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Literatur Thomas Mann als Romanheld

Heiß geliebter Deutscher

Leitender Feuilletonredakteur
Mann, Thomas; Schriftsteller, 1929 Nobelpreis für Literatur; Lübeck 6.6.1875 – Kilchberg (Kt. Zürich) 12.8.1955. Porträtaufnahme, 1928 (digital koloriert). Mann, Thomas; Schriftsteller, 1929 Nobelpreis für Literatur; Lübeck 6.6.1875 – Kilchberg (Kt. Zürich) 12.8.1955. Porträtaufnahme, 1928 (digital koloriert).
„Heitere Entdeckungen": Thomas Mann 1928
Quelle: picture alliance / akg-images
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Nachkriegsdeutschland schmähte ihn als Verräter, die bundesrepublikanische Mittelstandsgesellschaft beschimpfte ihn als Bourgeois. Muss erst ein irischer Schriftsteller kommen, um uns Thomas Mann zu erklären? Es sieht beinahe danach aus.

Bewundert viel, und viel gescholten. Aber wohl wortreicher gescholten: Was haben die Deutschen Thomas Mann nicht alles vorgeworfen! Schon in seinen Anfängen stieß man sich an der gedrechselten Konstruiertheit seiner Sätze. Bald hatte sich zumindest unter Literaten und Intellektuellen jenes Bild von ihm etabliert, das im Spottwort seines Schwagers Klaus Pringsheim gipfelt: „der leberleidende Rittmeister“. Thomas Mann galt als unlocker, aber auch als auf manirierte Weise zackig.

Andererseits liebte und las alle Welt „Buddenbrooks“, „Tonio Kröger“, „Königliche Hoheit“. Und als mit dem Ersten Weltkrieg in Europa die Lichter ausgingen, hatte es Thomas Mann dahin gebracht, als bedeutendster deutscher Erzähler der Gegenwart zu gelten.

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Im Krieg und in der experimentierfreudig vor sich hin taumelnden Weimarer Republik ging dann der Stern von Thomas’ Bruder Heinrich auf. Der befand sich jetzt im Gegensatz zum deutschnational empfindenden „Rittmeister“ politisch auf der richtigen Seite und wurde sogar für das höchste Staatsamt gehandelt.

Rivalen: Thomas und Heinrich Mann um 1930
Rivalen: Thomas und Heinrich Mann um 1930
Quelle: picture alliance / Photo12/Ann Ronan Picture Librar

Aber wer zeigte sich dann in der Analyse der verbrecherischen Energie der Nazis, die ja sehr viel mit den Traditionen Dunkeldeutschlands verband, als der wahrhaft Hellsichtige? Eben doch wieder Thomas, der nach dem erdrutschartigen Wahlsieg der NSDAP bei den Septemberwahlen 1930 mit seiner großenartigen „Deutschen Ansprache“ die Nation beschwor, zur Abwechslung mal vernünftig zu sein und die SPD zu stärken.

Thomas Mann wird zur Hassfigur

Im Exil, das Thomas hochkomfortabel erst in die Schweiz, nach Frankreich, schließlich nach Amerika führte, wurde er für die „Ofenhocker“ daheim, über denen dann 1945 „der Ofen zusammengebrochen war“, wie Mann so befriedigt wie maliziös im Tagebuch notierte, endgültig zur Hassfigur.

Bedrängt von den eigenen Kindern, die ihn zu immer mehr politischem Engagement aufforderten, benutzt von seinen amerikanischen Gönnern, die ihn als Propagandafigur im Kalten Krieg aufzubauen versuchten, konnte er es niemandem rechtmachen. Endgültig verscherzte er sich die Sympathien, als er im Goethejahr 1949 darauf bestand, seine wunderbare Hommage auf „Goethe als Repräsentanten des bürgerlichen Zeitalters“ nicht nur in Frankfurt am Main, sondern auch im DDR-Weimar zu halten.

Der „Vaterlandsverräter“, der aber ausgerechnet von den Vertretern der sogenannten Inneren Emigration angefleht wurde, „als guter Arzt“ zurückzukommen und die deutschen Wunden zu heilen, dachte gar nicht daran, dem zweifelhaften Lockruf zu folgen. Er verbrachte seine letzten Jahre in der Schweiz. Dort starb er 1955, achtzigjährig, hochgeehrt.

Bundesrepublikanisches Ressentiment

Doch als zwanzig Jahre später der „Spiegel“ mit einer Sondernummer Manns 100. Geburtstag beging, distanzierte sich die gesamte deutsche Gegenwartsliteratur von dem „elitären Bourgeois“ und seinem „Pathos der Distanz“. Wortführer: ein gewisser Martin Walser, der die Klaviatur kleinbürgerlicher Ressentiments besonders virtuos beherrschte und dem „Großschriftsteller“ (der er längst selber war, nur eben für die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“, als die Helmut Schelsky die Bundesrepublik beschrieb) eifrig am Zeuge flickte.

Ein Vierteljahrhundert später brachen dann endgültig die Dämme. In der Spache von SozialarbeiterInnen wurde nun der Stab über den hartherzigen Vater gebrochen, der die so über die Maßen begabten Kinder weder geliebt noch gewürdigt habe, der seine Frau, die eine brillante Naturwissenschaftlerin hätte werden können, zur Haushälterin degradierte.

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Und der sich nicht mal traute, seine Homosexualität auszuleben, sondern sich, ängstlich angepasst, hinter der Maske des Patriarchen verbarg, sein gesamtes Umfeld zu Opfern machend. Denn es gibt ja „kein richtiges Leben im falschen“, wie nun jede Kindergärtnerin Adornos „Minima Moralia“ herunterbeten konnte.

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Trotzdem hielten die Leser weiterhin zu ihrem Liebling. Ja, die gesamte Sippe wurde, befeuert durch die populären Fernsehproduktionen von Heinrich Breloer, zur deutschen Vorzeigefamilie, gerade weil es in ihr so herrlich drunter und drüber gegangen war.

Als dann aber der traditionsbewusste Hans Pleschinski mit dem Roman „Königsallee“ (nach dem Erzählmodell von Manns „Lotte in Weimar“) Thomas Manns späte Begegnung mit seiner Liebe aus mittleren Jahren, Klaus Heuser, zu einer bittersüßen Romanze ausgestaltete, war es wieder nicht recht.

Und die ersten Reaktionen auf Colm Tóibíns eben erschienenen Thomas-Mann-Roman „Der Zauberer“ warfen indirekt die Frage auf: Wie kommt dieser Ire dazu, den ach so komplexen, ach so tief in unsere DNA eingelassenen Verfasser des „Zauberbergs“ zum Romanhelden zu machen? Darf der das überhaupt?

„Mit Frauen zugedeckt“

Darauf kann man nur antworten: Er darf. Colm Tóibín, der bereits das Leben des amerikanischen Romaciers Henry James auf subtile Weise gestaltete („Porträt des Meisters in mittleren Jahren“), hat auch hier wieder einen bunten Lebensteppich gewebt. Hat darin, erste Überraschung, Thomas Mann als „mit Frauen zugedeckten Mann“ (Pierre Drieu la Rochelle) herauspräpariert. Denn aus dem Geschlinge des Teppichs ragen Felder hervor, die reserviert sind für die Mutter des „Zauberers“ sowie die Schwestern Carla und Lula.

Schriftsteller werden ihm zur Figur: Colm Tóibín
Schriftsteller werden ihm zur Figur: Colm Tóibín
Quelle: Getty Images

Das Mittelstück hingegen gebührt ohne Frage der Gattin Katia; sie und niemand sonst war sein Lebensmensch. Dazu kommen die kapriziösen Töchter. Nicht zu vergessen die herrische Agnes Meyer, ohne welche die Familie in den USA wohl kaum so unbehelligt geblieben wäre. Schließlich die flamboyante Alma Mahler-Werfel, erotisch zupackend und gesalzen antisemitisch, eine Gefährtin im kalifornischen Exil. Oder Nelly Kröger, verheiratet mit Bruder Heinrich, für Thomas nur die „schreckliche Trulle“, vulgär und undiszipliniert, aber mit goldenem Herzen.

Wo bitte, bleibt da die Homosexualität? Zweite Überraschung: Im Werk. Wo sie sich ungestört entfalten konnte. Und als Sehnsucht auch in Manns Augenlust, die sich, woraus Toibin kein Hehl macht, ein Leben lang auf junge, jüngste Männer richtete, immer schön nach dem bürgerlichen Motto „Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten“.

„Ein strenges Glück“

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Anfangs dichtet Tóibín seinem „Zauberer“ ein paar unerquickliche homosexuelle Erfahrungen in frühen Jahren an. Danach versprach offenbar nur der Hafen der Ehe „ein strenges Glück“ von Beständigkeit und ebenbürtiger Partnerschaftlichkeit. Dass ausagierte Homosexualität nicht eo ipso als „promesse de bonheur“ zu begreifen ist, sah Thomas Mann schließlich an seinem ältesten Sohn. Nichts wird ihn so bestätigt haben in der Gewissheit, dass seine Entscheidung für Katia die richtige war, wie die Haltlosigkeit von Klaus.

Trotzdem ließ er den gewähren. Thomas war ein liberaler Patriarch. Weit mehr: Wie man es so noch nie gelesen hat, zeigt Colm Tóibín in diesem Buch: Der Zauberer war vor allem ein Kümmerer. Sämtliche seiner sechs Kinder, von denen ja mehrere nicht gerade lebenstüchtig waren, versorgte und unterstützte er bis weit über den Tod hinaus. Denn von den Tantiemen seiner Bücher konnten alle bis zu ihrem Ableben auskömmlich existieren.

Bruder Heinrich, vollkommen hilflos in Amerika, wäre ohne Thomas’ finanzielle Zuwendung in Armut gestorben. Zahlreiche Emigranten profitierten von Manns Interventionen bei Agnes Meyer, der Frau des allgewaltigen Verlegers der „Washington Post“, die Scheck um Scheck rausrückte. Sogar der ungeliebte Kollege Bertolt Brecht, zu dem das FBI Thomas Mann aushorchte, wurde noch von ihm gedeckt. Gedankt hat es dem Kümmerer kein einziger. Der Neid auf den Erfolgsverwöhnten überdeckte alles.

Begnadeter Bürgertumsdarsteller

Allerdings ist dies keine Heldengeschichte. Tóibín sieht durchaus das Zögerliche, Zaudernde. Für das es allerdings oft gute Gründe gab. Es stimmt ja, Thomas Mann wartete erst einmal ab, rang sich erst 1936 öffentlich zu einem klaren Nein zu den Nazis durch. Aber es galt eben auch an die als Juden gefährdeten Schwiegereltern Pringsheim zu denken. Auch wünschte er seine deutschen Leser zu behalten, die im Reich weiterhin seine Bücher kaufen können sollten.

Wie sehr er, trotz materieller Absicherung, zum Beispiel geängstigt war von der Vorstellung, man könnte seine in München verbliebenen Tagebücher finden, die sein schwules Schwärmen und Schmachten enthielten, hebt der ebenfalls homosexuelle Tóibín ausdrücklich hervor. Und manche Bedrohung mehr.

Schwieriger Sohn: Klaus Mann, ca. 1946
Schwieriger Sohn: Klaus Mann, ca. 1946
Quelle: picture-alliance / akg-images

Man braucht als Leser eine Weile, bis man die erzählerische Notwendigkeit all der biografischen Fäden erkennt, die Toibin spinnt. Sie gelten sämtlich Thomas Manns Familientrabanten, Freunde hatte er ja nicht mehr, seit er verheiratet war. Denn jawohl, dieser Homosexuelle ging in seiner Familie auf. Und in der Musik.

Viel begriffen

Zu den schönsten Partien in Tóibíns Buch gehören suggesive Vergegenwärtigungen von musikalischen Erlebnissen seines Protagonisten. Am Anfang steht, wie kann es anders sein, das Vorspiel zum ersten Aufzug des „Lohengrin“, am Ende eine Kantate von Buxtehude. Beethovens op. 132, vom Sohn Michael mit drei Freunden bei einem Hauskonzert im neuen amerikanischen Heim aufgeführt, lässt Tóibín sinnreich zur Initialzündung des „Doktor Faustus“ werden.

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An anderer Stelle kauft der Zauberer in New York Schallplatten. Was bringt er Katia mit? Eine Aufnahme des „Mon coeur s’ ouvre à ta voix“ aus Saint-Saens’ „Samson und Dalila“, die bekanntlich auch Hans Castorp im „Zauberberg“ hört. Eine genialere Liebeserklärung an seinen Lebensmenschen hätte selbst Thomas Mann nicht einfallen können. Keine Frage, Colm Tóibín hat viel von ihm begriffen.

Und er hat auch seinen Spaß mit ihm. Vielleicht muss man selbst ein Homosexueller alter Schule sein, muss die Reize des Doppellebens ausgekostet haben, um das Schauspielerhafte an Thomas Manns Existenz so gestalten, so genießen zu können, wie Tóibín das tut.

Thomas Mann, dieser Jahrhundertautor, er war nun mal der begnadetste Bürgertumsdarsteller, den wir hatten. Und er, der sich am Ende seines Lebens sowohl im Hochstapler Felix Krull als auch in der Klosettschüsselfabrikantengattin Diane Houpflé spiegeln konnte, wusste es. „Heitere Entdeckungen dann, in Gottes Namen“ waren die Worte, mit denen er den Entschluss kommentierte, seine Tagebücher der Nachwelt zu hinterlassen, „aber erst wenn alles tot ist“.

Ja, er hat gar schöne Spiele mit uns gespielt, dieser Mann, nichts in der deutschen Literatur reicht daran heran, aber sein Einsatz war immer er selber. Colm Toibin hat ihn uns neu geschenkt.

Colm Tóibín: Der Zauberer. Aus dem Englischen von Giovanni Bandini. Hanser, 560 S., 28 €.

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