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Kajaktour in Schweden Vor dem großen Sturm: Mit Paddelschlägen durch die Schären

Im Kajak an der schwedischen Westküste
Im Kajak an der schwedischen Westküste: An der windabgewandten Seite der Schärenrücken gleitet man wie auf einem Spiegel – der auf der Wetterseite in tausend Trümmer brechen kann.
© Oscar Mattsson
Überall so schön idyllisch hier. Überall? Bei einer Kajaktour durch den westschwedischen Schärengarten zeigt die Nordsee, dass sie auch ganz anders kann.

Selber schuld. Ein Meer lässt sich nicht ungestraft provozieren. Bis zum Beginn des Seekajakkurses ist noch Zeit. Regina vom Kajakcenter in Grundsund führt durch das kleine Fischerdorf rund 100 Kilometer nordwestlich von Göteborg. Alles so idyllisch hier. Die Holzkirche zeugt vom Ursprung allen Wohlstands: Von der Decke hängen Fischerbootmodelle aus sämtlichen Epochen.

Seit dem Mittelalter suchten immer wieder riesige Heringsschwärme den Schärengarten in der Provinz Bohuslän heim. Das Wasser brodelte, im Winter durchbrachen die wimmelnden Fische die Eisdecke. Millionen silberne Bäuche leuchteten aus dem Nass. Salziges Gold. Man holzte alle Bäume ab, zimmerte Heringsfässer. Nackt und kahl wurden die Felsrücken aus Granit und Gneis. So viele Heringe gab es, dass irgendwann das Salz ausging. Also verarbeitete man sie zu Öl, imprägnierte Kleidung und Häuser damit. Europas Metropolen wurden mit Heringsöl beleuchtet. In Paris, London und Berlin funkelten die schwedischen Heringsschwärme weiter.

Kajakkurs vor der Paddeltour

Vor der Kirche erinnert ein Denkmal an ertrunkene Fischer. Sehr viele gingen im 17. Jahrhundert unter, etwas weniger im 18. Jahrhundert, später kaum noch welche. "Je kleiner die Boote, desto mehr Fischer ertranken", sagt Regina. Ich schaue über Fischerdorf und spiegelglatte See und sage: "Sieht gar nicht so gefährlich aus. Eher wie Bullerbü." Regina sieht mich wortlos an.

Am Nachmittag beginnt mein Kajakkurs, der mich auf eine dreitägige Paddeltour durch den Schärengarten vorbereiten soll. Während ich versuche einzusteigen, erklärt mir Tourguide Clara, warum ein Kajak so sicher im Wasser liegt. Aber dieses Kajak liegt nicht sicher im Wasser. Es wackelt. Kippelt. Kentert gleich. Irgendwann sitze ich erstaunlicherweise im Paddelboot und nicht auf eisigem Meeresgrund.

Clara führt die Gruppe von Kajakfahrern vom Fischerdörfchen Grundsund durch den Schärengarten.
Clara führt die Gruppe von Kajakfahrern vom Fischerdörfchen Grundsund durch den Schärengarten.
© Oscar Mattsson

Lautlos gleiten wir über den Kanal von Grundsund. Dieses Kajak reagiert sehr viel empfindlicher auf meine hektischen Bewegungen als die Tretboote in Schwanenform, auf die sich bislang meine nautische Erfahrung beschränkte. Ungut schwappen Reginas Worte in meinem Kopf: je kleiner die Boote, desto mehr ertranken.

"Schade, dass heute keine Wellen sind", sagt Clara. "Sehr schade", sage ich. "Ein bisschen Training könntest du schon gebrauchen. Morgen soll es Wellen geben. Viele Wellen." Clara lächelt.

Immer schön im Rhythmus bleiben

Am nächsten Morgen versammeln sich alle Tourteilnehmer auf dem Holzsteg am östlichen Kai: Inga, Wenzhong, Lin, Clara und ich. Wir verstauen Zelte, Schlafsäcke, Kocher und Proviant für drei Tage in den Kajaks. Dann geht's los. In lockerer Formation paddeln wir vorbei an flanierenden Touristen. In den Gepäcknetzen Wasserflaschen und wasserdichte Packsäcke. Fühlt sich nach Expeditionsgesellschaft auf wichtiger Mission an. 8000 Schären. Manche sehen aus wie Adornos Schädel, manche wie sein Hirn. Und ich mittendrin. Übermütig rufe ich Clara zu: "Komm, wir fahren ein Rennen!" – "Leg los!", sagt sie. "Aber ich spar mir meine Kräfte lieber."

Ihre Welt ist das Kajak: Tourguide Clara
Ihre Welt ist das Kajak: Tourguide Clara
© Oscar Mattsson

Erst als wir aus der geschützten Bucht von Grundsund herauspaddeln, merke ich, wie windig es ist. Wir überqueren eine stark besegelte Fahrrinne. Clara ruft in den Wind: "Schön zusammenbleiben, damit uns die Schiffe gut sehen können."

Nachdem die Fahrrinne durchquert ist, sammeln wir Kräfte an der windabgewandten Seite eines freundlich geformten Schärenrückens. Wenzhong hält nach Seehunden Ausschau. Clara zeigt auf eine große Insel in der Ferne. Was mag das sein? Grönland? Clara sagt: "Dort essen wir zu Mittag. Es geht über ungeschütztes Meer. Das wird windig. Denkt dran, wie ihr mit den Wellen und dem Wind umgeht: stetig paddeln. Das Paddel gibt euch Stabilität. Immer schön im Rhythmus der Wellen mitschwingen. Los geht's!"

Skagerrak jetzt. Wellen brechen sich über der Kajakspitze. Clara jauchzt vor Vergnügen. Ich sehe das Denkmal für die ertrunkenen Fischer vor mir. Vor uns baut sich imposant die Insel Vasholmarna auf. Sie besteht aus rosa Granit. Bohus-Granit, 920 Millionen Jahre alt, begehrt auf der ganzen Welt. Auch der Hamburger Rathausmarkt ist damit gepflastert. Eine Welle ergreift mich. Mein Paddel sticht ins Leere. Ich schwanke bedrohlich. Was drängt den Menschen bloß dazu, den heimischen Rathausmarkt zu verlassen?

Rast auf einer rosa Granitinsel

Wir umrunden die Wetterseite der Granitinsel. "Nicht zu nah an die Felsen!", warnt Clara. Ich starre gebannt auf die Spitze des Kajaks, scanne mit Laserblick die Wellenkämme vor mir, um gegensteuern zu können. Im Augenwinkel schäumt bedrohlich die Brandung. Noch eine Durchfahrt zwischen scharfkantigen Felsen, dann noch ein Dutzend Schläge, und wir sind im ruhigen Gewässer der wetterabgewandten Seite. Wir paddeln in eine kleine Bucht und legen an.

Wie ein schlafendes Urzeittier liegt die rosa Granitinsel in der grellen Mittagssonne. 920 Millionen Jahre alte Kristallaugen beobachten funkelnd, wie wir aus den wackeligen Booten steigen. Clara entfacht drei Sturmkocher gleichzeitig und bereitet das Mittagessen zu. Eine halbe Stunde später leuchtet frischer Lachs in allen Regenbogenfarben auf dem rosa Granit.

Während die Sonne untergeht, bauen die Kajakfahrer ihre Zelte für die Nacht auf.
Während die Sonne untergeht, bauen die Kajakfahrer ihre Zelte für die Nacht auf.
© Oscar Mattsson

Am Nachmittag umrunden wir das gefürchtete Cap von Islandsberg. Strahlend weiß steht der Leuchtturm in grauem Gneis. Nach einem langen Tag gleiten wir erschöpft in die geschützte Bucht vor der Insel Jonsborg. Inga legt den Kopf in den Nacken. Lin streckt den Rücken. Wenzhong schließt Freundschaft mit einer Schwanenfamilie, die im ruhigen Wasser gründelt. Ich lege das Paddel vor mir ab, tauche die Hände ins kühlende Wasser und lasse mich in den flüssigen Spiegel treiben.

Bei Sonnenuntergang gehen wir auf der einsamen Insel Jonsborg an Land. Wir bauen die Zelte auf weichem Graspolster auf. Clara kocht auf drei Gaskochern Gemüserisotto. Nach dem Tee kriechen alle erschöpft in ihren Schlafsack. Nachts prasselt Regen aufs Zelt.

Zum Frühstück kommt der Sturm. "Johanne" bläst mit 27 Metern pro Sekunde. Windstärke 10. Jetzt zeigt der Bohuslän, dass er mit Bullerbü nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. "Johanne" bügelt ein Sturmzelt nieder. Er wird den ganzen Tag toben. An Paddeln ist nicht zu denken.

Weiter zu Fuß

Also wandern. Als wir über die Felskuppe der Wetterseite klettern, zwingt uns der Sturm in die Knie. In der Ferne donnern die Wellen gegen das Kap von Islandsberg. In der tags zuvor noch spiegelglatten Bucht treibt der Wind Gischt vor sich her. Darin bricht sich Sonnenlicht zu einem sprühenden Regenbogen, der über die Schwanenfamilie hinwegjagt.

In der Nacht beruhigt sich der Sturm. Frühmorgens werde ich von Claras Mutter Christina abgeholt. Vor zehn Jahren gründete sie die Kajakschule in der alten Heringskonservenfabrik von Grundsund. Seit sie als Kind im Keller ihres Vaters ein Kajak fand, treibt es sie hinaus aufs Wasser. "Nirgendwo sind mein Körper und mein Geist so in Einklang wie in einem Kajak", sagt sie.

Nach eine halben Stunde erreichen wir das Fischerdorf Rågårdsvik. Der Sturm hat Tonnen von Seegras und Algen herausgerissen. Die Pflanzen schwappen am alten Fähranleger und bilden einen dicken Teppich, auf dem das Kajak sicher an Land gezogen werden kann.

Christina dreht ab und nimmt Kurs auf die wilden Klippen von Islandsberg. "Nach dem Sturm gibt es die besten Wellen dort draußen", sagt sie zum Abschied. "Weit rollende, hohe, ruhige Wasserberge. Ich brauche diese Zeit, wo ich allein mit den Wellen bin." Zurück in Hamburg reserviere ich als Erstes zwei Kajaks fürs nächste Wochenende. Nie wieder Schwanenboot!

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