Warum macht sich Indien Sorgen über eine Landebahn auf einer kleinen Insel Myanmars?

Die Great-Coco-Insel von Myanmar liegt in der Nähe von Indiens Andamanen und Nikobaren. Und diese sind von enormer strategischer Bedeutung.

Patrick Zoll, Taipeh 4 min
Drucken
Ein chinesisches Schiff, das mit Überwachungsanlagen ausgerüstet ist, stoppt im Hafen von Hambantota in Sri Lanka. Indien macht sich Sorgen wegen Chinas zunehmender Präsenz im Indischen Ozean.

Ein chinesisches Schiff, das mit Überwachungsanlagen ausgerüstet ist, stoppt im Hafen von Hambantota in Sri Lanka. Indien macht sich Sorgen wegen Chinas zunehmender Präsenz im Indischen Ozean.

Imago

Wenn auf einer einsamen Insel plötzlich eine Landebahn entsteht oder wenn eine solche ausgebaut wird, so bleibt das heutzutage nicht lang verborgen. Auch auf kommerziell verfügbaren Satellitenbildern sind solche Bauten sichtbar. Vor knapp zwei Jahren wurde auf diese Art bekannt, dass Indien auf einer Insel im Indischen Ozean eine Landebahn baut. Von den Agalega-Inseln aus, die zu Mauritius gehören, kann die bevölkerungsreichste Nation der Welt weite Seegebiete überwachen.

Nun macht sich Indien seinerseits Sorgen über eine Landebahn und weitere Bauarbeiten, die auf einer anderen abgelegenen Insel zu sehen sind. Es handelt sich um die Great-Coco-Insel, die zu Myanmar gehört. Laut einem Bericht der britischen Denkfabrik Chatham House wurde die dortige Landebahn von 1300 auf 2300 Meter ausgebaut und verbreitert. Damit können dort Mittelstreckenflugzeuge wie eine Boeing 737 landen.

Auf diesem Satellitenbild vom April ist die grosse Landepiste auf Great Coco gut erkennbar.

Auf diesem Satellitenbild vom April ist die grosse Landepiste auf Great Coco gut erkennbar.

Maxar

Doch wozu dient eine solche Piste auf einer Insel, auf der gerade einmal 1000 Einwohner leben? Warum steckt das verarmte Myanmar, das seit dem Militärputsch vor zwei Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg versinkt, Ressourcen in ein solches Projekt?

Von Great Coco aus könnte man Indiens Streitkräfte überwachen

Die Experten von Chatham House sehen auf den Satellitenbildern klare Anzeichen dafür, dass die Arbeiten auf Great Coco militärischer Natur sind und dazu dienen, dort Flugzeuge stationieren zu können. Dass Myanmar vielleicht beabsichtige, bald von Great Coco aus Überwachungsflüge durchzuführen, vermuten sie.

Und das dürfte Indien Sorge bereiten – denn Great Coco ist nur gerade 55 Kilometer vom nördlichsten Punkt der Inselkette der Andamanen und der Nikobaren entfernt, die zu Indien gehört. Myanmar könnte sich von hier aus ein gutes Bild über Bewegungen der indischen Marine und Luftwaffe in der Region verschaffen.

Die Andamanen und die Nikobaren erstrecken sich in nordsüdlicher Richtung über fast 750 Kilometer. Sie sind aus zweierlei Hinsicht für Indien strategisch wichtig: Sie dienen den Streitkräften als Stützpunkte auf der Ostseite des Golfs von Bengalen – mehr als 1000 Kilometer vom indischen Festland entfernt. Und von ihnen aus lässt sich die Einfahrt in die Andamanensee überwachen. Diese wiederum führt in die Strasse von Malakka, durch die rund 40 Prozent des Welthandels verschifft wird.

«Die Inselkette gibt Indien einen riesigen strategischen Vorteil, weil wir von hier aus jeglichen Verkehr in der Strasse von Malakka überwachen können», sagt Pradeep Chauhan, ein pensionierter Vizeadmiral der indischen Marine.

Die Andamanen und die Nikobaren sind strategisch wichtig für Indien

Auch für die Schiffsbewegungen in der Strasse von Malakka interessiert sich China. Peking pflegt enge Beziehungen mit der isolierten Militärjunta in Naypyidaw. China hält trotz internationalen Sanktionen an seinem wirtschaftlichen Engagement in Myanmar fest. Hier sehen die Autoren des Chatham-House-Berichts eine mögliche Verbindung: Im Gegenzug für weitere Investitionen, welche die Junta dringend braucht, könnte Peking Informationen verlangen, welche Myanmar mit den Überwachungsflügen von Great Coco aus gewinnt.

Berichte über chinesische Aktivitäten auf Great Coco gibt es seit langem. Seit den 1990er Jahren taucht immer wieder die Vermutung auf, dass Peking dort eine Anlage für Fernmelde- und elektronische Aufklärung betreiben könnte. Diese sogenannte «signals intelligence» (kurz: Sigint) hört zum Beispiel Funk ab und wertet fremde Radarsignale aus. Belegt wurde die chinesische Station auf Great Coco nie, einzelne Experten bezweifeln , dass es sie gab oder gibt.

Indien fühlt sich von China eingekreist

Unabhängig davon, ob China auf Great Coco die Hände im Spiel hat, ist sich Indien in den letzten Jahren bewusst geworden, dass die Andamanen und die Nikobaren verwundbar sind. Man sei erst dabei, die Stützpunkte für Luftwaffe und Marine auf den Inseln richtig aufzubauen, sagt Chauhan, der seit seiner Pensionierung als Generaldirektor der National Maritime Foundation tätig ist, einer Denkfabrik in Delhi.

Der sicherheitspolitische Fokus Indiens liege lange auf der Sicherung der Grenze mit China im Himalaja gewesen, so betont Chauhan: «Die Ressourcen sind beschränkt, und da bleiben Sachen liegen, die zwar auch wichtig sind, aber nicht die gleiche Dringlichkeit haben.» Im Norden seien die Grenzen Indiens akut bedroht gewesen.

Dass Indien diesen Spagat weiter gehen muss, zeigte sich im Frühling 2020, als es entlang der sogenannten «line of actual control», der De-facto-Grenze, zu gewaltsamen Zusammenstössen zwischen indischen und chinesischen Truppen kam. 20 indische und schätzungsweise 20 bis 35 chinesische Soldaten kamen ums Leben.

Seit Peking wirtschaftlich und militärisch auch in den Ländern am Indischen Ozean immer aktiver wird, fühlt sich Indien eingekreist. Die Volksrepublik hat nicht nur enge Beziehungen zu Myanmar, das im Osten an Indien grenzt, sondern auch zu Indiens Nachbar Pakistan im Westen. Der Kreis wird durch chinesische Infrastrukturprojekte, insbesondere Häfen, in Bangladesh, Sri Lanka und den Malediven geschlossen. Selbst am Westrand des Indischen Ozeans, an der Ostküste Afrikas, ist China stark präsent.

Besonders deutlich wird Indiens Unbehagen jeweils, wenn chinesische Kriegsschiffe Häfen in Sri Lanka anlaufen, um dort Treibstoff und Nahrungsmittel aufzunehmen. Delhi macht dann seiner Unzufriedenheit deutlich Luft. Als letztes Jahr die «Yuan Wang 5», ein Schiff, das elektromagnetische Signale überwachen kann, in Hambantota anlief, kam es zu einer diplomatischen Krise zwischen Delhi und Colombo.

Chauhan fasst die Rangelei zwischen Indien und China im Indischen Ozean so zusammen: «Wir versuchen beide, unsere Wirtschaft weiterzuentwickeln. Und weil wir um die gleichen Ressourcen und die gleichen Märkte buhlen – sei es in Afrika oder in Europa – haben wir diese Rivalität.»

Weitere Themen