Der deutsche Wortschatz von 1600 bis heute.

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)

Es wurden mehrere Einträge zu Ihrer Abfrage gefunden:

gichterisch, adj., adv.

gichterisch, adj., adv.,
abgeleitet von dem plural gichter, wobei die beliebtheit der suffixverbindung -erisch mitgespielt haben mag, s. Wilmanns 2, 472. 'von gichtern d. i. von krampfhaften, zuckenden bewegungen ergriffen, krampfhaft verzogen', fälschlich 'mit der gicht behaftet' Campe 2, 372ᵇ. es beschränkt sich ursprünglich auf das schwäbisch-hochalemannische. seit ende des 17. jh., zunächst nur als adjectiv in der stehenden verbindung gichterische bewegung, im pathologischen sinne, vgl. motus convulsivus, spasmus clonicus partialis, das zucken, die gichterzuckungen, gichterische bewegungen Blancard arzneiwb. (1878) 2, 392; gichterische bewegungen (v. j. 1697) bei Tobler appenzellischer sprachsch. 221ᵃ; bey der chur (der lähmung) sollen keine purgantia gebrauchet werden, weil davon eine gichterische bewegung verursacht werden möchte Bräuner schatz d. gesundh. 2 (1725) 150; asthma ... ein scharffes geblüth, so die werckzeuge des athems ... zu einer gichterischen bewegung reitzet Blancard med. wb. (1710) 73. von den Schweizern und Wieland in die dichtersprache eingeführt; auch ohne die vorstellung einer wirklichen krankheit, in mehr oder minder bewuszter analogie. vor allem ein lieblingswort des jungen Schiller, dem es als mediziner nahe lag, und dessen anwendung sich öfter einer symptombeschreibung nähert. nach 1786 völlig aus seinem wortschatz verbannt. von ihm aus erklärt sich auch der starke literarische niederschlag, den gichterisch und vornehmlich gichterisch zucken in der folgezeit gefunden haben, ohne sich jedoch dauernd durchzusetzen. heute kaum mehr gebräuchlich: Philoctetes, in gichterischen bewegungen: lass mich Steinbryckel Philoctet (Zürich 1760) 56; nur manchmal umfaszte sie mich mit einer heftigen gichterischen bewegung S. v. Laroche gesch. d. frl. v. Sternheim (1771) 2, 62; da ist eine tugend, die ich die krampfige nenne, nämlich gichterische bewegung, schwache und unmächtige äuszerungen derselben kraft, die sich anders äuszern würde, wenn sie nicht negativ, sondern positiv wäre (um 1793) Fr. v. Baader s. w. 11, 261 v. Schaden. gichterische zuckungen, gicht(e)risch zucken:
ein strom von bittern thränen stürzt mit wut
aus Hüons aug; von jenen furchtbarn thränen,
die aus dem halb gestockten blut
verzweiflung preszt, mit augen voller glut
und gichtrisch zuckendem mund und grimmvoll klappernden zähnen
Wieland Oberon 8, 55 im teutsch. Merkur (1780);
und wenn Garrik seinen Lear und Othello gespielt hatte, so brachte er einige stunden in gichterischen zukungen auf dem bette zu Schiller 1, 162 G. (über d. zusammenhang d. tierisch. natur d. menschen § 15); ihre (Luisens) zunge wird schwerer, ihre finger fangen an gichterisch zu zucken 3, 503 (kabale 5, 7);
gichtrisch zuckt die starre sehne
Schiller 1, 299 G. (jugendged. u. anthol.);
von andern dichtern übernommen: graf Platens gedichte und die schauspiele besonders erregten starke gichterische zuckungen Tieck novellenkranz (1835) 4, 398; sein mund zuckt gichterisch J. D. Falk satiren (1800) 3, 86;
gichtrisch zuckt der bleiche mund
und dein aug sucht scheu den grund
Grillparzer w. (1909) 1, 80 Sauer
(vgl. dazu 'in Wien nicht verstanden, daher in den drucken zu gichtrich entstellt' ebda 1, 403);
ein gichtrisch zucken deutet an,
dasz nun der todeskampf begann
sonstige verbindungen: Gianettino (bäumt sich gichterisch) Schiller Fiesko 4, 17; das gichterische wälzen des sterbenden wurmes ebda 1, 12; sie lag in schrecklichen beängstigungen, zu welchen sich ein gichterischer schlucken gesellte ders. 3, 570 G. (weibliche rache 1784); die augenlider mit den grauen wimpern schossen gichterisch über die offenstehenden pupillen Storm w. (1899) 3, 313. übertragen: sinnlos und entstellet stürmt der gichtrische zorn umher Thomsons vier jahreszeiten (Zürich 1774) 25; gichtrische empfindungen werden jederzeit von einer dissonanz der mechanischen schwingungen begleitet Schiller räuber 2, 1; begeisterung der zeitgenossen, wie unstät nichtig zuckisch und gichterisch sie ist E. M. Arndt nothgedrungener bericht aus seinem leben (1847) 214. für sich stehend, wohl in der mundart begründet, etwa im sinne von 'krampfhaft, verzerrt':
die schreckensbilder, die ich vorge nacht
vor meinen augen sah, durchängsten mich,
... mein vater lag
mir buhlerisch im arm .... und eh
ichs mich versah, fuhr mir ein dolch ins herz
doch still! ... es war ein
unflätiger traum und gichterisch
Bodmer neue theatr. w. 1 (1768) 178.
vereinzelt in der anwendung 'mit krämpfen behaftet' (epileptisch?): auszer einem ganz verwachsenen gichterischen knaben, den die gemeinde unterhält Iffland dram. w. (1798) 1, 159.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1936), Bd. IV,I,IV (1949), Sp. 7295, Z. 66.

gichtisch, adj.

gichtisch, adj.,
'mit der gicht behaftet, gichtkrank', 'gichtähnlich', erst seit dem ausgang des 18. jh., durchweg der jüngsten bedeutung von gicht 5 entsprechend arthriticus, das veraltende gichtbrüchig und gichtig vielfach ablösend, vgl. 'gichtisch durch die gicht bedingt oder verursacht' Richter wundarzneikunst (1790) 3, 81; 'adj. und adv. im gemeinen leben' Adelung 2 (1796) 680. mundartlich: gichtsch mit der gicht beschweret Dähnert (1781) 152; jichtsch Liesenberg Stieg. 85; Fischer schwäb. 3, 650. literarisch reichlich bezeugt: die vignette dieses blattes ist ein porträt eines durch brandtewein entnervten, gichtischen unbekannten menschen J. K. Lavater physiognom. fragm. (1775) 1, 97; alle alte übel werden, wie die schmerzen eines gichtischen nach einer debauche, in unzähligen supplicken lebendig Göthe IV 4, 297 W.; es ist allweg eine verteufelte plag, man wäre leichter eine kleine weile gichtisch oder sonst krank J. Gotthelf Uli der pächter (1850) 245; in wenigen minuten war die wirtsstube leer, nur der arme gichtische spielmann sasz noch im ofenwinkel P. Rosegger schr. (1895) I 2, 341. wie gichtig oft von händen und füszen gesagt: ich fand einen edlen ... greis, der ... seine gichtischen füsze auf einen schemel legte Brentano ges. schr. 8, 268; lasz meine hand los! sie ist gichtisch H. Laube ges. schr. (1875) 14, 309; gichtische finger Campe 2, 373ᵃ; ferner: als er mich erkannte, machte er anstalten, sich zu erheben, sein gichtischer leib sank aber gleich wieder zurück P. Heyse romane u. nov. II 16, 191; F. Gebert, der unter einem ganz verwahrlosten hügelchen seine alten gichtischen knochen ruht G. Hermann Jettchen Gebert⁸ (1907) 4. leicht spöttisch: die würdigen alten herren ... und endlich, nachdem der eine seinen thee ausgetrunken, der andere sein schöppchen geleert, klopften sie die langen thonpfeifen aus und begaben sich auf etwas gichtischen füszen zu ihrer nachtruhe G. Keller ges. w. 5, 99. — gichtartig, rheumatisch in der attributiven verbindung mit schmerzen, übel, anfällen, flüssen u. ähnl.: sie werden wissen, dasz es ein allgemein anerkanntes mittel ist, bei gichtischen schmerzen wachstafet auf die leidenden glieder zu legen F. Bernhardi bambocciaden (1800) 3, 84; ich wollte gern selbst hinreisen, aber seit vierzehn tagen fesseln mich gichtische flüsze an mein bett Knigge roman m. lebens (1781) 2, 115; wir haben ... ein schwefelbad eingerichtet, von dem ich für meine gichtischen zustände viel gutes hoffe Göthe IV 24, 222, 23 W.; denn bei dieser (ruhe) werde ich von gichtischen anfällen ... mehr heimgesucht aus Schleiermachers leben 1, 101. — gichtischer stoff, gichtische materie als krankheitsstoff, der die gicht verursacht, vgl. gichtstoff: der herzog sei ausgehöhlt bis aufs mark durch gichtischen stoff H. Laube ges. schr. 14, 127; arg ists, wenn ein mensch die gichtische materie eines regenten als wasser braucht, um seine mühle zu treiben Jean Paul w. 7-10, 220 Hempel; die gichtische materie auflösen Adelung 2, 680; s. auch Campe 2, 373ᵃ; medizinisch: wegen einer gichtischen geschwulst Sömmerring 2, liv; gichtische knoten Campe. — gichtisch nur selten im älteren sinne von 'gichtrisch, krampfig, verzerrt', vgl. gichtische krämpfe Campe 2, 373ᵃ:
mit gichtischem mund, mit zuckendem blick
verfällt dein ächtig haupt dem strick
H. Lingg ged. (1864) 1, 50;
in mischung mit der üblichen bedeutung arthriticus, spöttisch-boshaft: das kind Bettina muszte ihm (Göthe) weiche umschläge auf sein gichtisches herz legen und ihn beschwichtigen, wie einen leidenden mürrischen onkel Börne Göthegegner 188 lit.-denkm. mit verschiedenartiger subjectsverschiebung: der gestrigen stunde im Tammschen fischgärtlein verdanke ich eine böse gichtische nacht Holtei erz. schr. 39, 154; die Ostpreuszen unterscheiden ... das rindfeuer ... ein gichtisches feuer, ein süchtiges feuer zs. d. ver. f. volkskde 5 (1895) 32.
Fundstelle
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Lfg. 5 (1936), Bd. IV,I,IV (1949), Sp. 7305, Z. 40.

Im ¹DWB stöbern

a b c d e f g h i
j k l m n o p q r
s t u v w x y z -
gewürzt gieszzettel
Zitationshilfe
„gichtisch“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/dwb/gichtisch>.

Weitere Informationen …


Weitere Informationen zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (¹DWB)