Wissen

Weberknechte in Horden Eingewanderte Riesenspinne breitet sich aus

Zitternde Gruppe als Schutz: Versammlung von eingewanderten Weberknechten.

Zitternde Gruppe als Schutz: Versammlung von eingewanderten Weberknechten.

(Foto: Axel Schönhofer)

Eigentümlich ist ihr Verhalten, imposant ihr Aussehen: Eine unbekannte Art von Weberknechten mit sehr langen Beinen breitet sich in Deutschland rasant aus. Wenigstens scheint der Neuankömmling den heimischen Verwandten nicht zu schaden.

Eine schwarze Masse aus wippenden Leibern mit langen, dürren Beinen - es wundert nicht, dass diese Einwanderer in Deutschland für so viel Aufsehen sorgen. Bis zu 18 Zentimeter Spannweite haben die Beine der Weberknechte, die sich tagsüber zu schützenden Gruppen zusammenfinden. "Das können riesige Aggregationen aus Tausenden Tieren sein", sagt der Zoologe Axel Schönhofer von der Universität Mainz. "Bei Bedrohung schwingen alle ganz schnell mit dem Körper hin und her und laufen auseinander."

Der große Weberknecht erobert in Westeuropa Mauern, ganz besonders in Nordrhein-Westfalen.

Der große Weberknecht erobert in Westeuropa Mauern, ganz besonders in Nordrhein-Westfalen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Angreifer - wie etwa Vögel - können so beim Zuschnappen viel schlechter zielen. Menschliche Beobachter lässt der Anblick des wabernden Haufens an einer Mauer oft erschauern. "Die Tiere sind aber völlig harmlos", betont Schönhofer. Anders sähe das bei potenziellen Einwanderern unter den Spinnen aus, sagt Peter Jäger, Arachnologe am Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt. "Probleme könnte es geben, wenn sich die Schwarze Witwe etablieren würde." Bisse von Latrodectus mactans können zu heftigen Schmerzen führen, in seltenen Fällen auch zum Tod.

Schon oft seien lebende Schwarze Witwen in Containern mit Metallteilen oder Oldtimern aus Nordamerika nach Europa eingereist, weil die Behälter nicht ausreichend begast wurden. "In Belgien gibt es immer wieder Funde, etabliert haben sich die Tiere aber offenbar noch nicht." Unheil für den Menschen könne auch eine weitere Art bedeuten: die Braune Einsiedlerspinne (Loxosceles laeta). Auch sie stamme aus Amerika und könne mit ihrem Gift Menschen schaden.

Wahrscheinlich mit dem Schiff eingereist sind auch die großen Weberknechte, die der Gattung Leiobunum zugeordnet wurden. Wie Spinnen haben Weberknechte acht Beine und gehören zur Klasse der Spinnentiere (Arachnida), nicht aber zur Gruppe der Webspinnen (Araneae). Anders als bei Spinnen sind Kopf und Hinterleib bei Weberknechten scheinbar verschmolzen, zudem bauen sie keine Netze.

Immens schnelle Ausbreitung

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der eingeschleppten Weberknechte sei immens, sagt Schönhofer. "Sie wandern rund 200 Kilometer jährlich ostwärts. Es sind sehr mobile Tiere." Jede neue Population wachse zunächst rapide, stagniere dann aber oder entwickle sich zum Teil sogar rückläufig. Ursache seien wahrscheinlich natürliche Regulationsprozesse, erläutert der Zoologe. "Fressfeinde wie Vögel und Säuger könnten auf die neue Beute aufmerksam geworden sein, an den Ruheplätzen vermehren sich möglicherweise Schimmelpilze oder Parasiten."

Heimische Tiere werden von den Neuankömmlingen bisherigen Untersuchungen nach kaum oder gar nicht in Mitleidenschaft gezogen. "Es gibt vielleicht etwas Futterkonkurrenz mit anderen Weberknechten, aber wir sehen auch heimische Arten mit in den großen Ansammlungen, die dann ebenfalls vom Schutz der Gruppe profitieren."

Wahrscheinlich gelangten die Tiere mit Baumaterial und anderen Transporten in neue Regionen. Derzeit gibt es Nachweise in den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Erstmals entdeckt wurden die fremden Weberknechte im Jahr 2000 in den Niederlanden. "Woher sie kamen, lässt sich nicht sicher sagen", erläutert Schönhofer. Der Biologe hatte zusammen mit Kollegen eine Studie zu dem Vertreter der Gattung Leiobunum veröffentlicht (Arachnologische Mitteilungen Nr. 34, S. 27).

Neue Spinnenarten

Auch einige neue Spinnenarten sind in Deutschland heimisch geworden. Senckenberg-Forscher Jäger nennt die Zitterspinne Holocnemus pluchei als Beispiel, die zunächst nur in Markthallen oder an Fernbus-Bahnhöfen gefunden wurde. Inzwischen sei die Art aus deutschen Innenstädten nicht mehr wegzudenken. Ebenfalls aus dem Mittelmeerraum gekommen sei wohl die Kräuseljagdspinne Zoropsis spinimana - zumindest sei sie einmal in einer Kiste aufgetaucht, die mit einem Motorrad aus Italien kam.

Insgesamt seien in den vergangenen vier Jahrzehnten grob geschätzt etwa 20 Arten zu den deutschlandweit rund 1000 Spinnenspezies hinzugekommen, sagt Jäger. "Das sind graduelle Entwicklungen, und es gibt nur wenige Arachnologen und damit wenig Aufmerksamkeit für Nachweise." Auch über die Auswirkungen auf heimische Spezies lasse sich kaum etwas sagen. "Bei den vielen Arten haben wir kaum eine Möglichkeit, das zu kontrollieren und zu erfassen." Spinnen wanderten auf zwei Wegen ein: aus dem Mittelmeerraum über die Alpen und so wie auch der Weberknecht mit dem internationalen Handels- und Reiseverkehr.

Bei den großen Weberknechten liege der Ursprung möglicherweise in Südspanien, Portugal oder auch Nordafrika, sagt Schönhofer. Sein niederländischer Forscherkollege Hay Wijnhofen habe dort bei Nachforschungen schon mehrere neue Arten gefunden - der eigentlich gesuchte Weberknecht konnte aber nicht sicher identifiziert werden. Ohnehin sei fraglich, ob sich die Tiere noch einer Ursprungsregion zuordnen ließen. Sie hätten auf den globalen Transportwegen vielleicht schon weitere Zwischenstationen hinter sich.

Zuordnung schwierig

Auch die Zuordnung zu einer Art sei schwierig. Derzeit seien allein in dieser Gattung rund 120 Spezies bekannt, bei etwa der Hälfte sei dabei unklar, welches Tier eigentlich genau gemeint sei, erläutert Schönhofer. Viele der Arten seien sich sehr ähnlich, zudem seien die Merkmale innerhalb einer Spezies sehr variabel. "Da gibt es gleich einen ganzen Pool an Problemen." In Europa gebe es daher noch etliche unbekannte Arten und viel Forschungsbedarf. Allein in Deutschland seien seit 2005 vier Arten neu nachgewiesen worden.

Ungewöhnlich sei ein Weberknecht mit 18 Zentimetern Beinspannweite bei nur einem halben Zentimeter Körperlänge nicht. "Auf dem Weg zur Arbeit laufen viele an 50 Weberknechten mit solcher Spannweite vorbei", erklärt der Biologe. Einige dieser heimischen Tiere bildeten ebenfalls Ansammlungen. "Allerdings nicht in der Dichte und Häufigkeit wie die eingewanderten Tiere." Wahrscheinlich seien die Neuankömmlinge in ihrer Heimat so tagsüber nicht nur besser vor Feinden, sondern auch vor Austrocknung geschützt.

Hay Wijnhofen vom European Invertebrate Survey in Leiden (Niederlande) hat das Verhalten der großen Weberknechte in einer großen Population in Beuningen untersucht und seine Studie ebenfalls in den "Arachnologischen Mitteilungen" veröffentlicht. Die Tiere schwärmen demnach nachts aus und jagen verschiedenste kleine Insekten. Auch tote Insekten, andere Wirbellose, Vogelkot und von Spinnen aus ihren Netzen entfernte Beutetiere würden nicht verschmäht, schreibt Wijnhofen.

Weibchen werden bewacht

"Äußerst kompliziert" sei das Paarungsverhalten. Das Männchen bewache das Weibchen bei der Eiablage und paare sich mehrfach mit ihm, andere sich nähernde Männchen würden vertrieben. Als Brautgeschenk scheine es seiner Auserwählten regelmäßig eine selbst produzierte Flüssigkeit darzubieten. Ihre Eier legen die Tiere der Studie zufolge in schützende Mauerspalten und Ritzen.

"Die ausgewachsenen Weberknechte sterben mit den ersten starken Frösten", erläutert Schönhofer. Aus den Eiern schlüpften im Frühjahr kleine Jungtiere, die dann zu stattlicher Größe heranwüchsen. "Das erklärt auch, warum es in den vergangenen zwei Monaten wieder mehr Meldungen gab", sagt der Biologe. Dass besonders viele davon aus dem Ruhrgebiet kommen, könne an der erhöhten Aufmerksamkeit dort, aber auch der Vielzahl urbaner Verstecke liegen.

Einen kleinen Trost für Menschen, die sich vor den wabernden schwarzen Ansammlungen der Weberknechte gehörig ekeln, hat Schönhofer auch noch parat: "In Asien und Amerika gibt es Arten, bei denen sich nicht Tausende, sondern Zehntausende Tiere an einem Ort versammeln."

Quelle: ntv.de, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen