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Astronomie Mini-Eruptionen als Ursache: Sonde liefert neue Erkenntnisse zum Sonnenwind

Blick auf koronales Loch
Regionen geringerer Dichte und Temperatur in der heißen Sonnenatmosphäre bilden dunklere Bereiche, die "koronalen Löcher"
© ESA/Solar Orbiter/EUI; Science, Chitta et al.
Die Sonne entsendet stetig einen Strom elektrisch geladener Teilchen, der auf der Erde etwa Polarlichter verursacht. Die Ursache dieses Sonnenwinds war bislang unbekannt. Nun liefert eine europäische Raumsonde Hinweise darauf

Unsere Sonne sendet nicht nur Licht und Wärme aus, sondern auch einen ständigen Strom elektrisch geladener Teilchen. Dieser Sonnenwind schießt mit Geschwindigkeiten von 500 bis 800 Kilometern pro Sekunde durch das Sonnensystem. Wie der Sonnenwind genau entsteht, ist bislang nicht bekannt. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Göttinger Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) ist nun der Ursache des Teilchenstroms auf die Spur gekommen.

Mithilfe der europäischen Raumsonde "Solar Orbiter" entdeckten die Wissenschaftler*innen ein neuartiges Phänomen in der Sonnenkorona: eine Vielzahl kleiner Eruptionen, die kurzlebige Materieströme auslösen. Diese sogenannten Piko-Eruptionen treiben den Sonnenwind an, wie das Forschungsteam im Fachblatt "Science" schreibt.

"Wie genau es der Sonne gelingt, den Sonnenwind mit hohen Geschwindigkeiten ins All zu schießen, war bisher unklar", erläutert Erstautor Lakshmi Pradeep Chitta in einer MPS-Mitteilung. Klar war lediglich, dass dieser Strom aus Elektronen und Protonen aus sogenannten koronalen Löchern stammt – Regionen geringerer Dichte und Temperatur in der heißen Sonnenatmosphäre.

Aufnahmen verschiedener Piko-Flare-Ströme
Die Sonde Solar Orbiter hat zahlreiche Piko-Flare-Ströme auf der Sonne aufgenommen. Der Bildausschnitt jeder einzelnen Aufnahme beträgt 6000 Kilometer x 6000 Kilometer. Damit die Ströme besser sichtbar sind, wurde die Helligkeit der Aufnahmen invertiert, die Ströme erscheinen dadurch dunkel.
© ESA/Solar Orbiter/EUI; Science, Chitta et al.

Ritt durch die Hölle

Eine wichtige Rolle spielt dabei das Magnetfeld der Sonne: Während die magnetischen Feldlinien in der Korona jeweils geschlossene Bögen bilden, reichen sie in den koronalen Löchern offen nach außen. Eben deshalb können dort die elektrisch geladenen Teilchen aus der Korona nach außen entweichen. Wie aber werden die Partikel auf so hohe Geschwindigkeiten beschleunigt?

"Die einzigartigen Aufnahmen vom Solar Orbiter bieten uns die Möglichkeit, genauer als je zuvor auf die Quellregionen des Sonnenwinds zu schauen und so diesen Prozess besser zu verstehen", so Chitta. Am 30. März 2022 erreichte die Raumsonde mit einer Entfernung von 50 Millionen Kilometern den sonnennächsten Punkt ihrer stark elliptischen Umlaufbahn – und nahm mit ihren Instrumenten ein koronales Loch mit einer Auflösung von 200 Kilometern unter die Lupe. Dabei stießen die Wissenschaftler*innen überraschend auf viele kleine Materieströme – Jets genannt –, die jeweils 20 bis 100 Sekunden andauern und Geschwindigkeiten von etwa 100 Kilometern pro Sekunde erreichen.

Die Forschenden tauften das Phänomen Piko-Eruptionen, weil sie lediglich etwa ein Billionstel der Energie großer Sonneneruptionen freisetzen. Für irdische Verhältnisse ist die Energie einer einzigen Piko-Eruption gleichwohl gewaltig: Sie könnte etwa 10 000 Haushalte ein Jahr lang mit Energie versorgen. Dank ihrer großen Anzahl dürften die kleinen Jets damit einen großen Teil der Energie des Sonnenwinds bereitstellen. "Die von uns entdeckten Ströme sind zwar klein und treten nur sporadisch auf", betont Chitta. "Aber sie sind offenbar ein häufiges Phänomen und in dem beobachteten koronalen Loch allgegenwärtig."

Magnetfelder beschleunigen Materie Richtung Erde

Chitta und sein Team vermuten, dass die Piko-Eruptionen – ähnlich wie große Strahlungsausbrüche auf der Sonne – durch Umstrukturierungen des Magnetfelds ausgelöst werden. Denn wenn geschlossene und offene magnetische Feldlinien aufeinandertreffen, können sie sich neu anordnen und dabei große Mengen an Energie freisetzen.

Die Forschenden halten es für möglich, dass sie mit dem Solar Orbiter nur die Spitze des Eisbergs entdeckt haben, es also viele noch kleinere Eruptionen gibt, die bislang den Instrumenten der Sonde verborgen bleiben. In den kommenden Jahren soll Solar Orbiter daher auf einer neuen Umlaufbahn um die Sonne die koronalen Löcher noch besser beobachten.

In einem Kommentar im Fachblatt "Science" weisen die Sonnenforscher Ignacio Ugarte-Urra und Yi-Ming Wang vom Naval Research Laboratory in den USA darauf hin, dass die Piko-Eruptionen die Entstehung des Sonnenwinds noch nicht vollständig erklären. Denn, so die Wissenschaftler, es bleibe die Frage, wie die Elektronen und Protonen von 100 auf bis zu 800 Kilometern beschleunigt würden. Weitere Prozesse müssten hier eine wichtige Rolle spielen, etwa magnetische Wellen. Die Forscher setzen ihre Hoffnung auf zwei von Japan und den USA geplante Sonden, die in den kommenden Jahren solche Prozesse nachweisen könnten.

Rainer Kayser dpa

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