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Die Schanze - Ein Hamburger Szeneviertel im Wandel

Das Schulterblatt am Donnerstagabend: Die Kneipen haben längst nicht mehr genug Außenplätze, der Gehweg wird zur Partymeile Das Schulterblatt am Donnerstagabend: Die Kneipen haben längst nicht mehr genug Außenplätze, der Gehweg wird zur Partymeile
Das Schulterblatt am Donnerstagabend: Die Kneipen haben längst nicht mehr genug Außenplätze, der Gehweg wird zur Partymeile
Quelle: Bertold Fabricius
An heißen Sommernächten zieht es Tausende Menschen in die Hamburger Sternschanze. Doch immer mehr Läden müssen schließen. Das angesagte Viertel droht seine Einzigartigkeit zu verlieren.

Schulterblatt, Donnerstag, 21 Uhr. Die Sonne verschwindet hinter den Dächern, das Thermometer zeigt noch immer 28 Grad. Während sich die Rote Flora rechts hinter Zäunen verbirgt, tummeln sich links Tausende Feierlustige auf der Straße. Die Hamburger Schanze glüht.

Aber was macht das Viertel noch immer zum Publikumsmagneten? Ganz klar: „Das Flair“, sagt Karla Keresztes. Seit drei Jahren arbeitet die 27-Jährige im „Berliner Betrüger“ an der Juliusstraße hinter der Theke. Musiker, Studenten, Künstler und Touristen, „hier trifft sich einfach alles“. Und gerade das ist das Schöne, sagt die Hamburgerin. „Das ist das, was mich inspiriert.“

Doch die Schanze ist im Wandel – und die Veränderungen gehen auch an Keresztes nicht vorbei. Indem immer mehr Geschäfte schließen, verliere das Quartier langsam seine Einzigartigkeit, sagt die Angestellte: „Nicht dass hier bald Starbucks und Co. einziehen. Dann sähen alle Läden gleich aus und die Schanze wäre ein Viertel wie jedes andere.“

„Ist ein Viertel erst einmal hip, schießen die Mieten in die Höhe“

Dass es so weit kommt, glaubt Anna Welke aus Eimsbüttel nicht. Zum dritten Mal ist die 22 Jahre alte Studentin diese Woche bereits auf den Straßen des Szeneviertels unterwegs. „Am Schulterblatt ist immer was los. Mit Freunden gehe ich dort regelmäßig etwas trinken“, sagt sie. Auf dem knapp 200 Meter langen Abschnitt zwischen der Kreuzung Juliusstraße/Susannenstraße und Lerchenstraße stehen zurzeit jedoch neun Läden leer. Besprühte Wände reihen sich an verstaubte Fensterscheiben und geschlossene Türen.

Den Grund dafür sieht der Geschäftsführer des Kulturhaus 73, Max Wulf, bei stetig steigenden Mieten. „Das Problem gibt es in jeder größeren Stadt, die viele Menschen anzieht. Berlin-Kreuzberg ist nur ein Beispiel“, sagt seine Kollegin Tina Kawalla. „Ist ein Viertel erst einmal hip, schießen die Mieten plötzlich in die Höhe.“ 16 Jahre arbeitet und lebt die 28-Jährige schon in der Schanze. Und seitdem habe sich einiges verändert. Zum Negativen, wie sie findet.

Neben individuellen Einzelhändlern und Plattenläden hatten früher Traditionskneipen hier ihr zu Hause. Kawalla: „Die Bars waren Treffpunkt für das Viertel.“ Für Nachbarn, Freunde und Familie. „Heute hingegen sieht das Publikum deutlich anders aus.“ Vor allem am Wochenende zieht die Sternschanze Touristen und junge Menschen an, „die feiern wollen wie auf dem Kiez“. Und auch die Kneipen seien nicht mehr das, was sie mal waren. Das „bp1“ und „Bedford“ von Schanzen-Urgestein Gerrit Lerch auf der Ecke Susannenstraße zählten zu den Kultbars des Viertels. Seit Ende vergangenen Jahres stehen auch diese Räume leer. Max Wulf: „Geht der Trend so weiter, bleibt den Schanzengängern in ein paar Jahren nicht mehr viel.“

„Echte“ Schanzenbewohner tummeln sich nur noch selten hier

Wandel hin oder her – die Schanze pulsiert doch weiter. Auch wenn viele Läden geschlossen sind, trinken, tanzen und feiern Tausende Menschen Abend für Abend in den Kneipen der Sternschanze. Neben dem „Berliner Betrüger“ und Haus 73 gehören auch die drei Sofabars „Zoé“ mit verschiedenen Standorten im Viertel zu den Klassikern. Auf gemütlichen alten Sofas verweilen die Schanzengänger oft bis spät in die Nacht. Mit einem speziellen Ambiente lockt außerdem „Saal II“: Hohe Räume und gekachelte Wände zieren die Kultbar am Schulterblatt.

Nebenan wird im „Kleinen Donner", Kellerclub im Haus 73, zu Hip-Hop oder Elektro getanzt. Das Kulturhaus am Schulterblatt veranstaltet regelmäßig Konzerte, Poetry Slam, Kicker-Abende und ein Kneipenquiz. Alternative Braukultur genießen dort die Hamburger im „Galopper des Jahres“, hausgemachte Quiches und Stullen, klassische Kuchen sowie Kaffeekreationen gibt es im „Schmidtchen“. Das Haus 73: eine Mischung aus Bar, Club und Café. Zum Tanzen laden außerdem der „13. Stock“, die „Bar Rossi“ und das „Mandalay“ ein. Mit ausgefallenen Kuchen, Torten, Tartes und Muffins zieht die Konditorei Herr Max am Nachmittag die Menschen zum Schulterblatt. Im Sommer gibt es dort auch hausgemachtes Natur-Eis zu kaufen.

„Echte“ Schanzenbewohner kommen allerdings trotz dieses Angebots nur noch selten zum Schulterblatt, sagt Kawalla. Grund dafür seien die Menschenmassen und der Kommerz. Die unaufgeregte Atmosphäre, die noch vor einigen Jahren im Viertel herrschte, vermisst die Hamburgerin am meisten. „Aber zum Glück steht die Rote Flora noch“, sagt sie. „Sie ist nach wie vor ein wichtiger Einfluss für das Leben hier im Viertel.“

Einen freien Platz zu finden, wird zur Herausforderung

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Anlaufpunkt für viele Schanzenbesucher ist seit langem das „Goldfischglas“ an der Bartelsstraße. Aushilfe Roxanna Tews arbeitet seit einem Jahr in der Bar im Retro-Stil, die über eine kleine Tanzfläche im Keller verfügt. „Bis vor kurzem habe ich selbst im Schanzenviertel gewohnt“, sagt die Studentin.

Die Ursache für ihren Stadtteilwechsel: zu hohe Miete. Zum Arbeiten kommt Tews aber immer noch zurück. „Die Schanze hat eben Charme. So eine coole Atmosphäre gibt es nicht noch einmal.“ Außerdem seien die Kneipen im Szenequartier der perfekte Ort, um neue Menschen kennenzulernen. „Die Schanze gehört einfach zu Hamburg, jeder möchte das Viertel selbst erlebt haben. Deswegen kommen auch so viele Touristen hier her“, sagt sie.

Die 24 Jahre alten Hamburger Julian und Hinrich hingegen treffen sich nur noch selten am Schulterblatt. Wenn sie einen heißen Sommerabend wie Donnerstag mit Freunden ausklingen lassen möchten, verabreden sich die Studenten lieber im Park oder in weniger angesagten Vierteln der Stadt. „Früher war es wirklich schöner hier“, sagt Julian. „Mittlerweile ist die Schanze nur noch überlaufen.“ Einen Platz zu finden, wird zur Herausforderung. „Deswegen sind wir heute extra früh zum Schulterblatt gefahren“, erklärt Hinrich. Sicher nicht zum letzten Mal, trotz aller Veränderungen.

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