Aussergewöhnlich, nicht normal: Jürgen Klopp ist ein Trainer, der Massstäbe setzt

Zum dritten Mal steht der deutsche Coach mit dem FC Liverpool im Final der Champions League. Der Erfolg ist auch das Ergebnis der Methode Klopp: Keiner versteht es wie er, Fans und Spieler zu begeistern.

Stefan Osterhaus, Berlin
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Jovial im Auftreten – und dennoch voller Ehrgeiz: Jürgen Klopp.

Jovial im Auftreten – und dennoch voller Ehrgeiz: Jürgen Klopp.

Carl Recine / Reuters

Manchmal ist ein Titel die Voraussetzung für einen anderen. Und zwar dann, wenn eine Ehrung ansteht, die vorherige Leistungen gewissermassen veredelt. Ein Weltfussballer, der ausgezeichnet wird, ohne im jeweiligen Jahr einen bedeutenden Titel gewonnen zu haben, ist schwer vorstellbar, ebenso wenig ein Torhüter, der von einem Expertengremium als führende Kraft des Weltfussballs gewürdigt wird.

Insofern ist der deutsche Fussballtrainer Jürgen Klopp, seit bald sieben Jahren im Dienst des FC Liverpool, eine Ausnahme: Vor einigen Tagen wurde Klopp zum Trainer des Jahres in der Premier League gewählt, und das, obwohl er nicht die nationale Meisterschaft gewann, sondern sein ewiger Rivale Pep Guardiola mit Manchester City. Die beiden Teams lieferten sich einen Herzschlagfinal, am Ende trennte City und Liverpool nur ein einziger Punkt.

Seit Jahren steht Klopp für hohes Niveau

Daher sagt das Resultat einiges aus über den Trainer Jürgen Klopp: Er zählt zu der raren Spezies der Spitzentrainer, die sich von den blanken Ergebnissen längst emanzipiert haben. Sicher, seine Mannschaften unterbieten nie ein gewisses Niveau, und dieses ist extrem hoch. Auch die laufende Saison ist bemerkenswert mit den beiden Cup-Siegen in England, mit dem Einzug in den Final der Champions League. Und doch gilt die Meisterschaft eben auch als ein Gradmesser für die Arbeit über eine gesamte Saison: 38 Spieltage geben ein unbestechliches Zeugnis.

Klopp sei das «grösste Geschenk», das sich der Fussball selber gemacht habe, befindet die «Frankfurter Allgemeine» in einer hymnischen Würdigung. Eine Beobachtung, die eine nähere Betrachtung verdient, schliesslich beschenkt der Fussball sich immer wieder einmal in nicht unerheblichem Masse. Selbst aus Deutschland, der Heimat Klopps, stammen allerlei Preziosen, man denke nur an Thomas Müller, Manuel Neuer oder Toni Kroos, den Taktgeber von Real Madrid, der am Samstag gegen Liverpool zum fünften Mal den Champions-League-Pokal in die Luft stemmen könnte.

Der Weg in den Final: Liverpool bezwingt Villarreal.

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Klopp braucht sich gar nicht als taktisches Genie zu inszenieren wie der Konkurrent Guardiola oder der Chelsea-Coach Thomas Tuchel, mit denen er seit seiner Bundesliga-Zeit in Dortmund konkurriert. Das Publikum zieht er dennoch in seinen Bann.

Es sind die Fähigkeiten eines Kommunikators, die bisweilen sogar einem Talkmaster zur Ehre gereichen würden, die ihn auszeichnen. Keiner kommentiert so prägnant, so griffig, ja manchmal sogar so polemisch wie Klopp. Das gelingt ihm sogar auch auf Englisch. Dabei wahrt er stets den Habitus des ehemaligen Spielers, den es wie zufällig auf die Bank eines internationalen Spitzenklubs verschlagen hat. Seine massgebliche Qualität ist also die eines virtuosen Rollenspielers (dass er über das Handwerk eines Spitzentrainers verfügt, versteht sich von selbst).

Klopp erscheint leutseliger als andere Trainer

Und doch gelingt es Klopp trotz diesen ungewöhnlichen Eigenschaften, dass er, der Aussergewöhnliche, am Ende doch ganz gewöhnlich erscheint. Diese Inszenierung ist durchaus gewollt: Als er sich 2015 in Liverpool als neuer Trainer den Medien vorstellte, paraphrasierte er José Mourinhos legendarische Selbstprädikation, wonach er, Mourinho, der «special one» ist. Klopp klebte sich dagegen ein Etikett der Hemdsärmeligkeit auf: Er sei «the normal one».

«The normal one»: Das ist der sprachliche Ausdruck der Kloppschen Camouflage. Deren Nutzen und Effekte sind gewaltig. So erscheint Klopp leutseliger als der erratische Guardiola, erst recht als sein deutscher Kollege Tuchel, der im Vorjahr mit Chelsea die Champions League gewonnen hat. Auch läuft ein Trainer, der zwar aussergewöhnlich ist, aber doch so nahbar wirkt, eher nicht Gefahr, sich von seinem Team zu entfernen. Und weil Klopp zudem auf eine lange Liste von Erfolgen verweisen kann, sind seine Direktiven glaubwürdig.

Für Jürgen Klopp gingen die Spieler wohl auch durchs Feuer.

Für Jürgen Klopp gingen die Spieler wohl auch durchs Feuer.

Peter Powell / EPA
Der Niederländer Pepijn Lijnders gehört zum Trainerteam. Er geniesst das volle Vertrauen Klopps.

Der Niederländer Pepijn Lijnders gehört zum Trainerteam. Er geniesst das volle Vertrauen Klopps.

Andy Rowland / Imago

Seine Methoden haben sich bewährt. Dabei gab es durchaus einmal Anlass, am Punch des Trainers zu zweifeln. Eine Serie von Finalniederlagen, die ihren Anfang bei der Dortmunder Borussia nahm, verfolgte ihn bis ins Jahr 2019: Da gelang ihm mit Liverpool der Champions-League-Sieg gegen den Liga-Rivalen Tottenham Hotspur.

Der Titel war das Ergebnis einer langen Entwicklung. Schon im ersten Jahr in Liverpool stiess Klopp in den Final der Europa League vor – doch er unterlag Sevilla. Bei der Finalniederlage gegen Real Madrid in der Champions League 2017/18, für die er nun Revanche nehmen kann, befand sich das Team bereits auf der Höhe, es wurde erst durch Verletzungen seiner Siegchance beraubt.

In Sachen Selbstoptimierung ist Klopp eine Klasse für sich

Die Variabilität des Teams ist während Jahren gewachsen. Klopp vertraut in wichtigen Fragen dem Urteil des Niederländers Pepijn Lijnders, der entscheidend mithalf, Liverpool zu einer echten Spitzenmannschaft zu formen. Zudem versteht es Klopp blendend, zu delegieren. Letzte Details vertraut er Fachleuten an; ja er warb sogar die Ernährungsberaterin des FC Bayern München ab.

Das joviale Auftreten übertüncht den Ehrgeiz des Perfektionisten. Dabei hat Klopp längst auch optisch Selbstoptimierung betrieben. Die Eitelkeit des «normal one» in äusserlichen Angelegenheiten übertrifft sicher diejenige Tuchels, ja überhaupt dürfte sie im Spitzenfussball mehr als bloss konkurrenzfähig sein. Eine Haartransplantation kaschiert die Erscheinung des Alters. Strahlend weisse Zähne machen jedes Lächeln zu einem Ereignis. Auch auf die Brille verzichtet Klopp mittlerweile: Neuerdings ist sein Blick auf den Fussball zum Leidwesen der Konkurrenz in jeder Lebenslage laserscharf.

Ein solches Lächeln ist im Weltfussball einzigartig.

Ein solches Lächeln ist im Weltfussball einzigartig.

Phil Noble / Reuters