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Experten ziehen bitteres Fazit: „Die Gegenoffensive ist gescheitert. Die Ukraine verbraucht sich“
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ZAPORIZHZHIA REGION, UKRAINE - NOVEMBER 4, 2023 - Servicemen of the 65th Mechanized Brigade are seen at the Russian posi
IMAGO/Ukrinform Krieg in der Ukraine.
  • FOCUS-online-Redakteurin

Die ukrainische Gegenoffensive ist strategisch und operativ gescheitert - zu diesem Schluss kommen zahlreiche westliche Beobachter. Sie glauben, dass der Krieg noch lange andauern wird. Auch, weil sich Russlands Armee angepasst hat.

Schnell und effektiv. So war die Gegenoffensive der Ukraine, die im Frühjahr startete, eigentlich geplant. Sie sollte einen Wendepunkt im russischen Angriffskrieg markieren. Es ging darum, gegnerische Truppen zu vertreiben und Gebiete zurückzuerobern.

Doch jetzt, Monate später, ist Enttäuschung eingekehrt. Die Frontlinie hat sich kaum verschoben, die Fläche der wiedererlangten Gebiete im Süden beträgt gerade einmal 400 Quadratkilometer.

Franz-Stefan Gady, Analyst beim britischen Institute for International Strategic Studies, reiste für zehn Tage in der Ukraine. Er unterhielt sich mit mehreren Soldaten und sagte der „Süddeutschen Zeitung“ : „Die Kampfmoral ist immer noch hoch, aber sie sind erschöpft".

Die Gegenoffensive, erklärte Gady weiter, habe ihre Ziele im Großen und Ganzen verfehlt. Die Kampfkraft der ukrainischen Armee sei schwach. Geländegewinne könnten kaum mehr erzielt werden.

„Die ukrainische Armee ist nur 17 Kilometer tief vorgedrungen“

Gady ist nicht der Einzige, der ernüchtert auf die Frühjahrsoffensive blickt. Auch Ralph Thiele, Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Berlin, sagt im Gespräch mit FOCUS online: „Die ukrainische Armee ist in den fünf Monaten ihrer Gegenoffensive nur 17 Kilometer tief in die russischen Stellungen vorgedrungen.“

Eigentlich wollten die Streitkräfte in wenigen Wochen bis zur Schwarzmeerküste, konkret bis zum Asowschen Meer, vorrücken. Ziel war es, die von Russland eroberte Landverbindung zwischen den besetzten Gebieten im Osten und der 2014 annektierten Krim zu trennen. Dafür hätte die Ukraine die russischen Verteidigungsstellungen überwinden und anschließend 100 Kilometer weit in den Süden marschieren müssen.

Ein Plan, der nicht aufging. Die Ukrainer „haben sich in den aufgehäuften Minenfeldern und starken Verteidigungsstellungen der Russen festgelaufen“, analysiert Thiele. Dem Verteidigungsexperten zufolge sind rund 100.000 ukrainische Soldaten getötet worden, außerdem spricht er von einem „Vielfachen an körperlich und seelisch Verwundeten seit Beginn des russischen Überfalls“.

Doch nicht nur westliche Beobachter betrachten die Gegenoffensive als gescheitert. Ähnliche Töne kommen auch aus der Ukraine selbst.

„Russland ist dazu übergegangen, die Ukraine zu zermürben“

Generalstabschef Walerij Saluschnyj verfasste einen Beitrag, der vor kurzem im „Economist“ erschienen ist. Darin konstatiert er eine „Sackgasse“ an der Front und moniert, die Gegenoffensive sei missglückt.

Saluschnyj hält die Lieferung von Luftverteidigungssystemen, Kampfflugzeugen, Drohnen und Ausrüstung für die elektronische Kriegsführung für essentiell. Die Ukraine brauche neue Technologien, um die „Pattsituation“ auf dem Schlachtfeld zu beenden. Russland, schreibt der Generalstabschef, dürfe man nicht unterschätzen.

Denn die russische Armee scheint sich besser zu halten, als viele Beobachter anfangs angenommen hatten. „Zu Beginn des Krieges schaute der Westen fassungslos auf die massiven strategischen und operativen Fehler des russischen Militärs“, sagt Verteidigungsexperte Thiele.

„Doch inzwischen hat sich Russlands Armee Zug um Zug auf dem Schlachtfeld angepasst und ist zudem dazu übergegangen, die Ukraine und den Westen zu zermürben.“ Das Zusammenspiel der Streitkräfte funktioniert ihm zufolge deutlich besser als noch im ersten Kriegsjahr.

Das hat verschiedene Gründe. Russland setzt „nicht nur auf eine enorme Menge an Artilleriefeuer, sondern auch auf leistungsfähige elektronische Kriegsführungssysteme“, sagt Thiele. Diese seien „verheerend effektiv“.

„Russische Verteidigungsanlagen überfordern ukrainische Kampfkraft“

Aus verschiedenen Medienberichten geht hervor, dass die Ukraine in heftigen Kriegsphasen bis zu 10.000 Drohnen pro Monat verliert. Thiele sagt, dass das auch mit Russlands angepasster Kriegsstrategie zu tun hat.

Sein Fazit: „Die Stärke und Tiefe der russischen Verteidigungsanlagen überfordert sichtbar die verfügbare ukrainische Kampfkraft.“

Auch wirtschaftlich geht es Russland offenbar besser als erhofft. Der Westen hatte kurz nach Kriegsbeginn harte Sanktionen gegen Putins Regime verhängt. So schloss die EU einen Großteil der russischen Banken vom Swift-System aus und fror das Vermögen vieler Oligarchen ein. Außerdem wurden Ex- und Importverbote, zum Beispiel für russische Kohle, beschlossen.

Doch fast zwei Jahre nach Beginn der Invasion scheint Russlands Volkswirtschaft stabil. Mehr noch: Laut einer Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird sie 2023 sogar um 2,2 Prozent wachsen.

Russische Armee resistenter als gedacht

„Die russische Wirtschaft hat sich als sehr resistent in Bezug auf die Sanktionen erwiesen - nicht zuletzt wegen der Position des globalen Südens“, sagt Alexander Libman, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit FOCUS online.

Was er meint: Viele asiatische und afrikanische Länder halten sich mit einer klaren Verurteilung der Ukraine-Invasion zurück. Für sie ist Russland ein wichtiger Handelspartner. Indien zum Beispiel war dieses Jahr der größte Importeur von russischem Öl auf dem Seeweg, wie aus einem Bericht des „Business Insider“ hervorgeht.

Verteidigungsexperte Thiele sagt, Russland sei es gelungen, seine Wirtschaft hinsichtlich alternativer Einnahmequellen neu zu justieren. Er vermutet, dass der Kreml von Anfang an darauf hingearbeitet hat, „die eigene Wirtschaft in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern zu einer leistungsfähigen Kriegswirtschaft umzugestalten, die den wesentlichen Bedarf der eigenen Streitkräfte in einem materialintensiven Krieg decken kann“.

„Die Ukraine verbraucht sich. Menschen fliehen. Menschen sterben“

Experten prognostizieren einen langen Abnutzungskrieg. Ein schneller Sieg der Ukraine scheint spätestens jetzt - nach dem Scheitern der Gegenoffensive - vom Tisch. Auch Libman sagt: „Sowohl die Ukraine als auch Russland scheinen davon auszugehen, dass sie vor einem sehr langen Positionskrieg stehen.“

Thieles Prognose fällt düster aus. „Die Karten liegen nicht gut für die Ukraine. Russland hat dreimal so viele Menschen und zehnmal soviel Wirtschaftsleistung“, sagt er. „Die Gegenoffensive ist gescheitert. Die Ukraine verbraucht sich. Menschen fliehen. Menschen sterben.“

Besonders ein Aspekt beunruhigt den Verteidigungsexperten: der rapide wachsende Munitionsmangel.

„Für die Ukraine bestimmte US-Lagerbestände an 155-mm-Granaten werden in diesen Tagen nach Israel verschifft. Zudem ist der vom US-Kongress genehmigte Finanzierungspool für die Ukraine-Hilfe fast leer“, sagt er. „Auch die EU wird ihr für März 2024 gesetztes Ziel, eine Million Granaten zu liefern, deutlich verfehlen.“

Dabei muss sich die Ukraine gegen immer heftigere, russische Angriffe wehren. Thiele glaubt zwar, dass das Land auf „außerordentlich motivierte Staatsbürger“ zurückgreifen kann. Aber es fehlt zunehmend an Munition, jungen Menschen und Waffensystemen.

„Sie haben sich zu lange hinter Panzern und Artillerie versteckt“

„Nichts spricht dafür, dass sich an diesem Abnutzungskrieg und dem Mangel an Kämpfern und Material in absehbarer Zeit etwas ändert. Vieles spricht hingegen dafür, dass sich für die Ukraine eine fortgesetzte militärische Offensive nicht durchhalten lässt.“

Der Verteidigungsexperte ist am Ende überzeugt: Politik und Diplomatie müssen die Ukraine retten. „Sie haben sich schon zu lange hinter Panzern, Artillerie und Raketen versteckt.“

sca/
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