Berlin. Das Berliner Ensemble bringt „Das Ereignis“ auf die Bühne. Wir haben mit Schauspielerin Pauline Knof über das Stück gesprochen.

Seit der Spielzeit 2022/23 ist Pauline Knof Teil des Berliner Ensembles. Sie ist in Berlin geboren und aufgewachsen, ihre Ausbildung absolviert sie an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Danach war sie unter anderem Ensemblemitglied des Burgtheaters Wien und des Theaters in der Josefstadt und spielte für die Salzburger Festspiele. Nun wird sie in dem Stück „Das Ereignis“ zu sehen sein, basierend auf dem autobiografischen Roman der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Die Premiere ist am Samstag, den 18. Februar im Berliner Ensemble. Mit der Berliner Morgenpost hat Pauline Knof über das Stück gesprochen.

Pauline Knof, Sie spielen in „Das Ereignis“ die Literaturstudentin Annie. Um was geht es in dem Stück?

Pauline Knof: „Das Ereignis“ ist der autobiografische Text der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux. Es ist die sehr detaillierte Beschreibung des Weges ihrer illegalen Abtreibung, spielt 1963/64 in Frankreich. Der Text hat sehr persönliche Aspekte. Gleichzeitig war es Ernaux sehr wichtig zu zeigen, wie Frauen durch das Gesetz in die Kriminalität gedrängt wurden: Jede, die abtreiben wollte, wurde von den Ärzten abgewiesen. Denn nicht nur Frauen selbst machten sich strafbar, sondern auch diejenigen, die ihnen geholfen haben. Doch nicht nur ich spiele in dem Stück die Annie, sondern auch meine Kolleginnen Nina Bruns und Kathrin Wehlisch.

Wie funktioniert das?

Wir drei Frauen erzählen gemeinsam die Geschichte. Dabei haben wir uns unterschiedliche Stimmen gegeben, den Text aufgeteilt. Wenn eine nicht mehr weiterkommt, steigt eine andere ein. Kathrin Wehlisch ist Annie als Schreiberin des Textes, hat den Überblick, hat den Abstand der Jahre seit dem Ereignis. Nina Bruns ist die junge Annie, die in der Situation steckt. Und ich stehe zwischen den beiden. Ich treibe voran, ergänze, korrigiere, erzähle als Überlebende.

Illegaler Schwangerschaftsabbruch – das ist keine einfache Thematik. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Die praktizierende Gynäkologin Dr. Med. Bettina Gaber stand uns als Expertin zur Seite. Sie kämpft seit Jahren gegen die Paragrafen 218 und 219 – 219 wurde nun endlich im letzten Sommer abgeschafft. Wir konnten ihr medizinische Fragen stellen und klären, welche Möglichkeiten es in den 60er Jahren gab. Abtreibungen waren illegal, alle Beteiligten machten sich strafbar, die Methoden der sogenannten Engelmacherinnen waren entsetzlich und endeten nicht selten tödlich.

Die Jury des Literaturnobelpreises bezeichnete „Das Ereignis“ als „Meisterwerk“. Aber es ist kein einfacher Text. Was war das Herausforderndste?

Es ist per se kein Text für die Bühne. Es ist die Sezierung einer Abtreibung, eine analytische Nacherzählung, kalt und präzise. Es gibt keinen schauspielerischen Vorgang, keine vorgefertigten Rollen oder Szenen. Die größte Aufgabe, die wir zu bewältigen hatten, war, herauszufinden, was wir konkret auf der Bühne tun können. Welche Bilder erfinden wir, ohne dass es illustrierend wird?

Probenfoto von Laura Linnenbaums Inszenierung „Das Ereignis“ am Berliner Ensemble.
Probenfoto von Laura Linnenbaums Inszenierung „Das Ereignis“ am Berliner Ensemble. © BErliner Ensemble | Moritz Haase

Gibt es eine Schlüsselszene in dem Stück, eine Szene, die heraussticht? Besonders beeindruckend, erschreckend oder berührend ist?

Seit Beginn der Proben frage ich mich: Was ist eigentlich das Ereignis? Es beginnt damit, dass Annie ihre Tage nicht bekommt und endet damit, dass sie knapp überlebt. Über einen Zeitraum von vier Monaten. Und das verrückte an diesem Weg ist, dass Annie immer glaubt, nur noch einen Schritt von der Lösung des Problems entfernt zu sein. Doch dann klappt es nicht. Und wieder nicht. Es hört nicht auf. Es ist ein gefühlt endloser Albtraum. Für mich gibt es keine Szene, die heraussticht, es steigert sich immer weiter.

Auch heute noch sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland rechtswidrig und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Es gibt Beratungsregeln und Fristen, die eingehalten werden müssen. Muss sich das ändern?

Die bei der Produktion Beteiligten sind alle dafür, dass Paragraf 218 abgeschafft wird. Uns ist aber bewusst, dass wir nicht für das ganze Haus sprechen können, denn es ist ein persönliches, politisch und religiös aufgeladenes Thema. Ich bin ostgeprägt. In der DDR war es schon lange möglich abzutreiben. Nach Mauerfall haben sich die Ostfrauen dafür eingesetzt, dass die DDR-Gerichtsbarkeit übernommen wird, was jedoch abgelehnt wurde. Wenn sich in den kommenden Koalitionen und Landtagswahlen die Verteilung im Bundesrat dreht, ist es fraglich, ob der Paragraf 218 in naher Zukunft endlich abgeschafft wird. Die USA gehen stramm rückwärts, dasselbe gilt für Polen. Es ist eine soziale Frage: Man kommt in Berlin relativ niederschwellig an Informationen. Das gilt aber nicht für alle – es ist eine Frage der Religion, der Sprache. In manchen Bundesländern müssen Frauen Reisen auf sich nehmen, um überhaupt einen Arzt oder Ärztin zu finden. Das kostet Zeit und Geld und verschärft die Not.

Neben dem Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper geht es in „Das Ereignis“ auch um die Befreiung aus den Zwängen der sozialen Herkunft. Wie hängen diese beiden Ebenen in dem Stück zusammen?

Ernaux kommt aus der Arbeiterklasse. Für sie sind ungewollte Schwangerschaften und Alkoholismus die ultimativen Zeichen ihrer Klasse. Für sie gilt: Du kannst strampeln, wie du willst, lernen wie du willst, versuchen, deine Klasse hinter dir zu lassen. In dem Moment, in dem du anfängst zu saufen oder zu vögeln – mit den Konsequenzen – wirst du zurückgeworfen in den Topf, aus dem du dich zu befreien versucht hast. „Ich war nicht mehr intellektuell“, sagt Kathrin Wehlisch als Annie in einer Szene. Sie kann ihre Abschlussarbeit nicht mehr schreiben, kotzt nur noch, ist auf ihren Körper zurückgeworfen. Sie denkt, wenn sie dieses Kind bekommt, dann war’s das.

Die Vorstellungen sind fast ausverkauft. Wer wird im Zuschauerraum sitzen? Welches Publikum erwarten Sie?

Das frage ich mich auch. Ich weiß es nicht. Spielen wir für eine Bubble? Für Betroffene? Ich frage mich, ob Männer wohl die Vorstellung besuchen. Denn es ist ja nicht so, dass es Männer nichts angeht! Zu jedem Fötus gibt es einen Vater. Das ist bei Annie Ernaux aber nicht das zentrale Thema.

Und wie glauben Sie, wird das Publikum auf dieses emotionale und persönliche Thema reagieren?

Wir haben keine Ahnung, was während der Vorstellung passiert. Unser Ziel ist, dass es emotional und berührend, aber keine eineinhalbstündige Katastrophe ist. Ernaux ist aus dieser furchtbaren, traumatischen Erfahrung gestärkt herausgegangen. Am Ende vertraut sie sich einem Pfarrer an. Dieser erklärt sie zu Sünderin. In diesem Moment war die Zeit der Religiosität für sie vorbei – nachdem sie 24 Jahre erzkatholisch aufgewachsen war. Es ist beeindruckend, wie sich durch solche prägenden und einschneidenden Erfahrungen Lebenswege abrupt wenden.

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Alle Informationen zum Stück finden Sie hier.