Anzeige

Reggio-Pädagogik Was steckt hinter dem Kita-Konzept aus Italien?

Reggio-Pädagogik: Zwei Kinder basteln, ein Erwachsener beobachtet sie dabei
© Halfpoint / Adobe Stock
Die Reggio-Pädagogik wurde in italienischen Kindertagesstätten entwickelt und findet heute weltweit Anwendung. Hier erfahrt ihr, was genau hinter der Erziehungsphilosophie steckt, was eine Reggio-Kita ausmacht und wo ihr eine reggianische Tageseinrichtung in eurer Nähe findet.

Artikelinhalt

Aus Norditalien in die ganze Welt: Die Reggio-Pädagogik gilt heute als am meisten rezipierte elementarpädagogische Methode seit der Reformpädagogik und auch in Deutschland finden sich immer mehr Tageseinrichtungen, die sich an diesem Erziehungskonzept orientieren. Aber was macht den reggianischen Ansatz eigentlich aus und wie profitieren die Kinder davon? Hier findet ihr alle Infos!

Was ist Reggio-Pädagogik?

Die Reggio-Pädagogik ist ein elementarpädagogisches Konzept, das nach dem 2. Weltkrieg in kommunalen Kindertagesstätten der norditalienischen Stadt Reggio Emilia entwickelt wurde. Ab den 1970er-Jahren unterstütze der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi mit seinen Arbeiten die Konkretisierung und Verbreitung der pädagogischen Philosophie und Praxis. Die Grundannahme, an der sich die gesamte Reggio-Pädagogik ausrichtet: Kinder sind Forscher und besitzen von Natur aus die Fähigkeit, sich notwendige Kompetenzen und Wissen selbst anzueignen und zu erschließen – wenn sie die Möglichkeit haben, die Welt um sie herum entdecken zu können. Die Pädagoginnen und Pädagogen, aber auch die Eltern, begleiten und assistieren dabei, geben aber so wenig wie möglich vor.

„Kinder sind Träger und Schöpfer eigener Kulturen. Und damit sind sie aktiv beteiligt, ihre Identität, Autonomie und Kompetenz auszubilden, insbesondere in der Beziehung zu Gleichaltrigen, Erwachsenen, zu Ideen, Gegenständen, realen Erlebnissen und fiktiven Ereignissen in den Lebensbereichen und Welten in denen Kinder kommunizieren." Loris Malaguzzi

Dem reggianischen Ansatz in Kitas liegt dabei keine starre Theorie zugrunde. Vielmehr handelt es sich bei dem Konzept um eine Erziehungsphilosophie mit flexibel umsetzbaren Empfehlungen für die Bildungsarbeit und Grundannahmen.

Die Basis der Reggio-Pädagogik

  • Das Bild vom Kind
    Im Zentrum der Philosophie steht die Vorstellung vom Kind als Forscher und Konstrukteur seiner Entwicklung. Damit ist gemeint, dass Kinder ihre Bildung interessengeleitet selbst in die Hand nehmen, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt. Durch Neugier und den Drang zu forschen, entwickeln die Kleinen so ganz eigenständig Kompetenzen und lernen, die Welt zu verstehen. Daher wird das Kind im reggianischen Sinne auch als „Erster Erzieher“ verstanden. Parallelen bestehen hier zu den Ideen Maria Montessoris.
  • Die Zusammenarbeit des sozialen Umfeldes
    In der Reggio-Pädagogik wird Wert auf einen engen Austausch und eine sogenannte „Erziehungspartnerschaft“ zwischen Eltern, Bezugspersonen und Pädagogen bzw. Pädagoginnen gelegt. Gleichzeitig gelten sichere, emotionale Bindungen als Grundlage dafür, dass die Kinder sich und ihre Potenziale entfalten können. Dieses soziale Umfeld ist als „zweiter Erzieher“ eine wichtige Basis des Reggio-Ansatzes.
  • Die Rolle des Raumes
    Die räumliche Gestaltung der Kindertagesstätte nimmt im reggianischen Konzept ebenfalls einen großen Stellenwert ein – der Raum wird als „dritter Erzieher“ angesehen. Die Lernumgebung soll Neugier und Kreativität der Kinder fördern und fordern, aber gleichzeitig Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. Weiterhin gilt in der Reggio-Pädagogik auch die Umgebung der Kindertagesstätte als „Raum“: Durch die Erkundung des öffentlichen Raumes oder der Stadt, können die Kinder wertvolle Erfahrungen und Ideen für Projektthemen sammeln.

Wie lernen Kinder in Reggio-Kitas?

Im Zentrum der Reggio-Pädagogik steht das forschende Lernen: Kinder wollen hiernach durch Experimente, Beobachtungen und das Ausloten von Grenzen ihre Umwelt verstehen und Dinge zueinander in Beziehung setzen. Die Aufgabe der Kita ist es, die besten Bedingungen dafür schaffen: Durch Impulse und Projektthemen, die sich von Spielhandlungen ableiten lassen. Dabei wird auch verstärkt auf die Rolle der Ästhetik und die Bildenden Künste gesetzt.

Die Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen

Erzieherinnen und Erzieher in Reggio-Kitas sind mehr partnerschaftliche Begleiter:innen als Lehrende: Sie sehen sich selbst als forschende und lernende Beobachter, die den Kindern Raum für Fragen und eigene Problemlösungen bieten. Dabei gehen sie idealerweise auf die Stärken und Begabungen jedes Kindes ein, unterstützen mit konstruktiven Anregungen oder Rückmeldungen, beobachten und hören zu. Außerdem ermöglichen die Pädagog:innen den Kindern, ihre Interessen zu vertiefen und zu verfolgen – sie bestimmen aber nicht über „zu erlernende Inhalte“. Stattdessen schauen sie, wofür die Kinder sich gerade interessieren und leiten davon mögliche Angebote für die Bildungsarbeit ab.

Dokumentation

Eine weitere wichtige Aufgabe der Erzieherinnen und Erzieher in der Reggio-Pädagogik ist zudem die Dokumentation der Lernprozesse: Über jedes Kind wird ein Portfolio geführt, indem sein individueller Entwicklungsprozess festgehalten wird. Darin können sich kleine Briefe der pädagogischen Fachkräfte, selbst gemalte Bilder des Kindes oder Fotos von Projekten finden. Die Portfolios sind für die Kinder oft zugänglich – sodass sie ihren Lernprozess auch selbst vor Ort anschauen und reflektieren können. Außerdem finden sich in Reggio-Kitas überall Projekt-Dokumentationen, Bilder oder Gebasteltes der Kinder an den Wänden („sprechende Wände“) – das vermittelt ihnen Wertschätzung für ihre Lernprozesse und Handlungen.

Kommunikation

In Reggio-Kitas wird viel Wert auf Austausch und demokratische Prozesse gelegt: Die Kinder erproben die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens, indem sie sich intensiv mit den Ansichten der anderen auseinandersetzen und daraus ihre eigenen Überzeugungen ableiten. So wird über Ideen für Projekte oder Forschungsthemen gemeinsam im Morgenkreis abgestimmt und die Kinder stellen häufig eigene, für sie geltende Gruppenregeln auf. Der konstruktive Umgang miteinander ist ein elementarer Bestandteil des Erziehungskonzeptes.

Projektarbeit

In der Reggio-Pädagogik geben die Kinder vor, was sie wann lernen wollen – die Erzieherinnen und Erzieher haben die Aufgabe, diese „Selbstbildungstendenzen“ zu erkennen und daraus ein pädagogisches Angebot zu entwickeln. Häufig passiert dies in Form von Projekten, in deren Rahmen die Kinder mehrere Wochen forschen und an Themen arbeiten. Wichtig dabei: In der Reggio-Pädagogik gilt die Annahme, dass Kinder nur etwas erlernen, wenn sie von der Sache oder dem Gegenstand des Lernens vollkommen begeistert sind. Eben wie ein richtiger Forscher. Daher entstehen die Ideen für eine Projektarbeit häufig aus der Lebenswirklichkeit der Kinder heraus.

Ein Beispiel: Mehrere Kinder der Gruppe interessieren sich für die Müllabfuhr, die regelmäßig vor der Kita-Tür die großen Tonnen ausleert. Die Pädagoginnen und Pädagogen fragen die Kinder, was sie über das Thema Müll wissen und plötzlich ergeben sich viele offene Fragen – von Recycling über Müllverbrennung bis zu Umweltverschmutzung. Ausgehend vom Interesse der Kinder kann die pädagogische Fachkraft nun Angebote kreieren: etwa einen Ausflug auf den Wertstoffhof, Müllsammeln im Park, Basteln mit „Abfällen“ zum Thema Wiederverwendung und so weiter.

Angebotsräume

In Reggio-Einrichtungen sind die Gruppenräume gleichzeitig Schwerpunkträume, die jeweils Raum für bestimmte Angebote schaffen: So gibt es ein Atelier, einen Bauraum, das Kinderrestaurant, den Rollenspielraum und den Forscherraum. Diese Gestaltung der Kita soll verschiedene Ressourcen für das kindliche Forschen bereitstellen und Impulse geben. Ergänzt wird der Angebotsraum durch die Umgebung der Einrichtung: In der Reggio-Pädagogik ist es wichtig, dass die Kinder durch Erkunden ihres Umfeldes zu neuen Projekten motiviert werden.

Was sind die Vorteile der Reggio-Pädagogik?

Der Reggio-Pädagogik liegt ein positives und konstruktives Menschenbild zugrunde: Jedes Individuum wird in seiner Einzigartigkeit als Bereicherung für die Gemeinschaft gesehen und alle können voneinander lernen. Der kindlichen Ausbildung einer eigenen Identität wird dabei eine besondere Rolle zugemessen: Diese könne nicht „gelehrt“ oder „anerzogen“ werden, sondern befinde sich im stetigen Wandel durch die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. So setzt die Reggio-Pädagogik im Kita-Alltag ebenso auf demokratische Prozesse wie auf immer neue Auseinandersetzungen mit der Umwelt.

Das bringt Reggio-Pädagogik:

  • Forschendes Lernen: Kinder werden angeregt, Fragen zu stellen und eigene Antworten zu finden. Dies fördert Lernfreude sowie die Neugier und die Fähigkeit, selbstständig Wissen zu erwerben.
  • Selbstausdruck und Kommunikation: Die Reggio-Pädagogik ermutigt Kinder, ihre Gedanken, Gefühle und Ideen auszudrücken. Sie lernen, ihre Gedanken klar zu artikulieren und in Dialogen mit anderen zu kommunizieren.
  • Kooperation und soziale Fähigkeiten: In Reggio-Kitas arbeiten Kinder häufig in Gruppenprojekten zusammen. Dies fördert die Teamarbeit, den Respekt für die Meinungen anderer und die Entwicklung sozialer Kompetenzen.
  • Kreativität und ästhetische Bildung: Die Reggio-Pädagogik betont die Bedeutung der Künste und ästhetischen Erfahrungen. Kinder lernen, die Welt um sie herum auf kreative Weise zu interpretieren und auszudrücken.
  • Problemorientiertes Denken: Kinder werden ermutigt, komplexe Probleme zu analysieren und Lösungen zu finden. Dies fördert ein tiefes Verständnis für Zusammenhänge und die Entwicklung kritischer Denkfähigkeiten.
  • Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen: Die Anerkennung und Wertschätzung ihrer Beiträge in der Reggio-Umgebung stärken das Selbstbewusstsein der Kinder und ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.
  • Umweltbewusstsein: Reggio-Kitas legen Wert auf Umwelterziehung und Nachhaltigkeit. Kinder lernen frühzeitig den Wert und den Schutz der Umwelt kennen.

Die Ziele der Erziehungsphilosophie

Die Reggio-Pädagogik will Kinder durch ihre pädagogische Arbeit dazu befähigen, ihren Entwicklungs- und Lernprozess selbst gestalten und steuern zu können. Die individuelle Entfaltung und Selbstverwirklichung der Kinder stehen an oberster Stelle. Dabei legt die Philosophie Wert auf einen stärkenorientierten und individualisierten Blick – es sollen also nicht „Schwächen“ des Kindes ausgemerzt, sondern seine individuellen Stärken gefördert werden. So sollen Spaß und Freude am Lernen, aber auch Eigenständigkeit und Problemlösekompetenz vermittelt werden.

Wo finde ich eine Reggio-Kita für mein Kind?

In den letzten Jahren haben immer mehr Kitas in Deutschland das Reggio-Konzept für sich entdeckt, doch vielen Eltern ist die Erziehungsphilosophie noch unbekannt. Wenn ihr euch für eine Einrichtung mit Reggio-Pädagogik interessiert, bietet die Kita-Karte des Vereins Dialog Reggio e. V. eine erste Orientierung. Hier könnt ihr schauen, wo in eurer Nähe anerkannte Reggio-Kitas sind.

Quellen:

ELTERN

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel