Heft 2 - Sauerländer Heimatbund e.V.
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ISSN 0177 - 8110 K 2767<br />
Nr. 2/Juni 2010 Zeitschrift<br />
des <strong>Sauerländer</strong><br />
<strong>Heimatbund</strong>es<br />
SAUERLAND<br />
Blick auf<br />
Nieder- und Obermarsberg um 1900
Sponsoren<br />
HELLER&C<br />
Branding/Corporate Identity
SAUERLAND NR. 2/2010 55<br />
SAUERLAND Nr. 2/Juni 2010<br />
Zeitschrift des<br />
<strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>es<br />
Die Stadt Marsberg und der <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong> laden zum<br />
28. August 2010 um 10.00 Uhr<br />
zur Mitgliederversammlung des<br />
<strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>es für das Kurkölnische Sauerland<br />
in die Schützenhalle Niedermarsberg ein.<br />
Im östlichen Teil des Kurkölnischen Sauerlandes, nahe der hessischen Landesgrenze<br />
gelegen, haben sich die Heimatfreunde in Marsberg mit großem<br />
Engagement dafür eingesetzt, den hoffentlich sehr zahlreichen Gästen einen<br />
informativen Heimattag zu präsentieren, der höchsten Ansprüchen<br />
genügen soll und sicherlich neben dem an diesem Wochenende stattfindenden<br />
Stadtfest eine Bereicherung für Marsberg darstellt.<br />
Über die notwendigen Tagesordnungspunkte und Regularien einer Jahreshauptversammlung<br />
hinaus wird in seinem Festvortrag der Präsident des<br />
Landearchivs NRW Prof. Dr. Wilfried Reininghaus die „Bedeutung des<br />
Bergbaus für das Sauerland“ näher beleuchten.<br />
Zum Mittagessen mit dem traditionellen Eintopfgericht in der Schützenhalle<br />
Niedermarsberg sind alle herzlich eingeladen und können danach gestärkt<br />
jeweils mit Bussen die reizvollen und vielfältigen Exkursionen unter fachkundiger<br />
Führung nach eigener Wahl unternehmen:<br />
1. Besucherbergwerk Kilianstollen<br />
– Besuchererlebnis der geheimnisvollen Welt im Berginnern –<br />
2. Obermarsberg – die alte Stadt auf dem Berge<br />
600 Jahre Mittelpunkt an der Glinde und Diemel<br />
3. Kloster Bredelar / Theodorshütte<br />
– Zisterzienserabtei, Eisenhütte, Begegnungs- und Kulturzentrum –<br />
4. Ring Padberg<br />
Rundgang durch einen kleinen Ort mit großer Geschichte<br />
5. Biogasanlage Marsberg – Leitmar<br />
Projekte der Stadtwerke Marsberg<br />
Den Plattdeutschen Gottesdienst um 17.00 Uhr in der Propsteikirche St.<br />
Magnus zelebriert geistlicher Rat Pfarrer i. R. Franz Schnüttgen. Der Superintendent<br />
des evangelischen Kirchenkreises, Pfarrer Alfred Hammer, wird<br />
ein Grußwort an uns richten.<br />
Parkplätze für die erwarteten zahlreichen Gäste stehen reichlich an der<br />
Schützenhalle Marsberg, Am Schützenberg 29, zur Verfügung.<br />
Auf ein Wiedersehen mit heimatlichen Grüßen<br />
Ihre<br />
Dieter Wurm Hubertus Klenner<br />
1. Vorsitzender Bürgermeister Stadt Marsberg<br />
<strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong><br />
Aus dem Inhalt<br />
Geschichte<br />
Zur Geschichte Marsbergs S. 60<br />
Traditionsabbruch und<br />
Neubeginn S. 69<br />
Kirchrarbach sucht<br />
seine „Wurzeln“ S. 82<br />
Akt der Versöhnung zwischen<br />
Deutschen und Franzosen S. 91<br />
Natur • Landschaft • Siedlung<br />
Besucherbergwerk Kilianstollen S. 64<br />
Eichengallen im Sauerland S. 93<br />
Ein begehrter Brutplatz S. 96<br />
Sprache und Literatur<br />
Plattdeutsch geht ins Internet S. 88<br />
Religion und Glaube<br />
Ein jüdischer Grabstein auf<br />
dem Esloher Kirchplatz? S. 89<br />
Heimat • Kultur<br />
Marsberg als Wirtschafts-, Gesundheits-<br />
u. Tourismusstandort S. 56<br />
Vom Kloster zum Kultur- und<br />
Begegnungszentrum S. 66<br />
Albert Renger-Patzsch,<br />
der Fotograf vom Möhnesee S. 77<br />
„… und das ist für einen<br />
Mann Pferde-Arbeit.“ –<br />
Melchior Ludolf Herold<br />
zum 200. Todestag S. 84<br />
Rezensionen • Personalien<br />
BÜCHER · SCHRIFTTUM S. 97<br />
PERSONALIEN S. 101<br />
Unser Titelbild zeigt Nieder- und Obermarsberg<br />
um 1900 nach einer Ansichtspostkarte.<br />
Die Accessoires wurden einem Vignettenbuch<br />
aus dem gleichen Zeitraum entnommen.<br />
Gestaltung: Hans Wevering
56 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Marsberg als Wirtschafts-, Gesundheits- u. Tourismusstandort<br />
Fakten und Ausblicke<br />
Die Stadt Marsberg liegt auf 200 m<br />
bis 600 m über NN am Rande der sauerländischen<br />
Mittelgebirgslandschaft.<br />
Die hessische Landesgrenze ist nicht<br />
weit entfernt und bis Paderborn sind es<br />
nur knapp 30 km. Marsberg bildet die<br />
östliche Eingangspforte zum Sauerland<br />
und ist mit seinen 22.000 Einwohnern<br />
und einer Fläche von 182 km² seit Jahren<br />
ein Anlaufpunkt für viele begeisterte<br />
Besucher.<br />
Marsberg befindet sich in wunderschöner<br />
grüner Umgebung. Die Stadt<br />
liegt verkehrsgünstig an der A 44 zwischen<br />
Dortmund und Kassel und sorgt<br />
somit für eine schnelle Anbindung an<br />
das Ruhrgebiet. Die BAB 33 zwischen<br />
Osnabrück und Bad Wünnenberg verbindet<br />
die BAB 30/BAB 2 mit der BAB<br />
44. Zusätzlich zu den drei Bahnhaltepunkten<br />
in Marsberg ist eine Anbindung<br />
an den ICE-Haltepunkt Kassel gegeben.<br />
Diese hervorragende Verkehrsanbindung<br />
und die direkte Nähe zum Flughafen<br />
Paderborn/Lippstadt in 35 km Entfernung,<br />
machen Marsberg zu einer der<br />
interessantesten Städte in der Region.<br />
Der Wirtschaftsstandort Marsberg<br />
hat nach wie vor einiges zu bieten. Wir<br />
haben gute mittelständische Unternehmen,<br />
besitzen eine exzellente Infrastruktur<br />
und leben in einer landschaftlich sehr<br />
reizvollen Lage, wo andere gerne Urlaub<br />
machen würden. Die Menschen,<br />
die hier wirken – Arbeiter wie Unternehmer<br />
– bringen nicht nur ihr Know-how<br />
ein. Nein, sie zeigen Initiative und Kreativität.<br />
Sie vertrauen auf Ihre Leistungsfähigkeit.<br />
Marsberg bietet durch seine<br />
Lage im Wirtschaftsraum Hochsauer-<br />
land/Ostwestfalen ideale Voraussetzungen<br />
für Unternehmen und Investoren.<br />
Große Gewerbeflächen sowie eine gute<br />
nationale und internationale Verkehrsanbindung<br />
– besonders durch die Öffnung<br />
der Grenzen im Osten – stehen zur<br />
Verfügung.<br />
Ein besonderes Highlight für die zukunftsweisende<br />
Ausrichtung der Stadt<br />
ist der Windpark in Meerhof, der mit seinen<br />
Anlagen umweltfreundlich Strom<br />
erzeugt.<br />
Neben renommierten Großunternehmen<br />
des verarbeitenden Gewerbes, bilden<br />
leistungsstarke Handwerks- und<br />
mittelständische Betriebe das wirtschaft-<br />
von Bürgermeister Hubertus Klenner<br />
Bilsteinturm, Marsberg<br />
liche Rückgrat der Stadt. Hier finden Sie<br />
international agierende Unternehmen<br />
aus den Bereichen:<br />
• Glasverarbeitung<br />
• Kunststoffverarbeitung<br />
• Metallverarbeitung<br />
• Papierverarbeitung<br />
• Schutzbekleidung<br />
• Stahlbetonfertigteile<br />
Eines der größten ansässigen Unternehmen<br />
ist die Ritzenhoff AG, eine der<br />
renommiertesten Glasfabriken Deutschlands,<br />
international bekannt für seine<br />
kunstvollen Designergläser.<br />
Die A 44 (Dortmund – Kassel) an der Autobahnausfahrt Marsberg Windpark in Marsberg-Meerhof
SAUERLAND NR. 2/2010 57<br />
Dem Endverbraucher<br />
weniger bekannt<br />
dürften die WEPA-Papierfabrik<br />
und die Heitkamp<br />
& Thumann<br />
Group sein. Dabei begegnen<br />
einem die Produkte<br />
bzw. Teilprodukte<br />
dieser beiden<br />
Unternehmen fast täglich<br />
im Haushalt in<br />
Form von u. a. Papiertaschentüchern<br />
und<br />
Küchenrollen oder Batterien<br />
für den Milchaufschäumer.<br />
Auch das Bierbrauen<br />
hat in Marsberg eine<br />
lange Tradition. Die<br />
Produkte der Gräflich<br />
zu Stolberg’schen Brauerei<br />
Westheim werden<br />
regelmäßig u. a. seitens<br />
der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft<br />
(DLG) prämiert.<br />
Viele unserer heimischen Firmen<br />
wollen künftig im Standort Marsberg<br />
weiter investieren. Bei all den Aktionen<br />
und Investitionen geht es um den Erhalt<br />
und die Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
bzw. Unterstützung der heimischen<br />
Wirtschaft.<br />
Für mich stellen sich in diesem<br />
Zusammenhang folgende Fragen:<br />
• In welchem Bereich entstehen<br />
in Zukunft die meisten<br />
Arbeitsplätze?<br />
• Wo steckt das Potenzial für<br />
Marsberg?<br />
Ein wesentliches Ziel hierbei ist, den<br />
demografischen Wandel für Marsberg<br />
positiv zu gestalten!<br />
Die demografische Entwicklung betrifft<br />
nicht nur einen begrenzten Personenkreis.<br />
Vielmehr geht sie uns alle<br />
an, weil es jeden betrifft. Sie zieht sich<br />
wie ein roter Faden durch fast alle Bereiche<br />
des öffentlichen und privaten Lebens.<br />
Wir müssen uns dieser Herausforderung<br />
stellen. Und da sind wir auf<br />
die Hilfe von allen gesellschaftlichen<br />
Schichten angewiesen. Allein ist es von<br />
der Politik und Verwaltung nicht zu<br />
schaffen.<br />
Glasbläser der Firma Ritzenhoff in Marsberg (1987)<br />
Gesundheit und Vitalität ist der Megatrend<br />
der nächsten Jahrzehnte. Eine Generation<br />
der vitalen Alten wächst heran.<br />
Die Menschen werden älter und vitaler,<br />
aber auch weniger. Dies zeigt ein Ergebnis<br />
eines von der Bertelsmann-Stiftung<br />
in der Stadt Marsberg durchgeführten<br />
Demografie-Trainings, an dem Vertreter<br />
aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung<br />
teilgenommen haben.<br />
Gesundheit und Vitalität in Verbindung<br />
mit Tourismus zeigt Nischenmärkte<br />
auf, die es gilt zu entwickeln. Dies<br />
geht als Ergebnis aus vielen empirischen<br />
Untersuchungen hervor.<br />
Große touristische Unternehmen haben<br />
es bereits erkannt und entwickeln<br />
entsprechende Angebote im Gesundheitstourismus.<br />
Ein Thema, welches wir<br />
besetzen, und mit Politik, Verwaltung,<br />
Bürgerschaft und der Marsberger Ärzteschaft<br />
gemeinsam entwickeln sollten.<br />
Vielleicht heißt es in Zukunft:<br />
Marsberg – Heimat vitaler<br />
Generationen –<br />
Im Juli 2008 wurde der Prozess der<br />
„Zukunftsinitiative Gesundheitsstandort<br />
Marsberg“ angestoßen. Zunächst sollte<br />
geprüft werden, ob und wie sich die<br />
Stadt Marsberg als Gesundheitsstandort<br />
im vorhandenen Umfeld etablieren<br />
Fotos: Karl Jochen Schulte<br />
kann. Dieser Prozess ging jedoch weit<br />
über die ursprünglich geplante Erstellung<br />
einer Standortkonzeption hinaus.<br />
Durch die Zusammenarbeit von Vertretern<br />
Marsberger Unternehmern, des somatischen<br />
Krankenhauses „St.-Marien-<br />
Hospital“, der Einrichtungen des Landschaftsverbandes<br />
Westfalen-Lippe, der<br />
niedergelassenen Ärzte und Apotheker<br />
und der Politik wurden verschiedene<br />
Projekte angestoßen. Im Wesentlichen<br />
verfolgt die Initiative zwei Ziele:<br />
• Sicherung und Schaffung von<br />
Arbeitsplätzen im Bereich Gesundheit,<br />
• Sicherstellung einer medizinischen<br />
Versorgung für die Bevölkerung<br />
einschließlich der präventiven<br />
Gesundheitsvorsorge, z. B. im betrieblichen<br />
Gesundheitswesen.<br />
Marsberger<br />
Gesundheitsstiftung<br />
Auf Initiative des Hospizvereins Marsberg<br />
wurde kürzlich die Marsberger Gesundheitsstiftung<br />
gegründet. Mit dieser<br />
Stiftung wird die Förderung der Gesundheit<br />
auf ein breites bürgerschaftliches<br />
Engagement gestellt. Die Stiftung ist als<br />
eine Bürgerstiftung angelegt, in der Unternehmen<br />
sowie auch Privatpersonen<br />
als Stifter tätig werden können. Bereits
58 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
kurze Zeit nach Gründung dieser Stiftung<br />
ist aus einer Vielzahl von Kleinspenden<br />
ein Kapital in Höhe von über<br />
140 000,- EUR angewachsen. Weitere<br />
Spenden sind bereits zugesagt.<br />
Ein weiteres Ziel muss sein, weitere,<br />
bisher nicht – oder nur wenig geförderte<br />
Wirtschaftszweige zu erkennen und<br />
auszubauen. Der Tourismus hat in den<br />
letzten Jahrzehnten ein Schattendasein<br />
in Marsberg geführt. Dabei hat Marsberg<br />
landschaftlich, geschichtlich, kulturell<br />
und auch sportlich viel zu bieten.<br />
Meiner Meinung nach ist Marsberg die<br />
bisher unentdeckte Perle des Sauerlandes!<br />
Wir haben Potenziale im Bereich Gesundheit<br />
und Tourismus – oder nennen<br />
wir es auch Gesundheitstourismus. Um<br />
der weiteren Entwicklung Vorschub zu<br />
leisten, wurde z. B. ein B-Planänderungsverfahren<br />
schnell und ohne Probleme<br />
abgearbeitet, um einem Investor<br />
die Möglichkeit zu schaffen, aus dem<br />
ehemaligen Schwesternwohnheim am<br />
St. Marien-Hospital ein Appartement-<br />
Hotel zu errichten.<br />
Gemeinsam mit dem Landschaftsverband<br />
Westfalen-Lippe, erfolgte eine<br />
EU-weite Ausschreibung, um Investoren<br />
für den geplanten Ferienpark „Gut<br />
Wieringsen“ zu gewinnen.<br />
Am Freizeitstandort Marsberg aktiv<br />
zu werden fällt nicht schwer. Marsberg<br />
bietet zahlreiche Möglichkeiten Sport zu<br />
treiben und sich fit und gesund zu halten.<br />
Dank der üppigen Waldgebiete<br />
rund um den Naturpark Diemelsee wird<br />
die Region auch als grüne Lunge bezeichnet.<br />
Genießen Sie beispielsweise<br />
eine Wanderung auf Diemelsteig oder<br />
der Sauerland Waldroute. Auch bietet<br />
sich die Möglichkeit des Fährschiffwanderns<br />
am Diemelsee. Wandern Sie eine<br />
Hälfte zu Fuß und legen sie die andere<br />
Hälfte mit dem Motorschiff „Muffert“<br />
zurück.<br />
Auch auf Hermanns Pfaden können<br />
sie wandern. Die Hermannshöhen (Egge-<br />
und Hermannsweg) führen von<br />
Marsberg bis nach Rheine.<br />
Eine Erfahrung der ganz besonderen<br />
Art ist das Naturerlebnis Wald. Der 3,5<br />
km lange Naturerlebnispfad führt Besucher<br />
über Feuchtbiotope und Wasserflächen<br />
und ermöglicht neue Einblicke<br />
in das Waldleben.<br />
Insgesamt bieten in Marsberg 38 Vereine<br />
und viele verschiedene Indoor- und<br />
Outdoor-Sportstätten eine große Auswahl<br />
an Freizeitmöglichkeiten:<br />
• Beachvolleyball<br />
• Bogenschießanlage<br />
• Fußball<br />
• Golf (9+6-Loch-Platz)<br />
• Hallenbad (inkl. Indoor-<br />
Badelandschaft, Ruheräume,<br />
Sauna, Solarien)<br />
• Nordic Walking/Wandern<br />
(z. B. Diemelsteig)<br />
• Radfahrwege<br />
• Reiten<br />
• Skaterbahn<br />
• Tennisplätze/-halle<br />
• Turniergerechte Minigolfanlage<br />
• Wassersport (u. a. Kanu fahren,<br />
Schwimmen, Segeln, Surfen,<br />
Tauchen)<br />
Wohnen in Marsberg ist attraktiv –<br />
wir haben viel Platz. Marsberg ist bekannt<br />
für seine hohe Wohn- und Lebensqualität.<br />
Sofort bebaubare, bereits<br />
erschlossene Grundstücke in sehr guter<br />
Lage und in allen Ortsteilen, beste Anbindungen<br />
an den öffentlichen Nahverkehr<br />
sowie ein hervorragendes Wohnumfeld,<br />
geprägt durch Grünflächen,<br />
Sport- und Freizeiteinrichtungen, bilden<br />
das Herzstück der Stadt.<br />
Blick auf den Diemelsee<br />
Vor allem das sehr gute Angebot an<br />
sozialer Infrastruktur unterstreicht die<br />
Familienfreundlichkeit Marsbergs und<br />
garantiert flächendeckend die schulische<br />
Ausbildung und Förderung Ihrer Kinder.<br />
In Marsberg finden Sie:<br />
• Zahlreiche Tageseinrichtungen für<br />
Kinder (davon bisher zwei zertifizierte<br />
Familienzentren).<br />
• Die Betreuungswünsche der Eltern<br />
für unter dreijährige Kinder konnten<br />
bisher zu fast 100 Prozent erfüllt<br />
werden.<br />
• Mehrere Grundschulen mit offenem<br />
Ganztagsangebot.<br />
• Hauptschule, Realschule, Bilinguales<br />
Gymnasium/ Europaschule.<br />
• Förderschule mit dem Schwerpunkt<br />
„Lernen“.<br />
Marsberg ist somit als<br />
Familienstandort auch<br />
äußerst attraktiv!<br />
Zweimal im Jahr herrscht ein buntes<br />
Treiben in der Marsberger Innenstadt.<br />
Im Frühjahr und im Herbst ist Kirmeszeit.<br />
Fahrgeschäfte, Los- und Schießbuden,<br />
Würstchen- und Süßwarenstände<br />
u. v. m. bevölkern die Innenstadt. Am<br />
letzten Tag des Allerheiligenmarktes findet<br />
immer ein historischer Umzug mit<br />
Musik, Märchenfiguren, Oldtimern usw.<br />
statt.
SAUERLAND NR. 2/2010 59<br />
Im Sommer locken z. B. das Stadtfest<br />
oder Konzerte auf dem Kirchplatz Menschen<br />
in die Innenstadt.<br />
Nicht zu vergessen sind natürlich die<br />
traditionellen Schützenfeste, die von<br />
Mai bis August in den einzelnen Ortsteilen<br />
stattfinden. Aber auch die Narren<br />
feiern in einigen Ortsteilen ausgelassen<br />
ihren Karneval.<br />
Zur Weihnachtszeit finden in vielen<br />
Ortsteilen kleine charmante Weihnachtsmärkte<br />
statt. Der weltweit größte<br />
Adventskranz mit seinen vier Adventskerzen<br />
strahlt zu dieser Zeit über die<br />
ganze Stadt.<br />
Auch nach 1.200 Jahren erfindet<br />
sich die Stadt immer wieder neu. Die Innenstadt<br />
Marsbergs ermöglicht Einkaufen<br />
und Bummeln in historischer<br />
Umgebung. Schöne Fachwerkhäuser<br />
und liebevoll gestaltete Geschäfte vermitteln<br />
ein besonderes Flair und die vielfältigen<br />
gastronomischen Angebote von<br />
Restaurants und Cafés laden zum Verweilen<br />
ein. Zudem ermöglichen mehr<br />
als 1.000 kostenlose Parkplätze jederzeit<br />
einen entspannten Spaziergang<br />
„Vogelnest“ im Naturerlebnis Wald in Marsberg-Meerhof<br />
durch die geschichtsträchtigen Stadtteile<br />
von Marsberg.<br />
Sicherlich stehen wir, gerade im sog.<br />
Bereich Gesundheitstourismus, erst am<br />
Anfang, aber die ersten kleinen Pflänzchen<br />
sind gesetzt. Damit sie wachsen<br />
können, benötigen sie Pflege, Düngung<br />
Wichtige Änderungen im Vorstand unseres<br />
<strong>Heimatbund</strong>es stehen bevor<br />
und Wasser. Will heißen: Sie brauchen<br />
Unterstützung und Mitarbeit. In einem<br />
guten Miteinander aller Kräfte aus Politik,<br />
Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft<br />
werden wir unsere Stärken in<br />
Marsberg weiter festigen und ausbauen!<br />
Unser l. Vorsitzender Dieter Wurm wird sich nach zwölfjähriger Amtszeit in der kommenden<br />
Mitgliederversammlung am 28. August nicht noch einmal zur Wiederwahl stellen. In der letzten<br />
Vorstandssitzung erklärte er, dass die Ärzte ihm aus gesundheitlichen Gründen geraten<br />
hätten, dieses anspruchsvolle Amt aufzugeben. Außerdem werde er in diesem Jahr 75 Jahre<br />
alt. Jeder, der die enge Verbindung unseres Vorsitzenden zur Heimatpflege kennt, wird<br />
sich vorstellen können, wie schwer ihm diese Erklärung nach zwölf Jahren erfolgreicher Arbeit<br />
für unser kurkölnisches Sauerland gefallen sein muss.<br />
Der Vorstand nahm mit großem Bedauern, aber auch mit Verständnis die Erklärung zur<br />
Kenntnis. Als Nachfolger schlägt er der Mitgliederversammlung den langjährigen Bürgermeister<br />
der Stadt Olsberg Elmar Reuter vor. Viele Heimatfreunde kennen ihn als den Gastgeber<br />
der letzten Mitgliederversammlung.<br />
Auch unsere stellvertretende Vorsitzende Wilma Ohly, die ebenfalls schon zwölf Jahre im<br />
Amt ist, möchte sich nicht noch einmal zur Wahl stellen. Der Vorstand, der ihr für ihr großes<br />
Engagement in der Heimatarbeit dankte, schlägt als Nachfolgerin die Ortsheimatpflegerin<br />
von Attendorn Frau Birgit Haberhauer-Kuschel vor.<br />
Red.
60 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Zur Geschichte Marsbergs<br />
Befasst man sich mit der Geschichte<br />
Marsbergs, so kommt man nicht umhin,<br />
in besonderer Weise auf die ehemalige<br />
Stadt Obermarsberg einzugehen. Denn<br />
sie hat im Rahmen der übergeordneten<br />
Machtverhältnisse und Zeitströmungen<br />
über Jahrhunderte hinweg die Geschicke<br />
für den Marsberger Bereich beeinflusst<br />
und mitbestimmt.<br />
Obermarsberg liegt auf einem nach<br />
drei Seiten steil abfallenden Bergplateau<br />
von etwa 400 Meter über dem Meeresspiegel.<br />
Nur über den südlichen Sattel<br />
von Giershagen, Flechtdorf, Korbach<br />
her hat sie einen natürlichen Zugang.<br />
Bei einer Länge von etwa 1 km und einer<br />
Breite von etwa einem ½ km bot<br />
dieses Gelände auf dem Berg in der<br />
früheren Zeit genug Raum für Häuserbau,<br />
Garten- und Felderanbau, Schutz<br />
vor anrückenden Feinden sowie aufgrund<br />
günstiger geologischer Voraussetzungen<br />
das lebenswichtige Wasser.<br />
Erste Hinweise auf menschliches Leben<br />
fanden sich in Form von Feuersteinklingen<br />
in der Nähe des Ortes in der<br />
sogenannten Weißen Kuhle etwa aus<br />
der Zeit 14 000 v. Chr.. 1)<br />
Keramikfragmente der jungsteinzeitlichen<br />
Michelsberger Kultur, gefunden<br />
im Bereich der Stiftskirche, lassen eine<br />
Höhensiedlung im 4./3. Jahrtausend<br />
vor Chr. vermuten. Allerdings könnten<br />
Ausgrabungen diese Theorie durch Hinweise<br />
auf Gebäude noch erhärten.<br />
Eine Untersuchung in einer Baugrube<br />
eines Grundstückes ebenfalls in der<br />
Nähe der Stiftskirche, die von A. Doms<br />
(WMfA, Außenstelle Bielefeld) geleitet<br />
wurde, ergab im Süden Anhaltspunkte<br />
für einen Felsausbruch, der möglicherweise<br />
als Befestigungsgraben festgestellt<br />
werden könnte. Hinter diesem Felsausbruch<br />
befanden sich 3 in etwa parallele<br />
Pfostenreihen von jeweils 3 bzw. 4 Pfosten.<br />
Die Mächtigkeit der Pfosten lässt<br />
die Existenz eines Grabens und einer<br />
Befestigung als Holz-Erde-Wall möglich<br />
erscheinen. 2)<br />
Nach einem C 14-Datum (Holzkohle)<br />
wird diese Anlage nun der vorrömischen<br />
Eisenzeit zugerechnet. 3)<br />
In den „Fränkischen Annalen“ wurde<br />
der Ort „Eresburg“ genannt, abgeleitet<br />
möglicherweise von Erzberg oder auch<br />
von einem altgermanischen Kriegsgott<br />
Er, Eru, Eri.<br />
Die Eresburg war im Besitz des Stammes<br />
der heidnischen Sachsen. Sie wurde<br />
jedoch im Jahre 772 n. Chr. von Karl<br />
d. Großen und seinen Franken erobert,<br />
wieder verloren und zurückerobert. Er<br />
zerstörte der Geschichte nach das Heiligtum<br />
der Sachsen, die Irminsul, baute<br />
an deren Stelle eine Kirche und richtete<br />
einen Benediktiner-Konvent ein. Ein<br />
Nachweis für den Standort Irminsul<br />
konnte bislang nicht erbracht werden.<br />
785 weilte Karl d. Große vom Jahresanfang<br />
bis Juni auf der Eresburg und feierte<br />
dort mit seiner Familie das Osterfest.<br />
Das Heer lagerte in festen Unterkünften<br />
in der Umgebung. Daraus lässt<br />
sich schließen, dass der Ort militärisch<br />
gut gesichert und auch für einen Aufenthalt<br />
Karls entsprechend ausgestattet<br />
war. 4)<br />
Die Übertragung des Eresberges und<br />
damit auch des Benediktinerstiftes mit<br />
seinen Besitzungen an die Reichsabtei<br />
Corvey 826 durch Ludwig d. Frommen,<br />
eines Sohnes Karls d. Großen, wurde in<br />
der Forschung im Zusammenhang mit<br />
reichen Bodenschätzen in den Lagerstätten<br />
entlang der Diemel gesehen. 5)<br />
Vor diesem Hintergrund muss auch<br />
die Entwicklung des Ortes Horhusen<br />
Stiftskirche mit ehemaligem Kloster<br />
von Hermann Runte<br />
(Niedermarsberg), gelegen im Tal der<br />
Diemel unterhalb des Eresberges, gesehen<br />
werden. Bodenschätze und die günstige<br />
Verkehrslage, es kreuzten sich hier<br />
zwei wichtige Fernstraßen, die von Norden<br />
über Paderborn kommende und<br />
nach Hessen führende ‚via regia’ (Weinstraße)<br />
und der vom Rhein kommende<br />
und über Olpe und Brilon führende ‚Römerweg’,<br />
der dann weiter über Warburg<br />
zur Weser verlief, ließen Horhusen zu einem<br />
wichtigen Handelsort aufsteigen.<br />
900 verlieh dann Ludwig III, auch<br />
Ludwig das Kind genannt, den Corveyer<br />
Äbten, die Rechte, in Horhusen öffentliche<br />
Märkte abzuhalten, von den<br />
eingebrachten Waren Zoll zu erheben<br />
und Münzen prägen zu lassen. 6)<br />
In einer Urkunde von 962 wird durch<br />
Otto d. Großen den Einwohnern Horhusens<br />
erlaubt, das Recht der Kaufleute<br />
des Königshofes Dortmund für sich in<br />
Anspruch zu nehmen. Diese kaufmännischen<br />
Gewohnheitsrechte und die königlichen<br />
Rechtsverleihungen bildeten<br />
später die Grundlagen des Stadtrechtes. 7)<br />
Einen gravierenden Einschnitt für die<br />
Marsberger Geschichte bedeutete die<br />
Einbeziehung in den Kölner Einflussbereich<br />
1180.<br />
Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe<br />
war nach einer Klage der Fürsten vor
SAUERLAND NR. 2/2010 61<br />
Kaiser Friedrich der Reichsacht verfallen,<br />
und er verlor daraufhin die Reichslehen.<br />
Das anschließend geschaffene<br />
Herzogtum Westfalen fiel dem Erzbischof<br />
von Köln zu.<br />
Der zu Corvey gehörende Eresberg<br />
ragte daraufhin wie eine Insel aus dem<br />
Kölner Gebiet heraus.<br />
Doch schon 1198 stellte sich Corvey<br />
unter den Schutz des Kölner Erzbischofs<br />
und 1230 einigten sich Corvey und<br />
Köln, und Obermarsberg gehörte gegen<br />
Bezahlung zur Hälfte zu Köln. 1507 erlangte<br />
Köln die Herrschaft über ganz<br />
Obermarsberg mit Ausnahme des Benediktinerstiftes.<br />
Um das Jahre 1220 zogen viele Bürger<br />
Horhusens (Niedermarsberg), dazu<br />
gehörten auch vor allem die wohlhabenden<br />
Handelsleute, auf den sicheren Berg.<br />
Für die Bürger waren die häufigen<br />
Überschwemmungen von Diemel und<br />
Glinde und das aufkommenden Raubrittertum<br />
Gründe für den Umzug, aber<br />
auch Corvey und Köln scheinen in ihren<br />
Interessen nichts gegen eine Umsiedlung<br />
gehabt zu haben, möglicherweise<br />
haben sie sie forciert.<br />
Gleichzeitig bauten die Bürger die<br />
Stadtmauern und Türme aus und errichteten,<br />
da sie sich der Jurisdiktion des Pa-<br />
derborner Bischofs entzogen hatten, die<br />
Nikolaikirche mit einem Sitz für den Archidiakon<br />
des Bischofs von Paderborn.<br />
Sie begannen den Bau der Kirche aus<br />
der Zeit heraus im Übergangsstil und<br />
bauten sie in die Gotik hinein. Einmalig<br />
in ihrem Erhalt, in ihrem klar zu erkennenden<br />
Verlauf und in ihrer feinen Ornamentik<br />
ist sie heute unter dem Namen<br />
„Nikolaikirche, eine Perle der Frühgotik“<br />
weithin bekannt.<br />
Die auf den Berg gezogenen Bürger<br />
von Horhusen bildeten mit den bisherigen<br />
Bewohnern der Eresburg eine<br />
Stadtgemeinde mit dem Namen Mons<br />
Martis oder Mersburg. Sie wählten sich<br />
einen Magistrat aus 12 Mitgliedern,<br />
Consules genannt, und aus diesen einen<br />
Bürgermeister oder Proconsul. 8)<br />
Die Bürger konnten nun unbeeinträchtigt<br />
ihren Gewerben nachgehen<br />
und sich dem weiteren Ausbau ihrer<br />
Kommune widmen.<br />
Die Kaufleute beteiligten sich im 14.<br />
und 15. Jahrhundert auch am Fernhandel.<br />
Als die Gefahren für Fernhändler<br />
wuchsen, schlossen sich die Städte<br />
zusammen und gründeten die Städtehanse.<br />
Dabei konnten sie auf die Erfahrungen<br />
mit den verschiedenen Landfriedensbündnissen<br />
im 13. und 14. Jahrhundert<br />
zurückgreifen. Für das 15. Jahr-<br />
hundert sind Hansekaufleute aus Attendorn,<br />
Menden, Marsberg und Rüthen in<br />
Flandern und Brabant nachgewiesen. 9)<br />
Zu den bedeutendsten Ausfuhrartikeln<br />
müssen Textil- und Metallwaren<br />
gehört haben.<br />
Besonders begehrt waren wohl die<br />
Produkte der Marsberger Panzerschmiede.<br />
Die Ursprünge dieses Handwerks<br />
reichen bis in das 12. Jahrhundert<br />
zurück. In großem Umfang wurde dieses<br />
Handwerk auf dem Berg ausgeübt.<br />
Rüststrümpfe, Panzerhemden für Ritter,<br />
Reisige und Knappen wurden hergestellt.<br />
Später waren die in den Hammerwerken<br />
an Diemel und Glinde hergestellten<br />
Geschütze und Kanonenkugeln<br />
gefragt. 10)<br />
Reformationszeit<br />
Das 16. Jahrhundert war geprägt von<br />
tiefen gesellschaftlichen und religiösen<br />
Umwandlungsprozessen. Ein Grund mit<br />
war die zunehmende Bedeutung der<br />
Städte.<br />
In Marsberg scheint schon in den<br />
vierziger Jahren die Reformation Einzug<br />
gehalten zu haben. Die schwierigen politischen<br />
und kirchlichen Verhältnisse<br />
kamen in dieser Zeit den neuen Ideen<br />
sehr entgegen.<br />
Stadtmauer Südportal der Nikolaikirche
62 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Das Kloster Corvey hatte die Propstei<br />
in Besitz. Zünfte und Bürger hatten im<br />
Laufe der Zeit der Propstei vielfach Dotationen<br />
in Form von Vermögen, Stiftungen,<br />
Memorien und Vikarien zukommen<br />
lassen. Insofern nahmen viele Anteil<br />
an dem Geschehen in der Propstei.<br />
Paderborn war im Besitz der Diözesanrechte<br />
und übte die Archidiakonatsgerichtsbarkeit<br />
aus. Die Landeshoheit<br />
aber lag bei Kurköln.<br />
Auch der Magistrat der Stadt Obermarsberg<br />
nutzte vielfach die teilweise<br />
rechtlich verworrene Lage aus, um seine<br />
Ansprüche durchzusetzen. Unter diesen<br />
Verhältnissen blieben Machtkämpfe<br />
nicht aus.<br />
Hinzu kam, dass seit Jahrhunderten<br />
politische und wirtschaftliche Beziehungen<br />
zwischen Marsberg und der<br />
Grafschaft Waldeck bestanden. Schon<br />
1526 ließ Graf Philipp III das Kloster<br />
Arolsen säkularisieren und leitete damit<br />
eine Welle der Aufhebungen der Klöster<br />
ein. Durch die unmittelbare Nähe dieses<br />
protestantischen Landes war Marsberg<br />
dem ersten Andrang der Neuerungen<br />
ausgesetzt. 11)<br />
In der Folgezeit wehrten sich Bürger<br />
und Magistrat mit „aller Gewalt“ dagegen,<br />
wie es in einem Brief an den Abt<br />
von Corvey heißt, einen katholischen<br />
Pfarrer anzustellen, sobald das Kloster<br />
Corvey, der Erzbischof von Köln oder<br />
der Bischof von Paderborn diesbezüglich<br />
Einfluss nehmen wollten.<br />
Vom Kloster Corvey aus ist in dieser<br />
Zeit allerdings kaum ein Bemühen zu erkennen,<br />
dem Protestantismus ernsthaft<br />
entgegenzutreten.<br />
Die Rekatholisierung setzte zwar allgemein<br />
nach dem Amtsantritt Ernst von<br />
Bayern als Kurfürst und Erzbischof von<br />
Köln ein, doch erst unter seinem Nachfolger<br />
Ferdinand von Bayern (*1577-<br />
†1650) wurden weit energischere Maßnahmen<br />
gegen die Bürger getroffen, die<br />
der lutherischen Lehre anhingen.<br />
Er befahl, in seinen Bistümern nur katholische<br />
Bürgermeister und Ratsherren<br />
zu wählen, katholische Küster und Lehrer<br />
anzustellen, nur zweifellos katholische<br />
Personen zu Zünften und Gilden<br />
zuzulassen und dafür zu sorgen, dass die<br />
Lehrbücher nichts gegen die katholische<br />
Religion enthielten. Weiter wurden<br />
strenge Vorschriften über die Spendung<br />
der hl. Sakramente der Taufe, der Ehe,<br />
der Buße und der Ölung sowie über das<br />
Begräbnis der Nichtkatholiken u. a. erlassen.<br />
Allmählich zeitigten die Maßnahmen<br />
und Anordnungen Wirkung. Viele Lutheraner<br />
verließen teilweise auch unter<br />
Zwang die Oberstadt und ließen sich in<br />
der benachbarten Grafschaft Waldeck<br />
nieder.<br />
Jahrzehnte hat es gedauert, bis der<br />
katholische Glaube wieder hergestellt<br />
war. Eine sichere Einordnung lässt sich<br />
nicht klar erkennen. Im Jahre 1615<br />
wurde der lutherische Magistrat durch<br />
eine kurfürstliche Kommission abgesetzt.<br />
12) Um 1630 gab es wohl nur noch<br />
ganz wenige evangelische Familien in<br />
der Stadt.<br />
Die Reformationswirren haben der<br />
Stadt großen materiellen Schaden gebracht.<br />
Viele Familien und zwar vielfach<br />
die reichsten und unabhängigsten wanderten<br />
aus. Ihre Häuser blieben teilweise<br />
leer und verfielen. Gewichtiger waren<br />
noch die geistigen Nachteile. Die kirchliche<br />
Ordnung war untergraben. Die<br />
Moral der Geistlichen und auch der<br />
Mönche ließ zu wünschen übrig. Sie gingen<br />
teilweise ihren Pflichten nur nachlässig<br />
nach und kümmerten sich nicht<br />
angemessen um die Sakramente. Für<br />
Obermarsberg war es ein Aderlass<br />
schon vor dem bzw. teilweise im 30jährigen<br />
Krieg. 13)<br />
30-jähriger Krieg<br />
ches deutscher Nation. Neben den<br />
furchtbaren Kriegsgräueln entvölkerten<br />
infolge davon auch Seuchen und Hungersnöte<br />
ganze Landstriche.<br />
Auch unser Land und insbesondere<br />
Marsberg blieben davon nicht verschont.<br />
In der ersten Hälfte kamen nur<br />
versprengte Kriegsleute durch die Stadt.<br />
Dann wurden größere Trupps Kaiserlicher<br />
in die Stadt Obermarsberg ins<br />
Quartier gelegt. Mit der Zeit wuchs die<br />
Zahl der Einquartierten, die untergebracht<br />
werden mussten. Schließlich wurde<br />
die Stadt ständige Garnison. Viele<br />
Unannehmlichkeiten hatten die Bürger<br />
in der Folge zu ertragen. Geschichten<br />
und Romane berichten darüber.<br />
Ab 1632 wurden wiederholt von Seiten<br />
der Hessen Versuche gemacht, die<br />
Stadt einzunehmen. Doch konnten sich<br />
die Bürger erfolgreich verteidigen, teilweise<br />
allerdings wurden dabei Mauern<br />
und Häuser stark beschädigt und die Eisenschmelzhütten<br />
an der Glinde für Jahre<br />
unbrauchbar gemacht.<br />
Eine Wende trat 1646 ein, als ein<br />
schwedisches Heer von ungefähr<br />
20 000 Soldaten unter der Führung des<br />
Feldmarschalls Karl Gustav von Wrangel<br />
nach der Eroberung der Städte Höxter<br />
und Paderborn auf mehrfache Bitte der<br />
Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen<br />
auf Marsberg zumarschierte, die<br />
Oberstadt einschloss und belagerte. Die<br />
Armee bezog ein Feldlager auf dem Erlinghäuser<br />
Gelände. Im Süden zwischen<br />
Marsberg und Giershagen wurden die<br />
Geschütze aufgefahren. Um auch das<br />
Altenstädter Tor und auch das Stift be-<br />
Der 30-jährige<br />
Krieg begann<br />
als Religionskrieg<br />
infolge<br />
der Spannungen<br />
zwischen<br />
den katholischen<br />
und protestantischen<br />
Ständen, und er<br />
mündete in eine<br />
europäische<br />
Macht-auseinandersetzung<br />
auf dem Gebiet<br />
und auf Kosten<br />
des heiligen römischen<br />
Rei- Beschießungsplan der Stadt
SAUERLAND NR. 2/2010 63<br />
schießen zu können, wurden auch auf<br />
dem Wulsenberg Kanonen in Stellung<br />
gebracht.<br />
Am 25. Mai 1646 wurde das Feuer<br />
eröffnet. Den ersten Angriff konnten<br />
Bürger und Besatzung noch abwehren,<br />
doch dann kapitulierten die Kaiserlichen.<br />
Der Kommandant und die Offiziere<br />
erhielten freien Abzug zugebilligt. Die<br />
Mannschaften wurden sofort in die Reihen<br />
der Schweden und Hessen eingruppiert.<br />
Sämtliche Geschütze, Gewehre<br />
und das Pulver fielen in die Hände der<br />
Eroberer.<br />
Schlimmer aber noch wüteten die<br />
Soldaten 10 Tage lang unter den Einwohnern.<br />
Sämtliches Getreide, die Nahrungsmittel<br />
und das Vieh wurden ihnen<br />
weggenommen. Den Bürgermeister<br />
führte man gefesselt aus der Stadt, um<br />
möglichst viel Geld für ihn von den Bürgern<br />
zu erpressen. Die Mauern wurden<br />
geschliffen.<br />
Als die Bürger sogleich nach dem Abzug<br />
der Soldaten daran gingen, die Mauern<br />
wieder aufzubauen, kehrten die<br />
Truppen zurück und zündeten die Stadt<br />
an allen vier Ecken an. Etwa 200 Häuser<br />
gingen in Flammen auf, auch das Stift,<br />
die Schule und das Rathaus mit dem<br />
wertvollen Archiv wurden in der Folge<br />
ein Raub der Flammen. Die Stiftskirche<br />
sprengte man mit Pulver in die Luft.<br />
Die Beispiele von Marsberg und anderen<br />
Städten belegen in unterschiedlicher<br />
Weise, dass die Städte im 17. Jahrhundert<br />
auch bei höchstem Einsatz ihrer<br />
kampfeswilligen Bürger nicht mehr in<br />
der Lage waren, einem hochgerüsteten<br />
und zahlenmäßig weit überlegenen Angreifer<br />
allein entgegenzutreten. 14)<br />
Folgen des 30-jährigen Krieges<br />
Fast vierhundert Jahre hatte die<br />
Oberstadt bis dahin die Geschicke Marsbergs<br />
bestimmt. Doch die schweren<br />
Kontributionen, die bis in die 1650-er<br />
Jahre gezahlt werden mussten, und die<br />
hohen Kosten, die aufgebracht werden<br />
mussten, um in den Folgejahren die Einquartierung<br />
durchziehender Heere zu<br />
verhindern sowie die völlige Zerstörung<br />
und die Schleifung der festen Werke, die<br />
der Oberstadt ihre Bedeutung gegeben<br />
hatten, der Rückgang der Bevölkerung<br />
schon zu Zeiten der Reformation, erst<br />
Hochaltar in der Stiftskirche – Eine prächtige Barockarbeit aus der Werkstatt Heinrich und<br />
Christophel Papen, fertig gestellt 1719<br />
recht durch die Verluste im 30-jährigen<br />
Krieg, und die allmähliche Abwanderung<br />
von Menschen in die Altenstadt<br />
(Niedermarsberg), die ihnen Möglichkeiten<br />
zur Arbeit bot, hatten die Stadt fundamental<br />
geschwächt.<br />
Die Altenstädter sahen nun immer<br />
wieder die Möglichkeit, die völlige Lösung<br />
von der Oberstadt durchzusetzen.<br />
Doch der Magistrat kämpfte verbissen<br />
um seine Rechte, pochte auf seine alten<br />
Privilegien, ließ sie sich trotz aller Widrigkeiten<br />
auch immer wieder vom Kurfürsten<br />
bestätigen und setzte auf diese<br />
Weise seinen politischen Machtanspruch<br />
durch.<br />
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde<br />
mit der Säkularisation das Benediktinerstift,<br />
das von Karl d. Großen gegründet<br />
wurde, aufgehoben, und das<br />
kurkölnische Herzogtum Westfalen fiel<br />
an Hessen-Darmstadt. 1807 verlor die<br />
Stadt für immer ihre alten Justizrechte,<br />
indem die Hessische Regierung in Obermarsberg<br />
ein Justizamt errichtete.<br />
1808 wurde die Schultheißenordnung<br />
eingeführt und damit erhielt die Altenstadt<br />
endlich nach fast 600 Jahren<br />
wieder ihre Selbständigkeit.<br />
1815 kam das Herzogtum Westfalen<br />
unter preußische Regierung und 1827<br />
wurde schließlich auch das Justizamt<br />
nach Niedermarsberg verlegt.<br />
Die Stadt Obermarsberg verlor das<br />
große Ansehen, das sie infolge der vielen<br />
Freiheiten und Privilegien, der selbständigen<br />
Stellung des Rates und der sicheren<br />
Befestigungen der Stadt vor dem<br />
30-jährigen Krieg besessen hatte, und<br />
sank zu einer kleinen Landstadt herab.<br />
15)<br />
1975 musste sie auch die Stadtrechte<br />
abgeben und wurde ein Ortsteil von<br />
Marsberg.<br />
Doch mit ihren historischen Kirchen,<br />
dem Rathaus mit dem Schandpfahl, den<br />
Stadtmauerresten und herrlichen Ausblicken<br />
vom Berg aus ist sie ein Juwel<br />
der Region.<br />
Literaturhinweise:<br />
1) Morlo, Hans, Nachträge und Ergänzungen zum<br />
Marsberger Höhlenbruch. In: Speläologisches<br />
Jahrbuch 2001 – 2004. Iserlohn-Letmathe<br />
2006, S. 101<br />
2) Lukanow, Sigrid, Ausgrabungen und Funde in<br />
Westfalen-Lippe, Beiheft 1: Fundchronik<br />
3)<br />
Hochsauerlandkreis 1948 – 1980, Münster<br />
1988, S. 33 - 35<br />
Stephan Hans-Georg, Die Siedlungsgeschichte<br />
von Marsberg-Horhusen im Mittelalter und in<br />
der frühen Neuzeit. In: Marsberg Horhusen,<br />
Stadtgeschichte aus 11 Jahrhunderten, Marsberg<br />
2000, S. 23
64 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
4) wie Anm. 3), S. 21<br />
5) Grothe, Anja, Die Villa Twesine – Neue<br />
Erkenntnisse zu einem früh- und hochmittelalterlichen<br />
Kupferverhüttungs- und Siedlungsplatz<br />
6)<br />
bei Marsberg, In: Westfalen – <strong>Heft</strong>e für Geschichte,<br />
Kunst und Volkskunde 78 (2000), S. 5<br />
Stadelmaier, Rupert, Beiträge zur Geschichte<br />
Marsbergs, hrsg. und bearbeitet von Heinrich<br />
Klüppel und Dr. Hubert Schmidt, Marsberg o. J.,<br />
S. 43<br />
Besucherbergwerk Kilianstollen<br />
7) Tönsmeyer, Hans Dieter, Die Marsberger Schützen<br />
in kurkölnischer Zeit, Festschrift zum 550jährigen<br />
Jubiläum der St. Peter und Paul Schützenbruderschaft<br />
Obermarsberg 1448 e. V.,<br />
Marsberg 1998, S. 15<br />
8) wie Anm. 6), S. 77<br />
9) wie Anm. 7), S. 34/35<br />
10) wie Anm. 6), S. 284<br />
11) Müller, Helmut, Marsberg im Zeitalter der Glaubenskämpfe.<br />
In: Marsberg Horhusen, Stadtge-<br />
schichte aus 11 Jahrhunderten, Marsberg 2000,<br />
S. 208<br />
12) wie Anm. 7), S. 69<br />
13) Hagemann, Ludwig, Aus der Geschichte der<br />
kath. Pfarrgemeinden Marsbergs, Geschichtliche<br />
Aufsätze aus alten und neuen Tagen, Niedermarsberg<br />
o. J., S. 109/110<br />
14) wie Anm. 7), S. 71<br />
15) wie Anm. 6), S. 161<br />
Besuchererlebnis der geheimnisvollen Welt im Berginnern von Alfred Tack<br />
Das Besucherbergwerk „Kilianstollen“<br />
erinnert an die tausend Jahre alte Tradition<br />
des Kupferbergbaus im Raum Marsberg<br />
und ist seit mehr als 25 Jahren interessante<br />
Sehenswürdigkeit, die inzwischen<br />
von über 200.000 Besuchern<br />
aufgesucht wurde.<br />
Nachdem zu Beginn der 80er Jahre<br />
die Idee aufkam, mit der Restaurierung<br />
des Mundlochs auf die frühere Bedeutung<br />
des Kupferbergbaus aufmerksam<br />
zu machen, ergriff der Marsberger <strong>Heimatbund</strong><br />
e. V. 1982 die Initiative zur<br />
Schaffung eines Besucherbergwerkes.<br />
Es konnte dank großzügiger Unterstützung<br />
– Amt für Denkmalpflege,<br />
Stadt Marsberg, Bergamt Siegen, Gesellschaft<br />
Kupferbergbau Stadtberge<br />
und Arbeitsverwaltung – bereits am 26.<br />
Mai 1984 der Öffentlichkeit vorgestellt<br />
werden. Hinzu kamen zahlreiche Spenden<br />
und Mitgliedsbeiträge, insbesondere<br />
auch Sachspenden befreundeter Steinkohlebergwerke.<br />
Das Besucherbergwerk beschränkte<br />
sich zunächst auf das einstige Grubenfeld<br />
„Oskar“. Nach insgesamt 7-jähriger<br />
Herrichtungszeit, in der auch die demontierte<br />
Grubenbahn wieder eingebaut<br />
wurde, komplettierte am 23. April<br />
1988 die Eröffnung des Grubenfeldes<br />
„Friederike“ das Besucherwerk „Kilianstollen“,<br />
das seither kunsthistorisch wie<br />
zeitgeschichtlich interessierten Besuchern<br />
das frühere Geschen unter Tage<br />
vermittelt sowie die schweren Arbeitsbedingungen<br />
nachempfinden lässt. Damit<br />
ist das Besucherbergwerk ein Kleinod<br />
vergangener Bergbaugeschichte. Anhand<br />
von altem „Gezähe“ sowie Expo-<br />
naten werden nicht nur die Kupfergewinnung<br />
und Arbeitsweisen anschaulich<br />
dargestellt, sondern die beeindruckenden,<br />
farbenprächtigen Aussinterungen<br />
geben faszinierende Eindrücke<br />
in die Geologie. Das Besuchserlebnis<br />
der geheimnisvollen Welt im Berginnern<br />
lässt die Naturkräfte erahnen, die vor<br />
Millionen Jahren die Vererzungen zustande<br />
brachten. Geologen und Mineralogen<br />
erhalten informative Einblicke in<br />
die Welt der Gesteine und Erdformationen<br />
Devon und Karbon. Besonderes<br />
Novum: Das Besucherbergwerk<br />
„Kilianstollen“ wird mit Unterstützung<br />
der Stadt Marsberg ausschließlich ehrenamtlich<br />
betrieben.<br />
Die Kupfergewinnung endete in<br />
Marsberg endgültig 1945. Bis dahin<br />
wurden ca. 3 Millionen Tonnen Erz mit<br />
einem durchschnittlichen Kupfergehalt<br />
von 1,6% gefördert. Vorhandene Reste<br />
werden auf 600.000 Tonnen geschätzt.<br />
Die älteste erhaltene Urkunde über<br />
den hiesigen Bergbau geht zurück in das<br />
Jahr 1150, als König Konrad III. dem<br />
Abt Wigbold von Corvey das Recht verlieh,<br />
in Horhusen nach allen Metallen zu<br />
graben und diese zu verarbeiten. Der<br />
deutsche Text lautet:<br />
„Desselben Königs Konrad (Urkunde)<br />
über die Grabung von im<br />
Berg gefundenen Metallen:<br />
„Kilianstollen“ nicht nur touristisches Highlight
SAUERLAND NR. 2/2010 65<br />
Konrad III., durch Gottes Gnade<br />
König der Römer, wir gewähren<br />
dem Abt Wigbold von Corvey und<br />
seinen rechtmäßig eingesetzten<br />
Nachfolgern für immer, die Metalladern,<br />
nämlich von Gold, Silber,<br />
Kupfer, Blei und Zinn und alles<br />
Geld, sei es roh, sei es verarbeitet,<br />
das innerhalb des Berges Eresburg,<br />
der der Kirche von Corvey durch<br />
Besitzrecht bekanntlich gehört,<br />
verborgen ist, (und) geben es dir<br />
und durch dich der Kirche von Corvey<br />
und bekräftigen durch die vorliegende<br />
Urkunde, dass es dir und<br />
deinen Nachfolgern ohne Widerspruch<br />
irgendeiner Person erlaubt<br />
sei, in eben diesem Berg zu graben,<br />
alles Metall, das gefunden wird,<br />
herauszunehmen und einzuschmelzen<br />
und für deinen und deiner<br />
Brüder Gebrauch frei zu verarbeiten,<br />
damit um so besser die Kirche<br />
von Corvey die göttlichen<br />
(=geistlichen) und die Interessen<br />
des Königreichs (=weltlichen) un-<br />
Im Kilianstollen<br />
terstützen kann. Gegeben wurde<br />
die (Erinnerungs-)Urkunde zu<br />
Würzburg im Jahr der Geburt des<br />
Herrn 1150, in der 13. Indiktion,<br />
wegen des treuen Dienstes des<br />
oben genannten Abtes“.<br />
Jedoch ist laut Wilfried Reininghaus/Reinhard<br />
Köhne (Berg-, Hüttenund<br />
Hammerwerke im Herzogtum<br />
Westfalen im Mittelalter und in der<br />
frühen Neuzeit) davon auszugehen, dass<br />
bereits zur Römerzeit Erze im heutigen<br />
Marsberg abgebaut wurden. Indiz dafür<br />
ist ein 1875 in einem alten Stollen gefundener<br />
Einhenkelkrug des 2./3. Jahrhunderts<br />
n. Chr. Zusätzlicher Grund, die<br />
Anfänge des Bergbaus weiter vorzuverlegen,<br />
sind die Ausgrabungen der Jahre<br />
1999 bis 2001 in der wüsten Siedlung<br />
Twiste (2 km nordöstlich des Marsberger<br />
Bahnhofs). Dort überdeckte ein Verhüttungsplatz<br />
des 10.–13. Jahrhunderts<br />
für Kupfer einen älteren Schachtofen<br />
der Siedlung, der wegen der gefundenen<br />
Keramik in das 8. Jahrhundert datiert<br />
Fotos: <strong>Heimatbund</strong><br />
wird. Ganz in der Nähe des Platzes liegen<br />
Kupfererzgänge am Ohmberg, Buchenberg<br />
und Huxestein, die die Öfen in<br />
Twiste versorgt haben dürften.<br />
Nach wechselvoller Geschichte durch<br />
die Jahrhunderte endete der Kupferbergbau<br />
am 29. März 1945 nach dem<br />
Einmarsch der Alliierten. Kriegsgefangene<br />
und zivilinternierte Russen und Italiener<br />
zerstörten sämtliche Anlagen in<br />
der Grube und in der Hütte. Verwendungsfähiges<br />
Material wurde in den<br />
Folgejahren verkauft. Das Gelände mit<br />
den Gebäuden der sog. „Oberen Hütte“<br />
erwarb 1952 eine Glastfabrik, nach deren<br />
wirtschaftlichem Niedergang existieren<br />
dort Firmen für Formenbau und<br />
Kunststoffverarbeitung.<br />
Heute ist das Besucherbergwerk „Kilianstollen“<br />
nicht nur touristisches Highlight,<br />
sondern steht auch als Zeitzeuge<br />
für die Geschichte der Marsberger<br />
Montanwirtschaft und dokumentiert die<br />
Bedeutung des Kupferbergbaus in der<br />
hiesigen Region.
66 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Vom Kloster zum Kultur- und Begegnungszentrum<br />
Kloster Bredelar in 940 Jahren von Bernd Follmann<br />
In einem 1985 erschienenen Kunstreiseführer<br />
über das Sauerland ist zu lesen:<br />
„Es schmerzt, auf dem Weg von<br />
Brilon nach Marsberg immer wieder am<br />
ehemaligen Zisterzienserkloster in Bredelar<br />
vorbeifahren zu müssen“. Weiter<br />
erwähnt der Autor die „heruntergekommene<br />
Eleganz“ der Kirchenfassade und<br />
den schon im 19. Jahrhundert einsetzenden<br />
Verfall der Anlage.<br />
Tatsächlich erschien es so, dass es<br />
keine Zukunft mehr für die geschichtsträchtigen<br />
Klostergebäude geben würde.<br />
Die Räumlichkeiten standen weitgehend<br />
leer und eine Instandhaltung oder<br />
gar Restaurierung konnte von den privaten<br />
Eigentümern aus finanziellen Gründen<br />
nicht erwartet werden. Auf Initiative<br />
Das<br />
ehemalige<br />
Kloster<br />
Bredelar<br />
von<br />
Westen<br />
des Vereins für Ortsgeschichte in Bredelar<br />
ist das Thema „Kloster Bredelar“<br />
mehrfach in den Gremien der Stadt<br />
Marsberg beraten worden, eine Lösung<br />
wurde aber angesichts des Umfangs und<br />
der Komplexität der Aufgabe nicht gefunden.<br />
Stattdessen kam es im Jahre 2000<br />
zur Gründung des „Förderverein Kloster<br />
Bredelar e. V.“ (inzwischen über 700 Mitglieder),<br />
der sich sofort mit großem Einsatz<br />
seinen satzungsgemäßen Aufgaben<br />
Restaurierung, Pflege und Nutzung der<br />
ehemaligen Klosteranlage widmete.<br />
Ein kurzer Blick in die Geschichte des<br />
Klosters Bredelar zeigt, wie überaus<br />
wechselvoll diese war. 1170 wurde dort<br />
ein Frauenkloster für Prämonstratenserinnen<br />
gegründet. Nach Versetzung<br />
der Nonnen nach Rumbeck wurde<br />
bereits 1196 in Bredelar ein Männerkloster<br />
des Zisterzienserordens eingerichtet.<br />
Die Mönche kamen aus dem nahen<br />
Kloster Hardehausen, das wiederum<br />
durch das Kloster Kamp, dem ersten<br />
deutschen Zisterzienserkloster, gegründet<br />
worden war.<br />
Die Zisterzienser haben bis zur Aufhebung<br />
des Klosters 1804 in Bredelar<br />
nach dem Grundsatz ihres Reformordens<br />
„ora et labora“ gebetet und gearbeitet,<br />
also nicht weniger als 618 Jahre.<br />
Auf Grund von Kriegsereignissen, wirtschaftlichen<br />
Schwierigkeiten und auch<br />
auf Grund von zeitweiligen Nachlässigkeiten<br />
im Ordensleben gab es über<br />
die Jahrhunderte ein Auf und Ab für das<br />
Klosterleben. Die großen Verdienste der<br />
Mönche für die Entwicklung der Landund<br />
Forstwirtschaft in weitem Umkreis<br />
sind aber unbestreitbar. Ebenso um die<br />
Seelsorge in den nahe gelegenen Klosterdörfern.<br />
Zeugnis ihrer Kunstfertigkeit<br />
ist die sogenannte Bredelarer Bibel,<br />
eine mehrbändige Handschrift aus dem<br />
13. Jahrhundert, die sich heute in der<br />
Landes- und Hochschulbibliothek<br />
Darmstadt befindet und gelegentlich in<br />
Ausstellungen zu sehen ist.<br />
Das Ende des Klosters kam am 20. 2.<br />
1804. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt<br />
hatte durch den Reichsdeputationshauptschluss<br />
die Aufhebung verfügt<br />
und die Mönche mussten das Kloster<br />
verlassen. Zunächst wurden Teile<br />
des Gebäudes und die landwirtschaftlichen<br />
Flächen für Zwecke der Landwirtschaft<br />
befristet verpachtet. 1826 trat<br />
dann der Gewerke Theodor Ulrich aus<br />
Brilon als Erbpächter auf und richtete in<br />
den Gebäuden die „Theodorshütte“ zur<br />
Verarbeitung der in der Umgebung anstehenden<br />
Eisenerze ein. 1842 wurde<br />
das Pachtverhältnis durch Kauf abgelöst<br />
und Ulrich wurde Eigentümer. Mehrere<br />
Hochöfen wurden aufgestellt und der<br />
Betrieb florierte bis zum Tode Ulrichs im<br />
Jahre 1871.<br />
Die Verhüttung wurde 1876 durch<br />
die Dortmunder Union AG eingestellt,<br />
nachdem sie den Betrieb einige Jahre<br />
zuvor von den Erben Ulrichs erworben<br />
hatte. Stattdessen wurde der frühere<br />
Gießereibetrieb wieder aufgenommen.<br />
Nach einem Großbrand von 1884 ging<br />
der Betrieb kurze Zeit später an den<br />
nächsten Eigentümer, die Fa. Beck &<br />
Henkel aus Kassel über. Deren Produktion<br />
von zum Teil sehr großen Gussteilen,<br />
Fenstern und Öfen fand 1931 im<br />
Zuge der Weltwirtschaftskrise ein Ende.<br />
1938 erwarb ein Kaufmann vor Ort die<br />
Klostergebäude und vermietete jeweils
SAUERLAND NR. 2/2010 67<br />
Teilbereiche für gewerbliche Zwecke wie<br />
auch für Wohnzwecke an verschiedenste<br />
Nutzer. Diese Nutzungen gingen im<br />
Laufe der Zeit bis auf die Vermietung einiger<br />
Wohnungen stark zurück und der<br />
größte Teil der Gebäude stand leer, was<br />
zu der eingangs geschilderten Situation<br />
führte.<br />
Im Jahre 2002, also bereits zwei Jahre<br />
nach der Gründung des Fördervereins,<br />
konnte mit den Restaurierungsarbeiten<br />
begonnen werden. Für<br />
den Teil des Gebäudekomplexes, der öffentlich<br />
genutzt wird, konnten sie 2008<br />
abgeschlossen werden. Am 17. 10.<br />
2008 wurde dies mit einem Festakt unter<br />
Anwesenheit zahlreicher prominenter<br />
Gäste gefeiert. Mehr als 5 Mio. Euro<br />
waren mit Hilfe von Zuwendungen öffentlicher<br />
und privater Institutionen sowie<br />
auch durch Spenden und Eigenleistung<br />
investiert worden.<br />
Die geschaffenen Räumlichkeiten haben<br />
eine Nutzfläche von etwa 1.400 qm<br />
und stehen für vielfältige Nutzungen zur<br />
Verfügung. Die örtlichen Vereine und<br />
Jugendgruppen treffen sich zu ihren<br />
Vereins- und Übungsstunden, der Verein<br />
für Ortsgeschichte hat Ausstellungsräume,<br />
der Verein für Natur- und Vogelschutz<br />
im HSK hat sich ebenso etabliert<br />
wie der Friedenskonvent des Klosters<br />
Bredelar. Öffentliche Konzerte, Ausstellungen<br />
und Vorträge haben bereits eine<br />
große Zahl von Besuchern angelockt.<br />
Zu nennen sind auch Repräsentationsveranstaltungen<br />
wie der Neujahrsempfang<br />
der Stadt Marsberg oder<br />
Privatfeiern, bei denen das besondere<br />
Flair der Räume zur Geltung kommt.<br />
Betrieb und Unterhaltung erfordern<br />
einen Aufwand, der ehrenamtlich nicht<br />
mehr zu leisten ist. Deshalb haben die<br />
Stadt Marsberg und der Förderverein eine<br />
gemeinnützige Betriebsgesellschaft<br />
„Kultur- und Begegnungszentrum Kloster<br />
Bredelar“ gegründet, die ihre Arbeit<br />
am 1. 7. 2009 aufgenommen hat. In<br />
der kurzen Zeit ihres Bestehens hat die<br />
Betriebsgesellschaft bereits 140 Veranstaltungen<br />
mit ca. 10.000 Teilnehmer/innen<br />
durchgeführt. Diese Zahlen<br />
belegen, dass das ehemalige Kloster<br />
Bredelar auf dem besten Wege ist, ein<br />
bedeutungsvoller Veranstaltungsort mit<br />
Ausstrahlung weit über die Region hinaus<br />
zu werden.<br />
Erwähnt werden muss allerdings<br />
auch, dass ein Teilbereich der ehemaligen<br />
Klostergebäude noch zu restaurieren<br />
ist. Ein eigens für diesen Zweck gebildeter<br />
Arbeitskreis bemüht sich derzeit<br />
sehr intensiv darum, private Investoren<br />
dafür zu finden. Deren Nutzungsvorstellungen<br />
sollen berücksichtigt werden,<br />
wobei diese selbstverständlich zum be-<br />
Zustand der ehemaligen Kirche vor 2003<br />
reits restaurierten Teil passen müssen.<br />
Z. B. könnte es eine Wohnnutzung sein,<br />
die ein Neben- und Miteinander der Generationen<br />
unter einem Dach ermöglicht.<br />
Unter www.kloster-bredelar.de finden<br />
sich weitere Informationen und die<br />
Möglichkeit zur Kontaktaufnahme.<br />
Die ehemalige Kirche während eines Konzertes 2009
68 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Kommentiert . . .<br />
Auf Bücherwegen<br />
Bücher und Lesen gehören zur Kultur. Wer wollte das bestreiten? Obwohl<br />
manche Leute meinen, Kultur hätte hauptsächlich etwas mit Veranstaltungen<br />
zu tun: Konzerten, Ausstellungen, Vorträgen, „Events" aller Art.<br />
Stimmt aber nicht. Ein wesentlicher Teil unserer Kultur hängt mit dem gedruckten<br />
Wort in kompakter Form zusammen, eben Büchern, gleichviel ob<br />
Sachbücher oder literarisch-poetische Bücher. Für ihre Bereitstellung und<br />
Verbreitung sorgen Bibliotheken und Buchhandlungen.<br />
An Bibliotheken unterschiedlicher Art ist im Sauerland kein Mangel.<br />
Manche zeichnen sich sogar durch besonderes Engagement aus. So etwa,<br />
um nur ein Beispiel zu nennen, die Kinder- und Jugendbücherei Attendorn,<br />
die unlängst mit einem NRW-Preis bedacht wurde.<br />
Beim Buchhandel sieht das schon ein bisschen anders aus. Da gibt es erhebliche<br />
Niveauunterschiede und Vermittlungsschwächen. Manche Buchhandlungen<br />
sind gar keine richtigen mehr, sondern eher „Papeterien", also<br />
Schreibwarenläden mit Taschenbuchresten. Natürlich können auch sie<br />
meist noch alles besorgen, was man will. Aber dafür muss man erst einmal<br />
wissen, was es gibt. Das erfährt man nicht überall.<br />
Nehmen wir die Regionalliteratur. Viele Buchläden im Lande, von löblichen<br />
Ausnahmen abgesehen, halten selbst wichtige Neuerscheinungen<br />
nicht mehr vor. Man mache die Probe bei dem neuen historischen Standardwerk<br />
„Das Herzogtum Westfalen", das preiswert und normal als Verlagsedition<br />
erschienen ist (Aschendorff Verlag, Münster 2009). Andere Veröffentlichungen<br />
laufen neben dem Buchhandel her: so das, was Museen, Archive,<br />
Heimatvereine herausgeben. Es bleibt meist „lokal hängen" und findet<br />
nur begrenzte Verbreitung. Das gilt unter anderem für die bemerkenswerten<br />
Publikationen der Museen in Eslohe und Schmallenberg-Holthausen.<br />
Sie verdienten, viel mehr unter die Leute zu kommen, beispielsweise<br />
„Aanewenge" (Eslohe 2006) oder „Kunst im Sauerland" (Holthausen 2009).<br />
Das alles stimmt bedenklich. Aber leider lässt sich daran wohl kaum etwas<br />
ändern, solange es in der Regionalliteratur zu viele „Selbstverleger" gibt.<br />
Oin Träost, dat voi dat Internet hiät, do kann me äok op düesem Felle<br />
näo födder kummen.<br />
Indes, es gibt ja auch noch die „große” Literatur, die Beachtung verdient,<br />
zumal wenn sie einem Autor zu verdanken ist, der aus unserer Gegend<br />
stammt. Da darf man ruhig auch ein bisschen neugieriger und anteilnehmender<br />
sein. Rolf Bauerdick, geboren 1957 in Lenhausen, der 1976 am<br />
Attendorner Rivius-Gymnasium sein Abitur machte und dann „in die Welt<br />
ging”, heute lebt er im Münsterland, ist so einer. Sein erster Roman „Wie<br />
die Madonna auf den Mond kam” (Deutsche Verlags Anstalt, München<br />
2009) wurde zum literarischen Ereignis. In der Tageszeitung „Die Welt” hieß<br />
es: „Mit seinem späten Debüt erobert der <strong>Sauerländer</strong> Rolf Bauerdick die<br />
Buchmärkte der Welt.” Und der „Westfalenspiegel” sprach von einem „erzählerischen<br />
Meisterstück”.<br />
Do kann me men huopen, dat Biuerdicks Bauk, bat garnit imme Siuerlanne<br />
spielt, äok imme Siuerlanne luosen wäet!<br />
Siegfried Kessemeier<br />
700. Mitglied im Förderverein<br />
Kloster Bredelar<br />
Der Vorsitzende des Fördervereins,<br />
Herr Dr. Franz-Josef Bohle und sein<br />
1. Stellvertreter, Herr Gerhard Stein,<br />
begrüßten auf einer Geburtstagsfeier im<br />
Kloster Bredelar am 21. März 2010<br />
als 700. Vereinsmitglied Herrn Gilbert<br />
Korte – Leitender Baudirektor, Leiter<br />
der Gebäudewirtschaft Mainz. In dieser<br />
Funktion ist er auch für das Kurfürstliche<br />
Schloss in Mainz zuständig. Herr Korte,<br />
der familiäre Wurzeln in Bredelar hat,<br />
zeigte sich als Kenner der Materie von<br />
den umfangreichen Restaurierungs -<br />
fortschritten am Kloster sehr beeindruckt.<br />
Redaktionsschluss<br />
für die<br />
nächste Ausgabe<br />
ist der<br />
15. August 2010<br />
Haben Sie<br />
uns<br />
schon im<br />
Internet<br />
besucht ?<br />
www.sauerlaender-heimatbund.de
SAUERLAND NR. 2/2010 69<br />
Traditionsabbruch und Neubeginn<br />
Wie die Kirche im Dorf bleiben kann von Prof. Dr. Hubertus Halbfas<br />
icht nur in allen deutschen, sondern<br />
auch in den meisten europäischen<br />
Diö zesen stehen einschneidende<br />
Änderungen in den Pfarr -<br />
gemeinden und Seel sorgsstruk turen bevor.<br />
Der inzwischen deutlich sichtbar gewordene<br />
Traditions abbruch, die Ent -<br />
leerung der theologischen Begrifflichkeit<br />
und der Verfall der religiösen Sprache,<br />
Rückgang der Kir chenmitglieder,<br />
Prie s termangel, Geld mangel und die<br />
Preis gabe intakter Kirchen signalisieren<br />
einen Absturz, der nicht länger schön zu<br />
reden ist. Nachdem „SAUERLAND“<br />
in <strong>Heft</strong> 3/2006 eine erste Proble manzeige<br />
über das „Ende einer Kir -<br />
chengestalt“ vorlegte, wird hier gefragt,<br />
wie es weiter gehen kann.<br />
Zahlen und Vorgänge<br />
Nie zuvor wurden in Deutschland so<br />
wenige Priester geweiht wie derzeit.<br />
2008 sank die Zahl in der Summe aller<br />
Diözesen erstmals unter hundert. Das<br />
Erzbistum Paderborn zählt im Kurs<br />
2008/10 drei Kandidaten; im Kurs<br />
2009/11 fünf Kandidaten. Noch bis in<br />
die sechziger Jahre konnte man mit vierzig<br />
oder gar fünfzig Priesterweihen pro<br />
Jahr rechnen und damit den Bestand<br />
der vorhandenen Pfarreien als gesichert<br />
ansehen. Die vom „Weltjugendtag“ erhoffte<br />
Umkehr der Entwicklung hat sich<br />
nicht erfüllt. Erzbischof Becker erwartet<br />
auch keine Entspannung, eher eine Verschärfung<br />
der Situ ation. Die Zeiten, als<br />
sich mit dem geistlichen Beruf noch sozialer<br />
Aufstieg und gesellschaftliches Ansehen<br />
verband, dürften nie wiederkommen.<br />
Friedrich Wilhelm Grimme (1827–<br />
1887) zählte es einst zur „höchsten Glorie<br />
eines sauerländischen Hauses, wenn<br />
aus ihm ein ‚Heer-Sohn’, ein ‚Heer-<br />
Ohm’, ein ‚Heer-Vedder’, d. i. ein geistlicher<br />
Sohn, Oheim, Vetter“ hervorging.<br />
Die Mütter weinten Freuden trä nen,<br />
wenn sie für den Jungen packen durften,<br />
der auszog, um „auf Herr“ zu studieren.<br />
Darum können viele Sauerlän-<br />
der Gemeinden an die zweihundert, sogar<br />
dreihundert Namen auflisten, die in<br />
den zurückliegenden Gene rationen zum<br />
geistlichen Beruf (jeglicher Art) drängten.<br />
Davon kann keine Rede mehr sein.<br />
Wer jetzt Priester werden oder in ein<br />
Kloster eintreten will, hat alle Mühe, dies<br />
den eigenen Altersgenossen verständlich<br />
zu machen, und nicht selten sind die<br />
Eltern am meisten erschrocken und fragen<br />
sich, wie sie den Sohn davon abhalten<br />
und die Tochter vor dem Eintritt in<br />
ein Kloster bewahren können.<br />
Die Statistik des abfallenden Priester -<br />
nachwuchses steht natürlich nicht isoliert<br />
im Raum, sondern vernetzt sich mit<br />
einer gesamtkirchlichen Entwicklung.<br />
Zunächst einmal geht – infolge der demographischen<br />
Entwicklung – die Zahl<br />
der Katholiken konstant zurück. Im Oktober<br />
2004 sagte Erzbischof Hans-Josef<br />
Becker, die vergangenen 20 Jahre hätten<br />
zu einem Schwund von fast
70 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
200.000 Kirchenmitgliedern geführt.<br />
Die jährliche Verlustquote lag im Durch -<br />
schnitt etwa bei 14.000. Für 2004 gab<br />
der Bischof noch gut 1.740.000 Katho -<br />
liken an, zum Jahresende 2009 nennt<br />
die Statistik rund 100.000 weniger, genau<br />
sind es 1.643.265 Katholiken;<br />
demnach hat sich die Verlustrate noch<br />
einmal gesteigert.<br />
Angesichts dieser Entwicklung, mit<br />
der auch ein dramatischer Rückgang der<br />
Kirchensteuereinkünfte verbunden ist,<br />
stellt sich die weitere Unter haltung der<br />
vorhandenen Kirchen in Frage,<br />
wenngleich eine aktuelle Be-<br />
standsaufnahme von Rainer<br />
Fisch zu dem Ergebnis kommt,<br />
dass „fehlende Gottesdienst teil -<br />
nehmer der Grund für redundante<br />
Kirchengebäude sind, nicht<br />
sinkende Steuereinnahmen“. Er<br />
resümiert: „Es handelt sich hierbei<br />
also nicht um ein wirtschaftliches,<br />
sondern um ein theologisches<br />
Pro blem.“ Die Zahl der<br />
Got tesdienst besucher am Sonntag<br />
halbierte sich in den genannten 20<br />
Jahren im Erzbistum Paderborn von<br />
540.000 auf 278.000. Deutschlandweit<br />
nehmen nur vier Pro zent der evangelischen<br />
Christen am Sonntagsgottesdienst<br />
teil, auf katholischer Seite etwa<br />
13 Prozent. Auch der Rückgang der<br />
Taufen und Trauungen belegt, dass sich<br />
die Kirchenbindung gelockert hat.<br />
Im gleichen Zeitraum haben die Kirchenaustritte<br />
deutlich zugenommen.<br />
1970 lag die Zahl in allen deutschen Bistümern<br />
bei rund 70.000 pro Jahr. Die<br />
Zahl steigerte sich 2006 auf 84.389; im<br />
folgenden Jahr auf 93.667 und 2008<br />
sogar auf 121.155 Austritte. Die An -<br />
gaben für 2009 liegen (im März 2010)<br />
noch nicht vor. Im laufenden Jahr könnte<br />
sie eine weitere Zunahme erfahren infolge<br />
der sexuellen Missbrauchs skan -<br />
dale, die Katholiken einen letzten Anstoß<br />
geben, sich endgültig von der Kirche<br />
zu trennen.<br />
Dramatischer als diese Zahlen – weil<br />
in Reichweite und Bedeutung tiefer greifend<br />
– ist die hinter allem stehende Glaubenskrise,<br />
welche weit über die katholische<br />
Kirche hinausgreift und fragen<br />
lässt, ob die Menschen von der gängigen<br />
Begrifflichkeit der Bekenntnisformeln<br />
überhaupt noch existentiell berührt wer-<br />
den. Beispielsweise stößt im Aposto -<br />
lischen Glaubensbe kennt nis nahezu jeder<br />
tragende Begriff (wie der „allmächtige<br />
Vater“; der „eingeborene Sohn …<br />
geboren von Maria der Jung frau“; „auferstanden<br />
von den Toten“; „aufgefahren<br />
in den Himmel“; „von dannen kommen<br />
wird zu richten …“ ) auf Unverständnis,<br />
so dass Satz für Satz theologiegeschichtliche<br />
Kommentare nachzuliefern wä ren,<br />
wollte man verständlich machen, was<br />
gemeint ist und was nicht. Das Verfalls -<br />
datum der traditionellen Glaubensdar -<br />
Ein Freund aus katholischen Zeiten erzählte mir<br />
neulich bei einem Bier, dass er ausgetreten sei aus<br />
der Kirche. Er sagte es in einem Nebensatz und mit<br />
der gleichen Beiläufigkeit, mit der man von Tren -<br />
nungen entfernter Bekannter berichtet. Kurz überlegte<br />
ich, ob ich eine Diskussion über die Kirche beginnen<br />
sollte, besann mich jedoch, bestellte ein<br />
Bier, und wir redeten über etwas anderes.<br />
Matias Stolz in ZEIT-MAGAZIN, 12/2009<br />
stellung ist überschritten, doch entzieht<br />
sich dieser Vorgang dem innerkirchlichen<br />
Bewusstsein immer noch. Hier<br />
„verkündet“ man weiterhin in tradierter<br />
Katechismussprache wonach die Men -<br />
schen nicht fragen, und die For -<br />
melhaftigkeit der Sprache lässt schon<br />
lange nicht mehr hinhören. Darum bereitet<br />
es vor allem der jüngeren Gene -<br />
ration auch keine Schwierigkeiten, einen<br />
solchen Glauben zu relativieren<br />
oder aufzugeben. Soziologen sehen den<br />
Kirchen austritt bereits in die Breite der<br />
Be völkerung hineingewachsen. Das<br />
mag für eine Weile noch am katholischen<br />
Sauerland vorbeigehen, doch<br />
selbst wenn sich die auch hier stattfindende<br />
Entkirchlichung vorläufig nicht in<br />
Aus trittszahlen niederschlägt, die innere<br />
Aushöhlung des christlichen Glaubens<br />
ist weit fortgeschritten.<br />
Eine solch verheerende Situation<br />
würde, wenn es sich um Wirtschafts -<br />
unter nehmen handelte, alle Alarm -<br />
glocken schrillen lassen. Sofort, wirklich<br />
sofort würde eine Situationsanalyse betrieben<br />
und ein Kurswechsel eingeleitet.<br />
Die Kirche hingegen blockiert sich selbst<br />
in einen verstrickenden Reformstau,<br />
den die übliche Glaubensrhetorik überdeckt.<br />
Was sich heute bewegt, ist kaum<br />
Eigendynamik sondern von außen erzwungene<br />
Reaktion: Der nicht mehr zu<br />
ignorierende Priestermangel wird mit<br />
Strukturreformen beantwortet, das<br />
heißt vorrangig mit Verwaltungsakten,<br />
die das kirchliche Terrain neu gliedern<br />
und den verbleibenden Priesterzahlen<br />
anpassen.<br />
Ein paar Beispiele: Von den 752<br />
Pfarrgemeinden des Erzbistums Mün -<br />
chen sollen nur noch 47 und nicht mehr,<br />
wie ursprünglich geplant, 200 selbständig<br />
bleiben. Alle übrigen Pfarreien werden<br />
zu Pfarrverbänden zusam-<br />
mengeschlossen. – Im Erzbistum<br />
Köln sollen bis Ende dieses Jahres<br />
aus den bisher 600 Pfarreien<br />
182 Seel sorgsbereiche werden.<br />
Dabei handelt es sich um 109 bereits<br />
bestehende Pfarreiengemein<br />
schaf ten, in denen die einzelnen<br />
Ge meinden großteils<br />
selbständig bleiben; in 73 Fäl len<br />
aber fusionieren mehrerer Pfar -<br />
reien zu einer Groß pfarrei. – Mit<br />
einem besonders hohen Anteil religiös<br />
distanzierter Be völ kerung verfolgt<br />
auch das Bistum Berl in diesen Weg:<br />
Statt gut 200 Gemeinden im Jahr<br />
2004, verblieben nur noch die Hälfte.<br />
Dabei sind in vielen Berliner Gemeinden<br />
ausländische Seel sorger eingesetzt,<br />
durchaus problematisch. Außerdem<br />
kommen zunehmend mehr Priester aus<br />
dem traditionalistisch ausgerichteten<br />
Neokatechumenat, das seinen Nach -<br />
wuchs in einem eigenen Seminar ausbildet.<br />
Hier dürfte die Schere zwischen<br />
konservativem Nach wuchs und herrschender<br />
Mentalität besonders weit auseinander<br />
gehen.<br />
Die vermeintlichen Lösungen kleinerer<br />
Bistümer fallen nicht viel anders aus.<br />
Das Bistum Essen hat seine ursprünglich<br />
259 Pfarreien zu 43 Großgemeinden<br />
zusammengelegt, jeweils etwa 24.000<br />
Mit glieder pro Großgemeinde. Nun<br />
meint das Bistum, fast ein Drittel seiner<br />
Kir chenbauten nicht mehr zu benötigen.<br />
Die sichtbare Hälfte der eigenen Ge -<br />
schichte wird also abgestoßen. Überwiegend<br />
handelt es sich um Kirchen von<br />
hervorragendem Erhaltungszustand, die<br />
auch für Liturgie und Gottesdienst heute<br />
in höherem Maße geeignet sind als<br />
die meisten älteren Kirchen. In Gelsen -<br />
kirchen-Buer entstand die größte Pfarrei
SAUERLAND NR. 2/2010 71<br />
Deutschlands – wie die Zeitschrift<br />
„Christ in der Ge gen wart“ meldet. Mit<br />
über 40.000 Ka tho liken zählt sie mehr<br />
Mitglieder als das Bistum Görlitz hat. In<br />
Erfurt hinwieder rechnet man damit,<br />
dass von den heute 112 aktiven Geist -<br />
lichen in zehn Jahren nur noch 32 übrig<br />
bleiben, die dann jünger als sechzig Jahre<br />
sind. Bis 2020 soll es hier statt derzeit<br />
72 nur noch 32 Pfar reien geben. Im Bistum<br />
Limburg schließlich hat der junge<br />
Bischof gegen heftigen Wider stand der<br />
Basis sogar den endgültige Abschied<br />
von der Pfarrgemeinde eingeleitet. „Die<br />
volkskirchlichen Struk turen sind definitiv<br />
an ihr Ende gekommen, da gibt es kein<br />
Zurück mehr“, heißt es.<br />
Mehr als Strukturen?<br />
Die Deutsche Bischofskonferenz hat<br />
2007 eine zusammenfassende Übersicht<br />
über Pastoralplanungen der deutschen<br />
Bistümer unter dem Titel „Mehr<br />
als Strukturen“ vorgelegt. Die Schrift<br />
zeigt, dass der Prozess der pastoralen<br />
Neu ordnungen in den Diözesen nicht<br />
zeitgleich verläuft und die neuen Seel -<br />
sorgeinheiten unterschiedlich benannt<br />
werden. Es gibt bereits Diözesen, in denen<br />
die bisherigen Pfarreien juristisch<br />
aufgelöst werden, auch wenn sie unter<br />
dem Titel „Gemeinde“ weiterhin mit<br />
ihrem Patronatsnamen benannt bleiben.<br />
Wie zu vernehmen ist, wird auch im<br />
Erzbistum Paderborn darüber nachgedacht,<br />
welche Pfarreien juristisch aufgegeben<br />
werden, welche im Status einer<br />
„Pfarrvikarie“ in einem neuen Verbund<br />
geführt werden oder ob gar die neuen<br />
Großgebilde zukünftig eine juristische<br />
Einheit darstellen sollen unter Aufgabe<br />
der Rechtsgestalt der bisherigen Pfar -<br />
reien. Inwieweit reflektiert wird, ob der<br />
bisherige Rechtsstatus nach einer „juristischen<br />
Sekunde“ voll in die neue Kon -<br />
struktion überführt werden kann, entzieht<br />
sich von außen der Einsicht.<br />
Die diözesanen Umstrukturierungs -<br />
maß nahmen laufen in ihrer Summe darauf<br />
hinaus, dass die Pfarreien nach Maßgabe<br />
der verbleibenden Priester zusammengelegt<br />
werden: zu Pfarrver bünden,<br />
Pfarrverbänden, Pfarrgemein schaften,<br />
Seelsorgeeinheiten, Kirchen gemeindeverbänden<br />
oder einem pastoralem<br />
Raum. Einerlei wie die Benen nungen<br />
lauten, in der Sache geht es weitgehend<br />
um Ähnliches. Mit jeder neuen Ver-<br />
größerung des Gefüges aber verbindet<br />
sich Schönrederei: die Kirche werde<br />
nun der Zeit besser gerecht, heißt es; ihre<br />
missionarische Sendung werde deutlicher;<br />
den heutigen Kommunikations -<br />
formen entspreche die größere Raum -<br />
einheit mit ihren Möglichkeiten bei weitem<br />
mehr usw.<br />
Auch das Erzbistum Paderborn hat<br />
seine bisherige Struktur der Pasto -<br />
ralverbünde fortgeschrieben und das Resultat<br />
mit Beginn des Jahres 2010 vorgestellt:<br />
Die bisherigen 213 Pasto -<br />
ralverbünde wurden in einem „zweiten<br />
Zirkumskriptionsgesetz“ auf ca. einhundert<br />
reduziert, „um Planungs- und Struktursicherheit<br />
für den Zeitraum bis 2030<br />
gewährleisten zu können“ und „die Zukunftsfähigkeit<br />
des Erzbistums in der<br />
heutigen Gesellschaft zu stärken“.<br />
Im Bereich des <strong>Sauerländer</strong> Hei -<br />
matbundes stellen sich die Verän de -<br />
rungen folgendermaßen dar: Die bislang<br />
131 Pfarreien der drei Dekanate des<br />
Hochsauerlandkreises sind bisher zu 30<br />
Pastoralverbünden zusammengeschlossen.<br />
In den kommenden Jahren werden<br />
diese auf nur zehn Pastoralverbünde und<br />
zwei Großpfarreien reduziert.<br />
Das neue Dekanat Olpe deckt sich unter<br />
dem Namen „Dekanat Südsauerland“<br />
mit dem Gebiet des Kreises Olpe. Es umfasst<br />
statt bisher 14 Pastoralverbünde<br />
zukünftig nur noch sieben, deckungsgleich<br />
mit den sieben Kommunen des<br />
Kreises, wobei gegen Ende des Pla -<br />
nungszeitraums Drolshagen zu Olpe geschlagen<br />
werden soll, sodass nur sechs<br />
Die Krisen räumen auf; zunächst<br />
mit einer Menge von Lebens formen,<br />
aus welchen das Leben längst entwichen<br />
war und welche sonst mit<br />
ihrem historischen Recht nicht aus<br />
der Welt wären wegzubringen gewesen.<br />
Jakob Burckhardt,<br />
Kulturhistoriker (1818–1897)<br />
Pastoralverbünde bleiben. Doch angesichts<br />
der Großräume im HSK oder im<br />
Ruhrgebiet sagt der Olper Dechant Fried -<br />
helm Rüsche: „Wir sind im Kreis Olpe in<br />
der glücklichen Lage, noch recht niedliche<br />
pastorale Räume zu kriegen, verglichen<br />
mit anderen Teilen in unserem Bistum.“<br />
Die neue Einteilung gilt nur für die<br />
nächsten zwanzig Jahre, um wenigstens<br />
für diesen Zeitraum, wie man sagt, die<br />
Arbeitsbedingungen zu sichern. Über<br />
die Entwicklung der darauf folgenden<br />
ein bis zwei Jahrzehnte würden die statistisch<br />
vorliegenden Daten auch heute<br />
schon Prognosen gestatten. Sollte es in<br />
diesem Zeitraum bei der Immobilität<br />
Roms und der Bindung der Bischöfe an<br />
die bestehende Ordnung bleiben, ist mit<br />
einer weiteren Vergrößerung der Räume<br />
bei einem Restbestand überforderter<br />
Kle riker zu rechnen. Dann bleibt allerdings<br />
zu fragen, wer denn Auftrag und<br />
Kirche verrät?<br />
Kritiker und Schönredner<br />
Die geschilderten Neuregelungen<br />
wurden von rechtfertigenden Kom -<br />
mentaren begleitet, die kein angemessenes<br />
Problembewusstsein aufkommen<br />
lassen. Die meisten Kirchenleute bezeichneten<br />
in der <strong>Sauerländer</strong> Lokal -<br />
presse die neuen Raumplanungen als<br />
„unumgänglich“. Sie blieben mit ihren<br />
Vorstellungen, wie es weitergehen soll,<br />
absolut vage. Der Briloner Propst Dr.<br />
Richter machte „die Abnahme der Geburten<br />
und die Zahl der Gläubigen“ dafür<br />
verantwortlich, sah aber die anstehenden<br />
Veränderungen „auch als Chan ce“:<br />
Man solle auf frühere Zeiten zurückschauen<br />
und das Volksbrauchtum wieder<br />
intensivieren. Josef Mertens, Geschäfts -<br />
führer des Gemeindeverbands Katho -<br />
lischer Kirchengemeinden Hochsauer -<br />
land-Waldeck, sieht in der Schaffung der<br />
neuen Strukturen „ein großes Potential“:<br />
Die Dynamik, die durch das Aufein -<br />
anderzugehen der Gemeinden entstehe,<br />
könne am Ende durchaus positiv sein.<br />
Nur der Wendener Pastor Ludger Vornholz<br />
thematisierte die veränderte Situation<br />
des sogenannten Laien, dessen Wertschätzung<br />
und Förderung letzten Endes<br />
über die Zukunft lebendiger Gemeinden<br />
vor Ort entscheide.<br />
Im Blick auf die anstehenden Veränderungen<br />
hat jedoch Erzbischof Hans-<br />
Josef Becker am 21. November 2009 in<br />
Paderborn die Ausgangs situation ohne<br />
jede Schönfärberei beschrieben:<br />
„Der ‚Status quo’ unserer Pastoral<br />
führt uns nicht weiter und beantwortet<br />
die zentralen pastoralen Fragen<br />
und Herausforderungen nicht.
72 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Vom ‚Status quo’ her lässt sich<br />
nicht benennen, was zu tun oder zu<br />
lassen ist. Deutlicher formuliert: Es<br />
geht in den nächsten Jahren nicht darum,<br />
vom Bestehenden möglichst viel<br />
zu retten und zu bewahren. Schon die<br />
Themen und Anliegen … machen das<br />
deutlich. Alle von mir genannten<br />
Punkte deuten auf Kräfte ver -<br />
schiebungen in unserer Pastoral hin,<br />
die notwendig sind. Ich werbe in diesem<br />
Sinne für eine grundlegende Neu-<br />
Fokussierung unserer Blickrich tung.<br />
Die Einsichten der vergangenen<br />
Jahre zeigen mir: So gut wie alle Rah -<br />
menbedingungen des kirchlichen Le -<br />
bens stehen heute zur Disposition. Die<br />
Der moderne Mensch, der für sich<br />
zu Recht die Freiheit von obrigkeitlichem<br />
Reglement und die Aner -<br />
kennung seiner Mündigkeit in An -<br />
spruch nimmt, wird sich für ein Engagement<br />
in der Kirche, gleichgültig<br />
welcher Art, nur gewinnen lassen,<br />
wenn er in ihr auch seine Freiheit<br />
und Würde respektiert erfährt.<br />
Paul Hoffmann, Neutestamentler<br />
uns vertraute Sozialgestalt der Kirche<br />
schmilzt unter dem Einfluss der gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen in einem<br />
atemberaubenden Tempo zusammen.<br />
Und damit vieles, woran die Herzen<br />
vieler Menschen hängen.<br />
• Das wirkt sich insbesondere bei<br />
der Glaubenssituation und der Weiter -<br />
gabe des Glaubens an die junge Generation<br />
aus, die als prekär bezeichnet<br />
werden muss. Hier herrscht auf allen<br />
Ebenen – auch bei den Prie stern, Gemeindereferent/innen<br />
und Religionslehrern<br />
– große Betroffenheit und Ratlosigkeit.<br />
• In dieser Situation verwundert es<br />
nicht, dass viele Haupt- wie Ehren -<br />
amtliche an einem häufig empfundenen<br />
Missverhältnis von Aufwand und<br />
Ertrag ihrer pastoralen Bemühungen<br />
leiden. Da wächst manche Traurigkeit<br />
bis hin zur Resignation. Viele nehmen<br />
sich als erschöpft wahr. Und es entstehen<br />
auch Fragen nach dem Sinn all<br />
dessen, was wir tun.<br />
• Wir sollten ohne Beschönigung<br />
anerkennen: Unsere bisherigen Mittel<br />
und Wege, insbesondere im Bereich<br />
der Pfarrgemeinden, reichen ganz offensichtlich<br />
nicht aus, um den Glauben<br />
an den Gott Jesu Christi bezeugen<br />
und an andere Menschen – junge wie<br />
ältere – vermitteln zu können. Mittlerweile<br />
lebt ja die dritte (!) Generation<br />
von getauften Katholiken, von denen<br />
wir sagen müssen, dass sie in der<br />
großen Mehrheit „nicht praktizierende<br />
Christen“ sind.<br />
• Bis weit hinein in unsere Kernge -<br />
meinden, aber auch bei kirchlichen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ja<br />
auch beim pastoralen Personal, ist<br />
Verunsicherung spürbar im Blick auf<br />
den Glauben an Gott selbst. Wie weit<br />
und wie lange wird er tragen, so fragen<br />
sich manche. Und: Geht Gott<br />
überhaupt noch mit uns?<br />
• Im Nachdenken über all diese<br />
Ent wicklun gen ist bei mir in den vergangenen<br />
Jahren immer mehr die Ge -<br />
wissheit gewachsen: Trotz aller Angst<br />
vor den Unsicherheiten und Ausein -<br />
andersetzungen, die große Verände -<br />
rungen im gewohnten kirchlichen Leben<br />
mit sich bringen, dürfen wir jetzt<br />
nicht einfach so weitermachen wie bisher.<br />
Wir würden unserer Verant -<br />
wortung vor Gott und voreinander<br />
nicht gerecht. Letztlich würden wir<br />
uns selbst auf die Dauer bedeutungslos<br />
machen.“<br />
Das sind erfreulich realistische Worte,<br />
die freilich noch nicht im Rahmen eigener<br />
Handlungsmöglichkeiten erkennen<br />
Auch das kirchliche Leitungsamt<br />
bleibt auf die pneuma ti schen Be -<br />
gabungen aller angewiesen; insofern<br />
ist es der Gemeindebasis eingebunden<br />
und darf sich nicht über<br />
die Gemeinde stellen.<br />
Paul Hoffmann, Neutestamentler<br />
lassen, wie dieser Situation zu begegnen<br />
ist. Immerhin war die Empfehlung des<br />
Erzbischofs neu, es tue mit Sicherheit<br />
gut, „einen regelmäßigen Gesprächs -<br />
partner im außerkirchlichen Umfeld zu<br />
haben … Dadurch kann sich mancher<br />
Blickwinkel weiten und unser geistliches<br />
Tun wertvolle Anregungen erhalten.“<br />
Man sollte allerdings eher unbequeme<br />
als genehme Gesprächspartner suchen,<br />
sonst bleibt man gleich im eigenen System.<br />
Insgesamt mangelt es – soweit sich<br />
die deutschen Bistümer überschauen<br />
lassen – am entschiedenen Willen, der<br />
Phantasie und Gestaltungsvermögen<br />
einschließt, aus dem eklatanten Mangel<br />
gewissermaßen durch einen „System -<br />
bruch“ herauszukommen.
SAUERLAND NR. 2/2010 73<br />
Um das zu leisten, dürfen die Folgen<br />
der pastoralen Megaräume nicht schön<br />
geredet werden. Hinter den Neuordnun -<br />
gen ist zunächst nichts anderes als der pure<br />
Mangel zu erkennen. Schwerlich verbindet<br />
sich mit den sukzessiven Erweiterungen<br />
eine „große Chance“ oder ein<br />
„großes Potential“ als eine weitere Erosion<br />
des religiösen Lebens, vor allem dann,<br />
wenn man weiterhin betont, die<br />
zur Mitarbeit in den Gemeinden<br />
bereiten Laien, könnten die „geistig-spirituellen<br />
Lücken nicht<br />
schließen, die durch fehlende<br />
Priester entstehen“. Laienthe -<br />
ologen bei theologisch gleichwertiger<br />
Ausbildung die Leitung<br />
einer Gemeinde zu übertragen,<br />
stünde „im Wi der spruch zur der<br />
im Konzil gelehrten sakramentalen<br />
Grund struk tur der Kirche<br />
und ihres Am tes“, so etwa der Jesuit<br />
Medard Kehl in „Stimmen der Zeit“<br />
(5/2007), dessen Mei nung zugleich die<br />
der Amts kirche darstellt. Gewiss kann<br />
man so argumentieren und das gesamte<br />
Kirchen verständnis auf die Eucharistie<br />
hin fokussieren. Man kann diese Sicht<br />
aber auch als eine Engführung von Kirche<br />
ansehen, die Traditionalisten entgegen<br />
kommt und de facto eine verschärfte<br />
Klerikalisierung rechtfertigt, wie sie letztlich<br />
der Neueinteilung der pastoralen<br />
Räume auch zugrunde liegt.<br />
Insgesamt geht der Ansatz beim Pfar -<br />
rer als Ausgangspunkt jeder Ge mein -<br />
derealität ins Leere. Der Olper Dechant<br />
Friedhelm Rüsche antwortete auf die<br />
Frage, ob Pfarrer bei der erheblichen<br />
Vergrößerung der Pastoralbezirke nicht<br />
zu „Kirchen-Managern“ verkommen:<br />
„Ich bin 1995 nach Neuen kleus heim gekommen<br />
als Pastor von drei kleinen<br />
Die Grundgefahr religiöser Systeme ist, dass sie<br />
sich selber nicht endlich denken können. Sie sind<br />
immer in der Gefahr, sich Gottesprädikate zuzulegen…<br />
Der Zwang zur Einstimmigkeit lässt sie nur<br />
schwer Fremdheiten denken und dulden. … Sich für<br />
einzigartig zu halten, heißt immer, bereit sein zum<br />
Eliminieren. Die Aner kennung von Pluralität ist die<br />
Grund bedingung menschlicher Existenz<br />
Fulbert Steffensky, Theologe<br />
Dörfern und war im wesentlichen Pastor.<br />
Ich kannte alle Leute, ich bin in fast<br />
allen Häusern gewesen, ich habe an fast<br />
allen familiären Festen teilgenommen.<br />
Das geht schon seit zehn Jahren nicht<br />
mehr. Die Priester müssen sich in ihren<br />
Tätigkeiten und Verant wortlich keiten<br />
ändern … Mitarbeiter führung wird zu einer<br />
größeren Herausforderung im Gegensatz<br />
zu früheren Jahren, wo man<br />
noch alles selbst machen konnte.“ Dabei<br />
schließt er nicht aus, dass die Ent -<br />
wicklung eine rastlose Priestergestalt<br />
fördern könne, die mit Handy und<br />
Laptop durch die Gegend fährt.<br />
Zukünftig werden die Gemeinde -<br />
mitglieder Mühe haben, ihre Pfarrer<br />
überhaupt noch kennenzulernen. Und<br />
kaum ein Pastor wird leisten können,<br />
was man von ihm erwartet. Während<br />
das Kirchenrecht ihn mit rechtlicher<br />
Allzu ständigkeit ausstattet, die Laien<br />
hingegen nur als rechtlose Hel-<br />
fer kennt, blockiert dieses juristische<br />
Ungleich gewicht die stets<br />
wichtiger werdenden Laieninitiativen.<br />
Man sollte aber auch sehen,<br />
dass der junge Klerus von einem<br />
anderen geistigen Zuschnitt ist, als<br />
die abgehenden Jahrgänge: das<br />
Bega bungs profil hat sich verändert;<br />
es besteht eine erstaunliche<br />
Neigung zu Konser vati vismus, die<br />
den Er wartungen der Gemeinden<br />
wenig entspricht und das Gemeindemilieu<br />
verengt. Dass heißt, die Schere zwischen<br />
dem nachwachsenden Klerus und<br />
der Gesellschaft geht weiter auseinander.<br />
Eine missionarische Kirche sieht anders<br />
aus.<br />
Will man dennoch bei der Ansicht<br />
bleiben, Kirche sei nur als Kleri kerkirche<br />
denkbar, was sich theologisch damit<br />
rechtfertigt, sie existiere nur, wo Eucha -<br />
ristie gefeiert werde, so dass man allen<br />
Gläubigen den (illusorischen) sonntäglichen<br />
Aufbruch in wechselnde Mess -<br />
kirchen verordnen möchte, dann lässt<br />
sich voraussagen, dass damit der Weg zu<br />
wachsender Kirchenferne beschleunigt<br />
wird. „Kir chen-Zapping“ nennt dies der<br />
Kölner Pfarrer Johannes Krautkrämer.<br />
In Wiesbaden argumentierte ein Pasto -<br />
ralausschuss, „dass die spirituellen und<br />
sozialen Bezüge in der Heimat pfarrei<br />
verortet sind“. Dieser Bezug könne<br />
nicht durch größere Räume transportiert<br />
werden; er berge die Gefahr zunehmender<br />
Anonymität. Und der „Bezirks -<br />
synodalrat Limburg“ schloss sich mit<br />
der Kritik an, „eine Konzentration der<br />
Amtskirche allein auf die geweihten<br />
Amtsträger (sei) nicht zukunftsträchtig“.<br />
Schon 2002 hatte der Münsteraner<br />
Theologieprofessor Jürgen Werbick<br />
pointiert: „Wo die Kirche vor Ort nicht<br />
mehr angetroffen wird, da verliert sie ihre<br />
Sichtbarkeit und Greifbarkeit, da wird<br />
sie zur bloßen Behauptung.“ Man kann
74 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
auch knapp und bündig resümieren:<br />
Wenn die Leute die Kirche am Ort nicht<br />
mehr vorfinden, bleiben sie weg.<br />
Umdenken und neu anfangen<br />
Nachfolgend soll – um von der Analyse<br />
und Kritik zu einer möglichen<br />
Lösung zu kommen – die Erfah-<br />
rung im französischen Bistums<br />
Poitiers vorgestellt werden. Hier<br />
wird auf das Potential der Laien<br />
gesetzt, auf ihre Ideen und Möglichkeiten,<br />
miteinander Kirche<br />
entwickeln zu können. Nicht der<br />
Priester mangel liefert die Begründung<br />
für den neuen Weg,<br />
sondern der Wille, Ge meinden<br />
auf der Grundlage der Initia -<br />
tionssakramente, Taufe und Firmung,<br />
zu entwickeln. Das ist die für<br />
alles Folgende nie zu übersehende Grundent<br />
schei dung.<br />
Der Erzbischof von Poitiers, Albert<br />
Rouet, beschreibt die Ausgangsposition<br />
so: „Hier wie überall haben Menschen<br />
ihre Kräfte verbraucht, um Priestern zu<br />
helfen und zu Diensten zu sein. Ihre ausdauernde<br />
und treue Beharr lichkeit hat<br />
niemandem Mut gemacht, ihre Aufgabe<br />
zu übernehmen. Einen solchen Dienst<br />
mag man bewundern, aber er bringt keine<br />
Freiheit in der Kirche hervor.“<br />
Man bezieht sich in Poitiers auf ein<br />
Apostolisches Schreiben von Johannes<br />
Paul VI., das beim regulären Kirchen -<br />
mitglied ansetzt: „Es ist notwendig, dass<br />
die Kirche des dritten Jahrtausends alle<br />
Getauften und Gefirmten dazu anspornt,<br />
sich ihrer aktiven Verantwortung<br />
im kirchlichen Leben bewusst zu<br />
werden. Neben dem Weiheamt können<br />
zum Wohl der ganzen Gemeinschaft andere<br />
Dienstämter blühen, die durch Einset<br />
zung oder einfach durch Anerkennung<br />
übertragen werden. Diese Dienstämter<br />
unterstützen die ganze Gemeinde<br />
in ihren vielfältigen Bedürfnissen –<br />
von der Katechese bis zur Gestaltung<br />
des Gottes dienstes, von der Erziehung<br />
von Kindern und Jugendlichen bis hin zu<br />
den verschiedensten Formen der Näch sten<br />
liebe.“ Aus diesem Ansatz der grundlegenden<br />
Gleichheit aller an Christus<br />
Glaubenden, ob Kleriker oder Laie,<br />
will die Diözese Poitiers „jenem unfruchtbaren<br />
Gegenüber von Priestern<br />
und Laien“ entkommen, das sich in Be-<br />
griffen von „erlaubt“ und „verboten“ erschöpft.<br />
Das Wort „Laie“ liebt man<br />
nicht; man spricht vom „Volk Gottes“,<br />
in dem alle Christen gleiche Rechte und<br />
Pflichten haben. Eine Differenzierung in<br />
Ämtern kommt erst danach. Es gilt eine<br />
Schon zum vierten Mal fasst Rom Beschlüsse ohne<br />
mich. Mit einer solchen Institution kann ich unmöglich<br />
in Frieden leben. Ich lege meine Demission<br />
vor … In Sachen des Glaubens gehorche ich Rom,<br />
aber in Sachen Pastoral bin ich Bischof, ich setzte<br />
mich aufs Pferd und leite die Schlacht. Wenn der<br />
König eine Schlacht von seinem Palast aus leiten<br />
wollte, wäre sie zum voraus verloren …<br />
P. Walbert Bühlmann, OFMCap<br />
Denkweise der Komplexität: als Komplexität<br />
der Dienstämter, unter denen<br />
die Gestalt des Priesters weder die alleinige<br />
noch die beherrschende ist.<br />
Für Erzbischof Rouet ist der Zuschnitt<br />
der ausschließlich vom Pfarrer<br />
abhängigen Pfarrgemeinde überholt.<br />
„Bei der Pfarrei ging es seit Jahrhunderten<br />
um Macht: Die Priester bestimmten<br />
alles. Jetzt sind sie noch mehr überlastet.<br />
Ständig müssen sie Messen feiern.<br />
Eine grundlegende Erneuerung ist so<br />
nicht möglich.“ An die Stelle eines Priesters,<br />
der für reibungslose Abläufe sorgt,<br />
wie dies Behörden von kompetenten<br />
Be amten erwarten, treten christliche<br />
Frau en und Männer, die eine Gemeinde<br />
begleiten können, die etwas von ihr fordern,<br />
sie hellhörig machen für die Ansprüche<br />
des Evangeliums und die jedem<br />
ermöglichen, eigene Verant wor -<br />
tung wahrzunehmen. Der Prie-<br />
ster ist nicht vorrangig Spezialist<br />
für Kultus und Sakramente, sondern<br />
Seelsorger und Theologe.<br />
Er kümmert sich um die Fortbildung<br />
der örtlichen Basisge mein -<br />
den, er unterstützt spirituell und<br />
auch organisatorisch die Vernetzung<br />
der Orts gemeinden mit<br />
dem Bistum. Priester sollen „im<br />
Zeichen der Wander schaft“ leben,<br />
wie schon die Apostel von<br />
Gemeinde zu Gemeinde zogen, um<br />
zu stärken und bisweilen auch, die ein<br />
oder andere Haltung zurechtzurücken.<br />
Erzbischof Rouet fragt: „Warum sollte<br />
es bei einer kirchlichen Funktionsweise<br />
bleiben, die unmöglich aufrechtzuerhalten<br />
ist? Trotz aller Mahnungen und<br />
Not fallmaßnahmen gelangt das Modell<br />
Pfarrei an die Grenzen seiner Möglich -<br />
keiten. Wenn man befürchtet, dass die<br />
Laien nicht zum pastoralen Handeln<br />
fähig sind, warum firmt man sie dann?<br />
Sollten sie Un mündige in der Kirche<br />
bleiben?“
SAUERLAND NR. 2/2010 75<br />
Das Modell Pfarrge mein de wird also<br />
aufgegeben, d.h. die Gemeinde definiert<br />
sich nicht mehr vom Pfarrer her. Der Bischof<br />
beruft sich deshalb auch nicht auf<br />
den meist beanspruchten Ka non 517<br />
§ 2 des kirchlichen Gesetz buches, nach<br />
dem Laien an der Verantwortung für die<br />
Pastoral beteiligt werden können. „Diese<br />
Erlaubnis führt in eine Sackgasse … Um<br />
die Strukturen von gestern beizubehalten,<br />
ist man zu allen Tricks bereit.“ Dabei<br />
ist es keine Frage, dass in Frankreich die<br />
Klerikerkirche vor dem Aus steht: Im Bistum<br />
Belfort wird es im Jahr 2017 noch<br />
sieben Priester unter 65 Jahren geben,<br />
im Bistum Verdun werden es noch neun<br />
sein, in Le Havre fünfzehn.<br />
Um eine örtliche Gemeinde zu bilden,<br />
sind im Poitou fünf Verantwortliche Bedingung.<br />
Die Gemeinde wird also von<br />
Personen, nicht von Kirchtürmen bestimmt.<br />
Der Bischof besteht darauf, dass<br />
die leitende Equipe für nur drei Jahre gewählt<br />
wird, wobei niemand länger als<br />
sechs Jahre im Amt bleiben soll, damit<br />
die Gemeinde lebendig bleibt und sich<br />
aus neuen Menschen, vielleicht bisher<br />
Abständigen und Kirchenfremden, immerzu<br />
erneuert. „Wenn man einen Po sten<br />
zu sehr personalisiert, verwehrt man<br />
Leuten mit anderem Profil den Zu gang.“<br />
Zur Aufgabe der Equipe gehört die<br />
Verantwortung für den Gottesdienst, für<br />
Alte, Kranke und Hilfsbedürftige; auch<br />
ist ihr die Katechese für Kinder, Jugendliche<br />
und Erwachsene aufgetragen;<br />
ebenso die Gestaltung von Begräb -<br />
nisfeiern … Keineswegs sollen jedoch<br />
die hierfür Verantwortlichen das alles<br />
selbst tun; sie können andere Menschen,<br />
die dazu geeignet sind, dafür suchen.<br />
Flexibilität ist geboten, damit jene,<br />
die Familie und Beruf haben, sich nicht<br />
erschöpfen. Da selbst kleine Dörfer,<br />
wenn sie wollen, sich für eine örtliche<br />
Ge meinde entscheiden können, wird<br />
kein vorhandener Kirchbau verlangt.<br />
Für den Anfang mag schon ein einziger<br />
Ver sammlungsraum genügen. Die Fest -<br />
legung des Gebiets einer Gemeinde erfolgt<br />
nicht auf dem Verwaltungsweg,<br />
sondern soll sich aus der Geschichte der<br />
betroffenen Bevölkerung ergeben. So<br />
umfasst die kleinste örtliche Gemeinde<br />
im Bistum ein Dorf von 163 Einwoh -<br />
nern „und erweist sich als sehr lebendig.<br />
Zur größten gehören acht Kommunen<br />
mit nahezu 4.000 Einwohnern – dort<br />
haben die Leute darauf bestanden, zusammen<br />
zu bleiben.“ Freilich, wenn es<br />
in einem Dorf an Miteinander fehlt,<br />
„wird es schier unmöglich, eine Gemeinde<br />
zu errichten“.<br />
Die örtlichen Gemeinden im Bistum<br />
Poitiers unterscheiden sich von den bisherigen<br />
Pfarrgemeinden primär dadurch,<br />
dass Laien nicht mehr Helfer des<br />
Pfarrers sind, sondern eigene Verant -<br />
wortung übernehmen. „Selbst wenn wir<br />
viele Priester hätten, wäre es normal,<br />
diese Gemeinden zu konstituieren, und<br />
zwar aufgrund der Sakramente der Initiation.“<br />
Der Priester ist nicht die zentrale<br />
Bezugsperson; er kümmert sich<br />
nicht mehr um alle Details, weiß nicht<br />
mehr alles, dirigiert nicht. Er gewinnt<br />
Ruhe. „Ist er überlastet, dann meist deshalb,<br />
weil er noch zu sehr am Ideal eines<br />
prall gefüllten Terminkalenders hängt.<br />
Nun findet er Zeit, um zu beten, zu lesen,<br />
sich weiter zu bilden, die Bewegungen<br />
und Verbände zu begleiten und<br />
Nicht christen kennenzulernen … Wenn<br />
man den Laien Aufgaben überträgt,<br />
muss man eine andere Struktur finden.“<br />
Um es noch mal zu sagen und für die<br />
eigene Planung grundlegend zu bedenken:<br />
Die neuen Gemeinden werden<br />
nicht gebildet, um fehlende Priester zu<br />
ersetzen, sondern um alle in die Ver -<br />
antwortung einzubinden. Die ermutigenden<br />
Erfahrungen, die in Poitiers gewonnen<br />
wurden, lassen sich hier nicht<br />
im Detail darstellen. Einen Bericht darüber<br />
legten Reinhard Feiter und Hadwig<br />
Müller 2009 unter dem Titel „Was wird<br />
jetzt aus uns, Herr Bischof?“ im Schwa -<br />
benverlag vor.<br />
Fragt man nach dem Echo dieser Innovationen<br />
äußert sich viel Zustim mung:<br />
„Das diözesane Projekt der örtlichen<br />
Gemeinden hat eine ungeahnte Vitalität<br />
unter den Christen mobilisiert; offensichtlich<br />
entsprach es ihren noch unklaren<br />
Erwartungen.“ Oder: „Man muss<br />
nicht mehr auf bessere Zeiten warten,<br />
sondern man kann das christliche Leben<br />
an einem bestimmten Ort selbst in die<br />
Hand nehmen. Nun geht es nicht mehr<br />
darum, dem Priester zu helfen, auf dessen<br />
Schultern bisher alles ruhte, sondern<br />
es geht darum, im Glauben selbst<br />
erwachsen zu werden … Der Priester<br />
steht nicht mehr im Zentrum dessen was<br />
möglich ist, sondern der Gemeinde gegenüber<br />
als derjenige, der bestärkt (zuweilen<br />
auch tröstet) und unterstützt, der<br />
Grundlagen schafft und bei der Unter -<br />
scheidung der Geister hilft, der ruft oder<br />
auch begleitet.“ In jeder örtlichen Ge -<br />
meinde wird jeden Sonntag Gottes -<br />
dienst gefeiert. Die Dorfkirche bleibt<br />
nicht geschlossen mit dem Hinweis, die<br />
nächste Heilige Messe finde zehn Kilometer<br />
entfernt statt. Die Kirchen -<br />
gemeinde bleibt vor Ort.
76 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Wenn der Priester für diese örtliche Gemeinden<br />
nur noch bedingt verfügbar ist,<br />
kommt es natürlich zu Entschei dungen,<br />
die den stets als unverzichtbar gesetzten<br />
deutschen Ausgangsbedi gun gen entgegenstehen:<br />
„Wir haben in der Basisequipe<br />
[dem örtlichen Gemein deteam] lange diskutiert<br />
und kamen zu dem Ergebnis, dass<br />
wir mit unseren sonntäglichen Versammlungen<br />
zum Gebet ein sichtbares Zeichen<br />
für unsere Gemeinden darstellten … Manche<br />
wären sicher lieber zur Eucharistiefeier<br />
in den Nachbarort gefahren. Wir hatten<br />
uns aber tatsächlich dazu entschlossen,<br />
am Ort zu bleiben, in unserer Gemeinde,<br />
in unserer Kirche, ob zu einer Eucha -<br />
ristiefeier oder zu einem Wortgot tes -<br />
dienst.“<br />
Bei solchen Entscheidungen bleibt es<br />
nicht aus, dass die alte Furcht vor Demokratie<br />
in der Kirche wieder aufkommt.<br />
„Sagen wir es in aller Klarheit, hier geht<br />
es um Macht“, sagt Bischof Rouet. Diese<br />
Position will er dem Pfarrer nicht weiterhin<br />
zuschreiben.<br />
In zwölf Jahren pastoraler Arbeit sind<br />
im Erzbistum Poitiers mehr als dreihundert<br />
örtliche Gemeinden neu entstanden.<br />
Das Empfinden von Schwäche und<br />
Schwund, das bis dahin geherrscht hat,<br />
nimmt ab. Spürbar lebt die Hoffnung auf.<br />
Die Menschen wandeln sich durch die<br />
Aus übung ihrer Aufgaben. Was nicht<br />
heißen soll, es gäbe keine Probleme mehr!<br />
Verantwortliche wer den beruflich versetzt,<br />
manche werfen bei den ersten Schwierigkeiten<br />
das Handtuch, andere können<br />
nicht mit Konflikten umgehen. All das gibt<br />
es. Aber das Bild, dass sich letzten Endes<br />
aufdrängt, zeigt, dass das Volk Gottes eine<br />
große und schöne Wirklichkeit ist.“<br />
Der hier gegangene Weg unterscheidet<br />
sich radikal von allen sonst im deutschen<br />
Sprachraum (und vermutlich weit<br />
darüber hinaus) erörterten Lösungen. Es<br />
wird nicht nach viri probati verlangt,<br />
nach keinem Diakon oder Pasto ral -<br />
theologen, der den Pfarrer ersetzen soll.<br />
Gewiss, in wieweit der hier vorgestellte<br />
Weg an französische Mentalitäten und<br />
Bedingungen geknüpft ist, die für unser<br />
Land nicht zutreffen, lässt sich nicht entscheiden,<br />
bevor ähnliche Bewusst -<br />
werdungsprozesse und innere Bereit -<br />
schaften mobilisiert worden sind, wie sie<br />
im Poitou stattfanden. Ohne Zweifel ist<br />
dieser Weg auch nicht ohne die bemer-<br />
kenswerte Person des Bischofs denkbar.<br />
Doch geht es nicht darum, das Beispiel<br />
von Poitiers zu kopieren. Vorerst kommt<br />
es darauf an, das bisherige Denkgleis zu<br />
verlassen und für neue Vorstellungen<br />
und kühne Lösungen offen zu werden.<br />
Wollte man jedoch in den kommenden<br />
zwei Jahrzehnten das Gemeindeleben in<br />
unseren Dörfern und Kleinstädten auf<br />
dem beschrittenen Weg weiterhin von<br />
Priestern abhängig halten, die mehr Manager<br />
als Seelsorger sind, würden die<br />
heute noch gegebenen Möglichkeiten<br />
verspielt. Alle, die derzeit im Spiel sind,<br />
müssen wissen, dass sie mit Unent -<br />
schlossenheit ihren Nachfolgern allenfalls<br />
gestatten, hinter einem abgefahrenen<br />
Zug herzuschauen. Selbst wenn es<br />
beim überholten Konzept „Priester und<br />
Helfer“ bleiben sollte, wird ohne fundamentale<br />
Zurüstung des Kirchenvolks die<br />
Zukunft nicht bestanden.<br />
Lebendige Traditionen, wie sie im<br />
Sauerland heute noch gegeben sind,<br />
wird man in zehn oder zwanzig Jahren<br />
so nicht mehr vorfinden. Wer also fängt<br />
an, in der eigenen Gemeinde die Zukunft<br />
von Kirche und Christentum zu<br />
diskutieren? Welche Vereine, Gruppen,<br />
Stamm tische überlegen, wie die Kirche<br />
im Dorf bleiben kann? Wo begnügt man<br />
sich nicht länger mit Tradition, sondern<br />
befragt diese auf ihre Zukunftsfähigkeit<br />
hin? Wer gibt die zu stellenden Fragen<br />
an den Bischof weiter? Mit welcher Be -<br />
harrlichkeit? Wer äußert Wünsche und<br />
Erwartungen? Wer macht Vorschläge?<br />
Wer schlägt aus dem Beispiel Poitiers<br />
Funken und legt Feuer? Wer nährt den<br />
Brand? Wer ruft die kirchliche Feuer -<br />
wehr? Wird sie löschen oder sich bekeh-<br />
ren und Brandbeschleuniger einsetzen?<br />
Alles ist möglich. Aber kreative Ent -<br />
schiedenheit ist nötig!<br />
Das Titelbild zu diesem Aufsatz malte Vincent<br />
van Gogh 1882. Er nannte es „Die Kirche”.<br />
Es war eine Kirche der Tradition, deren<br />
Bräuche und Erwartungen man einfach übernahm,<br />
die van Gogh bereits verließ und die<br />
heute ihrem Ende entgegengeht. Der Enkelund<br />
Urenkelgeneration sind viele Glaubensinhalte<br />
und Praktiken fremd geworden. Religion<br />
und Kirche verloren ihre Macht über die Menschen,<br />
weil sich die meisten von übergestülpten<br />
Formen befreien wollen. Die Kirche der<br />
Zukunft lässt sich nicht mehr ererben. Sie<br />
kann nur noch aus eigener Entscheidung<br />
wachsen.<br />
Mitarbeiter dieser<br />
Ausgabe:<br />
Bügerm. Hubertus Klenner, Marsberg<br />
Hermann Runte, Marsberg<br />
Alfred Tack, Marsberg<br />
Bernd Follmann, Marsberg<br />
Dr. Adalbert Müllmann, Brilon<br />
Dr. Siegfried Kessemeier, Münster<br />
Prof. Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen<br />
Karl Jochen Schulte, Sundern<br />
Dr. Erika Richter, Meschede<br />
Peter Karl Becker, Brilon<br />
Peter Bürger, Düsseldorf<br />
Hans Jürgen Rade, Paderborn<br />
Detlev Becker, Arnsberg<br />
Prof. Dr. Reiner Feldmann, Menden<br />
Wolfgang Frank, Arnsberg<br />
Dr. Hubert Schmidt, Sundern<br />
Dieter Wurm, Meschede<br />
Norbert Föckeler, Brilon
SAUERLAND NR. 2/2010 77<br />
Albert Renger-Patzsch, der Fotograf vom Möhnesee<br />
Der vorurteilsfreie Blick auf die Um -<br />
welt, handwerklich gekonntes Arbeiten<br />
mit der Laufbodenkamera im Negativ -<br />
format 9x12 cm, sowie die aufwendige,<br />
präzise, saubere Fotolaborarbeit und ein<br />
Gefühl für das Wesen der Dinge, das<br />
sind die herausragenden und charakteristischen<br />
Merkmale der fotografischen<br />
Schwarz/Weiß-Arbeiten von Al bert<br />
Renger-Patzsch.<br />
Der Wille nur die Wirklichkeit abzubilden,<br />
Effekte zu vermeiden, sein geschultes<br />
Auge für Details, Strukturen, Licht<br />
und Schatten im Bild umzusetzen und es<br />
schon in der Vorstellung zu sehen bevor<br />
es gemacht wird, sowie die absolute Bildschärfe,<br />
Fotografie als Dokumen tation<br />
war der Beitrag zur Avantgarde-Fotografie<br />
der zwanziger und frühen dreißiger<br />
Jahre des letzten Jahrhunderts.<br />
Ehrlichkeit, Objektivität und Beschei -<br />
denheit war seine Maxime. Sie fanden<br />
von Karl Jochen Schulte • Reproduktionen: Hans Wevering<br />
im Bereich seiner Fotografie reinste<br />
Ausprägung. Albert Renger-Patzsch gilt<br />
als Vaterfigur der neusachlichen Foto -<br />
grafie, der „Fotografie der Neuen Sach -<br />
lichkeit“. „Das Geheimnis einer guten<br />
Photographie ... beruht in ihrem Realismus,“<br />
so der Fotograf.<br />
Albert Renger-Patzsch hatte den An -<br />
spruch, Gestalt, Aussehen, Oberfläche<br />
der „Dinge“ in Material und Form präzise<br />
zu erfassen, mit dem ihm nüchternen<br />
Blick ihr Wesen aufzuzeigen und fotografisch<br />
umzusetzen. Das Motiv -<br />
repertoir war breit gefächert. Seine Motive,<br />
die er fotografiert, seine „Din ge“<br />
sind haupt sächlich Industrie- und Tech -<br />
nikanlagen, Ge gen stände des Alltags,<br />
aber auch Bäume, Tiere, Pflanzen, Gesteine,<br />
Wer befotos von Produkten,<br />
Städte land schaften und Industrieland -<br />
schaften des Ruhrgebiets (die Veröf -<br />
fentlichung der Aufnahmen der von<br />
„Sonniger Herbstmorgen“ aus „Bilder und Landschaften zwischen Ruhr und Möhne“ 1957<br />
Bomben zerstörten Stadt Essen wurde<br />
von den Nazis verboten), die Halligen,<br />
Sylt, das Land am Oberrhein, die Stadt -<br />
landschaften Ham burg, Lübeck, Pader -<br />
born und Soest, vor allem in den letzten<br />
beiden Jahrzehnten seines Lebens Sauer<br />
landlandschaften, in denen er sich mit<br />
seiner neuen Heimat identifiziert hat wie<br />
kaum ein anderer Fotograf.<br />
Doch vor ihm war alles anders. Berufs-<br />
und Amateurfotografen huldigten<br />
ab etwa 1900 der Kunstfotografie. Unschärfe,<br />
weichzeichnende „impressionistisch“<br />
wirkende Objektive, To nun gen,<br />
Retuschen, an die zwanzig fotografische<br />
Edeldrucke wie z.B. der Gum midruck<br />
oder der Platindruck, die Salon -<br />
fotografie mit exotischen Deko rationen<br />
und theatralischen Inszenie rungen, waren<br />
kunstfotografischer Aus druck. Die<br />
Fotografie stand unter dem Motto:<br />
„Kunst verändert die Wirk lichkeit.“ An-
78 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
fang der zwanziger Jahre des letzten<br />
Jahrhunderts wurde Renger-Patzsch<br />
zum entschiedenen Gegner der Kunstfotografie<br />
und steht ihr konträr gegenüber:<br />
„Überlassen wir die Kunst den<br />
Künstlern, versuchen wir mit allen<br />
Mitteln der Fotografie,<br />
Fotografien zu schaffen, die durch<br />
ihre fotogra fischen Qualitäten<br />
bestehen können.“<br />
Albert Renger-Patzsch<br />
„Hevetal bei Hirschberg, 1952“<br />
Zuneh mend wurde dem Brom sil -<br />
berbild ein großer Spielraum eingeräumt,<br />
der Begriff „bildmäßige Foto -<br />
grafie“ setzte sich durch.<br />
Albert Renger-Patzsch wurde 1897<br />
in Würzburg geboren. Sein Vater war<br />
begeisterter Amateurfotograf und unterwies<br />
seinen Sohn schon frühzeitig in der<br />
Kamerakunde und Fotolabortechnik.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg studierte<br />
Renger-Patzsch Chemie an der TU<br />
„Sumpfdotterblumen und Schwertlilien im Erlenbruch“<br />
Dresden, brach aber das Studium ab,<br />
ging 1922 nach Hagen/Westf. und leitete<br />
dort die fotografische Abteilung des<br />
Folkwang-Archivs. 1923/1924, nach<br />
mehreren beruflichen Stationen, arbeitete<br />
er im Folkwang-Verlag. 1928 er -<br />
schien der Fotoband „Die Welt ist<br />
schön“, das einflussreichste Fotobuch<br />
seiner Zeit mit Detailauf nahmen von<br />
Maschinen, Apparaturen und technischen<br />
Einrichtungen, Indu striepro duk -<br />
ten, Bauten, Pflanzen, Tie ren und Landschaften,<br />
exemplarische Beispiele des<br />
neuen Sehens, der „Neuen Sach -<br />
lichkeit“ in der Fotografie, mit Objek -<br />
tivität, Schönheit, Ehrlichkeit und Ord -<br />
nung. Das Buch gilt als sein wichtigstes<br />
Werk. Auf diesem Werk ist sein Welt -<br />
ruhm und Einfluss begründet. 1929<br />
zieht Albert mit seiner Familie nach Essen<br />
auf die Margaretenhöhe und erhält<br />
im Folkwang Arbeits- und Atelier räume.<br />
1933 übernimmt er an der Folkwang-<br />
Schule den Lehrstuhl „Bild mäßige Fotografie“,<br />
gibt diesen dann wieder auf, um<br />
unabhängig zu fotografieren. 1936 testest<br />
er auf seiner Sylt-Reise im Auftrag<br />
von Zeiss-Ikon die Kamera Super-Ikonta<br />
mit dem vierlinsigen Objektiv Tessar<br />
2,8/8 cm. Es folgen Aufträge für<br />
Zündapp, Boehringer, Kaffee Hag, Pelikan<br />
und bekannte Architekten und er publiziert<br />
seine Werke auch in der Presse, u.<br />
a. Auf nahmen der „Westwall befesti -<br />
gung.“ 1944 verliert Renger-Patzsch bei<br />
Bom benangriffen auf Essen seine Wohnung<br />
und fast sein gesamtes Archiv. Er<br />
zieht mit seiner Familie nach Wamel am<br />
Möhne see und widmet sich in dieser Zeit<br />
wieder der Industrie foto grafie, vornehmlich<br />
aber der Sauer länder Landschaft<br />
und „den Dingen“ in ihr. Im Sauerland<br />
lebt er bis zu seinem Tod im Jahr<br />
1966.<br />
Wie in anderen Sujets akzentuiert Albert<br />
Renger-Patzsch auch in den Sauerlandlandschaften<br />
Form, Struktur und<br />
Materialität der Motive. Erde, Gras und<br />
Schotter sind auf seinen Bildern durchgezeichnet.<br />
Die alten Holzzäune, noch<br />
ohne Stacheldraht, zum Teil brüchig,<br />
manchmal ausgeflickt, zeigen ebenso<br />
Detailreichtum. Waldland schaf ten, alte<br />
Bäume und Hecken, Wiesen und Felder,<br />
Bäche, Moore, Sümpfe und Teiche, der<br />
Möhnesee mit der gewaltigen konkaven<br />
Staumauer, die Brücken über Heve und<br />
Möhne, Fachwerk häuser und Bauern -
SAUERLAND NR. 2/2010 79<br />
höfe dokumentieren auf kleinem Raum<br />
zwischen Ruhr und Möhne, in einer<br />
außerordentlichen Vielfalt der Bilder die<br />
Schönheit unserer <strong>Sauerländer</strong> Heimat.<br />
Die alten Buchen im Arnsberger<br />
Wald, fotografiert im Gegenlicht oder<br />
Streif licht, zeigen ihre Mo numentalität<br />
und Erhabenheit.<br />
Das Bild „Sonniger Herbstmorgen“<br />
aus dem Privatdruck der Siepmannwerke<br />
Belecke „Bilder und Land schaf -<br />
ten zwischen Ruhr und Möhne“, richtet<br />
sich ganz nach dem Motiv und führt zu<br />
dem von Renger-Patzsch erwarteten<br />
Ergeb nis mit den Elementen der sachlichen<br />
Fotografie. Die Staffelung des Bildes<br />
vollzieht sich im Vordergrund mit<br />
dem Lichteinfall auf den strukturierten<br />
Boden vor den im Mittelgrund stehenden<br />
gut durchgezeichneten Buchen mit<br />
ihrem dunklen Schattenwurf. Im Mittel -<br />
grund wirkt das athmosphärisch einfallende<br />
Licht, nebeldurchdrungen mit<br />
dominierenden Spitzenlichtern im<br />
Laub werk, ganz bewusst gesehen und<br />
erwartet vor sich dunkel abzeichnendem<br />
Hintergrund. Wie lange hat Renger-Patzsch<br />
wohl auf dieses Licht warten<br />
müssen? Durch den tiefen Kamera -<br />
standpunkt erreicht er Tiefe und Aus -<br />
druck im seitlichen Gegen licht. Die<br />
Bäume sind unten nicht angeschnitten,<br />
der Ausschnitt im Querformat verdichtet<br />
die Bildaussage.<br />
Aus dem Bildband „Im Wald, Auf -<br />
nahmen aus dem Naturpark Arnsber ger<br />
Wald“ stammt die Fotografie „He vetal<br />
bei Hirschberg“, die ebenfalls nach den<br />
Vorstellungen des Fotografen in klassischer<br />
Bildgestaltung entstanden ist. Beeindruckend<br />
ist hier die Schärfe über das<br />
ganze Bild vom vordergründigen Schotter,<br />
Schwemmsand und Gespülse über<br />
gut durchgezeichnete Schwarzerlen bis<br />
zu den Fichten zwei gen mit Lichtern.<br />
Durch die lange Belichtungszeit sieht<br />
man keine Was serbewegung des Möhnevorfluters<br />
Heve, das Bild strahlt große<br />
Ruhe aus.<br />
An mehreren Stellen im Arnsberger<br />
Wald und dem Einzugsgebiet der Möhne<br />
finden sich vernässende Stellen und Erlenbrüche,<br />
die das Bild von Renger-<br />
Patzsch „Sumpfdotterblumen und<br />
Schwertlilien im Erlenbruch“ aus dem<br />
Bildband „Im Wald“ zeigen. Das Motiv<br />
„Hamorsbruch, Hangmoor am Stimm-Stamm, 1953“<br />
wurde vom Fotografen mit der ganzen<br />
Skala der Farben in Schwarz/Weiß -Töne<br />
im starken Ausschnitt umgesetzt, um<br />
eine Verdichtung der Bildaussage herbeizuführen.<br />
Kontrastreich gestaltet<br />
sieht man die zarten Weißen der Blüten<br />
und die hell-akzentuierten Grautöne der<br />
Blätter, ebenso die tiefen Schatten. Typisch<br />
für dieses Bild ist das Merkmal der<br />
Dokumentation, denn Feucht biotope<br />
wie Renger-Patzsch sie noch fotografie-<br />
„Laub mischwald bei Wilhelmsruh, 1958“<br />
ren konnte, werden immer seltener. Das<br />
Schwarzweiß-Aufnahme mate rial sieht<br />
im Gegensatz zum Auge keine Farb-,<br />
sondern nur Hellig keitsunterschiede. Es<br />
gehört zu den Erfahrungen der Aufnah -<br />
me technik, solch ein Motiv auf seine unterschiedlichen<br />
Grautöne zu beurteilen<br />
und den Einfluss des Kontrasts auf die<br />
Belichtung optimal zu steuern. Darin<br />
war Renger-Patzsch ein Meister seines<br />
Faches.
80 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
„Hamorsbruch, Hangmoor am<br />
Stimm-Stamm“ nennt Renger-Patzsch<br />
das Bild. Aufbau und Gestaltung des<br />
Bildes nahm der Fotograf im „Golde -<br />
nen Schnitt“ vor. In der Dreiteilung erkennt<br />
man deutlich den Schwerpunkt<br />
der Schwarzerlen mit gut durchgezeichneter<br />
Struktur und Spitzenlichtern im<br />
Farn kraut. Auch hier wieder die Ver -<br />
dichtung des Bildes durch den Aus -<br />
schnitt. Die meisten Land schafts bilder<br />
nahm Ren ger-Patzsch im Querformat<br />
auf.<br />
Eine nach rechts diagonal aus dem<br />
Bild verlaufende Buchenreihung, die<br />
Schatten der hinteren Buchen, die<br />
Strukturen „der Dinge“ (Waldboden,<br />
Gras, Bäume, Baumrinde, Blätter) geben<br />
dem Bild enorme Tiefe. Diese Fotografie<br />
mit dem Titel „Laub misch wald<br />
bei Wilhelmsruh“ steht dafür, was Renger-Patzsch<br />
meint, wenn er sagt: „Man<br />
sollte wohl in der Fotografie vom Wesen<br />
des Gegenstandes ausgehen und mit<br />
rein fotografischen Mitteln versuchen,<br />
diesen darzustellen, ganz gleich, ob es<br />
ein Mensch, eine Landschaft, eine Archi<br />
tektur oder sonst was ist ......“ 2).<br />
Durch die Veränderung des Ausschnitts<br />
präzisiert Renger-Patzsch durchgehend<br />
Ausdruck und Stimmung der Aufnahme,<br />
reduziert den Gegenstand und verdichtet<br />
so das Bild. Ohne Zweifel muss festgestellt<br />
werden, dass dieses Bild und die<br />
anderen in diesem Beitrag zu seinen besten<br />
gehören.<br />
Die wundervoll stille, beeindruckende<br />
Winterlandschaft „Eichenkamp bei Wamel“<br />
aus dem Privatdruck der Siep -<br />
mann-Werke, verdichtet und konzentriert<br />
mit dem Objektiv oder im Foto -<br />
labor als Ausschnitt gestaltet, gibt es<br />
nicht mehr. Die abgegrenzten Wiesen<br />
und Felder sind im Rahmen der Flur -<br />
bereinigung weitgehend „geordnet“.<br />
Renger-Patzsch hat die Doku mentation<br />
gefordert, hier ist sie. Auf den ersten<br />
Blick wirkt die Fotografie eher graphisch<br />
mit ihren Busch- und Baumgruppen,<br />
den Weidenzäunen ganz aus Holz ohne<br />
Stacheldraht, ein Bild durch Weiden -<br />
gatter gegliedert. Damit Spannung ins<br />
Bild kommt, hat er die ins Auge fallende<br />
S-Kurve mit ihrer buschigen Weißdornund<br />
Schlehen hecke nach links verlagert<br />
ins Bild gesetzt. Sein fotografischer Ordnungssinn<br />
kommt hier und in den anderen<br />
Bildern voll zum Tragen. Über seine<br />
Portrait Albert Renger-Patzsch<br />
aufgenommen von seiner Tochter Sabine,<br />
1957, entnommen: Joy before the object,<br />
Donald Kuspit, Philadelphia Museum of Art<br />
1993<br />
lange Schaffenszeit hinweg hielt er die<br />
Forderung nach einer Tonscala vom<br />
hellsten Weiß bis zum tiefen Schwarz<br />
aufrecht. Extreme Werte sind in seinen<br />
Bildern nur gering vertreten. Das Win -<br />
ter bild enthält bei allem Kontrast fein abgestufte<br />
Grauwerte, bedingt durch diffuses<br />
Licht. Wie fast alle Renger-Patzsch-<br />
Landschaften ist auch dieses ein Bild ohne<br />
Wolken, die ja ohnehin nur vom<br />
„Wesentlichen ablenken“, so Renger-<br />
Patzsch.<br />
In Vorbereitung auf einen Vortrag<br />
1956 in Hamburg schrieb er an Prof.<br />
Dr. Otto Steinert: „Ich wäre Ihnen zu besonderem<br />
Dank verpflichtet, wenn Sie<br />
so wenig wie möglich rein Per sönliches<br />
vorbrächten. Zwar interessieren sich die<br />
Leute dafür am meisten, aber das ist ja<br />
verkehrt und man soll das nicht<br />
nähren.“ 3) Seine Stärke fand in der Bescheidenheit<br />
ihren Audruck, in seiner<br />
persönlichen Einstellung, in seiner Aus -<br />
rüstung. Er arbeitete mit Bal genkameras<br />
im Format 9x12 cm und Objektiven mit<br />
Brennweiten von 80 bis 300 Millimeter<br />
und zog geringe Licht stärken den „Riesenglasglotzen“<br />
vor, so der Foto graf. In<br />
der Regel kam er so auf längere Verschlusszeiten,<br />
so dass mehr Licht auf das<br />
Negativ fiel und schließlich in vielen Bildern<br />
vorhanden ist. Sein Lieblings -<br />
objektiv war ein vierlinsiges Objektiv,<br />
vom Typ Anastigmat der Firma Zeiss<br />
mit einer Lichtstärke von 1:6,3. In der<br />
Regel kam er so auf längere Ver -<br />
schlusszeiten, wodurch mehr Licht auf<br />
das Negativ fiel und schließlich in vielen<br />
Bildern zu sehen ist.<br />
Albert Renger-Patzsch, der Erneuerer<br />
der Fotografie, hinterließ uns ein Werk<br />
von Ehrlichkeit, Objektivität und Be -<br />
scheidenheit, ungekünstelt und klar. In<br />
der Geschichte des Mediums Fotografie<br />
hat er seinen festen Platz. An ihm orientierten<br />
und orientieren sich Gene -<br />
rationen von Berufs- und Amateur -<br />
fotografen und setzen die Elemente der<br />
„Neuen Sachlichkeit“, in seinem Sinne<br />
erfolgreich um. Fragt man heute: „Was<br />
bedeutet Schwarz/ Weiß-Fotografie?“<br />
werden von engagierten Fotografen diese<br />
Antworten gegeben: „In meinen Fotos<br />
versuche ich die Welt so einzufangen wie<br />
sie ist.” „Schwarz/Weiß heißt zeichnen<br />
ohne das Geräusch der Farbe,<br />
Schwarz/Weiß vedeutlicht die Struktur<br />
des Inhalts.” „Schwarz/Weiß-Fotografie<br />
ist für mich ein Ausdrucksmittel mit hoher<br />
ästheti scher Qualität, die Reduzierung<br />
der farblichen Umgebung auf Tonwerte<br />
zwischen Schwarz und Weiß.” „Schwarz<br />
und Weiß schärft den Blick auf den wesentlichen<br />
Inhalt des Bildes.”<br />
„Schwarz/Weiß bringt die Bildaussage<br />
auf den Punkt. Viele Bilder sind schön<br />
bunt und glatt, folgen Trends und sind einen<br />
Wimpernschlag später schnell vergessen.”<br />
„Schwarz/Weiß ist Poesie, es<br />
macht die ordnende Kraft des Lichtes<br />
sichtbar in Formen und Strukturen.<br />
Schwarz/Weiß ist leise und zärtlich oder<br />
dramatisch und voller Wucht.”<br />
„Schwarz/Weiß bedeutet für mich, die<br />
Lichter und das samtige Schwarz der<br />
Schatten der Natur, im Bild wieder zu finden.”<br />
„Schwarz/Weiß-Fotografie ist Reduktion<br />
auf die Form, Betonung der Geometrie<br />
und der Struktur.“ Das alles hat<br />
Renger-Patzsch so gewollt. Seine Bilder<br />
sind Bilder von großer Wahrnehmungstiefe,<br />
von fotohistorischer Bedeutung.<br />
Im Heimatmuseum in Möhnesee-<br />
Körbecke befindet sich eine größere Anzahl<br />
seiner Fotografien, die, so kann<br />
man hoffen, bald wieder der Öffentlichkeit<br />
zugänglich sind.
SAUERLAND NR. 2/2010 81<br />
Literaturhinweise, Quellenangaben,<br />
Bildnachweise<br />
1 Zitat Albert Renger - Patzsch, Internet<br />
http://wapedia.mobi.de Albert Renger-Patzsch,<br />
aufgerufen am 17.04.2010<br />
http://wapedia.mobi/de/Albert Renger-Patzsch,<br />
Auktionspreise für Vintage -Prints (eigenhändig<br />
zeitnah angefertigte Fotografien) und Albert<br />
Renger-Patzsch Fotobuchpreis<br />
2 aus: „Meister der Kamera erzählen“, Albert Ren-<br />
ger-Patzsch in: Weski/Wilde (Hrsg.), München<br />
1997, S. 166 f<br />
3 Briefwechsel mit Prof. Dr. Otto Steinert<br />
(Mediziner und bedeutender deutscher Fotograf),<br />
Hamburg und Wamel 1951-1956<br />
Bildnachweis<br />
„Sonniger Herbstmorgen“ und „Eichenkamp bei Wamel“<br />
mit Dank und freundlicher Genehmigung entnommen:<br />
„Bilder aus der Landschaft zwischen Ruhr<br />
und Möhne“, Text Helene Henze, Privatdruck der<br />
Siepmann - Werke AG, Belecke (Möhne) 1957<br />
„Hevetal bei Hirschberg“<br />
„Sumpfdotterblumen und Schwertlilien im Erlenbruch“<br />
„Eichenkamp bei Wamel, 1945“<br />
„Hamorsbruch, Hangmoor am Stimm-Stamm“<br />
„Laub mischwald bei Wilhelmsruh“ mit Dank und<br />
freundlicher Genehmigung entnommen: „Im Wald“,<br />
„Aufnahmen aus dem Naturpark Arnsberger Wald“,<br />
Wolfgang Haber, Zweckverband Naturpark Arnsberger<br />
Wald, Soest Druck werkstatt Hermann Kätelhön,<br />
Wamel 1965<br />
Reihenfolge der Angaben:<br />
Titel, Textautor, Verlag, Ort und Jahr<br />
Die Welt ist schön Carl Georg Heise, Kurt Wolff-Verlag,<br />
München 1928<br />
Die Welt ist schön, 1928, Ulrich Ernst Huse, Harenberg<br />
Edition, Nachdruck der Ausgabe aus dem Einhorn-Verlag<br />
München, Dortmund 1992<br />
Meisterwerke, hrsg. v. Ann und Jürgen Wilde und<br />
Thomas Weski, Text Thomas Janzen, Schirmer/Mosel,<br />
München, Paris, London 1997,<br />
ISBN 3-88814-862-6<br />
Beständige Welt, Helene Henze, Der Quell-Verlag von<br />
K.H. Saint George und Strauf, Münster 1947<br />
Soest, Hubertus Schwartz, Westf. Verlagsbuchhandlung<br />
Mocker & Jahn, Soest<br />
1953<br />
Soest in seinen Denkmälern, Hubertus Schwartz,<br />
Westf. Verlagsbuchhandlung<br />
Mocker & Jahn, Soest 1957<br />
Bauten zwischen Ruhr und Möhne<br />
Bildband von Albert Renger-Patzsch, Hugo Kückelhaus,<br />
Privatdruck der Siepmann - Werke KG, Belecke<br />
(Möhne) 1959<br />
Rund um den Möhnesee, Helene Henze, Westf. Verlagsbuchhandlung<br />
Mocker & Jahn, Soest 1951<br />
Soest - alte Stadt in unserer Zeit - Mittelalter und Gegenwart,<br />
Hubertus Schwartz, Westf. Verlagsbuchhandlung<br />
Mocker & Jahn, Soest 1963<br />
Der Fotograf der Dinge, Otto Steinert, Fritz Kempe,<br />
Schrift zur Ausstellung im Ruhrland- und Heimatmuseum<br />
Essen, 21.12.1966 - 22.01.1967<br />
Schriftenreihe „werkstattportrait“ der AG „Gestaltendes<br />
Handwerk Arnsberg“, das „werkstattportrait 10“<br />
ist dem Werk von Albert Renger-Patzsch gewidmet.<br />
Schwarzweiss, Das Magazin für Fotografie, Tecklenborg<br />
Verlag Steinfurth<br />
Einzelausstellungen in Arnsberg<br />
1967, 1972, 1997 Sauerlandmuseum<br />
Einzelausstelungen in Soest<br />
1962 Kunstpavillon, 1984 Wilhelm-Morgner-Haus
82 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Kirchrarbach sucht seine „Wurzeln“<br />
Vor wenigen Wochen hat der Hei -<br />
mat- und Geschichtsverein der katholischen<br />
Kirchengemeinde Kirch rar -<br />
bach ein Buch herausgebracht, das die<br />
Herzen von sauerländischen Ge -<br />
schichts- und Familienforschern<br />
höher schlagen lässt: eine umfangreiche<br />
Zusammenstellung und Er läu -<br />
terung von Stammreihen und Familien<br />
über viele Jahrhunderte hinweg.<br />
Dass historische Laien einer relativ<br />
kleinen Dorfge mein schaft ein so anspruchsvolles<br />
Werk mit dem Titel<br />
„Wurzeln“ veröffentlichen konnten,<br />
wirft Fragen auf, die im folgenden gestellt<br />
und von den hauptsächlichen<br />
Mitwirkenden, die auch im Impressum<br />
als verantwortlich für die „textliche<br />
Aufarbeitung“ genannt sind, beantwortet<br />
werden: Ludger Büngener,<br />
Kirchrarbach − Eduard Klauke,<br />
Kirchrarbach − Josef Lumme, Sögtrop<br />
− Alfred Steilmann, Oberhenneborn<br />
und Josef Wüllner, Oberhenneborn.<br />
Frage: Wie und wann hat Ihre „Wurzelsuche“<br />
eigentlich begonnen?<br />
Antwort: Das war im Jahr 1989.<br />
Vorwiegend Mitglieder des Pfarrge -<br />
meinderates bildeten damals das Redak -<br />
tionsteam unseres Heimatblattes „Der<br />
Bumbacher“. Folglich war auch die Kirchengemeinde<br />
Herausgeber der Heimatnachrichten.<br />
Da im Laufe der Jahre<br />
immer mehr Redaktionsmitglieder aus<br />
dem PGR ausschieden, wollte man etwas<br />
Eigenes schaffen, damit die begonnene<br />
Arbeit fortgesetzt werden konnte.<br />
So wurde im Jahre 1998 der Heimatund<br />
Geschichtsverein der kath. Kirchengemeinde<br />
Kirchrarbach e.V. gegründet,<br />
dem Mitglieder aus allen 10 Dörfern des<br />
Kirchspiels Kirchrarbach angehören<br />
sollten. Der Kirchenvorstand stellte uns<br />
im Theresia-Albers-Haus einen Büround<br />
einen Archivraum zur Verfügung.<br />
Es kamen etwa 100 Per sonen zusammen,<br />
die diesem Verein spontan beitraten.<br />
Im Zuge der Ver einsgründung wurde<br />
dieser dann auch Herausgeber der<br />
Heimatnachrichten. Jetzt waren die<br />
Vorraussetzungen geschaffen, die begonnene<br />
Arbeit fortzusetzen und größere<br />
Vorhaben in den Blick zu nehmen.<br />
Frage: Und wie haben Sie dann Ihr<br />
großes Unternehmen angepackt, das<br />
sich jetzt in diesem 600 Seiten starken<br />
Buch niederschlägt?<br />
Alfred Steilmann, Josef Wüllner, Eduard Klauke, Ludger Büngener,<br />
Gerd Kadler und Josef Lumme<br />
Antwort: Wir hatten gleich zwei Projekte<br />
im Sinn: Eine neue Chronik der<br />
Gemeinde und die Erfassung der<br />
Stammreihen aller bis heute entstandenen<br />
Wohnplätze. Diese Arbeit sollte<br />
dann in einem Buch festgehalten werden.<br />
Bei Sichtung aller Unterlagen kamen<br />
wir dann doch zu dem Ergebnis, für<br />
die Stammreihen ein eigenes Buch herauszugeben.<br />
Ein besonderer Glücksfall<br />
war, dass es von der Pfarrvikarie Ober -<br />
henneborn, die zum Kirchspiel gehört,<br />
bereits das Manuskript einer Chronik<br />
gab, die der Pfarrvikar Studienrat Leister<br />
erstellt hatte. Er ist um 1940 in Ober -<br />
henneborn von Hof zu Hof gegangen<br />
und hat neben einer allgemeinen Ort s -<br />
chronik die Geschichte der 26 Höfe als<br />
eine Hofchronik verfasst; wozu er auch<br />
das Dekanatsarchiv Fredeburg und die<br />
Urkunden der Abtei Grafschaft durchforschte,<br />
die bis zur Säkularisation hier<br />
die größte Grundbesitzerin war. Seine<br />
Arbeit ist aber bisher noch nicht veröffentlicht<br />
worden.<br />
Frage: Diese Vorlage von Ober -<br />
henneborn macht verständlich, dass sie<br />
einen Hauptteil des Buches ausmacht<br />
(S. 193 – 491). Aber wie kamen Sie an<br />
die anderen Hofgeschichten von Dorn -<br />
heim bis Sögtrop, und bis wann reichen<br />
Ihre Quellen zurück?<br />
Antwort: Leider lagen für die anderen<br />
Orte so umfangreiche Aufzeich -<br />
nungen nicht vor. Lediglich für Kirch -<br />
von Dr. Erika Richter<br />
rarbach konnten wir auf Aufzeichnungen<br />
von Pfarrer Heinrich Kaiser zurückgreifen,<br />
die aber längst nicht das Ausmaß der<br />
Oberhenneborner Unterlagen ausmachten.<br />
Über die Hof- und Hausstätten in<br />
Sögtrop hatte Lehrer Josef Lumme einige<br />
Daten in einem Schulheft festgehalten.<br />
Für die Orte Dornheim Föcking -<br />
hausen, Hanxleden, Kirchrarbach, Mö -<br />
ne kind, Niederhenneborn, Sellmecke<br />
und Sögtrop mussten also fast alle Daten<br />
neu zusammengetragen und erfasst werden.<br />
Dazu haben wir Ende 2000 einen<br />
großen Fragebogen erstellt, und die Mitglieder<br />
unseres Vereins – dazu ge hören<br />
übrigens auch Frauen – haben ihn an die<br />
Hausbesitzer in allen Dörfern verteilt. So<br />
konnten erste wichtige Infor mationen<br />
aus allen Dörfern gewonnen werden.<br />
Selbstverständlich wurden auch Daten<br />
aus dem Werk von Lauber verwertet,<br />
auch solche aus dem Stadtarchiv Schmal -<br />
lenberg und aus dem Staats archiv Münster.<br />
Die Zusammenstellung, die Ergänzung<br />
und Überprüfung aller Daten hat<br />
uns dann jahrelang beschäftigt. Die ältesten<br />
Quellen waren die Schatzungslisten<br />
aus dem 16. Jahr hundert.<br />
Frage: Wo lagen besondere Schwie -<br />
rigkeiten?<br />
Antwort: Es lag uns sehr daran,<br />
auch die geschichtliche Entwicklung der<br />
untergegangenen Höfe zu erfassen. Ihr<br />
Grundbesitz fiel ja z.B. an frühere Beilie-
SAUERLAND NR. 2/2010 83<br />
ger, die bis dahin kein Grund eigentum<br />
hatten und nun in den Dörfern ihre Häuser<br />
bauten.<br />
Wir haben jedes Haus und die Geschichte<br />
jedes Hauseigentümers festgehalten,<br />
der in der Gegenwart nun hier<br />
lebt. Daraus ist ein 600 Seiten starkes<br />
Buch entstanden. 282 Stammreihen sind<br />
darin aufgeführt, alle Häuser mit Hausgeschichte<br />
und 605 historischen und aktuellen<br />
Bildern versehen. Aller dings muss<br />
man berücksichtigen, dass diese Arbeit<br />
nur in einem überschaubaren Raum möglich<br />
ist, wie ihn unser Kirchspiel mit seinen<br />
rund 1000 Ein wohnern darstellt. In<br />
Orten mit vielen Neubausiedlungen wäre<br />
das wohl nicht zu leisten.<br />
Frage: Wie hoch war die Auflage<br />
und wie sieht es mit dem finanziellen Ergebnis<br />
aus?<br />
Antwort: Wir haben 720 Bücher<br />
drucken lassen und sind mit dem Verkaufsergebnis<br />
mehr als zufrieden. Die<br />
Resonanz war in den Dörfern und darüber<br />
hinaus wirklich erfreulich. Auch bei<br />
Heimatforschern und den befreundeten<br />
Heimatvereinen fand das Buch großes<br />
Interesse. Sogar nach Kanada (2) und<br />
USA (1) sind Bücher verschickt worden.<br />
Sicher haben auch die vielen Fotos der<br />
Häuser dazu verholfen.<br />
Frage: Gibt es einen Grund für das<br />
ungewöhnliche Format des Buches, es<br />
ist ja recht schmal (18 cm) und auffällig<br />
hoch (33 cm)?<br />
Antwort: Das Format ermöglichte<br />
uns die zweispaltige Wiedergabe der langen<br />
Stammreihen. Wir haben also aus<br />
der Not eine Tugend gemacht.<br />
Frage: Und was sind Ihre nächsten<br />
Pläne?<br />
Antwort: Einem gut geführten und<br />
regen Heimatverein geht die Arbeit eigentlich<br />
nie aus. In erster Linie steht nun<br />
das zweite Buch „Chronik der Pfarrei<br />
Kirchrarbach und der Pfarrvikarie Ober -<br />
henneborn“ auf der Agenda ganz oben.<br />
Für dieses Projekt liegen schon eine<br />
ganze Reihe Beiträge bereit. Aber es<br />
bleibt noch viel zu tun. Wir hoffen, das<br />
Werk bis Ende 2011 den interessierten<br />
Heimatfreunden vorlegen zu können.<br />
Dazu kann man Ihnen viel Glück<br />
wünschen. Wir sind schon heute gespannt<br />
darauf.<br />
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Termine für „700 Jahre Sundern – Freiheit und Kirche“<br />
8. 5. Tag der ersten Erwähnung im Jahr 1310<br />
Pontifikalamt mit dem Erzbischof von Paderborn<br />
Hans-Josef Becker in der Pfarrkirche St. Johannes,<br />
18.00 Uhr anschließend gegen 19.30 Uhr<br />
Festakt in der Hubertushalle mit Eckhard Uhlenberg,<br />
Landesminister für Umwelt und Naturschutz,<br />
Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />
Fr - So, Großes Stadtfest unter dem Leitwort<br />
3.–5.10. „Sundern gestern-heute-morgen“<br />
Maschinen - und Heimatmuseum, Museumsverein Eslohe e.V.<br />
Homertstraße 27, 59889 Eslohe<br />
25./26. Sept. Esloher Dampftage, Maschinen- und Heimatmuseum<br />
10 - 18 Uhr mit Aktionen für Kinder im Rahmen von<br />
„Tatort Technik“ Info unter: 02973/2455 und 800-220<br />
5. Dezember Der Nikolaus kommt mit der Dampfeisenbahn<br />
Maschinen- und Heimatmuseum von 15 - 17 Uhr<br />
Info unter: 02973/2455 und 800-220<br />
Aus dem Programm 2010 der Christine-Koch-Gesellschaft<br />
17. Juni Lesung des Autorenkreises Ruhr-Mark und der<br />
Christine-Koch-Gesellschaft, Literaturhotel<br />
„Franzosenhohl“, Iserlohn, 15.00 Uhr<br />
2. Juli Autoren aus Masuren besuchen Kloster Brunnen<br />
Führung: Klaus Baulmann, Sundern, 19.30 Uhr<br />
4. Juli Literaturfahrt zur Zeche Zollverein nach Essen<br />
„Polnische Industriearbeiter um 1900“<br />
Vortrag: Herbert Somplatzki, Schmallenberg<br />
„Christine Koch als Lehrerin in Essen“<br />
Vortrag: Manfred Raffenberg, Schmallenberg<br />
9.30 Uhr Abfahrt am Kreishaus Meschede<br />
Anmeldung bei der CKG-Geschäftsstelle,<br />
Tel.: 02972/980201<br />
5.–7. Juli Lesungen mit polnischen Autoren in den Gymnasien<br />
Meschede und Arnsberg, im Sauerländischen<br />
Literaturarchiv in Schmallenberg und im Sauerland-<br />
Museum in Arnsberg<br />
5. September Pilgersteineinweihung in Bracht<br />
Gottesdienst in der Schützenhalle in Bracht,- 10 Uhr<br />
anschließend Gang zum Pilgerstein (schräg gegenüber<br />
der Schützenhalle am Christine-Koch-Denkmal)<br />
Einsegnung des Pilgersteins, Rückkehr in die<br />
Schützenhalle, Reden<br />
10. September Lesung des „Forums Junge Poesie 2010”<br />
zusammen mit Schriftstellern aus Südwestfalen<br />
Landsitz Schulze-Pellengahr in Beckum, 19.00 Uhr<br />
1. Oktober Vorstellung des 17. Bandes der „Kleinen Reihe”<br />
Golfcafe in Schmallenberg-Winkhausen, 19.00 Uhr<br />
2.–3. Oktober Schreibseminar im Bildungszentrum Sorpesee,<br />
Sunder, Anmeldunqbei der CKG-Geschäftsstelle,<br />
Tel.: 02972/980201<br />
9.–16. Oktober Literaturfahrt nach Rom<br />
Die Redaktion bittet um Mitteilung weiterer Termine
84 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
„… und das ist für einen Mann Pferde-Arbeit.“ –<br />
Melchior Ludolf Herold zum 200. Todestag von Peter Karl Becker<br />
Er soll der „Hirt seiner Herde, der Beförderer<br />
besserer Jugenderziehung, der<br />
Verbreiter des heiligen Gesangs im Vaterland<br />
und der Wohltäter armer Menschen“<br />
gewesen sein; so steht es auf seinem<br />
Grabstein im Schatten der Hoinkhauser<br />
Pfarrkirche. Doch wer war dieser<br />
Pfarrer, war er so universal, wie beschrieben,<br />
wer war also Melchior Ludolf<br />
Herold?<br />
Um diese Frage zu beantworten, ist<br />
es notwendig, ihn nicht nur sozialgeschichtlich<br />
in die westfälische Gesellschaft<br />
des späten 18. Jahrhunderts einzuordnen,<br />
sondern ihn vielmehr auch<br />
ideengeschichtlich näher als Gelehrten<br />
zu verorten, der maßgeblichen Einfluss<br />
auf Gesellschaft und Staat seiner Zeit<br />
nimmt. Wir sehen also einen historischen<br />
Akteur, der in seinem Herrschafts<br />
bereich handelt, dessen Ideen<br />
aber noch weit darüber und über seine<br />
Zeit hinaus reichen und uns bis heute beschäftigen.<br />
In der Retrospektive zeigen<br />
sich Leben und Werk als so eng ineinander<br />
verwoben, dass fast von einer Einheit<br />
gesprochen werden kann. Dabei<br />
sind es neben rein biografischen Größen<br />
vor allem die Denk- und Verhal -<br />
tensmuster dieses Akteurs, seine Handlungsstrategien<br />
und Projekte, die die historische<br />
Forschung heute vorrangig interessieren.<br />
Biografische Notiz<br />
Melchior Ludolphus Henricus Herold<br />
wird am 10. Dezember 1753 in Rüthen<br />
geboren und zwei Tage später in der<br />
dortigen St.-Nikolaus-Kirche getauft.<br />
Sein Vater, Caspar Adam, ist Legaladvokat,<br />
seine Mutter, Casparina Sperber,<br />
die Tochter eines angesehenen Rüthener<br />
Senators und entstammt der weitverzweigten<br />
Familie Orth ab Hagen.<br />
Melchior ist das dritte von insgesamt sieben<br />
Geschwistern, die aus den beiden<br />
Ehen seines Vaters hervorgehen. Nach<br />
Schulbildung in Rüthen und Geseke<br />
wechselt er 1768 an das Montan er -<br />
gymnasium in Köln und von 1772-75<br />
studiert er Theologie und Philosophie<br />
am Norbertinerseminar Steinfeld. 1775<br />
schließlich wechselt er an das erzbischöfliche<br />
Seminar in Köln, wo er<br />
1776 zum Priester geweiht wird. Seine<br />
erste Stelle führt ihn zurück in seine Vaterstadt.<br />
In Rüthen wird er 1776 Vikar<br />
der Drei-Königs-Vikarie, bevor er 1778<br />
Melchior Ludolf Herold (1753–1810),<br />
von 1780–1810<br />
Pfarrer des Kirchspiels Hoinkhausen.<br />
Stich nach einem heute verschollenen<br />
Gemälde aus dem „Lithographischen Institut<br />
von Bernhard Kehse & Sohn, Magdeburg",<br />
um 1840.<br />
Stadtarchiv Dortmund, Signatur Q 646.<br />
als Hauskaplan an das Münstersche Damenstift<br />
Langenhorst berufen wird.<br />
Nach seiner Ernennung zum Pfarrer des<br />
Kirchspiels Hoinkhausen, geht er 1780<br />
wieder zurück in das Haar-Dekanat.<br />
Dies soll seine Lebensstellung werden,<br />
die er bis zu seinem Tod am 31. August<br />
1810 inne hat.<br />
Seine vielfältigen Aktivitäten –<br />
eine Auswahl<br />
Gleich nach seinem Amtsantritt beginnt<br />
Herold die Pfarrei Hoinkhausen<br />
seelsorgerisch und ökonomisch zu reorganisieren.<br />
Der junge Pfarrer saniert<br />
nicht nur die Finanzen; er baut den<br />
Pfarrhof um, legt neue Gärten an und<br />
gibt der Landwirtschaft im gesamten<br />
Kirchspiel neue Impulse. Brachliegende<br />
Pfründe werden reaktiviert, neue Gebäude<br />
und neue Seelsorgestellen geschaffen.<br />
1784 nimmt er sein erstes großes<br />
Projekt in Angriff: Die Neu -<br />
strukturierung des Schulwesens. Er hebt<br />
die bis dahin übliche Koedukation auf,<br />
stellt auf eigene Kosten für die Mädchen<br />
eine Lehrerin ein und erwirkt beim Erzbischof<br />
in Köln, dass er die Pfründe der<br />
Kreuzvikarie für Schulzwecke nutzen<br />
und den Kreuzvikar zum Schuldienst einstellen<br />
darf. Dieser unterrichtet, neben<br />
Herold selbst, die Knaben aus Hoink -<br />
hausen, Westereiden und Weikede, den<br />
Orten, die zu dieser Zeit neben Oestereiden<br />
noch zu Herolds Kirchspiel<br />
gehören. Finanziell getragen wird sein<br />
Schulkonzept von der 1788 ins Leben<br />
gerufenen Schul- und Armenstiftung<br />
„Franz von Sales“, die er mit eigenen<br />
Mitteln ausstattet und die in dieser Form<br />
bis 1939 besteht. 1785 führt er eine<br />
neue Schulform und ein neues Unterrichtskonzept<br />
ein, die in den Ländern<br />
der Habsburger Monarchie durch Johann<br />
Ignaz von Felbiger (1724-1788),<br />
besonders aber in Böhmen durch den<br />
Leitmeritzer Bischof Ferdinand Kindermann<br />
Ritter von Schulstein (1740–<br />
1801) erprobt wurden und die sich didaktisch<br />
und methodisch von der bis dahin<br />
üblichen Unterrichtsform unterscheiden:<br />
die Industrieschule und mit ihr<br />
die Normal-Lehrart. Die Indu s trieschule<br />
stellt wohl die erste systematische Verbindung<br />
von allgemeinbildenden und berufsbezogenen<br />
bzw. besser vorberuflichen<br />
Unterrichtsinhalten dar. Die Normal-Lehrart<br />
ist es, die, auf einer einheitlich<br />
organisierten Lehreraus bildung aufbauend,<br />
Unterricht strategisch planbar<br />
und durch ihr standardisierendes Moment<br />
auch übertragbar macht; einheitliche<br />
Lehrpläne sind die Folge. So kann<br />
im gesamten Herzogtum Westfalen ein<br />
Schulmodell durchgesetzt werden, das<br />
auf Grundlage dieser beiden Größen Mustercharakter<br />
erhält. Nicht zuletzt gelingt<br />
Melchior Ludolf Herold dies in Zusammen<br />
arbeit mit dem benachbarten Rüthener<br />
Pfarrer und Normalschullehrer Friedrich<br />
Adolf Sauer (1765-1839). Allerdings<br />
ist es der langsame Niedergang der<br />
geistlichen Territorien in der Zeit nach<br />
der Französischen Revolution, die damit<br />
verbundene Instabilität gesellschaftlicher<br />
und staatlicher Ordnung, sowie schließlich<br />
die Aufhebung der Kirchenstaaten,<br />
1803, die diese Bestrebungen in frühem<br />
Stadium erstarren lassen. Der säkulare<br />
Staat setzt auf andere Größen, die nicht<br />
mehr mit den Grundlagen der Aufklä -<br />
rungspädagogik vereinbar sind. Melchior<br />
Ludolf Herold macht diese gesellschaftliche<br />
Metamorphose hin zum säkularen<br />
Staat für sich nicht mehr mit. Er<br />
beendet seine schulischen Aktivitäten<br />
und wendet sich neuen Aufgaben zu:
SAUERLAND NR. 2/2010 85<br />
Nachdem er 1802 schon ein Ve s -<br />
perbuch in deutscher Sprache veröf -<br />
fentlicht, erscheint bereits ein Jahr darauf<br />
die erste Auflage seines Gesang -<br />
buches „Der Heilige Gesang oder vollständiges<br />
katholisches Gesangbuch bei<br />
dem öffentlichen Gottesdienst in der<br />
Pfarrkirche zu Hoinkhausen. Aus den<br />
besten approbierten Gesangbüchern<br />
des katholischen Deutschlands zusammengetragen“.<br />
Die 600 Exemplare sind<br />
schnell vergriffen und schon 1807<br />
kommt es zur zweiten Auflage. Das<br />
„Heroldsche Gesangbuch“, so die landläufige<br />
Bezeichnung, verbreitet sich<br />
schnell auch über die Grenzen Westfalen<br />
hinaus und wird so zu einem der wichtigsten<br />
Vorläufer des 1874 erstmalig erscheinenden<br />
„Sursum corda!“. Bis<br />
1865 zeugen mehr als 20 Auflagen vom<br />
großen Erfolg dieses Werks. Auch hier<br />
zeigt sich Herold als vielseitig Agie -<br />
render: Verlag, Herausgabe und Verbrei<br />
tung organisiert er selbst von Hoink -<br />
hausen aus. Die Erlöse fließen ausschließlich<br />
in seine Schul- und Armen -<br />
stiftung. Im Paderborner Anhang des<br />
Gotteslob finden sich noch heute dreizehn<br />
Lieder, die in Text oder Melodie auf<br />
Herolds Gesangbuch zurückgehen.<br />
Dies sind beispielhaft nur zwei Pro -<br />
jekte seines vielseitigen Wirkens. Doch<br />
wer war der Mensch Melchior Ludolf<br />
Herold und wie war er in seiner Zeit?<br />
Versuch einer<br />
Persönlichkeitsskizze<br />
Wenn Herold eingangs mit „und das<br />
ist für einen Mann Pferde Arbeit“ zitiert<br />
wird, so kann diese Aussage wohl als<br />
Ausgangspunkt seiner Lebensbeschrei -<br />
bung dienen. Herold mag fleißig gewesen<br />
sein, doch das genügt ihm nicht, er<br />
ist industriös. Das scheint aus heutiger<br />
Sicht ungewöhnlich, dennoch beschreibt<br />
der Begriff der Industrie in der<br />
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine<br />
Ar beitsform, sondern ist vielmehr<br />
pädagogisch determiniert. Auf Grundlage<br />
der allgemeinen Aufklärungsbewegung<br />
und so vor dem Hintergrund starker<br />
gesellschaftlicher Umbrüche, ist Industriosität<br />
für den vortechnisch Denkenden<br />
der Weg, Jahr hunderte währende<br />
Lethargie endlich zu überwinden und<br />
dadurch Wohlfahrt für breite Schichten<br />
der Be völkerung möglich zu machen. Industriös<br />
zu sein ist Lebenseinstellung!<br />
Hoinkhausen: Pfarrhof und Pfarrkirche St. Pankratius. Der Pfarrhof wird 1680 von Pfarrer<br />
Rabanus Berghoff als Niederdeutsches Hallenhaus errichtet und nach 1780 von Pfarrer<br />
Herold in mehreren Abschnitten renoviert und erweitert; außerdem lässt er um den Hof<br />
herum einen sog. Industriegarten für den Schulunterricht anlegen. Fotos: Peter Karl Becker<br />
Als Priester nimmt Herold hier eine<br />
Sonderstellung ein, denn Glaube und<br />
Vernunft werden unter dem Einfluss aufklärerischen<br />
Denkens neu interpretiert.<br />
Diesseitiges Jammertal lässt sich nun<br />
nicht mehr ausschließlich mit dem Hinweis<br />
auf jenseitige Glück seligkeit erträglicher<br />
machen, auch das Diesseits soll,<br />
wenn auch in bescheidenem Maße, lebenswert<br />
sein. Herold weiß, dass in dieser<br />
Zeit gesellschaftlichen Umbruchs<br />
nichts mehr über tradierte Formen und<br />
Inhalte versorgt werden kann und nicht<br />
zuletzt die zunehmende Vormachtstellung<br />
der Ratio ist es, die schließlich den<br />
Weg aller Rationalität zu gehen versucht:<br />
das Selbst ver ständ liche zu bezweifeln.<br />
Wenn auch in der Rezeption<br />
seiner Nachwelt gut und wohlwollend<br />
gemeint, so muss hier ernsthaft die Frage<br />
im Raum stehen, ob Herold der „uneigennützige<br />
Pfarrer“ oder „dieser mu-<br />
Hoinkhausen: Knabenschule von 1802, auf Initiative Pfarrer Herolds<br />
von den Gemeinden Hoinkhausen, Westereiden und Weikede<br />
im Schatten der Pfarrkirche auf dem alten Kirchhof errichtet.<br />
Im Vordergrund das Grab Melchior Ludolf Herolds<br />
mit Gedenkstein aus Rüthener Grünsandstein.
86 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
sterhafte seeleneifrige Priester“ war, der<br />
für seine „innigst geliebten Pfarrkinder<br />
[…] seine Tätigkeit, sein Vermögen und<br />
seine Gesundheit opferte […] bis zum<br />
letzten Schlage seines liebenden Herzens“.<br />
Sicherlich sind diese Annahmen<br />
der Vorstellungskraft ihrer Autoren geschuldet,<br />
die aus ihrer Zeit heraus ein<br />
von erkenntnisleitendem Interesse geprägtes<br />
Bild auf Herold projiziert haben.<br />
Erst heute, an einer erneuten gesellschaftlichen<br />
Wende erhellt, welche Begriffe<br />
und Kategorien ihn wirklich geleitet<br />
haben und da zeigt sich schnell, dass<br />
diese sich nicht nur auf seine große Persönlichkeit<br />
beschränken, sondern weit<br />
außerhalb zu suchen sind, in der Symbiose<br />
von Leben und Werk. Herold will<br />
(insbesondere für uns heute) mehr sein:<br />
Er ist der Gebildete, in dessen Person<br />
sich bis heute Momente vormoderner<br />
Lebensformen, Vorstellungen und<br />
Denktraditionen wiederfinden. Diese<br />
gebildete Persönlichkeit, die in ihrer vormodernen<br />
Betrachtung immer auch etwas<br />
von einem Künstler, Literaten und<br />
Kleriker hat, erweitert sich an der<br />
Schwelle zur Neuzeit um Inhalte der<br />
Technik und Ökonomie. Diese neuzeitlichen<br />
Momente schließlich sind es, die<br />
den Begriff des Gebildeten hinüberretten<br />
in das säkulare Zeitalter ab der Wende<br />
des 18. Jahrhunderts. Der Begriff des<br />
Gelehrten, als spezielle Ausprägung des<br />
Gebildeten, auch und vor allem im Sinne<br />
des Universalgelehrten, geht diesen<br />
Weg allerdings nicht mehr mit. Gerade<br />
Melchior Ludolf Herold ist es, der in seiner<br />
Persönlichkeit diese Konkurrenz -<br />
situation der Menschenbilder ein Stück<br />
weit überwindet. In seinem tradierten<br />
Lebensstil bleibt er vortechnisch und so,<br />
auf den ersten Blick, vormodern. In seinen<br />
Konzepten und Projekten scheint<br />
es, als versuche er eine Stufe gesellschaftlicher<br />
Metamorphose, der von der<br />
Stände – zur Industriegesellschaft zu<br />
überspringen und so sind seine Ant -<br />
worten auf die Fragen seiner Zeit, bei<br />
näherer Betrachtung, eben nicht mehr<br />
vormodern. Er antwortet vorausschauend<br />
auf Fragen einer sich etablieren wollenden<br />
Wissensgesellschaft postmoderner,<br />
vielleicht sogar postindustrieller<br />
Prä gung. Wohl erst zu spät merkt er,<br />
dass seine Antworten nicht ausschließlich<br />
die auf die Fragen seiner Zeit sind,<br />
sondern vielmehr Antworten auf die<br />
Lange Wende 94 – Mendener Straße 8<br />
Tel. 0 29 32/2 43 64 – Tel. 0 29 32/71 04<br />
59755 Arnsberg-Neheim<br />
Programm<br />
der Feierlichkeiten zum 200. Todestag<br />
von Pfarrer Melchior Ludolf Herold<br />
29. August 2010, 10:00 Uhr<br />
Festhochamt, anschließend Heroldfest<br />
mit Bauernmarkt, Einweihung der Turmuhr<br />
im Zehntspeicher und Eröffnung der<br />
Ausstellung sakraler Gegenstände<br />
31. August 2010, 19:00 Uhr<br />
(200. Todestag Herolds) Heilige Messe,<br />
anschließend Vortrag von Peter Becker,<br />
Brilon<br />
10. Septmber 2010, 20:00 Uhr<br />
Konzert mit heimischen Künstlern in der<br />
Pfarrkirche St. Pankratius Hoinkhausen<br />
12. September 2010<br />
Heilige Messe, anschließend Lobeprozession<br />
und Ausklang des Festes<br />
Fragen einer zukünftigen. Das pragmatische<br />
Element seiner Projekte bewirkt,<br />
dass Impulse ausgehen, die zwar aufgenommen,<br />
oft aber nicht genügend weiterentwickelt<br />
werden. Der theoretische<br />
Unterbau dieser Projekte genügt mehr<br />
als nur Herolds Zeit, was wiederum die<br />
Frage nach den geistigen Strömungen<br />
dieser Zeit aufwirft: Es ist der Aufklärungsgedanke<br />
der ihn prägt, verbunden<br />
mit einem stark ausgeprägten intrinsischen<br />
Bildungs willen, aber auch dem<br />
Willen, der Gesellschaft, in der er lebt<br />
und wirkt, diese Bildung möglich zu machen.<br />
Dieses säkulare Moment ist es,<br />
das er mit dem ihm innewohnenden<br />
Glauben so verbindet, dass für ihn eine<br />
Einheit entsteht. Glaube und Vernunft<br />
sind für ihn nicht dialektisch. Oberflächlich<br />
polar erscheinende Positionen erfahren<br />
in ihm und in seinem Werk einen<br />
kategorialen Überbau und gehen eine<br />
Synthese ein. Sie treten dadurch in ein<br />
SEIT 1928<br />
Abhängig keitsverhältnis, das in der Lage<br />
ist, darauf hin zu wirken: Bildung als<br />
höchstes Ziel menschlicher Entwicklung<br />
und Entfaltung zu begreifen. Individuelle<br />
Freiheit und gesellschaftliche Wohlfahrt<br />
gehen für Herold miteinander einher,<br />
das eine bedingt das andere.<br />
Und so zeigt sich auch hier wieder der<br />
Facettenreichtum eines Menschen, der<br />
kategorienübergreifend in Leben und<br />
Werk zutage tritt. Als Priester und<br />
Pädagoge, als Ökonom und Philosoph<br />
am Puls seiner Zeit, zeigt er in seinem<br />
Leben und Werk die Zukunfts ge wandt -<br />
heit auf, die notwendig ist, um wirklich<br />
industriös zu sein. Und schon das ist für<br />
einen Mann, auch heute noch, eine<br />
„Pferde Arbeit“.<br />
Zum Autor:<br />
Peter Karl Becker, Brilon, ist Diplom-Handels lehrer,<br />
Doktorand und wissenschaftlicher Mitar beiter am<br />
Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik an der Universität<br />
Paderborn. Seine Dissertation „Allerbester Melchior!<br />
Melchior Ludolf Herold – Initiator der Industrie -<br />
schulbewegung im Her zogtum Westfalen“ erscheint<br />
im Sommer 2010 in der Reihe „Studien und Quellen<br />
zur Westfälischen Geschichte“ im Bonifatiusverlag Paderborn.<br />
Neue Mitglieder<br />
bzw. Abonnenten<br />
Moritz Susewind, Köln<br />
Gabriele und Wilhelm<br />
Hagemeister, Münster<br />
Werner Starke, Sundern<br />
Eberhard von Wrede, Sundern<br />
Rudolf Müller, Sundern<br />
Helmut Beule, Finnentrop<br />
Dr. Matthias Siepe, Freiburg<br />
Lukas Wittmann, Brilon<br />
Thomas Kasperski, Balve<br />
Hans Röcken, Herscheid<br />
Jürgen Bornemann, Meschede
ausfl ugsblau und<br />
radelrot<br />
��� �� � �� ��� �� � �� ��� �� �� �� �� �� �� �� ��� �� �� �� �� ��� �� �� �� �� ��� �� �� �� �� ���<br />
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14.0 6.2010<br />
10:34:00 Uhr<br />
farbe bekennen mit becker-druck.de
88 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Plattdeutsch geht ins Internet<br />
Zu einer Website des Christine-Koch-Archivs und neuen Ideen für die Mundartpflege von Peter Bürger<br />
Die Umwälzungen im Bereich der<br />
Kommunikationstechnologien haben<br />
sich schon im letzten Jahrhundert er -<br />
heblich auf den Bereich der Mund -<br />
artpflege – und die regionale Kulturarbeit<br />
insgesamt – ausgewirkt. Alternativen<br />
zur klassischen Buchsetzkunst (Kopierer,<br />
Offset verfahren etc.) machten es<br />
auch plattdeutschen Arbeitskreisen,<br />
Dorf vereinen oder Heimatdichtern<br />
möglich, eigene Texte und Projekte auf<br />
kostengünstige Weise zu edieren. Durch<br />
den Heim computer wurde es möglich,<br />
Mund art werke oder lokale Wörterbücher<br />
ohne weitere Transkriptionen für<br />
den Druck vorzubereiten. Nicht zuletzt<br />
verringerten sich dadurch – zumindest<br />
potentiell – die Fehlerquellen.<br />
1987 wurde am Maschinen- und Heimatmuseum<br />
Eslohe das „Christine Koch<br />
Mundartarchiv“ gegründet. Zu nächst<br />
diente es der Herausgabe einer vollständigen<br />
Werkausgabe der bekanntesten<br />
Mundartlyrikerin Südwestfalens. Seit<br />
1994 konnte zudem eine umfangreiche<br />
Sammlung zu plattdeutschen Autorinnen<br />
und Autoren aus den Krei sen HSK,<br />
Olpe, Soest und Märkischer Kreis aufgebaut<br />
werden. Seit 2006 wird eine Buchreihe<br />
zur sauerländischen Mundartliteraturgeschichte<br />
herausgegeben, von der<br />
schon zwei Bände vorliegen.<br />
In diesem Jahr nun soll das sauerländische<br />
Mundartautorenlexikon mit über<br />
900 Einträgen erscheinen. Die Arbeit<br />
daran geht in das Jahr 1994 und noch<br />
weiter zurück. Die in der Zwischenzeit erfolgten<br />
kulturellen Umwälzungen sind<br />
schier unglaublich. 1988, als sich das Archiv<br />
noch im Aufbau befand, hätte der<br />
Bearbeiter die nunmehr erfassten Daten<br />
gar nicht innerhalb eines noch praktikablen<br />
Zeitrahmens verwalten können (umso<br />
mehr lernt man, den Bienenfleiß<br />
früherer „Gelehrter“ zu bewundern).<br />
Heute stehen im Internet digitale Datenbanken<br />
über plattdeutsche Auto ren<br />
zur Verfügung, und manche verzweifelte<br />
Bücherfahndung erledigt sich spielend<br />
über Suchmaschinen oder Fern -<br />
leihe. Über kleine Datenträger wird es<br />
möglich sein, die eigene regionale Arbeit<br />
wiederum über kollegialen Aus -<br />
tausch in überregionale Projekte einfließen<br />
zu lassen. Mit einem fast achtzigjährigen<br />
Mundartautor tausche ich per<br />
E-Mail unkompliziert Informationen<br />
Das Mundartarchiv des Esloher Museums ist<br />
nach der Dichterin Christine Koch<br />
(1869-1951) benannt<br />
Foto: Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe<br />
und Text da tensätze aus. Oftmals ist es<br />
bei Recherchen möglich, im elektronischen<br />
Postverkehr mit beweglichen<br />
Heimat forschern oder Archivaren bestimmte<br />
Probleme im Handumdrehen<br />
aufzulösen. Die materielle Quellensichtung<br />
wird dadurch in keiner Weise überflüssig,<br />
aber sie kann durch viele Hilfsmittel<br />
und andere Erkenntniswege ergänzt<br />
werden.<br />
Verkürzt lässt sich postulieren: Was<br />
heute nicht im Internet zu finden ist, das<br />
existiert auf gewisse Weise überhaupt<br />
nicht. Die Berechtigung kulturkonservativer<br />
Anfragen an diesen „digitalen<br />
Struk turwandel der<br />
Öffentlichkeit“ unterstreiche<br />
ich in<br />
meinen eigenen Veröffentlichun<br />
gen. Indessen<br />
kann eine kulturpessimistischeVerweigerungs<br />
hal tung<br />
gegenüber dem Internet<br />
heute auch für<br />
die Platt deutschen<br />
nur als „Selbstmordkom<br />
mando“ bezeichnet<br />
werden.<br />
Wann hätten je<br />
solche äußeren In -<br />
strumente der Mit -<br />
teilung zur Ver fü -<br />
gung gestanden? Wäh rend die kommerzielle<br />
Medienlandschaft in Richtung<br />
Gleichschaltung marschiert, kann selbst<br />
die kleinste Ortschaft eine eigene Internetplattform<br />
einrichten. Im Netz wächst<br />
über das Wikipedia-Projekt eine plattdeutsche<br />
Enzyklopädie. (Eng lisch, die<br />
dominante Sprache des globalen Kommunikationszeitalters,<br />
ist eine sehr nahe<br />
Verwandte des Nieder deutschen, was<br />
man nicht außer Acht lassen sollte.) In<br />
diesem Zusammenhang werden nahe<br />
liegende Möglichkeiten des Sprach -<br />
gedächtnisses, die man sonst viel zu selten<br />
bedenkt, zumindest angegangen.<br />
Wer die Computerdaten eines lokalen<br />
Wörterbuches aufbewahrt, kann sie mit<br />
vergleichsweise geringem Aufwand der<br />
Allgemeinheit zugänglich machen und<br />
durch interaktive Arbeitsflächen sogar<br />
zur Diskussion stellen. Bei öffentlich geförderten<br />
Publikationen sollte man ohnehin<br />
erwarten, dass sie in gebührendem<br />
Abstand kostenlos über das Internet<br />
zur Verfügung gestellt werden. Der<br />
Sauer länder <strong>Heimatbund</strong> hat jüngst beschlossen,<br />
auch mit dem „kurkölnischen<br />
Wörterbuch“ so zu verfahren.<br />
Seit kurzem ist auch unser Mund -<br />
artarchiv mit einer eigenen Website und<br />
neuen Ideen im Internet vertreten. Auf<br />
www.sauerlandmundart.de erfährt man<br />
etwas über das Kulturgedächtnis der<br />
plattdeutschen Sprache und die Anlie -<br />
gen des Archivs. Der besondere Zugang<br />
des Esloher Museumsprojektes bezieht<br />
sich auf Mundartliteratur.<br />
Der neue Internetauftritt soll auch die<br />
Anschauung widerlegen, dass die Be -<br />
Ein Bild der Schreibgarnitur der Dichterin Christine Koch bildet<br />
den Blickfang der neuen Internetseite wwww.sauerlandmundart.de<br />
Foto: Engelbert Schulte
SAUERLAND NR. 2/2010 89<br />
schäftigung mit der lokalen Sprache nur<br />
etwas für ewig Gestrige ist. Zum Herzstück<br />
des Unternehmens gehört der<br />
Aufbau einer kostenlosen Internet -<br />
bibliothek mit dem Namen „daunlots“.<br />
Bislang kann man dort etwas zur Geschichte<br />
des <strong>Sauerländer</strong> Platts nachlesen,<br />
in einer Erstveröffentlichung neu<br />
aufgetauchte Gedichte von Christine<br />
Koch entdecken und Sprachzeugnisse<br />
aus der Mitte des 19. Jahrhunderts herunterladen.<br />
Nachahmung wird empfohlen.<br />
Das Projekt soll wachsen. Neue Bände<br />
für die Internetbibliothek sind bereits<br />
Nördlich der Pfarrkirche in Eslohe<br />
stehen drei alte, zum Teil stark verwitterte<br />
Grabdenkmäler. Eines von ihnen zeigt<br />
einen Schmetterling im Kreis einer<br />
Schlange und gleich darunter einen<br />
sechseckigen Stern, der an einen Davidstern<br />
erinnern mag. Dem Esloher Peter<br />
Bürger gebührt der Verdienst, erstmals<br />
auf dieses ungewöhnliche Denkmal aufmerksam<br />
gemacht und seine Sym bole<br />
gedeutet zu haben. 1 Doch wie kommt<br />
solch ein Stein auf den Kirchhof von Eslohe?<br />
Peter Bürger vermutet aufgrund der<br />
figürlichen Darstellung, dass es sich um<br />
ein jüdisches Grabmal handele. Stimmt<br />
dies wirklich? Der Stein selbst gibt durch<br />
seine Inschrift eindeutig Auskunft über<br />
die Identität der Toten, für die er bestimmt<br />
war. Gestiftet wurde das Denkmal,<br />
so die Inschrift auf der Vorderseite,<br />
für die in jungen Jahren verstorbene<br />
Louise Gabriel durch ihre Eltern. Ein<br />
Blick in die katholischen Kirchenbücher<br />
Eslohes gibt ohne Umstände das Geheimnis<br />
ihrer Identität preis. Louise Gabriel<br />
wurde am 9. Juli 1814 in Eslohe<br />
geboren und einen Tag später in der<br />
dortigen Pfarrkirche getauft. Ihre Taufnamen<br />
waren Magdalena Ludovica<br />
Dorothea. „Louise“ ist eine Zärtlichkeitsform<br />
von „Ludovica“. Das Sterberegister<br />
der Esloher Pfarrkirche verrät,<br />
dass Louise Gabriel am 28. August<br />
in Arbeit. Auch kaum bekannte Bücher<br />
aus der Vergangenheit könnten darin<br />
Aufnahme finden. Allerdings werden<br />
noch ehrenamtliche Mitarbeiter/<br />
innen gesucht, die plattdeutsche Texte<br />
am Computer erfassen können.<br />
Ein anderes Unternehmen, das von<br />
Dr. Werner Beckmann betreute „Mund -<br />
artarchiv Sauerland“ (Stertschultenhof),<br />
beherbergt in seinem Fundus Tonauf -<br />
nah men zu rund 130 verschiedenen<br />
Ortsmundarten. Mittelfristig gibt es hier<br />
die Möglichkeit, zumindest kurze Hör -<br />
proben für alle besuchten Dörfer im Internet<br />
abrufbar zu machen.<br />
Ein jüdischer Grabstein auf dem Esloher Kirchplatz?<br />
Ein Blick in die Geschichte der Familie Gabriel in Eslohe hilft, das Rätsel zu lösen<br />
1830 in Eslohe an Auszehrung verstarb<br />
und bereits zwei Tage danach auf dem<br />
damaligen Kirchhof zu Grabe geleitet<br />
wurde. Sie war gerade einmal 16 Jahre<br />
alt.<br />
Dieser Befund macht den Grabstein<br />
noch rätselhafter, als er bislang schon<br />
erschien. Warum wählten die trauernden<br />
christlichen Eltern vermeintlich jüdische<br />
Symbole, um ihrer Trauer und<br />
ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen?<br />
Der Schmetterling war ein beliebtes<br />
Grab symbol im 19. Jahrhundert. Auf<br />
dem jüdischen Friedhof in Verl, Kreis<br />
Güters loh, ist er während des ganzen<br />
19. Jahrhunderts mehrfach anzutreffen.<br />
Aus dem Sauerland sind mir trotz sorgsamer<br />
Nachforschungen bislang keine<br />
Bei spiele bekannt geworden. Es scheint<br />
sich jedoch nicht um ein spezifisch jüdisches<br />
Symbol zu handeln, sondern allgemein<br />
dem Geschmackskanon der Romantik,<br />
die gerne Vorstellungen der Antike<br />
aufgriff, zuzurechnen zu sein. Der<br />
Schmet terling gilt seit der Antike als<br />
Symbol der befreiten unsterblichen Seele,<br />
die ihrer Leibesbindung und damit<br />
Erdver haftetheit entledigt ist und sich<br />
zum Himmel erhebt. Die Schlange, von<br />
welcher der Schmetterling auf Louise<br />
Ga briels Grabstein umgeben wird, lässt<br />
sich ebenfalls nicht als typisch jüdische<br />
Grab zier nachweisen. Auch die Urschlan<br />
ge, die sich in den eigenen<br />
Die Zukunftsmusik wäre damit noch<br />
keineswegs ausgespielt. Was spräche<br />
z. B. gegen plattdeutsche Lernpro -<br />
gramme im Netz? Warum sollte es nicht<br />
Menschen geben, die Plattdeutsch auf<br />
solche Weise oder anders erlernen und<br />
dann auch nach dem Sterben einer lokalen<br />
Alltagssprache ein neues Kapitel der<br />
Mundartdichtung schreiben? Eine Alter -<br />
native zu ohnmächtigen Lamentos lautet<br />
auf jeden Fall: „Plattdeutsch geht ins<br />
Internet.“<br />
Internetseite & Kontakt:<br />
www.sauerlandmundart.de<br />
von Hans Jürgen Rade<br />
Schwanz beißt und so einen Kreis bildet,<br />
steht im Rückgriff auf die antike Ausdrucksweise<br />
für das Werden und Vergehen<br />
in der Zeit, der wir Menschen wie<br />
die gesamte Natur unterworfen sind.<br />
Schlange und Schmetterling bringen zugleich<br />
die Er fahrung der bitteren Realität<br />
des Todes wie die dem Judentum und<br />
dem Christentum gemeinsame Hoffnung<br />
zum Ausdruck. Der Leichnam<br />
kehrt im Grab zum Staub der Erde<br />
zurück, der er entnommen ist, die befreite<br />
Seele hingegen erhebt sich zum Leben<br />
bei Gott.<br />
Und der vermeintliche Davidstern?<br />
Auch hier ist bei der Deutung Vorsicht<br />
geboten, wiewohl die Geschichte der<br />
Familie Gabriel, der Louise entstammte,<br />
tatsächlich das jüdische Erbe ins Spiel<br />
bringt.<br />
Vom Kaufmann, Werkzeugfabri kan -<br />
ten und Gerichtsschöffen Christoph Gabriel,<br />
Louises Vater, vermutete Karl<br />
Thomas, der 1986 die Esloher Häuser -<br />
l iste von 1819 veröffentlichte, dass es<br />
sich bei ihm um einen konvertierten Juden<br />
handele, der bewusst seine Her -<br />
kunft verschleiert habe. 2 Um diese Vermutung<br />
Karl Thomas nachvollziehen zu<br />
können, muss man wissen, dass Herr<br />
Thomas sich vergeblich bemüht hat, die<br />
Herkunft des Christoph Gabriel zu ermitteln.<br />
Als Christoph Gabriel im Jahre<br />
1800 in Eslohe Christina Wortmann aus
90 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Durch die zunehmende Verwitterung ist der Name<br />
„Louise Gabriel“ kaum noch zu lesen<br />
Stockum-Brenschede heiratete, wurde<br />
als sein Herkunftsort zurecht Arnsberg<br />
angegeben. Doch wurde er dort nicht<br />
geboren! Christoph Gabriels Eltern Cle -<br />
mens und Elisabeth Gabriel waren seit<br />
ca. 1752 in Winterberg als Mieter ansässig.<br />
Dort wurde ihre Habe Opfer des<br />
großen Stadtbrandes, der in der Nacht<br />
zum 1. August 1759 Winterberg in<br />
Schutt und Asche legte. Die Familie<br />
wich nach Hallenberg aus, wo ihr fünf<br />
Tage nach dem Winterberger Brand eine<br />
Tochter namens Anna Carolina geboren<br />
wurde. Man stelle sich die Not<br />
vor! Von 1759 bis 1764 verliert sich<br />
kurzzeitig die Spur der heimatlos gewordenen<br />
Familie. 1764 ließ sie einen Sohn<br />
in Deifeld taufen. Von 1766 bis 1776<br />
wohnte sie in Siedlinghausen, 1777<br />
schließlich wurde sie in Arnsberg heimisch,<br />
wo sie Haus und Garten und das<br />
Bürgerrecht erwerben konnte. Christoph<br />
Gabriel stammte folglich aus<br />
Arnsberg, auch wenn er dort nicht geboren<br />
war. Glaubt man der Altersangabe<br />
von Christoph Gabriel im Esloher<br />
Kirchenbuch, der 1847 im gesegneten<br />
Alter von 86 Jahren gestorben sein soll,<br />
müsste er um 1761 geboren sein, also<br />
in jener Zeit, für die der Zwischenaufenthalt<br />
der Eltern bislang noch unbekannt<br />
ist. Einer der Trau zeugen Christoph Gabriels<br />
war der Arnsberger Bürger, Metzger<br />
und Richt mann der Arnsberger<br />
Metzgerzunft Friedrich Bönner, der mit<br />
Christoph Gabriels Schwester Anna Carolina<br />
verheiratet war. Christoph Gabriels<br />
jüngste Schwester Theresia war seit<br />
1799 mit dem Metzger und Arnsberger<br />
Bürger Johann Hermann Wiethof verheiratet,<br />
der aus Salwey im Kirchspiel<br />
Eslohe stammte. Im Kirchdorf Eslohe,<br />
das um 1819 gerade mal 29 Häuser<br />
umfasste, dürfte wie nachweislich in<br />
Arnsberg öffentlich bekannt gewesen<br />
sein, dass Christoph Gabriels Eltern vor<br />
dem Winterberger Stadtbrand in Winterberg<br />
zusammen mit ihren drei ältesten<br />
Kin dern dem Judentum entsagt<br />
und die Taufe empfangen hatten. Im 18.<br />
Jahr hundert gab es im ganzen Sauerland<br />
insgesamt nur zwei jüdische Ehepaare,<br />
die sich taufen ließen. Eines davon<br />
waren Clemens und Elisabeth Gabriel<br />
3. Von der absoluten Seltenheit des<br />
Geschehens darf man sicher darauf<br />
schließen, dass das Ereignis nicht nur<br />
Dorf- oder Stadtgespräch, sondern im<br />
Sauerland weithin bekannt war.<br />
Doch warum sollte Christoph Gabriel,<br />
der weder als Jude geboren noch ins<br />
Judentum hineingewachsen war noch<br />
mit jüdischer Grabsteinsymbolik vertraut<br />
gewesen sein dürfte, ausgerechnet einen<br />
Davidstern für den Grabstein seiner<br />
Tochter wählen? Wollte er damit doch<br />
vor aller Welt auf seine Herkunft verweisen,<br />
statt sie zu verheimlichen? Oder<br />
wollte er die Übereinstimmung im jüdischen<br />
und christlichen Glauben an ein<br />
ewiges Leben bei Gott sichtbar zum<br />
Ausdruck bringen? Doch vielleicht sind<br />
diese Fragen schon zu viel der Interpretation.<br />
Denn betrachtet man jüdische<br />
Grabsteine des 19. Jahrhunderts, fällt<br />
auf, dass Davidsterne stets erkennbar als<br />
zwei spiegelbildlich ineinandergreifende<br />
hervortretende Dreiecke dargestellt werden.<br />
Auf Louise Gabriels Grabstein hingegen<br />
findet sich schlicht ein sechseckiger<br />
Stern als Vertiefung. Vielleicht „sehen“<br />
unsere Augen heute „mehr“, als jemals<br />
beabsichtigt war!<br />
Der Schmetterling im Kreis der Schlange als Bekrönung<br />
des Grabsteins von Louise Gabriel auf dem Esloher Kirchplatz<br />
Fotos: Verfasser<br />
Dem Ehepaar Christoph Gabriel und<br />
Christina Wortmann wurden in Eslohe<br />
drei Töchter und zwei Söhne geboren,<br />
von denen zwei Töchter und ein Sohn<br />
jung verstarben. Der Grabstein von Maria<br />
Anna Gabriel (13. April 1808 –<br />
9. Mai 1836), soweit erkennbar ohne<br />
vermeintliche oder wirkliche jüdische<br />
Sym bole, steht noch heute neben dem<br />
ihrer Schwester Louise. Ob der dritte<br />
ebenfalls einem Familien mitglied zuzurechnen<br />
ist? Der Sohn Ferdinand Gabriel<br />
(1802-1864) setzte als Guts- und Fabrikbesitzer,<br />
Gerichts schöffe, Mitglied<br />
des Kreis- und Abgeordneter des Provinziallandtages<br />
das Wirken seines Vaters<br />
erfolgreich fort. Er ist der Stammvater<br />
aller Esloher Gabriels.<br />
Durch den Blick in die Geschichte der<br />
Familie Gabriel erweist sich das scheinbar<br />
rätselhafte Grabmal neben der Esloher<br />
Kirche eindeutig nicht als Gedenkstein<br />
jüdischer Herkunft4, sondern als<br />
christliches Zeugnis der Hoffnung auf<br />
ein Leben über den Tod hinaus.<br />
1 In: Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe (Hg.),<br />
Esloher Museumsnachrichten 1992, Fredeburg<br />
1992, S. 13-14. Erneut abgedruckt in: Wilfried<br />
Oertel (Hg.), Jüdisches Leben im Synagogenbezirk<br />
Meschede, Meschede 2004, S. 50-51.<br />
2 Karl Thomas, Ein Häuser- und Familienverzeichnis<br />
des sauerländischen Dorfes Eslohe von 1819, in:<br />
Mitteil ungen der westdeutschen Gesellschart für<br />
Fa milienkunde, Bd. 32, 73. Jg., 1985, S. 1-6,<br />
141-148.<br />
3 Hans Jürgen Rade, Die jüdischen Wurzeln der<br />
Arnsbergerin Christina Gabriel (1766-1835), in:<br />
Südwestfalen Archiv, 5. Jg, Arnsberg 2005, S.<br />
143-159.<br />
4 Als christlicher Grabstein fand er konsequenterweise<br />
auch kein en Eingang in die gründliche Aufnahme<br />
jü discher Kulturdenkmäler in Eslohe: Elfi<br />
Pracht-Jöms, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-<br />
Westfalen, Teil V: Regierungsbezirk Arnsberg, Köln<br />
2005, S. 304-307.
SAUERLAND NR. 2/2010 91<br />
Akt der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen<br />
Auf den Spuren der Vorfahren –<br />
Vom STALAG Hemer über Niedereimer in den Steinbruch Müschede und weiter zur Möhnetalsperre<br />
von Detlev Becker<br />
Was macht eine französische Familie<br />
in Deutschland – insbesondere in Nieder<br />
eimer? Um diese Frage zu klären, bedarf<br />
es einer längeren und mitfühlenden<br />
Ausführung, welche gleichzeitig zur Aufarbeitung<br />
und zum besseren Ver ständnis<br />
der Geschehnisse im Dritten Reich zwischen<br />
1939 und 1945 dienen soll.<br />
Der junge Franzose Eugène Robert<br />
Lécuyer geriet am 22. Juni 1940 als<br />
Soldat des Zweiten Weltkrieges in Gefan<br />
genschaft und wurde nach Deutschland<br />
deportiert. Hier leistete er, wie viele<br />
andere Gefangene auch, in den noch<br />
verbleibenden fünf Kriegsjahren Arbeiten,<br />
die von wehrtüchtigen deutschen<br />
Män nern nicht mehr ausgeführt werden<br />
konnten, da diese bereits zum Kriegs -<br />
dienst eingezogen waren. E. R. Lècuyers<br />
ungewollte Reise nach Deutschland<br />
endete vorerst im STALAG VI A<br />
(Stamm lager für Kriegsgefangene) in<br />
Hemer, auf dem heutigen Landesgartenschau<br />
gelände. Hier wurden die Männer<br />
in Kolonnen eingeteilt und den entsprechenden<br />
Arbeitsstätten zugeteilt. So<br />
kam E. R. Lècuyer zuerst in das Lager<br />
nach Hü s ten-Ost und dann weiter nach<br />
Müsche de wo er im Ruhr-Lippe-Stein -<br />
bruch ar beiten musste. Später verrichtete<br />
er seine Arbeit beim Wiederaufbau<br />
der durch die Zerstörung der Möhnetal -<br />
sperre zertrümmerten Gleisanlage bei<br />
Niederense. Am 13. April 1945 endete<br />
sein Martyrium in Deutschland durch<br />
den Einmarsch amerikanischer Truppen.<br />
Er kehrte als freier aber dennoch<br />
von den Kriegseinwir<br />
kun gen gezeichneter<br />
Mann in<br />
sein Heimatland<br />
Frank reich zurück.<br />
Sein Kriegskamerad<br />
Jean Maurice<br />
De lorme schaffte<br />
dies leider nicht. Er<br />
verlor bei dem<br />
schweren Bom -<br />
bardement am 9.<br />
März 1945 in Niedereimer<br />
sein Leben.<br />
Am Ehrenmal in Niedereimer<br />
Nicolas Lècuyer, Nicole Lècuyer, Ortsheimatpfleger Detlev Becker<br />
(Niedereimer),Tania Lècuyer, Jean-Claude Lècuyer,<br />
Dieter Lanz (Übersetzer)<br />
Die Stationen<br />
beider Männer<br />
wollte nun Familie<br />
Lè cuyer nach fast<br />
70 Jahren noch einmal nachvollziehen.<br />
So machte sich die Familie am 12. April<br />
diesen Jahres aus der Nähe von Paris<br />
auf den 700 km langen Weg nach<br />
Deutschland. Genauer gesagt zum ehemaligen<br />
STALAG VI A nach Hemer.<br />
Am 13. April besichtigte Familie Lècuyer,<br />
mit weiteren 31 Franzosen, welche<br />
dasselbe Schicksal teilen und Angehörige<br />
in Hemer hatten, vorab das Gelände<br />
des ehemaligen STALAG VI D in Dortmund,<br />
auf dem die West falenhallen stehen.<br />
Zum 65. Jahres tag der Befreiung<br />
des Lagers STALAG VI A HEMER am<br />
14. 4. 1945 durch amerikanische Trup -<br />
pen fand am 14. April 2010 eine Ge -<br />
denk veran staltung am Mahn mal vor der<br />
einstigen Blücher kaserne und dem heutigen<br />
Gelände der<br />
L a n d e s g a r t e n -<br />
schau 2010, unter<br />
dem passenden<br />
Motto „Zau ber der<br />
Ve r w a n d l u n g “<br />
statt. Zuvor hatte<br />
die Reisegruppe,<br />
die aus allen Regionen<br />
Frankreichs<br />
kam, Gelegenheit<br />
sich die Ausstellung<br />
zum Thema<br />
„Kriegs gefangene<br />
im STALAG Hemer“<br />
in den neu<br />
gestalteten Räu-<br />
Gedenkstätte am ehemaligen STALAG VI A in Hemer<br />
Jean-Claude Lècuyer, Tania Lècuyer, Nicolas Lècuyer, Nicole Lècuyer<br />
men anzusehen.<br />
An der Veranstaltung<br />
vor dem Kasernentor<br />
nahmen<br />
neben den Franzosen, Vertreter der<br />
Stadt Hemer, Mitglieder verschiedener<br />
Gruppen und ebenfalls viele Bürger teil.<br />
Am Abend saßen die Teilnehmer der<br />
Fahrt dann noch zum Erfahrungsaus -<br />
tausch und besseren Kennenlernen beisammen.<br />
Großen Anteil an der Orga -<br />
nisation, dem Aufenthalt in Deutschland<br />
sowie den Führungen und der Ge -<br />
denkfeier hatten die Eheleute Règine<br />
und Karl-Heinz Hessling aus Hemer.<br />
Als dann die meisten der französischen<br />
Reisegruppe die Rückreise antraten,<br />
fuhr Familie Lècuyer noch ins<br />
Sauerland um hier nach den Orten zu<br />
suchen, wo die beiden Männer Eugène<br />
Robert Lècuyer und Jean Maurice<br />
De lorme eine enge Freundschaft<br />
verband.<br />
Mit dem Ortsheimatpfleger Detlev<br />
Becker und der Historikerin Simone<br />
Toch aus Niedereimer sowie dem Übersetzer<br />
Dieter Lanz traf sich Familie Lècuyer<br />
zuerst am einstigen Standort der<br />
Gastwirtschaft Schefferei in Nieder -<br />
eimer. Hier soll der Franzose J. M.<br />
Delorme nach dem Bombenangriff zuerst<br />
versorgt worden sein. Danach ging<br />
es weiter auf das ehemalige Ziegelei -<br />
gelände und dem Haus Kaiser, wo am<br />
9. März 1945 im Bombenhagel 21<br />
Menschen ihr Leben lassen mussten. Im<br />
Ort Niedereimer selbst zeigte der Orts -<br />
hei matpfleger den Gästen verschiedene<br />
Anwesen und Betriebe, wo Zwangs -<br />
arbeiter und unter anderem auch Franzosen<br />
während des Krieges arbeiten<br />
mussten. Am Ehrenmal in Niedereimer
92 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
legte man gemeinsam ein Gesteck zur<br />
Völkerverständigung und Versöhnung<br />
nieder. Sichtlich gerührt zeigte sich die<br />
Familie Lècuyer von dieser, den Fran -<br />
zosen, entgegengebrachte Geste. An -<br />
schließend stand ein Besuch des örtlichen<br />
Friedhofes auf dem Plan. Hier<br />
wurde J. M. Delorme mit den anderen<br />
Bombenopfern beigesetzt, bis er 1946<br />
mutmaßlich nach Frankreich überführt<br />
wurde. Hierüber liegen leider keine genauen<br />
Aufzeichnungen vor. Der nächste<br />
Ort welcher besichtigt wurde war<br />
Hü s ten-Ost. Hier befand sich in den ersten<br />
Kriegsjahren zwischen den Ruhr-<br />
Lippe- und den Deutsche Bahn-Gleisen<br />
ein Lager für Kriegsgefangene, darunter<br />
auch Franzosen. In Müschede traf<br />
man sich mit dem dortigen Ortsheimatpfleger<br />
Hubert Michel, um vor Ort den<br />
ehe maligen Ruhr-Lippe-Steinbruch<br />
(heute Müllverladestation) zu besichtigen.<br />
Hier hatte E. R. Lècuyer zeitweise<br />
gearbeitet. Die Steine hier wurden für<br />
den Wie deraufbau der Möhnetalsperre<br />
und den Gleisbau der zerstörten Ruhr-<br />
Lippe-Eisenbahn benötigt. Während<br />
dieser Zeit brachte man die Franzosen,<br />
neben anderen Gefangenen, im beschlagnahmten<br />
Haus des Prokuristen<br />
Rettler in Mü schede unter. Danach ging<br />
es weiter die Möhnestraße hinauf zur<br />
Talsperre. An diesem Straßenzug entlang<br />
verlief früher die Strecke der Ruhr-<br />
Lippe-Eisenbahn, an dessen Wiederaufbau<br />
E. R. Lècuyer beteiligt war. Abschluss<br />
der Exkursion war die Möhnetalsperre.<br />
Hier konnte sich Familie<br />
Lècuyer selbst von der beeindruckenden<br />
Größe des Bauwerkes überzeugen.<br />
Mit Fotos versuchte man die Dimensionen<br />
der Zerstörung vom 17. Mai 1943<br />
näher zu bringen.<br />
Hier hieß es dann auch gleichzeitig<br />
Abschiednehmen voneinander. Mit vielen<br />
neuen, emotionalen und aufschluss -<br />
reichen Erkenntnissen verließ die<br />
Fa milie Lècuyer das Sauerland und<br />
Deutschland. Gegenseitig versprach<br />
man sich in Kontakt zu bleiben, um weiter<br />
Erfahrungen auszutauschen und Erkenntnisse<br />
weiterzugeben. Weitere gegenseitige<br />
Besuche in Deutschland oder<br />
Frankreich seien zudem nicht ausgeschlossen.<br />
So entstand eine ganz neue<br />
deutsch/französische Freundschaft auf<br />
unpolitischer Basis.<br />
Aus dem Vorstand<br />
Das Golddorf Oberhennebom im Schnee – ein eindrucksvolles Bild. Wie in je dem<br />
Jahr trafen sich hier am 12. März 2010 die Vorstandsmitglieder unseres <strong>Heimatbund</strong>es<br />
zu ihrer ersten Sitzung im neuen Jahr. Im Traditionsgasthof Wüllner konnte<br />
unser Vorsitzender Dieter Wurm zum ersten Punkt der Tages ordnung – Vorbereitung<br />
der Mitgliederversammlung am 28. August – die Ver treter der Stadt Marsberg mit<br />
dem stellvertretenden Bürgermeister Johannes Wüllner an der Spitze begrüßen. Der<br />
Vorsitzende des Marsberger Heimatbun des Alfred Tack gab an Hand eines ausgearbeiteten<br />
Detailplans eine eindrucks volle Übersicht über den Verlauf der Mitgliederversammlung<br />
im August. In der Diskussion wurde lobend hervorgehoben, dass bei<br />
den Exkursionen nicht nur „geschichtsträchtige“ Orte aufgesucht, sondern auch Gegenwartsprojekte<br />
wie die Biogasanlage in Leitmar vorgestellt würden.<br />
Zum Tagesordnungspunkt „Förderung des Plattdeutschen“ berichtete Manfred<br />
Raffenberg über die Vorbereitung des 16. Plattdeutschen Tages in Eslohe-Cobbenrode.<br />
Kreisheimatpfleger Peter Sukkau teilte mit, dass ab Herbst erstma lig auch im<br />
Kreis Soest einige plattdeutsche Interviews geführt werden sollen.<br />
Hans Wevering stellte in vorbildlicher Straffheit die März-Ausgabe unserer Zeitschrift<br />
vor, die wieder 48 Seiten umfasst. In Zukunft soll darauf geachtet werden,<br />
dass die Heimatarbeit im Kreis Olpe in den Beiträgen wieder stärker zur Geltung<br />
kommt.<br />
Unser Schatzmeister Hans-Dieter Löffler konnte sich bei seinem Kassenbericht<br />
mit dem einen Satz begnügen, dass der <strong>Heimatbund</strong> weiterhin „schwarze Zah len“<br />
schreibt und dass die Finanzierung des zweiten Bandes unseres Buchpro jektes „Herzogtum<br />
Westfalen“ gesichert ist.<br />
Zu diesem Buchprojekt teilte der Vorsitzende mit, dass zwei Autoren nicht mehr<br />
zur Verfügung stünden. Die Herausgabe des zweiten Bandes wird sich deshalb vermutlich<br />
um ein Jahr verzögern, was aber nach Meinung des Vorstandes hin -<br />
genommen werden kann.<br />
Unter dem Punkt „Verschiedenes“ berichtete Leo Klinke, Schüler der 12. Klasse<br />
des Benediktiner-Gymnasiums in Meschede, über seine Facharbeit zur Ge -<br />
schichte der Hünenburg. Seine Arbeit, für die er viel Beifall erhielt und die von Kreisheimatpfleger<br />
Hans-Jürgen Friedrichs betreut wird, soll in unserer Zeit schrift veröffentlicht<br />
werden.<br />
Frau Susanne Falk berichtete über das „Qualifizierungsnetzwerk Kulturland -<br />
schaftsführer Südwestfalen“, dem zukünftig sicher größere Bedeutung zu kommt.<br />
Von ähnlicher Bedeutung ist das von Hans-Jürgen Friedrichs vorgestell te Projekt<br />
„Gärten und Parks in Südwestfalen. Verborgene Orte neu entdecken“. Beide Projekte<br />
sollten im Vorstand noch einmal ausführlicher behandelt werden.<br />
Abschließend gab unser Vorsitzender eine persönliche Erklärung ab. Aus Ge -<br />
sundheitsgründen und wegen seines Alters wolle er im August nach Ablauf der Wahlperiode<br />
nicht wieder für den Vorsitz kandidieren. Auch die stellvertreten de Vorsitzende<br />
Wilma Ohly steht nicht mehr zur Verfügung. Der Vorstand nahm beide Erklärungen<br />
mit sehr großem Bedauern zur Kenntnis. Er stimm te sodann einstimmig<br />
dem Vorschlag zu, der Mitgliederversammlung als neuen ersten Vorsitzenden den<br />
langjährigen Bürgermeister der Stadt Olsberg Elmar Reuter und als 2. Vorsitzende<br />
Frau Birgit Haberhauer-Kuschel aus Attendorn vorzuschlagen.<br />
Nachzutragen bleibt, dass der Vorsitzende zu Beginn der Sitzung den Heimat -<br />
freund Hans Günter Süggler aus Warstein begrüßen konnte, der den Kreis Soest in<br />
Zukunft als Nachfolger unseres langjährigen verdienstvollen Vorstandsmit glieds<br />
Heinz-Werner Klaus – Rüthen – vertritt. Dr. Adalbert Müllmann
SAUERLAND NR. 2/2010 93<br />
Eichengallen im Sauerland<br />
Was ist das, eine Pflanzengalle?<br />
Pflanzengallen sind abnorme Gebilde,<br />
die von einer Wirtspflanze unter dem<br />
Einfluss eines Gall-Erregers erzeugt werden.<br />
Dessen Larve wächst im Inneren<br />
der pflanzlichen Wucherung heran und<br />
ernährt sich von ihrer Substanz. Die ausschlüpfenden,<br />
in der Regel winzigen Tiere<br />
sind frei beweglich und sorgen für die<br />
Verbreitung und Vermehrung. Gallen<br />
können von Vertretern recht unterschiedlicher<br />
Tiergruppen angeregt werden.<br />
Überwiegend handelt es sich um<br />
Gallwespen, Gallmücken, Gallfliegen<br />
und Gallmilben, aber auch bestimmte<br />
Käfer-, Schmetterlings- und Wanzen -<br />
arten sind am Entstehen von Gall -<br />
bildungen beteiligt. Diese haben eine<br />
charakteristische und in der Regel unverwechselbare<br />
Form, wie ein Blick auf die<br />
fünf Beispiele von Eichengallen zeigt, die<br />
hier näher behandelt werden sollen.<br />
Jede Galle hat ihren spezifischen Erreger,<br />
der ausschließlich auf eine bestimmte<br />
Wirtsart oder doch zumindest<br />
auf eine Wirtsgattung mit mehreren<br />
ähnlichen Arten ausgerichtet ist. Den<br />
Nut zen hat dabei ausschließlich das Tier.<br />
Die Pflanze nimmt im Normalfall keinen<br />
erkennbaren Schaden. Insofern sind die<br />
Gall-Insekten auch nicht als Parasiten im<br />
strengen Sinne anzusprechen. Die<br />
kaum vorstellbare Menge an Gallen, wie<br />
sie eine gesunde Eiche in einem „guten“<br />
Gallenjahr (etwa 2009) tragen kann (gewiss<br />
Zehntausende von Kleingallen!),<br />
geht, soweit erkennbar, nicht zu Lasten<br />
des Holz- und Substanzzuwachses. Das<br />
bewältigt die Eiche aus ihrer schier unerschöpflichen<br />
vegetativen Kraftreserve<br />
Abb. 1: Linsengallen, Blattunterseite einer Stieleiche<br />
(mit 2 Krempengallen), Ruhrtal 2009<br />
heraus. Es verbleibt zwischen den von<br />
Gallen besetzten Anteilen der Blatt -<br />
spreite hinreichend Fläche für die normale<br />
Photosynthese und damit für die<br />
eigentliche pflanzliche Produk -<br />
tionsleistung – und im Übrigen ist für<br />
den Baum der ganze Gallenspuk mit<br />
dem herbstlichen Blätterfall ohnehin für<br />
ein Jahr wieder überstanden.<br />
In mehrfacher Hinsicht ist das Mitein -<br />
ander von Wirtspflanze und Gallinsekt<br />
von besonderem biologischen Interesse.<br />
Schon die Entstehung der Galle ist ein<br />
geheimnisvoller Vorgang. Welches Sig -<br />
nal veranlasst die Wirtspflanze, ihr genetisches<br />
Programm, das zuständig ist für<br />
die Herstellung des arteigenen Gewebes,<br />
punktuell umzustellen auf die Produktion<br />
der Galle? Ist es bereits der Stich<br />
der Gallwespe bei der Eiablage, vielleicht<br />
zusätzlich die Injektion eines bestimmten<br />
Stoffes, oder sind es die Ausscheidungen<br />
der heranwachsenden Larve,<br />
die die lokale Physiologie der Wirtpflanze<br />
umstimmt auf die Bedürfnisse<br />
des Gastes? In einer neueren Veröffentlichung<br />
zu diesem Problem äußert sich<br />
der englische Gallenspezialist Simon<br />
RANDOLPH (2005) wie folgt: „Die Natur<br />
und Be schaffenheit der Signale …,<br />
die zu den vielfältigen, komplexen und<br />
manchmal spektakulären Strukturen<br />
führen, die die äußere Gestalt der Gallen<br />
auszeichnen, sind noch nicht bekannt“<br />
(S. 40, übersetzt v. Verf.).<br />
Eine weitere Besonderheit vieler Gallwespen,<br />
auch der hier ausgewählten<br />
Beispiele, ist der Generationswechsel.<br />
Er besteht darin, dass sich eine geschlechtlich<br />
sich fortpflanzende, also<br />
von Prof. Dr. Reiner Feldmann<br />
zweigeschlechtliche Generation im Verlauf<br />
eines Jahres ablöst mit einer eingeschlechtlichen<br />
Generation, die aus -<br />
schließlich aus Weibchen besteht. Diese<br />
legen unbefruchtete Eier, aus denen die<br />
Männchen und Weibchen der zweigeschlechtlichen<br />
Folgegeneration hervorgehen.<br />
Die Tiere der beiden Gruppen<br />
weichen in Gestalt und Größe so stark<br />
voneinander ab, dass man sie früher als<br />
zwei getrennte Arten angesehen hat, zumal<br />
sie auch noch unterschiedlich aussehende<br />
Gallen produzieren. Das wird am<br />
Beispiel des Eichengallapfels und seiner<br />
Gallwespe erläutert werden.<br />
Noch komplizierter wird es, wenn der<br />
Generationswechsel zusätzlich mit einem<br />
Wirtswechsel verbunden ist. Das<br />
ist, wie wir sehen werden, bei der Knop -<br />
perngallwespe der Fall.<br />
Und schließlich hat sich herausgestellt,<br />
dass der Gall-Erreger nicht der einzige<br />
Bewohner der von ihm induzierten<br />
Pflanzengalle ist. Vielmehr gibt es eine<br />
ganze Anzahl von Tieren unterschiedlicher<br />
Art, die als Mitbewohner den Raum<br />
und die Ressourcen des pflanzlichen Gebildes<br />
mitnutzen – und das auf sehr unterschiedliche<br />
Weise und mit ausgeprägten<br />
Eigeninteressen der einzelnen Partner.<br />
Es handelt sich um eine Lebensgemeinschaft<br />
der besonderen Art, von der<br />
im Schlussabschnitt die Rede sein soll.<br />
Häufige Eichengallen<br />
Unsere heimischen Stiel- und Trau -<br />
beneichen sind die Wirtsbäume mit der<br />
artenreichsten und buntesten Gallen -<br />
fauna. Das Standardwerk von Herbert<br />
BUHR (1965) widmet den Eichengallen<br />
Abb. 2: Münzengallen, Ruhrtal 2009
94 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Abb.3: Krempengallen, Ruhrtal 2009 Abb.4: Eichengallapfel, Ruhrtal 2009<br />
mehr als 60 Textseiten, und für die Darstellung<br />
der kompletten Lebensge -<br />
meinschaften der Eichengallenbewohner<br />
benötigt Robin WILLIAMS (2006)<br />
zwei großformatige Bände. Mit mehr als<br />
70 verschiedenen Gallenformen ist zu<br />
rechnen, von denen ein rundes Dutzend<br />
in nahezu allen Jahren auch im Sauerland<br />
beobachtet werden kann.<br />
Wir begnügen uns hier mit einer Auswahl<br />
von fünf Eichengallen.<br />
Am häufigsten und am weitesten verbreitet<br />
sind die Kleingallen, die vielfach<br />
in ganzen Herden auf der Blattunterseite<br />
zu finden sind. Die Anreger sind aus -<br />
schließlich Gallwespen der Gattung<br />
Neuro terus, und alle machen einen Genera<br />
tionswechsel durch.<br />
Unverkennbar sind die flachen<br />
L i n s e n g a l l e n (Abb. 1), in denen<br />
sich die Weibchen der eingeschlechtlichen<br />
Generation von Neuroterus quercusbaccarum<br />
entwickeln. Diese veranlassen im<br />
Frühjahr die Bildung der Weinbeergallen<br />
an den Blütenkätzchen der Eichen, in<br />
denen die zweigeschlechtliche Generation<br />
heranwächst. Ebenso markant sind<br />
die M ü n z e n g a l l e n (Knopfgallen)<br />
von Neuroterus numismalis (Abb. 2) und<br />
die K r e m p e n g a l l e n von Neuroterus<br />
albipes (Abb. 3); letztere findet<br />
man eher vereinzelt oder in kleinen<br />
Gruppen, gelegentlich auch auf der<br />
Blattoberseite.<br />
Die zwei Zentimeter dicken kugeligen<br />
E i c h e n g a l l ä p f e l (Abb. 4) sind<br />
auffälligere Gebilde. Sie sitzen mit ei-<br />
nem kurzen Stielchen am Hauptnerv<br />
oder einem der stärkeren Nebennerven,<br />
bevorzugt auf den frischen Blättern der<br />
Johannistriebe. Ein Schnitt durch die<br />
Mitte der Kugel lässt eine zentrale Kammer<br />
erkennen, in der im Sommer die<br />
Larven der Eichengallwespe, Cynips<br />
quercusfolii, lebt. Die Galle sitzt fest auf<br />
dem Blatt und fällt mit diesem zusammen<br />
im Herbst zu Boden. In der Kammer<br />
hat sich inzwischen das Gallinsekt<br />
verpuppt. Die im zeitigen Frühling ausschlüpfenden<br />
Weibchen legen ihre unbefruchteten<br />
Eier in Eichenknospen. In<br />
den nun entstehenden Knospengallen<br />
entwickeln sich die Tiere der zweigeschlechtlichen<br />
Generation, die im Sommer<br />
die Bildung der Galläpfel anregen.<br />
Schneidet man übrigens eine solche anfangs<br />
gelbliche, später dunkelgrüne, auf<br />
der sonnenzugewandten Seite auch rötliche<br />
Kugel mit einem nichtrostfreien<br />
Messer an, so verfärbt sich die Klinge<br />
sogleich schwarz. Wir haben Eichengallustinte<br />
hergestellt, eine dokumentenechte<br />
tiefschwarze Tinte, die technisch<br />
aus der Reaktion der Gallensäure<br />
mit Eisen(II)-sulfat entsteht und nach<br />
Oxidation aus einer blassen Vorstufe<br />
erst sichtbar wird.<br />
Spektakuläre Eichengallen:<br />
Knoppern<br />
Die fünfte der hier vorgestellten Gallformen<br />
ist extrem selten. Bis vor wenigen<br />
Jahren war mir nur ein westfälischer<br />
Fundort bekannt: der sehenswerte, überaus<br />
artenreiche Rombergpark im Dortmunder<br />
Süden. Dort zeigte man mir vor<br />
25 Jahren die ersten K n o p p e r n<br />
(Abb. 5). Das ist der alte Name der Gallen,<br />
und so nennt man sie auch in anderen<br />
europäischen Sprachen, so im Englischen<br />
und im Niederländischen. Ehedem<br />
waren sie ihres ungewöhnlich hohen<br />
Gerbstoffgehaltes von 30 % eine<br />
begehrte Handelsware; man verwendete<br />
sie zum Gerben von kostbaren Feinle -<br />
dern, und sie wurden für gutes Geld vor<br />
allem aus Ungarn eingeführt. Erst die<br />
Entwicklung synthetischer Gerbstoffe<br />
verdrängte schließlich das Naturprodukt.<br />
Die Knoppern sind bizarre Gebilde<br />
von großer Formenvielfalt. Die Galle<br />
sitzt wie ein Helm, eine Krone, eine<br />
Haube oder eine Krallentatze auf der Eichel<br />
und kann diese auch vollständig<br />
umwachsen. Die frischen Gallen sind<br />
grün oder rötlich gefärbt und etwa klebrig;<br />
später werden sie braun und holzig.<br />
Im Spätsommer und Frühherbst liegen<br />
sie vielfach in so großen Mengen unter<br />
den Eichen kronen, dass man Mühe hat,<br />
nicht bei jedem Schritt auf diese skurrilen<br />
Natur gebilde zu treten.<br />
Auch hier ist der Erreger eine Gallwespe,<br />
die Knopperngallwespe, An -<br />
dricus quercuscalicis, und auch sie<br />
macht einen Generationswechsel durch,<br />
der aber nun verbunden ist mit einem<br />
Wirtswechsel. In den Knoppern entwickeln<br />
sich die Weibchen der eingeschlechtlichen<br />
Generation. Sie schlüpfen<br />
im März/April aus den am Boden<br />
liegenden Gallen und legen ihre unbefruchteten<br />
Eier in die noch geschlosse
SAUERLAND NR. 2/2010 95<br />
Abb. 5: Knopperngalle an einer Eichel der Stieleiche;<br />
Unna-Kessebüren, 2007<br />
(alle Fotos v. Verf.)<br />
nen Blütenknospen der Z e r r e i c h e.<br />
An den männlichen Blüten entwickelt<br />
sich die eiförmige, nur 1 bis 2 mm<br />
große, ziemlich unscheinbare Galle mit<br />
jeweils einer Larve. Im Mai schlüpfen die<br />
Männchen und Weibchen der zweigeschlechtlichen<br />
Generation. Die befruchteten<br />
Eier werden zwischen Eichelfrucht<br />
und Becher von Stieleichen abgesetzt,<br />
und der Zyklus beginnt mit der Ent -<br />
wicklung der Knoppern von vorn.<br />
Grundvoraussetzung für das Gelingen<br />
dieses zweifachen, miteinander gekoppelten<br />
Phasenwechsels ist das Vorkom -<br />
men beider Eichenarten im gleichen Gebiet.<br />
Was das Vorhandensein der Stieleiche<br />
anbelangt, so stellt sie kein Problem<br />
dar – sie ist praktisch überall reichlich<br />
vorhanden, wenn man einmal von den<br />
höchsten Lagen des Sauer landes absieht.<br />
Hingegen ist die Zerr eiche, Quercus<br />
cerris, ein ausgeprägter Exot, der in<br />
Südosteuropa beheimatet ist und bei uns<br />
nur sehr gelegentlich in Parks und Anlagen<br />
angepflanzt wird. Dabei ist sie niemals<br />
ein modischer Renner wie Rosskastanie,<br />
Platane oder Robinie gewesen.<br />
Als Forstbaum ist sie lediglich im Raum<br />
der Pader bor ner Hoch flä che, vor hundert<br />
Jahren, versuchsweise angepflanzt<br />
worden. Die Bestände gibt es heute<br />
noch, und dort, bei Büren und Borchen,<br />
fand sich auch erwartungsgemäß die<br />
Knop perngalle. Auch im Rombergpark,<br />
einem der größten deutschen Ar bo -<br />
reten, ist die Zerreiche vertreten. Einzelne<br />
weitere Wuchsorte sind den Botani-<br />
kern bekannt, und<br />
die Kontrolle ergab<br />
in manchen Fällen<br />
in der Nach -<br />
barschaft weitere<br />
Nachweise der<br />
Knop pern gal len, so<br />
dass mir mittler -<br />
weile 18 west -<br />
fälische Fund orte<br />
bekannt sind. Im<br />
Sauerland sind es<br />
zwei Friedhöfe<br />
mit altem Baum be -<br />
stand: der Möhne -<br />
friedhof in Neheim<br />
und der Friedhof<br />
Iserlohn. Im Be -<br />
reich von Ardey<br />
und Haar strang<br />
fand ich die Knop -<br />
pern z. T. recht reichlich im Schwer ter<br />
und Werler Wald, auf dem Friedhof Unna<br />
und in Feldgehölzen von Ostbüren<br />
und Frömern. Meldungen weiterer<br />
Fund stellen dieser unverkennbaren Gallen<br />
sind mir willkommen.<br />
„Der Zoo in der Pflanzengalle“<br />
Beim Versuch, den Gallen-Erreger<br />
daheim in einem mit Gaze verschlossenen<br />
Behälter schlüpfen zu lassen (was<br />
ohne große Schwierigkeiten möglich<br />
ist), wird man eine überraschende Entdeckung<br />
machen: es entwickelt sich allmählich<br />
eine ganze Schar von Insekten,<br />
die durchaus unterschiedlich aussehen<br />
und sich bei genauerem Überprüfen unter<br />
einer guten Lupe oder, besser, einem<br />
Bino kular auch als verschiedene Arten<br />
erweisen. Es handelt sich dabei neben<br />
dem eigentlichen Verursacher der Gallen<br />
um drei Gruppen von Wespen. Da<br />
sind ers tens die Einwohner, die selbst<br />
nicht in der Lage sind, Gallbildung anzuregen,<br />
die aber, gleichsam als Kuckucke,<br />
den Wohnraum und das Nahrungsangebot<br />
der Pflanzengalle nutzen, im Übrigen<br />
aber keinen Schaden anrichten und<br />
also lediglich als geduldete Mitbewohner<br />
gelten können. Weniger harmlos sind<br />
die Arten der beiden weiteren Gruppen.<br />
Zur ersten gehören die winzigen, oft<br />
wunderschön metallisch rot-grün gepanzerten<br />
Erzwespen, Zehrwespen und<br />
Schlupfwespen. Sie legen ihre Eier in<br />
die Larven der Gallwespen und ihrer<br />
Untermieter; die Schmarotzerlarven le-<br />
ben dann von der Körpersubstanz der<br />
Wirtslarven und töten diese am Ende,<br />
wenn sie selbst ihre Entwicklung vollendet<br />
haben. Diese Parasitoide (so ist die<br />
korrekte Bezeichnung für diese funktionale<br />
Gruppe) werden nun ihrerseits von<br />
den Wespen der zweiten Gruppe angegriffen<br />
und als Beute genutzt; wir bezeichnen<br />
sie als Hyperparasitoide.<br />
Eine solche voneinander abhängige<br />
Artengemeinschaft von Gall-Erregern,<br />
Einwohnern und Parasitoiden erster und<br />
zweiter Ordnung ist von einer faszinierenden<br />
Komplexheit und je nach Gallenform<br />
und -erreger aus unterschiedlichen<br />
Arten zusammengesetzt. Bei der weitverbreiteten<br />
Rosenschlaf galle, einem<br />
moosigen Gebilde an Heckenrosenzweigen,<br />
fand ich in den letzten Jahren neun<br />
verschiedene Arten: den Gallenerreger<br />
(die Rosengallwespe), ferner einen Untermieter<br />
sowie, sage und schreibe, sieben<br />
verschiedene Parasitoide aus beiden<br />
Gruppen. Im Fall der Knopperngalle<br />
sind es sogar insgesamt 24 Arten, die<br />
sich in ihrem Bestand wechselseitig kontrollieren:<br />
die Parasi toide sorgen dafür,<br />
dass die Gall-Erreger nicht überhandnehmen<br />
und die Wirtspflanzen nicht<br />
schließlich doch schädigen; die Hyperparasitoiden<br />
betreiben das gleich Geschäft<br />
bei ihren „Kollegen“ der ersten<br />
Schmarot zerebene. Solche Netzwerke<br />
und ihre Regulationsmechanismen gibt<br />
es in Vielzahl in der lebenden Natur. Im<br />
geschlossenen und gut überblickbaren<br />
System der Gallen und ihres merkwürdigen<br />
Wespen-Zoos ist das Artengefüge<br />
und seine Biologie aber besser zu studieren<br />
als draußen im freien Gelände.<br />
Literatur<br />
BUHR, H. (1965): Bestimmungstabellen der Gallen<br />
(Zoo- und Phytocecidien) an Pflanzen<br />
Mittel- und Nordeuropas. Bd. 2. – Jena (G. Fischer).<br />
FELDMANN, R. (2008): Aktueller Nachweis von Gallen<br />
der Knopperngallwespe (Andricus quercuscalicis)<br />
in Westfalen. – Natur und Heimat 68 (3): 89-92 (M ünster).<br />
FELDMANN, R. (2009): Die Hautflügler-Gemein -<br />
schaft des Rosenschlafapfels. Analyse eines ökologischen<br />
Kleinsystems. – Natur und Heimat 69 (2): 33-<br />
43 (Münster).<br />
RANDOLPH, S. (2006): The natural history of the<br />
Rose Bedeguar Gall and its insect community. –<br />
British Plant Gall Society.<br />
WILLIAMS, R. (2006): Oak-galls in Britain. 2 Vol. –<br />
Wedmore, Somerset, GB (Vanellus Publications).
96 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Ein begehrter Brutplatz<br />
Liebe Leserinnen und Leser, vielleicht<br />
erinnern Sie sich an die „hochwohlgeborenen<br />
Gänslein“ im Juniheft 2009 unserer<br />
Zeitschrift. Da war doch die Nilgans,<br />
die hoch oben in einem Schall-Loch des<br />
Körbecker Kirchturms, nahe bei den<br />
Glocken, ihre Jungen ausbrütete, diese<br />
Jungen, die schon bald nach dem Trocknen<br />
ihres Dunenkleidchens den Sprung<br />
in die Tiefe überstanden und dann mit<br />
den Eltern den etwa 1000 m weiten<br />
Marsch zum Möhnesee schafften.<br />
Das nach Westen gerichtete Schall -<br />
loch „gehörte“ eigentlich den Turmfal -<br />
ken. Im Frühjahr 2006 fand das Nil -<br />
ganspaar Gefallen daran. Es drängte die<br />
Falken kurzerhand hinaus. Dreimal,<br />
nämlich 2006, 2007, 2008, herrschten<br />
und brüteten sie in dem hochgelegenen,<br />
dickwandigen Schall-Loch. Wer weiß,<br />
aus welchen Gründen sie im Frühjahr<br />
2009 wegblieben? Wie es auch sei, bald<br />
erspähte ein Turmfalkenpaar den freigewordenen<br />
Brutplatz. Vielleicht war es<br />
das im Jahr 2006 vertriebene. Jeden -<br />
falls fühlte es sich schnell wohl in dem<br />
Schall-Loch. Es ließ sich auch von dem<br />
Dröhnen der Glocken, das über die<br />
Köpfe der Tiere hinweg nach draußen<br />
drang, nicht stören.<br />
Die Turmfalken bauen, wie alle Falken,<br />
kein Nest, Wenn das Weibchen eine<br />
geeignete Felsspalte oder ein passendes<br />
Mauerloch gefunden hat, legt es dort<br />
die Eier einfach<br />
auf den Bo den. Im<br />
Jahr 2009 waren<br />
es in Körbecke 5<br />
Eier. Das Weibchen<br />
brütete etwa<br />
28 Tage lang. Dabei<br />
wurde es vom<br />
Männchen mit<br />
Nahrung versorgt.<br />
Nachdem die Jungen<br />
geschlüpft waren,<br />
gab es mehr<br />
Ar beit. Da das<br />
Weib chen die<br />
Nestlinge zunächst<br />
noch hudern und<br />
die gebrachte Beute<br />
für sie zurechtmachen<br />
musste,<br />
konnte es nur<br />
nach und nach<br />
häufiger am Beu -<br />
tefang teilnehmen.<br />
Dabei kam<br />
es vor, daß die<br />
Kleinen eine Zeit<br />
lang allein waren.<br />
Man kann sich<br />
vorstellen, dass<br />
sie sich dann bei<br />
Kälte oder bei unbekannten<br />
Ge -<br />
räuschen aneinanderkuschelten,<br />
so wie Karl<br />
Drees sie fotografierte.<br />
Er beobachtete<br />
auch,<br />
wie sie sich im<br />
Nest raum einzeln<br />
hin und her bewegten.<br />
Sie wuchsen erstaunlich schnell,<br />
entsprechend schnell zeigte sich mehr<br />
und mehr das schön gezeichnete juvenile<br />
Gefieder. Immer häufiger schlugen sie<br />
mit den Flügeln, auch wurden sie misstrauischer.<br />
Man sieht es den dreien an,<br />
die Karl Drees noch so eben mit der Kamera<br />
einfangen konnte.<br />
Eines Tages, es war ungefähr nach 4<br />
Wochen Nestlingszeit, spürten sie, dass<br />
man sich nun endlich in die Luft werfen<br />
und losfliegen sollte. Es gelang. Weg<br />
vom Turm! Zurück zum Horst oder zur<br />
Dachrinne oder auf einen dicken Ast des<br />
großen Baumes in der Nähe. Ja, sie wa-<br />
Fotos: Karl Drees<br />
von Wolfgang Frank<br />
ren flügge! Aber noch nicht selbständig.<br />
Mit kläglichen, bettelnden Lauten wandten<br />
sie sich an die Altvögel. Diese ließen<br />
sich erweichen und schleppten Nahrung<br />
dahin, wo die Schreihälse saßen. Nach<br />
einigen Tagen flogen einzelne der Jung -<br />
vögel mit hinaus in die Feldflur und griffen<br />
sich Würmer, kleine Frösche oder<br />
größere Insekten. Da, einem Jungvogel<br />
gelang es, wie die Alten im Rüttelflug,<br />
d. h. mit flachem, schnellem Flügel -<br />
schlag und nach unten gespreiztem<br />
Schwanz hoch oben gegen den Wind zu<br />
stehen und plötzlich nach unten zu<br />
stoßen, um eine Beute zu fassen. Es dauerte<br />
nicht sehr lange, dann hatten die<br />
Ge schwister ebenfalls<br />
diese Kunst<br />
erlernt.<br />
Auch in diesem<br />
Frühjahr<br />
(2010) haben die<br />
Turm falken das<br />
Schall-Loch besetzt.<br />
Aber mals<br />
sitzt das Weibchen<br />
auf 5 Eiern.<br />
Man darf erwarten,<br />
dass wieder<br />
fünf junge Falken<br />
von Körbecke<br />
aus in die wei te<br />
Feld flur fliegen.<br />
Da muss die Maus<br />
sich fürchten und<br />
der Landmann<br />
darf sich freuen.
SAUERLAND NR. 2/2010 97<br />
BÜCHER • SCHRIFTTUM<br />
Sassendorf<br />
Vom Salz zum Bad<br />
Wenn ein Ort mit durchaus dörflichem<br />
Charakter sich seit der Mitte des<br />
19. Jahrhunderts zu einem Heilbad mit<br />
heute (2008) 517 730 Übernachtungen<br />
im Jahr entwickelt, ist das schon ein<br />
bemerkenswerter Vorgang. Es ist verständlich,<br />
dass der Bürgermeister Anto -<br />
nius Bahlmann von Sassendorf – um<br />
diesen Ort handelt es sich hier – den<br />
„schon lange gehegten Wunsch“ nach<br />
einer umfassenden Ortschronik erwähnt.<br />
Nun ist der Wunsch erfüllt, eine<br />
gewichtige Chronik Sassendorfs von<br />
fast 600 Sei ten anzuzeigen, herausgegeben<br />
von dem um westfälische (speziell<br />
auch sauerländische) Belange hochverdienten<br />
Peter Kracht und einer Reihe<br />
von sachkundigen Mitarbeitern. Ein derart<br />
umfangreiches Werk kann bei begrenztem<br />
Raum nur unzulänglich besprochen<br />
werden, nur eine knappe Wiedergabe<br />
ist möglich.<br />
Schon im Titel: Vom Sälzerdorf zum<br />
Heilbad, kommt zum Ausdruck, dass ein<br />
entscheidender Faktor bei der Ent -<br />
wicklungsgeschichte Sassendorfs das<br />
Salz gewesen ist. Schon im Mittelalter<br />
entstand die Saline und machte das<br />
„Weiße Gold“ zu einem wichtigen Handelsgut.<br />
Seit dem 12. Jahrhundert wurde<br />
im Sassenberger Raum schon Salz gewonnen,<br />
wie das Kapitel über die Vorund<br />
Frühgeschichte berichtet, das die<br />
Chronik eröffnet. (S. 13-41) Doch war<br />
die Landwirtschaft in der fruchtbaren<br />
Börde der eigentliche Inhalt des bäuerlichen<br />
Lebens, Sassendorf war die Kornkammer<br />
Soests. Sehr anschaulich werden<br />
die Rechtsstellung und die Lebensbedingungen<br />
der Bauern im 18. und 19.<br />
Jahrhundert dokumentiert und ihr Alltag<br />
detailgetreu geschildert: Bau ernfamilie<br />
und Gesinde, Wohnung, Mahlzeiten,<br />
Kleidung, Feste, die Bedeu tung von Kirche<br />
und Schule und den vielen Vereinen.<br />
(S. 145-373) Ein eigenes Kapitel über<br />
den Ort, der sich schon 1906 „Bad“<br />
nennen konnte, gilt in diesem Zusamenhang<br />
der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis<br />
heute. Es kennzeichnet ausführlich den<br />
Einfluss des politischen Geschehens in<br />
Deutschland speziell auf die Kommunalpolitik<br />
Sassenbergs, z. B. die rabiaten<br />
Maßnahmen in der NS-Zeit, aber auch<br />
die Probleme der „Zusam menbruchsge-<br />
sellschaft“ nach 1945, die Nöte der Zuflucht<br />
suchenden Vertrie benen und die<br />
Besatzungsmacht, bis zum Wieder(Neu)aufbau<br />
der Kureinrich tungen<br />
nach modernen Vorstellungen, der neuen<br />
Kliniken und Hotels: Alle Zeichen der<br />
Umbruchsprozesse zur „Kurkleinstadt“.<br />
Eine Übersicht der Wandlungen des Ortes<br />
entstand aus einem Beitrag im Rahmen<br />
einer Lehr veranstaltung als Forschund<br />
Schreib werk statt an der Universität<br />
Münster „Sassenbergs Entwicklung vom<br />
Säl zerdorf zum Kurort“. (S. 373-449)<br />
Wie derholungen zu den vorherigen Inhalten<br />
waren unvermeidlich, insgesamt<br />
bietet sich damit aber eine informative<br />
Ge samtdarstellung, die auch die neueren<br />
und neuesten Veränderungen thematisiert<br />
wie die Eröffnung des Bewe -<br />
gungszentrums und des Sole-Ther -<br />
malbades mit der Meersalzgrotte. Es wird<br />
auch eine der Besonderheiten Sas -<br />
senbergs reflektiert, als der Kommune<br />
mit der ältesten Bevölkerung Nordrhein-<br />
Westfalens, begründet vor allem durch<br />
den Zuzug älterer Menschen: Steigerung<br />
der Bevölkerungszahl um 26,4 % – eine<br />
erstaunliche und bedenkenswerte Zahl.<br />
Die Chronik schließt mit Einzelaufsätzen<br />
zu Straßen und Gebäuden, Namen und<br />
Familien, die das Bild Sassendorfs weiter<br />
vertiefen. Es wird, das darf keinesfalls unerwähnt<br />
bleiben, durch eine erfreuliche<br />
Fülle aufschlussreicher und eindrucksvoller<br />
Fotos aus Vergangenheit und Ge -<br />
genwart veranschaulicht. Sie werden dazu<br />
beitragen, dass die Chronik nicht nur<br />
dem Selbstverständnis der Sassenberger<br />
dient, sondern auch den vielen Men -<br />
schen, die hier Heilung gesucht haben<br />
und suchen, eine genauere Einsicht in<br />
das Werden des interessanten Ortes ermöglichen<br />
und ihnen darüber hinaus eine<br />
wertvolle Erinnerung an Sassenberg<br />
schenken.<br />
Dr. Erika Richter<br />
Sassendorf – Vom Sälzerdorf zum Heilbad, hrsg. von<br />
Peter Kracht, Münster Aschendorff Verlag 2009, 592<br />
Seiten.<br />
Schmallenberger<br />
Heimatblätter<br />
75/2009: F.-J. Schütte: Mit einem<br />
Faltblatt fing es an – 75. Ausgabe<br />
Schmallenberger Heimatblätter.<br />
H. Voß: Ein neues Kunstwerk in Schmallenberg<br />
– Der Breybalg in Bronze.<br />
H. Himmel reich: Enthüllung der Bronzefigur<br />
„Schmallenberger Breybalg“. F.-J.<br />
Schütte: Wie ist die Hungersnot zu mildern?<br />
Aus der Predigtsammlung eines<br />
Schmallenberger Pfarrers. A. Wiegel:<br />
Beruf und Berufung – Pastor Alfons<br />
Wiegel. K. Willeke (†): Am Wässerlein.<br />
Aus unserer Schützengesellschaft<br />
S. Teipel: Generalversammlung. K.-H.<br />
Gilsbach: Jungschützenparty 2009.<br />
S. Teipel: Schützenfest 2009. K. Saß -<br />
mannshausen: Jubiläumskinderschüt -<br />
zenfest. K. Saßmannshausen: 50 Jahre<br />
Schützenzüge.<br />
M. Gilsbach: Lüttkefastnacht gestern<br />
und heute. Alaaf Schmallenberg. Karne -<br />
valsumzug 1901. Dr. G. Schulte: Das<br />
Schmallenberger Krankenhaus – An -<br />
merkungen zu einer Gründungsinitiative<br />
der 1850er Jahre. H. Himmelreich: Familie<br />
nebenher war nicht möglich<br />
– Schwester Elli – Trägerin des Ehren -<br />
ringes. C. Koch: Fast 100 Jahre alt: Firma<br />
Feldhaus – eine vielseitige Bau -<br />
unternehmung. K. Schulte: 50 Jahre<br />
Getränke Schulte. G. Gellrich: 60 Jahre<br />
„Schrebergarten“ in Schmallenberg.<br />
A. Brüggemann/P. Tolle: 2009 – Das<br />
gro ße Jubiläumsjahr der Stadtkapelle<br />
Schmallenberg. H. Voß: 100 Jahre Ski-<br />
Club Schmallenberg.<br />
Hrsg. von der Schützengesellschaft Schmallenberg<br />
1820 e. V, Hannelore Himmelreich, Auf der Mauer<br />
14, 57392 Schmallenberg.<br />
Die Hallenberger Juden<br />
Kurköln – KZ–Kibbuz<br />
Es ist selten, dass die 2. Auflage eines<br />
vielgerühmten Buches die Erstauflage<br />
noch übertrifft. Das ist aber bei diesem<br />
Buch „Die Hallenberger Juden“ der Fall.<br />
1991 hatte der ehrenamtliche Stadtar -<br />
chivar Hallenbergs, Georg Glade, ein<br />
Buch über die dortigen Juden veröffentlicht,<br />
das wegen des regen Zuspruchs bald<br />
vergriffen war. Nun hat er ihm im November<br />
2009 eine zweite überarbeitete Auflage<br />
folgen lassen, die besonders durch die<br />
Mitarbeit einer Israelin eine zusätzliche<br />
vertiefende Ergänzung erhalten hat.<br />
In Hallenberg sind schon relativ früh,<br />
d. h. seit der Mitte des 16. Jahrhunderts,<br />
Juden nachgewiesen. Die ersten Kapitel<br />
des Buches von Glade gelten der Situation<br />
jüdischer Familien in dieser kurköl-
98 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
nischen Zeit von 1563 – 1802, Anschaulich<br />
und durch viele Quellen gestützt,<br />
wird ihr damaliges Leben vergegenwärtigt,<br />
ein unterdrücktes und vielfältig<br />
diskriminiertes Dasein zwischen den<br />
Hallenberger Christen. (S. 15 – 77) Vor<br />
allem der Abschnitt über ihre spezifische<br />
Rechtssituation ist aufschlussreich. Aber<br />
auch die Säkularisation 1802 brachte in<br />
der hessischen, dann preußischen Landes<br />
herrschaft erst allmählich Locke -<br />
rungen ihrer Rechtslage und mit den Gesetzen<br />
von 1847 und endgültig 1869 ihre<br />
Gleichberechtigung in Preußen und<br />
dann im Norddeutschen Bund, wenn<br />
auch die Verfassungs bestimungen und<br />
die Wirklichkeit auseinanderklafften. Erst<br />
in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts<br />
waren die Juden Hallen bergs in<br />
die Ortsgesellschaft integriert. Immerhin<br />
wurde 1887 ein Jude Schützen könig,<br />
und auch in den übrigen Vereinen gehörten<br />
sie dazu und kämpften und fielen für<br />
ihr Vaterland im Ersten Weltkrieg, so<br />
dass Glade folgern kann: Nach 350 Jahren<br />
jüdischer Geschichte in Hallenberg<br />
war also nach der rechtlichen Emanzipation<br />
endlich auch die völlige soziale Integra<br />
tion gelungen (142)<br />
Die Zeit von 1933 – 1945 hat ein<br />
düs teres Schwergewicht in der Chronik.<br />
(S. 148 – 239) Mit der sog. „Machter -<br />
greifung“ begann der ausführlich dokumentierte<br />
bösartige Prozess der politischen<br />
Entrechtung, wirtschaftlichen<br />
Lähmung und gesellschaftlichen Isola -<br />
tion mit dem erschütternden ersten<br />
Höhepunkt in der „Reichskristallnacht“.<br />
Die mühsamen Vesuche der Auswan -<br />
derung nach Israel, USA, Argenti nien<br />
und Australien; werden nach authentischen<br />
Quellen nachgezeichnet und zudem<br />
die unvorstellbaren Drangsale der<br />
Deportationen. Ein eigenes Kapitel<br />
bringt die Namen und – soweit erfassbar<br />
– die Fotos der in Hallenberg geborenen<br />
Juden, oft mit dem Todesort:<br />
Auschwitz, Sobibor oder Belzec.<br />
Von der Düsternis dieser Aufzeich -<br />
nungen hebt sich der folgende Teil des<br />
Buches bewegend ab. „Hallenberger Juden<br />
überstehen den Holocaust“. Hier<br />
wechseln Schilderungen über jüdische<br />
Überlebende mit Israel-Impressionen<br />
von Heike und Georg Glade, die dort<br />
ehemalige Hallenberger Juden besuchten.<br />
Es folgt die Lebensgeschichte des<br />
nun 92jährigen letzten lebenden Hallen -<br />
berger Juden Bruno Frankenthal. Sie<br />
wird erzählt von Bat-Sheva Greenberg,<br />
einer früheren Pflegerin in dem Alters -<br />
heim, in dem Bruno Frankenthal jetzt<br />
lebt und die ihm freundschaftlich verbunden<br />
ist. Geboren 1917 in dem hessischen<br />
Dorf Altenlotheim, kam Bruno<br />
achtjährig zu seinem Onkel nach Frank -<br />
furt. 1933, als er die ersten antisemitischen<br />
Anpöbeleien erlebte, floh er nach<br />
Hallenberg, der Heimatstadt seiner Mutter,<br />
wo er bei einem Onkel, der ein Ledergeschäft<br />
hatte, das Gerberhand werk<br />
erlernte. Er verlobte sich mit einer jungen<br />
Jüdin aus Warstein, wo er auch als<br />
Kantor in der Synagoge sang. Nach den<br />
Demütigungen am 9.11.1938 folgte die<br />
sechswöchige Haft in Buchenwald, Mit<br />
erfrorenen Zehen kam er mit der Auflage<br />
zurück, Deutschland in einem Monat<br />
zu verlassen. Nach vielen An -<br />
strengungen gelang die Ausreise nach<br />
Bolivien, anschließend arbeitete er in<br />
Argentinien erfolgreich in der Lederver -<br />
arbeitung. 1963 entschloss er sich mit<br />
anderen südamerikanischen Juden zur<br />
Auswanderung nach Israel, wo er mit seinen<br />
1943 und 1945 geborenen Kindern<br />
wieder erfolgreich arbeiten konnte,<br />
bis er nach dem Tod seiner Frau 2001<br />
in ein Altersheim zieht, wo er sich freut,<br />
seinen Mitbewohnern noch nützlich sein<br />
zu können. In dem lebendig geschilderten<br />
Bericht von Bat-Sheva Greenberg<br />
erleben wir seinen ihn sehr beglückenden<br />
Deutschlandbesuch von 2007, sowohl<br />
in seine hessische Kindheitsheimat<br />
wie nach Hallenberg, wo er überall herzlich<br />
aufgenommen wird und nun überzeugt<br />
ist, dass eine echte Begegnung<br />
von Deutschen und Juden heute wieder<br />
möglich ist. Damit erhält diese 2. Auflage<br />
des Buches von Glade, das soviel Erschreck<br />
en des berichtet, einen tröstlichen<br />
Ab schluss. Es ist ihm, da es auch<br />
stilistisch sehr ansprechend gefasst ist,<br />
eine weite Aufnahme nicht nur in Hallenberg<br />
zu wünschen, vor allem auch bei<br />
der jungen Generation, im Sinne des<br />
Hallenberger Bürgermeisters Kronauge,<br />
der in seinem Geleitwort betont,<br />
dass nicht vergessen werden kann, was<br />
nicht vergessen werden darf.<br />
Dr. Erika Richter<br />
Georg Glade: Die Hallenberger Juden, 2. überarbeitete<br />
und erweiterte Auflage 2009, Druck und Weiter ver -<br />
arbeitung Josefsheim GmbH, 352 Seiten<br />
Südsauerland<br />
Heimatstimmen aus dem<br />
Kreis Olpe<br />
4/2009, Folge 237. B. Haberhauer-<br />
Kuschel: Umnutzung von Altbauten<br />
in Lichtinghausen als Jugendtreff.<br />
R. Kirsch-Stracke: Ein Wort vorneweg.<br />
S. Falk, R. Kirsch-Stracke u. D. Tröps:<br />
Mitglieder versammlung des Kreishei -<br />
mat bundes Olpe e. V. am 26. Oktober<br />
2009 in Heinsberg. R. Kirsch-Stracke:<br />
Preis der Deutschen Landeskul tur gesell -<br />
schaft 2009 für Fred Josef Han sen, den<br />
Initiator des Kyrill-Pfades am Rothaar -<br />
steig. R. Wurm: Archivare des Kreises<br />
Olpe tagten in Wenden. Neue Regal -<br />
anlage wurde besichtigt. M. Wolf: Fredeburg<br />
und Bilstein. Besitznahme durch<br />
Kurköln in der Soester Fehde.<br />
H. Wiechers: Die Kapelle St. Maria<br />
Mag dalena in Altenvalbert. Zur früheren<br />
Kapellengeschichte. H. Wintersohl: Älteste<br />
Nachrichten zu Familien des Drolshagener<br />
Landes. Teil 1: Nebeling.<br />
W. Scherer: Zur nationalsozialistischen<br />
Struktur des Kreises Olpe (Teil 8,1).<br />
Kreisbauernschaft und Ortsbauern -<br />
schaften 1933-1945. – Nach Akten des<br />
Stadtarchivs Olpe – K. H. Kaufmann:<br />
Wat et Chreschtkejnd d’m Onkel Alfred<br />
jebrächt ha. Weihnachtsgeschichte in<br />
Wendener Mundart. H.-W. Voß: Heimatchronik<br />
vom 1. Juli 2009 bis<br />
30. September 2009. Buchbesprechungen.<br />
Termine.<br />
Hrsg. vom Kreisheimatbund Olpe e. V., Geschäftsstelle:<br />
Kreisarchiv Olpe, Westfälische Straße 75,<br />
57462 Olpe, Tel.: 0 27 61/81-5 42<br />
Esloher<br />
Museumsnachrichten<br />
18/2009: F.-J. Keite: Bericht des<br />
Museumsvereins – Kleine und Große Ereignisse<br />
2008. F.-J. Huß: Neue Kirchenfenster<br />
für St. Peter und Paul.<br />
H. Klinkert: „Not lehrt Beten“ – Geschichte<br />
einer Flucht. D. W. Stötzel: Ein<br />
eBay-Kauf aus Israel und was dahintersteckt<br />
– Auf den Spuren der Juden im
SAUERLAND NR. 2/2010 99<br />
Amt Eslohe. M. Rischen: Geschichte der<br />
Hofkapelle Rischen – Ort des stillen Gebetes.<br />
R. Franzen: Wo sie blieben, was<br />
sie wurden – Karl, Christoph und Stephan<br />
Wessel. F.-J. Keite: Stimmen wie<br />
aus dem Himmel – Die Regens burger<br />
Domspatzen zu Gast in Eslohe. M. Fiebig:<br />
Aussichtsturm auf der Homert<br />
„Mit 4-5 Meilen Gesichtsfeld“. G. Schulte:<br />
Die Röbling-Ausstellung – Von der<br />
Idee zur Verwirklichung. H. Dürr:<br />
Spannende Geschichte(n) – Berufliche<br />
Schulen im Wohngebiet am Böttenberg.<br />
P. Bürger: Zeitschrif ten funde: Nachträge<br />
zur Esloher Biblio graphie.<br />
H. Jansen: Kirchen, Kapellen, Fachwerkhäuser<br />
– Denkmalschutz in der Gemeinde<br />
Eslohe (Teil 4). P. Bürger: „Im<br />
reypen Koren“. Das Lexikonprojekt des<br />
Museums zur Mundartliteratur. R. Franzen:<br />
Museumsstück des Jahres – ein Flechtwerk<br />
aus Haaren.<br />
Esloher Museumsnachrichten. Maschinen- und Heimatmuseum<br />
Eslohe, Homertstraße 27, 59889 Eslohe,<br />
Tel.: 02973/24 55<br />
Südsauerland<br />
Heimatstimmen aus dem<br />
Kreis Olpe<br />
1/2010 Folge 238. A. Klein: Bäume.<br />
R. Kirsch-Stracke: Ein Wort vorneweg.<br />
Zum Umgang mit Altbauten: weiternutzen,<br />
umnutzen oder abreißen?<br />
W. Ohly: Der Olper Bahnhof muss erhalten<br />
bleiben. Die Bedeutung des Bahnhofes<br />
für die Stadt Olpe. R. Kirsch-Stracke u.<br />
S. Falk: Landschaft Lesen Lernen. Ein<br />
Netzwerk für Kulturlandschafts füh -<br />
rerinnen und Kulturlandschaftsführer in<br />
Südwestfalen. A. Zembala: Heider<br />
Kreuz weg von Ilona Weber. Aus -<br />
stellungseröffnung am 15. November<br />
2009. O. Höffer: Funde und Hinweise<br />
aus dem Archiv des Freiherrn von Fürstenberg-Herdringen<br />
(Teil 21). M. Wolf:<br />
Gab es in Attendorn eine Burg?<br />
W. Scherer: Zur nationalsozialistischen<br />
Struktur des Kreises Olpe (Teil 8,2).<br />
Kreisbauernschaft und Ortsbaue -<br />
rnschaften 1933-1945. – Nach Akten<br />
des Stadtarchivs Olpe –. N. Bruns u.<br />
H.-J. Höötmann: Krankenversicherung im<br />
Kreis Olpe vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik.<br />
Archivierung des Schriftgutes<br />
der AOK Olpe und ihrer Vorgängereinrichtungen<br />
im Stadtarchiv Olpe.<br />
R. Wilms und G. Wulf: 100 Jahre Herz-<br />
Jesu-Kirche in Albaum. H.-W. Voß: Heimatchronik<br />
vom 1. Oktober 2009 bis<br />
31. Dezember 2009. D. Tröps: Neuerscheinungen<br />
des Jahres 2009 (mit<br />
Nachträgen aus früheren Jahren) Buchbesprechungen.<br />
Empfehlungen zum<br />
Sammeln von Südsauerland – Heimatstimmen<br />
aus dem Kreis Olpe. Termine.<br />
Südsauerland Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe.<br />
Hrsg. vom Kreisheimatbund Olpe e. V., Geschäfts -<br />
stelle: Kreisarchiv Olpe, Danziger Straße, 57462 Olpe,<br />
Tel.: 0 27 61/81-5 42<br />
700 Jahre Sundern<br />
Freiheit und Kirche<br />
Der Verein „700 Jahre Sundern“ hat<br />
sich ein hohes Ziel gesetzt. In einem<br />
mehrbändigen Werk will er die Ge -<br />
schichte Sunderns darstellen. Der erste<br />
Band ist 2009 erschienen, und wenn die<br />
Folgebände seine Qualität erreichen, ist<br />
eine ungewöhnlich lesenswerte Ortsge -<br />
schichte erarbeitet worden.<br />
In Band I widmen<br />
sich die<br />
Heraus geber:<br />
Werner Neu -<br />
haus, Dr. Hubert<br />
Schmidt,<br />
Micha el Schmitt<br />
und Berthold<br />
Schrö d er der<br />
geschichtlichen<br />
und politischen<br />
E n t w i c k l u n g<br />
Sunderns. Nach<br />
einer knappen Einführung in die naturräumlichen<br />
und vorgeschichtlichen<br />
Gegeben heiten (Dieter Korn und Reinhard<br />
Köh ne) werden die Grafen von<br />
Arnsberg vorgestellt (Pastor Michael<br />
Schmitt). Von der Hünenburg in Meschede,<br />
dem ursprünglichen Sitz des<br />
späteren Werl-Arnsberger Grafengeschlechts<br />
im frühen Mittelalter, reicht ihre<br />
Geschichte bis 1368, als der kinderlose<br />
Graf Gottfried IV. sein Terri torium<br />
der Kölner Kirche verkaufte und die<br />
Sunderner damit zu Kurkölnern wurden.<br />
An Grafen wie „Friedrich der<br />
Streit bare“ und den „Brudermörder“<br />
Heinrich I. wird erinnert, als das Grafengeschlecht<br />
in der mittelalterlichen<br />
Reichsgeschichte zeitweise eine bedeutende<br />
Rolle spielte, ehe es im Besitztum<br />
der Kölner Erz bischöfe aufging. Die spe-<br />
zielle Ge schichte Sunderns von seiner<br />
Gründung 1310 durch Graf Ludwig von<br />
Arnsberg bis in die preussische Zeit<br />
nimmt in der Darstellung von Hubert<br />
Schmidt einen gewichtigen Raum ein.<br />
Die Grün dungs urkunde von 1310 im lateinischen<br />
Wort laut und der deutschen<br />
Übertragung hat wegen des diesjährigen<br />
Jubiläums einen besonderen Stellenwert.<br />
Sundern erhält den mittelalterlichen<br />
Status einer „Frei heit“, ihre Rechte<br />
und Pflichten, auch die Entwicklung<br />
ihres Wappens wird ausführlich veranschaulicht.<br />
Wir erfahren sowohl etwas<br />
über die Schrecken des 30jährigen Krieges<br />
wie über die ständigen Auseinandersetzungen<br />
der Gemein de mit ihrem Pastor.<br />
Mit der Wiedergabe des Schatzungsregisters<br />
von 1685 wird uns<br />
außerdem die finanzielle Lage der Bewohner<br />
Sunderns veranschaulicht.<br />
Auch der für die Bürgerschaft wichtige<br />
Vorgang der Waldteilung von 1776/77<br />
und die folgenden Auseinan derset zun -<br />
gen mit dem Forstfiskus sind genau dokumentiert.<br />
Sie fallen schon in die Zeit<br />
nach der Säkularisation 1802, als<br />
zunächst die Hessen, dann die Preußen<br />
neue Verwaltungsmaßnahmen durchführten,<br />
wodurch z. B. Sundern von<br />
Hellefeld getrennt und mit dem Amt Allendorf<br />
vereinigt wurde. Ein besonders<br />
anschauliches Kapitel bietet Schmidt mit<br />
dem Verzeichnis der 62 „Bürger -<br />
stellen“. Die Historie aller Häuser samt<br />
Pastorat und Küsterei mit ihren wechselnden<br />
Besitzern sind detailliert aufgeführt<br />
und durch Fotos vergegenwärtigt.<br />
Mit der zweiten Hälfte des 19. Jhds.<br />
setzte eine Umbruchphase ein, die den<br />
Charakter Sunderns von seiner ganz<br />
landwirtschaftlichen Prägung zu einer<br />
zunehmenden Industrialisierung änderte.<br />
Diesen entscheidenden Prozess<br />
zeichnet Werner Neuhaus für den Zeitraum<br />
von der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
bis zum Ende der Weimarer Republik<br />
nach, wobei seine besondere Aufmerksamkeit<br />
den Wandlungen des „katholischen<br />
Milieus“ gilt. Er untersucht<br />
außerdem die demographische Entwicklung<br />
Sunderns vom frühen 18. Jahrhundert<br />
bis zum Aus bruch des Zweiten Weltkriegs<br />
ausführlich und dokumentiert die<br />
überraschend rasante Bevöl kerungszunahme<br />
Sunderns im Zuge seines Wirtschaftsaufschwungs,<br />
wodurch es die<br />
Nachbarorte deutlich überflügelte.
100 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Reich an Quellen ist dann die Dar -<br />
stellung der NS-Zeit mit ihren massiven<br />
Eingriffen in die Gesellschaft und den<br />
Gewaltsamkeiten z. B. auch bei den<br />
„Fremd“-und Zwangsarbeitern, sowie<br />
die schlimmen Zerstörungen im April<br />
1945. (Berthold Schröder) Er schildert<br />
auch die Probleme der ersten Nach -<br />
kriegszeit 1945 – 1950, während die<br />
Aus wir kungen des Weltkriegs auf Sunderns<br />
Einwohnerschaft unter der bezeichnenden<br />
Überschrift: Vertrieben –<br />
verjagt – entwurzelt von Klemens Teipel<br />
dargestellt werden. Die Wirtschafts -<br />
wunder-Folge zeit in den 50er und 60er<br />
Jahren, als Sundern boomte, bis zur<br />
kommunalen Neugliederung vermittelt<br />
wieder Werner Neuhaus. Die Neugliederung<br />
1975 führte zum Zusammenschluss<br />
von 19 bisher selbstständigen<br />
Gemeinden in einer „Großgemeinde“,<br />
der nunmehrigen Stadt Sundern. (Hermann<br />
Willeke), deren weitere Entwicklung<br />
Friedhelm Wolf in einem abschließenden<br />
Kapitel aufzeigt. Die erfreuliche<br />
Städtepart ner schaft mit Schirgiswalde<br />
in der Ober lausitz und Calopezzati<br />
in Kala brien weitet den Blick über das<br />
Sauer land hinaus.<br />
Den Schluss bilden Porträts von herausragenden<br />
Sundernern wie etwa von<br />
Bundespräsident Heinrich Lübke und<br />
– besonders eingehend-freundschaftlich<br />
– von dem Ehrenbürger Franz Müntefe -<br />
ring. Es gibt noch weitere bemerkenswerte<br />
Persönlichkeiten, sie müssen aus<br />
Raumgründen hier fehlen, wie auch die<br />
genannten Kapitel eine gründlichere<br />
Wiedergabe verdient hätten. Sie sind<br />
hier nur angerissen und sollen alle zu einer<br />
eigenen Lektüre anregen. Jeder Leser<br />
– nicht nur aus Sundern – wird auf<br />
die Folgebände dieser nach Inhalt und<br />
Form vorbildlichen Chronik gespannt<br />
sein. Dr. Erika Richter<br />
700 Jahre Sundern Freiheit und Kirche, Band I,<br />
Beiträge zur geschichtlichen und politischen Ent -<br />
wicklung, herausgegeben im Auftrag des Vereins „700<br />
Jahre Sundern-Freiheit und Kirche e.V.“, Sundern<br />
2009, 345 Seiten, Die Bände II und III erscheinen vor -<br />
aus sichtlich im Juli 2010 bzw. Anfang 2011. Sie haben<br />
die Möglichkeit, durch eine persönliche Reser -<br />
vierungskarte den II. und III. Band nach Erscheinen bei<br />
der Sparkassse Arnsberg-Sundern, Filiale Sundern,<br />
Hauptstraße 140 bzw. bei der Volksbank Sauerland,<br />
Filiale Sundern, Hauptstraße 122 einzulösen. Sie erhalten<br />
so die dreibändige Chronik inkl. Buchschuber<br />
zu einem Vorteilspreis von 59,90 Euro. Die Chronik<br />
kann auch in den Einzelausgaben zum Preis von<br />
24,80 Euro pro Band erworben werden. Der Buchschuber<br />
ist zum Preis von 4,10 Euro erhältlich.<br />
Rudolf Kaiser –<br />
Meine ersten acht<br />
Jahrzehnte<br />
Seinen Lebenserinnerungen gibt Ru -<br />
dolf Kaiser den Untertitel „Sunt lacrimae<br />
rerum“ und liefert die freie Übersetzung:<br />
Die Dinge haben ihre Tränen. Dieses Zitat<br />
aus Vergils „Aeneis“ habe ihn in<br />
manchen Zeiten seines Lebens begleitet<br />
und spiegele treffend seine „innere Verfassung<br />
in bestimmten Situa tionen“. Es<br />
handele sich nicht nur um Tränen der<br />
Schmerzen, sondern auch um Tränen<br />
der Freude.<br />
Rudolf Kaiser nimmt dann die Leser<br />
mit auf eine empfindsame und zugleich<br />
fesselnde Reise zu den Stationen eines<br />
wechselvolles Lebens.<br />
In den ersten beiden Kapiteln beschreibt<br />
Kaiser seine Kindheit im Sauer -<br />
land und bringt Meinkenbrachter Mini -<br />
aturen. Geboren wurde er 1927 „in<br />
dem kleinen sauerländischen Dorf Meinken<br />
bracht, das heute der entfernteste<br />
Orts teil der Stadt Sundern im Hoch sau -<br />
erlandkreis“ ist.<br />
In der Höhenlage sorgte die Kargheit<br />
des Bodens für einen bescheidenen Lebensstil.<br />
Bauernkinder wuchsen damals<br />
zweisprachig auf. Die Eltern sprachen<br />
untereinander und mit den Nach barn<br />
nur plattdeutsch. Mit den Kindern jedoch<br />
wurde hochdeutsch gesprochen.<br />
So besuchte Kaiser 6 Jahre die einklassige<br />
Dorfschule. Er bekam in den letzten<br />
zwei Jahren vom Vikar des Dorfes eine<br />
Einführung in die lateinische Sprache<br />
und wechselte 1939 zum „Staatlichen<br />
Altsprachlichen Gymna sium Theodoria -<br />
num“ in Paderborn.<br />
Am 23. Mai 1943 begann Kaiser, ein<br />
Tagebuch zu führen, das ihm später wesentliche<br />
Hilfen beim Schreiben seiner<br />
Lebenserinnerungen bot.<br />
Mit 16 Jahren wurde er zu den „Luft -<br />
waffenhelfern“ eingezogen und war am<br />
Flugplatz in Bad Lippspringe stationiert.<br />
Es folgte der Pflichtarbeitsdienst von<br />
Oktober bis Dezember 1944 in Coes -<br />
feld.<br />
Im vierten Kapitel folgt das Kriegs -<br />
tagebuch von 1944 – 1946. Kaiser<br />
schildert den Fronteinsatz und die Gefan<br />
gennahme durch britische Truppen,<br />
den Aufenthalt im Lager bei Brüssel und<br />
dann den Einsatz im Arbeitslager Melle<br />
bei Osnabrück. Es kam zu intensiven<br />
Gesprächen mit einem britischen Posten<br />
namens Ted, die bei R. Kaiser die<br />
„Lust an der englischen Sprache“ förderten<br />
und zur späteren Berufswahl,<br />
dem Fach Englisch, wesentlich beitrugen.<br />
Nach der Entlassung folgte die Zeit<br />
als Student in Münster, Freiburg und<br />
Bonn, die Promotion 1954 über Albertus<br />
Mag nus und das Staatsexamen in<br />
Philo sophie und Latein sowie die Prüfung<br />
im 3. Hauptfach Englisch, anschließend<br />
die Referendarzeit an Kölner<br />
Gymnasien.<br />
1954 feierte K. auch die Verlobung,<br />
die Heirat 1955. Etwa 10 Tage vor der<br />
Hochzeit hat Kaiser „zum letzten Male“<br />
seine „Gedanken und Gefühle“ seinem<br />
Tagebuch anvertraut.<br />
Bis 1958 war er Assessor in Köln,<br />
anschließend erhielt er eine Planstelle<br />
am Walram-Gymnasium in Menden.<br />
1961 bezog er dort mit seiner Familie<br />
ein neues Haus.<br />
Im Sommer 1963 ging Kaiser für ein<br />
Jahr als Fulbright-Stipendiat und Aus -<br />
tausch lehrer an die Santa-Barbara-<br />
High-School in Kalifornien. Es war eine<br />
Zeit großer Eindrücke und tiefer Prägungen.<br />
Nach der Rückkehr erfolgte 1964 die<br />
Berufung auf die Professur für Englische<br />
Sprache und ihre Didaktik an der Hochschule<br />
Alfeld/Hildesheim. In den siebziger<br />
Jahren des vergangenen Jahr -<br />
hunderts suchte R. Kaiser einen For -<br />
schungsschwerpunkt, der sowohl den<br />
Aufgaben in der Anglistik als auch seinen<br />
philosophischen Interessen und seiner<br />
Neigung zu Amerika entgegenkam.<br />
Fün dig wurde er beim Thema die „India -<br />
ner Nordamerikas“.<br />
Aus diesen Überlegungen wurden 20<br />
Jahre intensiver und erfüllender Begeg -<br />
nung bei wiederholten Forschungsreisen<br />
zu den Reservationen im Südwesten<br />
der USA und Kontakten und Freundschaften<br />
mit zahlreichen Indianern. Es<br />
erschienen zahlreiche Bücher zu indianischen<br />
The men, von denen zwei in fünf<br />
fremde Sprachen übersetzt wurden.<br />
Schon bald nannte man Rudolf Kaiser
SAUERLAND NR. 2/2010 101<br />
weltweit den „Indianer-Professor“ aus<br />
Hildesheim.<br />
Hierzu beigetragen hat auch sein<br />
Bemühen um die Frage, wie authentisch<br />
die häufig zitierte Rede des Häuptlings<br />
Seattle sei. Er hatte Glück, denn er bekam<br />
Kontakt zu dem Amerikaner, der<br />
den „inzwischen weltbekannten Text als<br />
Filmscript für einen Umweltfilm verfasst<br />
hatte“.<br />
Emeritiert wurde R. Kaiser im Herbst<br />
1992. Unvergesslich ist ihm die großartig<br />
organisierte Abschieds-Party „auf<br />
dem Rasen vor den Mauern der Uni -<br />
versität Hildesheim“.<br />
Bemerkenswert ist der poetisch-philosophische<br />
Ton seiner Autobiographie,<br />
der durch eindringliche Zitate aus Brie -<br />
fen und Tagebüchern verstärkt wird.<br />
Dies verleiht ihr den Charakter eines Bekenntnisbuches<br />
im ursprünglichen Sinne.<br />
Dr. Hubert Schmidt<br />
Rudolf Kaiser – Meine ersten acht Jahrzehnte, Georg<br />
Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York, 354 Seiten,<br />
19,80 Euro.<br />
De Fitterkiste<br />
Geschichtliches aus Winterberg<br />
und seinen Dörfern<br />
Band 18 Ausgabe 2009. Msgr.<br />
Dr. W. Kühne: Franz Stahlschmidts<br />
Vor fahren waren Grönebacher. Dr.<br />
W. Herold u. E. Stahlschmidt: Die<br />
Künstlerfamilie Bergenthal. E. Michels:<br />
Heraldik für Niedersfeld. Dr. F. Opes:<br />
Hirten, Huden, Haare und Haltung<br />
falscher und blöder Ochsen. H. Koch:<br />
Geschichtliches über die Köhlerei.<br />
E. Schulte u. E. Stahl schmidt: Alte Wassergewinnungs<br />
an lagen in Gröne bach.<br />
W. Fresen: Feldkreuze und Bildstöcke<br />
in der Elke ringhauser Flur.<br />
A. Hitzegrad: Fremd arbeiter und Kriegs -<br />
gefangene in Grönebach. P. Aust: „Ich,<br />
die Schnee kristal-Monstranz von Winter<br />
berg“. A. Kießler: Grönebacher Flur -<br />
namen. F. und H. Koch: Über die Geschichte<br />
der Textilindustrie im Sauer -<br />
land. H. Ebert: Über den Jakobsweg<br />
von Grönebach nach Santiago de Compostela.<br />
H. Dinklage: Das Wetter 2008.<br />
Herausgeber: Heimat- und Geschichtsvsrein Winter -<br />
berg e. V.<br />
PERSONALIEN<br />
70 Jahre<br />
Altabt<br />
Stephan<br />
Schroer OSB<br />
Im Kreise einer großen Freundes- und<br />
Bekanntenschar feierte Altabt Stephan<br />
Schroer von der Benediktinerabtei Kö -<br />
nigsmünster in Meschede am 1. 3. 2010<br />
seinen 70. Geburtstag. Hier hat er, wie<br />
er selbst sagt: „Ansätze seines Lebens -<br />
traumes gefunden“, in 43 Klosterjahren<br />
– davon 25 Jahre als Abt – unauslöschliche<br />
Spuren hinterlassen und zum Wohle<br />
der Abtei und der ganzen Region gewirkt.<br />
Mit ihm bleibt die Öffnung des Klosters<br />
nach Innen und Außen untrennbar<br />
verbunden. Ihm verdankt die Ökumene<br />
neue Impulse und der Dialog zwischen<br />
den Generationen wurde stärker gepflegt.<br />
Auch die Gründung des „Freundeskreises<br />
Königsmünster“ bleibt mit<br />
ihm verbunden.<br />
Im Laufe seiner Amtszeit war auf dem<br />
Klosterberg eine rege Bautätigkeit zu<br />
beobachten. Der Gastbereich mit dem<br />
Jugendgästehaus „Oase“ und dem Zu -<br />
fluchtsort „Haus der Stille“ sowie dem<br />
Erweiterungsbau des Klosters und der<br />
Werkstätten eröffneten neue Möglich -<br />
keiten und festigten Königsmünster zum<br />
geistlichen Zentrum mit Strahlkraft weit<br />
über die Region hinaus.<br />
Sein religiöser und kultureller Rat ist<br />
sehr gefragt, und als Weitgereister und<br />
Weitblickender bereichert er den Ehren -<br />
amtsbereich auf regionaler und überregionaler<br />
Ebene. So engagiert er sich als<br />
Gründungsvorstand bei „sauerlandinitiativ“,<br />
fühlt sich dem <strong>Sauerländer</strong> Hei -<br />
matbund sehr verbunden und wurde wegen<br />
seiner hohen Verdienste westfalenweit<br />
in die „Westfälische Ehrengalerie“<br />
aufgenommen. Seine Stimme hat Gewicht<br />
im „Hochschulrat der Fach -<br />
hochschule Südwestfalen“, beim christlich-islamischen<br />
Dialog als stellvertretender<br />
Vorsitzender im Stiftungsrat der<br />
„Georges-Anawati-Stiftung“, aber auch<br />
im weltkirchlichen Engagement als beratendes<br />
Mitglied der „Bischöflichen Kom -<br />
mission Adveniat“.<br />
Seine Unterstützung ist willkommen<br />
in der Seelsorge und seine rege Vortragstätigkeit<br />
bezeugen von der hohen Wertschätzung,<br />
die ihm entgegen gebracht<br />
wird. Wie kaum ein anderer ist er in der<br />
Lage, die „Regel des heiligen Benedikts“<br />
auch allgemein zur Lebens re gel und Maxime<br />
des Handelns zu deuten.<br />
In Dankbarkeit und Freude reiht sich<br />
der <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong> gerne in<br />
die Geburtstagsgratulantenschar ein und<br />
wünscht Altabt Stephan weiterhin<br />
Gottes Segen auf all seinen Wegen.<br />
Dieter Wurm<br />
Dr. Ewald Franzmann †<br />
Am 27. Januar 2010 starb mit Dr.<br />
Ewald Franzmann einer der profiliertesten<br />
heimischen Kommunalpolitiker der<br />
letzten Jahrzehnte.<br />
In Goch (Kreis Kleve) 1929 geboren,<br />
bestand er 1949 in Siegburg das Abitur.<br />
Im Anschluss studierte er in Bonn<br />
Rechts wissen schaf ten. Nach der 1. und<br />
2. Staats prüfung, Promotion und dem<br />
Refe rendariat in Essen kam er 1958 als<br />
Richter an das Landgericht in Arnsberg.<br />
Hier war er bis zu seiner Zurruhesetzung<br />
1993 tätig, davon mehr als zwanzig<br />
Jahre als Vorsitzender Richter und<br />
Vorsitzender der II. Großen Straf -<br />
kammer.<br />
Schon in jungen Jahren trat er der<br />
CDU bei, für die er sich örtlich wie auch<br />
landesweit in verschiedensten Gremien<br />
engagierte. Nach der kommunalen<br />
Neugliederung 1975 ließ er sich in den<br />
Kreistag des neuen Hochsauer land -<br />
kreises wählen, dem er fast drei Jahrzehnte<br />
bis 2004 angehörte. Das Schulwesen<br />
und die Kulturarbeit gehörten zu<br />
den Schwerpunkten seiner politischen<br />
Arbeit. Als Vorsitzender des Schul- und<br />
Kulturausschusses sowie später in den<br />
getrennten Ausschüssen für Schule und<br />
Kultur, in denen er auch langjährig Vorsitzender<br />
bzw. stellvertretender Vorsitzender<br />
war, hat er manche Impulse zur<br />
Entwicklung des Hochsauer land kreises<br />
als Bildungs- und Kulturre gion gegeben.
102 SAUERLAND NR. 2/2010<br />
Von 1991 bis 1999 führte er den Vorsitz<br />
seiner Fraktion.<br />
Neben vielen weiteren überregionalen<br />
Gremien gehörte er 1977 bis 1986<br />
dem Rundfunkrat des WDR an. Von<br />
1993 bis 1999 leitete er als Vorsitzender<br />
die Veranstaltergemeinschaft von<br />
Radio Sauerland.<br />
Zu dem Begleitbuch „Werden/<br />
Wachsen/Wirken. Vom Wandel der Zeit<br />
– Kreisverwaltungen im Hochsauerland<br />
1817 bis 2007“ zur gleichnamigen Ausstellung<br />
im Sauerland-Museum in Arnsberg<br />
(2007–2008) erarbeitete er fundierte<br />
Sachbeiträge. Seine Themen waren<br />
hier „Der Kreis in Preußen – vom<br />
staatlichen Verwaltungsbezirk zur<br />
Selbst verwaltungskörperschaft“ und<br />
„Der Kreis in Nordrhein-Westfalen –<br />
von der Doppelspitze zum ,richtigen‘<br />
Landrat“.<br />
Für seine vielfältigen Verdienste verlieh<br />
der Kreistag Dr. Ewald Franzmann<br />
am 1. Juli 2005 den Ehrenring des<br />
Hochsauerlandkreises.<br />
Norbert Föckeler<br />
Albert Falke †<br />
Am 3. März 2010 verstarb im Alter<br />
von 88 Jahren der Textilunternehmer<br />
Albert Falke aus Schmallenberg. Als<br />
Landtagsabgeordneter hat er seinen<br />
sauerländischen Wahlkreis von 1962 bis<br />
1980 in Düsseldorf vertreten. Besonders<br />
bekannt wurde er als Bundesvorsitzender<br />
des Bundes Katholischer Unternehmer.<br />
Als langjähriger Vorsitzender<br />
der Kul turellen Vereinigung Schmallenberg<br />
gab er in den schweren Nach -<br />
kriegs jahren dem kulturellen Leben seiner<br />
Hei matstadt bleibende Impulse. Für<br />
seine vielfältigen Aktivitäten wurde er<br />
mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse<br />
und mit dem Ehrenring der Stadt<br />
Schmal lenberg ausgezeichnet.<br />
Dr. A. M.<br />
Dr. Ernst Rehermann †<br />
Am Ostersonntag, dem 4. April<br />
2010 verstarb Dr. Ernst Rehermann,<br />
der langjährige Leiter des Sauerland-<br />
Muse ums des Hochsauerlandkreises in<br />
Arns berg.<br />
Rehermann wurde 1934 in Pader -<br />
born geboren. Nach dem Abitur studierte<br />
er in Münster und Göttin gen evangelische<br />
The o logie, lateinische Philologie,<br />
An glistik, Philosophie, Pädagogik und<br />
Volkskunde. Nach der Promotion 1969<br />
war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
und Assistent am Seminar für Volks -<br />
kunde in Göttingen tätig. Ein Schwer -<br />
punkt seiner Arbeit war die von Prof.<br />
Ranke geleitete „Enzyklopädie des Märchens“.<br />
In weiteren Forschungen beschäftigte<br />
er sich mit der Volksmedizin<br />
des 16. Jahrhunderts und dem Zeitungs -<br />
wesen im 19. Jahrhundert.<br />
Zum 1. Januar 1980 übertrug der<br />
Kreistag des Hochsauerlandkreises Dr.<br />
Rehermann die Leitung des Sauerland-<br />
Museums. In seine Amtszeit fiel eine umfangreiche<br />
Neuausrichtung des Muse -<br />
SAUERLAND<br />
Zeitschrift des <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>es (früher<br />
Trutznachtigall, Heimwacht und Sauerlandruf)<br />
43. Jahrgang • <strong>Heft</strong> 2, Juni 2010<br />
ISSN 0177-8110<br />
Herausgeber und Verlag: <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong><br />
e. V., Postfach 14 65, 59870 Meschede<br />
Vorsitzender: Dieter Wurm, Am Hainberg 8 a,<br />
59872 Meschede, Tel. (02 91) 71 90 p, Fax (02 91)<br />
71 90 p, 94-16 05 d, Fax 94-2 61 71. Stellv. Vorsitzende:<br />
Wilma Ohly, Goerdelerweg 7, 57462 Olpe,<br />
Tel. (0 27 61) 6 16 98.<br />
Ehrenvorsitzender: Dr. Adalbert Müllmann, Jupiterweg<br />
7, 59929 Brilon, Tel. (0 29 61) 13 40<br />
Geschäftsstelle: Hochsauerlandkreis, Fachdienst<br />
Kultur/ Musikschule, Karin Kraft, Telefon<br />
(02 91) 94-14 62, Telefax (02 91) 9 42 61 71, e-mail:<br />
kultur @hochsauerlandkreis.de, Postfach 14 65, 59870<br />
Meschede<br />
Internet: www.sauerlaender-heimatbund.de<br />
Konten: Sparkasse Arnsberg-Sundern<br />
(BLZ 466 500 05) 4 000 600.<br />
Jahresbeitrag zum <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong> einschließlich<br />
des Bezuges dieser Zeitschrift 15,– EUR.<br />
Einzelpreis 4,00 EUR.<br />
Erscheinungsweise vierteljährlich.<br />
ums in den Achtzigerjahren.<br />
Die von ihm<br />
konzipierten Ausstellungen<br />
erhielten oft<br />
überregionale Resonanz,<br />
wie z. B. „800<br />
Jahre Westfalen“,<br />
„Das Schützenwesen<br />
im kurkölnischen Sauerland“, „Klöster in<br />
Westfalen“, „Wild und Jagd im kurkölnischen<br />
Sauerland“ und „Gute Aussicht –<br />
Die Entwicklung des Fremdenverkehrs<br />
im Sauerland“. Ende 1999 ging Dr. Rehermann<br />
in den beruflichen Ruhe stand.<br />
Ehrenamtlich engagierte er sich in<br />
der Westfälischen Kommission für<br />
Volks kunde, im Vorstand der Vereinigung<br />
Westfälischer Museen und im Beirat<br />
der Paderborner Abteilung des Vereins<br />
für Geschichte und Altertumskunde<br />
West falens. Für seine neue sauerländische<br />
Heimat war er lange Jahre in den<br />
Vorständen des Arnsberger Heimat -<br />
bundes und des <strong>Sauerländer</strong> Heimat -<br />
bundes aktiv. Sein Wissen hat er durch<br />
Fachbeiträge in vielen Schriftreihen der<br />
Nachwelt hinterlassen. Norbert Föckeler<br />
Redaktion: Günther Becker, Lennestadt. Werner<br />
Cordes, Attendorn. Dr. Theo Bönemann, Menden.<br />
Su sanne Falk, Lennestadt. Norbert Föckeler, Brilon.<br />
Professor Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen.<br />
Heinz Lettermann, Bigge-Olsberg. Dr. Adalbert<br />
Müllmann, Brilon. Heinz-Josef Padberg, Meschede.<br />
Dr. Erika Rich ter, Meschede. Michael Schmitt, Sundern.<br />
Dr. Jür gen Schulte-Hobein, Arnsberg. Dieter<br />
Wiethoff, Meschede. Dieter Wurm, Meschede.<br />
Schlussredaktion: Hans Wevering, Schlossstr. 54,<br />
59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31)<br />
1 29 83, e-mail: hanswevering@t-online.de,<br />
Martin Reuther, Alter Soestweg 85, 59821 Arnsberg,<br />
Tel. (02 91) 94-14 58, e-mail: martinreuther@t-online.de<br />
Redaktionsanschrift: <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>,<br />
Postfach 14 65, 59870 Meschede<br />
Lithografie, Layout und techn. Redaktion:<br />
Hans Wevering, Schlossstraße 54, 59821 Arnsberg,<br />
Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31) 1 29 83, e-mail:<br />
hanswevering@t-online.de<br />
Druck: becker druck, F. W. Becker GmbH<br />
Anzeigenverwaltung:<br />
becker druck, F. W. Becker GmbH,<br />
Grafenstr. 46, 59821 Arnsberg,<br />
Ansprechpartner: Eckhard Schmitz,<br />
schmitz@becker-druck.de<br />
Tel. (0 29 31) 52 19-21, Fax (0 29 31) 52 19-6 21.<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 10 vom 1. Jan. 2010.
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