zum Hauptinhalt
Twitter, dessen Symbol der blaue Vogel ist, kann kaum noch neue Nutzer gewinnen.

© dpa

Tröten statt Zwitschern mit "Mastodon": Twitter bekommt Konkurrenz aus Deutschland

Der Kurznachrichtendienst Twitter steckt in der Krise, gewinnt kaum noch neue Nutzer. Ein Wettbewerber aus Jena bietet nun eine schnell wachsende Alternative. Hält der Hype an?

Wenn selbst der Trump-Effekt nicht wirkt, ist Twitter eigentlich nicht mehr zu helfen. Der Nachrichtendienst ist das bevorzugte Kommunikationsmedium des US-Präsidenten, eine bessere Gratiswerbung kann sich ein Unternehmen nicht wünschen. Trotzdem stagnierte die Zahl der aktiven Nutzer in den USA im vergangenen halben Jahr. Auch weltweit stieg die Zahl der Twitterfans nur geringfügig auf rund 319 Millionen. Dafür wachsen die Verluste. Zuletzt waren es 167 Millionen Dollar – in einem Quartal. Twitter-Chef Jack Dorsey versucht zwar alles Mögliche, um das Netzwerk wieder attraktiver zu machen, doch mit allen Änderungen verärgert er eher die Stammkunden, anstatt neue Nutzer zu überzeugen.

Auch Eugen Rochko ist mit Twitter unzufrieden. Der 24-jährige Programmierer hat daher eine Alternative namens Mastodon entwickelt. Bei dem Netzwerk mit dem putzigen Comic-Mammut heißt das Veröffentlichen von Beiträgen „Tröten“ statt „Zwitschern“, dafür stehen 500 statt 140 Zeichen zur Verfügung und das bei Twitter von einem Stern in ein Herz umgewandelte Gefällt-mir-Symbol ist bei Mastodon noch ein Stern. Ansonsten erinnert es optisch an das Twitter-Programm Tweetdeck, mit dem Nutzer die Inhalte in Spalten sortieren können. Rochko trifft damit offenbar einen Nerv: Die Nutzerzahl ist in zwei Wochen von 24 000 auf mehr als 200 000 gestiegen.

"Mastodon ist wie Twitter ohne Nazis"

Auch renommierte US-Technologieblogs feiern das Netzwerk aus Deutschland. „Tschüss, Twitter. Die coolen kids gehen zu Mastodon“, schreibt „Mashable“. Als schönere und angenehmere Version des Zwitscherdienstes beschreibt es „Motherboard“ und befindet: „Mastodon ist wie Twitter ohne Nazis“.

Pöbeleien, Hasskommentare und die berüchtigten Shitstorms haben neben Facebook in letzter Zeit auch bei Twitter für viel Ärger gesorgt. Vor allem hier soll sich Mastodon unterscheiden. Dazu gibt es mehr Möglichkeiten, unerwünschte Nutzer auszublenden oder ganz zu sperren. Vor allem aber soll der grundsätzlich andere Konstruktionsansatz für einen Unterschied im Umgang sorgen.

Denn Mastodon ist als dezentrales Netzwerk aufgebaut. Neben der größten Seite, die im Internet unter www.mastodon.social erreichbar ist, gibt es schon mehr als 500 andere Server, die miteinander verknüpft sind. Jeder Nutzer kann sich aussuchen, bei welcher dieser Untergruppen er sich anmeldet und dabei nach seinen Interessen gehen. Zur Wahl stehen beispielsweise toot.berlin oder bonn.social, anticapitalist.party oder capitalism.party. Die Nutzer sehen dann in einer Spalte alle Beiträge der jeweiligen Gruppe, in einer anderen können sie aber auch mit den Mastodon-Mitgliedern weltweit kommunizieren.

Der dezentrale Ansatz birgt Probleme

„Das Internet hat den Aufstieg und Fall vieler Sozialer Netzwerke gesehen“, sagt Entwickler Rochko und verweist auf MySpace oder Google+. Doch mit seinen Daten und Freunden von einem zum anderen umzuziehen, ist genauso wenig möglich wie die Kommunikation von Netz zu Netz. Genau das soll Mastodon ändern, denn es funktioniert wie der älteste Kommunikationskanal im Netz. „E-Mail ist vielleicht nicht so sexy, aber sie funktioniert immer noch“, erklärt Rochko. So sind auch die Mastodon-Nutzernamen wie E-Mailadressen konstruiert, sie lauten beispielsweise ovoss@toot.berlin.

Durch den dezentralen Ansatz entstehen aber auch einige Probleme: Man muss die exakten Namen anderer Nutzer wissen, um sie zu finden. Und das System der Gruppen – Instanzen genannt – ist für Neueinsteiger verwirrend. Zumal bei den meisten Mastodon-Gruppen aus dem Namen nicht ersichtlich wird, wer sich dort tummelt. Tatsächlich Mikronetzwerke Gleichgesinnter zu finden, ist schwer.

Manche Nutzer tun sich mit dem Twitter-Konkurrenten schwer

„Das Netzwerk ist viel zu kompliziert“, kritisiert daher auch der Kommunikationsberater Sachar Klein. Der Social-Media-Experte hat zuletzt auch oft darüber nachgedacht, wie ein besseres Twitter aussehen kann. Nach zehn Jahren bei dem Kurznachrichtendienst und fast 19 000 Tweets räumte Klein im Dezember radikal auf und trennte sich von seinen fast 600 Freunden. Jetzt will er maximal 150 Leuten folgen, das ist nach einer Theorie des Wissenschaftlers Robin Dunbar die Zahl an Menschen, mit denen man Beziehungen unterhalten kann.

„Mastodon ist definitiv kein besseres Twitter“, sagt Klein. Er glaubt auch nicht, dass es sich bei Jugendlichen durchsetzt, die an einfache, bunte und bildgewaltige Netzwerke wie Snapchat gewöhnt sind. Zumal es von Mastodon auch keine Smartphone-App gibt, sondern wiederum eine verwirrende Vielfalt an Zusatzapps, um Mastodon mobil zu nutzen. „Ich bin sehr skeptisch, ob es mehr als ein Nischennetzwerk werden kann“, sagt Klein.

So könnte auch die Twitter-Alternative aus Thüringen das Schicksal anderer Netzwerke wie Diaspora, App.net oder Ello ereilen. Nach einem kurzem Hype, bei dem sich tausende Neugierige anmeldeten, wurde es schnell wieder ruhig, und die meisten kehrten doch zu Facebook, Twitter & Co. zurück.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false