„Pick-Up Artists“ :
Du bist ja ein ganz kleines Mädchen

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Sie nennen sich „Pick-Up Artists“ und machen Jagd auf Frauen. Um diese ins Bett zu kriegen, setzen die Männer auf emotionale Manipulation. Um Gefühle geht es selten.

Irina, 27, ist auf einem Salsa-Abend, als ihr plötzlich jemand eine Zigarette anbietet. Der Mann ist einen Kopf größer als sie, in ihrem Alter, muskulös, ausreichend attraktiv. Sie kommen ins Gespräch, sie findet ihn sympathisch und gibt ihm ihre Telefonnummer. Ein paar Tage später ruft er sie abends um 23 Uhr an und will sie treffen. Sie weigert sich. Einige Monate später meldet er sich abermals, und sie stimmt einem Wiedersehen zu. „Mir gefiel, dass er nicht locker ließ“, erzählt Irina, die in Wirklichkeit anders heißt.

Dann das erste Treffen. Es wird ein schöner Abend, vor allem deshalb, weil der Mann ihr sehr weiblich vorkommt und für alles Verständnis hat. „Er wollte alle meine Gefühle analysieren, er berichtete von Dingen, die ihm gefielen, und sagte, dies und jenes müssten wir unbedingt mal zusammen machen, das würde mir gefallen.“ Er spielte mir ihr Handlesen und Zahlenraten, er sagte: „Unsere Kinder würden toll: So schön wie du und so witzig wie ich.“

Sie hatte das Gefühl, er habe großes Interesse daran, sie besser kennenzulernen. Das schmeichelte ihr, gleichzeitig fand sie sein Verhalten ein wenig albern. Aber sie fühlte sich ihm sehr nah, und als er sie nach zwei Stunden küssen wollte, schien ihr das eine gute Idee. Im Rückblick fällt ihr auf: Er tat alles, um so schnell wie möglich eine Bindung herzustellen.

„Du darfst mich jetzt küssen“

Als er an diesem Abend ging, verabredeten sie sich für den nächsten Tag um 22 Uhr. Erst kurz vorher teilte er ihr den Treffpunkt mit: bei ihm zu Hause. Sie weigerte sich, das ging ihr zu schnell. Doch wiedersehen wollte sie ihn trotzdem, und so ließ sie sich auf ein Treffen in ihrer WG ein. Er kam zweieinhalb Stunden zu spät und begrüßte sie mit den Worten: „Hier ist dein Hauptgewinn.“

Dann setzte er sich breitbeinig aufs Sofa und sah ihr beim Teekochen zu. Als sie damit fertig war, lag er schon auf ihrem Bett. Sie legte sich zu ihm, irgendwann rollte er sie auf sich und wartete darauf, dass sie ihn küssen würde. Als sie das nicht tat, sagte er: „Du darfst mich jetzt küssen.“ „Und wenn ich nicht will?“, fragte sie. Da küsste er sie, und als er damit aufhörte, blickte er sie an und stellte fest: „Du bist ja ein ganz kleines Mädchen. Ich muss jetzt los.“ Dann ging er.

Zu weiteren Verabredungen kam es nicht, weil er sie platzen ließ. Es gab mehrere Telefonate. In einem schrie er sie an: „Du kriegst nicht das ganze Paket, du kriegst mich nicht, du kannst mich nicht als Menschen haben!“ Über einen Bekannten fand Irina schließlich heraus, dass er ein „Pick-Up Artist“ war. Und auf einmal konnte sie sich erklären, was sie erlebt hatte.

Manipulative, frauenfeindliche Aufreißer

“Pick-Up Artists sind manipulative, frauenfeindliche Aufreißer, die einem mehrstufigen Plan vom ersten Ansprechen bis zum Sex folgen und eine große Zahl von einstudierten Verhaltensmustern und Tricks nutzen, um möglichst viele Frauen flachzulegen“, sagt die Soziologin Leonie Viola Thöne, die das Phänomen in ihrer Masterarbeit untersucht hat. Ihr Fazit: „Diese Männer wollen die Frau brechen.“

Das Urteil männlicher Wissenschaftler fällt nicht weniger vernichtend aus: „Manche würden alles tun, um eine Frau ins Bett zu bekommen. Da wird dann auch schon mal zu Hypnose oder pseudowissenschaftlichen Methoden wie neurolinguistischem Programmieren gegriffen“, sagt der Psychologe Andreas Baranowski, der eine Diplomarbeit zu dem Thema geschrieben hat und an der Uni Mainz als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Dass Pick-Up von Männern praktiziert wird, die höchst sexistische Haltungen haben, davon sind auch Jeffrey Hall und Melanie Canterberry überzeugt, zwei Lehrbeauftragte an der Universität von Kansas, die sich mit dem Phänomen befasst haben.

Dennoch erfreut sich die Pick-Up-Lehre großer Beliebtheit. Online buhlen in Deutschland mindestens fünf Seitenbetreiber mit mehr oder weniger identischen Konzepten um Kunden für Seminare. Allein das Forum der Pick-Up-Artist-Community hat 50 000 Mitglieder, so jedenfalls Maximilian Pütz, der seit 2005 geholfen hat, die deutsche Szene aufzubauen, und heute als Trainer und Buchautor (“Der perfekte Eroberer - Wie Sie garantiert jede Frau verführen“) tätig ist. Er macht das hauptberuflich und lebt nach eigenen Angaben nicht schlecht von dem, was er damit verdient. Der Bedarf an Seminaren, die um die 500 Euro kosten und zwei Tage dauern, ist offenbar groß.

Aktive Szene in deutschen Großstädten

Wenn die Männer „ausgebildet“ sind, üben sie ihre Fertigkeiten in freier Wildbahn - falls sie das tatsächlich hinkriegen. „In vielen großen deutschen Städten gibt es eine aktive Szene. In München zum Beispiel gehen jeden Samstagabend verschiedene Gruppen von Pick-Up Artists (PUAs) zusammen aus und versuchen ganz gezielt, Frauen aufzureißen“, hat Psychologe Baranowski im Zuge der Recherchen für seine Diplomarbeit herausgefunden. In Internetforen brüsten sich PUAs mit ihren Erfolgen, manche stellen heimlich aufgenommene Videoschnipsel mit angeblichen Eroberungsszenen auf Youtube.

Als Begründer der Pick-Up-Bewegung gilt der Amerikaner Ross Jeffries, der heute von sich sagt, er fühle sich wie Frankenstein und habe ein Monster erschaffen. Bekannt wurde Pick-Up aber erst durch den amerikanischen Journalisten Neil Strauss, der angeblich bei der Recherche für einen Artikel in die bereits bestehende, aber noch nicht besonders bekannte Szene eintauchte.

Über seine Erfahrungen schrieb er 2005 das Buch „The Game“, das es, begleitet von einem Aufschrei aufgebrachter Feministinnen, auf die Bestsellerliste der „New York Times“ schaffte. Kritiker sagten schon damals, das Buch sei allenfalls für Männer interessant, die die emotionale Reife von Fünfzehnjährigen besäßen. Dennoch fanden viele offenbar Geschmack an der Sache - inzwischen hat die Lehre, die auch durch eine Fernsehserie befeuert wurde, weltweit Anhänger gefunden.

Komplimente mit Beleidigungen mischen

Diese Männer lernen zum Beispiel, die verschiedenen Eroberungsstufen einer Frau als „Closes“ zu bezeichnen und sich nur um Frauen (“Hot Babes“) zu bemühen, die auf einer Attraktivitätsskala mindestens acht von zehn möglichen Punkten haben (HB 8 bis 10). Wenn ein solches Hot Babe seine Telefonnummer herausrückt, ist das ein „Number Close“, wenn es sich küssen lässt, ein „Kiss Close“, und wenn es mit dem Mann ins Bett geht - wie das heißt, lässt sich leicht erraten.

Eine unter PUAs sehr bekannte Möglichkeit, eine Frau zu erobern, ist das „Push and Pull“: eine Frau abwechselnd abzustoßen und anzuziehen. Dazu mischt der Mann Komplimente mit Beleidigungen, um die Frau herabzuwürdigen und sie dazu zu bringen, sich zu rechtfertigen. So nimmt sie eine schwächere Position ein, und er hat die Oberhand, zumindest in der PUA-Theorie.

Eine weitere der vielen Verhaltensregeln lautet: Wenn die Frau schon abgeschleppt wurde und dann doch keinen Sex will, muss sie bestraft werden. Der Mann soll dann jede sexuelle Spannung leugnen - so lange, bis die Frau sich selbst in Frage stellt und gar nicht mehr weiß, ob sie sich sein Begehren nicht bloß eingebildet hat. In dieser Phase soll der Mann dann wieder einsetzen mit dem sexuellen Werben.

Viele Frauen fallen auf so ein Gehabe herein

“Diesen Typ Mann gibt es seit eh und je, ich wusste allerdings nicht, dass die heutzutage einen eigenen Club haben und natürlich eine angloamerikanische Fachbezeichnung im Titel führen“, lautet der Tenor einiger Kommentatorinnen im Internet. Doch so einfach ist es nicht. Ein solches Verhalten wurde früher nicht in Seminaren gelehrt. Und einen pseudowissenschaftlichen Überbau hatte es auch nicht.

Hier setzt unter anderem die Kritik an. Psychologe Baranowski etwa moniert nicht nur die sexuell motivierte Anwendung von neurolinguistischer Programmierung, also den Versuch, das Gegenüber durch Sprache und Körpersprache zu manipulieren. Sondern auch, dass die PUAs ihre Lehre auf laienhafte Weise evolutionspsychologisch untermauern: „Sie verstehen größtenteils gar nichts davon. Zum Beispiel argumentieren sie, dass bei den Steinzeitmenschen derjenige Jäger die Frau erobert hat, der das größte Wild erlegt hat. Aber das ist gar nicht erwiesen. Und selbst wenn: Unsere Gesellschaft hat sich weiterentwickelt.“ Ebenso falsch sei der Gedanke, dass Frauen von dominanten Männern verführt werden wollen: „Das kann man so nicht sagen; nicht Dominanz ist ein Attraktivitätsmerkmal, sondern Prestige und sozialer Status.“

Dennoch fallen viele Frauen auf so ein Gehabe herein. Wie sie sich fühlen, nachdem sie mit einem PUA im Bett waren, kann man im Netz nachlesen. „Ich bin von einem Pick-Up Artist verführt worden und werde deshalb bald in psychologischer Behandlung sein“, schreibt etwa „lunamare“ auf brigitte.de. Auf elitepartner.de schreibt ein „Gast“: „Sicherlich war er auch narzisstisch veranlagt. Die Komplimente, die von ihm kamen, fielen mir zwar auf, und manche fand ich überzogen - und trotzdem, ich fühlte mich geschmeichelt.“ Eine andere Frau schreibt: „Wer jetzt denkt, das lässt nur eine labile oder einfache Frau mit sich machen, täuscht sich. Er hat das auch mit Akademikerinnen und rational sehr intelligenten Frauen gemacht. Die meisten von ihnen haben sich total in ihn verknallt, weil er lange genau das vorgeben konnte, was die Frauen bei einem Mann suchten.“

„Das geht tief in die Psyche“

Die salsatanzende Irina, die rechtzeitig den Absprung geschafft hat, sagt: „Der Typ ist eine arme Seele und gleichzeitig ein gefährlicher Mensch, weil er Mädchen missbraucht. Er dressiert sie wie einen Hund, und obwohl man es spürt, funktioniert es. Das geht tief in die Psyche. Er hat keine Persönlichkeit mehr, sondern befolgt nur noch Regeln. Es ist eine Eroberungssucht. Er verschenkt Träume und tut so, als sei er der Prinz. Das sind Typen, die eigentlich nicht genug Liebe bekommen haben und eine Wut auf Frauen im Bauch haben.“

Psychologe Baranowski bestätigt das: „Einige PUAs haben narzisstische Größenphantasien. Sie wurden als Kinder oder Jugendliche gedemütigt und wollen sich rächen.“ Viele hätten aber auch gar nichts Böses im Sinn, sondern suchten ganz arglos nach Hilfe, ihre Schüchternheit zu überwinden und ihre sozialen Fähigkeiten zu verbessern.

Viele Pick-Up-Trainer jedenfalls haben ähnliche Geschichten parat, wenn man sie fragt, wie sie zu ihrem Job gekommen sind. Pütz beispielsweise ist gelernter Erzieher und Schauspieler. Sein Vater ging, als er elf war; Pütz wuchs bei der Mutter auf, die er als stark und dominant empfand. In seiner Jugend sei er den Mädchen „ein guter Freund und Zuhörer gewesen, mehr nicht“. Anders sei das erst, seit er die Pick-Up-Methode anwende; seit drei Jahren lebe er jetzt in einer offenen Beziehung.

Zähmen, unterwerfen, gefügig machen

Pütz bemüht sich nach Kräften, seinem Tun einen seriösen Überbau zu geben: „Das ist ein gesellschaftliches Phänomen, weil es etwas forciert, was so ein bisschen verlorengegangen ist: die Emanzipierung des Mannes.“ Durch „den Feminismus“ hätten die kleinen Jungen gelernt, dass Männer und Frauen gleich seien und dass also „eine Frau auch auf mich zugeht, wenn sie was von mir will“.

Die Realität sehe anders aus. Wenn ein Mann Erfolg bei Frauen haben wolle, müsse er sich „genau so archaisch verhalten, wie es ihr Großvater getan hat“. Im Übrigen glaubt Pütz, dass Frauen Pick-Up „von Natur aus“ beherrschten. High Heels seien doch „viel manipulativer als Handlesen“. Soziologin Thöne sagt: „Die meisten PUAs sehen die Frau als Schlange, die manipulative Spielchen spielt und versucht, den Mann zu unterdrücken. Sie muss gezähmt und unterworfen, abhängig und gefügig gemacht werden.“

Manche Frauen wollen das aber auch. Hall und Canterberry, die beiden amerikanischen Wissenschaftler, haben herausgefunden, dass Frauen, die einem PUA erliegen, sexistischer sind als andere. Ihr Rollenbild sage ihnen: Ich gehöre an den Herd. Eine mögliche Erklärung sei, dass Frauen, die sich selbst für Mäuschen halten, ganz zufrieden seien, wenn sie von Männern auch so behandelt würden.

Freilich gibt es auch Männer, die der Pick-Up-Lehre inzwischen den Rücken gekehrt haben. In Amerika haben sie sogar schon ein eigenes Forum, es heißt „Puahate“. Dort häufen sich die Aussagen von Männern, die begriffen haben, dass Authentizität und Gelassenheit nicht die schlechtesten männlichen Eigenschaften sind, wenn es um das Finden einer Partnerin geht.

Auch in Deutschland gibt es solche Einlassungen. Auf elitepartner.de schreibt ein Gast: „Bevor ich zu so einem manipulierenden, frauenverachtenden A*******h werde, verzichte ich lieber.“ Ein anderer Beitrag im gleichen Forum lautet: „Wenn Dich ein Mann komisch anmacht oder komische Sprüche drauf hat, ist er vermutlich einer, der es ernst meint, denn die stellen sich in der Regel mangels Übung am ungeschicktesten an.“