Mehr als 1000 Geheimsitzungen?: Börsendonner nach Kartell-Vorwurf

++ Geheim-Absprachen der Hersteller enthüllt ++++ Riesen-Rückruf bei Audi ++ ++ EU setzt VW unter Druck ++

Das Diesel-Gekrisel nimmt kein Ende – heute erschütterten gleich drei Nachrichten die Autobranche, sorgten für kräftiges Donnern an der Börse.

Nachdem heute zunächst bekannt wurde, dass die EU womöglich ab kommendem Jahr alle nicht umgebauten VW-Skandaldiesel stilllegen lassen will, muss nun auch noch Audi einen Mega-Rückruf vermelden.

Dritter und größter Hammer: Offenbar gibt es ein Diesel-Kartell in Deutschland: Nach „Spiegel“-Informationen hat sich die deutsche Auto-Industrie in geheimen Zirkeln abgesprochen. Die Rede ist von mehr als 1000 Sitzungen seit den Neunziger-Jahren.

Dax wegen Autobauern kräftig im Minus

Der Verdacht jahrelanger illegaler Absprachen zu Lasten von Verbrauchern und Zulieferern blieb nicht ohne Folgen an der Börse: Die Werte der Autobauer verloren kräftig, zogen den Dax ins Minus, brockten ihm den größten Tagesverlust seit drei Wochen ein.

Allen voran im Rückwärtsgang fuhren die Aktien von VW, wo der Diesel-Skandal vor rund zwei Jahren seinen Anfang genommen hatte. Die Papiere brachen zeitweise um fast fünf Prozent auf 135,90 Euro ein.Aber auch BMW und Daimler sowie in Paris Renault und Peugeot kamen mit Abschlägen von je rund drei Prozent unter die Räder, später erholten sich die Werte leicht.

Auto-Industrie unter Kartell-Verdacht

Der Vorwurf, über den der „Spiegel“ berichtet, wiegt schwer:

Mehr als 200 Mitarbeiter der Unternehmen sollen sich seit den 1990er Jahren in geheimen Arbeitskreisen abgestimmt und den Wettbewerb außer Kraft gesetzt haben. Es soll dabei um alle Details der Autoentwicklung gegangen sein. Dazu gehören demnach auch Absprachen zur Technik für die Diesel-Abgasreinigung.

Das belegt eine Art Selbstanzeige, die der VW-Konzern laut „Spiegel“ bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht hat. Das Magazin berief sich dabei auf einen Schriftsatz, den VW auch für Audi und Porsche bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht haben soll. Auch Daimler habe eine „Art Selbstanzeige“ hinterlegt.

Eine wichtige Frage, die nun geklärt werden soll: Ist dabei der Grundstein für den Diesel-Skandal gelegt worden?

Fest steht: Da BMW, Daimler, VW, Audi und Porsche involviert sein sollen, könnte es sich um einen der größten Kartellfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte handeln!

Bei einem der Treffen des „Arbeitskreises“ soll beispielsweise die AdBlue-Technik besprochen worden sein. Dabei wird ein Harnstoffgemisch im Verbrennungsprozess den Abgasen beigefügt, um Stickoxide in seine harmlosen Bestandteile zerfallen zu lassen. Um Platz zu sparen, wurde gemeinsam beschlossen, einen kleinen Tank für den Harnstoff über alle Fahrzeugmarken hinweg zu verwenden. Den Berichten des „Spiegel“ zufolge war jedoch klar, dass damit die Richtlinien für Diesel-Autos nur schwer oder gar nicht eingehalten werden konnten.

So wurden Tricks entwickelt, die Werte zu verbessern. Der Diesel-Skandal nahm seinen Lauf!

Die Kartellbehörde ermittelt.

Daimler und BMW sprachen in einer ersten Reaktion auf die „Spiegel“-Vorwürfe von „Spekulationen“.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte: „Kartellrechtliche Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Thematik, die wir gerade mit der Automobilindustrie haben. Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen.“

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Riesen-Rückruf jetzt auch bei Audi!

Die VW-Tochter Audi will angesichts der Diskussion um Diesel-Fahrverbote bis zu 850 000 Fahrzeuge nachrüsten lassen. Das teilte der Fahrzeughersteller am Freitag in Ingolstadt mit.

Über ein Software-Update soll das „Emissionsverhalten“ von Autos mit Sechs- und Achtzylinder-Dieselmotoren mit den Abgasnormen Euro-5 und Euro-6 verbessert werden.

Für Kunden soll das Software-Update kostenlos sein. Es ist laut Audi in Europa sowie anderen Märkten außerhalb der USA und Kanada verfügbar.

In der Unternehmenserklärung hieß es: „Damit will Audi dazu beitragen, die Gesamtemissionen in den Innenstädten zu reduzieren.“

Der Service gilt auch für Modelle der Marken Porsche und Volkswagen, die mit baugleichen Motoren ausgerüstet sind.

Alle Motor-Getriebevarianten mit Dieselantrieb würden vom Unternehmen weiterhin auf Unregelmäßigkeiten geprüft, wobei Audi mit den Behörden eng zusammenarbeite. Die nun angebotene Umrüstung sei freiwillig und bestehe auch aus bereits zugesagten Maßnahmen.

Anfang Juni war Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) mit dem Vorwurf „unzulässiger Abschalteinrichtungen“ gegen Audi an die Öffentlichkeit gegangen, dabei handelte es sich um 24 000 Oberklasse-Audis.

EU hat VW im Visier

Unterdessen erhöht Brüssel im Abgasskandal den Druck auf Volkswagen.

„Ich erwarte von Volkswagen eine Rückrufquote von 100 Prozent“, schrieb EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska an alle 28 EU-Verkehrsminister, wie die „Wirtschaftswoche“ berichtete.

Auch die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte am Freitag aus dem Schreiben. Bienkowska forderte darin die Minister auf, verpflichtende Rückrufaktionen von VW anzuordnen. Autos, die die EU-Normen nicht erfüllten, müssten 2018 „aus dem Verkehr gezogen werden“.

Die EU-Kommissarin kritisierte in ihrem Schreiben den VW-Konzern auch direkt. Sie habe Firmenchef Matthias Müller am 19. Juni geschrieben mit der Bitte, ihr „detaillierte Daten über den aktuellen Stand der Rückrufaktion zukommen zu lassen“, heißt es in dem Schreiben an die EU-Minister. „Bisher habe ich keine Antwort von Volkswagen bekommen.“

Erst kürzlich hatte Bienkowska in der Abgasaffäre um Dieselfahrzeuge von Daimler den deutschen Aufsichtsbehörden Versagen vorgeworfen. Es sei „Besorgnis erregend“, dass die jüngsten Anschuldigungen nicht durch die nationalen Aufsichtsbehörden aufgedeckt worden seien, erklärte sie. Ähnlich äußerte sie sich in dem Schreiben nun auch zu neuen Verdachtsfällen bei Audi und Porsche.

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