trend nach. Sie selektierte sehr genau, ging auf die Schauen der jungen Fashion Week, wenn es ihre Zeit erlaubte, entdeckte so Sam Frenzel und Michael Sonntag. "Ich mag die Strenge von Sonntag, die nicht prätentiös wirkt." Einer ihrer Modehelden kommt aus Österreich: der Modeschöpfer Helmut Lang. "Ich erinnere mich noch, als ich mit 18 Jahren meinen ersten Pullover von ihm in einem Secondhand-Laden in Braunschweig gekauft habe. Der war durchsichtig schwarz, ganz fein genäht – und ich musste beim Tragen aufpassen, dass ich ihn nicht zu sehr strapaziere und kaputtmache."

Im Moment hat sie ihre Augen nach vorn gerichtet – auf den Herbst. "Ich habe die Schau für die Winterkollektion von Gucci gesehen. Da gab es eine Art Faye-Dunaway-Show, mit petrolfarbenen Mänteln, ganz dicken Gürteln – ein wenig wie die Figuren aus den Romanen von Fitzgerald." Die hätte sie gerne, aber das bleibt wohl noch ein Traum. Auf dem Fahrrad würde Bibiana Beglau damit bestimmt eine sagenhafte Figur machen. (Ulf Lippitz/Der Standard/rondo/17/06/2011)