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Wissenschaft Frühgeschichte

Affäre mit Folgen – So hat der Mensch den Neandertaler geprägt

Die Nachbildung eines älteren Neandertalers steht im Neanderthal-Museum in Mettmann (Nordrhein-Westfalen). Foto: Federico Gambarini Die Nachbildung eines älteren Neandertalers steht im Neanderthal-Museum in Mettmann (Nordrhein-Westfalen). Foto: Federico Gambarini
Die Gene des Neandertalers wurden durch Gene des Homo sapiens gestärkt
Quelle: dpa-infocom GmbH
Die Neandertaler hatten eine intensivere und vielseitiger Beziehung zum Homo sapiens als bisher angenommen. Forscher haben jetzt die DNA analysiert – und einen erstaunlichen Genfluss festgestellt. Das gilt besonders für gemeinsame Mischlingskinder.

Die gemeinsame Geschichte von Menschen und Neandertalern ist wesentlich verwobener als bisher angenommen – und reicht viel weiter zurück. Frühere Vermischungen zwischen beiden Menschenarten führten dazu, dass der Homo neanderthalensis sowohl die mütterlich vererbte mitochondriale DNA des Homo sapiens übernahm als auch das väterlich weitergegebene Y-Chromosom. Dies geschah vermutlich vor 100.000 bis 370.000 Jahren, wie Wissenschaftler um Martin Petr vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in der Zeitschrift „Science“ berichten.

Bislang gehen Forscher davon aus, dass sich die Vorfahren des modernen Menschen vor etwa 600.000 bis 700.000 Jahren von einer anderen Gruppe abspalteten, die Afrika schon früh verließ. Von dieser Gruppe stammen sowohl die Neandertaler ab, die Eurasien besiedelten, als auch die Denisova-Menschen, die im östlichen Asien lebten. Bekannt war bereits, dass moderne Menschen nach dem Verlassen Afrikas vor 40.000 bis 80.000 Jahren mit Neandertalern Nachkommen zeugten. Daher tragen alle heutigen Nicht-Afrikaner etwa 1,5 bis zwei Prozent Neandertaler-Erbgut in sich.

Der nun aufgedeckte Genfluss reicht weiter zurück und verlief in umgekehrter Richtung – vom Menschen zum Neandertaler. Die wenigen Neandertaler, von denen bislang Erbgut vollständig sequenziert worden war, waren weiblichen Geschlechts. Hier hatte bereits der Befund für Erstaunen gesorgt, dass deren Mitochondrien-Erbgut (mtDNA) dem des modernen Menschen stark ähnelt. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke der Körperzellen und haben eine eigene DNA, die ausschließlich über die weibliche Linie vererbt wird.

Bei einer Neandertaler-Frau, deren 400.000 Jahre alte Überreste in der nordspanischen Höhle Sima de los Huesos gefunden wurde, ähnelt diese mtDNA noch der von Denisova-Menschen. Daraus folgern Forscher, dass dieses Erbgut erst später durch menschliche mtDNA ersetzt wurde; schätzungsweise vor 350.000 bis 150.000 Jahren. Generell lag das übertragene menschliche Erbgut in der Zellkern-DNA der Neandertaler bei etwa fünf Prozent.

Nun rekonstruierte das Team um Petr mit einem neuen Verfahren das Erbgut der Y-Chromosomen von drei Neandertaler- und zwei Denisova-Männern – ebenfalls mit erstaunlichem Resultat. Demnach war bei diesen Neandertalern, die vor 40.000 bis 50.000 Jahren in West-, Mittel- und Osteuropa lebten, auch das Y-Chromosom vollständig durch das des Menschen ersetzt, nicht aber bei den Denisova-Menschen.

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Aufgrund geschätzter Mutationsraten gehen die Forscher davon aus, dass dies vor grob 370.000 Jahren bis vor spätestens 100.000 Jahren geschah, also möglicherweise parallel zum Austausch der mtDNA. Die ältesten Belege für den Homo sapiens sind etwa 300.000 Jahre alt. Das eingebrachte Erbgut stammt also möglicherweise von einer Vorläuferpopulation des modernen Menschen, die damals nach Eurasien gelangte.

„Die neue Studie klärt wichtige Fragen, aber wirft noch mehr neue auf“, schreibt Mikkel Heide Schierup von der dänischen Universität Aarhus in einem „Science“-Kommentar. „Sie zeigt eindeutig, dass sowohl männliche als auch weibliche H. sapiens zum Genfluss beitrugen und deutet damit darauf hin, dass sowohl Populationen von H. sapiens als auch von Neandertalern Mischlingskinder akzeptierten.“

Dass Neandertaler sowohl die menschliche mtDNA als auch das Y-Chromosom – also ausgerechnet jene Erbgut-Teile, die nur über eine Linie vererbt werden – vollständig übernahmen, sei erklärungsbedürftig. „Ein schnelles und vollständiges Ersetzen sowohl des Y-Chromosoms als auch des Mitochondriums scheint zu viel Koinzidenz, um allein durch Zufall entstanden zu sein“, betont Schierup und verweist auf den relativ kleinen Beitrag des Homo sapiens zum Zellkerngenom der Neandertaler. Dazu müsse natürliche Auslese beigetragen haben.

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Möglicherweise, so spekuliert das Team um Petr, hätten die Neandertaler aufgrund ihrer relativ kleinen Bevölkerung durch Inzucht eher nachteilige Genvarianten angehäuft, gegenüber denen das menschliche Y-Chromosom und auch die mtDNA Vorteile boten – etwa in Bezug auf die Fruchtbarkeit. Modellrechnungen zeigen, dass selbst geringfügige Unterschiede ausreichen könnten, damit sich ein vorteilhaftes Merkmal über Zehntausende oder gar Hunderttausende Jahre in einer Population durchsetzen kann.

Diese Fragen könnten schon bald untersucht werden, sagt Co-Autorin Janet Kelso, falls man Y-Chromosom-Sequenzen von frühen Neandertaler-Männern rekonstruieren könne - etwa von den gut 400 000 Jahre alten Überresten aus der Höhle Sima de los Huesos in Spanien. Die Sequenzen müssten, so die Vorhersage, denen der Denisova-Menschen stärker ähneln als denen des modernen Menschen.

Neandertaler waren sehr viel klüger als gedacht

Dass Neandertaler einst vom klügeren Homo sapiens verdrängt wurden, hält sich hartnäckig. Doch Höhenmalereien in Spanien zeigen, dass unsere Vorfahren sehr wohl zu abstraktem Denken oder Kunst fähig waren.

Quelle: WELT/Thomas Laeber

dpa

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