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Düsseldorf Braunkohle-Tagebau

NRW geht bei Kohleförderung einen Schritt zurück

Korrespondent
Im Braunkohletagebau Garzweiler II zwischen Aachen und Köln fressen sich riesige Bagger durch die Landschaft. Tausende Bewohner mussten bereits ihre Heimat verlassen Im Braunkohletagebau Garzweiler II zwischen Aachen und Köln fressen sich riesige Bagger durch die Landschaft. Tausende Bewohner mussten bereits ihre Heimat verlassen
Im Braunkohletagebau Garzweiler II zwischen Aachen und Köln fressen sich riesige Bagger durch die Landschaft. Tausende Bewohner mussten bereits ihre Heimat verlassen
Quelle: dpa
Die rot-grüne Landesregierung verkleinert den Tagebau Garzweiler II und entschärft einen alten Konflikt. Die Menschen, die nicht umgesiedelt werden müssen, sind dankbar. Aber nicht jeder ist erfreut.

Holzweiler soll wenigstens gerettet werden. Dackweiler und Hauerhof auch. Noch weiß niemand, wie diese Rettung aussehen soll. Wie nah sich die Braunkohlebagger heranfressen. Wo genau die heile Welt am Niederrhein endet und an einer Schlucht die Mondlandschaft beginnt.

Manche halten es für zynisch, von Rettung zu sprechen, weil sie es absurd fänden, wenn die Ortschaft Holzweiler, das Gehöft Dackweiler und das Gut Hauerhof nur bewohnte Inseln an oder in einem umgegrabenen Krater blieben. Es ist noch vieles unklar, aber die rot-grüne Landesregierung hat eine neue Grenze im Braunkohle-Revier gezogen.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) mag lediglich von einer „räumlichen Limitierung“ sprechen und vermeidet ein klares Ausstiegsdatum. Das sähe zu deutlich nach einem Ende aus. Man könnte sich zwar herleiten, wer weniger Braunkohle abbaut, der wird auch früher aufhören. Aber man kann das Tempo verringern. Der Energiekonzern RWE besitzt eine Abbaugenehmigung bis 2045. Die Landesregierung hat ein Landkarte in Umlauf gebracht, in der die Abbauabschnitte eingezeichnet sind. Nördlich von Holzweiler ist als letztes Datum das Jahr 2035 eingetragen.

Die stählernen Ungetüme mit den Radschaufeln sollen rund 300 Millionen Tonnen weniger als erwartet abbauen, so hat es NRW-Umweltminister Johannes Remmel betont. Insgesamt liegen im Tagebau Garzweiler II noch 1,3 Milliarden Tonnen verborgen. Dadurch blieben rund 1400 Menschen von einer Umsiedlung verschont. Die FAZ hat dies trefflich als „grünen Geländegewinn“ bezeichnet, denn diese Leitentscheidung zur Braunkohle nutzt aktuell vor allem dem Juniorpartner. Unter den Sozialdemokraten war allerhand Kritik zu vernehmen, weil einige industrienahe Gewerkschafter und Kohlefreunde keinen Anlass sehen, es für voreilig halten, solch ein weitreichendes Zeichen zu setzen.

Politischer Deal für die Stabilität

In der Tat hätte sich die Landesregierung nicht zwingend so weit im Voraus festlegen müssen. Es sind zunächst Vorbereitungen für den dritten Abschnitt zu treffen. In Düsseldorfer Regierungskreisen hört man allerdings, dass es um Zugeständnisse gegangen sei und um die Stabilität der Koalition. Der Deal wird in etwa so beschrieben: Die Grünen tragen die dritte Abbau- und Umsiedlungsphase ab 2025 für die Ortschaften Keyenberg, Ober- und Unterwestrich, Kuckum und Beverath mit; dafür verzichtet die SPD darauf, dass im vierten Abschnitt auch die letzten Dörfer dem Erdboden gleichgemacht werden. Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen gab einen kleinen Hinweis vergangene Woche im Landtag, als er sagte, eine so weitreichende Entscheidung sei „fachlich unter Umständen nicht notwendig, aber menschlich“. Er betonte auch, dass Holzweiler keine Insel werde.

Die erste Pressekonferenz zu dieser Leitentscheidung vor zwei Wochen sandte stärkere Ausstiegssignale, als Ministerpräsidentin Kraft lieb sein konnte. Auch der Umstand, dass man Freitagnachmittag am Ende einer Woche mit Landtagssitzungen, kurzfristig vor die Presse trat, sorgte für Irritationen. Dann begann man mit dem Satz: „Die Landesregierung sieht bis 2030 weiterhin die energiewirtschaftliche Notwendigkeit, Braunkohle des rheinischen Reviers abzubauen.“ Man werde für die Perspektiven nach 2030 bis zur Jahresmitte 2050 eine neue Leitentscheidung zur Braunkohlepolitik treffen. Eigentlich wollte die Landesregierung damit Verlässlichkeit und Versorgungssicherheit demonstrieren, da man sich für die nächsten 16 Jahre festlege. Doch alles darüber hinaus schien ungewiss, auf dem Prüfstand.

Die Landeschefs von CDU und FDP, Armin Laschet und Christian Lindner, warfen Kraft einen schlechten Stil vor, weil sie dies angeblich nicht abgesprochen habe und nicht zuerst den Landtag unterrichtet habe. Sie kritisieren das Ausstiegssignal, zumal Kraft noch zu Jahresbeginn betont hatte, sie sehe „keinen Handlungsbedarf“ bei Garzweiler II.

Harsche Kritik von den Kollegen

Am schwersten wog wohl für die Regierungschefin die Kritik des Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), Michael Vassiliadis. Sechs SPD-Abgeordnete aus der betroffenen Region äußerten sich in einer Erklärung enttäuscht über den Beschluss der eigenen Landesregierung. Nun mag man darüber rätseln, ob Kraft wirklich alle Beteiligten vollends im Unklaren gelassen hat. Die SPD musste argumentativ nacharbeiten. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin betonte im Parlament, dass die geplante Verkleinerung von Garzweiler II keinen Ausstieg aus der Braunkohleförderung bedeute. Es sei bekannt, „dass die Gewinnung von Braunkohle im rheinischen Revier endlich ist. Die erteilten Genehmigungen sehen ein Auslaufen für das Jahr 2045 vor“, sagte Duin. Die Tagebaue Hambach und Inden blieben vom Regierungsbeschluss unberührt. Der Braunkohlenabbau in NRW „nicht zeitlich limitiert“.

Man kann zwar einen räumlichen wie politischen Geländegewinn für die Grünen konstatieren. Doch es ist noch lange nicht abzusehen, wie lange die Kohlevorräte tatsächlich ausgebaggert werden. Rückblickend muss man sagen, dass sich die SPD trotz grüner Vehemenz in der Braunkohlepolitik, auch bei Garzweiler II, durchgesetzt hat, selbst als die überaus unbequeme Bärbel Höhn zwischen 1995 und 2005 NRW-Umweltministerin war. Während die Menschen aus den zum Untergang verdammten Ortschaften nach und nach vor den Baggern zurückwichen, fügten sich die Grünen immer wieder der energiepolitischen Übermacht der SPD.

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Landespolitisch ist die jüngste Leitentscheidung freilich ein Coup für beide Seiten. Ministerpräsidentin Kraft hat im Zusammenspiel vor allem mit Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) den Fraktionschefs Norbert Römer (SPD) und Reiner Priggen (Grüne) eines der belastendsten Themen zwischen beiden Parteien in den vergangenen drei Jahrzehnten entschärft. Weniger Garzweiler heißt: mehr Frieden bei Rot-Grün.

Dies deutete sich bereits 2010 an, als beide Landesparteien den Koalitionsvertrag für die Minderheitsregierung aufsetzten. Die Passagen zur Braunkohle lasen sich wie die Einstimmung auf einen Strukturwandel im rheinischen Revier. Es klang mehr nach Ausstieg als nach Aussicht für die Braunkohlewirtschaft.

Neue Abbaugebiete seien nicht notwendig

Diese Haltung ist auch im aktuellen Koalitionsvertrag verankert: „Effizienzsteigerungen müssen – wie im Rahmenbetriebsplan Garzweiler II verbindlich festgelegt – dazu führen, Ressourcen zu schonen und die absoluten jährlichen CO2-Emissionen im rheinischen Revier kontinuierlich zu senken. Deshalb ist verbindlich zu vereinbaren, dass die Kohleförderung entsprechend der Effizienzgewinne schrittweise gesenkt wird.“ Deshalb seien neue Abbaugebiete nicht notwendig. Im rheinischen Revier werde der Anteil der erneuerbaren Energieträger kontinuierlich gesteigert.

Die „Welt Kompakt“ titelte in dieser Woche prägnant „Krafts eigene Energiewende“. Dies korrespondiert nicht so recht zu den energiepolitischen Entwicklungen auf Bundes- und Europaebene. Es widerspricht auch dem Kurs von Kraft, die seit 2012 eher die Argumente der energieintensiven Industrie und fossilen Kraftwerksbetreiber verfocht. Als Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Energie in den Verhandlungen zur großen Koalition bekam sie von Umweltschützern den Spitznamen „Kohle-Kraft“.

An diesen Widersprüchlichkeiten werden auch die Koalitionszwänge deutlich: Krafts Energiepolitik auf Bundesebene wirkt fossiler als in NRW. Während sich SPD-Parteichef Sigmar Gabriel als industriefreundlicher Bundeswirtschaftsminister profiliert, stimmt Kraft das Land und ihre Partei nach dem Ausstieg aus der Steinkohle schon mal ganz langfristig auf das Ende der heimischen Braunkohleförderung ein.

Im Landtag betonte die Ministerpräsidentin diese Woche: „Wir alle wollen doch, dass die Kraftwerke von RWE die Braunkohle effizienter nutzen, also mit immer weniger Kohle den Strombedarf decken können.“ Man wolle im rheinischen Revier ebenfalls einen „Strukturwandel ohne soziale und ökonomische Einbrüche schaffen.“ SPD-Fraktionschef Römer sekundierte, niemand müsse „Angst vor dem Wandel“ haben. Letztlich fügte sich auch CDU-Oppositionschef Armin Laschet. Er versprach, falls die CDU 2017 an die Regierung käme, würde sie die rot-grüne Entscheidung, Holzweiler, Dackweiler und Hauerhof zu retten, nicht revidieren.

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