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Heft 2 - Sauerländer Heimatbund e.V.

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ISSN 0177 - 8110 K 2767<br />

Nr. 2/Juni 2010 Zeitschrift<br />

des <strong>Sauerländer</strong><br />

<strong>Heimatbund</strong>es<br />

SAUERLAND<br />

Blick auf<br />

Nieder- und Obermarsberg um 1900


Sponsoren<br />

HELLER&C<br />

Branding/Corporate Identity


SAUERLAND NR. 2/2010 55<br />

SAUERLAND Nr. 2/Juni 2010<br />

Zeitschrift des<br />

<strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>es<br />

Die Stadt Marsberg und der <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong> laden zum<br />

28. August 2010 um 10.00 Uhr<br />

zur Mitgliederversammlung des<br />

<strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>es für das Kurkölnische Sauerland<br />

in die Schützenhalle Niedermarsberg ein.<br />

Im östlichen Teil des Kurkölnischen Sauerlandes, nahe der hessischen Landesgrenze<br />

gelegen, haben sich die Heimatfreunde in Marsberg mit großem<br />

Engagement dafür eingesetzt, den hoffentlich sehr zahlreichen Gästen einen<br />

informativen Heimattag zu präsentieren, der höchsten Ansprüchen<br />

genügen soll und sicherlich neben dem an diesem Wochenende stattfindenden<br />

Stadtfest eine Bereicherung für Marsberg darstellt.<br />

Über die notwendigen Tagesordnungspunkte und Regularien einer Jahreshauptversammlung<br />

hinaus wird in seinem Festvortrag der Präsident des<br />

Landearchivs NRW Prof. Dr. Wilfried Reininghaus die „Bedeutung des<br />

Bergbaus für das Sauerland“ näher beleuchten.<br />

Zum Mittagessen mit dem traditionellen Eintopfgericht in der Schützenhalle<br />

Niedermarsberg sind alle herzlich eingeladen und können danach gestärkt<br />

jeweils mit Bussen die reizvollen und vielfältigen Exkursionen unter fachkundiger<br />

Führung nach eigener Wahl unternehmen:<br />

1. Besucherbergwerk Kilianstollen<br />

– Besuchererlebnis der geheimnisvollen Welt im Berginnern –<br />

2. Obermarsberg – die alte Stadt auf dem Berge<br />

600 Jahre Mittelpunkt an der Glinde und Diemel<br />

3. Kloster Bredelar / Theodorshütte<br />

– Zisterzienserabtei, Eisenhütte, Begegnungs- und Kulturzentrum –<br />

4. Ring Padberg<br />

Rundgang durch einen kleinen Ort mit großer Geschichte<br />

5. Biogasanlage Marsberg – Leitmar<br />

Projekte der Stadtwerke Marsberg<br />

Den Plattdeutschen Gottesdienst um 17.00 Uhr in der Propsteikirche St.<br />

Magnus zelebriert geistlicher Rat Pfarrer i. R. Franz Schnüttgen. Der Superintendent<br />

des evangelischen Kirchenkreises, Pfarrer Alfred Hammer, wird<br />

ein Grußwort an uns richten.<br />

Parkplätze für die erwarteten zahlreichen Gäste stehen reichlich an der<br />

Schützenhalle Marsberg, Am Schützenberg 29, zur Verfügung.<br />

Auf ein Wiedersehen mit heimatlichen Grüßen<br />

Ihre<br />

Dieter Wurm Hubertus Klenner<br />

1. Vorsitzender Bürgermeister Stadt Marsberg<br />

<strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong><br />

Aus dem Inhalt<br />

Geschichte<br />

Zur Geschichte Marsbergs S. 60<br />

Traditionsabbruch und<br />

Neubeginn S. 69<br />

Kirchrarbach sucht<br />

seine „Wurzeln“ S. 82<br />

Akt der Versöhnung zwischen<br />

Deutschen und Franzosen S. 91<br />

Natur • Landschaft • Siedlung<br />

Besucherbergwerk Kilianstollen S. 64<br />

Eichengallen im Sauerland S. 93<br />

Ein begehrter Brutplatz S. 96<br />

Sprache und Literatur<br />

Plattdeutsch geht ins Internet S. 88<br />

Religion und Glaube<br />

Ein jüdischer Grabstein auf<br />

dem Esloher Kirchplatz? S. 89<br />

Heimat • Kultur<br />

Marsberg als Wirtschafts-, Gesundheits-<br />

u. Tourismusstandort S. 56<br />

Vom Kloster zum Kultur- und<br />

Begegnungszentrum S. 66<br />

Albert Renger-Patzsch,<br />

der Fotograf vom Möhnesee S. 77<br />

„… und das ist für einen<br />

Mann Pferde-Arbeit.“ –<br />

Melchior Ludolf Herold<br />

zum 200. Todestag S. 84<br />

Rezensionen • Personalien<br />

BÜCHER · SCHRIFTTUM S. 97<br />

PERSONALIEN S. 101<br />

Unser Titelbild zeigt Nieder- und Obermarsberg<br />

um 1900 nach einer Ansichtspostkarte.<br />

Die Accessoires wurden einem Vignettenbuch<br />

aus dem gleichen Zeitraum entnommen.<br />

Gestaltung: Hans Wevering


56 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Marsberg als Wirtschafts-, Gesundheits- u. Tourismusstandort<br />

Fakten und Ausblicke<br />

Die Stadt Marsberg liegt auf 200 m<br />

bis 600 m über NN am Rande der sauerländischen<br />

Mittelgebirgslandschaft.<br />

Die hessische Landesgrenze ist nicht<br />

weit entfernt und bis Paderborn sind es<br />

nur knapp 30 km. Marsberg bildet die<br />

östliche Eingangspforte zum Sauerland<br />

und ist mit seinen 22.000 Einwohnern<br />

und einer Fläche von 182 km² seit Jahren<br />

ein Anlaufpunkt für viele begeisterte<br />

Besucher.<br />

Marsberg befindet sich in wunderschöner<br />

grüner Umgebung. Die Stadt<br />

liegt verkehrsgünstig an der A 44 zwischen<br />

Dortmund und Kassel und sorgt<br />

somit für eine schnelle Anbindung an<br />

das Ruhrgebiet. Die BAB 33 zwischen<br />

Osnabrück und Bad Wünnenberg verbindet<br />

die BAB 30/BAB 2 mit der BAB<br />

44. Zusätzlich zu den drei Bahnhaltepunkten<br />

in Marsberg ist eine Anbindung<br />

an den ICE-Haltepunkt Kassel gegeben.<br />

Diese hervorragende Verkehrsanbindung<br />

und die direkte Nähe zum Flughafen<br />

Paderborn/Lippstadt in 35 km Entfernung,<br />

machen Marsberg zu einer der<br />

interessantesten Städte in der Region.<br />

Der Wirtschaftsstandort Marsberg<br />

hat nach wie vor einiges zu bieten. Wir<br />

haben gute mittelständische Unternehmen,<br />

besitzen eine exzellente Infrastruktur<br />

und leben in einer landschaftlich sehr<br />

reizvollen Lage, wo andere gerne Urlaub<br />

machen würden. Die Menschen,<br />

die hier wirken – Arbeiter wie Unternehmer<br />

– bringen nicht nur ihr Know-how<br />

ein. Nein, sie zeigen Initiative und Kreativität.<br />

Sie vertrauen auf Ihre Leistungsfähigkeit.<br />

Marsberg bietet durch seine<br />

Lage im Wirtschaftsraum Hochsauer-<br />

land/Ostwestfalen ideale Voraussetzungen<br />

für Unternehmen und Investoren.<br />

Große Gewerbeflächen sowie eine gute<br />

nationale und internationale Verkehrsanbindung<br />

– besonders durch die Öffnung<br />

der Grenzen im Osten – stehen zur<br />

Verfügung.<br />

Ein besonderes Highlight für die zukunftsweisende<br />

Ausrichtung der Stadt<br />

ist der Windpark in Meerhof, der mit seinen<br />

Anlagen umweltfreundlich Strom<br />

erzeugt.<br />

Neben renommierten Großunternehmen<br />

des verarbeitenden Gewerbes, bilden<br />

leistungsstarke Handwerks- und<br />

mittelständische Betriebe das wirtschaft-<br />

von Bürgermeister Hubertus Klenner<br />

Bilsteinturm, Marsberg<br />

liche Rückgrat der Stadt. Hier finden Sie<br />

international agierende Unternehmen<br />

aus den Bereichen:<br />

• Glasverarbeitung<br />

• Kunststoffverarbeitung<br />

• Metallverarbeitung<br />

• Papierverarbeitung<br />

• Schutzbekleidung<br />

• Stahlbetonfertigteile<br />

Eines der größten ansässigen Unternehmen<br />

ist die Ritzenhoff AG, eine der<br />

renommiertesten Glasfabriken Deutschlands,<br />

international bekannt für seine<br />

kunstvollen Designergläser.<br />

Die A 44 (Dortmund – Kassel) an der Autobahnausfahrt Marsberg Windpark in Marsberg-Meerhof


SAUERLAND NR. 2/2010 57<br />

Dem Endverbraucher<br />

weniger bekannt<br />

dürften die WEPA-Papierfabrik<br />

und die Heitkamp<br />

& Thumann<br />

Group sein. Dabei begegnen<br />

einem die Produkte<br />

bzw. Teilprodukte<br />

dieser beiden<br />

Unternehmen fast täglich<br />

im Haushalt in<br />

Form von u. a. Papiertaschentüchern<br />

und<br />

Küchenrollen oder Batterien<br />

für den Milchaufschäumer.<br />

Auch das Bierbrauen<br />

hat in Marsberg eine<br />

lange Tradition. Die<br />

Produkte der Gräflich<br />

zu Stolberg’schen Brauerei<br />

Westheim werden<br />

regelmäßig u. a. seitens<br />

der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft<br />

(DLG) prämiert.<br />

Viele unserer heimischen Firmen<br />

wollen künftig im Standort Marsberg<br />

weiter investieren. Bei all den Aktionen<br />

und Investitionen geht es um den Erhalt<br />

und die Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

bzw. Unterstützung der heimischen<br />

Wirtschaft.<br />

Für mich stellen sich in diesem<br />

Zusammenhang folgende Fragen:<br />

• In welchem Bereich entstehen<br />

in Zukunft die meisten<br />

Arbeitsplätze?<br />

• Wo steckt das Potenzial für<br />

Marsberg?<br />

Ein wesentliches Ziel hierbei ist, den<br />

demografischen Wandel für Marsberg<br />

positiv zu gestalten!<br />

Die demografische Entwicklung betrifft<br />

nicht nur einen begrenzten Personenkreis.<br />

Vielmehr geht sie uns alle<br />

an, weil es jeden betrifft. Sie zieht sich<br />

wie ein roter Faden durch fast alle Bereiche<br />

des öffentlichen und privaten Lebens.<br />

Wir müssen uns dieser Herausforderung<br />

stellen. Und da sind wir auf<br />

die Hilfe von allen gesellschaftlichen<br />

Schichten angewiesen. Allein ist es von<br />

der Politik und Verwaltung nicht zu<br />

schaffen.<br />

Glasbläser der Firma Ritzenhoff in Marsberg (1987)<br />

Gesundheit und Vitalität ist der Megatrend<br />

der nächsten Jahrzehnte. Eine Generation<br />

der vitalen Alten wächst heran.<br />

Die Menschen werden älter und vitaler,<br />

aber auch weniger. Dies zeigt ein Ergebnis<br />

eines von der Bertelsmann-Stiftung<br />

in der Stadt Marsberg durchgeführten<br />

Demografie-Trainings, an dem Vertreter<br />

aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung<br />

teilgenommen haben.<br />

Gesundheit und Vitalität in Verbindung<br />

mit Tourismus zeigt Nischenmärkte<br />

auf, die es gilt zu entwickeln. Dies<br />

geht als Ergebnis aus vielen empirischen<br />

Untersuchungen hervor.<br />

Große touristische Unternehmen haben<br />

es bereits erkannt und entwickeln<br />

entsprechende Angebote im Gesundheitstourismus.<br />

Ein Thema, welches wir<br />

besetzen, und mit Politik, Verwaltung,<br />

Bürgerschaft und der Marsberger Ärzteschaft<br />

gemeinsam entwickeln sollten.<br />

Vielleicht heißt es in Zukunft:<br />

Marsberg – Heimat vitaler<br />

Generationen –<br />

Im Juli 2008 wurde der Prozess der<br />

„Zukunftsinitiative Gesundheitsstandort<br />

Marsberg“ angestoßen. Zunächst sollte<br />

geprüft werden, ob und wie sich die<br />

Stadt Marsberg als Gesundheitsstandort<br />

im vorhandenen Umfeld etablieren<br />

Fotos: Karl Jochen Schulte<br />

kann. Dieser Prozess ging jedoch weit<br />

über die ursprünglich geplante Erstellung<br />

einer Standortkonzeption hinaus.<br />

Durch die Zusammenarbeit von Vertretern<br />

Marsberger Unternehmern, des somatischen<br />

Krankenhauses „St.-Marien-<br />

Hospital“, der Einrichtungen des Landschaftsverbandes<br />

Westfalen-Lippe, der<br />

niedergelassenen Ärzte und Apotheker<br />

und der Politik wurden verschiedene<br />

Projekte angestoßen. Im Wesentlichen<br />

verfolgt die Initiative zwei Ziele:<br />

• Sicherung und Schaffung von<br />

Arbeitsplätzen im Bereich Gesundheit,<br />

• Sicherstellung einer medizinischen<br />

Versorgung für die Bevölkerung<br />

einschließlich der präventiven<br />

Gesundheitsvorsorge, z. B. im betrieblichen<br />

Gesundheitswesen.<br />

Marsberger<br />

Gesundheitsstiftung<br />

Auf Initiative des Hospizvereins Marsberg<br />

wurde kürzlich die Marsberger Gesundheitsstiftung<br />

gegründet. Mit dieser<br />

Stiftung wird die Förderung der Gesundheit<br />

auf ein breites bürgerschaftliches<br />

Engagement gestellt. Die Stiftung ist als<br />

eine Bürgerstiftung angelegt, in der Unternehmen<br />

sowie auch Privatpersonen<br />

als Stifter tätig werden können. Bereits


58 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

kurze Zeit nach Gründung dieser Stiftung<br />

ist aus einer Vielzahl von Kleinspenden<br />

ein Kapital in Höhe von über<br />

140 000,- EUR angewachsen. Weitere<br />

Spenden sind bereits zugesagt.<br />

Ein weiteres Ziel muss sein, weitere,<br />

bisher nicht – oder nur wenig geförderte<br />

Wirtschaftszweige zu erkennen und<br />

auszubauen. Der Tourismus hat in den<br />

letzten Jahrzehnten ein Schattendasein<br />

in Marsberg geführt. Dabei hat Marsberg<br />

landschaftlich, geschichtlich, kulturell<br />

und auch sportlich viel zu bieten.<br />

Meiner Meinung nach ist Marsberg die<br />

bisher unentdeckte Perle des Sauerlandes!<br />

Wir haben Potenziale im Bereich Gesundheit<br />

und Tourismus – oder nennen<br />

wir es auch Gesundheitstourismus. Um<br />

der weiteren Entwicklung Vorschub zu<br />

leisten, wurde z. B. ein B-Planänderungsverfahren<br />

schnell und ohne Probleme<br />

abgearbeitet, um einem Investor<br />

die Möglichkeit zu schaffen, aus dem<br />

ehemaligen Schwesternwohnheim am<br />

St. Marien-Hospital ein Appartement-<br />

Hotel zu errichten.<br />

Gemeinsam mit dem Landschaftsverband<br />

Westfalen-Lippe, erfolgte eine<br />

EU-weite Ausschreibung, um Investoren<br />

für den geplanten Ferienpark „Gut<br />

Wieringsen“ zu gewinnen.<br />

Am Freizeitstandort Marsberg aktiv<br />

zu werden fällt nicht schwer. Marsberg<br />

bietet zahlreiche Möglichkeiten Sport zu<br />

treiben und sich fit und gesund zu halten.<br />

Dank der üppigen Waldgebiete<br />

rund um den Naturpark Diemelsee wird<br />

die Region auch als grüne Lunge bezeichnet.<br />

Genießen Sie beispielsweise<br />

eine Wanderung auf Diemelsteig oder<br />

der Sauerland Waldroute. Auch bietet<br />

sich die Möglichkeit des Fährschiffwanderns<br />

am Diemelsee. Wandern Sie eine<br />

Hälfte zu Fuß und legen sie die andere<br />

Hälfte mit dem Motorschiff „Muffert“<br />

zurück.<br />

Auch auf Hermanns Pfaden können<br />

sie wandern. Die Hermannshöhen (Egge-<br />

und Hermannsweg) führen von<br />

Marsberg bis nach Rheine.<br />

Eine Erfahrung der ganz besonderen<br />

Art ist das Naturerlebnis Wald. Der 3,5<br />

km lange Naturerlebnispfad führt Besucher<br />

über Feuchtbiotope und Wasserflächen<br />

und ermöglicht neue Einblicke<br />

in das Waldleben.<br />

Insgesamt bieten in Marsberg 38 Vereine<br />

und viele verschiedene Indoor- und<br />

Outdoor-Sportstätten eine große Auswahl<br />

an Freizeitmöglichkeiten:<br />

• Beachvolleyball<br />

• Bogenschießanlage<br />

• Fußball<br />

• Golf (9+6-Loch-Platz)<br />

• Hallenbad (inkl. Indoor-<br />

Badelandschaft, Ruheräume,<br />

Sauna, Solarien)<br />

• Nordic Walking/Wandern<br />

(z. B. Diemelsteig)<br />

• Radfahrwege<br />

• Reiten<br />

• Skaterbahn<br />

• Tennisplätze/-halle<br />

• Turniergerechte Minigolfanlage<br />

• Wassersport (u. a. Kanu fahren,<br />

Schwimmen, Segeln, Surfen,<br />

Tauchen)<br />

Wohnen in Marsberg ist attraktiv –<br />

wir haben viel Platz. Marsberg ist bekannt<br />

für seine hohe Wohn- und Lebensqualität.<br />

Sofort bebaubare, bereits<br />

erschlossene Grundstücke in sehr guter<br />

Lage und in allen Ortsteilen, beste Anbindungen<br />

an den öffentlichen Nahverkehr<br />

sowie ein hervorragendes Wohnumfeld,<br />

geprägt durch Grünflächen,<br />

Sport- und Freizeiteinrichtungen, bilden<br />

das Herzstück der Stadt.<br />

Blick auf den Diemelsee<br />

Vor allem das sehr gute Angebot an<br />

sozialer Infrastruktur unterstreicht die<br />

Familienfreundlichkeit Marsbergs und<br />

garantiert flächendeckend die schulische<br />

Ausbildung und Förderung Ihrer Kinder.<br />

In Marsberg finden Sie:<br />

• Zahlreiche Tageseinrichtungen für<br />

Kinder (davon bisher zwei zertifizierte<br />

Familienzentren).<br />

• Die Betreuungswünsche der Eltern<br />

für unter dreijährige Kinder konnten<br />

bisher zu fast 100 Prozent erfüllt<br />

werden.<br />

• Mehrere Grundschulen mit offenem<br />

Ganztagsangebot.<br />

• Hauptschule, Realschule, Bilinguales<br />

Gymnasium/ Europaschule.<br />

• Förderschule mit dem Schwerpunkt<br />

„Lernen“.<br />

Marsberg ist somit als<br />

Familienstandort auch<br />

äußerst attraktiv!<br />

Zweimal im Jahr herrscht ein buntes<br />

Treiben in der Marsberger Innenstadt.<br />

Im Frühjahr und im Herbst ist Kirmeszeit.<br />

Fahrgeschäfte, Los- und Schießbuden,<br />

Würstchen- und Süßwarenstände<br />

u. v. m. bevölkern die Innenstadt. Am<br />

letzten Tag des Allerheiligenmarktes findet<br />

immer ein historischer Umzug mit<br />

Musik, Märchenfiguren, Oldtimern usw.<br />

statt.


SAUERLAND NR. 2/2010 59<br />

Im Sommer locken z. B. das Stadtfest<br />

oder Konzerte auf dem Kirchplatz Menschen<br />

in die Innenstadt.<br />

Nicht zu vergessen sind natürlich die<br />

traditionellen Schützenfeste, die von<br />

Mai bis August in den einzelnen Ortsteilen<br />

stattfinden. Aber auch die Narren<br />

feiern in einigen Ortsteilen ausgelassen<br />

ihren Karneval.<br />

Zur Weihnachtszeit finden in vielen<br />

Ortsteilen kleine charmante Weihnachtsmärkte<br />

statt. Der weltweit größte<br />

Adventskranz mit seinen vier Adventskerzen<br />

strahlt zu dieser Zeit über die<br />

ganze Stadt.<br />

Auch nach 1.200 Jahren erfindet<br />

sich die Stadt immer wieder neu. Die Innenstadt<br />

Marsbergs ermöglicht Einkaufen<br />

und Bummeln in historischer<br />

Umgebung. Schöne Fachwerkhäuser<br />

und liebevoll gestaltete Geschäfte vermitteln<br />

ein besonderes Flair und die vielfältigen<br />

gastronomischen Angebote von<br />

Restaurants und Cafés laden zum Verweilen<br />

ein. Zudem ermöglichen mehr<br />

als 1.000 kostenlose Parkplätze jederzeit<br />

einen entspannten Spaziergang<br />

„Vogelnest“ im Naturerlebnis Wald in Marsberg-Meerhof<br />

durch die geschichtsträchtigen Stadtteile<br />

von Marsberg.<br />

Sicherlich stehen wir, gerade im sog.<br />

Bereich Gesundheitstourismus, erst am<br />

Anfang, aber die ersten kleinen Pflänzchen<br />

sind gesetzt. Damit sie wachsen<br />

können, benötigen sie Pflege, Düngung<br />

Wichtige Änderungen im Vorstand unseres<br />

<strong>Heimatbund</strong>es stehen bevor<br />

und Wasser. Will heißen: Sie brauchen<br />

Unterstützung und Mitarbeit. In einem<br />

guten Miteinander aller Kräfte aus Politik,<br />

Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft<br />

werden wir unsere Stärken in<br />

Marsberg weiter festigen und ausbauen!<br />

Unser l. Vorsitzender Dieter Wurm wird sich nach zwölfjähriger Amtszeit in der kommenden<br />

Mitgliederversammlung am 28. August nicht noch einmal zur Wiederwahl stellen. In der letzten<br />

Vorstandssitzung erklärte er, dass die Ärzte ihm aus gesundheitlichen Gründen geraten<br />

hätten, dieses anspruchsvolle Amt aufzugeben. Außerdem werde er in diesem Jahr 75 Jahre<br />

alt. Jeder, der die enge Verbindung unseres Vorsitzenden zur Heimatpflege kennt, wird<br />

sich vorstellen können, wie schwer ihm diese Erklärung nach zwölf Jahren erfolgreicher Arbeit<br />

für unser kurkölnisches Sauerland gefallen sein muss.<br />

Der Vorstand nahm mit großem Bedauern, aber auch mit Verständnis die Erklärung zur<br />

Kenntnis. Als Nachfolger schlägt er der Mitgliederversammlung den langjährigen Bürgermeister<br />

der Stadt Olsberg Elmar Reuter vor. Viele Heimatfreunde kennen ihn als den Gastgeber<br />

der letzten Mitgliederversammlung.<br />

Auch unsere stellvertretende Vorsitzende Wilma Ohly, die ebenfalls schon zwölf Jahre im<br />

Amt ist, möchte sich nicht noch einmal zur Wahl stellen. Der Vorstand, der ihr für ihr großes<br />

Engagement in der Heimatarbeit dankte, schlägt als Nachfolgerin die Ortsheimatpflegerin<br />

von Attendorn Frau Birgit Haberhauer-Kuschel vor.<br />

Red.


60 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Zur Geschichte Marsbergs<br />

Befasst man sich mit der Geschichte<br />

Marsbergs, so kommt man nicht umhin,<br />

in besonderer Weise auf die ehemalige<br />

Stadt Obermarsberg einzugehen. Denn<br />

sie hat im Rahmen der übergeordneten<br />

Machtverhältnisse und Zeitströmungen<br />

über Jahrhunderte hinweg die Geschicke<br />

für den Marsberger Bereich beeinflusst<br />

und mitbestimmt.<br />

Obermarsberg liegt auf einem nach<br />

drei Seiten steil abfallenden Bergplateau<br />

von etwa 400 Meter über dem Meeresspiegel.<br />

Nur über den südlichen Sattel<br />

von Giershagen, Flechtdorf, Korbach<br />

her hat sie einen natürlichen Zugang.<br />

Bei einer Länge von etwa 1 km und einer<br />

Breite von etwa einem ½ km bot<br />

dieses Gelände auf dem Berg in der<br />

früheren Zeit genug Raum für Häuserbau,<br />

Garten- und Felderanbau, Schutz<br />

vor anrückenden Feinden sowie aufgrund<br />

günstiger geologischer Voraussetzungen<br />

das lebenswichtige Wasser.<br />

Erste Hinweise auf menschliches Leben<br />

fanden sich in Form von Feuersteinklingen<br />

in der Nähe des Ortes in der<br />

sogenannten Weißen Kuhle etwa aus<br />

der Zeit 14 000 v. Chr.. 1)<br />

Keramikfragmente der jungsteinzeitlichen<br />

Michelsberger Kultur, gefunden<br />

im Bereich der Stiftskirche, lassen eine<br />

Höhensiedlung im 4./3. Jahrtausend<br />

vor Chr. vermuten. Allerdings könnten<br />

Ausgrabungen diese Theorie durch Hinweise<br />

auf Gebäude noch erhärten.<br />

Eine Untersuchung in einer Baugrube<br />

eines Grundstückes ebenfalls in der<br />

Nähe der Stiftskirche, die von A. Doms<br />

(WMfA, Außenstelle Bielefeld) geleitet<br />

wurde, ergab im Süden Anhaltspunkte<br />

für einen Felsausbruch, der möglicherweise<br />

als Befestigungsgraben festgestellt<br />

werden könnte. Hinter diesem Felsausbruch<br />

befanden sich 3 in etwa parallele<br />

Pfostenreihen von jeweils 3 bzw. 4 Pfosten.<br />

Die Mächtigkeit der Pfosten lässt<br />

die Existenz eines Grabens und einer<br />

Befestigung als Holz-Erde-Wall möglich<br />

erscheinen. 2)<br />

Nach einem C 14-Datum (Holzkohle)<br />

wird diese Anlage nun der vorrömischen<br />

Eisenzeit zugerechnet. 3)<br />

In den „Fränkischen Annalen“ wurde<br />

der Ort „Eresburg“ genannt, abgeleitet<br />

möglicherweise von Erzberg oder auch<br />

von einem altgermanischen Kriegsgott<br />

Er, Eru, Eri.<br />

Die Eresburg war im Besitz des Stammes<br />

der heidnischen Sachsen. Sie wurde<br />

jedoch im Jahre 772 n. Chr. von Karl<br />

d. Großen und seinen Franken erobert,<br />

wieder verloren und zurückerobert. Er<br />

zerstörte der Geschichte nach das Heiligtum<br />

der Sachsen, die Irminsul, baute<br />

an deren Stelle eine Kirche und richtete<br />

einen Benediktiner-Konvent ein. Ein<br />

Nachweis für den Standort Irminsul<br />

konnte bislang nicht erbracht werden.<br />

785 weilte Karl d. Große vom Jahresanfang<br />

bis Juni auf der Eresburg und feierte<br />

dort mit seiner Familie das Osterfest.<br />

Das Heer lagerte in festen Unterkünften<br />

in der Umgebung. Daraus lässt<br />

sich schließen, dass der Ort militärisch<br />

gut gesichert und auch für einen Aufenthalt<br />

Karls entsprechend ausgestattet<br />

war. 4)<br />

Die Übertragung des Eresberges und<br />

damit auch des Benediktinerstiftes mit<br />

seinen Besitzungen an die Reichsabtei<br />

Corvey 826 durch Ludwig d. Frommen,<br />

eines Sohnes Karls d. Großen, wurde in<br />

der Forschung im Zusammenhang mit<br />

reichen Bodenschätzen in den Lagerstätten<br />

entlang der Diemel gesehen. 5)<br />

Vor diesem Hintergrund muss auch<br />

die Entwicklung des Ortes Horhusen<br />

Stiftskirche mit ehemaligem Kloster<br />

von Hermann Runte<br />

(Niedermarsberg), gelegen im Tal der<br />

Diemel unterhalb des Eresberges, gesehen<br />

werden. Bodenschätze und die günstige<br />

Verkehrslage, es kreuzten sich hier<br />

zwei wichtige Fernstraßen, die von Norden<br />

über Paderborn kommende und<br />

nach Hessen führende ‚via regia’ (Weinstraße)<br />

und der vom Rhein kommende<br />

und über Olpe und Brilon führende ‚Römerweg’,<br />

der dann weiter über Warburg<br />

zur Weser verlief, ließen Horhusen zu einem<br />

wichtigen Handelsort aufsteigen.<br />

900 verlieh dann Ludwig III, auch<br />

Ludwig das Kind genannt, den Corveyer<br />

Äbten, die Rechte, in Horhusen öffentliche<br />

Märkte abzuhalten, von den<br />

eingebrachten Waren Zoll zu erheben<br />

und Münzen prägen zu lassen. 6)<br />

In einer Urkunde von 962 wird durch<br />

Otto d. Großen den Einwohnern Horhusens<br />

erlaubt, das Recht der Kaufleute<br />

des Königshofes Dortmund für sich in<br />

Anspruch zu nehmen. Diese kaufmännischen<br />

Gewohnheitsrechte und die königlichen<br />

Rechtsverleihungen bildeten<br />

später die Grundlagen des Stadtrechtes. 7)<br />

Einen gravierenden Einschnitt für die<br />

Marsberger Geschichte bedeutete die<br />

Einbeziehung in den Kölner Einflussbereich<br />

1180.<br />

Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe<br />

war nach einer Klage der Fürsten vor


SAUERLAND NR. 2/2010 61<br />

Kaiser Friedrich der Reichsacht verfallen,<br />

und er verlor daraufhin die Reichslehen.<br />

Das anschließend geschaffene<br />

Herzogtum Westfalen fiel dem Erzbischof<br />

von Köln zu.<br />

Der zu Corvey gehörende Eresberg<br />

ragte daraufhin wie eine Insel aus dem<br />

Kölner Gebiet heraus.<br />

Doch schon 1198 stellte sich Corvey<br />

unter den Schutz des Kölner Erzbischofs<br />

und 1230 einigten sich Corvey und<br />

Köln, und Obermarsberg gehörte gegen<br />

Bezahlung zur Hälfte zu Köln. 1507 erlangte<br />

Köln die Herrschaft über ganz<br />

Obermarsberg mit Ausnahme des Benediktinerstiftes.<br />

Um das Jahre 1220 zogen viele Bürger<br />

Horhusens (Niedermarsberg), dazu<br />

gehörten auch vor allem die wohlhabenden<br />

Handelsleute, auf den sicheren Berg.<br />

Für die Bürger waren die häufigen<br />

Überschwemmungen von Diemel und<br />

Glinde und das aufkommenden Raubrittertum<br />

Gründe für den Umzug, aber<br />

auch Corvey und Köln scheinen in ihren<br />

Interessen nichts gegen eine Umsiedlung<br />

gehabt zu haben, möglicherweise<br />

haben sie sie forciert.<br />

Gleichzeitig bauten die Bürger die<br />

Stadtmauern und Türme aus und errichteten,<br />

da sie sich der Jurisdiktion des Pa-<br />

derborner Bischofs entzogen hatten, die<br />

Nikolaikirche mit einem Sitz für den Archidiakon<br />

des Bischofs von Paderborn.<br />

Sie begannen den Bau der Kirche aus<br />

der Zeit heraus im Übergangsstil und<br />

bauten sie in die Gotik hinein. Einmalig<br />

in ihrem Erhalt, in ihrem klar zu erkennenden<br />

Verlauf und in ihrer feinen Ornamentik<br />

ist sie heute unter dem Namen<br />

„Nikolaikirche, eine Perle der Frühgotik“<br />

weithin bekannt.<br />

Die auf den Berg gezogenen Bürger<br />

von Horhusen bildeten mit den bisherigen<br />

Bewohnern der Eresburg eine<br />

Stadtgemeinde mit dem Namen Mons<br />

Martis oder Mersburg. Sie wählten sich<br />

einen Magistrat aus 12 Mitgliedern,<br />

Consules genannt, und aus diesen einen<br />

Bürgermeister oder Proconsul. 8)<br />

Die Bürger konnten nun unbeeinträchtigt<br />

ihren Gewerben nachgehen<br />

und sich dem weiteren Ausbau ihrer<br />

Kommune widmen.<br />

Die Kaufleute beteiligten sich im 14.<br />

und 15. Jahrhundert auch am Fernhandel.<br />

Als die Gefahren für Fernhändler<br />

wuchsen, schlossen sich die Städte<br />

zusammen und gründeten die Städtehanse.<br />

Dabei konnten sie auf die Erfahrungen<br />

mit den verschiedenen Landfriedensbündnissen<br />

im 13. und 14. Jahrhundert<br />

zurückgreifen. Für das 15. Jahr-<br />

hundert sind Hansekaufleute aus Attendorn,<br />

Menden, Marsberg und Rüthen in<br />

Flandern und Brabant nachgewiesen. 9)<br />

Zu den bedeutendsten Ausfuhrartikeln<br />

müssen Textil- und Metallwaren<br />

gehört haben.<br />

Besonders begehrt waren wohl die<br />

Produkte der Marsberger Panzerschmiede.<br />

Die Ursprünge dieses Handwerks<br />

reichen bis in das 12. Jahrhundert<br />

zurück. In großem Umfang wurde dieses<br />

Handwerk auf dem Berg ausgeübt.<br />

Rüststrümpfe, Panzerhemden für Ritter,<br />

Reisige und Knappen wurden hergestellt.<br />

Später waren die in den Hammerwerken<br />

an Diemel und Glinde hergestellten<br />

Geschütze und Kanonenkugeln<br />

gefragt. 10)<br />

Reformationszeit<br />

Das 16. Jahrhundert war geprägt von<br />

tiefen gesellschaftlichen und religiösen<br />

Umwandlungsprozessen. Ein Grund mit<br />

war die zunehmende Bedeutung der<br />

Städte.<br />

In Marsberg scheint schon in den<br />

vierziger Jahren die Reformation Einzug<br />

gehalten zu haben. Die schwierigen politischen<br />

und kirchlichen Verhältnisse<br />

kamen in dieser Zeit den neuen Ideen<br />

sehr entgegen.<br />

Stadtmauer Südportal der Nikolaikirche


62 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Das Kloster Corvey hatte die Propstei<br />

in Besitz. Zünfte und Bürger hatten im<br />

Laufe der Zeit der Propstei vielfach Dotationen<br />

in Form von Vermögen, Stiftungen,<br />

Memorien und Vikarien zukommen<br />

lassen. Insofern nahmen viele Anteil<br />

an dem Geschehen in der Propstei.<br />

Paderborn war im Besitz der Diözesanrechte<br />

und übte die Archidiakonatsgerichtsbarkeit<br />

aus. Die Landeshoheit<br />

aber lag bei Kurköln.<br />

Auch der Magistrat der Stadt Obermarsberg<br />

nutzte vielfach die teilweise<br />

rechtlich verworrene Lage aus, um seine<br />

Ansprüche durchzusetzen. Unter diesen<br />

Verhältnissen blieben Machtkämpfe<br />

nicht aus.<br />

Hinzu kam, dass seit Jahrhunderten<br />

politische und wirtschaftliche Beziehungen<br />

zwischen Marsberg und der<br />

Grafschaft Waldeck bestanden. Schon<br />

1526 ließ Graf Philipp III das Kloster<br />

Arolsen säkularisieren und leitete damit<br />

eine Welle der Aufhebungen der Klöster<br />

ein. Durch die unmittelbare Nähe dieses<br />

protestantischen Landes war Marsberg<br />

dem ersten Andrang der Neuerungen<br />

ausgesetzt. 11)<br />

In der Folgezeit wehrten sich Bürger<br />

und Magistrat mit „aller Gewalt“ dagegen,<br />

wie es in einem Brief an den Abt<br />

von Corvey heißt, einen katholischen<br />

Pfarrer anzustellen, sobald das Kloster<br />

Corvey, der Erzbischof von Köln oder<br />

der Bischof von Paderborn diesbezüglich<br />

Einfluss nehmen wollten.<br />

Vom Kloster Corvey aus ist in dieser<br />

Zeit allerdings kaum ein Bemühen zu erkennen,<br />

dem Protestantismus ernsthaft<br />

entgegenzutreten.<br />

Die Rekatholisierung setzte zwar allgemein<br />

nach dem Amtsantritt Ernst von<br />

Bayern als Kurfürst und Erzbischof von<br />

Köln ein, doch erst unter seinem Nachfolger<br />

Ferdinand von Bayern (*1577-<br />

†1650) wurden weit energischere Maßnahmen<br />

gegen die Bürger getroffen, die<br />

der lutherischen Lehre anhingen.<br />

Er befahl, in seinen Bistümern nur katholische<br />

Bürgermeister und Ratsherren<br />

zu wählen, katholische Küster und Lehrer<br />

anzustellen, nur zweifellos katholische<br />

Personen zu Zünften und Gilden<br />

zuzulassen und dafür zu sorgen, dass die<br />

Lehrbücher nichts gegen die katholische<br />

Religion enthielten. Weiter wurden<br />

strenge Vorschriften über die Spendung<br />

der hl. Sakramente der Taufe, der Ehe,<br />

der Buße und der Ölung sowie über das<br />

Begräbnis der Nichtkatholiken u. a. erlassen.<br />

Allmählich zeitigten die Maßnahmen<br />

und Anordnungen Wirkung. Viele Lutheraner<br />

verließen teilweise auch unter<br />

Zwang die Oberstadt und ließen sich in<br />

der benachbarten Grafschaft Waldeck<br />

nieder.<br />

Jahrzehnte hat es gedauert, bis der<br />

katholische Glaube wieder hergestellt<br />

war. Eine sichere Einordnung lässt sich<br />

nicht klar erkennen. Im Jahre 1615<br />

wurde der lutherische Magistrat durch<br />

eine kurfürstliche Kommission abgesetzt.<br />

12) Um 1630 gab es wohl nur noch<br />

ganz wenige evangelische Familien in<br />

der Stadt.<br />

Die Reformationswirren haben der<br />

Stadt großen materiellen Schaden gebracht.<br />

Viele Familien und zwar vielfach<br />

die reichsten und unabhängigsten wanderten<br />

aus. Ihre Häuser blieben teilweise<br />

leer und verfielen. Gewichtiger waren<br />

noch die geistigen Nachteile. Die kirchliche<br />

Ordnung war untergraben. Die<br />

Moral der Geistlichen und auch der<br />

Mönche ließ zu wünschen übrig. Sie gingen<br />

teilweise ihren Pflichten nur nachlässig<br />

nach und kümmerten sich nicht<br />

angemessen um die Sakramente. Für<br />

Obermarsberg war es ein Aderlass<br />

schon vor dem bzw. teilweise im 30jährigen<br />

Krieg. 13)<br />

30-jähriger Krieg<br />

ches deutscher Nation. Neben den<br />

furchtbaren Kriegsgräueln entvölkerten<br />

infolge davon auch Seuchen und Hungersnöte<br />

ganze Landstriche.<br />

Auch unser Land und insbesondere<br />

Marsberg blieben davon nicht verschont.<br />

In der ersten Hälfte kamen nur<br />

versprengte Kriegsleute durch die Stadt.<br />

Dann wurden größere Trupps Kaiserlicher<br />

in die Stadt Obermarsberg ins<br />

Quartier gelegt. Mit der Zeit wuchs die<br />

Zahl der Einquartierten, die untergebracht<br />

werden mussten. Schließlich wurde<br />

die Stadt ständige Garnison. Viele<br />

Unannehmlichkeiten hatten die Bürger<br />

in der Folge zu ertragen. Geschichten<br />

und Romane berichten darüber.<br />

Ab 1632 wurden wiederholt von Seiten<br />

der Hessen Versuche gemacht, die<br />

Stadt einzunehmen. Doch konnten sich<br />

die Bürger erfolgreich verteidigen, teilweise<br />

allerdings wurden dabei Mauern<br />

und Häuser stark beschädigt und die Eisenschmelzhütten<br />

an der Glinde für Jahre<br />

unbrauchbar gemacht.<br />

Eine Wende trat 1646 ein, als ein<br />

schwedisches Heer von ungefähr<br />

20 000 Soldaten unter der Führung des<br />

Feldmarschalls Karl Gustav von Wrangel<br />

nach der Eroberung der Städte Höxter<br />

und Paderborn auf mehrfache Bitte der<br />

Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen<br />

auf Marsberg zumarschierte, die<br />

Oberstadt einschloss und belagerte. Die<br />

Armee bezog ein Feldlager auf dem Erlinghäuser<br />

Gelände. Im Süden zwischen<br />

Marsberg und Giershagen wurden die<br />

Geschütze aufgefahren. Um auch das<br />

Altenstädter Tor und auch das Stift be-<br />

Der 30-jährige<br />

Krieg begann<br />

als Religionskrieg<br />

infolge<br />

der Spannungen<br />

zwischen<br />

den katholischen<br />

und protestantischen<br />

Ständen, und er<br />

mündete in eine<br />

europäische<br />

Macht-auseinandersetzung<br />

auf dem Gebiet<br />

und auf Kosten<br />

des heiligen römischen<br />

Rei- Beschießungsplan der Stadt


SAUERLAND NR. 2/2010 63<br />

schießen zu können, wurden auch auf<br />

dem Wulsenberg Kanonen in Stellung<br />

gebracht.<br />

Am 25. Mai 1646 wurde das Feuer<br />

eröffnet. Den ersten Angriff konnten<br />

Bürger und Besatzung noch abwehren,<br />

doch dann kapitulierten die Kaiserlichen.<br />

Der Kommandant und die Offiziere<br />

erhielten freien Abzug zugebilligt. Die<br />

Mannschaften wurden sofort in die Reihen<br />

der Schweden und Hessen eingruppiert.<br />

Sämtliche Geschütze, Gewehre<br />

und das Pulver fielen in die Hände der<br />

Eroberer.<br />

Schlimmer aber noch wüteten die<br />

Soldaten 10 Tage lang unter den Einwohnern.<br />

Sämtliches Getreide, die Nahrungsmittel<br />

und das Vieh wurden ihnen<br />

weggenommen. Den Bürgermeister<br />

führte man gefesselt aus der Stadt, um<br />

möglichst viel Geld für ihn von den Bürgern<br />

zu erpressen. Die Mauern wurden<br />

geschliffen.<br />

Als die Bürger sogleich nach dem Abzug<br />

der Soldaten daran gingen, die Mauern<br />

wieder aufzubauen, kehrten die<br />

Truppen zurück und zündeten die Stadt<br />

an allen vier Ecken an. Etwa 200 Häuser<br />

gingen in Flammen auf, auch das Stift,<br />

die Schule und das Rathaus mit dem<br />

wertvollen Archiv wurden in der Folge<br />

ein Raub der Flammen. Die Stiftskirche<br />

sprengte man mit Pulver in die Luft.<br />

Die Beispiele von Marsberg und anderen<br />

Städten belegen in unterschiedlicher<br />

Weise, dass die Städte im 17. Jahrhundert<br />

auch bei höchstem Einsatz ihrer<br />

kampfeswilligen Bürger nicht mehr in<br />

der Lage waren, einem hochgerüsteten<br />

und zahlenmäßig weit überlegenen Angreifer<br />

allein entgegenzutreten. 14)<br />

Folgen des 30-jährigen Krieges<br />

Fast vierhundert Jahre hatte die<br />

Oberstadt bis dahin die Geschicke Marsbergs<br />

bestimmt. Doch die schweren<br />

Kontributionen, die bis in die 1650-er<br />

Jahre gezahlt werden mussten, und die<br />

hohen Kosten, die aufgebracht werden<br />

mussten, um in den Folgejahren die Einquartierung<br />

durchziehender Heere zu<br />

verhindern sowie die völlige Zerstörung<br />

und die Schleifung der festen Werke, die<br />

der Oberstadt ihre Bedeutung gegeben<br />

hatten, der Rückgang der Bevölkerung<br />

schon zu Zeiten der Reformation, erst<br />

Hochaltar in der Stiftskirche – Eine prächtige Barockarbeit aus der Werkstatt Heinrich und<br />

Christophel Papen, fertig gestellt 1719<br />

recht durch die Verluste im 30-jährigen<br />

Krieg, und die allmähliche Abwanderung<br />

von Menschen in die Altenstadt<br />

(Niedermarsberg), die ihnen Möglichkeiten<br />

zur Arbeit bot, hatten die Stadt fundamental<br />

geschwächt.<br />

Die Altenstädter sahen nun immer<br />

wieder die Möglichkeit, die völlige Lösung<br />

von der Oberstadt durchzusetzen.<br />

Doch der Magistrat kämpfte verbissen<br />

um seine Rechte, pochte auf seine alten<br />

Privilegien, ließ sie sich trotz aller Widrigkeiten<br />

auch immer wieder vom Kurfürsten<br />

bestätigen und setzte auf diese<br />

Weise seinen politischen Machtanspruch<br />

durch.<br />

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde<br />

mit der Säkularisation das Benediktinerstift,<br />

das von Karl d. Großen gegründet<br />

wurde, aufgehoben, und das<br />

kurkölnische Herzogtum Westfalen fiel<br />

an Hessen-Darmstadt. 1807 verlor die<br />

Stadt für immer ihre alten Justizrechte,<br />

indem die Hessische Regierung in Obermarsberg<br />

ein Justizamt errichtete.<br />

1808 wurde die Schultheißenordnung<br />

eingeführt und damit erhielt die Altenstadt<br />

endlich nach fast 600 Jahren<br />

wieder ihre Selbständigkeit.<br />

1815 kam das Herzogtum Westfalen<br />

unter preußische Regierung und 1827<br />

wurde schließlich auch das Justizamt<br />

nach Niedermarsberg verlegt.<br />

Die Stadt Obermarsberg verlor das<br />

große Ansehen, das sie infolge der vielen<br />

Freiheiten und Privilegien, der selbständigen<br />

Stellung des Rates und der sicheren<br />

Befestigungen der Stadt vor dem<br />

30-jährigen Krieg besessen hatte, und<br />

sank zu einer kleinen Landstadt herab.<br />

15)<br />

1975 musste sie auch die Stadtrechte<br />

abgeben und wurde ein Ortsteil von<br />

Marsberg.<br />

Doch mit ihren historischen Kirchen,<br />

dem Rathaus mit dem Schandpfahl, den<br />

Stadtmauerresten und herrlichen Ausblicken<br />

vom Berg aus ist sie ein Juwel<br />

der Region.<br />

Literaturhinweise:<br />

1) Morlo, Hans, Nachträge und Ergänzungen zum<br />

Marsberger Höhlenbruch. In: Speläologisches<br />

Jahrbuch 2001 – 2004. Iserlohn-Letmathe<br />

2006, S. 101<br />

2) Lukanow, Sigrid, Ausgrabungen und Funde in<br />

Westfalen-Lippe, Beiheft 1: Fundchronik<br />

3)<br />

Hochsauerlandkreis 1948 – 1980, Münster<br />

1988, S. 33 - 35<br />

Stephan Hans-Georg, Die Siedlungsgeschichte<br />

von Marsberg-Horhusen im Mittelalter und in<br />

der frühen Neuzeit. In: Marsberg Horhusen,<br />

Stadtgeschichte aus 11 Jahrhunderten, Marsberg<br />

2000, S. 23


64 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

4) wie Anm. 3), S. 21<br />

5) Grothe, Anja, Die Villa Twesine – Neue<br />

Erkenntnisse zu einem früh- und hochmittelalterlichen<br />

Kupferverhüttungs- und Siedlungsplatz<br />

6)<br />

bei Marsberg, In: Westfalen – <strong>Heft</strong>e für Geschichte,<br />

Kunst und Volkskunde 78 (2000), S. 5<br />

Stadelmaier, Rupert, Beiträge zur Geschichte<br />

Marsbergs, hrsg. und bearbeitet von Heinrich<br />

Klüppel und Dr. Hubert Schmidt, Marsberg o. J.,<br />

S. 43<br />

Besucherbergwerk Kilianstollen<br />

7) Tönsmeyer, Hans Dieter, Die Marsberger Schützen<br />

in kurkölnischer Zeit, Festschrift zum 550jährigen<br />

Jubiläum der St. Peter und Paul Schützenbruderschaft<br />

Obermarsberg 1448 e. V.,<br />

Marsberg 1998, S. 15<br />

8) wie Anm. 6), S. 77<br />

9) wie Anm. 7), S. 34/35<br />

10) wie Anm. 6), S. 284<br />

11) Müller, Helmut, Marsberg im Zeitalter der Glaubenskämpfe.<br />

In: Marsberg Horhusen, Stadtge-<br />

schichte aus 11 Jahrhunderten, Marsberg 2000,<br />

S. 208<br />

12) wie Anm. 7), S. 69<br />

13) Hagemann, Ludwig, Aus der Geschichte der<br />

kath. Pfarrgemeinden Marsbergs, Geschichtliche<br />

Aufsätze aus alten und neuen Tagen, Niedermarsberg<br />

o. J., S. 109/110<br />

14) wie Anm. 7), S. 71<br />

15) wie Anm. 6), S. 161<br />

Besuchererlebnis der geheimnisvollen Welt im Berginnern von Alfred Tack<br />

Das Besucherbergwerk „Kilianstollen“<br />

erinnert an die tausend Jahre alte Tradition<br />

des Kupferbergbaus im Raum Marsberg<br />

und ist seit mehr als 25 Jahren interessante<br />

Sehenswürdigkeit, die inzwischen<br />

von über 200.000 Besuchern<br />

aufgesucht wurde.<br />

Nachdem zu Beginn der 80er Jahre<br />

die Idee aufkam, mit der Restaurierung<br />

des Mundlochs auf die frühere Bedeutung<br />

des Kupferbergbaus aufmerksam<br />

zu machen, ergriff der Marsberger <strong>Heimatbund</strong><br />

e. V. 1982 die Initiative zur<br />

Schaffung eines Besucherbergwerkes.<br />

Es konnte dank großzügiger Unterstützung<br />

– Amt für Denkmalpflege,<br />

Stadt Marsberg, Bergamt Siegen, Gesellschaft<br />

Kupferbergbau Stadtberge<br />

und Arbeitsverwaltung – bereits am 26.<br />

Mai 1984 der Öffentlichkeit vorgestellt<br />

werden. Hinzu kamen zahlreiche Spenden<br />

und Mitgliedsbeiträge, insbesondere<br />

auch Sachspenden befreundeter Steinkohlebergwerke.<br />

Das Besucherbergwerk beschränkte<br />

sich zunächst auf das einstige Grubenfeld<br />

„Oskar“. Nach insgesamt 7-jähriger<br />

Herrichtungszeit, in der auch die demontierte<br />

Grubenbahn wieder eingebaut<br />

wurde, komplettierte am 23. April<br />

1988 die Eröffnung des Grubenfeldes<br />

„Friederike“ das Besucherwerk „Kilianstollen“,<br />

das seither kunsthistorisch wie<br />

zeitgeschichtlich interessierten Besuchern<br />

das frühere Geschen unter Tage<br />

vermittelt sowie die schweren Arbeitsbedingungen<br />

nachempfinden lässt. Damit<br />

ist das Besucherbergwerk ein Kleinod<br />

vergangener Bergbaugeschichte. Anhand<br />

von altem „Gezähe“ sowie Expo-<br />

naten werden nicht nur die Kupfergewinnung<br />

und Arbeitsweisen anschaulich<br />

dargestellt, sondern die beeindruckenden,<br />

farbenprächtigen Aussinterungen<br />

geben faszinierende Eindrücke<br />

in die Geologie. Das Besuchserlebnis<br />

der geheimnisvollen Welt im Berginnern<br />

lässt die Naturkräfte erahnen, die vor<br />

Millionen Jahren die Vererzungen zustande<br />

brachten. Geologen und Mineralogen<br />

erhalten informative Einblicke in<br />

die Welt der Gesteine und Erdformationen<br />

Devon und Karbon. Besonderes<br />

Novum: Das Besucherbergwerk<br />

„Kilianstollen“ wird mit Unterstützung<br />

der Stadt Marsberg ausschließlich ehrenamtlich<br />

betrieben.<br />

Die Kupfergewinnung endete in<br />

Marsberg endgültig 1945. Bis dahin<br />

wurden ca. 3 Millionen Tonnen Erz mit<br />

einem durchschnittlichen Kupfergehalt<br />

von 1,6% gefördert. Vorhandene Reste<br />

werden auf 600.000 Tonnen geschätzt.<br />

Die älteste erhaltene Urkunde über<br />

den hiesigen Bergbau geht zurück in das<br />

Jahr 1150, als König Konrad III. dem<br />

Abt Wigbold von Corvey das Recht verlieh,<br />

in Horhusen nach allen Metallen zu<br />

graben und diese zu verarbeiten. Der<br />

deutsche Text lautet:<br />

„Desselben Königs Konrad (Urkunde)<br />

über die Grabung von im<br />

Berg gefundenen Metallen:<br />

„Kilianstollen“ nicht nur touristisches Highlight


SAUERLAND NR. 2/2010 65<br />

Konrad III., durch Gottes Gnade<br />

König der Römer, wir gewähren<br />

dem Abt Wigbold von Corvey und<br />

seinen rechtmäßig eingesetzten<br />

Nachfolgern für immer, die Metalladern,<br />

nämlich von Gold, Silber,<br />

Kupfer, Blei und Zinn und alles<br />

Geld, sei es roh, sei es verarbeitet,<br />

das innerhalb des Berges Eresburg,<br />

der der Kirche von Corvey durch<br />

Besitzrecht bekanntlich gehört,<br />

verborgen ist, (und) geben es dir<br />

und durch dich der Kirche von Corvey<br />

und bekräftigen durch die vorliegende<br />

Urkunde, dass es dir und<br />

deinen Nachfolgern ohne Widerspruch<br />

irgendeiner Person erlaubt<br />

sei, in eben diesem Berg zu graben,<br />

alles Metall, das gefunden wird,<br />

herauszunehmen und einzuschmelzen<br />

und für deinen und deiner<br />

Brüder Gebrauch frei zu verarbeiten,<br />

damit um so besser die Kirche<br />

von Corvey die göttlichen<br />

(=geistlichen) und die Interessen<br />

des Königreichs (=weltlichen) un-<br />

Im Kilianstollen<br />

terstützen kann. Gegeben wurde<br />

die (Erinnerungs-)Urkunde zu<br />

Würzburg im Jahr der Geburt des<br />

Herrn 1150, in der 13. Indiktion,<br />

wegen des treuen Dienstes des<br />

oben genannten Abtes“.<br />

Jedoch ist laut Wilfried Reininghaus/Reinhard<br />

Köhne (Berg-, Hüttenund<br />

Hammerwerke im Herzogtum<br />

Westfalen im Mittelalter und in der<br />

frühen Neuzeit) davon auszugehen, dass<br />

bereits zur Römerzeit Erze im heutigen<br />

Marsberg abgebaut wurden. Indiz dafür<br />

ist ein 1875 in einem alten Stollen gefundener<br />

Einhenkelkrug des 2./3. Jahrhunderts<br />

n. Chr. Zusätzlicher Grund, die<br />

Anfänge des Bergbaus weiter vorzuverlegen,<br />

sind die Ausgrabungen der Jahre<br />

1999 bis 2001 in der wüsten Siedlung<br />

Twiste (2 km nordöstlich des Marsberger<br />

Bahnhofs). Dort überdeckte ein Verhüttungsplatz<br />

des 10.–13. Jahrhunderts<br />

für Kupfer einen älteren Schachtofen<br />

der Siedlung, der wegen der gefundenen<br />

Keramik in das 8. Jahrhundert datiert<br />

Fotos: <strong>Heimatbund</strong><br />

wird. Ganz in der Nähe des Platzes liegen<br />

Kupfererzgänge am Ohmberg, Buchenberg<br />

und Huxestein, die die Öfen in<br />

Twiste versorgt haben dürften.<br />

Nach wechselvoller Geschichte durch<br />

die Jahrhunderte endete der Kupferbergbau<br />

am 29. März 1945 nach dem<br />

Einmarsch der Alliierten. Kriegsgefangene<br />

und zivilinternierte Russen und Italiener<br />

zerstörten sämtliche Anlagen in<br />

der Grube und in der Hütte. Verwendungsfähiges<br />

Material wurde in den<br />

Folgejahren verkauft. Das Gelände mit<br />

den Gebäuden der sog. „Oberen Hütte“<br />

erwarb 1952 eine Glastfabrik, nach deren<br />

wirtschaftlichem Niedergang existieren<br />

dort Firmen für Formenbau und<br />

Kunststoffverarbeitung.<br />

Heute ist das Besucherbergwerk „Kilianstollen“<br />

nicht nur touristisches Highlight,<br />

sondern steht auch als Zeitzeuge<br />

für die Geschichte der Marsberger<br />

Montanwirtschaft und dokumentiert die<br />

Bedeutung des Kupferbergbaus in der<br />

hiesigen Region.


66 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Vom Kloster zum Kultur- und Begegnungszentrum<br />

Kloster Bredelar in 940 Jahren von Bernd Follmann<br />

In einem 1985 erschienenen Kunstreiseführer<br />

über das Sauerland ist zu lesen:<br />

„Es schmerzt, auf dem Weg von<br />

Brilon nach Marsberg immer wieder am<br />

ehemaligen Zisterzienserkloster in Bredelar<br />

vorbeifahren zu müssen“. Weiter<br />

erwähnt der Autor die „heruntergekommene<br />

Eleganz“ der Kirchenfassade und<br />

den schon im 19. Jahrhundert einsetzenden<br />

Verfall der Anlage.<br />

Tatsächlich erschien es so, dass es<br />

keine Zukunft mehr für die geschichtsträchtigen<br />

Klostergebäude geben würde.<br />

Die Räumlichkeiten standen weitgehend<br />

leer und eine Instandhaltung oder<br />

gar Restaurierung konnte von den privaten<br />

Eigentümern aus finanziellen Gründen<br />

nicht erwartet werden. Auf Initiative<br />

Das<br />

ehemalige<br />

Kloster<br />

Bredelar<br />

von<br />

Westen<br />

des Vereins für Ortsgeschichte in Bredelar<br />

ist das Thema „Kloster Bredelar“<br />

mehrfach in den Gremien der Stadt<br />

Marsberg beraten worden, eine Lösung<br />

wurde aber angesichts des Umfangs und<br />

der Komplexität der Aufgabe nicht gefunden.<br />

Stattdessen kam es im Jahre 2000<br />

zur Gründung des „Förderverein Kloster<br />

Bredelar e. V.“ (inzwischen über 700 Mitglieder),<br />

der sich sofort mit großem Einsatz<br />

seinen satzungsgemäßen Aufgaben<br />

Restaurierung, Pflege und Nutzung der<br />

ehemaligen Klosteranlage widmete.<br />

Ein kurzer Blick in die Geschichte des<br />

Klosters Bredelar zeigt, wie überaus<br />

wechselvoll diese war. 1170 wurde dort<br />

ein Frauenkloster für Prämonstratenserinnen<br />

gegründet. Nach Versetzung<br />

der Nonnen nach Rumbeck wurde<br />

bereits 1196 in Bredelar ein Männerkloster<br />

des Zisterzienserordens eingerichtet.<br />

Die Mönche kamen aus dem nahen<br />

Kloster Hardehausen, das wiederum<br />

durch das Kloster Kamp, dem ersten<br />

deutschen Zisterzienserkloster, gegründet<br />

worden war.<br />

Die Zisterzienser haben bis zur Aufhebung<br />

des Klosters 1804 in Bredelar<br />

nach dem Grundsatz ihres Reformordens<br />

„ora et labora“ gebetet und gearbeitet,<br />

also nicht weniger als 618 Jahre.<br />

Auf Grund von Kriegsereignissen, wirtschaftlichen<br />

Schwierigkeiten und auch<br />

auf Grund von zeitweiligen Nachlässigkeiten<br />

im Ordensleben gab es über<br />

die Jahrhunderte ein Auf und Ab für das<br />

Klosterleben. Die großen Verdienste der<br />

Mönche für die Entwicklung der Landund<br />

Forstwirtschaft in weitem Umkreis<br />

sind aber unbestreitbar. Ebenso um die<br />

Seelsorge in den nahe gelegenen Klosterdörfern.<br />

Zeugnis ihrer Kunstfertigkeit<br />

ist die sogenannte Bredelarer Bibel,<br />

eine mehrbändige Handschrift aus dem<br />

13. Jahrhundert, die sich heute in der<br />

Landes- und Hochschulbibliothek<br />

Darmstadt befindet und gelegentlich in<br />

Ausstellungen zu sehen ist.<br />

Das Ende des Klosters kam am 20. 2.<br />

1804. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt<br />

hatte durch den Reichsdeputationshauptschluss<br />

die Aufhebung verfügt<br />

und die Mönche mussten das Kloster<br />

verlassen. Zunächst wurden Teile<br />

des Gebäudes und die landwirtschaftlichen<br />

Flächen für Zwecke der Landwirtschaft<br />

befristet verpachtet. 1826 trat<br />

dann der Gewerke Theodor Ulrich aus<br />

Brilon als Erbpächter auf und richtete in<br />

den Gebäuden die „Theodorshütte“ zur<br />

Verarbeitung der in der Umgebung anstehenden<br />

Eisenerze ein. 1842 wurde<br />

das Pachtverhältnis durch Kauf abgelöst<br />

und Ulrich wurde Eigentümer. Mehrere<br />

Hochöfen wurden aufgestellt und der<br />

Betrieb florierte bis zum Tode Ulrichs im<br />

Jahre 1871.<br />

Die Verhüttung wurde 1876 durch<br />

die Dortmunder Union AG eingestellt,<br />

nachdem sie den Betrieb einige Jahre<br />

zuvor von den Erben Ulrichs erworben<br />

hatte. Stattdessen wurde der frühere<br />

Gießereibetrieb wieder aufgenommen.<br />

Nach einem Großbrand von 1884 ging<br />

der Betrieb kurze Zeit später an den<br />

nächsten Eigentümer, die Fa. Beck &<br />

Henkel aus Kassel über. Deren Produktion<br />

von zum Teil sehr großen Gussteilen,<br />

Fenstern und Öfen fand 1931 im<br />

Zuge der Weltwirtschaftskrise ein Ende.<br />

1938 erwarb ein Kaufmann vor Ort die<br />

Klostergebäude und vermietete jeweils


SAUERLAND NR. 2/2010 67<br />

Teilbereiche für gewerbliche Zwecke wie<br />

auch für Wohnzwecke an verschiedenste<br />

Nutzer. Diese Nutzungen gingen im<br />

Laufe der Zeit bis auf die Vermietung einiger<br />

Wohnungen stark zurück und der<br />

größte Teil der Gebäude stand leer, was<br />

zu der eingangs geschilderten Situation<br />

führte.<br />

Im Jahre 2002, also bereits zwei Jahre<br />

nach der Gründung des Fördervereins,<br />

konnte mit den Restaurierungsarbeiten<br />

begonnen werden. Für<br />

den Teil des Gebäudekomplexes, der öffentlich<br />

genutzt wird, konnten sie 2008<br />

abgeschlossen werden. Am 17. 10.<br />

2008 wurde dies mit einem Festakt unter<br />

Anwesenheit zahlreicher prominenter<br />

Gäste gefeiert. Mehr als 5 Mio. Euro<br />

waren mit Hilfe von Zuwendungen öffentlicher<br />

und privater Institutionen sowie<br />

auch durch Spenden und Eigenleistung<br />

investiert worden.<br />

Die geschaffenen Räumlichkeiten haben<br />

eine Nutzfläche von etwa 1.400 qm<br />

und stehen für vielfältige Nutzungen zur<br />

Verfügung. Die örtlichen Vereine und<br />

Jugendgruppen treffen sich zu ihren<br />

Vereins- und Übungsstunden, der Verein<br />

für Ortsgeschichte hat Ausstellungsräume,<br />

der Verein für Natur- und Vogelschutz<br />

im HSK hat sich ebenso etabliert<br />

wie der Friedenskonvent des Klosters<br />

Bredelar. Öffentliche Konzerte, Ausstellungen<br />

und Vorträge haben bereits eine<br />

große Zahl von Besuchern angelockt.<br />

Zu nennen sind auch Repräsentationsveranstaltungen<br />

wie der Neujahrsempfang<br />

der Stadt Marsberg oder<br />

Privatfeiern, bei denen das besondere<br />

Flair der Räume zur Geltung kommt.<br />

Betrieb und Unterhaltung erfordern<br />

einen Aufwand, der ehrenamtlich nicht<br />

mehr zu leisten ist. Deshalb haben die<br />

Stadt Marsberg und der Förderverein eine<br />

gemeinnützige Betriebsgesellschaft<br />

„Kultur- und Begegnungszentrum Kloster<br />

Bredelar“ gegründet, die ihre Arbeit<br />

am 1. 7. 2009 aufgenommen hat. In<br />

der kurzen Zeit ihres Bestehens hat die<br />

Betriebsgesellschaft bereits 140 Veranstaltungen<br />

mit ca. 10.000 Teilnehmer/innen<br />

durchgeführt. Diese Zahlen<br />

belegen, dass das ehemalige Kloster<br />

Bredelar auf dem besten Wege ist, ein<br />

bedeutungsvoller Veranstaltungsort mit<br />

Ausstrahlung weit über die Region hinaus<br />

zu werden.<br />

Erwähnt werden muss allerdings<br />

auch, dass ein Teilbereich der ehemaligen<br />

Klostergebäude noch zu restaurieren<br />

ist. Ein eigens für diesen Zweck gebildeter<br />

Arbeitskreis bemüht sich derzeit<br />

sehr intensiv darum, private Investoren<br />

dafür zu finden. Deren Nutzungsvorstellungen<br />

sollen berücksichtigt werden,<br />

wobei diese selbstverständlich zum be-<br />

Zustand der ehemaligen Kirche vor 2003<br />

reits restaurierten Teil passen müssen.<br />

Z. B. könnte es eine Wohnnutzung sein,<br />

die ein Neben- und Miteinander der Generationen<br />

unter einem Dach ermöglicht.<br />

Unter www.kloster-bredelar.de finden<br />

sich weitere Informationen und die<br />

Möglichkeit zur Kontaktaufnahme.<br />

Die ehemalige Kirche während eines Konzertes 2009


68 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Kommentiert . . .<br />

Auf Bücherwegen<br />

Bücher und Lesen gehören zur Kultur. Wer wollte das bestreiten? Obwohl<br />

manche Leute meinen, Kultur hätte hauptsächlich etwas mit Veranstaltungen<br />

zu tun: Konzerten, Ausstellungen, Vorträgen, „Events" aller Art.<br />

Stimmt aber nicht. Ein wesentlicher Teil unserer Kultur hängt mit dem gedruckten<br />

Wort in kompakter Form zusammen, eben Büchern, gleichviel ob<br />

Sachbücher oder literarisch-poetische Bücher. Für ihre Bereitstellung und<br />

Verbreitung sorgen Bibliotheken und Buchhandlungen.<br />

An Bibliotheken unterschiedlicher Art ist im Sauerland kein Mangel.<br />

Manche zeichnen sich sogar durch besonderes Engagement aus. So etwa,<br />

um nur ein Beispiel zu nennen, die Kinder- und Jugendbücherei Attendorn,<br />

die unlängst mit einem NRW-Preis bedacht wurde.<br />

Beim Buchhandel sieht das schon ein bisschen anders aus. Da gibt es erhebliche<br />

Niveauunterschiede und Vermittlungsschwächen. Manche Buchhandlungen<br />

sind gar keine richtigen mehr, sondern eher „Papeterien", also<br />

Schreibwarenläden mit Taschenbuchresten. Natürlich können auch sie<br />

meist noch alles besorgen, was man will. Aber dafür muss man erst einmal<br />

wissen, was es gibt. Das erfährt man nicht überall.<br />

Nehmen wir die Regionalliteratur. Viele Buchläden im Lande, von löblichen<br />

Ausnahmen abgesehen, halten selbst wichtige Neuerscheinungen<br />

nicht mehr vor. Man mache die Probe bei dem neuen historischen Standardwerk<br />

„Das Herzogtum Westfalen", das preiswert und normal als Verlagsedition<br />

erschienen ist (Aschendorff Verlag, Münster 2009). Andere Veröffentlichungen<br />

laufen neben dem Buchhandel her: so das, was Museen, Archive,<br />

Heimatvereine herausgeben. Es bleibt meist „lokal hängen" und findet<br />

nur begrenzte Verbreitung. Das gilt unter anderem für die bemerkenswerten<br />

Publikationen der Museen in Eslohe und Schmallenberg-Holthausen.<br />

Sie verdienten, viel mehr unter die Leute zu kommen, beispielsweise<br />

„Aanewenge" (Eslohe 2006) oder „Kunst im Sauerland" (Holthausen 2009).<br />

Das alles stimmt bedenklich. Aber leider lässt sich daran wohl kaum etwas<br />

ändern, solange es in der Regionalliteratur zu viele „Selbstverleger" gibt.<br />

Oin Träost, dat voi dat Internet hiät, do kann me äok op düesem Felle<br />

näo födder kummen.<br />

Indes, es gibt ja auch noch die „große” Literatur, die Beachtung verdient,<br />

zumal wenn sie einem Autor zu verdanken ist, der aus unserer Gegend<br />

stammt. Da darf man ruhig auch ein bisschen neugieriger und anteilnehmender<br />

sein. Rolf Bauerdick, geboren 1957 in Lenhausen, der 1976 am<br />

Attendorner Rivius-Gymnasium sein Abitur machte und dann „in die Welt<br />

ging”, heute lebt er im Münsterland, ist so einer. Sein erster Roman „Wie<br />

die Madonna auf den Mond kam” (Deutsche Verlags Anstalt, München<br />

2009) wurde zum literarischen Ereignis. In der Tageszeitung „Die Welt” hieß<br />

es: „Mit seinem späten Debüt erobert der <strong>Sauerländer</strong> Rolf Bauerdick die<br />

Buchmärkte der Welt.” Und der „Westfalenspiegel” sprach von einem „erzählerischen<br />

Meisterstück”.<br />

Do kann me men huopen, dat Biuerdicks Bauk, bat garnit imme Siuerlanne<br />

spielt, äok imme Siuerlanne luosen wäet!<br />

Siegfried Kessemeier<br />

700. Mitglied im Förderverein<br />

Kloster Bredelar<br />

Der Vorsitzende des Fördervereins,<br />

Herr Dr. Franz-Josef Bohle und sein<br />

1. Stellvertreter, Herr Gerhard Stein,<br />

begrüßten auf einer Geburtstagsfeier im<br />

Kloster Bredelar am 21. März 2010<br />

als 700. Vereinsmitglied Herrn Gilbert<br />

Korte – Leitender Baudirektor, Leiter<br />

der Gebäudewirtschaft Mainz. In dieser<br />

Funktion ist er auch für das Kurfürstliche<br />

Schloss in Mainz zuständig. Herr Korte,<br />

der familiäre Wurzeln in Bredelar hat,<br />

zeigte sich als Kenner der Materie von<br />

den umfangreichen Restaurierungs -<br />

fortschritten am Kloster sehr beeindruckt.<br />

Redaktionsschluss<br />

für die<br />

nächste Ausgabe<br />

ist der<br />

15. August 2010<br />

Haben Sie<br />

uns<br />

schon im<br />

Internet<br />

besucht ?<br />

www.sauerlaender-heimatbund.de


SAUERLAND NR. 2/2010 69<br />

Traditionsabbruch und Neubeginn<br />

Wie die Kirche im Dorf bleiben kann von Prof. Dr. Hubertus Halbfas<br />

icht nur in allen deutschen, sondern<br />

auch in den meisten europäischen<br />

Diö zesen stehen einschneidende<br />

Änderungen in den Pfarr -<br />

gemeinden und Seel sorgsstruk turen bevor.<br />

Der inzwischen deutlich sichtbar gewordene<br />

Traditions abbruch, die Ent -<br />

leerung der theologischen Begrifflichkeit<br />

und der Verfall der religiösen Sprache,<br />

Rückgang der Kir chenmitglieder,<br />

Prie s termangel, Geld mangel und die<br />

Preis gabe intakter Kirchen signalisieren<br />

einen Absturz, der nicht länger schön zu<br />

reden ist. Nachdem „SAUERLAND“<br />

in <strong>Heft</strong> 3/2006 eine erste Proble manzeige<br />

über das „Ende einer Kir -<br />

chengestalt“ vorlegte, wird hier gefragt,<br />

wie es weiter gehen kann.<br />

Zahlen und Vorgänge<br />

Nie zuvor wurden in Deutschland so<br />

wenige Priester geweiht wie derzeit.<br />

2008 sank die Zahl in der Summe aller<br />

Diözesen erstmals unter hundert. Das<br />

Erzbistum Paderborn zählt im Kurs<br />

2008/10 drei Kandidaten; im Kurs<br />

2009/11 fünf Kandidaten. Noch bis in<br />

die sechziger Jahre konnte man mit vierzig<br />

oder gar fünfzig Priesterweihen pro<br />

Jahr rechnen und damit den Bestand<br />

der vorhandenen Pfarreien als gesichert<br />

ansehen. Die vom „Weltjugendtag“ erhoffte<br />

Umkehr der Entwicklung hat sich<br />

nicht erfüllt. Erzbischof Becker erwartet<br />

auch keine Entspannung, eher eine Verschärfung<br />

der Situ ation. Die Zeiten, als<br />

sich mit dem geistlichen Beruf noch sozialer<br />

Aufstieg und gesellschaftliches Ansehen<br />

verband, dürften nie wiederkommen.<br />

Friedrich Wilhelm Grimme (1827–<br />

1887) zählte es einst zur „höchsten Glorie<br />

eines sauerländischen Hauses, wenn<br />

aus ihm ein ‚Heer-Sohn’, ein ‚Heer-<br />

Ohm’, ein ‚Heer-Vedder’, d. i. ein geistlicher<br />

Sohn, Oheim, Vetter“ hervorging.<br />

Die Mütter weinten Freuden trä nen,<br />

wenn sie für den Jungen packen durften,<br />

der auszog, um „auf Herr“ zu studieren.<br />

Darum können viele Sauerlän-<br />

der Gemeinden an die zweihundert, sogar<br />

dreihundert Namen auflisten, die in<br />

den zurückliegenden Gene rationen zum<br />

geistlichen Beruf (jeglicher Art) drängten.<br />

Davon kann keine Rede mehr sein.<br />

Wer jetzt Priester werden oder in ein<br />

Kloster eintreten will, hat alle Mühe, dies<br />

den eigenen Altersgenossen verständlich<br />

zu machen, und nicht selten sind die<br />

Eltern am meisten erschrocken und fragen<br />

sich, wie sie den Sohn davon abhalten<br />

und die Tochter vor dem Eintritt in<br />

ein Kloster bewahren können.<br />

Die Statistik des abfallenden Priester -<br />

nachwuchses steht natürlich nicht isoliert<br />

im Raum, sondern vernetzt sich mit<br />

einer gesamtkirchlichen Entwicklung.<br />

Zunächst einmal geht – infolge der demographischen<br />

Entwicklung – die Zahl<br />

der Katholiken konstant zurück. Im Oktober<br />

2004 sagte Erzbischof Hans-Josef<br />

Becker, die vergangenen 20 Jahre hätten<br />

zu einem Schwund von fast


70 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

200.000 Kirchenmitgliedern geführt.<br />

Die jährliche Verlustquote lag im Durch -<br />

schnitt etwa bei 14.000. Für 2004 gab<br />

der Bischof noch gut 1.740.000 Katho -<br />

liken an, zum Jahresende 2009 nennt<br />

die Statistik rund 100.000 weniger, genau<br />

sind es 1.643.265 Katholiken;<br />

demnach hat sich die Verlustrate noch<br />

einmal gesteigert.<br />

Angesichts dieser Entwicklung, mit<br />

der auch ein dramatischer Rückgang der<br />

Kirchensteuereinkünfte verbunden ist,<br />

stellt sich die weitere Unter haltung der<br />

vorhandenen Kirchen in Frage,<br />

wenngleich eine aktuelle Be-<br />

standsaufnahme von Rainer<br />

Fisch zu dem Ergebnis kommt,<br />

dass „fehlende Gottesdienst teil -<br />

nehmer der Grund für redundante<br />

Kirchengebäude sind, nicht<br />

sinkende Steuereinnahmen“. Er<br />

resümiert: „Es handelt sich hierbei<br />

also nicht um ein wirtschaftliches,<br />

sondern um ein theologisches<br />

Pro blem.“ Die Zahl der<br />

Got tesdienst besucher am Sonntag<br />

halbierte sich in den genannten 20<br />

Jahren im Erzbistum Paderborn von<br />

540.000 auf 278.000. Deutschlandweit<br />

nehmen nur vier Pro zent der evangelischen<br />

Christen am Sonntagsgottesdienst<br />

teil, auf katholischer Seite etwa<br />

13 Prozent. Auch der Rückgang der<br />

Taufen und Trauungen belegt, dass sich<br />

die Kirchenbindung gelockert hat.<br />

Im gleichen Zeitraum haben die Kirchenaustritte<br />

deutlich zugenommen.<br />

1970 lag die Zahl in allen deutschen Bistümern<br />

bei rund 70.000 pro Jahr. Die<br />

Zahl steigerte sich 2006 auf 84.389; im<br />

folgenden Jahr auf 93.667 und 2008<br />

sogar auf 121.155 Austritte. Die An -<br />

gaben für 2009 liegen (im März 2010)<br />

noch nicht vor. Im laufenden Jahr könnte<br />

sie eine weitere Zunahme erfahren infolge<br />

der sexuellen Missbrauchs skan -<br />

dale, die Katholiken einen letzten Anstoß<br />

geben, sich endgültig von der Kirche<br />

zu trennen.<br />

Dramatischer als diese Zahlen – weil<br />

in Reichweite und Bedeutung tiefer greifend<br />

– ist die hinter allem stehende Glaubenskrise,<br />

welche weit über die katholische<br />

Kirche hinausgreift und fragen<br />

lässt, ob die Menschen von der gängigen<br />

Begrifflichkeit der Bekenntnisformeln<br />

überhaupt noch existentiell berührt wer-<br />

den. Beispielsweise stößt im Aposto -<br />

lischen Glaubensbe kennt nis nahezu jeder<br />

tragende Begriff (wie der „allmächtige<br />

Vater“; der „eingeborene Sohn …<br />

geboren von Maria der Jung frau“; „auferstanden<br />

von den Toten“; „aufgefahren<br />

in den Himmel“; „von dannen kommen<br />

wird zu richten …“ ) auf Unverständnis,<br />

so dass Satz für Satz theologiegeschichtliche<br />

Kommentare nachzuliefern wä ren,<br />

wollte man verständlich machen, was<br />

gemeint ist und was nicht. Das Verfalls -<br />

datum der traditionellen Glaubensdar -<br />

Ein Freund aus katholischen Zeiten erzählte mir<br />

neulich bei einem Bier, dass er ausgetreten sei aus<br />

der Kirche. Er sagte es in einem Nebensatz und mit<br />

der gleichen Beiläufigkeit, mit der man von Tren -<br />

nungen entfernter Bekannter berichtet. Kurz überlegte<br />

ich, ob ich eine Diskussion über die Kirche beginnen<br />

sollte, besann mich jedoch, bestellte ein<br />

Bier, und wir redeten über etwas anderes.<br />

Matias Stolz in ZEIT-MAGAZIN, 12/2009<br />

stellung ist überschritten, doch entzieht<br />

sich dieser Vorgang dem innerkirchlichen<br />

Bewusstsein immer noch. Hier<br />

„verkündet“ man weiterhin in tradierter<br />

Katechismussprache wonach die Men -<br />

schen nicht fragen, und die For -<br />

melhaftigkeit der Sprache lässt schon<br />

lange nicht mehr hinhören. Darum bereitet<br />

es vor allem der jüngeren Gene -<br />

ration auch keine Schwierigkeiten, einen<br />

solchen Glauben zu relativieren<br />

oder aufzugeben. Soziologen sehen den<br />

Kirchen austritt bereits in die Breite der<br />

Be völkerung hineingewachsen. Das<br />

mag für eine Weile noch am katholischen<br />

Sauerland vorbeigehen, doch<br />

selbst wenn sich die auch hier stattfindende<br />

Entkirchlichung vorläufig nicht in<br />

Aus trittszahlen niederschlägt, die innere<br />

Aushöhlung des christlichen Glaubens<br />

ist weit fortgeschritten.<br />

Eine solch verheerende Situation<br />

würde, wenn es sich um Wirtschafts -<br />

unter nehmen handelte, alle Alarm -<br />

glocken schrillen lassen. Sofort, wirklich<br />

sofort würde eine Situationsanalyse betrieben<br />

und ein Kurswechsel eingeleitet.<br />

Die Kirche hingegen blockiert sich selbst<br />

in einen verstrickenden Reformstau,<br />

den die übliche Glaubensrhetorik überdeckt.<br />

Was sich heute bewegt, ist kaum<br />

Eigendynamik sondern von außen erzwungene<br />

Reaktion: Der nicht mehr zu<br />

ignorierende Priestermangel wird mit<br />

Strukturreformen beantwortet, das<br />

heißt vorrangig mit Verwaltungsakten,<br />

die das kirchliche Terrain neu gliedern<br />

und den verbleibenden Priesterzahlen<br />

anpassen.<br />

Ein paar Beispiele: Von den 752<br />

Pfarrgemeinden des Erzbistums Mün -<br />

chen sollen nur noch 47 und nicht mehr,<br />

wie ursprünglich geplant, 200 selbständig<br />

bleiben. Alle übrigen Pfarreien werden<br />

zu Pfarrverbänden zusam-<br />

mengeschlossen. – Im Erzbistum<br />

Köln sollen bis Ende dieses Jahres<br />

aus den bisher 600 Pfarreien<br />

182 Seel sorgsbereiche werden.<br />

Dabei handelt es sich um 109 bereits<br />

bestehende Pfarreiengemein<br />

schaf ten, in denen die einzelnen<br />

Ge meinden großteils<br />

selbständig bleiben; in 73 Fäl len<br />

aber fusionieren mehrerer Pfar -<br />

reien zu einer Groß pfarrei. – Mit<br />

einem besonders hohen Anteil religiös<br />

distanzierter Be völ kerung verfolgt<br />

auch das Bistum Berl in diesen Weg:<br />

Statt gut 200 Gemeinden im Jahr<br />

2004, verblieben nur noch die Hälfte.<br />

Dabei sind in vielen Berliner Gemeinden<br />

ausländische Seel sorger eingesetzt,<br />

durchaus problematisch. Außerdem<br />

kommen zunehmend mehr Priester aus<br />

dem traditionalistisch ausgerichteten<br />

Neokatechumenat, das seinen Nach -<br />

wuchs in einem eigenen Seminar ausbildet.<br />

Hier dürfte die Schere zwischen<br />

konservativem Nach wuchs und herrschender<br />

Mentalität besonders weit auseinander<br />

gehen.<br />

Die vermeintlichen Lösungen kleinerer<br />

Bistümer fallen nicht viel anders aus.<br />

Das Bistum Essen hat seine ursprünglich<br />

259 Pfarreien zu 43 Großgemeinden<br />

zusammengelegt, jeweils etwa 24.000<br />

Mit glieder pro Großgemeinde. Nun<br />

meint das Bistum, fast ein Drittel seiner<br />

Kir chenbauten nicht mehr zu benötigen.<br />

Die sichtbare Hälfte der eigenen Ge -<br />

schichte wird also abgestoßen. Überwiegend<br />

handelt es sich um Kirchen von<br />

hervorragendem Erhaltungszustand, die<br />

auch für Liturgie und Gottesdienst heute<br />

in höherem Maße geeignet sind als<br />

die meisten älteren Kirchen. In Gelsen -<br />

kirchen-Buer entstand die größte Pfarrei


SAUERLAND NR. 2/2010 71<br />

Deutschlands – wie die Zeitschrift<br />

„Christ in der Ge gen wart“ meldet. Mit<br />

über 40.000 Ka tho liken zählt sie mehr<br />

Mitglieder als das Bistum Görlitz hat. In<br />

Erfurt hinwieder rechnet man damit,<br />

dass von den heute 112 aktiven Geist -<br />

lichen in zehn Jahren nur noch 32 übrig<br />

bleiben, die dann jünger als sechzig Jahre<br />

sind. Bis 2020 soll es hier statt derzeit<br />

72 nur noch 32 Pfar reien geben. Im Bistum<br />

Limburg schließlich hat der junge<br />

Bischof gegen heftigen Wider stand der<br />

Basis sogar den endgültige Abschied<br />

von der Pfarrgemeinde eingeleitet. „Die<br />

volkskirchlichen Struk turen sind definitiv<br />

an ihr Ende gekommen, da gibt es kein<br />

Zurück mehr“, heißt es.<br />

Mehr als Strukturen?<br />

Die Deutsche Bischofskonferenz hat<br />

2007 eine zusammenfassende Übersicht<br />

über Pastoralplanungen der deutschen<br />

Bistümer unter dem Titel „Mehr<br />

als Strukturen“ vorgelegt. Die Schrift<br />

zeigt, dass der Prozess der pastoralen<br />

Neu ordnungen in den Diözesen nicht<br />

zeitgleich verläuft und die neuen Seel -<br />

sorgeinheiten unterschiedlich benannt<br />

werden. Es gibt bereits Diözesen, in denen<br />

die bisherigen Pfarreien juristisch<br />

aufgelöst werden, auch wenn sie unter<br />

dem Titel „Gemeinde“ weiterhin mit<br />

ihrem Patronatsnamen benannt bleiben.<br />

Wie zu vernehmen ist, wird auch im<br />

Erzbistum Paderborn darüber nachgedacht,<br />

welche Pfarreien juristisch aufgegeben<br />

werden, welche im Status einer<br />

„Pfarrvikarie“ in einem neuen Verbund<br />

geführt werden oder ob gar die neuen<br />

Großgebilde zukünftig eine juristische<br />

Einheit darstellen sollen unter Aufgabe<br />

der Rechtsgestalt der bisherigen Pfar -<br />

reien. Inwieweit reflektiert wird, ob der<br />

bisherige Rechtsstatus nach einer „juristischen<br />

Sekunde“ voll in die neue Kon -<br />

struktion überführt werden kann, entzieht<br />

sich von außen der Einsicht.<br />

Die diözesanen Umstrukturierungs -<br />

maß nahmen laufen in ihrer Summe darauf<br />

hinaus, dass die Pfarreien nach Maßgabe<br />

der verbleibenden Priester zusammengelegt<br />

werden: zu Pfarrver bünden,<br />

Pfarrverbänden, Pfarrgemein schaften,<br />

Seelsorgeeinheiten, Kirchen gemeindeverbänden<br />

oder einem pastoralem<br />

Raum. Einerlei wie die Benen nungen<br />

lauten, in der Sache geht es weitgehend<br />

um Ähnliches. Mit jeder neuen Ver-<br />

größerung des Gefüges aber verbindet<br />

sich Schönrederei: die Kirche werde<br />

nun der Zeit besser gerecht, heißt es; ihre<br />

missionarische Sendung werde deutlicher;<br />

den heutigen Kommunikations -<br />

formen entspreche die größere Raum -<br />

einheit mit ihren Möglichkeiten bei weitem<br />

mehr usw.<br />

Auch das Erzbistum Paderborn hat<br />

seine bisherige Struktur der Pasto -<br />

ralverbünde fortgeschrieben und das Resultat<br />

mit Beginn des Jahres 2010 vorgestellt:<br />

Die bisherigen 213 Pasto -<br />

ralverbünde wurden in einem „zweiten<br />

Zirkumskriptionsgesetz“ auf ca. einhundert<br />

reduziert, „um Planungs- und Struktursicherheit<br />

für den Zeitraum bis 2030<br />

gewährleisten zu können“ und „die Zukunftsfähigkeit<br />

des Erzbistums in der<br />

heutigen Gesellschaft zu stärken“.<br />

Im Bereich des <strong>Sauerländer</strong> Hei -<br />

matbundes stellen sich die Verän de -<br />

rungen folgendermaßen dar: Die bislang<br />

131 Pfarreien der drei Dekanate des<br />

Hochsauerlandkreises sind bisher zu 30<br />

Pastoralverbünden zusammengeschlossen.<br />

In den kommenden Jahren werden<br />

diese auf nur zehn Pastoralverbünde und<br />

zwei Großpfarreien reduziert.<br />

Das neue Dekanat Olpe deckt sich unter<br />

dem Namen „Dekanat Südsauerland“<br />

mit dem Gebiet des Kreises Olpe. Es umfasst<br />

statt bisher 14 Pastoralverbünde<br />

zukünftig nur noch sieben, deckungsgleich<br />

mit den sieben Kommunen des<br />

Kreises, wobei gegen Ende des Pla -<br />

nungszeitraums Drolshagen zu Olpe geschlagen<br />

werden soll, sodass nur sechs<br />

Die Krisen räumen auf; zunächst<br />

mit einer Menge von Lebens formen,<br />

aus welchen das Leben längst entwichen<br />

war und welche sonst mit<br />

ihrem historischen Recht nicht aus<br />

der Welt wären wegzubringen gewesen.<br />

Jakob Burckhardt,<br />

Kulturhistoriker (1818–1897)<br />

Pastoralverbünde bleiben. Doch angesichts<br />

der Großräume im HSK oder im<br />

Ruhrgebiet sagt der Olper Dechant Fried -<br />

helm Rüsche: „Wir sind im Kreis Olpe in<br />

der glücklichen Lage, noch recht niedliche<br />

pastorale Räume zu kriegen, verglichen<br />

mit anderen Teilen in unserem Bistum.“<br />

Die neue Einteilung gilt nur für die<br />

nächsten zwanzig Jahre, um wenigstens<br />

für diesen Zeitraum, wie man sagt, die<br />

Arbeitsbedingungen zu sichern. Über<br />

die Entwicklung der darauf folgenden<br />

ein bis zwei Jahrzehnte würden die statistisch<br />

vorliegenden Daten auch heute<br />

schon Prognosen gestatten. Sollte es in<br />

diesem Zeitraum bei der Immobilität<br />

Roms und der Bindung der Bischöfe an<br />

die bestehende Ordnung bleiben, ist mit<br />

einer weiteren Vergrößerung der Räume<br />

bei einem Restbestand überforderter<br />

Kle riker zu rechnen. Dann bleibt allerdings<br />

zu fragen, wer denn Auftrag und<br />

Kirche verrät?<br />

Kritiker und Schönredner<br />

Die geschilderten Neuregelungen<br />

wurden von rechtfertigenden Kom -<br />

mentaren begleitet, die kein angemessenes<br />

Problembewusstsein aufkommen<br />

lassen. Die meisten Kirchenleute bezeichneten<br />

in der <strong>Sauerländer</strong> Lokal -<br />

presse die neuen Raumplanungen als<br />

„unumgänglich“. Sie blieben mit ihren<br />

Vorstellungen, wie es weitergehen soll,<br />

absolut vage. Der Briloner Propst Dr.<br />

Richter machte „die Abnahme der Geburten<br />

und die Zahl der Gläubigen“ dafür<br />

verantwortlich, sah aber die anstehenden<br />

Veränderungen „auch als Chan ce“:<br />

Man solle auf frühere Zeiten zurückschauen<br />

und das Volksbrauchtum wieder<br />

intensivieren. Josef Mertens, Geschäfts -<br />

führer des Gemeindeverbands Katho -<br />

lischer Kirchengemeinden Hochsauer -<br />

land-Waldeck, sieht in der Schaffung der<br />

neuen Strukturen „ein großes Potential“:<br />

Die Dynamik, die durch das Aufein -<br />

anderzugehen der Gemeinden entstehe,<br />

könne am Ende durchaus positiv sein.<br />

Nur der Wendener Pastor Ludger Vornholz<br />

thematisierte die veränderte Situation<br />

des sogenannten Laien, dessen Wertschätzung<br />

und Förderung letzten Endes<br />

über die Zukunft lebendiger Gemeinden<br />

vor Ort entscheide.<br />

Im Blick auf die anstehenden Veränderungen<br />

hat jedoch Erzbischof Hans-<br />

Josef Becker am 21. November 2009 in<br />

Paderborn die Ausgangs situation ohne<br />

jede Schönfärberei beschrieben:<br />

„Der ‚Status quo’ unserer Pastoral<br />

führt uns nicht weiter und beantwortet<br />

die zentralen pastoralen Fragen<br />

und Herausforderungen nicht.


72 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Vom ‚Status quo’ her lässt sich<br />

nicht benennen, was zu tun oder zu<br />

lassen ist. Deutlicher formuliert: Es<br />

geht in den nächsten Jahren nicht darum,<br />

vom Bestehenden möglichst viel<br />

zu retten und zu bewahren. Schon die<br />

Themen und Anliegen … machen das<br />

deutlich. Alle von mir genannten<br />

Punkte deuten auf Kräfte ver -<br />

schiebungen in unserer Pastoral hin,<br />

die notwendig sind. Ich werbe in diesem<br />

Sinne für eine grundlegende Neu-<br />

Fokussierung unserer Blickrich tung.<br />

Die Einsichten der vergangenen<br />

Jahre zeigen mir: So gut wie alle Rah -<br />

menbedingungen des kirchlichen Le -<br />

bens stehen heute zur Disposition. Die<br />

Der moderne Mensch, der für sich<br />

zu Recht die Freiheit von obrigkeitlichem<br />

Reglement und die Aner -<br />

kennung seiner Mündigkeit in An -<br />

spruch nimmt, wird sich für ein Engagement<br />

in der Kirche, gleichgültig<br />

welcher Art, nur gewinnen lassen,<br />

wenn er in ihr auch seine Freiheit<br />

und Würde respektiert erfährt.<br />

Paul Hoffmann, Neutestamentler<br />

uns vertraute Sozialgestalt der Kirche<br />

schmilzt unter dem Einfluss der gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen in einem<br />

atemberaubenden Tempo zusammen.<br />

Und damit vieles, woran die Herzen<br />

vieler Menschen hängen.<br />

• Das wirkt sich insbesondere bei<br />

der Glaubenssituation und der Weiter -<br />

gabe des Glaubens an die junge Generation<br />

aus, die als prekär bezeichnet<br />

werden muss. Hier herrscht auf allen<br />

Ebenen – auch bei den Prie stern, Gemeindereferent/innen<br />

und Religionslehrern<br />

– große Betroffenheit und Ratlosigkeit.<br />

• In dieser Situation verwundert es<br />

nicht, dass viele Haupt- wie Ehren -<br />

amtliche an einem häufig empfundenen<br />

Missverhältnis von Aufwand und<br />

Ertrag ihrer pastoralen Bemühungen<br />

leiden. Da wächst manche Traurigkeit<br />

bis hin zur Resignation. Viele nehmen<br />

sich als erschöpft wahr. Und es entstehen<br />

auch Fragen nach dem Sinn all<br />

dessen, was wir tun.<br />

• Wir sollten ohne Beschönigung<br />

anerkennen: Unsere bisherigen Mittel<br />

und Wege, insbesondere im Bereich<br />

der Pfarrgemeinden, reichen ganz offensichtlich<br />

nicht aus, um den Glauben<br />

an den Gott Jesu Christi bezeugen<br />

und an andere Menschen – junge wie<br />

ältere – vermitteln zu können. Mittlerweile<br />

lebt ja die dritte (!) Generation<br />

von getauften Katholiken, von denen<br />

wir sagen müssen, dass sie in der<br />

großen Mehrheit „nicht praktizierende<br />

Christen“ sind.<br />

• Bis weit hinein in unsere Kernge -<br />

meinden, aber auch bei kirchlichen<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ja<br />

auch beim pastoralen Personal, ist<br />

Verunsicherung spürbar im Blick auf<br />

den Glauben an Gott selbst. Wie weit<br />

und wie lange wird er tragen, so fragen<br />

sich manche. Und: Geht Gott<br />

überhaupt noch mit uns?<br />

• Im Nachdenken über all diese<br />

Ent wicklun gen ist bei mir in den vergangenen<br />

Jahren immer mehr die Ge -<br />

wissheit gewachsen: Trotz aller Angst<br />

vor den Unsicherheiten und Ausein -<br />

andersetzungen, die große Verände -<br />

rungen im gewohnten kirchlichen Leben<br />

mit sich bringen, dürfen wir jetzt<br />

nicht einfach so weitermachen wie bisher.<br />

Wir würden unserer Verant -<br />

wortung vor Gott und voreinander<br />

nicht gerecht. Letztlich würden wir<br />

uns selbst auf die Dauer bedeutungslos<br />

machen.“<br />

Das sind erfreulich realistische Worte,<br />

die freilich noch nicht im Rahmen eigener<br />

Handlungsmöglichkeiten erkennen<br />

Auch das kirchliche Leitungsamt<br />

bleibt auf die pneuma ti schen Be -<br />

gabungen aller angewiesen; insofern<br />

ist es der Gemeindebasis eingebunden<br />

und darf sich nicht über<br />

die Gemeinde stellen.<br />

Paul Hoffmann, Neutestamentler<br />

lassen, wie dieser Situation zu begegnen<br />

ist. Immerhin war die Empfehlung des<br />

Erzbischofs neu, es tue mit Sicherheit<br />

gut, „einen regelmäßigen Gesprächs -<br />

partner im außerkirchlichen Umfeld zu<br />

haben … Dadurch kann sich mancher<br />

Blickwinkel weiten und unser geistliches<br />

Tun wertvolle Anregungen erhalten.“<br />

Man sollte allerdings eher unbequeme<br />

als genehme Gesprächspartner suchen,<br />

sonst bleibt man gleich im eigenen System.<br />

Insgesamt mangelt es – soweit sich<br />

die deutschen Bistümer überschauen<br />

lassen – am entschiedenen Willen, der<br />

Phantasie und Gestaltungsvermögen<br />

einschließt, aus dem eklatanten Mangel<br />

gewissermaßen durch einen „System -<br />

bruch“ herauszukommen.


SAUERLAND NR. 2/2010 73<br />

Um das zu leisten, dürfen die Folgen<br />

der pastoralen Megaräume nicht schön<br />

geredet werden. Hinter den Neuordnun -<br />

gen ist zunächst nichts anderes als der pure<br />

Mangel zu erkennen. Schwerlich verbindet<br />

sich mit den sukzessiven Erweiterungen<br />

eine „große Chance“ oder ein<br />

„großes Potential“ als eine weitere Erosion<br />

des religiösen Lebens, vor allem dann,<br />

wenn man weiterhin betont, die<br />

zur Mitarbeit in den Gemeinden<br />

bereiten Laien, könnten die „geistig-spirituellen<br />

Lücken nicht<br />

schließen, die durch fehlende<br />

Priester entstehen“. Laienthe -<br />

ologen bei theologisch gleichwertiger<br />

Ausbildung die Leitung<br />

einer Gemeinde zu übertragen,<br />

stünde „im Wi der spruch zur der<br />

im Konzil gelehrten sakramentalen<br />

Grund struk tur der Kirche<br />

und ihres Am tes“, so etwa der Jesuit<br />

Medard Kehl in „Stimmen der Zeit“<br />

(5/2007), dessen Mei nung zugleich die<br />

der Amts kirche darstellt. Gewiss kann<br />

man so argumentieren und das gesamte<br />

Kirchen verständnis auf die Eucharistie<br />

hin fokussieren. Man kann diese Sicht<br />

aber auch als eine Engführung von Kirche<br />

ansehen, die Traditionalisten entgegen<br />

kommt und de facto eine verschärfte<br />

Klerikalisierung rechtfertigt, wie sie letztlich<br />

der Neueinteilung der pastoralen<br />

Räume auch zugrunde liegt.<br />

Insgesamt geht der Ansatz beim Pfar -<br />

rer als Ausgangspunkt jeder Ge mein -<br />

derealität ins Leere. Der Olper Dechant<br />

Friedhelm Rüsche antwortete auf die<br />

Frage, ob Pfarrer bei der erheblichen<br />

Vergrößerung der Pastoralbezirke nicht<br />

zu „Kirchen-Managern“ verkommen:<br />

„Ich bin 1995 nach Neuen kleus heim gekommen<br />

als Pastor von drei kleinen<br />

Die Grundgefahr religiöser Systeme ist, dass sie<br />

sich selber nicht endlich denken können. Sie sind<br />

immer in der Gefahr, sich Gottesprädikate zuzulegen…<br />

Der Zwang zur Einstimmigkeit lässt sie nur<br />

schwer Fremdheiten denken und dulden. … Sich für<br />

einzigartig zu halten, heißt immer, bereit sein zum<br />

Eliminieren. Die Aner kennung von Pluralität ist die<br />

Grund bedingung menschlicher Existenz<br />

Fulbert Steffensky, Theologe<br />

Dörfern und war im wesentlichen Pastor.<br />

Ich kannte alle Leute, ich bin in fast<br />

allen Häusern gewesen, ich habe an fast<br />

allen familiären Festen teilgenommen.<br />

Das geht schon seit zehn Jahren nicht<br />

mehr. Die Priester müssen sich in ihren<br />

Tätigkeiten und Verant wortlich keiten<br />

ändern … Mitarbeiter führung wird zu einer<br />

größeren Herausforderung im Gegensatz<br />

zu früheren Jahren, wo man<br />

noch alles selbst machen konnte.“ Dabei<br />

schließt er nicht aus, dass die Ent -<br />

wicklung eine rastlose Priestergestalt<br />

fördern könne, die mit Handy und<br />

Laptop durch die Gegend fährt.<br />

Zukünftig werden die Gemeinde -<br />

mitglieder Mühe haben, ihre Pfarrer<br />

überhaupt noch kennenzulernen. Und<br />

kaum ein Pastor wird leisten können,<br />

was man von ihm erwartet. Während<br />

das Kirchenrecht ihn mit rechtlicher<br />

Allzu ständigkeit ausstattet, die Laien<br />

hingegen nur als rechtlose Hel-<br />

fer kennt, blockiert dieses juristische<br />

Ungleich gewicht die stets<br />

wichtiger werdenden Laieninitiativen.<br />

Man sollte aber auch sehen,<br />

dass der junge Klerus von einem<br />

anderen geistigen Zuschnitt ist, als<br />

die abgehenden Jahrgänge: das<br />

Bega bungs profil hat sich verändert;<br />

es besteht eine erstaunliche<br />

Neigung zu Konser vati vismus, die<br />

den Er wartungen der Gemeinden<br />

wenig entspricht und das Gemeindemilieu<br />

verengt. Dass heißt, die Schere zwischen<br />

dem nachwachsenden Klerus und<br />

der Gesellschaft geht weiter auseinander.<br />

Eine missionarische Kirche sieht anders<br />

aus.<br />

Will man dennoch bei der Ansicht<br />

bleiben, Kirche sei nur als Kleri kerkirche<br />

denkbar, was sich theologisch damit<br />

rechtfertigt, sie existiere nur, wo Eucha -<br />

ristie gefeiert werde, so dass man allen<br />

Gläubigen den (illusorischen) sonntäglichen<br />

Aufbruch in wechselnde Mess -<br />

kirchen verordnen möchte, dann lässt<br />

sich voraussagen, dass damit der Weg zu<br />

wachsender Kirchenferne beschleunigt<br />

wird. „Kir chen-Zapping“ nennt dies der<br />

Kölner Pfarrer Johannes Krautkrämer.<br />

In Wiesbaden argumentierte ein Pasto -<br />

ralausschuss, „dass die spirituellen und<br />

sozialen Bezüge in der Heimat pfarrei<br />

verortet sind“. Dieser Bezug könne<br />

nicht durch größere Räume transportiert<br />

werden; er berge die Gefahr zunehmender<br />

Anonymität. Und der „Bezirks -<br />

synodalrat Limburg“ schloss sich mit<br />

der Kritik an, „eine Konzentration der<br />

Amtskirche allein auf die geweihten<br />

Amtsträger (sei) nicht zukunftsträchtig“.<br />

Schon 2002 hatte der Münsteraner<br />

Theologieprofessor Jürgen Werbick<br />

pointiert: „Wo die Kirche vor Ort nicht<br />

mehr angetroffen wird, da verliert sie ihre<br />

Sichtbarkeit und Greifbarkeit, da wird<br />

sie zur bloßen Behauptung.“ Man kann


74 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

auch knapp und bündig resümieren:<br />

Wenn die Leute die Kirche am Ort nicht<br />

mehr vorfinden, bleiben sie weg.<br />

Umdenken und neu anfangen<br />

Nachfolgend soll – um von der Analyse<br />

und Kritik zu einer möglichen<br />

Lösung zu kommen – die Erfah-<br />

rung im französischen Bistums<br />

Poitiers vorgestellt werden. Hier<br />

wird auf das Potential der Laien<br />

gesetzt, auf ihre Ideen und Möglichkeiten,<br />

miteinander Kirche<br />

entwickeln zu können. Nicht der<br />

Priester mangel liefert die Begründung<br />

für den neuen Weg,<br />

sondern der Wille, Ge meinden<br />

auf der Grundlage der Initia -<br />

tionssakramente, Taufe und Firmung,<br />

zu entwickeln. Das ist die für<br />

alles Folgende nie zu übersehende Grundent<br />

schei dung.<br />

Der Erzbischof von Poitiers, Albert<br />

Rouet, beschreibt die Ausgangsposition<br />

so: „Hier wie überall haben Menschen<br />

ihre Kräfte verbraucht, um Priestern zu<br />

helfen und zu Diensten zu sein. Ihre ausdauernde<br />

und treue Beharr lichkeit hat<br />

niemandem Mut gemacht, ihre Aufgabe<br />

zu übernehmen. Einen solchen Dienst<br />

mag man bewundern, aber er bringt keine<br />

Freiheit in der Kirche hervor.“<br />

Man bezieht sich in Poitiers auf ein<br />

Apostolisches Schreiben von Johannes<br />

Paul VI., das beim regulären Kirchen -<br />

mitglied ansetzt: „Es ist notwendig, dass<br />

die Kirche des dritten Jahrtausends alle<br />

Getauften und Gefirmten dazu anspornt,<br />

sich ihrer aktiven Verantwortung<br />

im kirchlichen Leben bewusst zu<br />

werden. Neben dem Weiheamt können<br />

zum Wohl der ganzen Gemeinschaft andere<br />

Dienstämter blühen, die durch Einset<br />

zung oder einfach durch Anerkennung<br />

übertragen werden. Diese Dienstämter<br />

unterstützen die ganze Gemeinde<br />

in ihren vielfältigen Bedürfnissen –<br />

von der Katechese bis zur Gestaltung<br />

des Gottes dienstes, von der Erziehung<br />

von Kindern und Jugendlichen bis hin zu<br />

den verschiedensten Formen der Näch sten<br />

liebe.“ Aus diesem Ansatz der grundlegenden<br />

Gleichheit aller an Christus<br />

Glaubenden, ob Kleriker oder Laie,<br />

will die Diözese Poitiers „jenem unfruchtbaren<br />

Gegenüber von Priestern<br />

und Laien“ entkommen, das sich in Be-<br />

griffen von „erlaubt“ und „verboten“ erschöpft.<br />

Das Wort „Laie“ liebt man<br />

nicht; man spricht vom „Volk Gottes“,<br />

in dem alle Christen gleiche Rechte und<br />

Pflichten haben. Eine Differenzierung in<br />

Ämtern kommt erst danach. Es gilt eine<br />

Schon zum vierten Mal fasst Rom Beschlüsse ohne<br />

mich. Mit einer solchen Institution kann ich unmöglich<br />

in Frieden leben. Ich lege meine Demission<br />

vor … In Sachen des Glaubens gehorche ich Rom,<br />

aber in Sachen Pastoral bin ich Bischof, ich setzte<br />

mich aufs Pferd und leite die Schlacht. Wenn der<br />

König eine Schlacht von seinem Palast aus leiten<br />

wollte, wäre sie zum voraus verloren …<br />

P. Walbert Bühlmann, OFMCap<br />

Denkweise der Komplexität: als Komplexität<br />

der Dienstämter, unter denen<br />

die Gestalt des Priesters weder die alleinige<br />

noch die beherrschende ist.<br />

Für Erzbischof Rouet ist der Zuschnitt<br />

der ausschließlich vom Pfarrer<br />

abhängigen Pfarrgemeinde überholt.<br />

„Bei der Pfarrei ging es seit Jahrhunderten<br />

um Macht: Die Priester bestimmten<br />

alles. Jetzt sind sie noch mehr überlastet.<br />

Ständig müssen sie Messen feiern.<br />

Eine grundlegende Erneuerung ist so<br />

nicht möglich.“ An die Stelle eines Priesters,<br />

der für reibungslose Abläufe sorgt,<br />

wie dies Behörden von kompetenten<br />

Be amten erwarten, treten christliche<br />

Frau en und Männer, die eine Gemeinde<br />

begleiten können, die etwas von ihr fordern,<br />

sie hellhörig machen für die Ansprüche<br />

des Evangeliums und die jedem<br />

ermöglichen, eigene Verant wor -<br />

tung wahrzunehmen. Der Prie-<br />

ster ist nicht vorrangig Spezialist<br />

für Kultus und Sakramente, sondern<br />

Seelsorger und Theologe.<br />

Er kümmert sich um die Fortbildung<br />

der örtlichen Basisge mein -<br />

den, er unterstützt spirituell und<br />

auch organisatorisch die Vernetzung<br />

der Orts gemeinden mit<br />

dem Bistum. Priester sollen „im<br />

Zeichen der Wander schaft“ leben,<br />

wie schon die Apostel von<br />

Gemeinde zu Gemeinde zogen, um<br />

zu stärken und bisweilen auch, die ein<br />

oder andere Haltung zurechtzurücken.<br />

Erzbischof Rouet fragt: „Warum sollte<br />

es bei einer kirchlichen Funktionsweise<br />

bleiben, die unmöglich aufrechtzuerhalten<br />

ist? Trotz aller Mahnungen und<br />

Not fallmaßnahmen gelangt das Modell<br />

Pfarrei an die Grenzen seiner Möglich -<br />

keiten. Wenn man befürchtet, dass die<br />

Laien nicht zum pastoralen Handeln<br />

fähig sind, warum firmt man sie dann?<br />

Sollten sie Un mündige in der Kirche<br />

bleiben?“


SAUERLAND NR. 2/2010 75<br />

Das Modell Pfarrge mein de wird also<br />

aufgegeben, d.h. die Gemeinde definiert<br />

sich nicht mehr vom Pfarrer her. Der Bischof<br />

beruft sich deshalb auch nicht auf<br />

den meist beanspruchten Ka non 517<br />

§ 2 des kirchlichen Gesetz buches, nach<br />

dem Laien an der Verantwortung für die<br />

Pastoral beteiligt werden können. „Diese<br />

Erlaubnis führt in eine Sackgasse … Um<br />

die Strukturen von gestern beizubehalten,<br />

ist man zu allen Tricks bereit.“ Dabei<br />

ist es keine Frage, dass in Frankreich die<br />

Klerikerkirche vor dem Aus steht: Im Bistum<br />

Belfort wird es im Jahr 2017 noch<br />

sieben Priester unter 65 Jahren geben,<br />

im Bistum Verdun werden es noch neun<br />

sein, in Le Havre fünfzehn.<br />

Um eine örtliche Gemeinde zu bilden,<br />

sind im Poitou fünf Verantwortliche Bedingung.<br />

Die Gemeinde wird also von<br />

Personen, nicht von Kirchtürmen bestimmt.<br />

Der Bischof besteht darauf, dass<br />

die leitende Equipe für nur drei Jahre gewählt<br />

wird, wobei niemand länger als<br />

sechs Jahre im Amt bleiben soll, damit<br />

die Gemeinde lebendig bleibt und sich<br />

aus neuen Menschen, vielleicht bisher<br />

Abständigen und Kirchenfremden, immerzu<br />

erneuert. „Wenn man einen Po sten<br />

zu sehr personalisiert, verwehrt man<br />

Leuten mit anderem Profil den Zu gang.“<br />

Zur Aufgabe der Equipe gehört die<br />

Verantwortung für den Gottesdienst, für<br />

Alte, Kranke und Hilfsbedürftige; auch<br />

ist ihr die Katechese für Kinder, Jugendliche<br />

und Erwachsene aufgetragen;<br />

ebenso die Gestaltung von Begräb -<br />

nisfeiern … Keineswegs sollen jedoch<br />

die hierfür Verantwortlichen das alles<br />

selbst tun; sie können andere Menschen,<br />

die dazu geeignet sind, dafür suchen.<br />

Flexibilität ist geboten, damit jene,<br />

die Familie und Beruf haben, sich nicht<br />

erschöpfen. Da selbst kleine Dörfer,<br />

wenn sie wollen, sich für eine örtliche<br />

Ge meinde entscheiden können, wird<br />

kein vorhandener Kirchbau verlangt.<br />

Für den Anfang mag schon ein einziger<br />

Ver sammlungsraum genügen. Die Fest -<br />

legung des Gebiets einer Gemeinde erfolgt<br />

nicht auf dem Verwaltungsweg,<br />

sondern soll sich aus der Geschichte der<br />

betroffenen Bevölkerung ergeben. So<br />

umfasst die kleinste örtliche Gemeinde<br />

im Bistum ein Dorf von 163 Einwoh -<br />

nern „und erweist sich als sehr lebendig.<br />

Zur größten gehören acht Kommunen<br />

mit nahezu 4.000 Einwohnern – dort<br />

haben die Leute darauf bestanden, zusammen<br />

zu bleiben.“ Freilich, wenn es<br />

in einem Dorf an Miteinander fehlt,<br />

„wird es schier unmöglich, eine Gemeinde<br />

zu errichten“.<br />

Die örtlichen Gemeinden im Bistum<br />

Poitiers unterscheiden sich von den bisherigen<br />

Pfarrgemeinden primär dadurch,<br />

dass Laien nicht mehr Helfer des<br />

Pfarrers sind, sondern eigene Verant -<br />

wortung übernehmen. „Selbst wenn wir<br />

viele Priester hätten, wäre es normal,<br />

diese Gemeinden zu konstituieren, und<br />

zwar aufgrund der Sakramente der Initiation.“<br />

Der Priester ist nicht die zentrale<br />

Bezugsperson; er kümmert sich<br />

nicht mehr um alle Details, weiß nicht<br />

mehr alles, dirigiert nicht. Er gewinnt<br />

Ruhe. „Ist er überlastet, dann meist deshalb,<br />

weil er noch zu sehr am Ideal eines<br />

prall gefüllten Terminkalenders hängt.<br />

Nun findet er Zeit, um zu beten, zu lesen,<br />

sich weiter zu bilden, die Bewegungen<br />

und Verbände zu begleiten und<br />

Nicht christen kennenzulernen … Wenn<br />

man den Laien Aufgaben überträgt,<br />

muss man eine andere Struktur finden.“<br />

Um es noch mal zu sagen und für die<br />

eigene Planung grundlegend zu bedenken:<br />

Die neuen Gemeinden werden<br />

nicht gebildet, um fehlende Priester zu<br />

ersetzen, sondern um alle in die Ver -<br />

antwortung einzubinden. Die ermutigenden<br />

Erfahrungen, die in Poitiers gewonnen<br />

wurden, lassen sich hier nicht<br />

im Detail darstellen. Einen Bericht darüber<br />

legten Reinhard Feiter und Hadwig<br />

Müller 2009 unter dem Titel „Was wird<br />

jetzt aus uns, Herr Bischof?“ im Schwa -<br />

benverlag vor.<br />

Fragt man nach dem Echo dieser Innovationen<br />

äußert sich viel Zustim mung:<br />

„Das diözesane Projekt der örtlichen<br />

Gemeinden hat eine ungeahnte Vitalität<br />

unter den Christen mobilisiert; offensichtlich<br />

entsprach es ihren noch unklaren<br />

Erwartungen.“ Oder: „Man muss<br />

nicht mehr auf bessere Zeiten warten,<br />

sondern man kann das christliche Leben<br />

an einem bestimmten Ort selbst in die<br />

Hand nehmen. Nun geht es nicht mehr<br />

darum, dem Priester zu helfen, auf dessen<br />

Schultern bisher alles ruhte, sondern<br />

es geht darum, im Glauben selbst<br />

erwachsen zu werden … Der Priester<br />

steht nicht mehr im Zentrum dessen was<br />

möglich ist, sondern der Gemeinde gegenüber<br />

als derjenige, der bestärkt (zuweilen<br />

auch tröstet) und unterstützt, der<br />

Grundlagen schafft und bei der Unter -<br />

scheidung der Geister hilft, der ruft oder<br />

auch begleitet.“ In jeder örtlichen Ge -<br />

meinde wird jeden Sonntag Gottes -<br />

dienst gefeiert. Die Dorfkirche bleibt<br />

nicht geschlossen mit dem Hinweis, die<br />

nächste Heilige Messe finde zehn Kilometer<br />

entfernt statt. Die Kirchen -<br />

gemeinde bleibt vor Ort.


76 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Wenn der Priester für diese örtliche Gemeinden<br />

nur noch bedingt verfügbar ist,<br />

kommt es natürlich zu Entschei dungen,<br />

die den stets als unverzichtbar gesetzten<br />

deutschen Ausgangsbedi gun gen entgegenstehen:<br />

„Wir haben in der Basisequipe<br />

[dem örtlichen Gemein deteam] lange diskutiert<br />

und kamen zu dem Ergebnis, dass<br />

wir mit unseren sonntäglichen Versammlungen<br />

zum Gebet ein sichtbares Zeichen<br />

für unsere Gemeinden darstellten … Manche<br />

wären sicher lieber zur Eucharistiefeier<br />

in den Nachbarort gefahren. Wir hatten<br />

uns aber tatsächlich dazu entschlossen,<br />

am Ort zu bleiben, in unserer Gemeinde,<br />

in unserer Kirche, ob zu einer Eucha -<br />

ristiefeier oder zu einem Wortgot tes -<br />

dienst.“<br />

Bei solchen Entscheidungen bleibt es<br />

nicht aus, dass die alte Furcht vor Demokratie<br />

in der Kirche wieder aufkommt.<br />

„Sagen wir es in aller Klarheit, hier geht<br />

es um Macht“, sagt Bischof Rouet. Diese<br />

Position will er dem Pfarrer nicht weiterhin<br />

zuschreiben.<br />

In zwölf Jahren pastoraler Arbeit sind<br />

im Erzbistum Poitiers mehr als dreihundert<br />

örtliche Gemeinden neu entstanden.<br />

Das Empfinden von Schwäche und<br />

Schwund, das bis dahin geherrscht hat,<br />

nimmt ab. Spürbar lebt die Hoffnung auf.<br />

Die Menschen wandeln sich durch die<br />

Aus übung ihrer Aufgaben. Was nicht<br />

heißen soll, es gäbe keine Probleme mehr!<br />

Verantwortliche wer den beruflich versetzt,<br />

manche werfen bei den ersten Schwierigkeiten<br />

das Handtuch, andere können<br />

nicht mit Konflikten umgehen. All das gibt<br />

es. Aber das Bild, dass sich letzten Endes<br />

aufdrängt, zeigt, dass das Volk Gottes eine<br />

große und schöne Wirklichkeit ist.“<br />

Der hier gegangene Weg unterscheidet<br />

sich radikal von allen sonst im deutschen<br />

Sprachraum (und vermutlich weit<br />

darüber hinaus) erörterten Lösungen. Es<br />

wird nicht nach viri probati verlangt,<br />

nach keinem Diakon oder Pasto ral -<br />

theologen, der den Pfarrer ersetzen soll.<br />

Gewiss, in wieweit der hier vorgestellte<br />

Weg an französische Mentalitäten und<br />

Bedingungen geknüpft ist, die für unser<br />

Land nicht zutreffen, lässt sich nicht entscheiden,<br />

bevor ähnliche Bewusst -<br />

werdungsprozesse und innere Bereit -<br />

schaften mobilisiert worden sind, wie sie<br />

im Poitou stattfanden. Ohne Zweifel ist<br />

dieser Weg auch nicht ohne die bemer-<br />

kenswerte Person des Bischofs denkbar.<br />

Doch geht es nicht darum, das Beispiel<br />

von Poitiers zu kopieren. Vorerst kommt<br />

es darauf an, das bisherige Denkgleis zu<br />

verlassen und für neue Vorstellungen<br />

und kühne Lösungen offen zu werden.<br />

Wollte man jedoch in den kommenden<br />

zwei Jahrzehnten das Gemeindeleben in<br />

unseren Dörfern und Kleinstädten auf<br />

dem beschrittenen Weg weiterhin von<br />

Priestern abhängig halten, die mehr Manager<br />

als Seelsorger sind, würden die<br />

heute noch gegebenen Möglichkeiten<br />

verspielt. Alle, die derzeit im Spiel sind,<br />

müssen wissen, dass sie mit Unent -<br />

schlossenheit ihren Nachfolgern allenfalls<br />

gestatten, hinter einem abgefahrenen<br />

Zug herzuschauen. Selbst wenn es<br />

beim überholten Konzept „Priester und<br />

Helfer“ bleiben sollte, wird ohne fundamentale<br />

Zurüstung des Kirchenvolks die<br />

Zukunft nicht bestanden.<br />

Lebendige Traditionen, wie sie im<br />

Sauerland heute noch gegeben sind,<br />

wird man in zehn oder zwanzig Jahren<br />

so nicht mehr vorfinden. Wer also fängt<br />

an, in der eigenen Gemeinde die Zukunft<br />

von Kirche und Christentum zu<br />

diskutieren? Welche Vereine, Gruppen,<br />

Stamm tische überlegen, wie die Kirche<br />

im Dorf bleiben kann? Wo begnügt man<br />

sich nicht länger mit Tradition, sondern<br />

befragt diese auf ihre Zukunftsfähigkeit<br />

hin? Wer gibt die zu stellenden Fragen<br />

an den Bischof weiter? Mit welcher Be -<br />

harrlichkeit? Wer äußert Wünsche und<br />

Erwartungen? Wer macht Vorschläge?<br />

Wer schlägt aus dem Beispiel Poitiers<br />

Funken und legt Feuer? Wer nährt den<br />

Brand? Wer ruft die kirchliche Feuer -<br />

wehr? Wird sie löschen oder sich bekeh-<br />

ren und Brandbeschleuniger einsetzen?<br />

Alles ist möglich. Aber kreative Ent -<br />

schiedenheit ist nötig!<br />

Das Titelbild zu diesem Aufsatz malte Vincent<br />

van Gogh 1882. Er nannte es „Die Kirche”.<br />

Es war eine Kirche der Tradition, deren<br />

Bräuche und Erwartungen man einfach übernahm,<br />

die van Gogh bereits verließ und die<br />

heute ihrem Ende entgegengeht. Der Enkelund<br />

Urenkelgeneration sind viele Glaubensinhalte<br />

und Praktiken fremd geworden. Religion<br />

und Kirche verloren ihre Macht über die Menschen,<br />

weil sich die meisten von übergestülpten<br />

Formen befreien wollen. Die Kirche der<br />

Zukunft lässt sich nicht mehr ererben. Sie<br />

kann nur noch aus eigener Entscheidung<br />

wachsen.<br />

Mitarbeiter dieser<br />

Ausgabe:<br />

Bügerm. Hubertus Klenner, Marsberg<br />

Hermann Runte, Marsberg<br />

Alfred Tack, Marsberg<br />

Bernd Follmann, Marsberg<br />

Dr. Adalbert Müllmann, Brilon<br />

Dr. Siegfried Kessemeier, Münster<br />

Prof. Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen<br />

Karl Jochen Schulte, Sundern<br />

Dr. Erika Richter, Meschede<br />

Peter Karl Becker, Brilon<br />

Peter Bürger, Düsseldorf<br />

Hans Jürgen Rade, Paderborn<br />

Detlev Becker, Arnsberg<br />

Prof. Dr. Reiner Feldmann, Menden<br />

Wolfgang Frank, Arnsberg<br />

Dr. Hubert Schmidt, Sundern<br />

Dieter Wurm, Meschede<br />

Norbert Föckeler, Brilon


SAUERLAND NR. 2/2010 77<br />

Albert Renger-Patzsch, der Fotograf vom Möhnesee<br />

Der vorurteilsfreie Blick auf die Um -<br />

welt, handwerklich gekonntes Arbeiten<br />

mit der Laufbodenkamera im Negativ -<br />

format 9x12 cm, sowie die aufwendige,<br />

präzise, saubere Fotolaborarbeit und ein<br />

Gefühl für das Wesen der Dinge, das<br />

sind die herausragenden und charakteristischen<br />

Merkmale der fotografischen<br />

Schwarz/Weiß-Arbeiten von Al bert<br />

Renger-Patzsch.<br />

Der Wille nur die Wirklichkeit abzubilden,<br />

Effekte zu vermeiden, sein geschultes<br />

Auge für Details, Strukturen, Licht<br />

und Schatten im Bild umzusetzen und es<br />

schon in der Vorstellung zu sehen bevor<br />

es gemacht wird, sowie die absolute Bildschärfe,<br />

Fotografie als Dokumen tation<br />

war der Beitrag zur Avantgarde-Fotografie<br />

der zwanziger und frühen dreißiger<br />

Jahre des letzten Jahrhunderts.<br />

Ehrlichkeit, Objektivität und Beschei -<br />

denheit war seine Maxime. Sie fanden<br />

von Karl Jochen Schulte • Reproduktionen: Hans Wevering<br />

im Bereich seiner Fotografie reinste<br />

Ausprägung. Albert Renger-Patzsch gilt<br />

als Vaterfigur der neusachlichen Foto -<br />

grafie, der „Fotografie der Neuen Sach -<br />

lichkeit“. „Das Geheimnis einer guten<br />

Photographie ... beruht in ihrem Realismus,“<br />

so der Fotograf.<br />

Albert Renger-Patzsch hatte den An -<br />

spruch, Gestalt, Aussehen, Oberfläche<br />

der „Dinge“ in Material und Form präzise<br />

zu erfassen, mit dem ihm nüchternen<br />

Blick ihr Wesen aufzuzeigen und fotografisch<br />

umzusetzen. Das Motiv -<br />

repertoir war breit gefächert. Seine Motive,<br />

die er fotografiert, seine „Din ge“<br />

sind haupt sächlich Industrie- und Tech -<br />

nikanlagen, Ge gen stände des Alltags,<br />

aber auch Bäume, Tiere, Pflanzen, Gesteine,<br />

Wer befotos von Produkten,<br />

Städte land schaften und Industrieland -<br />

schaften des Ruhrgebiets (die Veröf -<br />

fentlichung der Aufnahmen der von<br />

„Sonniger Herbstmorgen“ aus „Bilder und Landschaften zwischen Ruhr und Möhne“ 1957<br />

Bomben zerstörten Stadt Essen wurde<br />

von den Nazis verboten), die Halligen,<br />

Sylt, das Land am Oberrhein, die Stadt -<br />

landschaften Ham burg, Lübeck, Pader -<br />

born und Soest, vor allem in den letzten<br />

beiden Jahrzehnten seines Lebens Sauer<br />

landlandschaften, in denen er sich mit<br />

seiner neuen Heimat identifiziert hat wie<br />

kaum ein anderer Fotograf.<br />

Doch vor ihm war alles anders. Berufs-<br />

und Amateurfotografen huldigten<br />

ab etwa 1900 der Kunstfotografie. Unschärfe,<br />

weichzeichnende „impressionistisch“<br />

wirkende Objektive, To nun gen,<br />

Retuschen, an die zwanzig fotografische<br />

Edeldrucke wie z.B. der Gum midruck<br />

oder der Platindruck, die Salon -<br />

fotografie mit exotischen Deko rationen<br />

und theatralischen Inszenie rungen, waren<br />

kunstfotografischer Aus druck. Die<br />

Fotografie stand unter dem Motto:<br />

„Kunst verändert die Wirk lichkeit.“ An-


78 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

fang der zwanziger Jahre des letzten<br />

Jahrhunderts wurde Renger-Patzsch<br />

zum entschiedenen Gegner der Kunstfotografie<br />

und steht ihr konträr gegenüber:<br />

„Überlassen wir die Kunst den<br />

Künstlern, versuchen wir mit allen<br />

Mitteln der Fotografie,<br />

Fotografien zu schaffen, die durch<br />

ihre fotogra fischen Qualitäten<br />

bestehen können.“<br />

Albert Renger-Patzsch<br />

„Hevetal bei Hirschberg, 1952“<br />

Zuneh mend wurde dem Brom sil -<br />

berbild ein großer Spielraum eingeräumt,<br />

der Begriff „bildmäßige Foto -<br />

grafie“ setzte sich durch.<br />

Albert Renger-Patzsch wurde 1897<br />

in Würzburg geboren. Sein Vater war<br />

begeisterter Amateurfotograf und unterwies<br />

seinen Sohn schon frühzeitig in der<br />

Kamerakunde und Fotolabortechnik.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg studierte<br />

Renger-Patzsch Chemie an der TU<br />

„Sumpfdotterblumen und Schwertlilien im Erlenbruch“<br />

Dresden, brach aber das Studium ab,<br />

ging 1922 nach Hagen/Westf. und leitete<br />

dort die fotografische Abteilung des<br />

Folkwang-Archivs. 1923/1924, nach<br />

mehreren beruflichen Stationen, arbeitete<br />

er im Folkwang-Verlag. 1928 er -<br />

schien der Fotoband „Die Welt ist<br />

schön“, das einflussreichste Fotobuch<br />

seiner Zeit mit Detailauf nahmen von<br />

Maschinen, Apparaturen und technischen<br />

Einrichtungen, Indu striepro duk -<br />

ten, Bauten, Pflanzen, Tie ren und Landschaften,<br />

exemplarische Beispiele des<br />

neuen Sehens, der „Neuen Sach -<br />

lichkeit“ in der Fotografie, mit Objek -<br />

tivität, Schönheit, Ehrlichkeit und Ord -<br />

nung. Das Buch gilt als sein wichtigstes<br />

Werk. Auf diesem Werk ist sein Welt -<br />

ruhm und Einfluss begründet. 1929<br />

zieht Albert mit seiner Familie nach Essen<br />

auf die Margaretenhöhe und erhält<br />

im Folkwang Arbeits- und Atelier räume.<br />

1933 übernimmt er an der Folkwang-<br />

Schule den Lehrstuhl „Bild mäßige Fotografie“,<br />

gibt diesen dann wieder auf, um<br />

unabhängig zu fotografieren. 1936 testest<br />

er auf seiner Sylt-Reise im Auftrag<br />

von Zeiss-Ikon die Kamera Super-Ikonta<br />

mit dem vierlinsigen Objektiv Tessar<br />

2,8/8 cm. Es folgen Aufträge für<br />

Zündapp, Boehringer, Kaffee Hag, Pelikan<br />

und bekannte Architekten und er publiziert<br />

seine Werke auch in der Presse, u.<br />

a. Auf nahmen der „Westwall befesti -<br />

gung.“ 1944 verliert Renger-Patzsch bei<br />

Bom benangriffen auf Essen seine Wohnung<br />

und fast sein gesamtes Archiv. Er<br />

zieht mit seiner Familie nach Wamel am<br />

Möhne see und widmet sich in dieser Zeit<br />

wieder der Industrie foto grafie, vornehmlich<br />

aber der Sauer länder Landschaft<br />

und „den Dingen“ in ihr. Im Sauerland<br />

lebt er bis zu seinem Tod im Jahr<br />

1966.<br />

Wie in anderen Sujets akzentuiert Albert<br />

Renger-Patzsch auch in den Sauerlandlandschaften<br />

Form, Struktur und<br />

Materialität der Motive. Erde, Gras und<br />

Schotter sind auf seinen Bildern durchgezeichnet.<br />

Die alten Holzzäune, noch<br />

ohne Stacheldraht, zum Teil brüchig,<br />

manchmal ausgeflickt, zeigen ebenso<br />

Detailreichtum. Waldland schaf ten, alte<br />

Bäume und Hecken, Wiesen und Felder,<br />

Bäche, Moore, Sümpfe und Teiche, der<br />

Möhnesee mit der gewaltigen konkaven<br />

Staumauer, die Brücken über Heve und<br />

Möhne, Fachwerk häuser und Bauern -


SAUERLAND NR. 2/2010 79<br />

höfe dokumentieren auf kleinem Raum<br />

zwischen Ruhr und Möhne, in einer<br />

außerordentlichen Vielfalt der Bilder die<br />

Schönheit unserer <strong>Sauerländer</strong> Heimat.<br />

Die alten Buchen im Arnsberger<br />

Wald, fotografiert im Gegenlicht oder<br />

Streif licht, zeigen ihre Mo numentalität<br />

und Erhabenheit.<br />

Das Bild „Sonniger Herbstmorgen“<br />

aus dem Privatdruck der Siepmannwerke<br />

Belecke „Bilder und Land schaf -<br />

ten zwischen Ruhr und Möhne“, richtet<br />

sich ganz nach dem Motiv und führt zu<br />

dem von Renger-Patzsch erwarteten<br />

Ergeb nis mit den Elementen der sachlichen<br />

Fotografie. Die Staffelung des Bildes<br />

vollzieht sich im Vordergrund mit<br />

dem Lichteinfall auf den strukturierten<br />

Boden vor den im Mittelgrund stehenden<br />

gut durchgezeichneten Buchen mit<br />

ihrem dunklen Schattenwurf. Im Mittel -<br />

grund wirkt das athmosphärisch einfallende<br />

Licht, nebeldurchdrungen mit<br />

dominierenden Spitzenlichtern im<br />

Laub werk, ganz bewusst gesehen und<br />

erwartet vor sich dunkel abzeichnendem<br />

Hintergrund. Wie lange hat Renger-Patzsch<br />

wohl auf dieses Licht warten<br />

müssen? Durch den tiefen Kamera -<br />

standpunkt erreicht er Tiefe und Aus -<br />

druck im seitlichen Gegen licht. Die<br />

Bäume sind unten nicht angeschnitten,<br />

der Ausschnitt im Querformat verdichtet<br />

die Bildaussage.<br />

Aus dem Bildband „Im Wald, Auf -<br />

nahmen aus dem Naturpark Arnsber ger<br />

Wald“ stammt die Fotografie „He vetal<br />

bei Hirschberg“, die ebenfalls nach den<br />

Vorstellungen des Fotografen in klassischer<br />

Bildgestaltung entstanden ist. Beeindruckend<br />

ist hier die Schärfe über das<br />

ganze Bild vom vordergründigen Schotter,<br />

Schwemmsand und Gespülse über<br />

gut durchgezeichnete Schwarzerlen bis<br />

zu den Fichten zwei gen mit Lichtern.<br />

Durch die lange Belichtungszeit sieht<br />

man keine Was serbewegung des Möhnevorfluters<br />

Heve, das Bild strahlt große<br />

Ruhe aus.<br />

An mehreren Stellen im Arnsberger<br />

Wald und dem Einzugsgebiet der Möhne<br />

finden sich vernässende Stellen und Erlenbrüche,<br />

die das Bild von Renger-<br />

Patzsch „Sumpfdotterblumen und<br />

Schwertlilien im Erlenbruch“ aus dem<br />

Bildband „Im Wald“ zeigen. Das Motiv<br />

„Hamorsbruch, Hangmoor am Stimm-Stamm, 1953“<br />

wurde vom Fotografen mit der ganzen<br />

Skala der Farben in Schwarz/Weiß -Töne<br />

im starken Ausschnitt umgesetzt, um<br />

eine Verdichtung der Bildaussage herbeizuführen.<br />

Kontrastreich gestaltet<br />

sieht man die zarten Weißen der Blüten<br />

und die hell-akzentuierten Grautöne der<br />

Blätter, ebenso die tiefen Schatten. Typisch<br />

für dieses Bild ist das Merkmal der<br />

Dokumentation, denn Feucht biotope<br />

wie Renger-Patzsch sie noch fotografie-<br />

„Laub mischwald bei Wilhelmsruh, 1958“<br />

ren konnte, werden immer seltener. Das<br />

Schwarzweiß-Aufnahme mate rial sieht<br />

im Gegensatz zum Auge keine Farb-,<br />

sondern nur Hellig keitsunterschiede. Es<br />

gehört zu den Erfahrungen der Aufnah -<br />

me technik, solch ein Motiv auf seine unterschiedlichen<br />

Grautöne zu beurteilen<br />

und den Einfluss des Kontrasts auf die<br />

Belichtung optimal zu steuern. Darin<br />

war Renger-Patzsch ein Meister seines<br />

Faches.


80 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

„Hamorsbruch, Hangmoor am<br />

Stimm-Stamm“ nennt Renger-Patzsch<br />

das Bild. Aufbau und Gestaltung des<br />

Bildes nahm der Fotograf im „Golde -<br />

nen Schnitt“ vor. In der Dreiteilung erkennt<br />

man deutlich den Schwerpunkt<br />

der Schwarzerlen mit gut durchgezeichneter<br />

Struktur und Spitzenlichtern im<br />

Farn kraut. Auch hier wieder die Ver -<br />

dichtung des Bildes durch den Aus -<br />

schnitt. Die meisten Land schafts bilder<br />

nahm Ren ger-Patzsch im Querformat<br />

auf.<br />

Eine nach rechts diagonal aus dem<br />

Bild verlaufende Buchenreihung, die<br />

Schatten der hinteren Buchen, die<br />

Strukturen „der Dinge“ (Waldboden,<br />

Gras, Bäume, Baumrinde, Blätter) geben<br />

dem Bild enorme Tiefe. Diese Fotografie<br />

mit dem Titel „Laub misch wald<br />

bei Wilhelmsruh“ steht dafür, was Renger-Patzsch<br />

meint, wenn er sagt: „Man<br />

sollte wohl in der Fotografie vom Wesen<br />

des Gegenstandes ausgehen und mit<br />

rein fotografischen Mitteln versuchen,<br />

diesen darzustellen, ganz gleich, ob es<br />

ein Mensch, eine Landschaft, eine Archi<br />

tektur oder sonst was ist ......“ 2).<br />

Durch die Veränderung des Ausschnitts<br />

präzisiert Renger-Patzsch durchgehend<br />

Ausdruck und Stimmung der Aufnahme,<br />

reduziert den Gegenstand und verdichtet<br />

so das Bild. Ohne Zweifel muss festgestellt<br />

werden, dass dieses Bild und die<br />

anderen in diesem Beitrag zu seinen besten<br />

gehören.<br />

Die wundervoll stille, beeindruckende<br />

Winterlandschaft „Eichenkamp bei Wamel“<br />

aus dem Privatdruck der Siep -<br />

mann-Werke, verdichtet und konzentriert<br />

mit dem Objektiv oder im Foto -<br />

labor als Ausschnitt gestaltet, gibt es<br />

nicht mehr. Die abgegrenzten Wiesen<br />

und Felder sind im Rahmen der Flur -<br />

bereinigung weitgehend „geordnet“.<br />

Renger-Patzsch hat die Doku mentation<br />

gefordert, hier ist sie. Auf den ersten<br />

Blick wirkt die Fotografie eher graphisch<br />

mit ihren Busch- und Baumgruppen,<br />

den Weidenzäunen ganz aus Holz ohne<br />

Stacheldraht, ein Bild durch Weiden -<br />

gatter gegliedert. Damit Spannung ins<br />

Bild kommt, hat er die ins Auge fallende<br />

S-Kurve mit ihrer buschigen Weißdornund<br />

Schlehen hecke nach links verlagert<br />

ins Bild gesetzt. Sein fotografischer Ordnungssinn<br />

kommt hier und in den anderen<br />

Bildern voll zum Tragen. Über seine<br />

Portrait Albert Renger-Patzsch<br />

aufgenommen von seiner Tochter Sabine,<br />

1957, entnommen: Joy before the object,<br />

Donald Kuspit, Philadelphia Museum of Art<br />

1993<br />

lange Schaffenszeit hinweg hielt er die<br />

Forderung nach einer Tonscala vom<br />

hellsten Weiß bis zum tiefen Schwarz<br />

aufrecht. Extreme Werte sind in seinen<br />

Bildern nur gering vertreten. Das Win -<br />

ter bild enthält bei allem Kontrast fein abgestufte<br />

Grauwerte, bedingt durch diffuses<br />

Licht. Wie fast alle Renger-Patzsch-<br />

Landschaften ist auch dieses ein Bild ohne<br />

Wolken, die ja ohnehin nur vom<br />

„Wesentlichen ablenken“, so Renger-<br />

Patzsch.<br />

In Vorbereitung auf einen Vortrag<br />

1956 in Hamburg schrieb er an Prof.<br />

Dr. Otto Steinert: „Ich wäre Ihnen zu besonderem<br />

Dank verpflichtet, wenn Sie<br />

so wenig wie möglich rein Per sönliches<br />

vorbrächten. Zwar interessieren sich die<br />

Leute dafür am meisten, aber das ist ja<br />

verkehrt und man soll das nicht<br />

nähren.“ 3) Seine Stärke fand in der Bescheidenheit<br />

ihren Audruck, in seiner<br />

persönlichen Einstellung, in seiner Aus -<br />

rüstung. Er arbeitete mit Bal genkameras<br />

im Format 9x12 cm und Objektiven mit<br />

Brennweiten von 80 bis 300 Millimeter<br />

und zog geringe Licht stärken den „Riesenglasglotzen“<br />

vor, so der Foto graf. In<br />

der Regel kam er so auf längere Verschlusszeiten,<br />

so dass mehr Licht auf das<br />

Negativ fiel und schließlich in vielen Bildern<br />

vorhanden ist. Sein Lieblings -<br />

objektiv war ein vierlinsiges Objektiv,<br />

vom Typ Anastigmat der Firma Zeiss<br />

mit einer Lichtstärke von 1:6,3. In der<br />

Regel kam er so auf längere Ver -<br />

schlusszeiten, wodurch mehr Licht auf<br />

das Negativ fiel und schließlich in vielen<br />

Bildern zu sehen ist.<br />

Albert Renger-Patzsch, der Erneuerer<br />

der Fotografie, hinterließ uns ein Werk<br />

von Ehrlichkeit, Objektivität und Be -<br />

scheidenheit, ungekünstelt und klar. In<br />

der Geschichte des Mediums Fotografie<br />

hat er seinen festen Platz. An ihm orientierten<br />

und orientieren sich Gene -<br />

rationen von Berufs- und Amateur -<br />

fotografen und setzen die Elemente der<br />

„Neuen Sachlichkeit“, in seinem Sinne<br />

erfolgreich um. Fragt man heute: „Was<br />

bedeutet Schwarz/ Weiß-Fotografie?“<br />

werden von engagierten Fotografen diese<br />

Antworten gegeben: „In meinen Fotos<br />

versuche ich die Welt so einzufangen wie<br />

sie ist.” „Schwarz/Weiß heißt zeichnen<br />

ohne das Geräusch der Farbe,<br />

Schwarz/Weiß vedeutlicht die Struktur<br />

des Inhalts.” „Schwarz/Weiß-Fotografie<br />

ist für mich ein Ausdrucksmittel mit hoher<br />

ästheti scher Qualität, die Reduzierung<br />

der farblichen Umgebung auf Tonwerte<br />

zwischen Schwarz und Weiß.” „Schwarz<br />

und Weiß schärft den Blick auf den wesentlichen<br />

Inhalt des Bildes.”<br />

„Schwarz/Weiß bringt die Bildaussage<br />

auf den Punkt. Viele Bilder sind schön<br />

bunt und glatt, folgen Trends und sind einen<br />

Wimpernschlag später schnell vergessen.”<br />

„Schwarz/Weiß ist Poesie, es<br />

macht die ordnende Kraft des Lichtes<br />

sichtbar in Formen und Strukturen.<br />

Schwarz/Weiß ist leise und zärtlich oder<br />

dramatisch und voller Wucht.”<br />

„Schwarz/Weiß bedeutet für mich, die<br />

Lichter und das samtige Schwarz der<br />

Schatten der Natur, im Bild wieder zu finden.”<br />

„Schwarz/Weiß-Fotografie ist Reduktion<br />

auf die Form, Betonung der Geometrie<br />

und der Struktur.“ Das alles hat<br />

Renger-Patzsch so gewollt. Seine Bilder<br />

sind Bilder von großer Wahrnehmungstiefe,<br />

von fotohistorischer Bedeutung.<br />

Im Heimatmuseum in Möhnesee-<br />

Körbecke befindet sich eine größere Anzahl<br />

seiner Fotografien, die, so kann<br />

man hoffen, bald wieder der Öffentlichkeit<br />

zugänglich sind.


SAUERLAND NR. 2/2010 81<br />

Literaturhinweise, Quellenangaben,<br />

Bildnachweise<br />

1 Zitat Albert Renger - Patzsch, Internet<br />

http://wapedia.mobi.de Albert Renger-Patzsch,<br />

aufgerufen am 17.04.2010<br />

http://wapedia.mobi/de/Albert Renger-Patzsch,<br />

Auktionspreise für Vintage -Prints (eigenhändig<br />

zeitnah angefertigte Fotografien) und Albert<br />

Renger-Patzsch Fotobuchpreis<br />

2 aus: „Meister der Kamera erzählen“, Albert Ren-<br />

ger-Patzsch in: Weski/Wilde (Hrsg.), München<br />

1997, S. 166 f<br />

3 Briefwechsel mit Prof. Dr. Otto Steinert<br />

(Mediziner und bedeutender deutscher Fotograf),<br />

Hamburg und Wamel 1951-1956<br />

Bildnachweis<br />

„Sonniger Herbstmorgen“ und „Eichenkamp bei Wamel“<br />

mit Dank und freundlicher Genehmigung entnommen:<br />

„Bilder aus der Landschaft zwischen Ruhr<br />

und Möhne“, Text Helene Henze, Privatdruck der<br />

Siepmann - Werke AG, Belecke (Möhne) 1957<br />

„Hevetal bei Hirschberg“<br />

„Sumpfdotterblumen und Schwertlilien im Erlenbruch“<br />

„Eichenkamp bei Wamel, 1945“<br />

„Hamorsbruch, Hangmoor am Stimm-Stamm“<br />

„Laub mischwald bei Wilhelmsruh“ mit Dank und<br />

freundlicher Genehmigung entnommen: „Im Wald“,<br />

„Aufnahmen aus dem Naturpark Arnsberger Wald“,<br />

Wolfgang Haber, Zweckverband Naturpark Arnsberger<br />

Wald, Soest Druck werkstatt Hermann Kätelhön,<br />

Wamel 1965<br />

Reihenfolge der Angaben:<br />

Titel, Textautor, Verlag, Ort und Jahr<br />

Die Welt ist schön Carl Georg Heise, Kurt Wolff-Verlag,<br />

München 1928<br />

Die Welt ist schön, 1928, Ulrich Ernst Huse, Harenberg<br />

Edition, Nachdruck der Ausgabe aus dem Einhorn-Verlag<br />

München, Dortmund 1992<br />

Meisterwerke, hrsg. v. Ann und Jürgen Wilde und<br />

Thomas Weski, Text Thomas Janzen, Schirmer/Mosel,<br />

München, Paris, London 1997,<br />

ISBN 3-88814-862-6<br />

Beständige Welt, Helene Henze, Der Quell-Verlag von<br />

K.H. Saint George und Strauf, Münster 1947<br />

Soest, Hubertus Schwartz, Westf. Verlagsbuchhandlung<br />

Mocker & Jahn, Soest<br />

1953<br />

Soest in seinen Denkmälern, Hubertus Schwartz,<br />

Westf. Verlagsbuchhandlung<br />

Mocker & Jahn, Soest 1957<br />

Bauten zwischen Ruhr und Möhne<br />

Bildband von Albert Renger-Patzsch, Hugo Kückelhaus,<br />

Privatdruck der Siepmann - Werke KG, Belecke<br />

(Möhne) 1959<br />

Rund um den Möhnesee, Helene Henze, Westf. Verlagsbuchhandlung<br />

Mocker & Jahn, Soest 1951<br />

Soest - alte Stadt in unserer Zeit - Mittelalter und Gegenwart,<br />

Hubertus Schwartz, Westf. Verlagsbuchhandlung<br />

Mocker & Jahn, Soest 1963<br />

Der Fotograf der Dinge, Otto Steinert, Fritz Kempe,<br />

Schrift zur Ausstellung im Ruhrland- und Heimatmuseum<br />

Essen, 21.12.1966 - 22.01.1967<br />

Schriftenreihe „werkstattportrait“ der AG „Gestaltendes<br />

Handwerk Arnsberg“, das „werkstattportrait 10“<br />

ist dem Werk von Albert Renger-Patzsch gewidmet.<br />

Schwarzweiss, Das Magazin für Fotografie, Tecklenborg<br />

Verlag Steinfurth<br />

Einzelausstellungen in Arnsberg<br />

1967, 1972, 1997 Sauerlandmuseum<br />

Einzelausstelungen in Soest<br />

1962 Kunstpavillon, 1984 Wilhelm-Morgner-Haus


82 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Kirchrarbach sucht seine „Wurzeln“<br />

Vor wenigen Wochen hat der Hei -<br />

mat- und Geschichtsverein der katholischen<br />

Kirchengemeinde Kirch rar -<br />

bach ein Buch herausgebracht, das die<br />

Herzen von sauerländischen Ge -<br />

schichts- und Familienforschern<br />

höher schlagen lässt: eine umfangreiche<br />

Zusammenstellung und Er läu -<br />

terung von Stammreihen und Familien<br />

über viele Jahrhunderte hinweg.<br />

Dass historische Laien einer relativ<br />

kleinen Dorfge mein schaft ein so anspruchsvolles<br />

Werk mit dem Titel<br />

„Wurzeln“ veröffentlichen konnten,<br />

wirft Fragen auf, die im folgenden gestellt<br />

und von den hauptsächlichen<br />

Mitwirkenden, die auch im Impressum<br />

als verantwortlich für die „textliche<br />

Aufarbeitung“ genannt sind, beantwortet<br />

werden: Ludger Büngener,<br />

Kirchrarbach − Eduard Klauke,<br />

Kirchrarbach − Josef Lumme, Sögtrop<br />

− Alfred Steilmann, Oberhenneborn<br />

und Josef Wüllner, Oberhenneborn.<br />

Frage: Wie und wann hat Ihre „Wurzelsuche“<br />

eigentlich begonnen?<br />

Antwort: Das war im Jahr 1989.<br />

Vorwiegend Mitglieder des Pfarrge -<br />

meinderates bildeten damals das Redak -<br />

tionsteam unseres Heimatblattes „Der<br />

Bumbacher“. Folglich war auch die Kirchengemeinde<br />

Herausgeber der Heimatnachrichten.<br />

Da im Laufe der Jahre<br />

immer mehr Redaktionsmitglieder aus<br />

dem PGR ausschieden, wollte man etwas<br />

Eigenes schaffen, damit die begonnene<br />

Arbeit fortgesetzt werden konnte.<br />

So wurde im Jahre 1998 der Heimatund<br />

Geschichtsverein der kath. Kirchengemeinde<br />

Kirchrarbach e.V. gegründet,<br />

dem Mitglieder aus allen 10 Dörfern des<br />

Kirchspiels Kirchrarbach angehören<br />

sollten. Der Kirchenvorstand stellte uns<br />

im Theresia-Albers-Haus einen Büround<br />

einen Archivraum zur Verfügung.<br />

Es kamen etwa 100 Per sonen zusammen,<br />

die diesem Verein spontan beitraten.<br />

Im Zuge der Ver einsgründung wurde<br />

dieser dann auch Herausgeber der<br />

Heimatnachrichten. Jetzt waren die<br />

Vorraussetzungen geschaffen, die begonnene<br />

Arbeit fortzusetzen und größere<br />

Vorhaben in den Blick zu nehmen.<br />

Frage: Und wie haben Sie dann Ihr<br />

großes Unternehmen angepackt, das<br />

sich jetzt in diesem 600 Seiten starken<br />

Buch niederschlägt?<br />

Alfred Steilmann, Josef Wüllner, Eduard Klauke, Ludger Büngener,<br />

Gerd Kadler und Josef Lumme<br />

Antwort: Wir hatten gleich zwei Projekte<br />

im Sinn: Eine neue Chronik der<br />

Gemeinde und die Erfassung der<br />

Stammreihen aller bis heute entstandenen<br />

Wohnplätze. Diese Arbeit sollte<br />

dann in einem Buch festgehalten werden.<br />

Bei Sichtung aller Unterlagen kamen<br />

wir dann doch zu dem Ergebnis, für<br />

die Stammreihen ein eigenes Buch herauszugeben.<br />

Ein besonderer Glücksfall<br />

war, dass es von der Pfarrvikarie Ober -<br />

henneborn, die zum Kirchspiel gehört,<br />

bereits das Manuskript einer Chronik<br />

gab, die der Pfarrvikar Studienrat Leister<br />

erstellt hatte. Er ist um 1940 in Ober -<br />

henneborn von Hof zu Hof gegangen<br />

und hat neben einer allgemeinen Ort s -<br />

chronik die Geschichte der 26 Höfe als<br />

eine Hofchronik verfasst; wozu er auch<br />

das Dekanatsarchiv Fredeburg und die<br />

Urkunden der Abtei Grafschaft durchforschte,<br />

die bis zur Säkularisation hier<br />

die größte Grundbesitzerin war. Seine<br />

Arbeit ist aber bisher noch nicht veröffentlicht<br />

worden.<br />

Frage: Diese Vorlage von Ober -<br />

henneborn macht verständlich, dass sie<br />

einen Hauptteil des Buches ausmacht<br />

(S. 193 – 491). Aber wie kamen Sie an<br />

die anderen Hofgeschichten von Dorn -<br />

heim bis Sögtrop, und bis wann reichen<br />

Ihre Quellen zurück?<br />

Antwort: Leider lagen für die anderen<br />

Orte so umfangreiche Aufzeich -<br />

nungen nicht vor. Lediglich für Kirch -<br />

von Dr. Erika Richter<br />

rarbach konnten wir auf Aufzeichnungen<br />

von Pfarrer Heinrich Kaiser zurückgreifen,<br />

die aber längst nicht das Ausmaß der<br />

Oberhenneborner Unterlagen ausmachten.<br />

Über die Hof- und Hausstätten in<br />

Sögtrop hatte Lehrer Josef Lumme einige<br />

Daten in einem Schulheft festgehalten.<br />

Für die Orte Dornheim Föcking -<br />

hausen, Hanxleden, Kirchrarbach, Mö -<br />

ne kind, Niederhenneborn, Sellmecke<br />

und Sögtrop mussten also fast alle Daten<br />

neu zusammengetragen und erfasst werden.<br />

Dazu haben wir Ende 2000 einen<br />

großen Fragebogen erstellt, und die Mitglieder<br />

unseres Vereins – dazu ge hören<br />

übrigens auch Frauen – haben ihn an die<br />

Hausbesitzer in allen Dörfern verteilt. So<br />

konnten erste wichtige Infor mationen<br />

aus allen Dörfern gewonnen werden.<br />

Selbstverständlich wurden auch Daten<br />

aus dem Werk von Lauber verwertet,<br />

auch solche aus dem Stadtarchiv Schmal -<br />

lenberg und aus dem Staats archiv Münster.<br />

Die Zusammenstellung, die Ergänzung<br />

und Überprüfung aller Daten hat<br />

uns dann jahrelang beschäftigt. Die ältesten<br />

Quellen waren die Schatzungslisten<br />

aus dem 16. Jahr hundert.<br />

Frage: Wo lagen besondere Schwie -<br />

rigkeiten?<br />

Antwort: Es lag uns sehr daran,<br />

auch die geschichtliche Entwicklung der<br />

untergegangenen Höfe zu erfassen. Ihr<br />

Grundbesitz fiel ja z.B. an frühere Beilie-


SAUERLAND NR. 2/2010 83<br />

ger, die bis dahin kein Grund eigentum<br />

hatten und nun in den Dörfern ihre Häuser<br />

bauten.<br />

Wir haben jedes Haus und die Geschichte<br />

jedes Hauseigentümers festgehalten,<br />

der in der Gegenwart nun hier<br />

lebt. Daraus ist ein 600 Seiten starkes<br />

Buch entstanden. 282 Stammreihen sind<br />

darin aufgeführt, alle Häuser mit Hausgeschichte<br />

und 605 historischen und aktuellen<br />

Bildern versehen. Aller dings muss<br />

man berücksichtigen, dass diese Arbeit<br />

nur in einem überschaubaren Raum möglich<br />

ist, wie ihn unser Kirchspiel mit seinen<br />

rund 1000 Ein wohnern darstellt. In<br />

Orten mit vielen Neubausiedlungen wäre<br />

das wohl nicht zu leisten.<br />

Frage: Wie hoch war die Auflage<br />

und wie sieht es mit dem finanziellen Ergebnis<br />

aus?<br />

Antwort: Wir haben 720 Bücher<br />

drucken lassen und sind mit dem Verkaufsergebnis<br />

mehr als zufrieden. Die<br />

Resonanz war in den Dörfern und darüber<br />

hinaus wirklich erfreulich. Auch bei<br />

Heimatforschern und den befreundeten<br />

Heimatvereinen fand das Buch großes<br />

Interesse. Sogar nach Kanada (2) und<br />

USA (1) sind Bücher verschickt worden.<br />

Sicher haben auch die vielen Fotos der<br />

Häuser dazu verholfen.<br />

Frage: Gibt es einen Grund für das<br />

ungewöhnliche Format des Buches, es<br />

ist ja recht schmal (18 cm) und auffällig<br />

hoch (33 cm)?<br />

Antwort: Das Format ermöglichte<br />

uns die zweispaltige Wiedergabe der langen<br />

Stammreihen. Wir haben also aus<br />

der Not eine Tugend gemacht.<br />

Frage: Und was sind Ihre nächsten<br />

Pläne?<br />

Antwort: Einem gut geführten und<br />

regen Heimatverein geht die Arbeit eigentlich<br />

nie aus. In erster Linie steht nun<br />

das zweite Buch „Chronik der Pfarrei<br />

Kirchrarbach und der Pfarrvikarie Ober -<br />

henneborn“ auf der Agenda ganz oben.<br />

Für dieses Projekt liegen schon eine<br />

ganze Reihe Beiträge bereit. Aber es<br />

bleibt noch viel zu tun. Wir hoffen, das<br />

Werk bis Ende 2011 den interessierten<br />

Heimatfreunden vorlegen zu können.<br />

Dazu kann man Ihnen viel Glück<br />

wünschen. Wir sind schon heute gespannt<br />

darauf.<br />

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Termine für „700 Jahre Sundern – Freiheit und Kirche“<br />

8. 5. Tag der ersten Erwähnung im Jahr 1310<br />

Pontifikalamt mit dem Erzbischof von Paderborn<br />

Hans-Josef Becker in der Pfarrkirche St. Johannes,<br />

18.00 Uhr anschließend gegen 19.30 Uhr<br />

Festakt in der Hubertushalle mit Eckhard Uhlenberg,<br />

Landesminister für Umwelt und Naturschutz,<br />

Landwirtschaft und Verbraucherschutz<br />

Fr - So, Großes Stadtfest unter dem Leitwort<br />

3.–5.10. „Sundern gestern-heute-morgen“<br />

Maschinen - und Heimatmuseum, Museumsverein Eslohe e.V.<br />

Homertstraße 27, 59889 Eslohe<br />

25./26. Sept. Esloher Dampftage, Maschinen- und Heimatmuseum<br />

10 - 18 Uhr mit Aktionen für Kinder im Rahmen von<br />

„Tatort Technik“ Info unter: 02973/2455 und 800-220<br />

5. Dezember Der Nikolaus kommt mit der Dampfeisenbahn<br />

Maschinen- und Heimatmuseum von 15 - 17 Uhr<br />

Info unter: 02973/2455 und 800-220<br />

Aus dem Programm 2010 der Christine-Koch-Gesellschaft<br />

17. Juni Lesung des Autorenkreises Ruhr-Mark und der<br />

Christine-Koch-Gesellschaft, Literaturhotel<br />

„Franzosenhohl“, Iserlohn, 15.00 Uhr<br />

2. Juli Autoren aus Masuren besuchen Kloster Brunnen<br />

Führung: Klaus Baulmann, Sundern, 19.30 Uhr<br />

4. Juli Literaturfahrt zur Zeche Zollverein nach Essen<br />

„Polnische Industriearbeiter um 1900“<br />

Vortrag: Herbert Somplatzki, Schmallenberg<br />

„Christine Koch als Lehrerin in Essen“<br />

Vortrag: Manfred Raffenberg, Schmallenberg<br />

9.30 Uhr Abfahrt am Kreishaus Meschede<br />

Anmeldung bei der CKG-Geschäftsstelle,<br />

Tel.: 02972/980201<br />

5.–7. Juli Lesungen mit polnischen Autoren in den Gymnasien<br />

Meschede und Arnsberg, im Sauerländischen<br />

Literaturarchiv in Schmallenberg und im Sauerland-<br />

Museum in Arnsberg<br />

5. September Pilgersteineinweihung in Bracht<br />

Gottesdienst in der Schützenhalle in Bracht,- 10 Uhr<br />

anschließend Gang zum Pilgerstein (schräg gegenüber<br />

der Schützenhalle am Christine-Koch-Denkmal)<br />

Einsegnung des Pilgersteins, Rückkehr in die<br />

Schützenhalle, Reden<br />

10. September Lesung des „Forums Junge Poesie 2010”<br />

zusammen mit Schriftstellern aus Südwestfalen<br />

Landsitz Schulze-Pellengahr in Beckum, 19.00 Uhr<br />

1. Oktober Vorstellung des 17. Bandes der „Kleinen Reihe”<br />

Golfcafe in Schmallenberg-Winkhausen, 19.00 Uhr<br />

2.–3. Oktober Schreibseminar im Bildungszentrum Sorpesee,<br />

Sunder, Anmeldunqbei der CKG-Geschäftsstelle,<br />

Tel.: 02972/980201<br />

9.–16. Oktober Literaturfahrt nach Rom<br />

Die Redaktion bittet um Mitteilung weiterer Termine


84 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

„… und das ist für einen Mann Pferde-Arbeit.“ –<br />

Melchior Ludolf Herold zum 200. Todestag von Peter Karl Becker<br />

Er soll der „Hirt seiner Herde, der Beförderer<br />

besserer Jugenderziehung, der<br />

Verbreiter des heiligen Gesangs im Vaterland<br />

und der Wohltäter armer Menschen“<br />

gewesen sein; so steht es auf seinem<br />

Grabstein im Schatten der Hoinkhauser<br />

Pfarrkirche. Doch wer war dieser<br />

Pfarrer, war er so universal, wie beschrieben,<br />

wer war also Melchior Ludolf<br />

Herold?<br />

Um diese Frage zu beantworten, ist<br />

es notwendig, ihn nicht nur sozialgeschichtlich<br />

in die westfälische Gesellschaft<br />

des späten 18. Jahrhunderts einzuordnen,<br />

sondern ihn vielmehr auch<br />

ideengeschichtlich näher als Gelehrten<br />

zu verorten, der maßgeblichen Einfluss<br />

auf Gesellschaft und Staat seiner Zeit<br />

nimmt. Wir sehen also einen historischen<br />

Akteur, der in seinem Herrschafts<br />

bereich handelt, dessen Ideen<br />

aber noch weit darüber und über seine<br />

Zeit hinaus reichen und uns bis heute beschäftigen.<br />

In der Retrospektive zeigen<br />

sich Leben und Werk als so eng ineinander<br />

verwoben, dass fast von einer Einheit<br />

gesprochen werden kann. Dabei<br />

sind es neben rein biografischen Größen<br />

vor allem die Denk- und Verhal -<br />

tensmuster dieses Akteurs, seine Handlungsstrategien<br />

und Projekte, die die historische<br />

Forschung heute vorrangig interessieren.<br />

Biografische Notiz<br />

Melchior Ludolphus Henricus Herold<br />

wird am 10. Dezember 1753 in Rüthen<br />

geboren und zwei Tage später in der<br />

dortigen St.-Nikolaus-Kirche getauft.<br />

Sein Vater, Caspar Adam, ist Legaladvokat,<br />

seine Mutter, Casparina Sperber,<br />

die Tochter eines angesehenen Rüthener<br />

Senators und entstammt der weitverzweigten<br />

Familie Orth ab Hagen.<br />

Melchior ist das dritte von insgesamt sieben<br />

Geschwistern, die aus den beiden<br />

Ehen seines Vaters hervorgehen. Nach<br />

Schulbildung in Rüthen und Geseke<br />

wechselt er 1768 an das Montan er -<br />

gymnasium in Köln und von 1772-75<br />

studiert er Theologie und Philosophie<br />

am Norbertinerseminar Steinfeld. 1775<br />

schließlich wechselt er an das erzbischöfliche<br />

Seminar in Köln, wo er<br />

1776 zum Priester geweiht wird. Seine<br />

erste Stelle führt ihn zurück in seine Vaterstadt.<br />

In Rüthen wird er 1776 Vikar<br />

der Drei-Königs-Vikarie, bevor er 1778<br />

Melchior Ludolf Herold (1753–1810),<br />

von 1780–1810<br />

Pfarrer des Kirchspiels Hoinkhausen.<br />

Stich nach einem heute verschollenen<br />

Gemälde aus dem „Lithographischen Institut<br />

von Bernhard Kehse & Sohn, Magdeburg",<br />

um 1840.<br />

Stadtarchiv Dortmund, Signatur Q 646.<br />

als Hauskaplan an das Münstersche Damenstift<br />

Langenhorst berufen wird.<br />

Nach seiner Ernennung zum Pfarrer des<br />

Kirchspiels Hoinkhausen, geht er 1780<br />

wieder zurück in das Haar-Dekanat.<br />

Dies soll seine Lebensstellung werden,<br />

die er bis zu seinem Tod am 31. August<br />

1810 inne hat.<br />

Seine vielfältigen Aktivitäten –<br />

eine Auswahl<br />

Gleich nach seinem Amtsantritt beginnt<br />

Herold die Pfarrei Hoinkhausen<br />

seelsorgerisch und ökonomisch zu reorganisieren.<br />

Der junge Pfarrer saniert<br />

nicht nur die Finanzen; er baut den<br />

Pfarrhof um, legt neue Gärten an und<br />

gibt der Landwirtschaft im gesamten<br />

Kirchspiel neue Impulse. Brachliegende<br />

Pfründe werden reaktiviert, neue Gebäude<br />

und neue Seelsorgestellen geschaffen.<br />

1784 nimmt er sein erstes großes<br />

Projekt in Angriff: Die Neu -<br />

strukturierung des Schulwesens. Er hebt<br />

die bis dahin übliche Koedukation auf,<br />

stellt auf eigene Kosten für die Mädchen<br />

eine Lehrerin ein und erwirkt beim Erzbischof<br />

in Köln, dass er die Pfründe der<br />

Kreuzvikarie für Schulzwecke nutzen<br />

und den Kreuzvikar zum Schuldienst einstellen<br />

darf. Dieser unterrichtet, neben<br />

Herold selbst, die Knaben aus Hoink -<br />

hausen, Westereiden und Weikede, den<br />

Orten, die zu dieser Zeit neben Oestereiden<br />

noch zu Herolds Kirchspiel<br />

gehören. Finanziell getragen wird sein<br />

Schulkonzept von der 1788 ins Leben<br />

gerufenen Schul- und Armenstiftung<br />

„Franz von Sales“, die er mit eigenen<br />

Mitteln ausstattet und die in dieser Form<br />

bis 1939 besteht. 1785 führt er eine<br />

neue Schulform und ein neues Unterrichtskonzept<br />

ein, die in den Ländern<br />

der Habsburger Monarchie durch Johann<br />

Ignaz von Felbiger (1724-1788),<br />

besonders aber in Böhmen durch den<br />

Leitmeritzer Bischof Ferdinand Kindermann<br />

Ritter von Schulstein (1740–<br />

1801) erprobt wurden und die sich didaktisch<br />

und methodisch von der bis dahin<br />

üblichen Unterrichtsform unterscheiden:<br />

die Industrieschule und mit ihr<br />

die Normal-Lehrart. Die Indu s trieschule<br />

stellt wohl die erste systematische Verbindung<br />

von allgemeinbildenden und berufsbezogenen<br />

bzw. besser vorberuflichen<br />

Unterrichtsinhalten dar. Die Normal-Lehrart<br />

ist es, die, auf einer einheitlich<br />

organisierten Lehreraus bildung aufbauend,<br />

Unterricht strategisch planbar<br />

und durch ihr standardisierendes Moment<br />

auch übertragbar macht; einheitliche<br />

Lehrpläne sind die Folge. So kann<br />

im gesamten Herzogtum Westfalen ein<br />

Schulmodell durchgesetzt werden, das<br />

auf Grundlage dieser beiden Größen Mustercharakter<br />

erhält. Nicht zuletzt gelingt<br />

Melchior Ludolf Herold dies in Zusammen<br />

arbeit mit dem benachbarten Rüthener<br />

Pfarrer und Normalschullehrer Friedrich<br />

Adolf Sauer (1765-1839). Allerdings<br />

ist es der langsame Niedergang der<br />

geistlichen Territorien in der Zeit nach<br />

der Französischen Revolution, die damit<br />

verbundene Instabilität gesellschaftlicher<br />

und staatlicher Ordnung, sowie schließlich<br />

die Aufhebung der Kirchenstaaten,<br />

1803, die diese Bestrebungen in frühem<br />

Stadium erstarren lassen. Der säkulare<br />

Staat setzt auf andere Größen, die nicht<br />

mehr mit den Grundlagen der Aufklä -<br />

rungspädagogik vereinbar sind. Melchior<br />

Ludolf Herold macht diese gesellschaftliche<br />

Metamorphose hin zum säkularen<br />

Staat für sich nicht mehr mit. Er<br />

beendet seine schulischen Aktivitäten<br />

und wendet sich neuen Aufgaben zu:


SAUERLAND NR. 2/2010 85<br />

Nachdem er 1802 schon ein Ve s -<br />

perbuch in deutscher Sprache veröf -<br />

fentlicht, erscheint bereits ein Jahr darauf<br />

die erste Auflage seines Gesang -<br />

buches „Der Heilige Gesang oder vollständiges<br />

katholisches Gesangbuch bei<br />

dem öffentlichen Gottesdienst in der<br />

Pfarrkirche zu Hoinkhausen. Aus den<br />

besten approbierten Gesangbüchern<br />

des katholischen Deutschlands zusammengetragen“.<br />

Die 600 Exemplare sind<br />

schnell vergriffen und schon 1807<br />

kommt es zur zweiten Auflage. Das<br />

„Heroldsche Gesangbuch“, so die landläufige<br />

Bezeichnung, verbreitet sich<br />

schnell auch über die Grenzen Westfalen<br />

hinaus und wird so zu einem der wichtigsten<br />

Vorläufer des 1874 erstmalig erscheinenden<br />

„Sursum corda!“. Bis<br />

1865 zeugen mehr als 20 Auflagen vom<br />

großen Erfolg dieses Werks. Auch hier<br />

zeigt sich Herold als vielseitig Agie -<br />

render: Verlag, Herausgabe und Verbrei<br />

tung organisiert er selbst von Hoink -<br />

hausen aus. Die Erlöse fließen ausschließlich<br />

in seine Schul- und Armen -<br />

stiftung. Im Paderborner Anhang des<br />

Gotteslob finden sich noch heute dreizehn<br />

Lieder, die in Text oder Melodie auf<br />

Herolds Gesangbuch zurückgehen.<br />

Dies sind beispielhaft nur zwei Pro -<br />

jekte seines vielseitigen Wirkens. Doch<br />

wer war der Mensch Melchior Ludolf<br />

Herold und wie war er in seiner Zeit?<br />

Versuch einer<br />

Persönlichkeitsskizze<br />

Wenn Herold eingangs mit „und das<br />

ist für einen Mann Pferde Arbeit“ zitiert<br />

wird, so kann diese Aussage wohl als<br />

Ausgangspunkt seiner Lebensbeschrei -<br />

bung dienen. Herold mag fleißig gewesen<br />

sein, doch das genügt ihm nicht, er<br />

ist industriös. Das scheint aus heutiger<br />

Sicht ungewöhnlich, dennoch beschreibt<br />

der Begriff der Industrie in der<br />

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine<br />

Ar beitsform, sondern ist vielmehr<br />

pädagogisch determiniert. Auf Grundlage<br />

der allgemeinen Aufklärungsbewegung<br />

und so vor dem Hintergrund starker<br />

gesellschaftlicher Umbrüche, ist Industriosität<br />

für den vortechnisch Denkenden<br />

der Weg, Jahr hunderte währende<br />

Lethargie endlich zu überwinden und<br />

dadurch Wohlfahrt für breite Schichten<br />

der Be völkerung möglich zu machen. Industriös<br />

zu sein ist Lebenseinstellung!<br />

Hoinkhausen: Pfarrhof und Pfarrkirche St. Pankratius. Der Pfarrhof wird 1680 von Pfarrer<br />

Rabanus Berghoff als Niederdeutsches Hallenhaus errichtet und nach 1780 von Pfarrer<br />

Herold in mehreren Abschnitten renoviert und erweitert; außerdem lässt er um den Hof<br />

herum einen sog. Industriegarten für den Schulunterricht anlegen. Fotos: Peter Karl Becker<br />

Als Priester nimmt Herold hier eine<br />

Sonderstellung ein, denn Glaube und<br />

Vernunft werden unter dem Einfluss aufklärerischen<br />

Denkens neu interpretiert.<br />

Diesseitiges Jammertal lässt sich nun<br />

nicht mehr ausschließlich mit dem Hinweis<br />

auf jenseitige Glück seligkeit erträglicher<br />

machen, auch das Diesseits soll,<br />

wenn auch in bescheidenem Maße, lebenswert<br />

sein. Herold weiß, dass in dieser<br />

Zeit gesellschaftlichen Umbruchs<br />

nichts mehr über tradierte Formen und<br />

Inhalte versorgt werden kann und nicht<br />

zuletzt die zunehmende Vormachtstellung<br />

der Ratio ist es, die schließlich den<br />

Weg aller Rationalität zu gehen versucht:<br />

das Selbst ver ständ liche zu bezweifeln.<br />

Wenn auch in der Rezeption<br />

seiner Nachwelt gut und wohlwollend<br />

gemeint, so muss hier ernsthaft die Frage<br />

im Raum stehen, ob Herold der „uneigennützige<br />

Pfarrer“ oder „dieser mu-<br />

Hoinkhausen: Knabenschule von 1802, auf Initiative Pfarrer Herolds<br />

von den Gemeinden Hoinkhausen, Westereiden und Weikede<br />

im Schatten der Pfarrkirche auf dem alten Kirchhof errichtet.<br />

Im Vordergrund das Grab Melchior Ludolf Herolds<br />

mit Gedenkstein aus Rüthener Grünsandstein.


86 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

sterhafte seeleneifrige Priester“ war, der<br />

für seine „innigst geliebten Pfarrkinder<br />

[…] seine Tätigkeit, sein Vermögen und<br />

seine Gesundheit opferte […] bis zum<br />

letzten Schlage seines liebenden Herzens“.<br />

Sicherlich sind diese Annahmen<br />

der Vorstellungskraft ihrer Autoren geschuldet,<br />

die aus ihrer Zeit heraus ein<br />

von erkenntnisleitendem Interesse geprägtes<br />

Bild auf Herold projiziert haben.<br />

Erst heute, an einer erneuten gesellschaftlichen<br />

Wende erhellt, welche Begriffe<br />

und Kategorien ihn wirklich geleitet<br />

haben und da zeigt sich schnell, dass<br />

diese sich nicht nur auf seine große Persönlichkeit<br />

beschränken, sondern weit<br />

außerhalb zu suchen sind, in der Symbiose<br />

von Leben und Werk. Herold will<br />

(insbesondere für uns heute) mehr sein:<br />

Er ist der Gebildete, in dessen Person<br />

sich bis heute Momente vormoderner<br />

Lebensformen, Vorstellungen und<br />

Denktraditionen wiederfinden. Diese<br />

gebildete Persönlichkeit, die in ihrer vormodernen<br />

Betrachtung immer auch etwas<br />

von einem Künstler, Literaten und<br />

Kleriker hat, erweitert sich an der<br />

Schwelle zur Neuzeit um Inhalte der<br />

Technik und Ökonomie. Diese neuzeitlichen<br />

Momente schließlich sind es, die<br />

den Begriff des Gebildeten hinüberretten<br />

in das säkulare Zeitalter ab der Wende<br />

des 18. Jahrhunderts. Der Begriff des<br />

Gelehrten, als spezielle Ausprägung des<br />

Gebildeten, auch und vor allem im Sinne<br />

des Universalgelehrten, geht diesen<br />

Weg allerdings nicht mehr mit. Gerade<br />

Melchior Ludolf Herold ist es, der in seiner<br />

Persönlichkeit diese Konkurrenz -<br />

situation der Menschenbilder ein Stück<br />

weit überwindet. In seinem tradierten<br />

Lebensstil bleibt er vortechnisch und so,<br />

auf den ersten Blick, vormodern. In seinen<br />

Konzepten und Projekten scheint<br />

es, als versuche er eine Stufe gesellschaftlicher<br />

Metamorphose, der von der<br />

Stände – zur Industriegesellschaft zu<br />

überspringen und so sind seine Ant -<br />

worten auf die Fragen seiner Zeit, bei<br />

näherer Betrachtung, eben nicht mehr<br />

vormodern. Er antwortet vorausschauend<br />

auf Fragen einer sich etablieren wollenden<br />

Wissensgesellschaft postmoderner,<br />

vielleicht sogar postindustrieller<br />

Prä gung. Wohl erst zu spät merkt er,<br />

dass seine Antworten nicht ausschließlich<br />

die auf die Fragen seiner Zeit sind,<br />

sondern vielmehr Antworten auf die<br />

Lange Wende 94 – Mendener Straße 8<br />

Tel. 0 29 32/2 43 64 – Tel. 0 29 32/71 04<br />

59755 Arnsberg-Neheim<br />

Programm<br />

der Feierlichkeiten zum 200. Todestag<br />

von Pfarrer Melchior Ludolf Herold<br />

29. August 2010, 10:00 Uhr<br />

Festhochamt, anschließend Heroldfest<br />

mit Bauernmarkt, Einweihung der Turmuhr<br />

im Zehntspeicher und Eröffnung der<br />

Ausstellung sakraler Gegenstände<br />

31. August 2010, 19:00 Uhr<br />

(200. Todestag Herolds) Heilige Messe,<br />

anschließend Vortrag von Peter Becker,<br />

Brilon<br />

10. Septmber 2010, 20:00 Uhr<br />

Konzert mit heimischen Künstlern in der<br />

Pfarrkirche St. Pankratius Hoinkhausen<br />

12. September 2010<br />

Heilige Messe, anschließend Lobeprozession<br />

und Ausklang des Festes<br />

Fragen einer zukünftigen. Das pragmatische<br />

Element seiner Projekte bewirkt,<br />

dass Impulse ausgehen, die zwar aufgenommen,<br />

oft aber nicht genügend weiterentwickelt<br />

werden. Der theoretische<br />

Unterbau dieser Projekte genügt mehr<br />

als nur Herolds Zeit, was wiederum die<br />

Frage nach den geistigen Strömungen<br />

dieser Zeit aufwirft: Es ist der Aufklärungsgedanke<br />

der ihn prägt, verbunden<br />

mit einem stark ausgeprägten intrinsischen<br />

Bildungs willen, aber auch dem<br />

Willen, der Gesellschaft, in der er lebt<br />

und wirkt, diese Bildung möglich zu machen.<br />

Dieses säkulare Moment ist es,<br />

das er mit dem ihm innewohnenden<br />

Glauben so verbindet, dass für ihn eine<br />

Einheit entsteht. Glaube und Vernunft<br />

sind für ihn nicht dialektisch. Oberflächlich<br />

polar erscheinende Positionen erfahren<br />

in ihm und in seinem Werk einen<br />

kategorialen Überbau und gehen eine<br />

Synthese ein. Sie treten dadurch in ein<br />

SEIT 1928<br />

Abhängig keitsverhältnis, das in der Lage<br />

ist, darauf hin zu wirken: Bildung als<br />

höchstes Ziel menschlicher Entwicklung<br />

und Entfaltung zu begreifen. Individuelle<br />

Freiheit und gesellschaftliche Wohlfahrt<br />

gehen für Herold miteinander einher,<br />

das eine bedingt das andere.<br />

Und so zeigt sich auch hier wieder der<br />

Facettenreichtum eines Menschen, der<br />

kategorienübergreifend in Leben und<br />

Werk zutage tritt. Als Priester und<br />

Pädagoge, als Ökonom und Philosoph<br />

am Puls seiner Zeit, zeigt er in seinem<br />

Leben und Werk die Zukunfts ge wandt -<br />

heit auf, die notwendig ist, um wirklich<br />

industriös zu sein. Und schon das ist für<br />

einen Mann, auch heute noch, eine<br />

„Pferde Arbeit“.<br />

Zum Autor:<br />

Peter Karl Becker, Brilon, ist Diplom-Handels lehrer,<br />

Doktorand und wissenschaftlicher Mitar beiter am<br />

Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik an der Universität<br />

Paderborn. Seine Dissertation „Allerbester Melchior!<br />

Melchior Ludolf Herold – Initiator der Industrie -<br />

schulbewegung im Her zogtum Westfalen“ erscheint<br />

im Sommer 2010 in der Reihe „Studien und Quellen<br />

zur Westfälischen Geschichte“ im Bonifatiusverlag Paderborn.<br />

Neue Mitglieder<br />

bzw. Abonnenten<br />

Moritz Susewind, Köln<br />

Gabriele und Wilhelm<br />

Hagemeister, Münster<br />

Werner Starke, Sundern<br />

Eberhard von Wrede, Sundern<br />

Rudolf Müller, Sundern<br />

Helmut Beule, Finnentrop<br />

Dr. Matthias Siepe, Freiburg<br />

Lukas Wittmann, Brilon<br />

Thomas Kasperski, Balve<br />

Hans Röcken, Herscheid<br />

Jürgen Bornemann, Meschede


ausfl ugsblau und<br />

radelrot<br />

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14.0 6.2010<br />

10:34:00 Uhr<br />

farbe bekennen mit becker-druck.de


88 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Plattdeutsch geht ins Internet<br />

Zu einer Website des Christine-Koch-Archivs und neuen Ideen für die Mundartpflege von Peter Bürger<br />

Die Umwälzungen im Bereich der<br />

Kommunikationstechnologien haben<br />

sich schon im letzten Jahrhundert er -<br />

heblich auf den Bereich der Mund -<br />

artpflege – und die regionale Kulturarbeit<br />

insgesamt – ausgewirkt. Alternativen<br />

zur klassischen Buchsetzkunst (Kopierer,<br />

Offset verfahren etc.) machten es<br />

auch plattdeutschen Arbeitskreisen,<br />

Dorf vereinen oder Heimatdichtern<br />

möglich, eigene Texte und Projekte auf<br />

kostengünstige Weise zu edieren. Durch<br />

den Heim computer wurde es möglich,<br />

Mund art werke oder lokale Wörterbücher<br />

ohne weitere Transkriptionen für<br />

den Druck vorzubereiten. Nicht zuletzt<br />

verringerten sich dadurch – zumindest<br />

potentiell – die Fehlerquellen.<br />

1987 wurde am Maschinen- und Heimatmuseum<br />

Eslohe das „Christine Koch<br />

Mundartarchiv“ gegründet. Zu nächst<br />

diente es der Herausgabe einer vollständigen<br />

Werkausgabe der bekanntesten<br />

Mundartlyrikerin Südwestfalens. Seit<br />

1994 konnte zudem eine umfangreiche<br />

Sammlung zu plattdeutschen Autorinnen<br />

und Autoren aus den Krei sen HSK,<br />

Olpe, Soest und Märkischer Kreis aufgebaut<br />

werden. Seit 2006 wird eine Buchreihe<br />

zur sauerländischen Mundartliteraturgeschichte<br />

herausgegeben, von der<br />

schon zwei Bände vorliegen.<br />

In diesem Jahr nun soll das sauerländische<br />

Mundartautorenlexikon mit über<br />

900 Einträgen erscheinen. Die Arbeit<br />

daran geht in das Jahr 1994 und noch<br />

weiter zurück. Die in der Zwischenzeit erfolgten<br />

kulturellen Umwälzungen sind<br />

schier unglaublich. 1988, als sich das Archiv<br />

noch im Aufbau befand, hätte der<br />

Bearbeiter die nunmehr erfassten Daten<br />

gar nicht innerhalb eines noch praktikablen<br />

Zeitrahmens verwalten können (umso<br />

mehr lernt man, den Bienenfleiß<br />

früherer „Gelehrter“ zu bewundern).<br />

Heute stehen im Internet digitale Datenbanken<br />

über plattdeutsche Auto ren<br />

zur Verfügung, und manche verzweifelte<br />

Bücherfahndung erledigt sich spielend<br />

über Suchmaschinen oder Fern -<br />

leihe. Über kleine Datenträger wird es<br />

möglich sein, die eigene regionale Arbeit<br />

wiederum über kollegialen Aus -<br />

tausch in überregionale Projekte einfließen<br />

zu lassen. Mit einem fast achtzigjährigen<br />

Mundartautor tausche ich per<br />

E-Mail unkompliziert Informationen<br />

Das Mundartarchiv des Esloher Museums ist<br />

nach der Dichterin Christine Koch<br />

(1869-1951) benannt<br />

Foto: Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe<br />

und Text da tensätze aus. Oftmals ist es<br />

bei Recherchen möglich, im elektronischen<br />

Postverkehr mit beweglichen<br />

Heimat forschern oder Archivaren bestimmte<br />

Probleme im Handumdrehen<br />

aufzulösen. Die materielle Quellensichtung<br />

wird dadurch in keiner Weise überflüssig,<br />

aber sie kann durch viele Hilfsmittel<br />

und andere Erkenntniswege ergänzt<br />

werden.<br />

Verkürzt lässt sich postulieren: Was<br />

heute nicht im Internet zu finden ist, das<br />

existiert auf gewisse Weise überhaupt<br />

nicht. Die Berechtigung kulturkonservativer<br />

Anfragen an diesen „digitalen<br />

Struk turwandel der<br />

Öffentlichkeit“ unterstreiche<br />

ich in<br />

meinen eigenen Veröffentlichun<br />

gen. Indessen<br />

kann eine kulturpessimistischeVerweigerungs<br />

hal tung<br />

gegenüber dem Internet<br />

heute auch für<br />

die Platt deutschen<br />

nur als „Selbstmordkom<br />

mando“ bezeichnet<br />

werden.<br />

Wann hätten je<br />

solche äußeren In -<br />

strumente der Mit -<br />

teilung zur Ver fü -<br />

gung gestanden? Wäh rend die kommerzielle<br />

Medienlandschaft in Richtung<br />

Gleichschaltung marschiert, kann selbst<br />

die kleinste Ortschaft eine eigene Internetplattform<br />

einrichten. Im Netz wächst<br />

über das Wikipedia-Projekt eine plattdeutsche<br />

Enzyklopädie. (Eng lisch, die<br />

dominante Sprache des globalen Kommunikationszeitalters,<br />

ist eine sehr nahe<br />

Verwandte des Nieder deutschen, was<br />

man nicht außer Acht lassen sollte.) In<br />

diesem Zusammenhang werden nahe<br />

liegende Möglichkeiten des Sprach -<br />

gedächtnisses, die man sonst viel zu selten<br />

bedenkt, zumindest angegangen.<br />

Wer die Computerdaten eines lokalen<br />

Wörterbuches aufbewahrt, kann sie mit<br />

vergleichsweise geringem Aufwand der<br />

Allgemeinheit zugänglich machen und<br />

durch interaktive Arbeitsflächen sogar<br />

zur Diskussion stellen. Bei öffentlich geförderten<br />

Publikationen sollte man ohnehin<br />

erwarten, dass sie in gebührendem<br />

Abstand kostenlos über das Internet<br />

zur Verfügung gestellt werden. Der<br />

Sauer länder <strong>Heimatbund</strong> hat jüngst beschlossen,<br />

auch mit dem „kurkölnischen<br />

Wörterbuch“ so zu verfahren.<br />

Seit kurzem ist auch unser Mund -<br />

artarchiv mit einer eigenen Website und<br />

neuen Ideen im Internet vertreten. Auf<br />

www.sauerlandmundart.de erfährt man<br />

etwas über das Kulturgedächtnis der<br />

plattdeutschen Sprache und die Anlie -<br />

gen des Archivs. Der besondere Zugang<br />

des Esloher Museumsprojektes bezieht<br />

sich auf Mundartliteratur.<br />

Der neue Internetauftritt soll auch die<br />

Anschauung widerlegen, dass die Be -<br />

Ein Bild der Schreibgarnitur der Dichterin Christine Koch bildet<br />

den Blickfang der neuen Internetseite wwww.sauerlandmundart.de<br />

Foto: Engelbert Schulte


SAUERLAND NR. 2/2010 89<br />

schäftigung mit der lokalen Sprache nur<br />

etwas für ewig Gestrige ist. Zum Herzstück<br />

des Unternehmens gehört der<br />

Aufbau einer kostenlosen Internet -<br />

bibliothek mit dem Namen „daunlots“.<br />

Bislang kann man dort etwas zur Geschichte<br />

des <strong>Sauerländer</strong> Platts nachlesen,<br />

in einer Erstveröffentlichung neu<br />

aufgetauchte Gedichte von Christine<br />

Koch entdecken und Sprachzeugnisse<br />

aus der Mitte des 19. Jahrhunderts herunterladen.<br />

Nachahmung wird empfohlen.<br />

Das Projekt soll wachsen. Neue Bände<br />

für die Internetbibliothek sind bereits<br />

Nördlich der Pfarrkirche in Eslohe<br />

stehen drei alte, zum Teil stark verwitterte<br />

Grabdenkmäler. Eines von ihnen zeigt<br />

einen Schmetterling im Kreis einer<br />

Schlange und gleich darunter einen<br />

sechseckigen Stern, der an einen Davidstern<br />

erinnern mag. Dem Esloher Peter<br />

Bürger gebührt der Verdienst, erstmals<br />

auf dieses ungewöhnliche Denkmal aufmerksam<br />

gemacht und seine Sym bole<br />

gedeutet zu haben. 1 Doch wie kommt<br />

solch ein Stein auf den Kirchhof von Eslohe?<br />

Peter Bürger vermutet aufgrund der<br />

figürlichen Darstellung, dass es sich um<br />

ein jüdisches Grabmal handele. Stimmt<br />

dies wirklich? Der Stein selbst gibt durch<br />

seine Inschrift eindeutig Auskunft über<br />

die Identität der Toten, für die er bestimmt<br />

war. Gestiftet wurde das Denkmal,<br />

so die Inschrift auf der Vorderseite,<br />

für die in jungen Jahren verstorbene<br />

Louise Gabriel durch ihre Eltern. Ein<br />

Blick in die katholischen Kirchenbücher<br />

Eslohes gibt ohne Umstände das Geheimnis<br />

ihrer Identität preis. Louise Gabriel<br />

wurde am 9. Juli 1814 in Eslohe<br />

geboren und einen Tag später in der<br />

dortigen Pfarrkirche getauft. Ihre Taufnamen<br />

waren Magdalena Ludovica<br />

Dorothea. „Louise“ ist eine Zärtlichkeitsform<br />

von „Ludovica“. Das Sterberegister<br />

der Esloher Pfarrkirche verrät,<br />

dass Louise Gabriel am 28. August<br />

in Arbeit. Auch kaum bekannte Bücher<br />

aus der Vergangenheit könnten darin<br />

Aufnahme finden. Allerdings werden<br />

noch ehrenamtliche Mitarbeiter/<br />

innen gesucht, die plattdeutsche Texte<br />

am Computer erfassen können.<br />

Ein anderes Unternehmen, das von<br />

Dr. Werner Beckmann betreute „Mund -<br />

artarchiv Sauerland“ (Stertschultenhof),<br />

beherbergt in seinem Fundus Tonauf -<br />

nah men zu rund 130 verschiedenen<br />

Ortsmundarten. Mittelfristig gibt es hier<br />

die Möglichkeit, zumindest kurze Hör -<br />

proben für alle besuchten Dörfer im Internet<br />

abrufbar zu machen.<br />

Ein jüdischer Grabstein auf dem Esloher Kirchplatz?<br />

Ein Blick in die Geschichte der Familie Gabriel in Eslohe hilft, das Rätsel zu lösen<br />

1830 in Eslohe an Auszehrung verstarb<br />

und bereits zwei Tage danach auf dem<br />

damaligen Kirchhof zu Grabe geleitet<br />

wurde. Sie war gerade einmal 16 Jahre<br />

alt.<br />

Dieser Befund macht den Grabstein<br />

noch rätselhafter, als er bislang schon<br />

erschien. Warum wählten die trauernden<br />

christlichen Eltern vermeintlich jüdische<br />

Symbole, um ihrer Trauer und<br />

ihrem Glauben Ausdruck zu verleihen?<br />

Der Schmetterling war ein beliebtes<br />

Grab symbol im 19. Jahrhundert. Auf<br />

dem jüdischen Friedhof in Verl, Kreis<br />

Güters loh, ist er während des ganzen<br />

19. Jahrhunderts mehrfach anzutreffen.<br />

Aus dem Sauerland sind mir trotz sorgsamer<br />

Nachforschungen bislang keine<br />

Bei spiele bekannt geworden. Es scheint<br />

sich jedoch nicht um ein spezifisch jüdisches<br />

Symbol zu handeln, sondern allgemein<br />

dem Geschmackskanon der Romantik,<br />

die gerne Vorstellungen der Antike<br />

aufgriff, zuzurechnen zu sein. Der<br />

Schmet terling gilt seit der Antike als<br />

Symbol der befreiten unsterblichen Seele,<br />

die ihrer Leibesbindung und damit<br />

Erdver haftetheit entledigt ist und sich<br />

zum Himmel erhebt. Die Schlange, von<br />

welcher der Schmetterling auf Louise<br />

Ga briels Grabstein umgeben wird, lässt<br />

sich ebenfalls nicht als typisch jüdische<br />

Grab zier nachweisen. Auch die Urschlan<br />

ge, die sich in den eigenen<br />

Die Zukunftsmusik wäre damit noch<br />

keineswegs ausgespielt. Was spräche<br />

z. B. gegen plattdeutsche Lernpro -<br />

gramme im Netz? Warum sollte es nicht<br />

Menschen geben, die Plattdeutsch auf<br />

solche Weise oder anders erlernen und<br />

dann auch nach dem Sterben einer lokalen<br />

Alltagssprache ein neues Kapitel der<br />

Mundartdichtung schreiben? Eine Alter -<br />

native zu ohnmächtigen Lamentos lautet<br />

auf jeden Fall: „Plattdeutsch geht ins<br />

Internet.“<br />

Internetseite & Kontakt:<br />

www.sauerlandmundart.de<br />

von Hans Jürgen Rade<br />

Schwanz beißt und so einen Kreis bildet,<br />

steht im Rückgriff auf die antike Ausdrucksweise<br />

für das Werden und Vergehen<br />

in der Zeit, der wir Menschen wie<br />

die gesamte Natur unterworfen sind.<br />

Schlange und Schmetterling bringen zugleich<br />

die Er fahrung der bitteren Realität<br />

des Todes wie die dem Judentum und<br />

dem Christentum gemeinsame Hoffnung<br />

zum Ausdruck. Der Leichnam<br />

kehrt im Grab zum Staub der Erde<br />

zurück, der er entnommen ist, die befreite<br />

Seele hingegen erhebt sich zum Leben<br />

bei Gott.<br />

Und der vermeintliche Davidstern?<br />

Auch hier ist bei der Deutung Vorsicht<br />

geboten, wiewohl die Geschichte der<br />

Familie Gabriel, der Louise entstammte,<br />

tatsächlich das jüdische Erbe ins Spiel<br />

bringt.<br />

Vom Kaufmann, Werkzeugfabri kan -<br />

ten und Gerichtsschöffen Christoph Gabriel,<br />

Louises Vater, vermutete Karl<br />

Thomas, der 1986 die Esloher Häuser -<br />

l iste von 1819 veröffentlichte, dass es<br />

sich bei ihm um einen konvertierten Juden<br />

handele, der bewusst seine Her -<br />

kunft verschleiert habe. 2 Um diese Vermutung<br />

Karl Thomas nachvollziehen zu<br />

können, muss man wissen, dass Herr<br />

Thomas sich vergeblich bemüht hat, die<br />

Herkunft des Christoph Gabriel zu ermitteln.<br />

Als Christoph Gabriel im Jahre<br />

1800 in Eslohe Christina Wortmann aus


90 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Durch die zunehmende Verwitterung ist der Name<br />

„Louise Gabriel“ kaum noch zu lesen<br />

Stockum-Brenschede heiratete, wurde<br />

als sein Herkunftsort zurecht Arnsberg<br />

angegeben. Doch wurde er dort nicht<br />

geboren! Christoph Gabriels Eltern Cle -<br />

mens und Elisabeth Gabriel waren seit<br />

ca. 1752 in Winterberg als Mieter ansässig.<br />

Dort wurde ihre Habe Opfer des<br />

großen Stadtbrandes, der in der Nacht<br />

zum 1. August 1759 Winterberg in<br />

Schutt und Asche legte. Die Familie<br />

wich nach Hallenberg aus, wo ihr fünf<br />

Tage nach dem Winterberger Brand eine<br />

Tochter namens Anna Carolina geboren<br />

wurde. Man stelle sich die Not<br />

vor! Von 1759 bis 1764 verliert sich<br />

kurzzeitig die Spur der heimatlos gewordenen<br />

Familie. 1764 ließ sie einen Sohn<br />

in Deifeld taufen. Von 1766 bis 1776<br />

wohnte sie in Siedlinghausen, 1777<br />

schließlich wurde sie in Arnsberg heimisch,<br />

wo sie Haus und Garten und das<br />

Bürgerrecht erwerben konnte. Christoph<br />

Gabriel stammte folglich aus<br />

Arnsberg, auch wenn er dort nicht geboren<br />

war. Glaubt man der Altersangabe<br />

von Christoph Gabriel im Esloher<br />

Kirchenbuch, der 1847 im gesegneten<br />

Alter von 86 Jahren gestorben sein soll,<br />

müsste er um 1761 geboren sein, also<br />

in jener Zeit, für die der Zwischenaufenthalt<br />

der Eltern bislang noch unbekannt<br />

ist. Einer der Trau zeugen Christoph Gabriels<br />

war der Arnsberger Bürger, Metzger<br />

und Richt mann der Arnsberger<br />

Metzgerzunft Friedrich Bönner, der mit<br />

Christoph Gabriels Schwester Anna Carolina<br />

verheiratet war. Christoph Gabriels<br />

jüngste Schwester Theresia war seit<br />

1799 mit dem Metzger und Arnsberger<br />

Bürger Johann Hermann Wiethof verheiratet,<br />

der aus Salwey im Kirchspiel<br />

Eslohe stammte. Im Kirchdorf Eslohe,<br />

das um 1819 gerade mal 29 Häuser<br />

umfasste, dürfte wie nachweislich in<br />

Arnsberg öffentlich bekannt gewesen<br />

sein, dass Christoph Gabriels Eltern vor<br />

dem Winterberger Stadtbrand in Winterberg<br />

zusammen mit ihren drei ältesten<br />

Kin dern dem Judentum entsagt<br />

und die Taufe empfangen hatten. Im 18.<br />

Jahr hundert gab es im ganzen Sauerland<br />

insgesamt nur zwei jüdische Ehepaare,<br />

die sich taufen ließen. Eines davon<br />

waren Clemens und Elisabeth Gabriel<br />

3. Von der absoluten Seltenheit des<br />

Geschehens darf man sicher darauf<br />

schließen, dass das Ereignis nicht nur<br />

Dorf- oder Stadtgespräch, sondern im<br />

Sauerland weithin bekannt war.<br />

Doch warum sollte Christoph Gabriel,<br />

der weder als Jude geboren noch ins<br />

Judentum hineingewachsen war noch<br />

mit jüdischer Grabsteinsymbolik vertraut<br />

gewesen sein dürfte, ausgerechnet einen<br />

Davidstern für den Grabstein seiner<br />

Tochter wählen? Wollte er damit doch<br />

vor aller Welt auf seine Herkunft verweisen,<br />

statt sie zu verheimlichen? Oder<br />

wollte er die Übereinstimmung im jüdischen<br />

und christlichen Glauben an ein<br />

ewiges Leben bei Gott sichtbar zum<br />

Ausdruck bringen? Doch vielleicht sind<br />

diese Fragen schon zu viel der Interpretation.<br />

Denn betrachtet man jüdische<br />

Grabsteine des 19. Jahrhunderts, fällt<br />

auf, dass Davidsterne stets erkennbar als<br />

zwei spiegelbildlich ineinandergreifende<br />

hervortretende Dreiecke dargestellt werden.<br />

Auf Louise Gabriels Grabstein hingegen<br />

findet sich schlicht ein sechseckiger<br />

Stern als Vertiefung. Vielleicht „sehen“<br />

unsere Augen heute „mehr“, als jemals<br />

beabsichtigt war!<br />

Der Schmetterling im Kreis der Schlange als Bekrönung<br />

des Grabsteins von Louise Gabriel auf dem Esloher Kirchplatz<br />

Fotos: Verfasser<br />

Dem Ehepaar Christoph Gabriel und<br />

Christina Wortmann wurden in Eslohe<br />

drei Töchter und zwei Söhne geboren,<br />

von denen zwei Töchter und ein Sohn<br />

jung verstarben. Der Grabstein von Maria<br />

Anna Gabriel (13. April 1808 –<br />

9. Mai 1836), soweit erkennbar ohne<br />

vermeintliche oder wirkliche jüdische<br />

Sym bole, steht noch heute neben dem<br />

ihrer Schwester Louise. Ob der dritte<br />

ebenfalls einem Familien mitglied zuzurechnen<br />

ist? Der Sohn Ferdinand Gabriel<br />

(1802-1864) setzte als Guts- und Fabrikbesitzer,<br />

Gerichts schöffe, Mitglied<br />

des Kreis- und Abgeordneter des Provinziallandtages<br />

das Wirken seines Vaters<br />

erfolgreich fort. Er ist der Stammvater<br />

aller Esloher Gabriels.<br />

Durch den Blick in die Geschichte der<br />

Familie Gabriel erweist sich das scheinbar<br />

rätselhafte Grabmal neben der Esloher<br />

Kirche eindeutig nicht als Gedenkstein<br />

jüdischer Herkunft4, sondern als<br />

christliches Zeugnis der Hoffnung auf<br />

ein Leben über den Tod hinaus.<br />

1 In: Maschinen- und Heimatmuseum Eslohe (Hg.),<br />

Esloher Museumsnachrichten 1992, Fredeburg<br />

1992, S. 13-14. Erneut abgedruckt in: Wilfried<br />

Oertel (Hg.), Jüdisches Leben im Synagogenbezirk<br />

Meschede, Meschede 2004, S. 50-51.<br />

2 Karl Thomas, Ein Häuser- und Familienverzeichnis<br />

des sauerländischen Dorfes Eslohe von 1819, in:<br />

Mitteil ungen der westdeutschen Gesellschart für<br />

Fa milienkunde, Bd. 32, 73. Jg., 1985, S. 1-6,<br />

141-148.<br />

3 Hans Jürgen Rade, Die jüdischen Wurzeln der<br />

Arnsbergerin Christina Gabriel (1766-1835), in:<br />

Südwestfalen Archiv, 5. Jg, Arnsberg 2005, S.<br />

143-159.<br />

4 Als christlicher Grabstein fand er konsequenterweise<br />

auch kein en Eingang in die gründliche Aufnahme<br />

jü discher Kulturdenkmäler in Eslohe: Elfi<br />

Pracht-Jöms, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-<br />

Westfalen, Teil V: Regierungsbezirk Arnsberg, Köln<br />

2005, S. 304-307.


SAUERLAND NR. 2/2010 91<br />

Akt der Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen<br />

Auf den Spuren der Vorfahren –<br />

Vom STALAG Hemer über Niedereimer in den Steinbruch Müschede und weiter zur Möhnetalsperre<br />

von Detlev Becker<br />

Was macht eine französische Familie<br />

in Deutschland – insbesondere in Nieder<br />

eimer? Um diese Frage zu klären, bedarf<br />

es einer längeren und mitfühlenden<br />

Ausführung, welche gleichzeitig zur Aufarbeitung<br />

und zum besseren Ver ständnis<br />

der Geschehnisse im Dritten Reich zwischen<br />

1939 und 1945 dienen soll.<br />

Der junge Franzose Eugène Robert<br />

Lécuyer geriet am 22. Juni 1940 als<br />

Soldat des Zweiten Weltkrieges in Gefan<br />

genschaft und wurde nach Deutschland<br />

deportiert. Hier leistete er, wie viele<br />

andere Gefangene auch, in den noch<br />

verbleibenden fünf Kriegsjahren Arbeiten,<br />

die von wehrtüchtigen deutschen<br />

Män nern nicht mehr ausgeführt werden<br />

konnten, da diese bereits zum Kriegs -<br />

dienst eingezogen waren. E. R. Lècuyers<br />

ungewollte Reise nach Deutschland<br />

endete vorerst im STALAG VI A<br />

(Stamm lager für Kriegsgefangene) in<br />

Hemer, auf dem heutigen Landesgartenschau<br />

gelände. Hier wurden die Männer<br />

in Kolonnen eingeteilt und den entsprechenden<br />

Arbeitsstätten zugeteilt. So<br />

kam E. R. Lècuyer zuerst in das Lager<br />

nach Hü s ten-Ost und dann weiter nach<br />

Müsche de wo er im Ruhr-Lippe-Stein -<br />

bruch ar beiten musste. Später verrichtete<br />

er seine Arbeit beim Wiederaufbau<br />

der durch die Zerstörung der Möhnetal -<br />

sperre zertrümmerten Gleisanlage bei<br />

Niederense. Am 13. April 1945 endete<br />

sein Martyrium in Deutschland durch<br />

den Einmarsch amerikanischer Truppen.<br />

Er kehrte als freier aber dennoch<br />

von den Kriegseinwir<br />

kun gen gezeichneter<br />

Mann in<br />

sein Heimatland<br />

Frank reich zurück.<br />

Sein Kriegskamerad<br />

Jean Maurice<br />

De lorme schaffte<br />

dies leider nicht. Er<br />

verlor bei dem<br />

schweren Bom -<br />

bardement am 9.<br />

März 1945 in Niedereimer<br />

sein Leben.<br />

Am Ehrenmal in Niedereimer<br />

Nicolas Lècuyer, Nicole Lècuyer, Ortsheimatpfleger Detlev Becker<br />

(Niedereimer),Tania Lècuyer, Jean-Claude Lècuyer,<br />

Dieter Lanz (Übersetzer)<br />

Die Stationen<br />

beider Männer<br />

wollte nun Familie<br />

Lè cuyer nach fast<br />

70 Jahren noch einmal nachvollziehen.<br />

So machte sich die Familie am 12. April<br />

diesen Jahres aus der Nähe von Paris<br />

auf den 700 km langen Weg nach<br />

Deutschland. Genauer gesagt zum ehemaligen<br />

STALAG VI A nach Hemer.<br />

Am 13. April besichtigte Familie Lècuyer,<br />

mit weiteren 31 Franzosen, welche<br />

dasselbe Schicksal teilen und Angehörige<br />

in Hemer hatten, vorab das Gelände<br />

des ehemaligen STALAG VI D in Dortmund,<br />

auf dem die West falenhallen stehen.<br />

Zum 65. Jahres tag der Befreiung<br />

des Lagers STALAG VI A HEMER am<br />

14. 4. 1945 durch amerikanische Trup -<br />

pen fand am 14. April 2010 eine Ge -<br />

denk veran staltung am Mahn mal vor der<br />

einstigen Blücher kaserne und dem heutigen<br />

Gelände der<br />

L a n d e s g a r t e n -<br />

schau 2010, unter<br />

dem passenden<br />

Motto „Zau ber der<br />

Ve r w a n d l u n g “<br />

statt. Zuvor hatte<br />

die Reisegruppe,<br />

die aus allen Regionen<br />

Frankreichs<br />

kam, Gelegenheit<br />

sich die Ausstellung<br />

zum Thema<br />

„Kriegs gefangene<br />

im STALAG Hemer“<br />

in den neu<br />

gestalteten Räu-<br />

Gedenkstätte am ehemaligen STALAG VI A in Hemer<br />

Jean-Claude Lècuyer, Tania Lècuyer, Nicolas Lècuyer, Nicole Lècuyer<br />

men anzusehen.<br />

An der Veranstaltung<br />

vor dem Kasernentor<br />

nahmen<br />

neben den Franzosen, Vertreter der<br />

Stadt Hemer, Mitglieder verschiedener<br />

Gruppen und ebenfalls viele Bürger teil.<br />

Am Abend saßen die Teilnehmer der<br />

Fahrt dann noch zum Erfahrungsaus -<br />

tausch und besseren Kennenlernen beisammen.<br />

Großen Anteil an der Orga -<br />

nisation, dem Aufenthalt in Deutschland<br />

sowie den Führungen und der Ge -<br />

denkfeier hatten die Eheleute Règine<br />

und Karl-Heinz Hessling aus Hemer.<br />

Als dann die meisten der französischen<br />

Reisegruppe die Rückreise antraten,<br />

fuhr Familie Lècuyer noch ins<br />

Sauerland um hier nach den Orten zu<br />

suchen, wo die beiden Männer Eugène<br />

Robert Lècuyer und Jean Maurice<br />

De lorme eine enge Freundschaft<br />

verband.<br />

Mit dem Ortsheimatpfleger Detlev<br />

Becker und der Historikerin Simone<br />

Toch aus Niedereimer sowie dem Übersetzer<br />

Dieter Lanz traf sich Familie Lècuyer<br />

zuerst am einstigen Standort der<br />

Gastwirtschaft Schefferei in Nieder -<br />

eimer. Hier soll der Franzose J. M.<br />

Delorme nach dem Bombenangriff zuerst<br />

versorgt worden sein. Danach ging<br />

es weiter auf das ehemalige Ziegelei -<br />

gelände und dem Haus Kaiser, wo am<br />

9. März 1945 im Bombenhagel 21<br />

Menschen ihr Leben lassen mussten. Im<br />

Ort Niedereimer selbst zeigte der Orts -<br />

hei matpfleger den Gästen verschiedene<br />

Anwesen und Betriebe, wo Zwangs -<br />

arbeiter und unter anderem auch Franzosen<br />

während des Krieges arbeiten<br />

mussten. Am Ehrenmal in Niedereimer


92 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

legte man gemeinsam ein Gesteck zur<br />

Völkerverständigung und Versöhnung<br />

nieder. Sichtlich gerührt zeigte sich die<br />

Familie Lècuyer von dieser, den Fran -<br />

zosen, entgegengebrachte Geste. An -<br />

schließend stand ein Besuch des örtlichen<br />

Friedhofes auf dem Plan. Hier<br />

wurde J. M. Delorme mit den anderen<br />

Bombenopfern beigesetzt, bis er 1946<br />

mutmaßlich nach Frankreich überführt<br />

wurde. Hierüber liegen leider keine genauen<br />

Aufzeichnungen vor. Der nächste<br />

Ort welcher besichtigt wurde war<br />

Hü s ten-Ost. Hier befand sich in den ersten<br />

Kriegsjahren zwischen den Ruhr-<br />

Lippe- und den Deutsche Bahn-Gleisen<br />

ein Lager für Kriegsgefangene, darunter<br />

auch Franzosen. In Müschede traf<br />

man sich mit dem dortigen Ortsheimatpfleger<br />

Hubert Michel, um vor Ort den<br />

ehe maligen Ruhr-Lippe-Steinbruch<br />

(heute Müllverladestation) zu besichtigen.<br />

Hier hatte E. R. Lècuyer zeitweise<br />

gearbeitet. Die Steine hier wurden für<br />

den Wie deraufbau der Möhnetalsperre<br />

und den Gleisbau der zerstörten Ruhr-<br />

Lippe-Eisenbahn benötigt. Während<br />

dieser Zeit brachte man die Franzosen,<br />

neben anderen Gefangenen, im beschlagnahmten<br />

Haus des Prokuristen<br />

Rettler in Mü schede unter. Danach ging<br />

es weiter die Möhnestraße hinauf zur<br />

Talsperre. An diesem Straßenzug entlang<br />

verlief früher die Strecke der Ruhr-<br />

Lippe-Eisenbahn, an dessen Wiederaufbau<br />

E. R. Lècuyer beteiligt war. Abschluss<br />

der Exkursion war die Möhnetalsperre.<br />

Hier konnte sich Familie<br />

Lècuyer selbst von der beeindruckenden<br />

Größe des Bauwerkes überzeugen.<br />

Mit Fotos versuchte man die Dimensionen<br />

der Zerstörung vom 17. Mai 1943<br />

näher zu bringen.<br />

Hier hieß es dann auch gleichzeitig<br />

Abschiednehmen voneinander. Mit vielen<br />

neuen, emotionalen und aufschluss -<br />

reichen Erkenntnissen verließ die<br />

Fa milie Lècuyer das Sauerland und<br />

Deutschland. Gegenseitig versprach<br />

man sich in Kontakt zu bleiben, um weiter<br />

Erfahrungen auszutauschen und Erkenntnisse<br />

weiterzugeben. Weitere gegenseitige<br />

Besuche in Deutschland oder<br />

Frankreich seien zudem nicht ausgeschlossen.<br />

So entstand eine ganz neue<br />

deutsch/französische Freundschaft auf<br />

unpolitischer Basis.<br />

Aus dem Vorstand<br />

Das Golddorf Oberhennebom im Schnee – ein eindrucksvolles Bild. Wie in je dem<br />

Jahr trafen sich hier am 12. März 2010 die Vorstandsmitglieder unseres <strong>Heimatbund</strong>es<br />

zu ihrer ersten Sitzung im neuen Jahr. Im Traditionsgasthof Wüllner konnte<br />

unser Vorsitzender Dieter Wurm zum ersten Punkt der Tages ordnung – Vorbereitung<br />

der Mitgliederversammlung am 28. August – die Ver treter der Stadt Marsberg mit<br />

dem stellvertretenden Bürgermeister Johannes Wüllner an der Spitze begrüßen. Der<br />

Vorsitzende des Marsberger Heimatbun des Alfred Tack gab an Hand eines ausgearbeiteten<br />

Detailplans eine eindrucks volle Übersicht über den Verlauf der Mitgliederversammlung<br />

im August. In der Diskussion wurde lobend hervorgehoben, dass bei<br />

den Exkursionen nicht nur „geschichtsträchtige“ Orte aufgesucht, sondern auch Gegenwartsprojekte<br />

wie die Biogasanlage in Leitmar vorgestellt würden.<br />

Zum Tagesordnungspunkt „Förderung des Plattdeutschen“ berichtete Manfred<br />

Raffenberg über die Vorbereitung des 16. Plattdeutschen Tages in Eslohe-Cobbenrode.<br />

Kreisheimatpfleger Peter Sukkau teilte mit, dass ab Herbst erstma lig auch im<br />

Kreis Soest einige plattdeutsche Interviews geführt werden sollen.<br />

Hans Wevering stellte in vorbildlicher Straffheit die März-Ausgabe unserer Zeitschrift<br />

vor, die wieder 48 Seiten umfasst. In Zukunft soll darauf geachtet werden,<br />

dass die Heimatarbeit im Kreis Olpe in den Beiträgen wieder stärker zur Geltung<br />

kommt.<br />

Unser Schatzmeister Hans-Dieter Löffler konnte sich bei seinem Kassenbericht<br />

mit dem einen Satz begnügen, dass der <strong>Heimatbund</strong> weiterhin „schwarze Zah len“<br />

schreibt und dass die Finanzierung des zweiten Bandes unseres Buchpro jektes „Herzogtum<br />

Westfalen“ gesichert ist.<br />

Zu diesem Buchprojekt teilte der Vorsitzende mit, dass zwei Autoren nicht mehr<br />

zur Verfügung stünden. Die Herausgabe des zweiten Bandes wird sich deshalb vermutlich<br />

um ein Jahr verzögern, was aber nach Meinung des Vorstandes hin -<br />

genommen werden kann.<br />

Unter dem Punkt „Verschiedenes“ berichtete Leo Klinke, Schüler der 12. Klasse<br />

des Benediktiner-Gymnasiums in Meschede, über seine Facharbeit zur Ge -<br />

schichte der Hünenburg. Seine Arbeit, für die er viel Beifall erhielt und die von Kreisheimatpfleger<br />

Hans-Jürgen Friedrichs betreut wird, soll in unserer Zeit schrift veröffentlicht<br />

werden.<br />

Frau Susanne Falk berichtete über das „Qualifizierungsnetzwerk Kulturland -<br />

schaftsführer Südwestfalen“, dem zukünftig sicher größere Bedeutung zu kommt.<br />

Von ähnlicher Bedeutung ist das von Hans-Jürgen Friedrichs vorgestell te Projekt<br />

„Gärten und Parks in Südwestfalen. Verborgene Orte neu entdecken“. Beide Projekte<br />

sollten im Vorstand noch einmal ausführlicher behandelt werden.<br />

Abschließend gab unser Vorsitzender eine persönliche Erklärung ab. Aus Ge -<br />

sundheitsgründen und wegen seines Alters wolle er im August nach Ablauf der Wahlperiode<br />

nicht wieder für den Vorsitz kandidieren. Auch die stellvertreten de Vorsitzende<br />

Wilma Ohly steht nicht mehr zur Verfügung. Der Vorstand nahm beide Erklärungen<br />

mit sehr großem Bedauern zur Kenntnis. Er stimm te sodann einstimmig<br />

dem Vorschlag zu, der Mitgliederversammlung als neuen ersten Vorsitzenden den<br />

langjährigen Bürgermeister der Stadt Olsberg Elmar Reuter und als 2. Vorsitzende<br />

Frau Birgit Haberhauer-Kuschel aus Attendorn vorzuschlagen.<br />

Nachzutragen bleibt, dass der Vorsitzende zu Beginn der Sitzung den Heimat -<br />

freund Hans Günter Süggler aus Warstein begrüßen konnte, der den Kreis Soest in<br />

Zukunft als Nachfolger unseres langjährigen verdienstvollen Vorstandsmit glieds<br />

Heinz-Werner Klaus – Rüthen – vertritt. Dr. Adalbert Müllmann


SAUERLAND NR. 2/2010 93<br />

Eichengallen im Sauerland<br />

Was ist das, eine Pflanzengalle?<br />

Pflanzengallen sind abnorme Gebilde,<br />

die von einer Wirtspflanze unter dem<br />

Einfluss eines Gall-Erregers erzeugt werden.<br />

Dessen Larve wächst im Inneren<br />

der pflanzlichen Wucherung heran und<br />

ernährt sich von ihrer Substanz. Die ausschlüpfenden,<br />

in der Regel winzigen Tiere<br />

sind frei beweglich und sorgen für die<br />

Verbreitung und Vermehrung. Gallen<br />

können von Vertretern recht unterschiedlicher<br />

Tiergruppen angeregt werden.<br />

Überwiegend handelt es sich um<br />

Gallwespen, Gallmücken, Gallfliegen<br />

und Gallmilben, aber auch bestimmte<br />

Käfer-, Schmetterlings- und Wanzen -<br />

arten sind am Entstehen von Gall -<br />

bildungen beteiligt. Diese haben eine<br />

charakteristische und in der Regel unverwechselbare<br />

Form, wie ein Blick auf die<br />

fünf Beispiele von Eichengallen zeigt, die<br />

hier näher behandelt werden sollen.<br />

Jede Galle hat ihren spezifischen Erreger,<br />

der ausschließlich auf eine bestimmte<br />

Wirtsart oder doch zumindest<br />

auf eine Wirtsgattung mit mehreren<br />

ähnlichen Arten ausgerichtet ist. Den<br />

Nut zen hat dabei ausschließlich das Tier.<br />

Die Pflanze nimmt im Normalfall keinen<br />

erkennbaren Schaden. Insofern sind die<br />

Gall-Insekten auch nicht als Parasiten im<br />

strengen Sinne anzusprechen. Die<br />

kaum vorstellbare Menge an Gallen, wie<br />

sie eine gesunde Eiche in einem „guten“<br />

Gallenjahr (etwa 2009) tragen kann (gewiss<br />

Zehntausende von Kleingallen!),<br />

geht, soweit erkennbar, nicht zu Lasten<br />

des Holz- und Substanzzuwachses. Das<br />

bewältigt die Eiche aus ihrer schier unerschöpflichen<br />

vegetativen Kraftreserve<br />

Abb. 1: Linsengallen, Blattunterseite einer Stieleiche<br />

(mit 2 Krempengallen), Ruhrtal 2009<br />

heraus. Es verbleibt zwischen den von<br />

Gallen besetzten Anteilen der Blatt -<br />

spreite hinreichend Fläche für die normale<br />

Photosynthese und damit für die<br />

eigentliche pflanzliche Produk -<br />

tionsleistung – und im Übrigen ist für<br />

den Baum der ganze Gallenspuk mit<br />

dem herbstlichen Blätterfall ohnehin für<br />

ein Jahr wieder überstanden.<br />

In mehrfacher Hinsicht ist das Mitein -<br />

ander von Wirtspflanze und Gallinsekt<br />

von besonderem biologischen Interesse.<br />

Schon die Entstehung der Galle ist ein<br />

geheimnisvoller Vorgang. Welches Sig -<br />

nal veranlasst die Wirtspflanze, ihr genetisches<br />

Programm, das zuständig ist für<br />

die Herstellung des arteigenen Gewebes,<br />

punktuell umzustellen auf die Produktion<br />

der Galle? Ist es bereits der Stich<br />

der Gallwespe bei der Eiablage, vielleicht<br />

zusätzlich die Injektion eines bestimmten<br />

Stoffes, oder sind es die Ausscheidungen<br />

der heranwachsenden Larve,<br />

die die lokale Physiologie der Wirtpflanze<br />

umstimmt auf die Bedürfnisse<br />

des Gastes? In einer neueren Veröffentlichung<br />

zu diesem Problem äußert sich<br />

der englische Gallenspezialist Simon<br />

RANDOLPH (2005) wie folgt: „Die Natur<br />

und Be schaffenheit der Signale …,<br />

die zu den vielfältigen, komplexen und<br />

manchmal spektakulären Strukturen<br />

führen, die die äußere Gestalt der Gallen<br />

auszeichnen, sind noch nicht bekannt“<br />

(S. 40, übersetzt v. Verf.).<br />

Eine weitere Besonderheit vieler Gallwespen,<br />

auch der hier ausgewählten<br />

Beispiele, ist der Generationswechsel.<br />

Er besteht darin, dass sich eine geschlechtlich<br />

sich fortpflanzende, also<br />

von Prof. Dr. Reiner Feldmann<br />

zweigeschlechtliche Generation im Verlauf<br />

eines Jahres ablöst mit einer eingeschlechtlichen<br />

Generation, die aus -<br />

schließlich aus Weibchen besteht. Diese<br />

legen unbefruchtete Eier, aus denen die<br />

Männchen und Weibchen der zweigeschlechtlichen<br />

Folgegeneration hervorgehen.<br />

Die Tiere der beiden Gruppen<br />

weichen in Gestalt und Größe so stark<br />

voneinander ab, dass man sie früher als<br />

zwei getrennte Arten angesehen hat, zumal<br />

sie auch noch unterschiedlich aussehende<br />

Gallen produzieren. Das wird am<br />

Beispiel des Eichengallapfels und seiner<br />

Gallwespe erläutert werden.<br />

Noch komplizierter wird es, wenn der<br />

Generationswechsel zusätzlich mit einem<br />

Wirtswechsel verbunden ist. Das<br />

ist, wie wir sehen werden, bei der Knop -<br />

perngallwespe der Fall.<br />

Und schließlich hat sich herausgestellt,<br />

dass der Gall-Erreger nicht der einzige<br />

Bewohner der von ihm induzierten<br />

Pflanzengalle ist. Vielmehr gibt es eine<br />

ganze Anzahl von Tieren unterschiedlicher<br />

Art, die als Mitbewohner den Raum<br />

und die Ressourcen des pflanzlichen Gebildes<br />

mitnutzen – und das auf sehr unterschiedliche<br />

Weise und mit ausgeprägten<br />

Eigeninteressen der einzelnen Partner.<br />

Es handelt sich um eine Lebensgemeinschaft<br />

der besonderen Art, von der<br />

im Schlussabschnitt die Rede sein soll.<br />

Häufige Eichengallen<br />

Unsere heimischen Stiel- und Trau -<br />

beneichen sind die Wirtsbäume mit der<br />

artenreichsten und buntesten Gallen -<br />

fauna. Das Standardwerk von Herbert<br />

BUHR (1965) widmet den Eichengallen<br />

Abb. 2: Münzengallen, Ruhrtal 2009


94 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Abb.3: Krempengallen, Ruhrtal 2009 Abb.4: Eichengallapfel, Ruhrtal 2009<br />

mehr als 60 Textseiten, und für die Darstellung<br />

der kompletten Lebensge -<br />

meinschaften der Eichengallenbewohner<br />

benötigt Robin WILLIAMS (2006)<br />

zwei großformatige Bände. Mit mehr als<br />

70 verschiedenen Gallenformen ist zu<br />

rechnen, von denen ein rundes Dutzend<br />

in nahezu allen Jahren auch im Sauerland<br />

beobachtet werden kann.<br />

Wir begnügen uns hier mit einer Auswahl<br />

von fünf Eichengallen.<br />

Am häufigsten und am weitesten verbreitet<br />

sind die Kleingallen, die vielfach<br />

in ganzen Herden auf der Blattunterseite<br />

zu finden sind. Die Anreger sind aus -<br />

schließlich Gallwespen der Gattung<br />

Neuro terus, und alle machen einen Genera<br />

tionswechsel durch.<br />

Unverkennbar sind die flachen<br />

L i n s e n g a l l e n (Abb. 1), in denen<br />

sich die Weibchen der eingeschlechtlichen<br />

Generation von Neuroterus quercusbaccarum<br />

entwickeln. Diese veranlassen im<br />

Frühjahr die Bildung der Weinbeergallen<br />

an den Blütenkätzchen der Eichen, in<br />

denen die zweigeschlechtliche Generation<br />

heranwächst. Ebenso markant sind<br />

die M ü n z e n g a l l e n (Knopfgallen)<br />

von Neuroterus numismalis (Abb. 2) und<br />

die K r e m p e n g a l l e n von Neuroterus<br />

albipes (Abb. 3); letztere findet<br />

man eher vereinzelt oder in kleinen<br />

Gruppen, gelegentlich auch auf der<br />

Blattoberseite.<br />

Die zwei Zentimeter dicken kugeligen<br />

E i c h e n g a l l ä p f e l (Abb. 4) sind<br />

auffälligere Gebilde. Sie sitzen mit ei-<br />

nem kurzen Stielchen am Hauptnerv<br />

oder einem der stärkeren Nebennerven,<br />

bevorzugt auf den frischen Blättern der<br />

Johannistriebe. Ein Schnitt durch die<br />

Mitte der Kugel lässt eine zentrale Kammer<br />

erkennen, in der im Sommer die<br />

Larven der Eichengallwespe, Cynips<br />

quercusfolii, lebt. Die Galle sitzt fest auf<br />

dem Blatt und fällt mit diesem zusammen<br />

im Herbst zu Boden. In der Kammer<br />

hat sich inzwischen das Gallinsekt<br />

verpuppt. Die im zeitigen Frühling ausschlüpfenden<br />

Weibchen legen ihre unbefruchteten<br />

Eier in Eichenknospen. In<br />

den nun entstehenden Knospengallen<br />

entwickeln sich die Tiere der zweigeschlechtlichen<br />

Generation, die im Sommer<br />

die Bildung der Galläpfel anregen.<br />

Schneidet man übrigens eine solche anfangs<br />

gelbliche, später dunkelgrüne, auf<br />

der sonnenzugewandten Seite auch rötliche<br />

Kugel mit einem nichtrostfreien<br />

Messer an, so verfärbt sich die Klinge<br />

sogleich schwarz. Wir haben Eichengallustinte<br />

hergestellt, eine dokumentenechte<br />

tiefschwarze Tinte, die technisch<br />

aus der Reaktion der Gallensäure<br />

mit Eisen(II)-sulfat entsteht und nach<br />

Oxidation aus einer blassen Vorstufe<br />

erst sichtbar wird.<br />

Spektakuläre Eichengallen:<br />

Knoppern<br />

Die fünfte der hier vorgestellten Gallformen<br />

ist extrem selten. Bis vor wenigen<br />

Jahren war mir nur ein westfälischer<br />

Fundort bekannt: der sehenswerte, überaus<br />

artenreiche Rombergpark im Dortmunder<br />

Süden. Dort zeigte man mir vor<br />

25 Jahren die ersten K n o p p e r n<br />

(Abb. 5). Das ist der alte Name der Gallen,<br />

und so nennt man sie auch in anderen<br />

europäischen Sprachen, so im Englischen<br />

und im Niederländischen. Ehedem<br />

waren sie ihres ungewöhnlich hohen<br />

Gerbstoffgehaltes von 30 % eine<br />

begehrte Handelsware; man verwendete<br />

sie zum Gerben von kostbaren Feinle -<br />

dern, und sie wurden für gutes Geld vor<br />

allem aus Ungarn eingeführt. Erst die<br />

Entwicklung synthetischer Gerbstoffe<br />

verdrängte schließlich das Naturprodukt.<br />

Die Knoppern sind bizarre Gebilde<br />

von großer Formenvielfalt. Die Galle<br />

sitzt wie ein Helm, eine Krone, eine<br />

Haube oder eine Krallentatze auf der Eichel<br />

und kann diese auch vollständig<br />

umwachsen. Die frischen Gallen sind<br />

grün oder rötlich gefärbt und etwa klebrig;<br />

später werden sie braun und holzig.<br />

Im Spätsommer und Frühherbst liegen<br />

sie vielfach in so großen Mengen unter<br />

den Eichen kronen, dass man Mühe hat,<br />

nicht bei jedem Schritt auf diese skurrilen<br />

Natur gebilde zu treten.<br />

Auch hier ist der Erreger eine Gallwespe,<br />

die Knopperngallwespe, An -<br />

dricus quercuscalicis, und auch sie<br />

macht einen Generationswechsel durch,<br />

der aber nun verbunden ist mit einem<br />

Wirtswechsel. In den Knoppern entwickeln<br />

sich die Weibchen der eingeschlechtlichen<br />

Generation. Sie schlüpfen<br />

im März/April aus den am Boden<br />

liegenden Gallen und legen ihre unbefruchteten<br />

Eier in die noch geschlosse


SAUERLAND NR. 2/2010 95<br />

Abb. 5: Knopperngalle an einer Eichel der Stieleiche;<br />

Unna-Kessebüren, 2007<br />

(alle Fotos v. Verf.)<br />

nen Blütenknospen der Z e r r e i c h e.<br />

An den männlichen Blüten entwickelt<br />

sich die eiförmige, nur 1 bis 2 mm<br />

große, ziemlich unscheinbare Galle mit<br />

jeweils einer Larve. Im Mai schlüpfen die<br />

Männchen und Weibchen der zweigeschlechtlichen<br />

Generation. Die befruchteten<br />

Eier werden zwischen Eichelfrucht<br />

und Becher von Stieleichen abgesetzt,<br />

und der Zyklus beginnt mit der Ent -<br />

wicklung der Knoppern von vorn.<br />

Grundvoraussetzung für das Gelingen<br />

dieses zweifachen, miteinander gekoppelten<br />

Phasenwechsels ist das Vorkom -<br />

men beider Eichenarten im gleichen Gebiet.<br />

Was das Vorhandensein der Stieleiche<br />

anbelangt, so stellt sie kein Problem<br />

dar – sie ist praktisch überall reichlich<br />

vorhanden, wenn man einmal von den<br />

höchsten Lagen des Sauer landes absieht.<br />

Hingegen ist die Zerr eiche, Quercus<br />

cerris, ein ausgeprägter Exot, der in<br />

Südosteuropa beheimatet ist und bei uns<br />

nur sehr gelegentlich in Parks und Anlagen<br />

angepflanzt wird. Dabei ist sie niemals<br />

ein modischer Renner wie Rosskastanie,<br />

Platane oder Robinie gewesen.<br />

Als Forstbaum ist sie lediglich im Raum<br />

der Pader bor ner Hoch flä che, vor hundert<br />

Jahren, versuchsweise angepflanzt<br />

worden. Die Bestände gibt es heute<br />

noch, und dort, bei Büren und Borchen,<br />

fand sich auch erwartungsgemäß die<br />

Knop perngalle. Auch im Rombergpark,<br />

einem der größten deutschen Ar bo -<br />

reten, ist die Zerreiche vertreten. Einzelne<br />

weitere Wuchsorte sind den Botani-<br />

kern bekannt, und<br />

die Kontrolle ergab<br />

in manchen Fällen<br />

in der Nach -<br />

barschaft weitere<br />

Nachweise der<br />

Knop pern gal len, so<br />

dass mir mittler -<br />

weile 18 west -<br />

fälische Fund orte<br />

bekannt sind. Im<br />

Sauerland sind es<br />

zwei Friedhöfe<br />

mit altem Baum be -<br />

stand: der Möhne -<br />

friedhof in Neheim<br />

und der Friedhof<br />

Iserlohn. Im Be -<br />

reich von Ardey<br />

und Haar strang<br />

fand ich die Knop -<br />

pern z. T. recht reichlich im Schwer ter<br />

und Werler Wald, auf dem Friedhof Unna<br />

und in Feldgehölzen von Ostbüren<br />

und Frömern. Meldungen weiterer<br />

Fund stellen dieser unverkennbaren Gallen<br />

sind mir willkommen.<br />

„Der Zoo in der Pflanzengalle“<br />

Beim Versuch, den Gallen-Erreger<br />

daheim in einem mit Gaze verschlossenen<br />

Behälter schlüpfen zu lassen (was<br />

ohne große Schwierigkeiten möglich<br />

ist), wird man eine überraschende Entdeckung<br />

machen: es entwickelt sich allmählich<br />

eine ganze Schar von Insekten,<br />

die durchaus unterschiedlich aussehen<br />

und sich bei genauerem Überprüfen unter<br />

einer guten Lupe oder, besser, einem<br />

Bino kular auch als verschiedene Arten<br />

erweisen. Es handelt sich dabei neben<br />

dem eigentlichen Verursacher der Gallen<br />

um drei Gruppen von Wespen. Da<br />

sind ers tens die Einwohner, die selbst<br />

nicht in der Lage sind, Gallbildung anzuregen,<br />

die aber, gleichsam als Kuckucke,<br />

den Wohnraum und das Nahrungsangebot<br />

der Pflanzengalle nutzen, im Übrigen<br />

aber keinen Schaden anrichten und<br />

also lediglich als geduldete Mitbewohner<br />

gelten können. Weniger harmlos sind<br />

die Arten der beiden weiteren Gruppen.<br />

Zur ersten gehören die winzigen, oft<br />

wunderschön metallisch rot-grün gepanzerten<br />

Erzwespen, Zehrwespen und<br />

Schlupfwespen. Sie legen ihre Eier in<br />

die Larven der Gallwespen und ihrer<br />

Untermieter; die Schmarotzerlarven le-<br />

ben dann von der Körpersubstanz der<br />

Wirtslarven und töten diese am Ende,<br />

wenn sie selbst ihre Entwicklung vollendet<br />

haben. Diese Parasitoide (so ist die<br />

korrekte Bezeichnung für diese funktionale<br />

Gruppe) werden nun ihrerseits von<br />

den Wespen der zweiten Gruppe angegriffen<br />

und als Beute genutzt; wir bezeichnen<br />

sie als Hyperparasitoide.<br />

Eine solche voneinander abhängige<br />

Artengemeinschaft von Gall-Erregern,<br />

Einwohnern und Parasitoiden erster und<br />

zweiter Ordnung ist von einer faszinierenden<br />

Komplexheit und je nach Gallenform<br />

und -erreger aus unterschiedlichen<br />

Arten zusammengesetzt. Bei der weitverbreiteten<br />

Rosenschlaf galle, einem<br />

moosigen Gebilde an Heckenrosenzweigen,<br />

fand ich in den letzten Jahren neun<br />

verschiedene Arten: den Gallenerreger<br />

(die Rosengallwespe), ferner einen Untermieter<br />

sowie, sage und schreibe, sieben<br />

verschiedene Parasitoide aus beiden<br />

Gruppen. Im Fall der Knopperngalle<br />

sind es sogar insgesamt 24 Arten, die<br />

sich in ihrem Bestand wechselseitig kontrollieren:<br />

die Parasi toide sorgen dafür,<br />

dass die Gall-Erreger nicht überhandnehmen<br />

und die Wirtspflanzen nicht<br />

schließlich doch schädigen; die Hyperparasitoiden<br />

betreiben das gleich Geschäft<br />

bei ihren „Kollegen“ der ersten<br />

Schmarot zerebene. Solche Netzwerke<br />

und ihre Regulationsmechanismen gibt<br />

es in Vielzahl in der lebenden Natur. Im<br />

geschlossenen und gut überblickbaren<br />

System der Gallen und ihres merkwürdigen<br />

Wespen-Zoos ist das Artengefüge<br />

und seine Biologie aber besser zu studieren<br />

als draußen im freien Gelände.<br />

Literatur<br />

BUHR, H. (1965): Bestimmungstabellen der Gallen<br />

(Zoo- und Phytocecidien) an Pflanzen<br />

Mittel- und Nordeuropas. Bd. 2. – Jena (G. Fischer).<br />

FELDMANN, R. (2008): Aktueller Nachweis von Gallen<br />

der Knopperngallwespe (Andricus quercuscalicis)<br />

in Westfalen. – Natur und Heimat 68 (3): 89-92 (M ünster).<br />

FELDMANN, R. (2009): Die Hautflügler-Gemein -<br />

schaft des Rosenschlafapfels. Analyse eines ökologischen<br />

Kleinsystems. – Natur und Heimat 69 (2): 33-<br />

43 (Münster).<br />

RANDOLPH, S. (2006): The natural history of the<br />

Rose Bedeguar Gall and its insect community. –<br />

British Plant Gall Society.<br />

WILLIAMS, R. (2006): Oak-galls in Britain. 2 Vol. –<br />

Wedmore, Somerset, GB (Vanellus Publications).


96 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Ein begehrter Brutplatz<br />

Liebe Leserinnen und Leser, vielleicht<br />

erinnern Sie sich an die „hochwohlgeborenen<br />

Gänslein“ im Juniheft 2009 unserer<br />

Zeitschrift. Da war doch die Nilgans,<br />

die hoch oben in einem Schall-Loch des<br />

Körbecker Kirchturms, nahe bei den<br />

Glocken, ihre Jungen ausbrütete, diese<br />

Jungen, die schon bald nach dem Trocknen<br />

ihres Dunenkleidchens den Sprung<br />

in die Tiefe überstanden und dann mit<br />

den Eltern den etwa 1000 m weiten<br />

Marsch zum Möhnesee schafften.<br />

Das nach Westen gerichtete Schall -<br />

loch „gehörte“ eigentlich den Turmfal -<br />

ken. Im Frühjahr 2006 fand das Nil -<br />

ganspaar Gefallen daran. Es drängte die<br />

Falken kurzerhand hinaus. Dreimal,<br />

nämlich 2006, 2007, 2008, herrschten<br />

und brüteten sie in dem hochgelegenen,<br />

dickwandigen Schall-Loch. Wer weiß,<br />

aus welchen Gründen sie im Frühjahr<br />

2009 wegblieben? Wie es auch sei, bald<br />

erspähte ein Turmfalkenpaar den freigewordenen<br />

Brutplatz. Vielleicht war es<br />

das im Jahr 2006 vertriebene. Jeden -<br />

falls fühlte es sich schnell wohl in dem<br />

Schall-Loch. Es ließ sich auch von dem<br />

Dröhnen der Glocken, das über die<br />

Köpfe der Tiere hinweg nach draußen<br />

drang, nicht stören.<br />

Die Turmfalken bauen, wie alle Falken,<br />

kein Nest, Wenn das Weibchen eine<br />

geeignete Felsspalte oder ein passendes<br />

Mauerloch gefunden hat, legt es dort<br />

die Eier einfach<br />

auf den Bo den. Im<br />

Jahr 2009 waren<br />

es in Körbecke 5<br />

Eier. Das Weibchen<br />

brütete etwa<br />

28 Tage lang. Dabei<br />

wurde es vom<br />

Männchen mit<br />

Nahrung versorgt.<br />

Nachdem die Jungen<br />

geschlüpft waren,<br />

gab es mehr<br />

Ar beit. Da das<br />

Weib chen die<br />

Nestlinge zunächst<br />

noch hudern und<br />

die gebrachte Beute<br />

für sie zurechtmachen<br />

musste,<br />

konnte es nur<br />

nach und nach<br />

häufiger am Beu -<br />

tefang teilnehmen.<br />

Dabei kam<br />

es vor, daß die<br />

Kleinen eine Zeit<br />

lang allein waren.<br />

Man kann sich<br />

vorstellen, dass<br />

sie sich dann bei<br />

Kälte oder bei unbekannten<br />

Ge -<br />

räuschen aneinanderkuschelten,<br />

so wie Karl<br />

Drees sie fotografierte.<br />

Er beobachtete<br />

auch,<br />

wie sie sich im<br />

Nest raum einzeln<br />

hin und her bewegten.<br />

Sie wuchsen erstaunlich schnell,<br />

entsprechend schnell zeigte sich mehr<br />

und mehr das schön gezeichnete juvenile<br />

Gefieder. Immer häufiger schlugen sie<br />

mit den Flügeln, auch wurden sie misstrauischer.<br />

Man sieht es den dreien an,<br />

die Karl Drees noch so eben mit der Kamera<br />

einfangen konnte.<br />

Eines Tages, es war ungefähr nach 4<br />

Wochen Nestlingszeit, spürten sie, dass<br />

man sich nun endlich in die Luft werfen<br />

und losfliegen sollte. Es gelang. Weg<br />

vom Turm! Zurück zum Horst oder zur<br />

Dachrinne oder auf einen dicken Ast des<br />

großen Baumes in der Nähe. Ja, sie wa-<br />

Fotos: Karl Drees<br />

von Wolfgang Frank<br />

ren flügge! Aber noch nicht selbständig.<br />

Mit kläglichen, bettelnden Lauten wandten<br />

sie sich an die Altvögel. Diese ließen<br />

sich erweichen und schleppten Nahrung<br />

dahin, wo die Schreihälse saßen. Nach<br />

einigen Tagen flogen einzelne der Jung -<br />

vögel mit hinaus in die Feldflur und griffen<br />

sich Würmer, kleine Frösche oder<br />

größere Insekten. Da, einem Jungvogel<br />

gelang es, wie die Alten im Rüttelflug,<br />

d. h. mit flachem, schnellem Flügel -<br />

schlag und nach unten gespreiztem<br />

Schwanz hoch oben gegen den Wind zu<br />

stehen und plötzlich nach unten zu<br />

stoßen, um eine Beute zu fassen. Es dauerte<br />

nicht sehr lange, dann hatten die<br />

Ge schwister ebenfalls<br />

diese Kunst<br />

erlernt.<br />

Auch in diesem<br />

Frühjahr<br />

(2010) haben die<br />

Turm falken das<br />

Schall-Loch besetzt.<br />

Aber mals<br />

sitzt das Weibchen<br />

auf 5 Eiern.<br />

Man darf erwarten,<br />

dass wieder<br />

fünf junge Falken<br />

von Körbecke<br />

aus in die wei te<br />

Feld flur fliegen.<br />

Da muss die Maus<br />

sich fürchten und<br />

der Landmann<br />

darf sich freuen.


SAUERLAND NR. 2/2010 97<br />

BÜCHER • SCHRIFTTUM<br />

Sassendorf<br />

Vom Salz zum Bad<br />

Wenn ein Ort mit durchaus dörflichem<br />

Charakter sich seit der Mitte des<br />

19. Jahrhunderts zu einem Heilbad mit<br />

heute (2008) 517 730 Übernachtungen<br />

im Jahr entwickelt, ist das schon ein<br />

bemerkenswerter Vorgang. Es ist verständlich,<br />

dass der Bürgermeister Anto -<br />

nius Bahlmann von Sassendorf – um<br />

diesen Ort handelt es sich hier – den<br />

„schon lange gehegten Wunsch“ nach<br />

einer umfassenden Ortschronik erwähnt.<br />

Nun ist der Wunsch erfüllt, eine<br />

gewichtige Chronik Sassendorfs von<br />

fast 600 Sei ten anzuzeigen, herausgegeben<br />

von dem um westfälische (speziell<br />

auch sauerländische) Belange hochverdienten<br />

Peter Kracht und einer Reihe<br />

von sachkundigen Mitarbeitern. Ein derart<br />

umfangreiches Werk kann bei begrenztem<br />

Raum nur unzulänglich besprochen<br />

werden, nur eine knappe Wiedergabe<br />

ist möglich.<br />

Schon im Titel: Vom Sälzerdorf zum<br />

Heilbad, kommt zum Ausdruck, dass ein<br />

entscheidender Faktor bei der Ent -<br />

wicklungsgeschichte Sassendorfs das<br />

Salz gewesen ist. Schon im Mittelalter<br />

entstand die Saline und machte das<br />

„Weiße Gold“ zu einem wichtigen Handelsgut.<br />

Seit dem 12. Jahrhundert wurde<br />

im Sassenberger Raum schon Salz gewonnen,<br />

wie das Kapitel über die Vorund<br />

Frühgeschichte berichtet, das die<br />

Chronik eröffnet. (S. 13-41) Doch war<br />

die Landwirtschaft in der fruchtbaren<br />

Börde der eigentliche Inhalt des bäuerlichen<br />

Lebens, Sassendorf war die Kornkammer<br />

Soests. Sehr anschaulich werden<br />

die Rechtsstellung und die Lebensbedingungen<br />

der Bauern im 18. und 19.<br />

Jahrhundert dokumentiert und ihr Alltag<br />

detailgetreu geschildert: Bau ernfamilie<br />

und Gesinde, Wohnung, Mahlzeiten,<br />

Kleidung, Feste, die Bedeu tung von Kirche<br />

und Schule und den vielen Vereinen.<br />

(S. 145-373) Ein eigenes Kapitel über<br />

den Ort, der sich schon 1906 „Bad“<br />

nennen konnte, gilt in diesem Zusamenhang<br />

der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis<br />

heute. Es kennzeichnet ausführlich den<br />

Einfluss des politischen Geschehens in<br />

Deutschland speziell auf die Kommunalpolitik<br />

Sassenbergs, z. B. die rabiaten<br />

Maßnahmen in der NS-Zeit, aber auch<br />

die Probleme der „Zusam menbruchsge-<br />

sellschaft“ nach 1945, die Nöte der Zuflucht<br />

suchenden Vertrie benen und die<br />

Besatzungsmacht, bis zum Wieder(Neu)aufbau<br />

der Kureinrich tungen<br />

nach modernen Vorstellungen, der neuen<br />

Kliniken und Hotels: Alle Zeichen der<br />

Umbruchsprozesse zur „Kurkleinstadt“.<br />

Eine Übersicht der Wandlungen des Ortes<br />

entstand aus einem Beitrag im Rahmen<br />

einer Lehr veranstaltung als Forschund<br />

Schreib werk statt an der Universität<br />

Münster „Sassenbergs Entwicklung vom<br />

Säl zerdorf zum Kurort“. (S. 373-449)<br />

Wie derholungen zu den vorherigen Inhalten<br />

waren unvermeidlich, insgesamt<br />

bietet sich damit aber eine informative<br />

Ge samtdarstellung, die auch die neueren<br />

und neuesten Veränderungen thematisiert<br />

wie die Eröffnung des Bewe -<br />

gungszentrums und des Sole-Ther -<br />

malbades mit der Meersalzgrotte. Es wird<br />

auch eine der Besonderheiten Sas -<br />

senbergs reflektiert, als der Kommune<br />

mit der ältesten Bevölkerung Nordrhein-<br />

Westfalens, begründet vor allem durch<br />

den Zuzug älterer Menschen: Steigerung<br />

der Bevölkerungszahl um 26,4 % – eine<br />

erstaunliche und bedenkenswerte Zahl.<br />

Die Chronik schließt mit Einzelaufsätzen<br />

zu Straßen und Gebäuden, Namen und<br />

Familien, die das Bild Sassendorfs weiter<br />

vertiefen. Es wird, das darf keinesfalls unerwähnt<br />

bleiben, durch eine erfreuliche<br />

Fülle aufschlussreicher und eindrucksvoller<br />

Fotos aus Vergangenheit und Ge -<br />

genwart veranschaulicht. Sie werden dazu<br />

beitragen, dass die Chronik nicht nur<br />

dem Selbstverständnis der Sassenberger<br />

dient, sondern auch den vielen Men -<br />

schen, die hier Heilung gesucht haben<br />

und suchen, eine genauere Einsicht in<br />

das Werden des interessanten Ortes ermöglichen<br />

und ihnen darüber hinaus eine<br />

wertvolle Erinnerung an Sassenberg<br />

schenken.<br />

Dr. Erika Richter<br />

Sassendorf – Vom Sälzerdorf zum Heilbad, hrsg. von<br />

Peter Kracht, Münster Aschendorff Verlag 2009, 592<br />

Seiten.<br />

Schmallenberger<br />

Heimatblätter<br />

75/2009: F.-J. Schütte: Mit einem<br />

Faltblatt fing es an – 75. Ausgabe<br />

Schmallenberger Heimatblätter.<br />

H. Voß: Ein neues Kunstwerk in Schmallenberg<br />

– Der Breybalg in Bronze.<br />

H. Himmel reich: Enthüllung der Bronzefigur<br />

„Schmallenberger Breybalg“. F.-J.<br />

Schütte: Wie ist die Hungersnot zu mildern?<br />

Aus der Predigtsammlung eines<br />

Schmallenberger Pfarrers. A. Wiegel:<br />

Beruf und Berufung – Pastor Alfons<br />

Wiegel. K. Willeke (†): Am Wässerlein.<br />

Aus unserer Schützengesellschaft<br />

S. Teipel: Generalversammlung. K.-H.<br />

Gilsbach: Jungschützenparty 2009.<br />

S. Teipel: Schützenfest 2009. K. Saß -<br />

mannshausen: Jubiläumskinderschüt -<br />

zenfest. K. Saßmannshausen: 50 Jahre<br />

Schützenzüge.<br />

M. Gilsbach: Lüttkefastnacht gestern<br />

und heute. Alaaf Schmallenberg. Karne -<br />

valsumzug 1901. Dr. G. Schulte: Das<br />

Schmallenberger Krankenhaus – An -<br />

merkungen zu einer Gründungsinitiative<br />

der 1850er Jahre. H. Himmelreich: Familie<br />

nebenher war nicht möglich<br />

– Schwester Elli – Trägerin des Ehren -<br />

ringes. C. Koch: Fast 100 Jahre alt: Firma<br />

Feldhaus – eine vielseitige Bau -<br />

unternehmung. K. Schulte: 50 Jahre<br />

Getränke Schulte. G. Gellrich: 60 Jahre<br />

„Schrebergarten“ in Schmallenberg.<br />

A. Brüggemann/P. Tolle: 2009 – Das<br />

gro ße Jubiläumsjahr der Stadtkapelle<br />

Schmallenberg. H. Voß: 100 Jahre Ski-<br />

Club Schmallenberg.<br />

Hrsg. von der Schützengesellschaft Schmallenberg<br />

1820 e. V, Hannelore Himmelreich, Auf der Mauer<br />

14, 57392 Schmallenberg.<br />

Die Hallenberger Juden<br />

Kurköln – KZ–Kibbuz<br />

Es ist selten, dass die 2. Auflage eines<br />

vielgerühmten Buches die Erstauflage<br />

noch übertrifft. Das ist aber bei diesem<br />

Buch „Die Hallenberger Juden“ der Fall.<br />

1991 hatte der ehrenamtliche Stadtar -<br />

chivar Hallenbergs, Georg Glade, ein<br />

Buch über die dortigen Juden veröffentlicht,<br />

das wegen des regen Zuspruchs bald<br />

vergriffen war. Nun hat er ihm im November<br />

2009 eine zweite überarbeitete Auflage<br />

folgen lassen, die besonders durch die<br />

Mitarbeit einer Israelin eine zusätzliche<br />

vertiefende Ergänzung erhalten hat.<br />

In Hallenberg sind schon relativ früh,<br />

d. h. seit der Mitte des 16. Jahrhunderts,<br />

Juden nachgewiesen. Die ersten Kapitel<br />

des Buches von Glade gelten der Situation<br />

jüdischer Familien in dieser kurköl-


98 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

nischen Zeit von 1563 – 1802, Anschaulich<br />

und durch viele Quellen gestützt,<br />

wird ihr damaliges Leben vergegenwärtigt,<br />

ein unterdrücktes und vielfältig<br />

diskriminiertes Dasein zwischen den<br />

Hallenberger Christen. (S. 15 – 77) Vor<br />

allem der Abschnitt über ihre spezifische<br />

Rechtssituation ist aufschlussreich. Aber<br />

auch die Säkularisation 1802 brachte in<br />

der hessischen, dann preußischen Landes<br />

herrschaft erst allmählich Locke -<br />

rungen ihrer Rechtslage und mit den Gesetzen<br />

von 1847 und endgültig 1869 ihre<br />

Gleichberechtigung in Preußen und<br />

dann im Norddeutschen Bund, wenn<br />

auch die Verfassungs bestimungen und<br />

die Wirklichkeit auseinanderklafften. Erst<br />

in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts<br />

waren die Juden Hallen bergs in<br />

die Ortsgesellschaft integriert. Immerhin<br />

wurde 1887 ein Jude Schützen könig,<br />

und auch in den übrigen Vereinen gehörten<br />

sie dazu und kämpften und fielen für<br />

ihr Vaterland im Ersten Weltkrieg, so<br />

dass Glade folgern kann: Nach 350 Jahren<br />

jüdischer Geschichte in Hallenberg<br />

war also nach der rechtlichen Emanzipation<br />

endlich auch die völlige soziale Integra<br />

tion gelungen (142)<br />

Die Zeit von 1933 – 1945 hat ein<br />

düs teres Schwergewicht in der Chronik.<br />

(S. 148 – 239) Mit der sog. „Machter -<br />

greifung“ begann der ausführlich dokumentierte<br />

bösartige Prozess der politischen<br />

Entrechtung, wirtschaftlichen<br />

Lähmung und gesellschaftlichen Isola -<br />

tion mit dem erschütternden ersten<br />

Höhepunkt in der „Reichskristallnacht“.<br />

Die mühsamen Vesuche der Auswan -<br />

derung nach Israel, USA, Argenti nien<br />

und Australien; werden nach authentischen<br />

Quellen nachgezeichnet und zudem<br />

die unvorstellbaren Drangsale der<br />

Deportationen. Ein eigenes Kapitel<br />

bringt die Namen und – soweit erfassbar<br />

– die Fotos der in Hallenberg geborenen<br />

Juden, oft mit dem Todesort:<br />

Auschwitz, Sobibor oder Belzec.<br />

Von der Düsternis dieser Aufzeich -<br />

nungen hebt sich der folgende Teil des<br />

Buches bewegend ab. „Hallenberger Juden<br />

überstehen den Holocaust“. Hier<br />

wechseln Schilderungen über jüdische<br />

Überlebende mit Israel-Impressionen<br />

von Heike und Georg Glade, die dort<br />

ehemalige Hallenberger Juden besuchten.<br />

Es folgt die Lebensgeschichte des<br />

nun 92jährigen letzten lebenden Hallen -<br />

berger Juden Bruno Frankenthal. Sie<br />

wird erzählt von Bat-Sheva Greenberg,<br />

einer früheren Pflegerin in dem Alters -<br />

heim, in dem Bruno Frankenthal jetzt<br />

lebt und die ihm freundschaftlich verbunden<br />

ist. Geboren 1917 in dem hessischen<br />

Dorf Altenlotheim, kam Bruno<br />

achtjährig zu seinem Onkel nach Frank -<br />

furt. 1933, als er die ersten antisemitischen<br />

Anpöbeleien erlebte, floh er nach<br />

Hallenberg, der Heimatstadt seiner Mutter,<br />

wo er bei einem Onkel, der ein Ledergeschäft<br />

hatte, das Gerberhand werk<br />

erlernte. Er verlobte sich mit einer jungen<br />

Jüdin aus Warstein, wo er auch als<br />

Kantor in der Synagoge sang. Nach den<br />

Demütigungen am 9.11.1938 folgte die<br />

sechswöchige Haft in Buchenwald, Mit<br />

erfrorenen Zehen kam er mit der Auflage<br />

zurück, Deutschland in einem Monat<br />

zu verlassen. Nach vielen An -<br />

strengungen gelang die Ausreise nach<br />

Bolivien, anschließend arbeitete er in<br />

Argentinien erfolgreich in der Lederver -<br />

arbeitung. 1963 entschloss er sich mit<br />

anderen südamerikanischen Juden zur<br />

Auswanderung nach Israel, wo er mit seinen<br />

1943 und 1945 geborenen Kindern<br />

wieder erfolgreich arbeiten konnte,<br />

bis er nach dem Tod seiner Frau 2001<br />

in ein Altersheim zieht, wo er sich freut,<br />

seinen Mitbewohnern noch nützlich sein<br />

zu können. In dem lebendig geschilderten<br />

Bericht von Bat-Sheva Greenberg<br />

erleben wir seinen ihn sehr beglückenden<br />

Deutschlandbesuch von 2007, sowohl<br />

in seine hessische Kindheitsheimat<br />

wie nach Hallenberg, wo er überall herzlich<br />

aufgenommen wird und nun überzeugt<br />

ist, dass eine echte Begegnung<br />

von Deutschen und Juden heute wieder<br />

möglich ist. Damit erhält diese 2. Auflage<br />

des Buches von Glade, das soviel Erschreck<br />

en des berichtet, einen tröstlichen<br />

Ab schluss. Es ist ihm, da es auch<br />

stilistisch sehr ansprechend gefasst ist,<br />

eine weite Aufnahme nicht nur in Hallenberg<br />

zu wünschen, vor allem auch bei<br />

der jungen Generation, im Sinne des<br />

Hallenberger Bürgermeisters Kronauge,<br />

der in seinem Geleitwort betont,<br />

dass nicht vergessen werden kann, was<br />

nicht vergessen werden darf.<br />

Dr. Erika Richter<br />

Georg Glade: Die Hallenberger Juden, 2. überarbeitete<br />

und erweiterte Auflage 2009, Druck und Weiter ver -<br />

arbeitung Josefsheim GmbH, 352 Seiten<br />

Südsauerland<br />

Heimatstimmen aus dem<br />

Kreis Olpe<br />

4/2009, Folge 237. B. Haberhauer-<br />

Kuschel: Umnutzung von Altbauten<br />

in Lichtinghausen als Jugendtreff.<br />

R. Kirsch-Stracke: Ein Wort vorneweg.<br />

S. Falk, R. Kirsch-Stracke u. D. Tröps:<br />

Mitglieder versammlung des Kreishei -<br />

mat bundes Olpe e. V. am 26. Oktober<br />

2009 in Heinsberg. R. Kirsch-Stracke:<br />

Preis der Deutschen Landeskul tur gesell -<br />

schaft 2009 für Fred Josef Han sen, den<br />

Initiator des Kyrill-Pfades am Rothaar -<br />

steig. R. Wurm: Archivare des Kreises<br />

Olpe tagten in Wenden. Neue Regal -<br />

anlage wurde besichtigt. M. Wolf: Fredeburg<br />

und Bilstein. Besitznahme durch<br />

Kurköln in der Soester Fehde.<br />

H. Wiechers: Die Kapelle St. Maria<br />

Mag dalena in Altenvalbert. Zur früheren<br />

Kapellengeschichte. H. Wintersohl: Älteste<br />

Nachrichten zu Familien des Drolshagener<br />

Landes. Teil 1: Nebeling.<br />

W. Scherer: Zur nationalsozialistischen<br />

Struktur des Kreises Olpe (Teil 8,1).<br />

Kreisbauernschaft und Ortsbauern -<br />

schaften 1933-1945. – Nach Akten des<br />

Stadtarchivs Olpe – K. H. Kaufmann:<br />

Wat et Chreschtkejnd d’m Onkel Alfred<br />

jebrächt ha. Weihnachtsgeschichte in<br />

Wendener Mundart. H.-W. Voß: Heimatchronik<br />

vom 1. Juli 2009 bis<br />

30. September 2009. Buchbesprechungen.<br />

Termine.<br />

Hrsg. vom Kreisheimatbund Olpe e. V., Geschäftsstelle:<br />

Kreisarchiv Olpe, Westfälische Straße 75,<br />

57462 Olpe, Tel.: 0 27 61/81-5 42<br />

Esloher<br />

Museumsnachrichten<br />

18/2009: F.-J. Keite: Bericht des<br />

Museumsvereins – Kleine und Große Ereignisse<br />

2008. F.-J. Huß: Neue Kirchenfenster<br />

für St. Peter und Paul.<br />

H. Klinkert: „Not lehrt Beten“ – Geschichte<br />

einer Flucht. D. W. Stötzel: Ein<br />

eBay-Kauf aus Israel und was dahintersteckt<br />

– Auf den Spuren der Juden im


SAUERLAND NR. 2/2010 99<br />

Amt Eslohe. M. Rischen: Geschichte der<br />

Hofkapelle Rischen – Ort des stillen Gebetes.<br />

R. Franzen: Wo sie blieben, was<br />

sie wurden – Karl, Christoph und Stephan<br />

Wessel. F.-J. Keite: Stimmen wie<br />

aus dem Himmel – Die Regens burger<br />

Domspatzen zu Gast in Eslohe. M. Fiebig:<br />

Aussichtsturm auf der Homert<br />

„Mit 4-5 Meilen Gesichtsfeld“. G. Schulte:<br />

Die Röbling-Ausstellung – Von der<br />

Idee zur Verwirklichung. H. Dürr:<br />

Spannende Geschichte(n) – Berufliche<br />

Schulen im Wohngebiet am Böttenberg.<br />

P. Bürger: Zeitschrif ten funde: Nachträge<br />

zur Esloher Biblio graphie.<br />

H. Jansen: Kirchen, Kapellen, Fachwerkhäuser<br />

– Denkmalschutz in der Gemeinde<br />

Eslohe (Teil 4). P. Bürger: „Im<br />

reypen Koren“. Das Lexikonprojekt des<br />

Museums zur Mundartliteratur. R. Franzen:<br />

Museumsstück des Jahres – ein Flechtwerk<br />

aus Haaren.<br />

Esloher Museumsnachrichten. Maschinen- und Heimatmuseum<br />

Eslohe, Homertstraße 27, 59889 Eslohe,<br />

Tel.: 02973/24 55<br />

Südsauerland<br />

Heimatstimmen aus dem<br />

Kreis Olpe<br />

1/2010 Folge 238. A. Klein: Bäume.<br />

R. Kirsch-Stracke: Ein Wort vorneweg.<br />

Zum Umgang mit Altbauten: weiternutzen,<br />

umnutzen oder abreißen?<br />

W. Ohly: Der Olper Bahnhof muss erhalten<br />

bleiben. Die Bedeutung des Bahnhofes<br />

für die Stadt Olpe. R. Kirsch-Stracke u.<br />

S. Falk: Landschaft Lesen Lernen. Ein<br />

Netzwerk für Kulturlandschafts füh -<br />

rerinnen und Kulturlandschaftsführer in<br />

Südwestfalen. A. Zembala: Heider<br />

Kreuz weg von Ilona Weber. Aus -<br />

stellungseröffnung am 15. November<br />

2009. O. Höffer: Funde und Hinweise<br />

aus dem Archiv des Freiherrn von Fürstenberg-Herdringen<br />

(Teil 21). M. Wolf:<br />

Gab es in Attendorn eine Burg?<br />

W. Scherer: Zur nationalsozialistischen<br />

Struktur des Kreises Olpe (Teil 8,2).<br />

Kreisbauernschaft und Ortsbaue -<br />

rnschaften 1933-1945. – Nach Akten<br />

des Stadtarchivs Olpe –. N. Bruns u.<br />

H.-J. Höötmann: Krankenversicherung im<br />

Kreis Olpe vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik.<br />

Archivierung des Schriftgutes<br />

der AOK Olpe und ihrer Vorgängereinrichtungen<br />

im Stadtarchiv Olpe.<br />

R. Wilms und G. Wulf: 100 Jahre Herz-<br />

Jesu-Kirche in Albaum. H.-W. Voß: Heimatchronik<br />

vom 1. Oktober 2009 bis<br />

31. Dezember 2009. D. Tröps: Neuerscheinungen<br />

des Jahres 2009 (mit<br />

Nachträgen aus früheren Jahren) Buchbesprechungen.<br />

Empfehlungen zum<br />

Sammeln von Südsauerland – Heimatstimmen<br />

aus dem Kreis Olpe. Termine.<br />

Südsauerland Heimatstimmen aus dem Kreis Olpe.<br />

Hrsg. vom Kreisheimatbund Olpe e. V., Geschäfts -<br />

stelle: Kreisarchiv Olpe, Danziger Straße, 57462 Olpe,<br />

Tel.: 0 27 61/81-5 42<br />

700 Jahre Sundern<br />

Freiheit und Kirche<br />

Der Verein „700 Jahre Sundern“ hat<br />

sich ein hohes Ziel gesetzt. In einem<br />

mehrbändigen Werk will er die Ge -<br />

schichte Sunderns darstellen. Der erste<br />

Band ist 2009 erschienen, und wenn die<br />

Folgebände seine Qualität erreichen, ist<br />

eine ungewöhnlich lesenswerte Ortsge -<br />

schichte erarbeitet worden.<br />

In Band I widmen<br />

sich die<br />

Heraus geber:<br />

Werner Neu -<br />

haus, Dr. Hubert<br />

Schmidt,<br />

Micha el Schmitt<br />

und Berthold<br />

Schrö d er der<br />

geschichtlichen<br />

und politischen<br />

E n t w i c k l u n g<br />

Sunderns. Nach<br />

einer knappen Einführung in die naturräumlichen<br />

und vorgeschichtlichen<br />

Gegeben heiten (Dieter Korn und Reinhard<br />

Köh ne) werden die Grafen von<br />

Arnsberg vorgestellt (Pastor Michael<br />

Schmitt). Von der Hünenburg in Meschede,<br />

dem ursprünglichen Sitz des<br />

späteren Werl-Arnsberger Grafengeschlechts<br />

im frühen Mittelalter, reicht ihre<br />

Geschichte bis 1368, als der kinderlose<br />

Graf Gottfried IV. sein Terri torium<br />

der Kölner Kirche verkaufte und die<br />

Sunderner damit zu Kurkölnern wurden.<br />

An Grafen wie „Friedrich der<br />

Streit bare“ und den „Brudermörder“<br />

Heinrich I. wird erinnert, als das Grafengeschlecht<br />

in der mittelalterlichen<br />

Reichsgeschichte zeitweise eine bedeutende<br />

Rolle spielte, ehe es im Besitztum<br />

der Kölner Erz bischöfe aufging. Die spe-<br />

zielle Ge schichte Sunderns von seiner<br />

Gründung 1310 durch Graf Ludwig von<br />

Arnsberg bis in die preussische Zeit<br />

nimmt in der Darstellung von Hubert<br />

Schmidt einen gewichtigen Raum ein.<br />

Die Grün dungs urkunde von 1310 im lateinischen<br />

Wort laut und der deutschen<br />

Übertragung hat wegen des diesjährigen<br />

Jubiläums einen besonderen Stellenwert.<br />

Sundern erhält den mittelalterlichen<br />

Status einer „Frei heit“, ihre Rechte<br />

und Pflichten, auch die Entwicklung<br />

ihres Wappens wird ausführlich veranschaulicht.<br />

Wir erfahren sowohl etwas<br />

über die Schrecken des 30jährigen Krieges<br />

wie über die ständigen Auseinandersetzungen<br />

der Gemein de mit ihrem Pastor.<br />

Mit der Wiedergabe des Schatzungsregisters<br />

von 1685 wird uns<br />

außerdem die finanzielle Lage der Bewohner<br />

Sunderns veranschaulicht.<br />

Auch der für die Bürgerschaft wichtige<br />

Vorgang der Waldteilung von 1776/77<br />

und die folgenden Auseinan derset zun -<br />

gen mit dem Forstfiskus sind genau dokumentiert.<br />

Sie fallen schon in die Zeit<br />

nach der Säkularisation 1802, als<br />

zunächst die Hessen, dann die Preußen<br />

neue Verwaltungsmaßnahmen durchführten,<br />

wodurch z. B. Sundern von<br />

Hellefeld getrennt und mit dem Amt Allendorf<br />

vereinigt wurde. Ein besonders<br />

anschauliches Kapitel bietet Schmidt mit<br />

dem Verzeichnis der 62 „Bürger -<br />

stellen“. Die Historie aller Häuser samt<br />

Pastorat und Küsterei mit ihren wechselnden<br />

Besitzern sind detailliert aufgeführt<br />

und durch Fotos vergegenwärtigt.<br />

Mit der zweiten Hälfte des 19. Jhds.<br />

setzte eine Umbruchphase ein, die den<br />

Charakter Sunderns von seiner ganz<br />

landwirtschaftlichen Prägung zu einer<br />

zunehmenden Industrialisierung änderte.<br />

Diesen entscheidenden Prozess<br />

zeichnet Werner Neuhaus für den Zeitraum<br />

von der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

bis zum Ende der Weimarer Republik<br />

nach, wobei seine besondere Aufmerksamkeit<br />

den Wandlungen des „katholischen<br />

Milieus“ gilt. Er untersucht<br />

außerdem die demographische Entwicklung<br />

Sunderns vom frühen 18. Jahrhundert<br />

bis zum Aus bruch des Zweiten Weltkriegs<br />

ausführlich und dokumentiert die<br />

überraschend rasante Bevöl kerungszunahme<br />

Sunderns im Zuge seines Wirtschaftsaufschwungs,<br />

wodurch es die<br />

Nachbarorte deutlich überflügelte.


100 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Reich an Quellen ist dann die Dar -<br />

stellung der NS-Zeit mit ihren massiven<br />

Eingriffen in die Gesellschaft und den<br />

Gewaltsamkeiten z. B. auch bei den<br />

„Fremd“-und Zwangsarbeitern, sowie<br />

die schlimmen Zerstörungen im April<br />

1945. (Berthold Schröder) Er schildert<br />

auch die Probleme der ersten Nach -<br />

kriegszeit 1945 – 1950, während die<br />

Aus wir kungen des Weltkriegs auf Sunderns<br />

Einwohnerschaft unter der bezeichnenden<br />

Überschrift: Vertrieben –<br />

verjagt – entwurzelt von Klemens Teipel<br />

dargestellt werden. Die Wirtschafts -<br />

wunder-Folge zeit in den 50er und 60er<br />

Jahren, als Sundern boomte, bis zur<br />

kommunalen Neugliederung vermittelt<br />

wieder Werner Neuhaus. Die Neugliederung<br />

1975 führte zum Zusammenschluss<br />

von 19 bisher selbstständigen<br />

Gemeinden in einer „Großgemeinde“,<br />

der nunmehrigen Stadt Sundern. (Hermann<br />

Willeke), deren weitere Entwicklung<br />

Friedhelm Wolf in einem abschließenden<br />

Kapitel aufzeigt. Die erfreuliche<br />

Städtepart ner schaft mit Schirgiswalde<br />

in der Ober lausitz und Calopezzati<br />

in Kala brien weitet den Blick über das<br />

Sauer land hinaus.<br />

Den Schluss bilden Porträts von herausragenden<br />

Sundernern wie etwa von<br />

Bundespräsident Heinrich Lübke und<br />

– besonders eingehend-freundschaftlich<br />

– von dem Ehrenbürger Franz Müntefe -<br />

ring. Es gibt noch weitere bemerkenswerte<br />

Persönlichkeiten, sie müssen aus<br />

Raumgründen hier fehlen, wie auch die<br />

genannten Kapitel eine gründlichere<br />

Wiedergabe verdient hätten. Sie sind<br />

hier nur angerissen und sollen alle zu einer<br />

eigenen Lektüre anregen. Jeder Leser<br />

– nicht nur aus Sundern – wird auf<br />

die Folgebände dieser nach Inhalt und<br />

Form vorbildlichen Chronik gespannt<br />

sein. Dr. Erika Richter<br />

700 Jahre Sundern Freiheit und Kirche, Band I,<br />

Beiträge zur geschichtlichen und politischen Ent -<br />

wicklung, herausgegeben im Auftrag des Vereins „700<br />

Jahre Sundern-Freiheit und Kirche e.V.“, Sundern<br />

2009, 345 Seiten, Die Bände II und III erscheinen vor -<br />

aus sichtlich im Juli 2010 bzw. Anfang 2011. Sie haben<br />

die Möglichkeit, durch eine persönliche Reser -<br />

vierungskarte den II. und III. Band nach Erscheinen bei<br />

der Sparkassse Arnsberg-Sundern, Filiale Sundern,<br />

Hauptstraße 140 bzw. bei der Volksbank Sauerland,<br />

Filiale Sundern, Hauptstraße 122 einzulösen. Sie erhalten<br />

so die dreibändige Chronik inkl. Buchschuber<br />

zu einem Vorteilspreis von 59,90 Euro. Die Chronik<br />

kann auch in den Einzelausgaben zum Preis von<br />

24,80 Euro pro Band erworben werden. Der Buchschuber<br />

ist zum Preis von 4,10 Euro erhältlich.<br />

Rudolf Kaiser –<br />

Meine ersten acht<br />

Jahrzehnte<br />

Seinen Lebenserinnerungen gibt Ru -<br />

dolf Kaiser den Untertitel „Sunt lacrimae<br />

rerum“ und liefert die freie Übersetzung:<br />

Die Dinge haben ihre Tränen. Dieses Zitat<br />

aus Vergils „Aeneis“ habe ihn in<br />

manchen Zeiten seines Lebens begleitet<br />

und spiegele treffend seine „innere Verfassung<br />

in bestimmten Situa tionen“. Es<br />

handele sich nicht nur um Tränen der<br />

Schmerzen, sondern auch um Tränen<br />

der Freude.<br />

Rudolf Kaiser nimmt dann die Leser<br />

mit auf eine empfindsame und zugleich<br />

fesselnde Reise zu den Stationen eines<br />

wechselvolles Lebens.<br />

In den ersten beiden Kapiteln beschreibt<br />

Kaiser seine Kindheit im Sauer -<br />

land und bringt Meinkenbrachter Mini -<br />

aturen. Geboren wurde er 1927 „in<br />

dem kleinen sauerländischen Dorf Meinken<br />

bracht, das heute der entfernteste<br />

Orts teil der Stadt Sundern im Hoch sau -<br />

erlandkreis“ ist.<br />

In der Höhenlage sorgte die Kargheit<br />

des Bodens für einen bescheidenen Lebensstil.<br />

Bauernkinder wuchsen damals<br />

zweisprachig auf. Die Eltern sprachen<br />

untereinander und mit den Nach barn<br />

nur plattdeutsch. Mit den Kindern jedoch<br />

wurde hochdeutsch gesprochen.<br />

So besuchte Kaiser 6 Jahre die einklassige<br />

Dorfschule. Er bekam in den letzten<br />

zwei Jahren vom Vikar des Dorfes eine<br />

Einführung in die lateinische Sprache<br />

und wechselte 1939 zum „Staatlichen<br />

Altsprachlichen Gymna sium Theodoria -<br />

num“ in Paderborn.<br />

Am 23. Mai 1943 begann Kaiser, ein<br />

Tagebuch zu führen, das ihm später wesentliche<br />

Hilfen beim Schreiben seiner<br />

Lebenserinnerungen bot.<br />

Mit 16 Jahren wurde er zu den „Luft -<br />

waffenhelfern“ eingezogen und war am<br />

Flugplatz in Bad Lippspringe stationiert.<br />

Es folgte der Pflichtarbeitsdienst von<br />

Oktober bis Dezember 1944 in Coes -<br />

feld.<br />

Im vierten Kapitel folgt das Kriegs -<br />

tagebuch von 1944 – 1946. Kaiser<br />

schildert den Fronteinsatz und die Gefan<br />

gennahme durch britische Truppen,<br />

den Aufenthalt im Lager bei Brüssel und<br />

dann den Einsatz im Arbeitslager Melle<br />

bei Osnabrück. Es kam zu intensiven<br />

Gesprächen mit einem britischen Posten<br />

namens Ted, die bei R. Kaiser die<br />

„Lust an der englischen Sprache“ förderten<br />

und zur späteren Berufswahl,<br />

dem Fach Englisch, wesentlich beitrugen.<br />

Nach der Entlassung folgte die Zeit<br />

als Student in Münster, Freiburg und<br />

Bonn, die Promotion 1954 über Albertus<br />

Mag nus und das Staatsexamen in<br />

Philo sophie und Latein sowie die Prüfung<br />

im 3. Hauptfach Englisch, anschließend<br />

die Referendarzeit an Kölner<br />

Gymnasien.<br />

1954 feierte K. auch die Verlobung,<br />

die Heirat 1955. Etwa 10 Tage vor der<br />

Hochzeit hat Kaiser „zum letzten Male“<br />

seine „Gedanken und Gefühle“ seinem<br />

Tagebuch anvertraut.<br />

Bis 1958 war er Assessor in Köln,<br />

anschließend erhielt er eine Planstelle<br />

am Walram-Gymnasium in Menden.<br />

1961 bezog er dort mit seiner Familie<br />

ein neues Haus.<br />

Im Sommer 1963 ging Kaiser für ein<br />

Jahr als Fulbright-Stipendiat und Aus -<br />

tausch lehrer an die Santa-Barbara-<br />

High-School in Kalifornien. Es war eine<br />

Zeit großer Eindrücke und tiefer Prägungen.<br />

Nach der Rückkehr erfolgte 1964 die<br />

Berufung auf die Professur für Englische<br />

Sprache und ihre Didaktik an der Hochschule<br />

Alfeld/Hildesheim. In den siebziger<br />

Jahren des vergangenen Jahr -<br />

hunderts suchte R. Kaiser einen For -<br />

schungsschwerpunkt, der sowohl den<br />

Aufgaben in der Anglistik als auch seinen<br />

philosophischen Interessen und seiner<br />

Neigung zu Amerika entgegenkam.<br />

Fün dig wurde er beim Thema die „India -<br />

ner Nordamerikas“.<br />

Aus diesen Überlegungen wurden 20<br />

Jahre intensiver und erfüllender Begeg -<br />

nung bei wiederholten Forschungsreisen<br />

zu den Reservationen im Südwesten<br />

der USA und Kontakten und Freundschaften<br />

mit zahlreichen Indianern. Es<br />

erschienen zahlreiche Bücher zu indianischen<br />

The men, von denen zwei in fünf<br />

fremde Sprachen übersetzt wurden.<br />

Schon bald nannte man Rudolf Kaiser


SAUERLAND NR. 2/2010 101<br />

weltweit den „Indianer-Professor“ aus<br />

Hildesheim.<br />

Hierzu beigetragen hat auch sein<br />

Bemühen um die Frage, wie authentisch<br />

die häufig zitierte Rede des Häuptlings<br />

Seattle sei. Er hatte Glück, denn er bekam<br />

Kontakt zu dem Amerikaner, der<br />

den „inzwischen weltbekannten Text als<br />

Filmscript für einen Umweltfilm verfasst<br />

hatte“.<br />

Emeritiert wurde R. Kaiser im Herbst<br />

1992. Unvergesslich ist ihm die großartig<br />

organisierte Abschieds-Party „auf<br />

dem Rasen vor den Mauern der Uni -<br />

versität Hildesheim“.<br />

Bemerkenswert ist der poetisch-philosophische<br />

Ton seiner Autobiographie,<br />

der durch eindringliche Zitate aus Brie -<br />

fen und Tagebüchern verstärkt wird.<br />

Dies verleiht ihr den Charakter eines Bekenntnisbuches<br />

im ursprünglichen Sinne.<br />

Dr. Hubert Schmidt<br />

Rudolf Kaiser – Meine ersten acht Jahrzehnte, Georg<br />

Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York, 354 Seiten,<br />

19,80 Euro.<br />

De Fitterkiste<br />

Geschichtliches aus Winterberg<br />

und seinen Dörfern<br />

Band 18 Ausgabe 2009. Msgr.<br />

Dr. W. Kühne: Franz Stahlschmidts<br />

Vor fahren waren Grönebacher. Dr.<br />

W. Herold u. E. Stahlschmidt: Die<br />

Künstlerfamilie Bergenthal. E. Michels:<br />

Heraldik für Niedersfeld. Dr. F. Opes:<br />

Hirten, Huden, Haare und Haltung<br />

falscher und blöder Ochsen. H. Koch:<br />

Geschichtliches über die Köhlerei.<br />

E. Schulte u. E. Stahl schmidt: Alte Wassergewinnungs<br />

an lagen in Gröne bach.<br />

W. Fresen: Feldkreuze und Bildstöcke<br />

in der Elke ringhauser Flur.<br />

A. Hitzegrad: Fremd arbeiter und Kriegs -<br />

gefangene in Grönebach. P. Aust: „Ich,<br />

die Schnee kristal-Monstranz von Winter<br />

berg“. A. Kießler: Grönebacher Flur -<br />

namen. F. und H. Koch: Über die Geschichte<br />

der Textilindustrie im Sauer -<br />

land. H. Ebert: Über den Jakobsweg<br />

von Grönebach nach Santiago de Compostela.<br />

H. Dinklage: Das Wetter 2008.<br />

Herausgeber: Heimat- und Geschichtsvsrein Winter -<br />

berg e. V.<br />

PERSONALIEN<br />

70 Jahre<br />

Altabt<br />

Stephan<br />

Schroer OSB<br />

Im Kreise einer großen Freundes- und<br />

Bekanntenschar feierte Altabt Stephan<br />

Schroer von der Benediktinerabtei Kö -<br />

nigsmünster in Meschede am 1. 3. 2010<br />

seinen 70. Geburtstag. Hier hat er, wie<br />

er selbst sagt: „Ansätze seines Lebens -<br />

traumes gefunden“, in 43 Klosterjahren<br />

– davon 25 Jahre als Abt – unauslöschliche<br />

Spuren hinterlassen und zum Wohle<br />

der Abtei und der ganzen Region gewirkt.<br />

Mit ihm bleibt die Öffnung des Klosters<br />

nach Innen und Außen untrennbar<br />

verbunden. Ihm verdankt die Ökumene<br />

neue Impulse und der Dialog zwischen<br />

den Generationen wurde stärker gepflegt.<br />

Auch die Gründung des „Freundeskreises<br />

Königsmünster“ bleibt mit<br />

ihm verbunden.<br />

Im Laufe seiner Amtszeit war auf dem<br />

Klosterberg eine rege Bautätigkeit zu<br />

beobachten. Der Gastbereich mit dem<br />

Jugendgästehaus „Oase“ und dem Zu -<br />

fluchtsort „Haus der Stille“ sowie dem<br />

Erweiterungsbau des Klosters und der<br />

Werkstätten eröffneten neue Möglich -<br />

keiten und festigten Königsmünster zum<br />

geistlichen Zentrum mit Strahlkraft weit<br />

über die Region hinaus.<br />

Sein religiöser und kultureller Rat ist<br />

sehr gefragt, und als Weitgereister und<br />

Weitblickender bereichert er den Ehren -<br />

amtsbereich auf regionaler und überregionaler<br />

Ebene. So engagiert er sich als<br />

Gründungsvorstand bei „sauerlandinitiativ“,<br />

fühlt sich dem <strong>Sauerländer</strong> Hei -<br />

matbund sehr verbunden und wurde wegen<br />

seiner hohen Verdienste westfalenweit<br />

in die „Westfälische Ehrengalerie“<br />

aufgenommen. Seine Stimme hat Gewicht<br />

im „Hochschulrat der Fach -<br />

hochschule Südwestfalen“, beim christlich-islamischen<br />

Dialog als stellvertretender<br />

Vorsitzender im Stiftungsrat der<br />

„Georges-Anawati-Stiftung“, aber auch<br />

im weltkirchlichen Engagement als beratendes<br />

Mitglied der „Bischöflichen Kom -<br />

mission Adveniat“.<br />

Seine Unterstützung ist willkommen<br />

in der Seelsorge und seine rege Vortragstätigkeit<br />

bezeugen von der hohen Wertschätzung,<br />

die ihm entgegen gebracht<br />

wird. Wie kaum ein anderer ist er in der<br />

Lage, die „Regel des heiligen Benedikts“<br />

auch allgemein zur Lebens re gel und Maxime<br />

des Handelns zu deuten.<br />

In Dankbarkeit und Freude reiht sich<br />

der <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong> gerne in<br />

die Geburtstagsgratulantenschar ein und<br />

wünscht Altabt Stephan weiterhin<br />

Gottes Segen auf all seinen Wegen.<br />

Dieter Wurm<br />

Dr. Ewald Franzmann †<br />

Am 27. Januar 2010 starb mit Dr.<br />

Ewald Franzmann einer der profiliertesten<br />

heimischen Kommunalpolitiker der<br />

letzten Jahrzehnte.<br />

In Goch (Kreis Kleve) 1929 geboren,<br />

bestand er 1949 in Siegburg das Abitur.<br />

Im Anschluss studierte er in Bonn<br />

Rechts wissen schaf ten. Nach der 1. und<br />

2. Staats prüfung, Promotion und dem<br />

Refe rendariat in Essen kam er 1958 als<br />

Richter an das Landgericht in Arnsberg.<br />

Hier war er bis zu seiner Zurruhesetzung<br />

1993 tätig, davon mehr als zwanzig<br />

Jahre als Vorsitzender Richter und<br />

Vorsitzender der II. Großen Straf -<br />

kammer.<br />

Schon in jungen Jahren trat er der<br />

CDU bei, für die er sich örtlich wie auch<br />

landesweit in verschiedensten Gremien<br />

engagierte. Nach der kommunalen<br />

Neugliederung 1975 ließ er sich in den<br />

Kreistag des neuen Hochsauer land -<br />

kreises wählen, dem er fast drei Jahrzehnte<br />

bis 2004 angehörte. Das Schulwesen<br />

und die Kulturarbeit gehörten zu<br />

den Schwerpunkten seiner politischen<br />

Arbeit. Als Vorsitzender des Schul- und<br />

Kulturausschusses sowie später in den<br />

getrennten Ausschüssen für Schule und<br />

Kultur, in denen er auch langjährig Vorsitzender<br />

bzw. stellvertretender Vorsitzender<br />

war, hat er manche Impulse zur<br />

Entwicklung des Hochsauer land kreises<br />

als Bildungs- und Kulturre gion gegeben.


102 SAUERLAND NR. 2/2010<br />

Von 1991 bis 1999 führte er den Vorsitz<br />

seiner Fraktion.<br />

Neben vielen weiteren überregionalen<br />

Gremien gehörte er 1977 bis 1986<br />

dem Rundfunkrat des WDR an. Von<br />

1993 bis 1999 leitete er als Vorsitzender<br />

die Veranstaltergemeinschaft von<br />

Radio Sauerland.<br />

Zu dem Begleitbuch „Werden/<br />

Wachsen/Wirken. Vom Wandel der Zeit<br />

– Kreisverwaltungen im Hochsauerland<br />

1817 bis 2007“ zur gleichnamigen Ausstellung<br />

im Sauerland-Museum in Arnsberg<br />

(2007–2008) erarbeitete er fundierte<br />

Sachbeiträge. Seine Themen waren<br />

hier „Der Kreis in Preußen – vom<br />

staatlichen Verwaltungsbezirk zur<br />

Selbst verwaltungskörperschaft“ und<br />

„Der Kreis in Nordrhein-Westfalen –<br />

von der Doppelspitze zum ,richtigen‘<br />

Landrat“.<br />

Für seine vielfältigen Verdienste verlieh<br />

der Kreistag Dr. Ewald Franzmann<br />

am 1. Juli 2005 den Ehrenring des<br />

Hochsauerlandkreises.<br />

Norbert Föckeler<br />

Albert Falke †<br />

Am 3. März 2010 verstarb im Alter<br />

von 88 Jahren der Textilunternehmer<br />

Albert Falke aus Schmallenberg. Als<br />

Landtagsabgeordneter hat er seinen<br />

sauerländischen Wahlkreis von 1962 bis<br />

1980 in Düsseldorf vertreten. Besonders<br />

bekannt wurde er als Bundesvorsitzender<br />

des Bundes Katholischer Unternehmer.<br />

Als langjähriger Vorsitzender<br />

der Kul turellen Vereinigung Schmallenberg<br />

gab er in den schweren Nach -<br />

kriegs jahren dem kulturellen Leben seiner<br />

Hei matstadt bleibende Impulse. Für<br />

seine vielfältigen Aktivitäten wurde er<br />

mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse<br />

und mit dem Ehrenring der Stadt<br />

Schmal lenberg ausgezeichnet.<br />

Dr. A. M.<br />

Dr. Ernst Rehermann †<br />

Am Ostersonntag, dem 4. April<br />

2010 verstarb Dr. Ernst Rehermann,<br />

der langjährige Leiter des Sauerland-<br />

Muse ums des Hochsauerlandkreises in<br />

Arns berg.<br />

Rehermann wurde 1934 in Pader -<br />

born geboren. Nach dem Abitur studierte<br />

er in Münster und Göttin gen evangelische<br />

The o logie, lateinische Philologie,<br />

An glistik, Philosophie, Pädagogik und<br />

Volkskunde. Nach der Promotion 1969<br />

war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

und Assistent am Seminar für Volks -<br />

kunde in Göttingen tätig. Ein Schwer -<br />

punkt seiner Arbeit war die von Prof.<br />

Ranke geleitete „Enzyklopädie des Märchens“.<br />

In weiteren Forschungen beschäftigte<br />

er sich mit der Volksmedizin<br />

des 16. Jahrhunderts und dem Zeitungs -<br />

wesen im 19. Jahrhundert.<br />

Zum 1. Januar 1980 übertrug der<br />

Kreistag des Hochsauerlandkreises Dr.<br />

Rehermann die Leitung des Sauerland-<br />

Museums. In seine Amtszeit fiel eine umfangreiche<br />

Neuausrichtung des Muse -<br />

SAUERLAND<br />

Zeitschrift des <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>es (früher<br />

Trutznachtigall, Heimwacht und Sauerlandruf)<br />

43. Jahrgang • <strong>Heft</strong> 2, Juni 2010<br />

ISSN 0177-8110<br />

Herausgeber und Verlag: <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong><br />

e. V., Postfach 14 65, 59870 Meschede<br />

Vorsitzender: Dieter Wurm, Am Hainberg 8 a,<br />

59872 Meschede, Tel. (02 91) 71 90 p, Fax (02 91)<br />

71 90 p, 94-16 05 d, Fax 94-2 61 71. Stellv. Vorsitzende:<br />

Wilma Ohly, Goerdelerweg 7, 57462 Olpe,<br />

Tel. (0 27 61) 6 16 98.<br />

Ehrenvorsitzender: Dr. Adalbert Müllmann, Jupiterweg<br />

7, 59929 Brilon, Tel. (0 29 61) 13 40<br />

Geschäftsstelle: Hochsauerlandkreis, Fachdienst<br />

Kultur/ Musikschule, Karin Kraft, Telefon<br />

(02 91) 94-14 62, Telefax (02 91) 9 42 61 71, e-mail:<br />

kultur @hochsauerlandkreis.de, Postfach 14 65, 59870<br />

Meschede<br />

Internet: www.sauerlaender-heimatbund.de<br />

Konten: Sparkasse Arnsberg-Sundern<br />

(BLZ 466 500 05) 4 000 600.<br />

Jahresbeitrag zum <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong> einschließlich<br />

des Bezuges dieser Zeitschrift 15,– EUR.<br />

Einzelpreis 4,00 EUR.<br />

Erscheinungsweise vierteljährlich.<br />

ums in den Achtzigerjahren.<br />

Die von ihm<br />

konzipierten Ausstellungen<br />

erhielten oft<br />

überregionale Resonanz,<br />

wie z. B. „800<br />

Jahre Westfalen“,<br />

„Das Schützenwesen<br />

im kurkölnischen Sauerland“, „Klöster in<br />

Westfalen“, „Wild und Jagd im kurkölnischen<br />

Sauerland“ und „Gute Aussicht –<br />

Die Entwicklung des Fremdenverkehrs<br />

im Sauerland“. Ende 1999 ging Dr. Rehermann<br />

in den beruflichen Ruhe stand.<br />

Ehrenamtlich engagierte er sich in<br />

der Westfälischen Kommission für<br />

Volks kunde, im Vorstand der Vereinigung<br />

Westfälischer Museen und im Beirat<br />

der Paderborner Abteilung des Vereins<br />

für Geschichte und Altertumskunde<br />

West falens. Für seine neue sauerländische<br />

Heimat war er lange Jahre in den<br />

Vorständen des Arnsberger Heimat -<br />

bundes und des <strong>Sauerländer</strong> Heimat -<br />

bundes aktiv. Sein Wissen hat er durch<br />

Fachbeiträge in vielen Schriftreihen der<br />

Nachwelt hinterlassen. Norbert Föckeler<br />

Redaktion: Günther Becker, Lennestadt. Werner<br />

Cordes, Attendorn. Dr. Theo Bönemann, Menden.<br />

Su sanne Falk, Lennestadt. Norbert Föckeler, Brilon.<br />

Professor Dr. Hubertus Halbfas, Drolshagen.<br />

Heinz Lettermann, Bigge-Olsberg. Dr. Adalbert<br />

Müllmann, Brilon. Heinz-Josef Padberg, Meschede.<br />

Dr. Erika Rich ter, Meschede. Michael Schmitt, Sundern.<br />

Dr. Jür gen Schulte-Hobein, Arnsberg. Dieter<br />

Wiethoff, Meschede. Dieter Wurm, Meschede.<br />

Schlussredaktion: Hans Wevering, Schlossstr. 54,<br />

59821 Arnsberg, Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31)<br />

1 29 83, e-mail: hanswevering@t-online.de,<br />

Martin Reuther, Alter Soestweg 85, 59821 Arnsberg,<br />

Tel. (02 91) 94-14 58, e-mail: martinreuther@t-online.de<br />

Redaktionsanschrift: <strong>Sauerländer</strong> <strong>Heimatbund</strong>,<br />

Postfach 14 65, 59870 Meschede<br />

Lithografie, Layout und techn. Redaktion:<br />

Hans Wevering, Schlossstraße 54, 59821 Arnsberg,<br />

Tel. (0 29 31) 32 62, Fax (0 29 31) 1 29 83, e-mail:<br />

hanswevering@t-online.de<br />

Druck: becker druck, F. W. Becker GmbH<br />

Anzeigenverwaltung:<br />

becker druck, F. W. Becker GmbH,<br />

Grafenstr. 46, 59821 Arnsberg,<br />

Ansprechpartner: Eckhard Schmitz,<br />

schmitz@becker-druck.de<br />

Tel. (0 29 31) 52 19-21, Fax (0 29 31) 52 19-6 21.<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 10 vom 1. Jan. 2010.


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