Zarte Liebe – sie kann auch nach Enttäuschungen wieder wachsen. Im Bild: Norma Shearer und Leslie Howard im Film A Free Soul aus dem Jahr 1931. (Bild: MGM / Imago)

Zarte Liebe – sie kann auch nach Enttäuschungen wieder wachsen. Im Bild: Norma Shearer und Leslie Howard im Film A Free Soul aus dem Jahr 1931. (Bild: MGM / Imago)

Wie kann man seinem Partner eine Affäre verzeihen? Eine Anleitung

Der eine geht fremd, für den anderen stürzt eine Welt ein: Dass man nach dem Liebesverrat das Vertrauen in die Beziehung zurückgewinnen kann, zeigt die Geschichte eines Paars, das nach der Scheidung erneut geheiratet hat.

Birgit Schmid
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Fliegt ein Fremdgeher auf, bleibt ein Trümmerhaufen zurück. Nach dem ersten Schock die nächtelangen Gespräche. Vorwürfe, Drohungen, Geschrei, Erklärungen, Reue, Tränen. Es scheint nicht wiedergutzumachen. Esther Perel, die bekannte amerikanische Paartherapeutin, sagt: Affären könnten ungeheuren Schaden anrichten im Leben eines Paars, vergleichbar mit Krankheit oder Tod. So hat das Ausscheren des einen oft die Trennung zur Folge.

Das muss aber nicht sein. Perel, deren neues Buch «Die Macht der Affäre» im Januar auf Deutsch erscheint, sagt nämlich noch etwas: Affären könnten auch Gutes anrichten. Sie berät viele Paare, die es schaffen. Um zu überleben, muss ein Paar etwas dafür tun. Wie kann es gelingen, nach einem Liebesverrat wieder zueinander zu finden?

Anschauung bietet die Geschichte des Ehepaars B., das in einem Dorf im Aargau lebt und seinen Namen nicht öffentlich machen möchte.

Herbstserie «Vertrauen»

Die NZZ beleuchtet im Oktober das Thema Vertrauen aus unterschiedlichsten Perspektiven. Dieser Beitrag gehört zu Staffel 3: «Wie Vertrauen zurückkommt».

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René und Gabriela B. waren fast zwanzig Jahre verheiratet, als er eine Affäre mit einer anderen Frau begann. Gabriela war tief verletzt, hätte ihm aber verziehen, wenn er die Aussenbeziehung sofort beendet hätte. Dazu war René nicht bereit. Drei Monate nachdem seine Untreue aufgeflogen war, liessen sie sich scheiden. «Manchmal wünschte ich ihn tot, dann hätte ich um ihn trauern können», erzählt Gabriela über die Zeit nach der Trennung. Renés Affäre hielt nicht lange. Nach zwei Jahren kam es – auch wegen der zwei Töchter im Teenageralter – zu einer erneuten Annäherung zwischen ihm und Gabriela. «Als er uns verliess, war er nicht mehr er selbst», sagt sie. «Doch dann merkte ich, dass er sich in den alten René zurückverwandelte.» Sie begannen wieder zusammen auszugehen, waren aufgeregt und nervös wie damals mit 18 und 23, als sie sich kennengelernt hatten. Sie wurden wieder ein Paar. Und beschlossen, «nach drei Jahren Konkubinat» (Gabriela) noch einmal zu heiraten.

Das erste Mal heiratete Gabriela René ganz in Weiss. 25 Jahre später gab sie ihm in einem schwarzen Hosenanzug das Jawort. Sie kauften neue Ringe und bauten zum zweiten Mal ein Haus, jedoch an einem anderen Ort. Das war 2001, und noch immer sind Gabriela und René, inzwischen Grosseltern, glücklich verheiratet.

Symbolischer Neubeginn

Jedes Paar ist ein eigenes Universum. Die Erfahrung von Gabriela und René zeigt aber beispielhaft, was die erste Voraussetzung ist, um sich zu versöhnen: Es muss ein Fundament geben, das unter den Trümmern bestehen bleibt. Etwas Unzerstörbares, so verschüttet einem alles vorkommt. Die Affäre darf kein Katalysator sein, womit der Untreue ein Ende beschleunigen möchte, das sich schon lange abgezeichnet hat.

Das Band zwischen den beiden war stark genug und damit die Bereitschaft, dem andern zu verzeihen. Sie konnten die gemeinsame Geschichte, auf der ihr «Liebesmythos» beruhte – füreinander bestimmt zu sein –, fortsetzen, nachdem sie sich erneut offiziell Treue zugesichert hatten. Gabriela vertraute ihrem Mann wieder. In ihrem Fall hat geholfen, dass sie den Neubeginn symbolisch feierten und die romantischen Rituale wiederholten bis zum Hausbau.

Hat man sich einmal zum Weitergehen zu zweit entschlossen, tun solche Pläne gut, damit ein Paar nicht zu schnell wieder in den Alltagstrott fällt. Man bricht vielleicht zu einer grossen Reise auf, kauft sich ein Segelboot oder endlich das Netflix-Abo – für mehr gemeinsame Abende. Solche Absichten sollten aber nicht rein äusserlich sein, denn das Ungeheuer Treulosigkeit bliebe weiterhin im Raum und könnte jederzeit in Form von Schuldgefühlen und Misstrauen in Erscheinung treten.

Es gehe darum, die Übertretung umzuwandeln, sagt die Paartherapeutin Esther Perel. So sollte der Betrogene spüren, dass die Affäre nichts mit ihm zu tun hat, so seltsam das klingt: dass sie nicht als Zurückweisung seiner Person verstanden werden muss, sondern vielleicht vielmehr den Wunsch ausdrückt, sich noch einmal jung zu fühlen; sie eine Folge der Suche nach sich selbst ist. Die gewonnene Erkenntnis kommt im Idealfall der Ehe zugute.

Vom untreuen Partner wiederum darf erwartet werden, dass ihm bewusst wird, was er angerichtet hat, und er nachempfindet, wie verletzt und wertlos sich der andere fühlt. Eine Entschuldigung und ein wenig Zerknirschtheit reichen meistens nicht, damit sich alles wieder einrenkt. Sondern das Ereignis muss als Zäsur verstanden werden. «Kommt ein Paar infolge von Untreue zu mir, ist für mich klar: Die erste Ehe ist vorbei», schreibt Perel. «Deshalb frage ich: Sind Sie bereit für eine zweite Ehe?»

Bis man gestärkt aus dem Einbruch eines Dritten in die Beziehung hervorgeht, kostet es viel. Die Hoffnung, den Schlaf, Tränen, Gewissheiten. Das Verzeihen wird durch die Eifersucht erschwert. Was hat sie, was ich nicht habe?, fragt man sich in der grössten Selbstentwertung. Um einen anderen zu lieben, muss man selbstbewusst sein, sich selber gerne haben. Nur so erträgt man es, geliebt zu werden, der Liebe eines andern würdig zu sein. Bevor das Vertrauen in den andern zurückkommt, muss also jenes in sich selbst wiederhergestellt werden.

Dabei könnte ein kleiner Trick helfen. Man lenkt die Wut und die Scham, den Hass und die Schuld weg von sich beziehungsweise dem treulosen Partner hin auf die Person, welche die Beziehung bedrohte. So hat es sich Gabriela B. zurechtgelegt. Sie redet nicht gut über Renés Geliebte. Diese hat ihn hörig gemacht und emotional ausgenommen, so dass sie, die Ehefrau, ihren eigenen Mann nicht mehr kannte, wie sie es ausdrückt. Als Betrogene muss man nicht gleich zu einer Voodoo-Aktion schreiten oder die Rivalin stalken. Aber wenn es die Rückkehr zueinander erleichtert, ist die Abfuhr negativer Energie auf Kosten der dritten Person erlaubt, die man verwünscht oder im Geist herabsetzt. So dass selbst der Fremdgeher eines Tages sagen wird: Was habe ich eigentlich an ihr gefunden?

Nutzlose Sprüche von Paartherapeuten

Damit die Chancen auf eine Versöhnung steigen, sollte man manche Dinge gerade nicht tun. Der Psychologe und Mathematiker John Gottman hat sie einmal aufgelistet. Gottman ist berühmt geworden, weil er Paare beobachtet und dann berechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie zusammenbleiben. «Sollte Ihr Paartherapeut eine der folgenden Ansichten vertreten», schreibt er in seinem Buch «Die Vermessung der Liebe» (2014), «suchen Sie sich einen anderen.» Zum Beispiel:

«Es ist am besten, nicht über die Affäre zu sprechen. Vermeiden Sie Konflikte, und sorgen Sie dafür, dass Gras über die Sache wächst.»

«Wenn der Ehebruch mit einer Prostituierten erfolgte, ist das nicht so schlimm.»

«Das eigentliche Ziel besteht darin, die Ehe zu retten – koste es, was es wolle.»

«Monogamie ist bei den meisten Tierarten unnatürlich. Warum sollte es beim Menschen anders sein?»

«Wenn Sie häufiger mit Ihrem Partner ins Bett gegangen wären, wäre er nicht fremdgegangen.»

«Frauen müssen akzeptieren, dass Männer eben Männer sind.»

Im Ernst: Welcher Paartherapeut vertritt noch solche Ansichten?

Damit der untreue Partner seine Vertrauenswürdigkeit wiederherstellen könne, sagt Gottman, dürfe er dem Betrogenen auf keinen Fall eine Mitschuld geben. Genauso wenig sollte man sich aber nur als Opfer sehen und den andern als Täter. Endlich bietet sich Gelegenheit, all das zu benennen, was einen am Partner stört und worüber man nie geredet hat – gegenseitig. Man sollte dabei Grenzen kennen: Die Forderung nach totaler Offenheit ist verständlich, aber zweifelhaft, da zu demütigend. Muss wirklich jedes Detail gebeichtet werden? Ein Geständnis wie «Ich habe meinem Liebhaber zu Weihnachten das gleiche Parfum geschenkt wie dir» fördert den Heilungsprozess nicht gerade. Und auch wenn Paartherapeuten wie Gottman vertreten, dass der Fremdgeher fortan Terminkalender, Kreditkartenbelege und Handy vorweisen müsse, damit das Vertrauen zurückkehre, ist das allabendliche Antreten zur Kontrolle kaum eine Treuegarantie.

Keine gute Idee: Wenn sich der Betrogene mit einer eigenen Affäre rächt, als gälte es, quitt zu sein.

Schon besser: einen Preis abzumachen für zukünftiges Fremdgehen und zu drohen: «Wenn das noch einmal passiert, bin ich weg.»

Bedenkenswert: keine Reue einzufordern für etwas, das der andere vielleicht gar nicht bereut. Er bereut aber hoffentlich die Folgen.

Nicht ausgeschlossen: dass es auch weitergehen kann, ohne dass der Betrogene dem Betrüger verzeiht.

Am wichtigsten aber ist, herauszufinden, was der Ausbruch und die Rückkehr in die Beziehung bedeuten. Wie es dazu kam und was jetzt die Erwartungen sind. Gibt es zwischen dem Paar ein Commitment, etwas Verbindliches, spürt der Betrogene irgendwann, dass das Ja zu ihm nie infrage gestellt war. Er anerkennt, wie der Treulose sich darum bemüht, ihn zurückzugewinnen. Bezeugt dieser glaubhaft, dass er weiss, was er aufs Spiel gesetzt hat, kann das der erste Schritt in die zweite Ehe sein.

Staffel 3: Wie Vertrauen zurückkommt