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Die verlorene Ehre des Ulrich Mühe

Reporter Investigative Recherche
Ulrich Mühe Ulrich Mühe
Rufmord: Verübt wird er an dem im Juli 2007 verstorbenen Schauspieler Ulrich Mühe
Quelle: DPA
Ein neues Buch verleumdet den 2007 gestorbenen Schauspieler. Es geht um den Streit über die Stasi-Verstrickungen seiner Ehefrau Jenny Gröllmann. Der Autor Thomas B. Goguel unterstellt Mühe zweifelhafte Motive. Dabei hatte er selbst Stasi-Verbindungen – und hat mit Gröllmann ein Kind.

Auf Rufmord steht kein Gefängnis. Doch ein Bagatelldelikt ist dieses Vergehen trotzdem nicht. Mit Halbwahrheiten, falschen Behauptungen und gezielt gestreuten Gerüchten kann „das Ansehen eines Menschen schnell beschädigt oder gar zerstört werden“. Darauf weist die jetzt im Verlag von Christoph Links veröffentlichte Aufsatzsammlung „Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre“ zu Recht hin.

Das Buch hat einen Haken: Es macht sich selber eines Rufmordes schuldig. Verübt wird er an dem im Juli 2007 verstorbenen Schauspieler Ulrich Mühe. Der Täter hat als Mitarbeiter der Protokollabteilung des DDR-Außenministeriums für die Spionageabwehr des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet. Das ist peinlich auch für die beiden Herausgeber des Werkes, den Presseanwalt Christian Schertz und den Medienjournalisten Thomas Schuler. Sie beleuchten im Einleitungskapitel das Phänomen der Verleumdung und plädieren für eine „neue Medienkultur im Umgang mit der persönlichen Integrität“.

Ulrich Mühes Ehe mit Jenny Gröllmann

Im Fall von Ulrich Mühe, der sich nicht mehr wehren kann, wird keine Rücksicht auf die persönliche Integrität genommen. Der Schauspieler hatte in dem Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“, kurz vor seinem Tod mit dem Oscar ausgezeichnet, einen letzten großen Auftritt – in der Rolle des Stasi-Hauptmanns „Gerd Wiesler“. Nach Abschluss der Dreharbeiten im Jahr 2006 äußerte er seine Verbitterung darüber, dass seine zweite Frau Jenny Gröllmann ihm während der Ehe ihre Stasi-Verstrickung verheimlicht habe. Erst 2001, lange nach der Scheidung, habe er erfahren, dass sie zu DDR-Zeiten als Inoffizielle Mitarbeiterin unter dem Decknamen IM „Jeanne“ für das MfS tätig war.

Gröllmann bestritt diesen Vertrauensbruch und versicherte, sie habe nie wissentlich oder willentlich für Mielkes Geheimdienst gearbeitet. Darauf gestützt ließ sie Mühe, den sie bei Dreharbeiten zum Hölderlin-Film „Hälfte des Lebens“ kennen gelernt hatte und mit dem sie zwischen 1984 und 1990 verheiratet war, etliche Behauptungen gerichtlich verbieten. Zudem ging die aus der TV-Serie „Liebling Kreuzberg“ bekannte Schauspielerin juristisch gegen mehrere Zeitungen vor. Im August 2006, als noch vor Gericht gestritten wurde, starb sie im Alter von 59 Jahren. An Krebs – so wie später Mühe auch.

Das Buch von Schertz und Schuler präsentiert Gröllmann nun als Opfer einer Diffamierungskampagne. Im entsprechenden Kapitel wird der Widerspruch: „Stasi-Akte gegen Aussage der Betroffenen“ untersucht. Im Ergebnis wird der Wahrheitsgehalt der von MfS-Offizieren zu IM „Jeanne“ angelegten Dokumente, mehr als 500 Blatt, grundsätzlich bezweifelt.

Der Streit wegen Jenny Gröllmann

Offenbar habe der Führungsoffizier den Vorgang komplett gefälscht. Dieser Standpunkt ist legitim, wenngleich viele Experten anderer Ansicht sind. So hatte Marianne Birthler, Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, es WELT ONLINE gesagt: „Die Aktenlage im Fall Jenny Gröllmann ist unserer Auffassung nach völlig unstrittig.“ Der Historiker Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin urteilte: „Das vorliegende MfS-Schriftgut verschiedener Provenienz weist Frau Jenny Gröllmann eindeutig als Inoffizielle Mitarbeiterin des MfS aus.“

Wie gesagt: Man kann eine andere Position einnehmen, zumal die Gröllmann-Akte tatsächlich Ungereimtheiten enthält und eine handschriftliche Verpflichtungserklärung fehlt. Aber klar auf die schiefe Bahn führt die Überschrift „Filmpromotion mit Kollateralschaden.“ Seine „Beschuldigungen“, heißt es im Aufsatz, habe Mühe „zeitgleich mit der Premiere des Films“ vorgetragen und die IM-Episode „passend zum Thema des Films“ aufgegriffen. An anderer Stelle steht: „Das Stasi-Thema wird noch verstärkt, als es in den Medien Bestandteil der Werbekampagne für den Film ‚Das Leben der Anderen’ wird, gleichsam als Beleg aus dem wirklichen Leben für die Wahrhaftigkeit des Films.“

Elegant schiebt man Mühe hier ein wirtschaftliches Motiv für die Kritik an seiner Ex-Frau unter. Er habe, so wird insinuiert, ohne Rücksicht auf Verluste PR für seinen Film machen wollen. Hatte Mühe das nötig? Nach einem stichhaltigen Beleg für die Unterstellung sucht man vergeblich.

Denunziation statt Recherche

Richtig ist dagegen, dass Ulrich Mühe bereits 2004 in einem Beitrag für die Literaturzeitschrift „die horen“, der eigentlich von seiner Zusammenarbeit mit dem Regisseur Heiner Müller handelte, geschrieben hatte: „Während der ganzen Zeit kooperierte meine Ehefrau mit der Stasi. Das war die DDR.“ Die Möglichkeit, dass die Rolle im Stasi-Film für den Schauspieler der innere Anlass gewesen sein könnte, sich erneut mit der dunkelsten Seite der DDR-Diktatur auseinanderzusetzen und sich der eigenen Geschichte zu vergewissern, und dass er als Konsequenz daraus seine Erlebnisse und die ihm von der Birthler-Behörde mitgeteilten Fakten öffentlich machte, wird nicht einmal in Erwägung gezogen.

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Dieses Verfahren entspricht exakt jener Definition, die Schertz und Schuler in ihrer Einleitung anprangern: „Rufmord geschieht, um jemanden in Verruf zu bringen.“ Ein paar Dutzend Seiten weiter wird Mühe posthum hingerichtet. Als ein Fallbeil dient das Zitat des Schauspielers Henry Hübchen, der seinen Kollegen, einer „Denunziation“ bezichtigt hatte – eine Verdrehung der realen Vergangenheit. Zudem übt ein Denunziant, für den Dichter Hoffmann von Fallersleben „der größte Lump im ganzen Land“, sein schändliches Handwerk im Schutz der Anonymität aus.

Schlimmer lässt sich der Ruf eines Menschen kaum ruinieren. Hätten die Herausgeber den Beitrag nicht genauer anschauen müssen? Vor allem: Hätten die erfahrenen Profis des Mediengewerbes nicht fragen müssen, wer ihr Autor ist?

"Überflüssig wie unmoralisch"

Den Text über das vermeintliche Medienopfer Gröllmann hat Thomas B. Goguel verfasst. Er wird im Anhang als freier Publizist vorgestellt, der früher DDR-Diplomat und dann Manager der Mannheimer AG Holding war. Unerwähnt bleibt, dass es sich um einen früheren Lebenspartner von Gröllmann handelt und dass aus dieser Verbindung eine Tochter hervorgegangen ist.

Bei der Beerdigung seiner früheren Partnerin hatte Goguel eine Trauerrede gehalten und Mühes Vorhaltungen „überflüssig wie unmoralisch“ genannt. Da kann sich der Leser leicht getäuscht fühlen. Er erwartet die Darstellung eines unbefangenen Berichterstatters, nicht die eines durch und durch Betroffenen.

Wäre mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen worden, hätte eine weitere Prägung des Ex-SED-Genossen Goguel auffallen müssen: Er hat selbst mit der Stasi zusammengearbeitet. Das entbehrt nicht der Pikanterie. Als namhafter Künstler war Mühe in der DDR privilegiert. Aber gerade wegen seiner Prominenz geriet er ins Visier des Geheimdienstes, dessen Tätigkeit er schon damals strikt ablehnte. Über das, was er dazu später in seiner Betroffenenakte fand, durfte er nach dem Rechtsstreit mit Gröllmann nicht mehr reden. Ein später Sieg für die auf die Wahrung der Konspiration bedachte Stasi. Dass eine Kontaktperson des MfS, die sich als solche nicht zu erkennen gibt, das Opfer der Stasi-Machenschaften nun in die Ecke des skrupellosen Verleumders rückt, setzt dieser Geschichte die Krone auf.

Autor Goguel ist ein Begünstigter des MfS

Goguel gab ausweislich seiner von der Birthler-Behörde herausgegebenen IM-Akte am 29. Juli 1986 eine handschriftliche Schweigeverpflichtung ab, nachdem zuvor mehrere Kontaktgespräche stattgefunden hatten. „In der Zusammenarbeit“ wählte er den Decknamen „Bernhard“. Es gibt handgeschriebene Berichte in der Akte. Laut den Unterlagen lieferte „Bernhard“ auch Informationen über Kollegen und Bekannten, wenngleich widerwillig. Aus MfS-Sicht entwickelte sich die Kooperation unbefriedigend und wurde im Juli 1987 förmlich eingestellt, zumal der Informant laut Akte als Mitarbeiter des SED-Zentralkomitees eine offizielle Funktion im Parteiapparat antrat.

Nach den Bestimmungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ist Goguel ein Begünstigter des MfS. Das gilt auch für Gröllmann, doch bei ihr liegen die Dinge etwas anders. In der Stasi-Akte der Schauspielerin, die danach mündlich zur Zusammenarbeit verpflichtet wurde, finden sich keine handschriftlichen Belege. Deshalb ist trotz starker Indizien für ihre Kumpanei mit der Stasi lediglich Verdachtsberichterstattung zulässig.

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Bei Goguel ist der Stasi-Kontakt durch von ihm selbst stammende handschriftliche Dokumente aktenkundig, mag er auch in Abrede stellen, als Spitzel gearbeitet zu haben. In einer Gegendarstellung, die er bei der Birthler-Behörde eingereicht hat und die seiner Akte beigelegt ist, beklagt er, dass hinter seinem Rücken ein IM-Vorgang angelegt worden sei und spricht von „vielfach verfälschten Informationen“. Er sei vielmehr als Mitarbeiter der Protokollabteilung von der MfS-Spionageabwehr wegen des Verdachts kontaktiert worden, er sei ins „Fadenkreuz westlicher Geheimdienste“ geraten.

Die Opferakte von Ulrich Mühe

„Vielfach verfälscht“ hat Goguel die Tatsachen in dem Fall, über den er in dem „Rufmord“-Buch schreibt – durch Weglassen. Als „Lüge“ geißelt er beispielsweise die Darstellung, Gröllmann könnte ihren ehemaligen Partner bespitzelt haben. Woher nimmt er seine Gewissheit?

Vor seinem Tod gestattete Mühe dem Historiker Staadt Einsicht in seine Opferakte. Dadurch wurde ein Protokollauszug publik, den die Birthler-Behörde bei der Aktenherausgabe an Journalisten oder Forscher schwärzt. In dem Abschnitt berichtet Gröllmanns Führungsoffizier, er habe mit seiner Informantin über persönliche Probleme gesprochen. Sie suche „einen Partner, der nicht von ihr abhängig ist, zu dem sie auch aufsehen kann. Diesen Wünschen kommt der Mühe, Ulrich (Schauspieler DT) nahe. Ihr Wunsch, wenn das MfS sicherheitspolitische Bedenken hätte, sollte ich entsprechende Hinweise geben.“

Prompt leitete das MfS gegen Mühe eine Reihe von Ermittlungen ein. Kennt Goguel diese in der Literatur veröffentlichte Passage nicht? Oder passt sie ihm nicht ins Konzept?

Zeitungen für und gegen Gröllmann

Als Virtuose des Weglassens erweist sich Goguel auch bei der Schilderung juristischer Auseinandersetzungen. Er listet Erfolge auf und verschweigt Niederlagen. Zutreffend heißt es etwa, dass DIE WELT zum Abdruck einer Gegendarstellung gezwungen wurde. Dass Gegendarstellungen nicht wahr sein müssen, verschweigt er ebenso wie die Tatsache, dass über einen „erheblichen Verdacht“ gegen Gröllmann weiter berichtet werden darf.

Dafür referiert Goguel ausführlich seinen Kronzeugen David Ensikat. Der „Tagesspiegel“-Redakteur hatte das Gröllmann

belastende Gutachten des Forschungsverbundes SED-Staat scharf attackiert und behauptet, den Wissenschaftlern der FU Berlin sei Gröllmanns Stasi-Akte gar nicht vollständig bekannt. Wegen dieser rufschädigenden Falschbehauptung gaben Ensikat und „Tagesspiegel“ eine Unterlassungserklärung ab, zudem druckte die Zeitung eine Klarstellung. Das verschweigt Goguel ebenfalls. Schmähung und ausgewogene Berichterstattung vertragen sich eben nicht.

Was kann man gegen Rufmord tun? Die Empfehlung der Herausgeber Schertz und Schuler lautet: „Das beste Mittel gegen Halbwahrheiten und Gerüchte wäre zu recherchieren.“ Ein guter Rat.

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