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Warum Wespen jetzt besonders aggressiv sind

Gerade beim Kuchenessen sind Wespen in diesen Tagen besonders ungern gesehene Gäste Gerade beim Kuchenessen sind Wespen in diesen Tagen besonders ungern gesehene Gäste
Gerade beim Kuchenessen sind Wespen in diesen Tagen besonders ungern gesehene Gäste
Quelle: pa
Große Völker, hungrige Königinnen und gefräßige Drohnen zwingen die Arbeiterinnen jetzt zur aggressiven Futtersuche.

Das Versteck ist perfekt gewählt: Die Larve des Kornkäfers liegt gut getarnt in einem Getreidekorn in einem riesigen Speicher. Das nützt ihr aber wenig. Die Lagererzwespe Lariophagus findet die Larve durch deren Geruch über eine Distanz von mehreren Metern. Das Weibchen dieser Wespenart bohrt ihren Legebohrer in das Getreidekorn und legt ein Ei neben die Käferlarve - die Wespenlarve entwickelt sich schneller als die des Kornkäfers und frisst diese schließlich auf.

Wespen wie die Lagererzwespe sind ideale Mitarbeiter der biologischen Schädlingsbekämpfung - der kommerzielle Einsatz lohnt in Korn-, Reis-, Mais- und Tabakspeichern. Denn die Wespen sind hoch spezialisiert: Die Lagererzwespe etwa befällt den Kornkäfer - und nur den. Unerwünschte Nebeneffekte sind ausgeschlossen.

Eine andere Art, Ixodiphagus , die zeckenfressende Wespe, legt ihre Eier in den Körper der Nymphe, einer frühen Entwicklungsform der Zecke. Die stirbt, bevor die Wespen schlüpfen. Jetzt wollen Wissenschaftler auch diese Wespenart gezielt züchten, um so Zecken mit einer Biowaffe endlich in den Griff zu bekommen. Von diesen wenigen Beispielen abgesehen, sind die Wespen allerdings eher unwillkommen - vor allem jetzt, in der "Wespenbelästigungszeit", in der die Wespen auch an den reichlich gedeckten Kaffeetisch kommen.

Der Grund ist einfach: Die Nester haben ihre maximale Größe erreicht, bis zu 12.000 Tiere können in einem einzigen Volk leben. Die Menge an Brut, die gefüttert werden muss, hat ihr Maximum erreicht. Auch Drohnen und Königinnen müssen ernährt werden. In keiner Zeit des Jahres muss so viel Nahrung herangeschafft werden wie im Augenblick.

Dabei sammeln die Wespen nicht nur Zucker in Form von Nektar, Obst oder auch Limonade - sondern auch Fleisch. Sie können aus dem zähesten Steak ein großes Stück heraustrennen und durch die Luft abtransportieren. Dabei fressen die Arbeiterinnen das Fleisch nicht selbst. Sie machen daraus einen Brei und verfüttern ihn an die Larven - aber auch an Königinnen und an Drohnen (die Männchen). Die Arbeiterinnen selbst begnügen sich mit dem Zuckerwasser.

In Schlechtwetterperioden mit Futterknappheit passiert dagegen im Wespennest etwas Merkwürdiges: Die Arbeiterinnen betteln ihre eigene Brut an - und bekommen von den Larven einen Futtersaft angeboten, den diese vorher aus dem Fleischbrei gebildet haben. "Die Larven sind der Futterspeicher des Wespenvolks", sagt Melanie von Orlow vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Der Futtersaft der Larven hat damit dieselbe Funktion wie der Honig der Bienen - denn Wespen legen keine Vorräte an. Eine besonders skurrile Note bekam der Futtersaft, als die Japanerin Naoko Takahashi bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney den Marathonlauf der Frauen gewann: Die Sportlerin war legal "gedopt": mit dem Futtersaft der Riesenhornisse. Seither hat man von dieser Dopingmethode allerdings nichts mehr gehört.

Auch wenn ein Wespenvolk mehr als 10 000 Tiere groß ist, auch wenn ihr Nest groß wie eine Kiste Bier werden kann - im Herbst löst sich das Volk auf, der aufwendige Bau wird aufgegeben, und die Tiere verenden. Im Gegensatz zu Bienen, von denen mehrere Tausend sich im Winter zu einer durch ihre Körperwärme beheizten Traube zusammenballen, erleben nur Wespenköniginnen den Winter.

Im Frühjahr versuchen sie, ein neues Nest zu bauen und ein eigenes Volk zu gründen. "Das Überwintern selbst ist nicht das entscheidende Problem, der Neustart im Frühjahr schon", sagt von Orlow. "Denn die Königinnen werden von Vögeln gefressen, von Krankheiten wie Parasiten, Pilzen und Bakterien dezimiert - und sie leiden beim Nestbau unter schlechtem Wetter mit Kälte und Regen."

Und wenn eine Königin es nicht rechtzeitig geschafft hat, ihr Nest zu bauen, versucht sie, ein anderes Nest mit Gewalt zu übernehmen. Meist wird eine der beiden Königinnen getötet - manchmal sogar beide. Und bei der Abwehrschlacht sterben nicht selten auch viele der frisch geschlüpften Arbeiterinnen. Wegen dieser enormen Verluste werden im Spätsommer im Volk zahlreiche Königinnen gebildet. "Mehrere Tausend können es werden", sagt von Orlow.

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Sehr viel besser haben es die Nachfahren der Wespen, die im Zweiten Weltkrieg nach Neuseeland kamen. "Sie sind versehentlich mit Rüstungsgütern exportiert worden und haben sich dort wegen der paradiesischen Zustände stark vermehrt", sagt von Orlow. "Die Wespen stießen dort auf 'Honigtauwälder' - Wälder, in denen Läuse quasi rund um das Jahr süße Pflanzensäfte ausscheiden." Das erstaunlichste ist aber: Wegen des milden Klimas haben die Wespen dort ihren normalen Sommer-Winter-Rhythmus aufgegeben: Sie lösen ihr Nest einfach nicht mehr auf, sondern bleiben auch im Winter zusammen.

Da aber im Winter nicht mehr alle Tiere absterben, haben sich die Völker massiv vergrößert: "Mehrjährige Nester, wie sie inzwischen auch in Kalifornien und auf den Inseln Hawaiis beobachtet werden, können durchaus eine Million Wespen stark sein", sagt von Orlow. Sie geht davon aus, dass die Klimaerwärmung auch in Europa solche Völker hervorbringen wird.

Doch so weit ist es noch nicht: Noch geht jedes Volk im Herbst unter. Im Spätsommer, in der Zeit, in der das Volk am größten ist, wird der Exodus vorbereitet. Jetzt schlüpfen auch die Drohnen. Ihre einzige Aufgabe ist es, Königinnen zu befruchten. Beim Hochzeitsflug lässt sich die Königin von mehreren Männchen begatten - und bewahrt deren Spermien dann in ihrem Körper bis zum Frühling auf. Nach der Befruchtung der jungen Königinnen suchen sich diese einen geschützten Ort zum Überwintern. Und das Volk mit Tausenden von Wespen löst sich langsam auf.

Der kunstvolle Bau wird im nächsten Jahr nicht mehr wieder verwendet - wie gut er sich auch immer erhalten haben mag. Aber Wespennester sind sowieso nicht für die Ewigkeit gebaut: Statt haltbaren Wachses (wie es etwa Bienen tun) verwenden Wespen eine Art Papier. Die Nester sind leicht und hauchdünn. Meist sind sie geschützt im Erdboden - in alten Mausgängen etwa.

Wenn die Wespen allerdings einen geschützten Platz über der Erde finden, etwa in einem Schuppen oder Dachboden, bauen sie auch oberirdisch, meist versteckt hinter einer Verschalung oder auch gern in einem Rollladenkasten. Im Winter sind diese kunstvollen Nester dann allerdings wieder leer und verlassen. Und im Frühling suchen junge Wespen ein neues Zuhause.

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