Im Jahr 2006 tauchten überall in Schweden selbst gebastelte Skulpturen auf, die Hunde darstellten. Die anonymen Künstler platzierten die aus Holz, Metall oder Plastikabfällen gebauten Hunde auf Verkehrsinseln. Daher der Name: „Rondellhunde“.
Diese spontane Volkskunstbewegung musste Lars Vilks begeistern. Der Künstler und Kunstprofessor hatte zehn Jahre zuvor in einem Naturschutzgebiet zwei riesige abstrakte Statuen – eine aus Holz, die andere aus Beton – errichtet. Um die schwedischen Behörden zu hindern, seine Werke abzuräumen, erklärte Vilks das Gebiet zum unabhängigen Staat „Ladonien“. Eine Idee, die ihrerseits auf John Lennon und Yoko Ono zurückgeht, die 1973 eine „konzeptuelle Nation“ namens „Nutopia“ ausriefen.
Kurzum: Vilks – ein 68er, geboren sechs Jahre nach Lennon – war ein anarchistischer Freigeist, der Grenzen, Enge und Zensur verabscheute. Daher lag es nahe, dass er – ein Jahr nach der islamistischen Kampagne gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen – auch in Schweden „die politische Korrektheit und die Grenzen der Kunstszene untersuchen“ wollte, wie er es sagte.
Zwei Dinge gleichzeitig
Er tat es mit drei DIN-A4-Skizzen, die einen Rondellhund mit Mohammed-Kopf darstellten, und die er bei einer Ausstellung über den Hund in der Kunst einreichte. Einen Tag vor der Eröffnung zogen die Ausstellungsmacher die Skizzen zurück. Auch andere Kuratoren wiesen die Zeichnungen zurück: Selbstzensur aus Angst.
Der Fall löste eine heftige Diskussion in dem traditionell liberalen und weltoffenen Land aus. Eine liberale Gesellschaft müsse zwei Dinge gleichzeitig tun können, schrieb die Zeitung „Nerikes Allehanda“, die eine der Zeichnungen veröffentlichte: das Recht von Muslimen auf Freiheit der Religion und auf den Bau von Moscheen verteidigen, aber auch das ‚Recht, „die wichtigsten Symbole des Islam lächerlich zu machen, genauso wie die Symbole aller anderen Religionen“. Es gebe keinen Widerspruch zwischen beiden Zielen, ja „sie bedingen einander“.
In der Tat. Und genau darum riefen die Rondellhunde die Dunkelmänner auf den Plan, allen voran der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der die Zeichnungen zu einem Werk der „Zionisten“ erklärte; sie würden die „Europäer unterdrücken und das Prestige Europas gefährden“. Der „Islamische Staat im Irak“ setzte ein Kopfgeld auf Vilks aus: 100.000 Dollar für jeden, der „diesen Ungläubigen tötet“, 150.000 Dollar für jeden, der ihn „wie ein Lamm schlachtet“, das heißt, ihm die Kehle durchschneidet. „Das bedeutet wohl, dass meine Kunst nun ernster genommen werden muss“, kommentierte Vilks. „Es ist gut zu wissen, wie viel man wert ist.“
Ein Leben unter Polizeischutz
Der Anarchist musste den Rest seines Lebens unter Polizeischutz leben; der Staat, dem er den Zugriff auf seine Kunst verwehren wollte, verhinderte nun Zugriffe auf sein Leben. Und es gab wiederholt Anschläge und Attentate, von Drohungen ganz zu schweigen. Am 14. Februar 2015 gab ein Mann Schüsse auf eine Versammlung für die Meinungsfreiheit ab, die Vilks besuchte. Ein Zivilist wurde getötet, drei Polizeibeamte verletzt. Am nächsten Tag griff der Mörder eine Synagoge an, wo er einen weiteren Zivilisten tötete und zwei Polizisten verletzte, bevor er selbst erschossen wurde.
Ladonien schien so weit weg wie der naive Traum John Lennons: „Imagine there’s no countries /It isn’t hard to do / Nothing to kill or die for / and no religion, too…“ Keine Staaten, keine Religionen: nichts, wofür es lohnen würde zu töten oder zu sterben.
Aber Lennon, der selbst Opfer eines christlichen Fanatikers wurde, irrte, und das wusste Vilks: Es reichte nicht, sich die Freiheit von Fanatismus bloß vorzustellen; man musste dafür kämpfen, und sei es nur mit ein paar Zeichnungen.
Lars Vilks ist am 3. Oktober unweit der schwedischen Ortschaft Markaryd bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Er wurde 74 Jahre alt. Mit ihm starben zwei Personenschützer.