Wer 2023 noch glaubt, dass die Nationalsozialisten Deutsche waren und Österreich nur das erste Opfer der Annexionspolitik des Österreichers Adolf Hitler, dem kann geholfen werden: Die polnisch-französische Journalistin Barbara Necek hat für Arte "Nazis, made in Austria" dokumentiert. Eine kompakte Aufarbeitung von Hitlers Prägung in Wien über die besondere Gnadenlosigkeit österreichischer Nationalsozialisten bei Euthanasie und Holocaust bis zur Bundespräsidentschaft eines autobiografisch gern vergesslichen Kurt Waldheim.

Ernst Kaltenbrunner und Heinrich Himmler.
"Nazis, made in Austria" auf Arte: Der österreichische Nationalsozialist Ernst Kaltenbrunner (links im Bild, rechts von ihm "Reichsführer SS" Heinrich Himmler bei einem Besuch des KZs Mauthausen) war einer der führenden Köpfe der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich.
Arte/Cinétévé

Im Dienst nationalsozialistischen Denkens

Für die Arte-Reihe "Geschehen neu gesehen" rückt Necek das nach dem Ende des NS-Regimes in der Zweiten Republik lange gepflegte Österreich-Bild vom ersten Opfer Nazideutschlands mit der Annexion der "Ostmark" 1938 zurecht. Sie zeigt die lange zuvor schon aktiven illegalen Nationalsozialisten, die den Ständestaat-Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordeten. Den breiten Jubel über den "Anschluss" an Nazideutschland, den besonderen Eifer der Österreicher bei Angriffen auf die jüdische Bevölkerung. Die "Atmosphäre heiterer Kameradschaft" im Personal des als Euthanasiezentrum zur Tötung von Menschen mit Behinderung eingerichteten Schlosses Hartheim. Den Verhaltensforscher und späteren Nobelpreisträger Konrad Lorenz, der damals seine "ganze wissenschaftliche Lebensarbeit im Dienst nationalsozialistischen Denkens" sieht.

Es war ein Polizist aus Wien, der die Familie von Anne Frank in den Niederlanden verhaftete. Der Österreicher Arthur Seyß-Inquart organisierte als "Reichskommissar" die Deportation und Ermordung der Jüdinnen und Juden in den Niederlanden. Der aus Österreich stammende SS-"Hauptsturmführer" Alois Brunner organisierte Massenmorde an den Juden in Wien, Griechenland und schließlich in Frankreich, wo er als "Schlächter von Drancy", eines Sammellagers, noch nach der Invasion der Alliierten in der Normandie alles daransetzte, einen letzten Todeszug mit 1.300 Menschen in die Vernichtungslager zu organisieren. Österreicher leiteten Vernichtungs- und Konzentrationslager und fielen in einer massenmörderischen Maschinerie durch besondere Brutalität auf. Es war die österreichische Bevölkerung um das Lager Mauthausen, die tatkräftig dazu beitrug, dass von 500 aus dem Lager geflohenen sowjetischen Kriegsgefangenen kaum ein Dutzend überlebte.

Österreich pflegte das – von den Alliierten anerkannte – Image des ersten Opfers und "bemühte sich um ein sympathisches, fröhliches und vor allem unschuldiges Image". Erst 1991 bekannte Bundeskanzler Franz Vranitzky in einer Rede vor der Nationalversammlung die Mitschuld Österreichs und entschuldigte sich im Namen Österreichs bei den Überlebenden und Nachkommen der Opfer des NS-Regimes.

Wem das nicht in vollem Umfang bewusst war: Die grauenvoll lehrreiche, wenn auch inhaltlich nicht spektakulär neue Dokumentation "Nazis, made in Austria" hatte ihre Premiere diese Woche im Arte-Fernsehprogramm, sie ist noch bis 13. Oktober 2023 in der Arte-Mediathek abzurufen. (fid, 12.8.2023)