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Doping-Aufarbeitung Schwere Vorwürfe gegen ehemaligen Rektor der Universität Freiburg

Eine Kommission sollte die Doping-Vergangenheit der Freiburger Universität aufarbeiten. Nun erhebt die Arbeitsgruppe schwere Vorwürfe: Altrektor Wolfgang Jäger soll die Recherchen systematisch behindert und manipuliert haben. Auch sein Nachfolger habe eine Aufarbeitung verhindert.
Ex-Rektor Jäger: Hat die Vorwürfe stets dementiert

Ex-Rektor Jäger: Hat die Vorwürfe stets dementiert

Foto: A3446 Patrick Seeger/ dpa

Hamburg - Im Sommer 2007 versprachen Verantwortliche des Universitätsklinikums in Freiburg die Aufarbeitung eines Jahrzehnte währenden systematischen Dopings. Dazu ist seither in unterschiedlicher personeller Zusammensetzung eine Evaluierungskommission tätig. Die beiden Chefs dieser Kommission, die Kriminalistin Professor Letizia Paoli (Universität Leuven) und ihr Vorgänger, der ehemalige Richter Hans-Joachim Schäfer, urteilen jetzt: Die Leitung der Freiburger Universität hat eine Aufarbeitung systematisch behindert und den Arbeitsauftrag manipuliert.

Letizia Paoli legte am Mittwoch gemeinsam mit den verbliebenen sieben anderen Mitgliedern ihrer Gutachterkommission ein 87 Seiten umfassendes Schreiben vor. Der vielsagende Titel des Dokuments: "Manipulierter Arbeitsauftrag. Die Evaluierungskommission sieht sich getäuscht und hintergangen."

Minutiös wird anhand von Schriftwechseln, Gesprächsprotokollen und Stellungnahmen dokumentiert, wie der ehemalige Rektor der Albert-Ludwigs-Universität, Professor Wolfgang Jäger, im Juni 2007 offenbar eine große Täuschung gestartet hat, als er zwar öffentlich eine lückenlose Aufarbeitung des Dopingsystems versprach, dies aber nie in einen korrekten Arbeitsauftrag gemäß der Geschäftsordnung umsetzen ließ.

Jäger hatte nach den schlagzeilenträchtigen Dopingenthüllungen um das damalige Profi-Radteam Telekom, das von den Freiburger Dopingärzten Lothar Heinrich und Andreas Schmid betreut wurde, die Öffentlichkeit beruhigen wollen. Laut des Dokumentes habe Jäger den Kommissionsmitgliedern allerdings nie den offiziellen Arbeitsauftrag vorgelegt, der auf einem Beschluss des Rektorats basierte: "Dabei hat er drei entscheidende Bestimmungen der Rektorats-Definition unterdrückt: den präzis definierten Untersuchungszeitraum von 50 Jahren, die explizit festgehaltene Aufarbeitung einer mutmaßlichen Doping-Historie aller Einrichtungen der gesamten Freiburger Sportmedizin als zentraler Teil der wissenschaftsmethodischen Analyse und samt deren Begründung die beratende Einbeziehung des Medizinhistorikers Prof. Leven."

Jäger hat die Vorwürfe stets dementiert

Der Untersuchungsauftrag der Kommission, die bis 2009 von Schäfer und seither von Paoli geleitet wurde, sei damit entscheidend limitiert worden. Jägers Nachfolger, der amtierende Rektor Hans-Jochen Schiewer, habe die offensichtliche Manipulation der Arbeitsaufträge trotz Versprechen nicht untersucht und damit Jäger gedeckt.

Die renommierten Wissenschaftler und Doping- und Korruptionsbekämpfer Professor Britta Bannenberg und Professor Werner Franke hatten die Kommission bereits 2010 (Bannenberg) beziehungsweise 2012 (Franke) verlassen. Die verbliebenen Kommissionsmitglieder stellen sich geschlossen hinter Paoli und tragen die Erklärung einstimmig mit. Dazu gehören zum Beispiel der schwedische Dopingforscher Bengt Saltin und Professor Gerhard Treutlein, Experte für Dopingprävention. Sie betrachten den ehemaligen Rektor Jäger als "persönlich verantwortlich für ihre Nichtinformation über den offiziellen Arbeitsauftrag" und für ihre "manipulative Des- und Falschinformation".

Jäger hat diese dokumentierten Vorwürfe dementiert und stets behauptet, der Arbeitsauftrag sei weder in Bezug auf den zu untersuchenden Doping-Zeitraum noch auf Personen und Forschungsarbeiten eingeschränkt gewesen. Dabei können sämtliche Kommissionsmitglieder aus der Praxis das Gegenteil belegen. Der amtierende Rektor Schiewer habe sich durch Untätigkeit, eine Untersuchung einzuleiten, den Behauptungen seines Vorgängers Jäger "ohne Einschränkung angeschlossen".

Jäger und Schiewer unterstellten wiederum dem ersten Kommissionsvorsitzenden Hans-Joachim Schäfer, er sei für die Einengung des Arbeitsauftrages rein auf die Abteilung Sportmedizin zuständig. Dagegen stellt die Paoli-Kommission fest: Schäfer sei "der offizielle Arbeitsauftrag in seiner Originalfassung oder Wortwahl niemals übergeben respektive mündlich bekannt gemacht worden".

Die Wahrheit über das Dopingsystem soll offenbar nicht ans Licht kommen

Was sind das für Zustände an der Uniklinik Freiburg, dem einstigen medizinischen Vorzeigeunternehmen des deutschen Sports, das von Dopingprofessoren wie Armin Klümper und Joseph Keul geprägt wurde?

Die Wahrheit über dieses Dopingsystem, das auch mit Steuermitteln finanziert wurde, soll offenbar nicht ans Tageslicht kommen. Wenngleich im Laufe der Jahrzehnte von unabhängigen Wissenschaftlern und Journalisten eine erschreckende Beweislast recherchiert wurde und die Schäfer-Kommission in ihrem Bericht 2009 das Telekom-Doping von 1995 bis 2006 dokumentierte, wehren sich die Granden der Universitätsklinik (und ihre Hintermänner in Sportverbänden, Bundes- und Landespolitik) bis heute vehement gegen eine umfassende Aufarbeitung.

Wie absurd ist es, dass Letizia Paoli drei Jahre nach ihrem Amtsantritt als Chefin der Evaluierungskommission die Originale der Arbeitsaufträge recherchieren muss? Dazu hatte es im Juni 2007 drei Beschlüsse des Vorstandes des Universitätsklinikums, des Fakultätsvorstandes der Medizinischen Fakultät und des Rektorats gegeben. Schäfer hat von diesen Beschlüssen erstmals im Frühjahr 2012 nach Befragung durch Paoli "Kenntnis erlangt".

Erst kürzlich hatte Jörg Rüdiger Siewert, Leitender Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum, Paoli in einem Interview scharf kritisiert und persönlich angegriffen. Die Universitätsleitung behauptete vergangene Woche per Pressemeldung, der Auftrag an die Kommission sei jederzeit klar gewesen und nie limitiert worden, weder zeitlich noch personell. Paoli wehrte sich gegen die Falschdarstellungen und Unterstellungen mit einer 18 Seiten umfassenden öffentlichen Stellungnahme. Nun legt sie 87 Seiten nach.

Paoli musste sich noch Jahre nach ihrem Amtsantritt Basisdokumente erarbeiten. Der ehemalige Rektor Jäger machte im Sommer 2012 sogar die Bemerkung, er könne den "inquisitorischen Fragenkatalog" von Paoli "nicht beantworten".

Der erste Evaluierungschef Schäfer indes beteiligt sich an der Aufklärung der entlarvenden Vorgänge am Universitätsklinikum Freiburg. Er schreibt an Paoli: "Ich habe das Hickhack um den Arbeitsauftrag an die Kommission, bei dem Sie keinesfalls Täter sondern das Hauptopfer waren, ziemlich satt. (...) Schade, dass die kleine Genugtuung darüber, in der Dopingkommission ordentlich gearbeitet zu haben, inzwischen wieder dem Frust über die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Evaluierungskommission weicht."

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