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Jubiläen in Weimar: Wo Genies Nachbarn waren Auf den Spuren von Goethe und Schiller

Von Marlis Heinz | 03.02.2024, 06:00 Uhr

Goethe, Herder, Schiller und Wieland – hier kamen die Größen der Klassik zusammen. Ihre Lebens- und Wirkungsstätten in dieser Stadt gehören seit 1998 zum Weltkulturerbe. Und auch 2024 gibt es in Weimar jede Menge Jubiläen. Ein aktueller Überblick.

Die Eintretenden flüstern. Sie orientieren sich im Halbdunkel, das Wandstrahler aufhellen und an ein wenig Tageslicht, welches durch ein vergittertes Oval im Deckengewölbe in die Gruft fällt. Mehr als 30 Särge stehen, nur von einigen Säulen getrennt, dicht beieinander. Und gleich neben dem Eingang unübersehbar diese beiden: wuchtige, dunkle, sparsam beschlagene Eichensärge. An einem steht in großen Lettern „GOETHE“, am anderen „SCHILLER“. Doch nur an Goethes Sarkophag lehnt ein Strauß roter Rosen. Wahrscheinlich kannte da jemand die rätselhaften Umstände der letzten Ruhe Schillers. An einem anderen Ort, am Kassengewölbe auf dem Friedhof Jakobskirche, klemmt manchmal eine einzelne Rose. Für Schiller. Vermutlich blieben seine sterblichen Überreste dort zurück, als man glaubte, sie hierher in die Fürstengruft auf dem historischen Friedhof von Weimar zu überführen. Im Schiller-Sarg – so offenbarte ein DNA-Test – lagen fremde Knochen und Schädel, die inzwischen anderswo bestattet wurden.

Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller und Mitglieder der Fürstenfamilie

Goethes Gebeine jedenfalls ruhen unbestritten hier. Der Dienstherr des Genies hatte bestimmt, dass sie in die Grablege seiner Familie, des Hauses Sachsen-Weimar und Eisenach, gehören. Während die Besucher Goethes wohlbeschriftete Ruhestätte sofort entdecken und innehalten, müssen sie für die Zuordnung der anderen Särge zu einem Verzeichnis greifen. Viele Mitglieder der Weimarer Fürstenfamilie sind hier bestattet: Herzöge, Großherzöge und deren Gemahlinnen, Prinzen und Prinzessinnen. Dass sich der Weimarer Hof inmitten der vielen anderen kleinen Residenzen als etwas Besonderes hervortat, verdankte er einer Fülle von Schicksalen und Umständen, die kurz gefasst auf ein paar Namen zulaufen: Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe, Johann Gottfried Herder und Friedrich Schiller.

Bewunderung, Eifersüchteleien und Anziehungskraft

Um die Vielfalt von Herrschern und Genies, von Weltgeschichte und Literatur irgendwie zu ordnen, profitieren die Besucher von dem Wissen einer Gästeführerin wie Claudia von der Heyde. Von ihr ist auch zu erfahren, warum das klassische Weimar 1998 auf die Liste der Welterbestätten gelangte: „Alles begann mit der gebildeten junge Witwe Anna Amalia, die 1772 den von ihr geschätzten Wieland, einen Dichter, Übersetzer und Herausgeber der Aufklärung als Tutor ihrer Söhne an den Hof bat. Als der Herzog mündig war, holte er sich Goethe, dessen Werke ihn begeisterten. Und Goethe wiederum empfahl Herder, den Geistlichen, Dichter, Philosophen und Pädagogen für die seit Jahren vakante Stelle als Superintendent. Schiller kam, weil er die Nähe Goethes suchte.“
Enttäuscht wird sein, wer den Stammtisch des Kleeblattes sucht. „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass die vier ständig einträchtig beisammensaßen“, so von der Heyde weiter. „Da gab es auch Eifersüchteleien, Bewunderung, Geringschätzung. Aber letztlich machten sie alle und ihre Anziehungskraft auf andere Geistesgrößen das kleine Weimar im späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zum kulturellen Brennglas Europas“.

Im August: 275. Geburtstag von Goethe wird gefeiert

Und weil die vier Künstler Ämter innehatten, Salons besuchten, bei Hofe verkehrten, gerne spazierten oder einkehrten, scheint es kaum einen Ort zu geben, der nicht von den Klassikern erzählt. Und es gibt auch immer ein Jubiläum. In 2024 ist die umfangreiche Weimarer Caspar-David-Friedrich-Sammlung erstmals zu sehen. Im April wird an Sophie von Oranien-Nassau erinnert, die das Goethe-und Schiller-Archiv bauen ließ. Selbstverständlich ist am 28. August der 275. Geburtstag von Goethe der Anlass für eine Feier. Der Vorteil von Weimar, damals ein 6.000-Seelen-Örtchen, war: Alles liegt dicht beieinander. Fahren muss man lediglich hinaus zu den drei Sommerresidenzen und deren Parks.

Stadtkirche Peter und Paul: Kühle, Stille und manchmal Musik

In der Stadt hingegen lassen sich mehrere Wirkungsstätten auf einen Spaziergang fädeln. Doch es braucht Muße, um nicht nur Häuser anzusehen, sondern den Geist jener Zeit zu erspüren. In der Stadtkirche Peter und Paul, im Volksmund Herderkirche, erlebt der Besucher Kühle, Stille, manchmal Musik - und wenn er Glück hat, eine Führung mit dem Küster Bernd Piotrowski. Zwar steht samstagsnachmittags immer das riesige Altargemälde von Lucas Cranach d.J. im Mittelpunkt der Erläuterungen. Aber nichts geht an der Wirkungsstätte Herders ohne ihn. Und nichts geht ohne einen Blick auf den Fußboden, wo mit steinernen Platten an hier Begrabene erinnert wird; auf einer davon steht „Anna Amalia + 1807“.

An anderen Stationen der Weimarer Klassik geht es lebhafter zu. Vor allem natürlich an Goethes Wohnhaus am Frauenplan. In dessen Foyer sammeln sich die Neugierigen, kaufen Eintrittskarten oder Tickets für die halbstündige Führung „Stippvisite“, stopfen Rucksäcke in die Garderobenschränke und lassen sich die Audioguides erklären. „Die Erläuterungen gibt es in sieben Sprachen“, betont die Technik-Dame. Hier teilen sich die Besucherströme: Die einen ziehen durch das modern gestaltete Goethe-Nationalmuseum und versuchen dort Wurzeln und Facetten des Genies zu ergründen. Die anderen gehen ins Wohnhaus und begegnen auf knarrenden Dielen und inmitten von italienisch anmutendem Interieur, dem Geheimrat von Goethe, seinem Mobiliar, seinen Sammlungen, seinem Geschmack.

Mehr Informationen:

Weitere Infos über Weimar und die Sehenswürdigkeiten gibt es online:
www.weimar.de
www.unesco.de/kultur-und-natur/welterbe/welterbe-deutschland/klassisches-weimar
www.klassik-stiftung.de/themen/goethe-schiller-und-die-weimarer-klassik
weimar-evangelisch.de/gemeinde-kirchen/kirchen-in-weimar/herderkirche

Aus den Fenstern schaut man nach vorn auf den Frauenplan, wo Touristen in Kutschen steigen oder Freisitze bevölkern, und nach hinten hinaus in einen großen Garten. Auf den heutigen Rasenflächen wuchsen früher Gemüse und Kräuter. Doch die Rabatten blühen noch immer wie vor zwei Jahrhunderten. Wer jetzt schon pflaster- oder historienmüde ist, kann hier auf einer der weißen Bänke zusammensinken, aufatmen und den Duft der Sommerblumen genießen.
Und dann natürlich weiterziehen, zur Anna Amalia Bibliothek zum Beispiel. Auch hier Gewusel im Foyer – und fast sakrale Feierlichkeit im Rokoko-Saal. Die Besucher gleiten in Filzpantoffeln über den Holzboden, bewundern das zwischen den ovalen Galerien hindurch zu sehende Deckengemälde, hören Berichte über das Inferno von 2004 und staunen, dass wieder rund 40.000 Bände in den Regalen stehen.

Italienisch anmutende Bauwerke und romantische Ruinen

Gleich hinter der Bibliothek dehnt sich der Park an der Ilm. Der schmale Fluss windet sich durch die Wiesen, vorbei an Gruppen alter Bäume, an italienisch anmutenden Bauwerken und romantischen Ruinen, unter Brücken hindurch. Das Weinberghäuschen ging als Goethes Gartenhaus in die Historie ein, weil der Dichter anfangs hier wohnte. Auch als der Geheimrat längst am Frauenplan residierte, zog er sich dorthin zurück. Wenigstens ein Blick übers Ilm-Tal aufs Gartenhaus ist das absolute Muss für jede Stadtführung, auch für das Trüppchen um Henning Hacke, der heute als schwatzhafter Postbote unterwegs ist und vor den Häusern der Adressaten aus Brieflein zitiert „... deren Siegel von ganz alleine brachen“. Wer Weimar kennt, ahnt, worum es geht - natürlich vor allem um Liebschaften, Legenden und Lästereien.