Politik

Klare Ansage an die Türkei Gabriel verkündet das Ende der Geduld

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel.

(Foto: dpa)

Ausführlich erklärt Außenminister Gabriel, warum die Bundesregierung so lange so geduldig mit der Türkei war – und warum jetzt Schluss damit ist. Mit drei Maßnahmen soll der Regierung in Ankara klargemacht werden, "dass ihre Politik nicht folgenlos ist".

Wenn man bedenkt, wie ruhig deutsche Außenpolitik normalerweise gemacht wird, ist der Rahmen geradezu krisenhaft: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat seinen Urlaub an der Nordsee unterbrochen, um von Berlin aus auf die jüngste Zuspitzung im deutsch-türkischen Verhältnis zu reagieren.

Martin Schulz kam extra ins Auswärtige Amt, um sich mit Sigmar Gabriel abzusprechen.

Martin Schulz kam extra ins Auswärtige Amt, um sich mit Sigmar Gabriel abzusprechen.

(Foto: dpa)

Am Vortag hatte das Auswärtige Amt den türkischen Botschafter einbestellt, um ihm "ohne diplomatische Floskeln", wie das Ministerium mitteilte, klarzumachen, "dass die Verhaftung von Peter Steudtner und anderen Menschenrechtsaktivisten nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel" sei. Gabriels Auftritt vor Journalisten im Auswärtigen Amt verzögert sich schließlich um mehr als eine Stunde – auch dies ist ein Hinweis darauf, dass er gleich mehr verkünden wird als nur Empörung und Unverständnis.

Und genau so ist es. Gabriel kündigt eine "Neuausrichtung unserer Türkei-Politik" an. "Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Wir müssen klarer als bisher sein, damit die Verantwortlichen in Ankara begreifen, dass eine solche Politik nicht folgenlos ist."

Ausdrücklich weist Gabriel darauf hin, dass er sich "sowohl mit der Vorsitzenden der CDU, Bundeskanzlerin Angela Merkel" als auch mit SPD-Chef Martin Schulz abgesprochen habe. Den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer habe er noch nicht erreicht, aber auch mit ihm werde er noch telefonieren. Die Botschaft: Das hier ist nicht Wahlkampf. Die Regierung wolle einheitlich handeln, sagt der Minister.

Drei Maßnahmen

Hermes-Bürgschaften

"Hermes-Bürgschaften" gibt es seit 1949. Sie sind Exportkreditgarantien der Bundesregierung, also staatliche Versicherungen für Exporte ins Ausland. Unternehmen nutzen gegen Gebühr das Angebot, um in politisch oder wirtschaftlich unsicheren Ländern Geschäfte zu machen. Zahlt der ausländische Abnehmer nicht, springt der Staat ein und schützt die Firmen damit vor Verlusten. Besonders für Ausfuhren in Entwicklungs- und Schwellenländer bieten private Versicherer oftmals keine ausreichenden Absicherungsmöglichkeiten an.

Da die Allianz-Tochter Euler Hermes von Anfang an als Partner ins Boot geholt wurde, werden die Garantien auch als "Hermes-Bürgschaft" bezeichnet.

Vor der Übernahme von Exportkreditgarantien werden die Zahlungsausfallrisiken bewertet. Danach richtet sich die Risikoprämie. Maßgeblich hierfür sind die Risikoeinstufungen der Industriestaaten-Organisation OECD. Derzeit steht die Türkei mit der Einstufung 4 auf einem mittleren Wert der Skala, die von 0 (Bestnote) bis 7 (schlechteste Note) reicht.

Konkret kündigte Gabriel drei Maßnahmen an: Erstens sollen die Hermes-Bürgschaften, mit denen die Bundesregierung Auslandsinvestitionen absichert, überprüft werden. Man könne niemandem zu Investitionen in einem Land raten, in dem es keine Rechtssicherheit gebe und in dem "völlig unbescholtene Unternehmen in die Nähe von Terroristen gerückt werden".

Zweitens werde man in der EU über die sogenannten Vorbeitrittshilfen sprechen. Das sind Überweisungen der EU an die Türkei, um einen etwaigen Beitritt vorzubereiten. Und drittens sei klar geworden, "dass deutsche Staatsbürger in der Türkei vor willkürlichen Verhaftungen nicht mehr sicher sind". Die Fälle von Peter Steudtner, des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel und der deutschen Journalistin Mesale Tolu stünden für ein Unrecht, "das jeden deutschen Staatsbürger in der Türkei treffen kann". Daher habe das Auswärtige Amt keine andere Wahl gehabt, als die Reise- und Sicherheitshinweise für die Türkei anzupassen.

Gabriel rät von Reisen in die Türkei ab, doch eine offizielle Reisewarnung gibt es nicht. In den aktualisierten Hinweisen des Auswärtigen Amts heißt es nun: "Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Listen für Deutsche im Ausland bei Konsulaten und der Botschaft einzutragen. Die Auslandsvertretungen werden bei Festnahmen deutscher Staatsangehöriger nicht immer rechtzeitig unterrichtet, der Zugang für die konsularische Betreuung wird nicht in allen Fällen gewährt."

Neun Deutsche in der Türkei in Haft

Alle drei Maßnahmen sind als Warnschüsse zu verstehen, die das Potenzial haben, der Türkei wirtschaftlich zu schaden. Tatsächlich dürfte der türkischen Regierung klar sein, dass sie das Image ihres Landes im Ausland ruiniert hat: Gerade jetzt läuft eine Werbekampagne in deutschen Medien, mit denen Urlauber und Investoren in die Türkei gelockt werden sollen.

Die Vorwürfe gegen Steudtner, einen freien Mitarbeiter von Amnesty International, der in der Türkei in Untersuchungshaft sitzt, nennt Gabriel "offensichtlich unbegründet und an den Haaren herbeigezogen". Zudem sei Steudtner nur einer von 22 deutschen Staatsangehörigen, die seit dem Militärputsch in der Türkei festgenommen worden seien. Gabriel betont, dass der Putsch "zum Glück" gescheitert sei. Der Putsch habe die Demokratie der Türkei aus den Angeln heben sollen, "er ist zu Recht international kritisiert worden", und es sei "natürlich" auch richtig, die Unterstützer des Putsches vor Gericht zu bringen. Dies ist nur eine von mehreren Passagen, in denen Gabriel der türkischen Regierung signalisiert: Wir sind weiterhin an guten Beziehungen interessiert, wir bemühen uns auch, Verständnis für eure Position aufzubringen. Aber ihr habt den Bogen überspannt.

Noch immer seien neun deutsche Staatsbürger in der Türkei in Haft, sagt Gabriel. Besonders empört den Minister, dass Deutschland in jedem einzelnen Fall um den völkerrechtlich zustehenden Anspruch auf konsularischen Zugang kämpfen müsse; "er wird nie automatisch gewährt". Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung gehen deutsche Diplomaten davon aus, dass die türkische Regierung die Inhaftierten wie Geiseln einsetzen will.

"Türkei verlässt den Boden europäischer Werte"

Im deutsch-türkischen Verhältnis habe es in den letzten Jahrzehnten "viele gute, aber manchmal auch schwierige und schlechte Zeiten" gegeben, sagt Gabriel. Bisher hätten sich beide Seiten jedoch immer auf "den Willen, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten" verlassen können. Gabriel spricht jetzt merklich an ein türkisches Publikum: "Gerade weil wir um die Empfindlichkeiten und auch Enttäuschungen in der Türkei wissen, wenn es um den mühseligen EU-Beitrittsprozess geht, und genauso auch wissen, dass in der Türkei die Reaktion aus Deutschland nach dem gescheiterten Militärputsch aus Sicht der Türkinnen und Türken nicht emotional, nicht warmherzig genug, nicht engagiert genug gewesen ist – gerade deshalb standen für uns in diesen schwierigen Wochen und Monaten in letzter Zeit vor allem Partnerschaft und Dialogbereitschaft im Mittelpunkt."

Die Bundesregierung habe "viel Geduld aufgebracht", auch wenn dies angesichts der Nazi-Vergleiche "oftmals nicht leichtgefallen" sei. Ein wichtiger Grund für die Geduld sei gewesen, dass es in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen mit Wurzeln in der Türkei gebe, die ein wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft seien. "Sie wollen und – da bin ich sicher – werden wir nicht verlieren."

Die türkische Regierung habe die Bundesregierung jedoch "wieder und wieder" enttäuscht. "Wer unbescholtene Besucherinnen und Besucher seines Landes unter wirklich hanebüchenen, ja abwegigen Beschuldigungen festnimmt und in Untersuchungshaft verbringen lässt, der verlässt den Boden europäischer Werte", sagt Gabriel. Erst nach dieser langen Vorrede kündigt er die Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik an.

Ein bisschen Wahlkampf gab es doch. SPD-Kanzlerkandidat Schulz war extra ins Auswärtige Amt gekommen, um sich mit Gabriel abzusprechen – und möglicherweise auch, um sich fotografieren zu lassen.

Gabriel lässt am Ende seiner Ausführungen erkennen, dass er für ein schärferes Vorgehen gewesen wäre. Er könne sich nicht vorstellen, dass es Verhandlungen über die Ausweitung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei gibt, "wenn Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der Europäischen Union ohne Grund in der Türkei in Haft gehalten werden". Ausdrücklich stellte er sich in diesem Punkt hinter Schulz. Letztlich ist auch dies eine Warnung an die Türkei: Die drei angekündigten Maßnahmen sind womöglich erst ein Anfang.

Quelle: ntv.de

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