Volksaufstand: Was ist am 17. Juni 1953 in der DDR passiert?

    FAQ

    70 Jahre nach dem Volksaufstand:Was ist am 17. Juni 1953 in der DDR passiert?

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    Beim Volksaufstand am 17. Juni 1953 streikten DDR-weit mehr als eine Million Menschen, es gab gewaltsame Proteste. Doch worum ging es den Aufständischen damals genau?

    Volksaufstand in der DDR
    Freie Wahlen, Rücktritt der Regierung und Freilassung der politischen Gefangenen – das waren nur einige der Forderungen, die die Protestierenden beim Aufstand von 17. Juni stellten.12.06.2023 | 8:48 min
    Es war der bis dahin größte Volksaufsstand in der Geschichte der DDR, die "Beinahe-Revolution". Am 17. Juni jähren sich die Massenproteste für bessere politische und soziale Bedingungen in Ostdeutschland zum 70. Mal. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Was führte zum Volksaufstand in der DDR?

    Hintergrund des Volksaufstands war eine schwere Krise in der DDR, die zu Unmut in der Bevölkerung über die schlechte Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs führte. Mit dem Ziel, die wirtschaftliche Lage zu verbessern, beschloss der Ministerrat Ende Mai 1953 die Erhöhung der Arbeitsnormen um zehn Prozent. Das bedeutete, dass in der gleichen Zeit mehr geleistet werden musste.
    Wenige Tage später machte die SED-Führung eine radikale Kehrtwende und gestand Fehler ein. Auf Aufforderung der sowjetischen Führung hin sollte nicht mehr vor allem die Schwerindustrie gefördert, sondern die Versorgung der Bevölkerung verbessert werden. Aber die Arbeitsnormerhöhung blieb bestehen, wogegen sich Proteste regten.

    Es war eine Situation, wo man gespürt hat, die Funktionäre sind hilflos, die wissen nicht mehr, was sie machen sollen.

    Udo Grashoff, Historiker

    In den Tagen vor dem 17. Juni wuchs die Zahl der protestierenden DDR-Bürger dann rasant an. Zehntausende forderten am Vortag vor dem "Haus der Ministerien" in Ost-Berlin eine Rücknahme der Erhöhungen und freie Wahlen. Als sie keine befriedigenden Antworten erhielten, wurde für den nächsten Tag zu einem DDR-weiten Generalstreik aufgerufen.

    Was geschah am 17. Juni 1953?

    Demonstranten werden Steine auf einen russischen Panzer in Ost-Berlin
    Demonstranten werden Steine auf einen russischen Panzer in Ost-Berlin
    Quelle: AP

    Am "Haus der Ministerien" in Ost-Berlin spielten sich am 17. Juni chaotische Szenen ab, Demonstranten stürmten Teile des Gebäudes. Um die Mittagszeit fuhren sowjetische Panzer vor dem Platz auf. Der sowjetische Stadtkommandant verhängte den Ausnahmezustand über Ost-Berlin. Jegliche Versammlung wurde verboten, die Grenze nach West-Berlin geschlossen.
    Der Generalstreik ging von Ost-Berliner Großbaustellen aus und griff auf mehr als 700 Städte, Orte und Betriebe über. Weitere Zentren des Aufstands waren Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. DDR-weit schlossen sich rund eine Million Bürgerinnen und Bürger an. Sie forderten nun nicht nur eine Rücknahme der Normerhöhung, sondern weitreichende soziale und politische Veränderungen. Binnen Stunden wurde der Ausnahmezustand verhängt.
    Der 17. Juni als Comic
    Mehr als eine Million Menschen gingen am 17. Juni 1953 in der DDR auf die Straße und forderten Freiheit und Demokratie. Wie kann man – 70 Jahre später – jungen Menschen das Ereignis näher bringen?16.06.2023 | 2:40 min

    Wie viele Opfer gab es?

    Die Sowjetarmee und DDR-Polizei beendeten den Aufstand gewaltsam. Mindestens 55 Menschen wurden getötet, mehr als 10.000 Menschen verhaftet, 1.500 zu Gefängnis verurteilt. Eine echte Chance hatte der Aufstand nicht, so sieht es zumindest der Berliner Aufarbeitungsbeauftragte Frank Ebert.

    Die Sowjetunion wollte ja ihre Einflusssphäre schützen, ihre Truppen standen bereit. Und gegen Panzer kann man mit Steinen nichts ausrichten.

    Frank Ebert, Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

    Zupke: 17. Juni 1953 "in den Lehrplänen"
    Bei jungen Menschen nehme das "Wissen um die zweite deutsche Diktatur" ab, sagt Evelyn Zupke, SED-Opferbeauftragte der Bundesregierung, und fordert Prüfungsrelevanz des 17. Juni und Schulung von Lehrkräften.16.06.2023 | 4:16 min

    Was erinnert heute an den Volksaufstand?

    In Berlin erinnert noch heute eine Hauptverkehrsader an den 17. Juni 1953. Der Platz vor dem heutigen Bundesfinanzministerium an der Leipziger Straße/Ecke Wilhelmstraße war einer der zentralen Orte des Volksaufstandes. Vor dem Ministerium erinnert im Stil der Architektur des Nationalsozialismus ein Bodendenkmal mit Bildern von Demonstrierenden an die Geschehnisse vor 70 Jahren.

    Der Volksaufstand vom 17. Juni ist ebenso wie die friedliche Revolution 1989 ein herausragendes Ereignis der deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte.

    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

    Frank-Walter Steinmeier
    Sehen Sie hier die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum 70. Jahrestag des Volksaufstands vom 17. Juni 1953.16.06.2023 | 27:05 min
    Die Straße zwischen dem Brandenburger Tor und dem S-Bahnhof Tiergarten heißt seit dem 22. Juni 1953, also fünf Tage nach Ausbruch des Aufstandes, "Straße des 17. Juni".
    Von August desselben Jahres bis zur Wiedervereinigung 1990 war der 17. Juni offizieller Tag der Deutschen Einheit und gesetzlicher Feiertag in der Bundesrepublik. Die DDR wiederum sprach von einem vom Westen gesteuerten "faschistischen Putsch" - und schwieg dann jahrzehntelang über das Ereignis. Bis heute ist der Tag ein Gedenktag. Im Jahr 2016 erklärte Thüringen den 17. Juni zum "Gedenktag für die Opfer des SED-Unrechts".

    Steinmeier kritisiert Populismus
    :"Wer so spricht, der verhöhnt die Opfer"

    Bundespräsident Steinmeier hat an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 erinnert. Dabei kritisierte er Populisten, die behaupteten, die Zeit heute sei wie die SED-Diktatur von einst.
    von Dominik Rzepka
    Frank Walter Steinmeier
    mit Video
    Quelle: dpa, epd
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