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München Bibiana Beglau

"Ich wollte sichtbar machen, wie die Seele weint"

Szene aus: Die bitteren Traenen der Petra von Kant Szene aus: Die bitteren Traenen der Petra von Kant
Bibiana Beglau in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" am Residenztheater in München
Quelle: Residenztheater Muenchen/Hans Joerg Michel
Bibiana Beglau spielt die Hauptrolle in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" am Residenztheater in München – und spricht über das Genie Fassbinders.

Wow! Langsam dämmert dem treuen Abonnement-Publikum des Staatsschauspiels, was für eine tolle Truppe Martin Kusej da nach München geholt hat. Aber auch, dass man sich nie sicher sein kann. Dass man Theater nicht mehr einfach aussitzen kann. Dass es einem – wie bei der Neuinszenierung des Fassbinder-Stücks „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ mit Bibiana Beglau, die man auch aus dem Kino kennt („Die Stille nach dem Schuss“), schon mal den Boden unter den Füßen wegzieht, so unmittelbar, bildmächtig und expressiv kommt dieses Theater daher. Von der Liebe bleiben hier buchstäblich nur Scherben.

Welt Online: Schon Zeitung gelesen, nach der Premiere?

Bibiana Beglau: Nein. Aber ich habe ein paar sehr böse E-Mails bekommen. Ich kann Ihnen das eben mal vorlesen, Moment (legt ihr Smartphone auf den Tisch, scrollt). Da steht: „Bibi, schau mal in die Zeitung! Wenn die Kritiker schon schreiben, wie Du Deinen Körper malträtierst, dann ist das das letzte Zeichen zum Aufhören. Wann kommst Du zur Vernunft?“

Welt Online: Sich auf Scherben zu lieben, ist natürlich nicht jedermanns Sache, auch wenn es Champagnerflaschen sind, die hier zu Bruch gehen. Gibt es noch eine Stelle an Ihrem Körper, wo sie keine blauen Flecken oder Schnittverletzungen haben?

Beglau: Einen blauen Flecken hab ich – da (zeigt auf ihren Oberschenkel).

Welt Online: Und das Pflaster an der Schulter?

Beglau: Da hatte ich mal eine Schürfwunde. Seitdem ist die Haut an der Stelle ein bisschen dünn. Deshalb klebe ich auf der Bühne ein Pflaster drauf. Zur Vorsicht. Aber schauen Sie (zieht sich kurz die Bluse von der Schulter): Alles okay!

Welt Online: Sie sind hart im Nehmen, oder?

Beglau: Ich bin sehr genau in dem, was ich tue. Ich würde es einen kontrollierten Kontrollverlust nennen. Wichtig ist die Verhandlungsmasse. Da muss sich dann eben zur Verfügung stellen.

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Welt Online: Wie meinen Sie das?

Beglau: In „Petra von Kant“ geht es um die Frage: Was ist Liebe? Wie funktioniert das? Wie gewalttätig und archaisch ist dieses Gefühl? Wer gewinnt, wer verliert?

Welt Online: Bei Fassbinder ist „Petra von Kant“ ein fieses, kleines Kammerspiel. Die Liebe der Modedesignerin zur jungen Karin, die sie nur als Karrieresprungbrett benutzt, stirbt einen quälend langsamen, leisen Tod. Bei Ihnen und Martin Kusej spürt man dagegen fast körperlich, wie weh das tut.

Beglau: Martin und ich wollten einen Raum schaffen, in dem der innere Schmerz sichtbar wird. In den Mythen der Griechen treibt die Liebe, ihre Euphorie, ihr Schmerz Helden wie Odysseus einmal um die Welt. Wenn diese Helden schreien und leiden, dann geht das immer gleich bis Troja durch. Als Raub von Menschen. Als Riesenfeldzug. Als monströse Erscheinung eines Minotaurus. In unserer Gesellschaft werden diese Antriebskräfte runtergedeckelt.

Welt Online: Die Liebe ist auch nicht mehr das, was sie mal war?

Beglau: Die Liebe schon. Aber mit uns stimmt was nicht. Ich meine: Wenn uns ein Auto über den Fuß fährt, schreien wir doch auch wie am Spieß! Wenn mir einer den Arm bricht, weine ich vor Schmerz! Verletzt aber jemand den andern in der Seele oder im Herz, schreit keiner. Du nimmst Schaden an der Seele, furchtbar, und keiner schreit. Das verstehe ich nicht! Warum laufen hier nicht lauter schreiende Leute rum? Es wird im Gegenteil auch noch eingefordert, dass man die Klappe halten soll, damit Lüge und Verrat nicht auffliegen. Tut man’s nicht, wird einem ebenfalls Verrat vorgeworfen. Das ist doch total bescheuert. Pervers. Und ehrlich gesagt: Dafür stelle ich mich gern auch noch vier Stunden länger auf die Bühne und zelebriere diese Form von Voodoo und Exorzismus.

Welt Online: Sie sind ja noch radikaler als Fassbinder es war!

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Beglau: Nein, das bin ich nicht. Der Fassbinder war schon ziemlich echt. Wenn es in seinen Filmen ans Eingemachte geht, wird immer gelitten, gezappelt, krakeelt, geliebt und begehrt und zwar voll und ganz. Das bewundere ich.

Welt Online: Als Fassbinder „Petra von Kant“ geschrieben hat, waren Sie…

Beglau: …1972 war ich gerade mal ein Jahr alt. Schade. Den hätte ich schon gern kennengelernt.

Welt Online: Hätten Sie auch mit ihm gearbeitet?

Beglau: Er hätte jedenfalls gut gepasst in die Reihe der Regisseure, die ich im Theater liebe wie Einar Schleef, Frank Castorf, Christoph Schlingensief, Klaus Michael Grüber. Künstler, die sich mit ihrer Arbeit aussetzen und keine Angst haben, sich die Finger schmutzig zu machen.

Welt Online: Klingt, als ob man das nicht unbedingt immer haben müsste.

Beglau: Darüber denkt man in dem Moment nicht nach. Du bist dabei oder eben nicht. Und wenn man dabei ist, ist man hundertprozentig dabei. Du machst was, zum Beispiel mit Schlingensief oder Castorf, und schon bist du in der Mausefalle drin.

Welt Online: Vielleicht hätten Sie Fassbinder ja in der Pfeife geraucht. Sehen Sie’s doch mal so.

Beglau: Ich glaube, Fassbinder hat alles gefordert, besonders emotional. Solchen Menschen kann man sich nicht einfach so entziehen. Es würde auch keinen Sinn machen, denn es war Teil der Arbeit, sich dem ganz und gar auszusetzen.

Welt Online: Er hat seine Entourage, die Schauspieler um ihn herum, nicht viel anders behandelt als Petra von Kant ihre Dienerin Marlene – auf Zuwendung folgte Demütigung.

Beglau: Der Typ war, glaube ich, so eine Art Lebensregisseur. Der hat solange an den Schauspielern rumgebastelt, bis sie genau das geworden sind, was er meinte, dass sie sein sollten. Er hat sie ja auch im wirklichen Leben „gemacht“ – Hanna Schygulla, Irm Herrmann, Margit Carstensen und so weiter.

Welt Online: Das Faszinierende ist, dass er nicht nur für diese Leute wichtig gewesen ist, die ihn wie Satelliten umkreisten.

Beglau: Nein, er war einer von denen, die an den Stuhl- und Tischbeinen dieses gerade wieder aufgebauten Staates gerüttelt haben, der den Leuten gesagt hat: Lasst mal los! Macht mal auf! Zeigt, wer Ihr seid. Woher Ihr kommt. Man muss sich vorstellen, wie damals geliebt worden ist. Da kam Vati nach Hause, hat Bussi, Bussi gemacht – derselbe Mann, der vor ein paar Jahren womöglich Kindern in den Kopf geschossen hat. Ich bin froh, dass ich nicht zu denen gehöre, die ihren Vater fragen mussten: Und wen hast Du in den Kopf geschossen? Da an den Grundfesten zu rütteln, war bestimmt nicht angenehm für eine Gesellschaft, die sich nach dem Dritten Reich durch die Wirtschaftswunderjahre gefressen hatte. Aber es musste sein. Insofern waren die 70er eine große und wichtige Zeit. Und Fassbinder ein wichtiger Protagonist.

Welt Online: Nur die Sache mit der freien Liebe, auch so ein Fetisch der 70er, war wohl nicht das Gelbe vom Ei. Es sieht im Gegenteil so aus, als wäre uns da was abhandengekommen – wenn man mal guckt, wie Sie in „Petra von Kant“ fast bis zur Selbstaufgabe die großen Gefühle beschwören.

Beglau: Als wir angefangen haben zu proben, hatte ich einen Gedanken: Ich wollte auf der Bühne sichtbar machen, wie die Seele weint. Martin Kusej hat mir diesen Raum gegeben. Er weiß, was es heißt, zu verletzen und verletzt zu werden. Grundsätzlich muss man heute ja vor allem funktionieren, um im Alltag überleben zu können. Da ist es nicht leicht, sich über die Wahrhaftigkeit von Gefühlen klar zu werden.

Welt Online: Und den Rest, was wir an Gefühlen noch haben, verdaddeln wir im Internet?

Beglau: Im Internet werden eher sexuelle Dinge verhandelt, oder? Und es gibt Leute, die ganz viel schreiben – treffen die sich auch? Was ist das Suchen ohne die Intention des Findens? Ich glaube, Fassbinder wäre oft im Internet gewesen, um zu suchen, aber auch, um die Dinge Realität werden zu lassen. Menschen werden immer versuchen, sich zu treffen. Im Internet, in der Zeitung, in der Sauna oder anderswo. Ich glaube, das beruhigt mich eher.

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