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Natur & Umwelt Juchtenkäfer und Co.

Das sind Deutschlands mächtigste Blockade-Tiere

Verantwortliche Redakteurin
Wer wagt es, sich Bulldozern und Baggern entgegenzustellen? Umweltgutachter Richard Raskin über kleine Tiere, die große Bauvorhaben blockieren.

Großtrappen, Kammmolche, Gelbbauchunken, Wachtelkönige, Uhus. Es sind Arten, die kaum ein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Trotzdem machen sie sich bemerkbar – und wie. Es sind Deutschlands mächtigste Tiere. Knapp 300, oft unbeachtete Tierarten haben bedeutende Bauprojekte gestoppt oder sogar ganz zu Fall gebracht.

Kammmolche verhinderten den Bau der Autobahn A49 in Hessen. Kleine braune Wachtelkönige stoppten den Bau einer Wohnsiedlung in Hamburg. Großtrappen zwingen die Deutsche Bahn, eine ICE-Strecke durchs Havelland umzuplanen und für jeden Vogel 273.000 Euro in den Artenschutz zu investieren. Berühmt ist inzwischen die Kleine Hufeisennase – die Fledermaus war lange Zeit die schärfste Waffe gegen die Waldschlösschenbrücke in Dresden.

Der Aachener Umwelt-Experte und Biologe Richard Raskin kennt alle diese Geschichten von David gegen Goliath, vom Hamsterchen gegen den Caterpillar. Er begutachtet die Lage, wenn kleine Tiere Großbaustellen in die Quere kommen – Raskin vermittelt zwischen Mensch und wilder Kreatur, er betreibt ein florierendes Büro für Landschaftsplanung.

Dass sich eine Hamsterhöhle gegen ein Großentwicklungsprojekt behaupten kann, hätte Raskin sich vor Jahren kaum träumen lassen. Aber seit dem „Hamster-Krieg“ von Nordrhein-Westfalen hat er Routine darin, Hamsterhöhlen an Feldwegen zu zählen. Er ermittelt, wann Fledermäuse am liebsten ausschwärmen, er beobachtet Nager, Vögel, Amphibien, Käfer, und er hört dem leisen Uh… uh… uh… der Gelbbauchunke zu.

Welt Online: Treffen sich ein Feldhamster und ein Caterpillar-Fahrer zum Armedrücken. Wer gewinnt?

Richard Raskin: Ich würde sagen, der Feldhamster. Er sitzt am längeren Hebel. Er ist mächtiger. Für seinen Sieg braucht er nicht einmal persönlich anzutreten. Das hat der Fall Avantis in Aachen gezeigt. 1998 sollte dort im deutsch-holländischen Grenzegebiet ein riesiger Gewerbepark entstehen. Doch auf dem Gelände wollten Umweltschützer Löcher vom Feldhamster entdeckt haben. Dass diese Löcher längst verlassen waren, haben sie vermutlich übersehen.

Um den Feldhamster war es damals schlecht bestellt in Deutschland, die Intensivierung der Landwirtschaft hat ihn vielerorts fast ausgerottet, im Aachener Raum hatte ich ihn 1995 zum letzten Mal gesehen. Ich sollte damals als Gutachter die Umweltverträglichkeit des Projektes prüfen. 12.000 Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. Doch die Hamsterfreunde entdeckten immer mehr Hamsterbaue. Ein Gutachter kam auf 300. Der Kollege hat wohl die Messlattenlöcher auf der Baustelle als Hamster-Fallröhren gedeutet.

Der Streit zog sich über Jahre hin, doch irgendwann rollten dann die Bagger – unter der Bedingung, dass Avantis bis ins Jahr 2022 in der Region dem Feldhamster auf die Beine hilft. Die Firma muss „Hamster-Ausgleichsflächen“ anlegen und pflegen.

Welt Online: Und jetzt?

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Raskin: Das Geld hat den Hamstern genützt. Jetzt sind sie wieder da. Zuerst in Holland, seit Kurzem auch in Deutschland. Der Gewerbepark dagegen stand lange fast leer. Aber so langsam füllt er sich.

Welt Online: Wie viele Tiere sind in Deutschland so einflussreich wie die Hamster?

Raskin: Wir sprechen von „planungsrelevanten Arten“. Das sind in Nordrhein-Westfalen 213, bundesweit mehr als 300, über die Hälfte davon sind Vögel. Viele Amphibien sind darunter, die Kreuzkröte, die Gelbbauchunke, aber auch Insekten und Käfer.

Welt Online: Sind Insekten genauso wichtig wie Vögel?

Raskin: Bevor die Tiere Baustellen aufhalten können, muss sie jemand entdecken. Das ist bei seltenen Tieren schwierig genug, bei Käfern und Insekten noch schwieriger. Vögel zwitschern und balzen, Feldhamster graben Gänge. Der Rothalsige Düsterkäfer wächst unter der Baumrinde heran und wird nur ein bis zwei Wochen alt. Oft finden seltene Tiere ihre kleine Nische, wo sie niemand vermutet. Die Gelbbauchunke zum Beispiel, ein kleiner Lurch, der eigentlich in ruhigen Bächen lebt. Doch unsere begradigten Gewässer sind für die Tiere unbewohnbar geworden. Und so ist die Gelbbauchunke umgezogen – und zwar in Steinbrüche. Das haben wir durch Zufall entdeckt. Wir fanden eine hochgradig bedrohte Population von Unken ausgerechnet in einem Steinbruch in der Nordeifel, der aufgefüllt werden sollte. Manchmal ist es kurios: Der Mensch will die ursprüngliche Natur wieder herstellen – und gerät in Konflikt mit Tieren, die es sich in der Baustelle gemütlich gemacht haben.

Welt Online: Kleine Lurche zwischen Baggerschaufeln und Lkw-Reifen. Klingt irgendwie erdrückend…

Raskin: Wir sorgen dafür, dass trotz der Bauarbeiten die Unken immer ein paar kleine Pfützen und Tümpel im Steinbruch behalten dürfen. Das klappt so gut, dass dort gerade die größte Population von Gelbbauchunken im Raum Aachen heranwächst. Manchmal kann Artenschutz auch erfreulich einfach sein.

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Welt Online: Haben Sie es schon erlebt, dass Tiere eine Baustelle komplett verhindern?

Raskin: Das kommt sehr selten vor. Einmal hat ein Dorf seine Umgehungsstraße nicht bekommen, weil ein seltener Vogel dort brütete. Meistens gibt es einen Kompromiss. Auf einen bin ich besonders stolz: Moderne Windräder sind so hoch und so schnell, dass sie Fledermäuse töten. Wir haben die Windräder in Fledermausgebieten mit Sensoren versehen, die aufzeichnen, wann es am häufigsten zu Unfällen kommt. Und jetzt werden die Windräder in den Nächten des Fledermauszugs heruntergefahren. Eine kleine Änderung der Steuerung reicht. Die Tiere bevorzugen glücklicherweise windstille Nächte.

Welt Online: Manchmal kann es ganz schön teuer werden. Wenn Autobahnen betroffen sind, zum Beispiel…

Raskin: Manchmal kann ein Fahrradweg schwieriger sein als eine Autobahn. Ganz groß in Mode ist es momentan, Radwege auf stillgelegten Bahntrassen zu bauen, wo sich häufig Tiere niederlassen, die die Ruhe lieben. Wir prüfen gerade einen Radweg, der durch die Eifel führen soll, durch eine Moorlandschaft, in der das seltene Birkhuhn lebt. Diese Art ist offiziell in NRW ausgestorben, doch direkt an der belgischen Grenze überwintern noch die letzten Exemplare. Die Vögel sind extrem scheu, die Radfahrer würden sie vertreiben. Das wäre viel verheerender, als die drei Kilometer neue Autobahn, die im Ruhrgebiet entstehen soll. Dort brütet die seltene Wasserralle. In einem Regenrückhaltebecken – mitten im Hauptverkehrsraum, zwischen Gewerbegebieten, Autobahnen, Siedlungen. Die A44 sollte direkt am Wasserrallen-Nest vorbeiführen.

Welt Online: Das haben Sie verhindert?

Raskin: Ach was. 200 Meter weiter gab es ein leeres Becken. Das wurde geflutet und bepflanzt. Ein wunderbarer Ersatzlebensraum. Aber vielleicht bleibt die Wasserralle auch einfach da, wo sie ist.

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