Japan:Sake höchstens daheim

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Essen ohne Masken: Im Hotel Hoshinoya in Tokio wurde das geübt, als die Gefahr vor einer Ansteckung noch größer war. (Foto: Philip Fong/AFP)

Viele Japaner pflegen weiterhin die Lebensweise aus Corona-Zeiten und verlassen das Haus kaum. Mit einer Trinkkampagne hält die Regierung dagegen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Wenn es nach Yusuke Kajikawa ginge, würde er in seiner Pizzeria in Nishitokio, Präfektur Tokio, mittlerweile genauso maskenlos rumlaufen wie vor der Pandemie. Aber es geht nicht nach ihm. "Es gibt Kunden, die es nicht mögen, wenn wir ohne Masken arbeiten", sagt er. Und die Kunden sind für ihn wertvoller denn je, denn seit Beginn der Coronavirus-Krise Anfang 2020 scheint das Daheimbleiben an manchen Orten in Japan eine Art Lifestyle geworden zu sein. An diesem Werktagabend ist Kajikawas Gastraum schon wieder fast leer. "Die Kunden sind nicht in voller Zahl zurückgekommen."

Auch Japan hat die größte Virus-Angst überwunden. Die Öffnungszeiten der Geschäfte sind längst wieder normal. Im Oktober fielen endlich die Einreisebeschränkungen für Touristen. Das Gedränge um den Bahnhof Shibuya im Zentrum des Tokioter Konsumalltags ist fast so groß wie in den glücklichen Zeiten vor Corona.

Trotzdem trauen sich die Japanerinnen und Japaner noch nicht so richtig aus der Deckung. Wie der Pizzeria-Betreiber Kajikawa zählen viele Wirte weniger Gäste als früher. Die Alkoholindustrie sieht sich geschwächt, nachdem gemeinsames Trinken in der Pandemie als Ansteckungsquelle gegolten hatte. Mehr junge Leute bleiben enthaltsam; Japans Steuerbehörde veranstaltete deshalb in diesem Jahr den Ideenwettbewerb "Sake Viva!", um die bestmögliche Alkoholwerbung gegen den Trend zu finden. Und das anschaulichste Symptom der japanischen Pandemiekultur sind natürlich die Masken.

In Europa und Amerika konnten es die Menschen kaum erwarten, bis die Maskenpflicht fiel. In Japan gehorchen die wenigsten der Experten-Ansage vom Mai, dass man zumindest draußen den Mund- und Nasenschutz nicht mehr brauche. Im November meldete die Meinungsforschungsfirma Laibo, dass fast 60 Prozent der japanischen Menschen darüber nicht einmal richtig Bescheid wüssten.

Yusuke Kajikawa wartet in seiner Pizzeria auf seine Gäste. (Foto: Thomas Hahn/SZ)

Warum diese extreme Vorsicht? Schwer zu sagen, schreibt der Soziologe Jun Imai von der Sophia-Universität in Tokio auf SZ-Anfrage via E-Mail. Zwei Thesen kann er anbieten. Erstens: Nach Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben Japaner wenig Vertrauen in ihre Regierung. Gerade deren träge Pandemiepolitik fanden sie nicht gut. Deshalb zögerten sie, "dem zu folgen, was die Behörden sagen", folgert Imai. Zweitens: In Japans Kollektivgesellschaft ist der Respekt vor den Ängsten der anderen eine eherne Regel. "Die Covid-19-Sorge ist noch nicht ganz weg", erklärt Imai, "also sind die Japaner sehr vorsichtig, um nicht den Eindruck zu erwecken, als würden sie keine Rücksicht nehmen."

Yusuke Kajikawa stimmt zu. "Japaner tun immer das, was alle tun", sagt er in seiner Pizzeria. Ihm fällt außerdem auf, dass manchen Landsleuten eine klare Vorgabe von oben fehlt. Wenn die Regierung von Premierminister Fumio Kishida unbedeckte Gesichter im Freien als neue Pflicht ausrufen würde, würden viele Japaner wohl murrend folgen. Aber das tut sie nicht. Wahrscheinlich weil sie selbst nicht den Eindruck erwecken will, als würde sie auf die Reste der Corona-Angst keine Rücksicht nehmen.

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