„Stilles, erbarmungsloses Töten mit Verzögerungseffekt“

Der Fluch der Nato-Uranmunition in Serbien

Zwei Jahrzehnte nach dem Krieg um den Kosovo im Jahr 1999 setzt sich in Serbien die Todesernte des NATO-Bombardements ungehindert fort. Die Zahl der Krebserkrankungen, vornehmlich in Gebieten, in denen die sogenannte „DP-Munition“ – uranabgereicherte Munition eingesetzt wurde, wächst unaufhörlich. Sie übersteigt längst die Zahl der im Krieg Getöteten um ein Vielfaches. Starben im Bombenhagel nach serbischen Angaben rund 1.000 Soldaten und 2.500 Zivilisten, so dürfte die Zahl der Krebstoten – als Spätfolge der Bombardierung mit Uranwaffen – auf bis rund 70.000 ansteigen. Die vor einem Jahr gegründete parlamentarische Untersuchungskommission in Serbien spricht in diesem Zusammenhang von den Sekundär- bzw. Spätfolgen des NATO-Bombardements. Sie verweist dabei auf Erfahrungen aus Hiroshima und Nagasaki.

Nun ist ein Vergleich mit den Atombombenabwürfen über Japan 1945 überspitzt und auch makaber. Doch bei genauerer Betrachtung drängen sich folgende Tatsachen auf. Erstens bestehen die Gefahren der Nuklearstrahlung und der Verbreitung des nuklearen Staubs auch Jahrzehnte nach dem Einsatz der Atomwaffen. Zweitens verstärken sich die Nachwirkungen in den Folgejahrzenten sogar noch, weil es zwischen der Bestrahlung und der Erkrankung eine „Latenzperiode“ von fünf bis zu zwanzig Jahren gibt.

Die serbischen Vergleichs-Statistiken bestätigen das Gesagte. So gab es im Jahr 1998, vor dem Luftkrieg (und vor dem Einsatz der Uranwaffen) gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 18.841 Krebserkrankungen, davon 12.162 mit tödlichem Ausgang. Diese Zahlen blieben in der Latenzperiode konstant, bis zum Jahr 2005. Danach stiegen sie laut Aussage von Professor Dr. Slobodan Cikaric, dem Präsidenten der Serbischen Gesellschaft für den Kampf gegen den Krebs, rapide an. Cikaric: „Wir verzeichneten einen Anstieg der Neuerkrankungen an Leukämie und Lymphdrüsenkrebs um 59 Prozent und einen Anstieg der Todesrate um 118 Prozent.“ Die massive Steigerung der Krebserkrankungen dokumentiert die Statistik des serbischen Instituts für öffentliche Gesundheit (Batut) aus dem Jahr 2013: Es gab 34.971 an Krebs erkrankte Personen, wobei 21.091 Fälle den Tod zur Folge hatten. Die Voraussagen für die Periode nach 2020 gehen von etwa 70.000 Krebserkrankungen aus.

Professor Cikaric weist in diesem Zusammenhang auf die nachgewiesene Präsenz der Überreste abgeworfener Bomben mit Uran 238 und mit Plutonium 239 hin; es handelte sich um Material mit einem Gewicht von rund 15 Tonnen. Cikaric sagt: „Wir gehen davon aus, dass 15.000 bis 33.000 Menschen infolge der Verstrahlung oder der Feinstaubeinwirkung an Krebs erkrankt sind oder erkranken werden. Und dass letztlich zwischen 10.000 und 18.000 Menschen entweder bereits in der Folge gestorben sind oder noch sterben werden.“

Die erschreckenden Aussagen des serbischen Professors teilen die Vertreter der NATO-Staaten natürlich nicht. Der Botschafter der USA in Belgrad, Kyle Scott, verwies in diesem Zusammenhang auf die angeblich glaubwürdigen Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO). Diese hoben in Studien hervor, dass keine spezifische Gefährdung durch den Einsatz der Uranwaffe vorliegen würde. Im „WHO guidance on exposure to depleted uranium“ heißt es, es existiere bislang keine Studie, die eine direkte Verbindung zwischen dem Kontakt mit abgereicherten Uran und dem Auftreten von Krebserkrankungen oder angeborenen Defekten belegen könne („No study has established a link between exposure to DU [Uranwaffen] and the onset of cancers or congenital abnormalities.“)

Die Beweggründe für die Leugnung der gesundheitsschädlichen Wirkung der Uranwaffen liegen auf der Hand. Schließlich ist Serbiens Schicksal kein Einzelfall: Diese Waffe mit ihrer krebserzeugenden Wirkung wurden bereits im Golfkrieg 1991, danach in Bosnien 1995 und auch in Kuweit und im Irak-Krieg 2003 eingesetzt. So gut wie überall kann inzwischen eine deutlich angestiegene Krebsrate dokumentiert werden.1 Darüber hinaus erkrankten viele der Soldaten, die selbst mit Uranmunition in Berührung gekommen waren.

In den USA werden die Folgen des Kontaktes mit Uranmunition unter dem Sammelbegriff „Golf-Syndrom“ umschrieben. Gleichzeitig wurde belegt, dass kritische Berichte der UN über die Uranwaffen nie veröffentlicht wurden. So verschwand zum Beispiel der Bericht des senegalesischen Missionschefs der UN im Kosovo, Bakary Kante, in Schubladen. Dieser wies bereits 1999 auf die Gefahren hin, die von abgeworfenen Uranbomben oder von abgefeuerten Urangeschossen drohe. Allerdings veröffentlichte der Journalist Robert Parsons vom Sender „France24“ Auszüge aus diesem Bericht. Darin wurde darauf hingewiesen, dass nicht allein der Einsatz dieser Uranwaffen eine Langzeit-Bedrohung für die Menschen in Serbien und im Kosovo darstellt. Als vergleichbar gefährlich wurden auch andere giftige Substanzen – etwa polychlorierte Biphenyle (PCB) – die immunologische Erkrankungen verursachen – aufgeführt. Dieser Stoff entwich aus den Trafostationen und aus Erdölraffiner ien, die im Kosovokrieg von der NATO-Luftwaffe bombardiert worden waren – wohl wissend, welche Schadstoffe enthalten und welche Gesundheitsgefahren damit verbunden sind.

Folgen des Uranwaffen-Einsatzes bei italienischen NATO-Soldaten

Es bedurfte schließlich einer italienischen Initiative, um in dieser Angelegenheit zu Klartext zu gelangen. Domenico Leggiero ist einer der Gründer der Militärischen Beobachtungsstelle für die Nachwirkung von Uranbestrahlungen in Italien. Mit den Veröffentlichungen und Aktivitäten dieser Institution wurde letztlich erreicht, dass in Italien die schädliche und oftmals tödliche Wirkung der Uranwaffen nachgewiesen und anerkannt wurde. Leggiero sagte schlicht, dass die Wirkung der Uranwaffe nichts anderes sei als ein „stilles, erbarmungsloses Töten mit Verzögerungseffekt“. Er führte aus, dass etwa 300 italienische Soldaten, die im Kosovokrieg im Einsatz waren, in Folge der Uranstrahlen bisher ums Leben kamen; weitere 4.000 sind erkrankt. Alarmierend ist auch die offizielle italienische Angabe, wonach 70 Prozent der Soldaten, die sich im Kosovokrieg im Einsatz befanden und die an Kriegseinsätzen mit Uranwaffen beteiligt waren, nach ihrer Rückke hr an der Schilddrüse operiert werden mussten.

Es ist laut serbischer Darstellung Leggiero zu verdanken, dass in Serbien – mit 19-jähriger Verspätung – eine parlamentarische Untersuchungskommission zum Thema der Uranwaffen und ihren Nachwirkungen eingesetzt wurde. Leggiero setzte sich auch dafür ein, dass die Ergebnisse der italienischen Untersuchungen im vollen Umfang an Serbien überstellt wurden. Somit gilt Leggiero als möglicher Ko-Initiator einer erneuten Klage Serbiens gegen die NATO – eine Klage des BR Jugoslawiens aus dem Jahr 1999 wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgewiesen. Nun aber sieht die Sache anders aus, zumal es die exakten Ergebnisse der italienischen Untersuchungen gibt, die eine solche Klage untermauern werden.

In der beabsichtigten Klage geht Serbien davon aus, dass die am Krieg beteiligten NATO-Staaten eine Entschädigung an die Opfer bzw. deren Angehörige leisten und dass sie sich an den Kosten der medizinischen Betreuung beteiligen werden.

Als Leggieri und sein Team mit ihren Untersuchungen begannen, hatten sie als Ziel vor Augen, die Armee und den italienischen Staat dafür zur Verantwortung zu ziehen, dass sie die Soldaten nicht auf die Gefahren des Umgangs mit Uran-Munition hingewiesen und unter anderem diese nicht mit Schutzkleidung und Schutzmasken ausgestattet haben. Dies, so Leggieri, hätten sie tun müssen, weil sie eine entsprechende Warnung der US-Administration erhalten hatten. Genau diese Warnung ist ein Beweis dafür, dass sich die NATO-Militärs der Gefahren für die Soldaten und auch für Zivilisten und für die Umwelt durchaus bewusst waren.2

Und hier kommt auch Deutschland ins Spiel. Das geht aus dem Schreiben des Kölner Journalisten und Filmemachers Frieder Wagner hervor, der zu dem Thema ein Buch mit dem Titel „Todesstaub Made in USA“ veröffentlicht hat. Dieser richtete am 28. Oktober 2014 einen „Offenen Brief“, an den damaligen Außenminister und heutigen deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier, in dem er die Befürchtung äußerte, die Bundesrepublik Deutschland könne einer in die UN-Generalversammlung eingebrachten Resolution zu den Folgen von Uranwaffen in der UN-Generalversammlung möglicherweise nicht zustimmen. Wagner schrieb:

„Im Juni 1999 ging zum Kosovo-Krieg ein Schreiben des Joint Staff Washington an SHAPE im deutschen Verteidigungsministerium ein, das besagt, dass die USA mit ihren A-10 Flugzeugen im Kosovo Uranmunition eingesetzt haben. So erfuhr das Ministerium, dass der Einsatz dieser Munition und deren Auswirkungen auf die deutschen Soldaten sowohl durch die schwache Radioaktivität der Munition, aber besonders durch deren hohe Schwermetall-Giftigkeit die Gesundheit der Truppen hätte gefährden können. Es heißt dort, Soldaten müssten bei Annäherung an durch Beschuss kontaminierte Orte, aber auch bei Arbeiten an und in Panzern oder Fahrzeugen, die mit Uran-Waffen in Verbindung standen, sofort Atemschutzgeräte anlegen und unbekleidete Körperstellen bedecken. Außerdem sollten solche Soldaten den vorgesetzten Stellen sofort gemeldet werden, damit deren gesundheitliches Risiko abgeklärt werden könnte. Das aber heißt: Der zuständige Minister [es war Rudolf Sch arping im Fall Deutschland; die LP21-Red.] hätte die eingesetzten Soldaten eigentlich sofort zurück beordern müssen, bis die Gefährdung durch DU-Munition vollständig abgeklärt worden war. Das aber hat er nicht getan. Er hat also eine Erkrankung oder gar den Tod von Soldaten durch die Folgen des Einsatzes der Uranmunition wissentlich und willentlich in Kauf genommen. Das heißt, er hat sich möglicherweise – und das ist ein neuer Aspekt – der fahrlässigen Tötung durch `Anwendung gemeingefährlicher Mittel´ durch den Partner USA schuldig gemacht.“

Milos Kazimirovic lebt in Belgrad und arbeitet u.a. für die Zeitung „Politika“


Babys ohne Augen

Auszüge aus dem Buch von Frieder Wagner „Todesstaub“

Kontakt mit Uran-Munition führt auch zu Missbildungen bei Embryos bzw. Neugeborenen .Wagner schildert (S.70f) den Fall der britischen Ex-Soldatin Jenny Moore, die „im Golfkrieg 1991 hinter der Front in einem Munitionsdepot gearbeitet hatte. Immer wenn Munitionsnachschub für die Panzer kam, musste sie die Geschosse für den Einsatz scharf machen, damit die Panzer mit ihnen in die Schlacht fahren konnten.“ Nach dem Krieg wurde Jenny M. mit Zwillingsbabys schwanger. „In der 18.Schwangerschaftswoche ging sie zur Untersuchung nach London und erlebte einen Schock: ´Da sagten sie mir […] dass das eine Baby stark deformiert sei. Der Professor fragte mich: Wollen Sie mir nicht sagen, welche Drogen Sie genommen haben, dann wüssten wir, wie Sie Ihr Kind vergiftet haben. Können Sie sich vorstellen, wie Sie sich fühlen, wenn man Ihnen sagt, Sie hätten Ihr Baby vergiftet. […] Nur weil beide Babys in getrennten Fruchtblasen waren, hat das eine überhaupt ü berlebt.“

Ein Kind wurde schließlich ohne äußerlich sichtbare Missbildungen geboren. „Doch Jenny Moores Leidensweg war noch nicht zu Ende. Eineinhalb Jahre später wurde sie wieder schwanger und musste nach einer dramatischen Fehlgeburt entsetzt feststellen, dass das totgeborene Mädchen keine Augen hatte. Sie und ihr Mann waren verzweifelt, und Jenny versuchte, im Internet Rat zu finden: ´Und da habe ich herausgefunden, dass in Amerika und in anderen Ländern Veteraninnen des Golfkriegs oder Frauen von Golfkriegssoldaten auch Babys ohne Augen zur Welt gebracht hatten. Und da wurde mir nach und nach klar, dass meine Babys das sogenannte Golfkriegssyndrom hatten bzw. an den Folgen des Einsatzes dieser verdammten Uranmunition gestorben sind.´“

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