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Der Bodensee schrumpft unter der Hitze

Die ersten Boote müssen an Land gezogen werden. Doch die Wasserversorgung ist sicher. Weinbau nicht berührt

Badegäste erholen sich in Konstanz am Strandbad Horn. Wo sie sitzen, spült sonst der Bodensee ans Ufer.  BILD: FRICKER
Badegäste erholen sich in Konstanz am Strandbad Horn. Wo sie sitzen, spült sonst der Bodensee ans Ufer. BILD: FRICKER Foto: Ulrich Fricker
Badegäste erholen sich in Konstanz am Strandbad Horn. Wo sie sitzen, spült sonst der Bodensee ans Ufer. BILD: FRICKER
Foto: Ulrich Fricker

KONSTANZ. Manchem Bootsbesitzer hat es in diesem Sommer frühzeitig die Saison verdorben. Der Grund liegt im anhaltenden Niedrigwasser, wodurch vor allem den Segelschiffen die vielzitierte Handbreit Wasser unter dem Kiel fehlt. Die Gemeinden, die in der Regel die begehrten Bojenplätze vergeben, raten den Besitzern dringend, ihre Boote aus dem Wasser zu ziehen. In den Seebädern wird der Zugang ins schwimmbare Nass immer länger, die Uferzone beginnt inzwischen übel zu riechen. Der Bodensee leidet ringsum.

Die Zeitung mit den großen Überschriften und den gezoomten Fotos rät bereits vom Baden im Schwäbischen Meer ab. »Pack die Badehose weg«, titelt »Bild« schwungvoll und will damit sagen, dass ein Bad derzeit mehr Plage als Freude sei. Doch wer die Strandbäder in diesen Tagen aufsucht und sich zwischen Langenargen und der Höri umsieht, gewinnt ein anderes Bild: Am Ufer und im Wasser tummeln sich die Gäste. Wer baden will, muss nur viele Meter Richtung See waten, um endlich genug Wasser zum Schwimmen zu haben. Dafür wird er mit einem grün schimmernden Farbton belohnt, der von den Kieselalgen am Grund herrührt.

Die Reben stehen gut da

Karl Megerle ärgert sich über das Schlechtreden des Bodensees. Der Hagnauer lebt mit und vom See, er ist Winzer und zudem Vorsitzender des Weinbauvereins in Hagnau. »So dramatisch ist es nicht«, sagt Megerle im Gespräch mit dem Reutlinger General-Anzeiger (GEA). Der Weinbau sei vom niedrigen Wasserstand nicht berührt, berichtet er, und: »Unsere Reben sind wunderbar grün«, er rechne mit einem guten Jahrgang. Der Weinstock treibt nach seinen Angaben Wurzeln in einer Tiefe von 10 bis 15 Meter. Durch diese tiefen Wurzeln gehe den Pflanzen das Wasser nicht so schnell aus.

Der Pegel (gemessen am Hafen Konstanz) liegt bei 3,15 Meter (Stand 10. August). Gewöhnlich liegt er zu dieser Jahreszeit bei 4,60 Meter. Auf einige Kursschiffe wirkt sich die Knappheit aus: Zwischen Stein am Rhein und Diessenhofen (jeweils Schweiz) kann der Seerhein nicht mehr befahren werden. Das ist eine beliebte Strecke, da sie die Schönheit des Rheins mit der Landschaft des Bodensee verbindet. Auch am Altenrhein, wo der alpine Rhein in den Bodensee eintritt, verkehren keine Ausflugsschiffe mehr, da immer mehr Flächen verlanden.

Und wenn dem Bodensee das Wasser ausgeht? Diese zentrale Frage stellt sich mancher Urlauber und jeder zweite Baden-Württemberger im Stillen, wenn er an das drängende Phänomen des Niedrigwassers denkt. Vier Millionen Menschen nutzen derzeit das kostbare Lebensmittel aus dem größten Gewässer des Landes. Sie werden über die Bodensee-Wasserversorgung beliefert, die zu diesem Zweck einige Hundert Kilometer an Rohren verlegt hat, um die Kommunen im Land zu versorgen. Der größte Wasserlieferant des Landes entnimmt das Wasser vor dem Ufer von Sipplingen (Bodenseekreis) in 60 Meter Tiefe. Aus Sipplingen wird indes klare Entwarnung signalisiert: »Der Bodensee liefert Wasser im Überfluss«, sagt Sprecherin Teresa Brehme gegenüber dem GEA.

Auch wenn Schwimmer in eine morastige Brühe steigen und Boote ans Ufer gezogen werden müssen, täuscht der Eindruck der Knappheit: Aus Sicht der Sipplinger Techniker gibt es kaum Grund zur Unruhe. »Der Alpenrhein liefert mit Abstand das meiste Wasser. Insgesamt 11,5 Milliarden Kubikmeter Wasser fließen jährlich in den Bodensee. Das ist hundertmal mehr, als die Bodensee-Wasserversorgung entnimmt«, berichtet Brehme auf Anfrage.

Die Sipplinger Versorger weisen auf eine internationale Vereinbarung hin. Demnach dürfen sie mithilfe ihrer Pumpstationen in der Tiefe bis zu 670 Millionen Liter täglich entnehmen. »Auf den Pegel des Bodensees hat die Entnahme von Trinkwasser keinen messbaren Einfluss«, heißt es aktuell. Denn die Sonne trinkt mehr: Im Mittel ist die Verdunstung doppelt so hoch wie die Entnahme der Bodensee-Wasserversorgung.

Ein gefährlicher Einwanderer

Hydrologen und Chemikern macht dagegen etwas anderes zu schaffen: die Quagga-Muschel, die in Größe und Aussehen entfernt einer Miesmuschel ähnelt. Durch den europäischen Schiffsverkehr wurde sie vermutlich aus dem Schwarzen Meer in den Südwesten eingeschleppt. Die Muschel hat nicht nur scharfe Kanten, sodass sich Schwimmer daran immer wieder leichte Schnittwunden einfangen. Sie bereitet vor allem deshalb Probleme, weil sie sich sprunghaft vermehrt. Die Quagga bildet Kolonien, deren Klumpen sich häufig an den metallischen Installationen festsetzen. Handläufe werden ebenso heimgesucht wie die Gitterroste oder die technischen Geräte der Wasserversorgung. Mit aufwendigen Arbeiten müssen die Rohre freigehalten werden, durch die das Wasser vom Seegrund in die Aufbereitungsbecken geleitet wird. Vor dem Ufer von Sipplingen wird deshalb an einer weiteren Pumpstation gearbeitet, um die existenzielle Infrastruktur auf mehr Beine zu stellen. In das Programm »Zukunftsquelle« soll ab 2024 ein dreistelliger Millionenbetrag fließen, so Brehme.

Die Ursache für das Niedrigwasser liegt in einem regenschwachen ersten Halbjahr. Nach Auskunft der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) gingen von Januar bis Juni 2022 nur 80 Prozent des Regens nieder, mit dem in anderen Jahren gerechnet werden durfte, berichtet Tatjana Erkert, Sprecherin der LUBW. Auch aus den Alpen kam deutlich weniger Schmelzwasser als in den Vorjahren; die Schneefelder waren schwächer bestückt als in den Jahren zuvor. Deshalb spricht die LUBW von einer »stark ausgeprägten Niedrigwassersituation«.

Auch deshalb ist mit dem anderen Wetterextrem in diesen Tagen nicht zu rechnen: Überflutete Ufer oder volllaufende Keller sind derzeit kein Thema. Auf der Startseite der LUBW heißt es deshalb lakonisch: »Die Hochwasservorhersagezentrale ist derzeit personell nicht besetzt.« (GEA)