Die flachgedrückte Pyramide sollte eigentlich der Gipfel des Personenkults um Enver Hoxha werden. Doch der Herrscher der Sozialistischen Volksrepublik Albanien war ein paar Jahre vor ihrer Einweihung 1988 gestorben. Die Pyramide von Tirana diente noch kurz als Museum für den kommunistischen Diktator, dann wehte auch in Albanien ein anderer Wind.
Das extravagante Gebäude am Boulevard der Märtyrer der Nation in der albanischen Hauptstadt Tirana wurde nach dem Fall des kommunistischen Regimes für die unterschiedlichsten Zwecke genutzt. Es war mal Radiosender, mal Nachtclub, mal Konferenzraum, dann wieder Sendezentrum für den Rundfunk. Während des Kosovo-Kriegs 1999 schlug die Nato hier einen Stützpunkt auf, irgendwann wurde es zum Kulturzentrum erklärt. Laut Parlamentsbeschluss von 2010 sollte das signifikante Bauwerk sogar abgerissen werden.
Dann begann ein fast zehn Jahre dauernder Streit zwischen Stadt und Land, Bürgern, Historikern und Architekten, um die Zukunft der Pyramide oder was nach einem möglichen Abriss an ihrer Stelle entstehen könnte. Eine im Jahr 2015 veröffentlichte Studie zeigte, dass die Mehrheit der Albaner gegen die Schleifung des Gebäudes war. Mit dem Übergang des Eigentums vom albanischen Staat auf die Kommune Tirana zeichnete sich ab, diesem Wunsch entsprechen zu wollen. Und nun im Oktober 2023 hat der Streit ein gutes Ende genommen.
Details der dunklen Vergangenheit
Das Rotterdamer Architekturbüro MVRDV hat die brutalistische Betonstruktur der Pyramide erhalten und umgestaltet. „Es handelte sich um das teuerste Gebäude, das der kommunistische Staat je realisiert hat“, erklärt Winy Maas, einer der Gründer von MVRDV, „und zwar in einer Zeit, in der die unterdrückte albanische Bevölkerung in Armut lebte.“ Also habe man bei der Umgestaltung „alle Symbole entfernt, die die Diktatur verherrlichten, aber einige der ursprünglichen Details beibehalten, damit sich die Besucher auch der dunklen Vergangenheit des Gebäudes bewusst sind.“
Die Architekten haben auch Farbe in das Gebäude gebracht, das ursprünglich mit hellem Marmor verkleidet war und lediglich bei den Stahlträgern rote Akzente gesetzt hatte. Im Inneren der Pyramide stapeln sich jetzt bunte Boxen, und auch in den umgebenden Park wurden sie hineingewürfelt. Das einst spöttisch als Enver-Hoxha-Mausoleum bezeichnete Bauwerk sei ein „Denkmal für die Menschen und ihre Fähigkeit, Diktatoren zu überwinden“ geworden, so Maas. In Zukunft wird es dort Ateliers, Gastronomie sowie Arbeitsräume beherbergen und viel Platz für eine gemeinnützige Bildungseinrichtung bieten, die 12- bis 18-jährigen Jugendlichen nach der Schule kostenlos in Musik und Film, aber auch in Programmierung, Robotik und Animation unterrichten möchte.
Albaniens Hauptstadt hat mit dem (nach Eigenaussage des Architekturbüros auch baulich auf Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft beruhenden) Recycling der berühmten Pyramide damit ein spektakuläres Haus der Jugend bekommen. Und weil MVRDV geradezu kindlich besessen von der Besetzung von Dächern ist, können die Besucher ihren Gipfel über viele Treppen erklettern. Außerdem gibt es eine Rampe, über die man gefahrlos nach unten rutschen kann – so wie es die furchtlosen Kinder Tiranas schon früher auf der glatten Marmorfassade getan haben.