Politik

Ukraine vollzieht den Machtwechsel Julia Timoschenko kommt frei

Timoschenko war 2011 in einem international kritisierten Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Timoschenko war 2011 in einem international kritisierten Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

(Foto: REUTERS)

Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko kommt in Kürze frei. Verwandte, ausländische Diplomaten und EU-Parlamentarier sind auf den Weg nach Charkiw, um Timoschenko dort abzuholen. Polizei und Armee schlagen sich derweil auf die Seite der Opposition. Der Staatschef setzt sich ab und seine Vertrauten verlieren ihre Ämter an Oppositionspolitiker.

Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko soll in Kürze frei kommen. Das berichten die Medien des Landes. Verwandte, ausländische Diplomaten und EU-Parlamentarier hätten sich auf den Weg nach Charkiw gemacht, um Timoschenko dort abzuholen.

"Unseren Informationen zufolge ist Julia Timoschenko in großer Gefahr", sagte der neue Parlamentschef Alexander Turtschinow bei der live im Fernsehen übertragenen Sitzung. Verwandte, ausländische Diplomaten und EU-Parlamentarier hätten sich auf den Weg nach Charkow gemacht, um Timoschenko abzuholen. Parteimitglieder stürmten die Klinik, in der die Politikerin wegen eines Rückenleidens behandelt wird. Sie versprachen, ihre Anführerin zu schützen. Eine Sprecherin ihrer Partei hatte am frühen Nachmittag Berichte dementiert müssen, dass Timoschenko bereits in Freiheit sei.

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Timoschenko war 2011 in einem international kritisierten Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich während ihrer Haftzeit dramatisch: Sie leidet unter starken Rückenschmerzen und trat wiederholt aus Protest gegen ihre Haftbedingungen in den Hungerstreik. Deutsche Ärzte reisten mehrmals zu Timoschenko, die in Charkiw inhaftiert ist, um ihren Gesundheitszustand zu überprüfen. Die Bundesregierung hatte sich dafür eingesetzt, dass sie in Deutschland medizinisch behandelt wird.

Regierung sagt reibungslose Machtübergabe zu

Sie haben die Straßen der Hauptstadt erobert und feiern ihren Sieg.

Sie haben die Straßen der Hauptstadt erobert und feiern ihren Sieg.

(Foto: REUTERS)

In der Ukraine wird in diesen Stunden der Machtwechsel vollzogen. Zuvor hatte die alte Führung immer mehr die Kontrolle über das Land verloren. Präsident Viktor Janukowitsch hat Kiew mit bislang unbekanntem Ziel verlassen. Seine Residenz Meschigorje nahe der Hauptstadt steht leer und befindet sich in der Hand der Opposition. Auch zahlreiche seiner Minister sind bereits außer Landes. Janukowitschs Gegner ergriffen damit die Macht in Kiew. Sogenannte Selbstverteidigungskräfte beschützen das Parlament, den Regierungssitz und die Präsidialkanzlei im Zentrum der Hauptstadt vor Übergriffen. Die Sicherheitsorgane des Innenministeriums in Kiew liefen zur Opposition über.

Die Oberste Rada in Kiew wählte mit großer Mehrheit einen Vertrauten Timoschenkos zum neuen Chef des Parlaments. Der früheren Vizeregierungschef Alexander Turtschino hatte einst gemeinsam mit Timoschenko die Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) gegründet. Parlamentspräsident Wladimir Rybak und sein Stellvertreter Igor Kaletnik hatten zuvor ihren Rücktritt eingereicht.

Turtschinow soll zusätzlich bis zur Ernennung einer Übergangsregierung die Kabinettsarbeit steuern. Das entschied das Parlament in der live im Fernsehen übertragenen Sitzung mit großer Mehrheit. Zum neuen Innenminister wurde der Oppositionsabgeordnete Arsen Awakow gewählt. Ministerpräsident Nikolai Asarow war Ende Januar auf Druck der Opposition zurückgetreten. Seitdem war die Regierung nur noch kommissarisch im Amt.

Der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko will Präsident Janukowitsch noch heute durch die Oberste Rada absetzen lassen. "Das Parlament ist heute das einzige legitime Organ, das Entscheidungen trifft", sagte Klitschko in Kiew. Alle Fernsehsender übertrugen die Sitzung live - auch die Entscheidung, dass Timoschenkos umgehend aus der Haft entlassen werden soll.

Zahlreiche Gerüchte machen die Runde

Am Morgen hatten die Regierungsgegner den seit der Nacht verlassenen Wohnsitz des Präsidenten in der Nähe von Kiew besetzt. Journalisten des Fernsehsenders Kanal 5 hatten berichtet, sie seien ohne Probleme in die normalerweise streng bewachte Residenz des Präsidenten in einem Kiewer Vorort eingedrungen. Andere Quelle hatten zudem berichtet, dass eine Präsidentenmaschine in die Vereinigten Arabischen Emirate geflogen sei. Womöglich mit dem Hab und Gut des Präsidenten an Bord. Dieser befände sich zurzeit mit einem Teil seiner ehemaligen Regierungsmannschaft in Moskau. Auch hierfür gibt es keine belastbaren Aussagen.

Janukowitsch selbst lässt derweil von seiner Sprecherin verlauten, er halte sich in der Millionenstadt Charkiw auf. "Der Präsident wird heute in Charkiw im Fernsehen auftreten", sagte seine Beraterin Anna German der russischen Agentur Interfax. Dem russischen Radiosender Echo Moskwy sagte die Parlamentarierin, Janukowitsch wolle auch noch andere Regionen der Ex-Sowjetrepublik besuchen und dann nach Kiew zurückkehren.

Janukowitsch soll in Charkiw an einem Kongress der Ukrainischen Front teilgenommen haben, zu der sich Delegierte aus dem prorussischen Osten und Süden der Ex-Sowjetrepublik versammelten. Experten schließen nicht aus, dass die Ukrainische Front in Charkow einen gewaltsamen Vorstoß gegen die Regierungsgegner beschließen könnte.

Polizei wechselt die Seite

Auch die ukrainischen Sicherheitsorgane des Innenministeriums haben sich nun offiziell auf die Seite der Opposition geschlagen. Das teilte die für die Polizei im Land zuständige Behörde auf ihrer Internetseite mit. Das diene ausschließlich dem ukrainischen Volk und unterstütze vollständig das Streben der Bürger nach schnellstmöglichen Änderungen, hieß es in der Mitteilung. "Die Miliz ruft die Bürger auf, mit gemeinsamen Anstrengungen die Rechtsordnung im Staat zu wahren, keine Vernichtung der Infrastruktur der Rechtsschutzorgane zuzulassen, die jahrelang aufgebaut wurde und immer vom Volk benötigt wird für den Schutz vor rechtswidrigen Handlungen", teilte das Ministerium mit.

Der zuständige Minister war zuvor aus dem Land geflohen. "Der Übergang zur parlamentarisch-präsidialen Regierungsform darf kein Chaos verursachen und die Gesellschaft der Unordnung und Willkür ausliefern", hieß es weiter in der Mitteilung. "Vereinigen wir unsere Kräfte für die Schaffung eines wahrlich unabhängigen demokratischen rechtlichen europäischen Staates!"

Die Ukraine steckt in ihrer schlimmsten Krise seit ihrer Unabhängigkeit von der früheren Sowjetunion. Begonnen hatte sie mit Protesten gegen den antieuropäischen Kurs von Janukowitsch, später waren diese in blutiger Gewalt eskaliert.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/rts/AFP

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