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PS WELT Elektroauto

Für 1,40 Euro fährt der Mia 100 Kilometer weit

Vor drei Jahren kehrte er als Designchef dem VW-Konzern den Rücken. Jetzt ist Murat Günak wieder da – mit einem selbst entwickelten Elektroauto. Das Gefährt ist zwar nicht gerade schick, hat aber andere Qualitäten: Idealmaße für den Stadtverkehr, überraschende Bequemlichkeit und einen interessanten Preis.

Der Mann ist 52 Jahre alt, und er hat alles gesehen, was es in der Autobranche zu sehen gibt. Aber er ist aufgeregt. Er geht voran, zieht Türen auf, zeigt den Weg und entschuldigt sich. Dafür, dass es hier klein ist und eng. Dass wenig los ist, weil die Mitarbeiter bei einer Betriebsversammlung sind. Dass es nicht so exklusiv ist, wie man es vielleicht erwartet hätte. Wie er es auch einmal kannte. Aber wir sind hier nicht bei VW. Murat Günak ist nicht mehr bei VW.

Drei Jahre ist es her, dass er als Designchef in Wolfsburg seinen Abschied nahm. Er tauchte dann wieder auf als Vorstandsvorsitzender der Mindset AG, die ein Elektroauto auf den Markt bringen wollte. Das hat nicht geklappt, die Arbeit an dem Auto aber, sagt er, gehe irgendwann weiter. „Ich bin nur nicht mehr CEO.“

Jetzt hat Günak als Berater bei Heuliez angedockt, einem französischen Hersteller, der ähnlich wie Karmann in Deutschland Kleinserien im Auftrag fertigt und sich mit Cabriodächern auskennt. Günak hält den Kontakt seit seiner Zeit als Peugeot-Designchef, als er den 206 CC machte, den Kleinwagen mit Stahlklappdach.

Ähnlich wie Karmann ist Heuliez in Schwierigkeiten, noch nicht insolvent, aber ein neuer Investor wird dringend gesucht. Darum die Betriebsversammlung. Darum aber ruhen auch Hoffnungen auf Günak. Er hat einer Heuliez-Idee neues Leben eingehaucht und einem Konzeptfahrzeug namens Friendly Beine gemacht, gestalterisch wie konzeptionell. Das Auto heißt jetzt Mia, und es wird beim Genfer Salon zu sehen sein. Ganz weiß lackiert wird es dastehen, mit gelben Farbtupfern, und jeder Besucher in Halle fünf, wo auch Mercedes und Renault ausstellen, wird den Mia sehen können. Denn zusammen mit dem Wagen stehen sechs überdimensionale Buchstaben am Stand: C, H, A, N, G und E – Change, Günak will den Wechsel.

„Mir sind zwei Dinge wichtig“, sagt Günak. „Erstens: Wir arbeiten nicht gegen die etablierte Autoindustrie. Und zweitens: Ich bin nicht in der Midlife-Krise.“ Vielleicht ist es auch das, was ihn so aufgeregt wirken lässt: Er glaubt, dass die anderen glauben, es laufe nicht gut für ihn. Früher VW, Peugeot, auch Mercedes steht im Lebenslauf – jetzt ist es eben Heuliez, ein mittelständisch aufgestelltes Unternehmen in Schwierigkeiten und rein äußerlich nicht im besten Erhaltungszustand. Günak ist nicht mehr im Spiel, wenn das Spiel heißt: Großer Konzern baut Millionenstückzahlen.

Aber das muss gar nichts bedeuten, denn dies kann die Stunde der Kleinen sein. Jeder weiß, dass das Heil der Autoindustrie nicht allein in der Optimierung der Benzin- und Dieselmotoren liegt. Die früher verlachten Elektroautos sollen sich zur Rettung entwickeln, nie war das Klima für sie so günstig. Es ist wie in der Pionierzeit des Automobils: In jeder Ecke tauchen Ideen auf, viele wittern ihre Chance. Und machen nicht auch die Großen Versprechungen? Daimler und die Brennstoffzelle, GM/Opel und das Elektroauto mit Reichweitenverlängerer, BMW, Porsche und VW mit ersten Hybridversuchen. Ihr Problem ist nur: Während sie die schadstoffarme Zukunft propagieren, müssen sie mit den Autos der Gegenwart Geld verdienen und ihre Fabriken auslasten.

Wir betreten die Lackiererei bei Heuliez, ziehen Antistatik-Kittel über. Hier steht der Mia, ohne Türen, Fenster und Räder, die weiße Lackschicht ist schon drauf. Günak sieht den Wagen auch zum ersten Mal so, beinahe fertig, und er ist wieder so aufgeregt, dass er die Erklärung der Technik dem Projektleiter Patrick Largeau überlassen muss. „Die Batterien liegen unter dem Fahrersitz und unter den Rücksitzen. Der Motor ist ganz klein und sitzt zwischen den Hinterrädern, die er antreibt.“

2,80 Meter lang ist der Wagen, er misst damit nur zehn Zentimeter mehr als ein Smart und liegt zehn Zentimeter unter dem Toyota iQ. Der Raum im Inneren aber ist deutlich größer, weil der Mia hoch ist (1,70 Meter), und weil er auf den ersten Blick aussieht wie ein Schuhkarton auf Rädern oder ein versprengter U-Bahn-Waggon. „Die Leute werden sehen, dass das kein Spielzeug ist, sondern ein echtes Auto“, sagt Günak.

Draußen auf dem Hof fährt ein Mitarbeiter mit dem Urmodell vor, dem Friendly. Gegen ihn wirkt der Mia erwachsener, aber die Grundidee war im Konzeptmodell schon da: vorn ein Sitz in der Mitte, dahinter zwei Sitze nebeneinander plus Kofferraum und an den Seiten Schiebetüren. Der Clou sind die Einschnitte in Dach und Boden: Wer hinten einsteigen will, stellt sich einfach aufrecht neben den Fahrersitz – die Füße stehen dabei auf der Erde, der Kopf ragt ein Stück über das Dach hinaus. Dann kann man sich ohne Verrenkungen nach hinten setzen – bequemer steigt man in keinen anderen Wagen dieser Größe.

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Obwohl das besonders ältere Menschen aufmerken lassen dürfte, setzt Günak mit seinem Konzept auf die Jugend. „Menschen meiner Generation verbinden ein Auto noch mit Freiheit“, sagt der Designer, der sich später auch um die Entwicklung der Marke Heuliez kümmern will. „Aber junge Menschen lernen vor allem, dass ein Auto Probleme macht wie Staus und Luftverschmutzung.“

Günak will nicht mehr zurück in das alte, das große Spiel. „Ich mache jetzt Elektroautos“, sagt er. Und dass man sein Ego zurückstellen müsse, um das zu tun. „Aber mir gefällt, wie hier alle kämpfen.“ Auch bei der Preisgestaltung. 14.990 Euro plus Mehrwertsteuer, in Deutschland rund 17.800 Euro, wird der Heuliez Mia kosten. In dem Preis ist nur der kleinste der drei verfügbaren Akkusätze enthalten, aber er soll für 100 Kilometer reichen. Energiekosten dafür: 1,40 Euro. Das wäre wirklich ein Wechsel.

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