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Auf der Spur der Nachtigall: Kleiner Vogel, große Fragen

Foto: T. Becret

Singvögel Das Geheimnis der Nachtigall

Warum singt die Nachtigall nachts, wenn andere Vögel schweigen? Mit Peilsendern und Spezialaufnahmen kommen Biologen hinter das Geheimnis. Im afrikanischen Busch üben die Vögel offenbar ihre Lieder - dort klingen die berühmten Sänger überraschend dilettantisch.

Es ist kurz nach Mitternacht, doch im Naturschutzgebiet ertönt vielstimmiger Vogelgesang. Biologen der Universität Basel erforschen hier im "Petite Camargue Alsacienne" im Südelsass die Geheimnisse der vermutlich berühmtesten Singvogel-Spezies: Warum zum Beispiel singen Nachtigall-Männchen nachts, während andere heimische Singvögel nur tagsüber trällern?

Klar ist, dass Vogelgesang vornehmlich zwei Zwecken dient: Weibchen als potentielle Partnerinnen anzulocken und Territorialansprüche gegenüber der männlichen Konkurrenz kundzutun. Um die Hintergründe der Nachtigallen-Nachtlieder zu untersuchen, griffen Valentin Amrhein und sein Team zu einem raffinierten Trick.

Im April, wenn die Tiere aus Afrika zurückkehren, fingen sie anderswo einige Weibchen ein, schnallten ihnen Sender auf den Rücken und setzten sie in der Petite Camargue wieder aus. Der Sender stelle für den Vogel keine Behinderung dar, bestückte Tiere könnten sich problemlos paaren und danach brüten, erläutert Valentin Amrhein von der Universität Basel. Nach einigen Wochen falle der Sender von selbst ab.

So lange jedoch können die Wissenschaftler die Bewegungsmuster ihrer Studienobjekte per Telemetrie verfolgen. Danach wurde ihre Aktivität Tag und Nacht überwacht. Schnell zeigte sich, dass die Neuankömmlinge fast ausschließlich nachts auf Partnersuche gingen. Die Weibchen besuchten dabei die Territorien mehrerer Männchen, bis ihnen einer gefiel.

Den Weibchen zu Willen

Die Damen sind vor allem zwischen zwei und vier Uhr nachts aktiv. Genau zu dieser Zeit bringen auch Nachtigall-Junggesellen ihre intensivsten Lieder zum Gehör. Unverpaarte Männchen richten sich anscheinend nach dem Aktivitätsrhythmus des anderen Geschlechts, meint Valentin Amrhein. "Sie singen nachts, weil die Weibchen das so wollen."

Die verpaarten Artgenossen zwitschern dagegen morgens früh und in der Dämmerung am lautesten - zur Revierverteidigung, erläutern die Forscher. Die Biologen hatten Lautsprecher in der Nähe von bevorzugten Nachtigall-Singwarten platziert, entweder in derselben Höhe oder drei Meter darüber, spielten Gesänge ab und nahmen die Antworten des Revierbesitzers auf. Man erwartete besonders aggressive Reaktionen bei abgespieltem Gesang, der von oben kommt.

Doch die Forscher haben sich geirrt. Bei den Playback-Versuchen reagierten die getäuschten Tiere am stärksten, wenn der angebliche Rivale etwa in gleicher Höhe war. Befand sich der Lautsprecher aber drei Meter höher, dann neigten die Vögel weniger zu Kampfliedern, berichten die Experten im Wissenschaftsmagazin "PLoS One".


"Die brabbeln manchmal nur so vor sich hin"

Eine mögliche Erklärung könnte das Verhalten der meisten reviersuchenden Männchen sein, meint Valentin Amrhein. Solche umherziehenden Nachtigallen setzen sich auf hohe Äste und singen nur kurz, quasi zur Erörterung. Meldet sich daraufhin in der Nähe ein männlicher Artgenosse, ziehen sie weiter. Ohne Konfrontation.

Für den Revierinhaber besteht in solchen Fällen kein Anlass zur Aufregung, er kann normal weitersingen. Der Reviergesang ist indes nicht immer laut und deutlich, sagt Amrhein. "Die brabbeln auch manchmal nur so vor sich hin." Anscheinend sind auch Nachtigallen nicht jederzeit hochmotiviert.

Die Feinheiten des Gesangs sind den Tieren keinesfalls ins Nest gelegt. Sie müssen vielmehr erlernt werden, und das ist wohl gar nicht so einfach. Amrhein reiste im Februar 2011 nach Ghana, in das Winterquartier der elsässischen Nachtigallen. Dieses hatte man mit speziellen Datenloggern aufgespürt. Die Geräte werden den Vögeln auf dem Rücken befestigt. Während des Zuges in den Süden speichern sie Informationen über Sonnenstand und Tageslänge. Daraus lässt sich dann später der Kurs der Fernflieger berechnen.

Üben in Ghana

In Ghana stieß Amrhein auf zahlreiche Nachtigallen, die dort in einer Buschlandschaft überwintern. Und erstaunlicherweise hörte er auch welche singen. Allerdings nicht klar strukturiert und melodisch wie in Europa üblich, sondern eher ungehobelt, fast dilettantisch. Es könnte sich um Jungmännchen handeln, die den Gesang üben, meint der Wissenschaftler. Bevor sie in unseren Breiten ihren ersten großen Auftritt haben.

Nun interessiert Amrhein und seine Kollegen Eric Christen und Marco Thoma noch, wo genau die Nachtigallen nisten. Das tun sie nicht etwa auf Bäumen, sondern am Boden, berichtet Amrhein. Seinen Beobachtungen zufolge brüten die Vögel vor allem in dichtem Brennnessel-Bewuchs, manchmal nur einen Meter vom Wegesrand entfernt. Deshalb sollten diese sogenannten Krautsäume bis Ende der Brutzeit im Juni nicht gemäht werden, so der Biologe.

Kann das Brüten auf der Erde den hohen Männchen-Überschuss von mehr als 30 Prozent erklären? Das Bodenbrüten könnte, meint Amrheins Kollege Tobias Roth, die Ursache für die hohe Sterblichkeit unter Nachtigall-Weibchen sein.