Der andere Blick

Ende des Bundeswehr-Einsatzes in Mali: Das einzig Positive ist, dass es nicht mehr Gefallene gegeben hat

Bundeskanzler Olaf Scholz will am Donnerstag bei einem Appell die deutsche Militärmission in dem westafrikanischen Land würdigen. Doch wie in Afghanistan gilt auch hier: Was mit hehren Zielen begann, endete im Fiasko. Am Ende wurde die Bundeswehr auch von jenen verjagt, die sie zuvor ausgebildet hatte.

Marco Seliger, Berlin 52 Kommentare 6 min
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Rückkehr der letzten deutschen Soldaten aus Mali auf den Militärflugplatz Wunstorf (Niedersachsen) im Dezember 2023. An diesem Donnerstag würdigt die Bundesregierung den Einsatz der gut 27 000 Männer und Frauen in Uniform mit einem Abschlussappell in Berlin.

Rückkehr der letzten deutschen Soldaten aus Mali auf den Militärflugplatz Wunstorf (Niedersachsen) im Dezember 2023. An diesem Donnerstag würdigt die Bundesregierung den Einsatz der gut 27 000 Männer und Frauen in Uniform mit einem Abschlussappell in Berlin.

Michael Matthey / DPA

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Marco Seliger, Redaktor NZZ Deutschland

Marco Seliger, Redaktor NZZ Deutschland

Nzz_photographen-Team / Neue Zürcher Zeitung

Es ist gut, wenn am Donnerstagabend in Berlin der Bundeskanzler und andere hochrangige Politiker den Dienst der deutschen Soldaten in Mali in einem Abschlussappell würdigen. Gut 27 000 Männer und Frauen in Uniform haben über zehn Jahre in Treue und gutem Glauben an die Sinnhaftigkeit ihres Tuns für Deutschland in Westafrika gedient. Wer einmal in Malis Hitze und Wüste sowie in der Trostlosigkeit deutscher Feldlager unterwegs war, weiss, wie sehr dieser Einsatz der Soldaten Respekt verdient.

Dennoch war dieser letzte grosse Auslandseinsatz der Bundeswehr so sinnlos wie keiner zuvor in den vergangenen dreissig Jahren. Es ist allein schon bezeichnend, wie er beendet wurde. Die Nachhut kehrte weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit im Dezember nach Deutschland zurück – mehr oder weniger verjagt von der malischen Regierung und ihren neuen Verbündeten, den Russen.

Doch es ist mehr als nur der politische Aspekt, der an Wert und Nutzen des langjährigen und teuren Einsatzes mit drei deutschen Gefallenen und mehreren teilweise schwer verwundeten Soldaten zweifeln lässt. Es ist die ganze Art und Weise, wie hier versucht wurde, Mali zu stabilisieren und seine Armee aufzubauen, die mitunter geradezu bizarr anmutete.

Da gibt es die Geschichte eines deutschen Offiziers, der malische Soldaten lehren sollte, wie sie gemäss humanitärem Völkerrecht mit Kriegsgefangenen umzugehen haben. Nachdem der Oberst den Unterricht beendet hatte, betrat ein malischer Offizier das Unterrichtszelt und sagte, die Soldaten sollten vergessen, was sie gerade gehört hätten. «Wenn ihr Gefangene habt, handelt wie bis anhin. Zuerst erschiessen, dann verbrennen. So können die bösen Geister nicht wiederkommen. Und wenn ihr Tuareg gefangen nehmt, unter keinen Umständen einsperren, denn sie können durch Wände gehen. Sofort erschiessen. Merkt euch das.»

Kein Wille, sich voll in Mali zu engagieren

Das ist kein Scherz. Es ist passiert. Man kann es in den (bisher unveröffentlichten) Aufzeichnungen eines österreichischen Offiziers lesen, der in Mali im EU-Einsatz war. Er hat nicht nur die geschilderte Szene erlebt, sondern weitere Absurditäten dieser Mission beschrieben. Etwa wie malische Soldaten am Stützpunkt der Bundeswehr in Koulikoro darin ausgebildet werden sollten, Autos zu kontrollieren und mit Teleskopspiegeln auf Bomben am Fahrzeugboden zu untersuchen.

Das Problem sei gewesen, so schreibt der Offizier, dass sie es ohne Auto und ohne Spiegel hätten machen müssen. Ausbildungsmaterial war immer knapp. Kein europäisches Land hat sich je mit ganzer militärischer Kraft und vollem politischem Willen in Mali engagiert.

Es ist bezeichnend für die deutsche Aussenpolitik, wie die Bundesrepublik nach Mali kam. Die Idee, einheimische Sicherheitskräfte auszubilden, mag nach dem drohenden Zusammenbruch des malischen Staates im Jahr 2012 nachvollziehbar gewesen sein. Damals marschierten Rebellen- und Terrorgruppen von Norden auf die Hauptstadt Bamako zu und drohten das Land zu übernehmen. Französische Truppen stoppten die Angreifer.

Desaströse Frontberichte

Es folgte die EU-Mission zur Ausbildung malischer Streitkräfte. Deutschland machte mit, weil es die «Freunde» in Paris wünschten, nicht weil es der eigenen Sicherheit diente. Für die Soldaten war der Einsatz allerdings von ähnlichen Restriktionen begleitet wie in Afghanistan. Sie sollten ausbilden, in den Kampfeinsatz gegen Terrorgruppen aber durften sie die Malier nicht begleiten. Sie wussten nicht, ob ihr Training etwas brachte. Doch die Frontberichte gaben ein desaströses Bild: Die malische Armee war schlecht geführt, chronisch erfolglos und beging immer wieder Kriegsverbrechen.

Für die Bundeswehr war es wie in Afghanistan: Mit fortdauernder Mission erodierte der Einsatzsinn. Vollends absurd wurde es, als vor gut vier Jahren jenes Militär, das Deutschland ausgebildet hatte, die Regierung in Bamako aus dem Amt putschte. An ihrer Spitze steht bis heute ein Offizier, der unter anderem auch Lehrgänge an Militäreinrichtungen in der Bundesrepublik absolvierte. Man darf gespannt sein, ob der deutsche Kanzler Olaf Scholz auf all diese Widersprüchlichkeiten des Einsatzes beim Rückkehrerappell am Donnerstag zu sprechen kommt.

Denn dieser Putsch hatte massive Folgen. Er führte Deutschland zum einen vor Augen, dass die Ausbildung einheimischer Sicherheitskräfte eben kein Garant dafür ist, einem Land Stabilität zu bringen. Zum anderen verbündete sich die malische Junta mit dem russischen Regime.

Moskau schickte Hunderte Söldner der berüchtigten Gruppe Wagner nach Mali, mit ihnen Waffen, Munition und Flugzeuge für den Kampf gegen der Regierung unliebsame Bevölkerungsteile. Fortan gingen von Deutschland ausgebildete malische Soldaten Seite an Seite mit russischen Söldnern gegen Dörfer und Stämme in Nord- und Zentralmali vor, angeblich weil diese mit Terroristen paktierten.

Für die vielen deutschen Soldaten, die in den zurückliegenden zehn Jahren in Westafrika gedient haben, kann man nur hoffen, dass Scholz in seiner Rede am Donnerstag auf die desaströse Lage in Mali nicht näher eingeht. Es würde sie vermutlich nur deprimieren und sich fragen lassen, weshalb sie die deutschen Politiker Jahr für Jahr dorthin geschickt haben. Doch vor allem die Angehörigen des deutschen Uno-Kontingents in der Wüstenstadt Gao dürften spätestens seit dem Militärputsch im August 2020 erkannt haben, dass sie nichts mehr bewegen konnten.

Ein willkommenes Feigenblatt für Merkel

Der Minusma genannte Uno-Einsatz wurde ebenfalls infolge der französischen Intervention im Jahr 2012 begonnen. Er sollte dazu dienen, den Friedensvertrag zwischen den verfeindeten malischen Volksgruppen im Norden (Tuareg) und der Regierung in Bamako zu überwachen. Deutschland beteiligte sich daran allerdings erst nach den entsetzlichen Terrorattacken in Paris im November 2015. Frankreich hatte «eine Art Bündnisfall» ausgerufen, wie es die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel später erklärte.

Sie entschied, mehr Truppen nach Mali zu schicken, und begründete dies mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Dazu hätten sie sich allerdings besser der französischen Anti-Terror-Operation «Barkhane» angeschlossen, die es parallel dazu in Mali auch gab. Doch Merkel wollte nicht, dass deutsche Soldaten gegen Terroristen kämpfen. Da war Minusma ein willkommenes Feigenblatt. Diese Mission hatte kein Mandat, gegen Terrorgruppen und Schleuser vorzugehen.

Stattdessen sollten die Deutschen der Uno-Missions-Führung Informationen über die Sicherheitslage in Nord- und Zentralmali liefern. Davon profitierten, unter der Hand, auch die Franzosen. Dazu setzte die Bundeswehr Aufklärungsdrohnen ein und patrouillierte regelmässig im Umfeld des Feldlagers. Doch schon vor dem Putsch in Bamako war auch diese Mission von zweifelhaftem Erfolg. Dort, wo Minusma Stützpunkte unterhielt, gab sie den Menschen Arbeit und eine gewisse Sicherheit. Doch mit ihren insgesamt 13 000 Soldaten aus aller Welt half sie den Menschen nicht gegen Terrorgruppen und Kriminelle.

Nachbarschaft mit Wagner-Söldnern

Nach dem Putsch zogen die Franzosen ihre Soldaten ab. Die Russen kamen und quartierten sich in Nachbarschaft der Deutschen am Flugplatz in Gao ein. Die Junta verbot der Bundeswehr, ihre Drohnen zu starten, weil sie keine Zeugen für das Vorgehen der Wagner-Söldner im Land wollte. Die Deutschen durften mitunter nicht einmal mehr ihre Soldaten ausfliegen, weil sie von der Regierung in Bamako mit Flugverboten belegt waren. Sie waren zum Schikaneopfer derer geworden, die sie Jahre vorher in sicher guter Absicht ausgebildet hatten.

Mit dem Mali-Einsatz geht die Ära der deutschen Auslandseinsätze zu Ende. Es gab Missionen, die erfolgreich waren, etwa in Bosnien-Herzegowina und in Kosovo. Afghanistan aber endete im Desaster. Für Mali gilt: Das Land hat weder Stabilität noch Streitkräfte, wie sie sich die Bundesregierung vorgestellt hat. Kein Einsatzziel wurde erreicht. Gut, dass es nicht noch mehr Gefallene gegeben hat. Das ist das einzig Positive einer erschütternden Bilanz.

52 Kommentare
Martin Ahlemeyer

Auch diese politischen Fehlentscheidungen, von der Öffentlichkeit wohl nicht wahrgenommen, wird man nicht aufarbeiten. Weder die Pandemie, noch Afghanistan, noch Mali und und in Zukunft die gescheiterte Energiewende mit den Folgen der Deindustrialidierumg . Wenn Fakten auf den Tisch liegen, wie bei der aktuellen Kriminalitätsstatistik, erfolgen verharmlosende Kommentare bis zur Hilflosigkeit eine Innenministers aus NRW , der die vorrangige Aufgabe eines Staates, nämlich innere  Sicherheit zur Aufgabe der Bevölkerung macht. Hier muss die Bevölkerung mithelfen. Aber die äußere Sicherheit, die wird ja auch nicht in der Ukraine sondern in Mali ( und Afghanistan) verteidigt. 

Hans-Jürgen Merten

Ich frage mich, wie der Autor zu der Aussage kommt, dass die Missionen in Bosnien-Herzegowina und Kosovo erfolgreich waren? Bosnien-Herzegowina wird beherrscht von Korruption (das gleiche gilt für das Kosovo), vom Hass zwischen Musslimen, Serben und Kroaten aufgrund der unaufgearbeiteten Kriegsverbrechen. Bosnien-Herzegowina ist immer noch so tief gespalten, dass ausländische Militärverbände die Lage immer noch und nur mit großer Mühe, unter Kontrolle halten müssen, Stichwort Eufor Althea. Und auch im Kosovo stehen immer noch fast 5.000 Soldaten der KFOR im Einsatz um die Spannungen unterm Deckel zu halten. Von Erfolg kann also auch hier noch nicht die Rede sein.