Das Gericht will den Love-Parade-Prozess einstellen – die Hinterbliebenen sind fassungslos

Der Prozess wird voraussichtlich eingestellt. Es bleibt zu wenig Zeit bis zur Verjährung, um die individuelle Schuld der zehn Angeklagten feststellen zu können. Für Hinterbliebene ist das ein schwerer Schlag.

Stephanie Lahrtz, München
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An der Love-Parade-Gedenkstätte in Duisburg erinnern 21 Holzkreuze auf einer Treppe an die Getöteten. (AP Photo / Martin Meissner)

An der Love-Parade-Gedenkstätte in Duisburg erinnern 21 Holzkreuze auf einer Treppe an die Getöteten. (AP Photo / Martin Meissner)

Der Strafprozess zum Duisburger Love-Parade-Unglück wird allem Anschein nach in den kommenden Wochen eingestellt werden. Der Vorsitzende Richter hat dies nach einem nicht öffentlichen Rechtsgespräch mit der Staatsanwaltschaft, den Verteidigern sowie Nebenklagevertretern am Donnerstag erläutert. Das Gericht sieht keine Chance, bis zur Verjährung der Taten im Juli 2020 jeweils die individuelle Schuld der zehn Angeklagten eindeutig festzustellen.

Kirchliche Trauerfeier mit Kanzlerin Merkel (2.v.l.) und Präsident Wullf (4.v.l). (Bild: Keystone / AP / Bundespresseamt)
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Trauermarsch am Samstag nach dem Unglück. (Bild: Keystone / AP)
Demonstranten stellen vor dem Duisburger Stadthaus die Frage nach der Schuld. (Bild: Imago)
Im Zentrum der Kritik stehen der Duisburger Polizeipräsident Detlef von Schmeling (links) sowie Rainer Schaller, der Organisator der Love Parade. (Bild: Imago)
Eine Gedenktafel nahe der Unglücksstelle. (Bild: Imago)
Der Oberbürgermeister von Duisburg, Adolf Sauerland, sieht keinen Anlass für einen Rücktritt, auch wenn dieser von vielen gefordert wird. (Bild: Keystone/AP)
Blumen, Kerzen und andere Botschaften der Anteilnahme. (Bild: Imago)
Die Bestürzung ist gross. (Bild: Keystone / AP)
Zwei Frauen werden in der Nähe des Tunnels auf eine Treppe gezogen. (Bild: Keystone/EPA)
Besucher fliehen eine Böschung hinauf, als die Massenpanik ausbricht. (Bild: Keystone / Epa)
Grosseinsatz der Rettungskräfte. (Bild: Keystone / Epa)
Situationsplan des Festgeländes. (Bild: NZZ-Infografik / cke.)
Der Unglücksort und die mit Kreide festgehaltenen Umrisse der Opfer. (Bild: Keystone / Epa)
Das Festgelände in einer Luftaufnahme. (Bild: Keystone / Epa)

Kirchliche Trauerfeier mit Kanzlerin Merkel (2.v.l.) und Präsident Wullf (4.v.l). (Bild: Keystone / AP / Bundespresseamt)

Schadenersatzprozess könnte folgen

Der Prozess habe aber erheblich zur Aufklärung der Geschehnisse bei der Veranstaltung beigetragen, betonte das Gericht am Donnerstag. Neben Planungsfehlern sei ein kollektives Versagen einer Vielzahl von Personen am Veranstaltungstag für das Unglück mitverantwortlich.

Damit wird es für die Katastrophe, bei der am 24. Juli 2010 in einem Menschenstau und einer Massenpanik 21 Personen zu Tode gedrückt oder getrampelt und über 650 teilweise schwer verletzt wurden, keine vom Gericht festgestellten Schuldigen geben. Angeklagt sind sechs Mitarbeiter des Duisburger Bauamtes sowie vier von der Veranstaltungsfirma Lopavent. Ihnen wird fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung wegen mangelnder Planung beziehungsweise rechtswidriger Genehmigung vorgeworfen.

Auch Staatsanwaltschaft und Verteidiger wollen der Einstellung zustimmen, jedoch nicht kampflos. So verhandeln sie nun über Auflagen wie Geldzahlungen für einige oder alle Angeklagten. Gemäss dem Gericht sollen alle Mitarbeiter der Stadt sowie einer der Veranstaltungsfirma keine Auflage erhalten, weil man eine geringfügige persönliche Schuld erkenne. Die drei anderen angeklagten Firmenmitarbeiter hingegen sollen eine Auflage erhalten, das Gericht sieht hier eine mittlere Schuld gegeben, da diese Personen in den Organisationsablauf hätten eingreifen können.

Für viele Hinterbliebene und Opfer wäre die Einstellung ein schwerer Schlag. «Unsere Tochter ist damit zum zweiten Mal gestorben», sagte ein Vater am Ende des Prozesstages. Viele sind fassungslos darüber, dass offenbar niemandem gravierende Fehler nachgewiesen werden können. Zudem ist es für Betroffene seit Prozessbeginn skandalös, dass keine echten Entscheider und für Planung oder Genehmigung Verantwortlichen angeklagt wurden.

Die Nebenklageanwälte, die Hinterbliebene oder Verletzte vertreten, wollen nun wenigstens erreichen, dass im Einstellungsbeschluss genügend Fakten zu Versäumnissen der Stadt, der Polizei sowie des Veranstalters aufgeführt werden, um Argumente im angestrebten Zivilprozess um Schadenersatz zu haben.

Katastrophe hätte bis kurz davor verhindert werden können

Diese könnte auch das von einem Experten für Verkehrssicherheit im vergangenen Dezember vorgelegte, mehr als 3800 Seiten dicke Gutachten über Ursachen der Katastrophe liefern. Demzufolge war das Gelände für die zu erwartenden Besuchermassen nicht geeignet. Das hätte mehrfach und von diversen Personen im Vorfeld festgestellt werden können, schrieb der Gutachter. Besonders bitter ist seine Erkenntnis, dass es sogar am Tag selber noch bis 16 Uhr 31 die Chance gegeben hatte, die tragischen Ereignisse durch eine koordinierte Steuerung der Personenströme zu verhindern. Stattdessen gab es mangelnde bis gar keine Kommunikation zwischen Polizei, Veranstalter und anderen Sicherheitsleuten sowie falsche Entscheidungen angesichts der immer kompakter werdenden Menschenmasse. Um 17 Uhr wurden die ersten Toten gemeldet.