„Dissens“ in Dortmund: Tuchel und der BVB: Diese fünf Punkte führten zum Riss

Sind die Risse zwischen Borussia Dortmund und Trainer Thomas Tuchel noch zu kitten? Seit vergangenem Samstag scheinen erhebliche Zweifel angebracht, ob der Coach seinen bis 2018 datierten Vertrag erfüllen wird – von einer ursprünglich für die Sommerpause anvisierten Verlängerung ganz zu schweigen. Es rumort beim BVB laut, kräftig, nachhaltig. Sogar erste Nachfolgekandidaten werden schon gehandelt. Die Rest-Chance für eine weitere Zusammenarbeit: Platz drei in der Bundesliga und der Gewinn des DFB-Pokals.

Oder kurz: Nur der Erfolg könnte all die aufgerissen Wunden möglicherweise doch noch heilen. Theoretisch und vielleicht. Denn: Die Gräben zwischen den BVB-Bossen und Tuchel existieren nicht erst seit dem Wochenende. SPORT BILD zeigt in chronologischer Reihenfolge, wie das Verhältnis Schritt für Schritt zerbrach.

Die Abgänge von Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan

Nach seiner Premieren-Saison beim BVB plante Tuchel den Angriff auf die Bayern. 78 Punkte hatten er und die Mannschaft in der Spielzeit geholt – Klubrekord und Tabellenplatz zwei. Dazu das Erreichen des DFB-Pokal-Endspiels und des Europa-League-Viertelfinales. Ein Dreh an einigen Stellschrauben, und das Team wäre für die Attacke bereit – dachte Tuchel. Dann brachen ihm jedoch wichtige Säulen weg. Mats Hummels ging für 35 Millionen Euro nach München, Ilkay Gündogan für 27 Millionen zu Manchester City, Henrikh Mkhitaryan für 42 Millionen zu Manchester United.

Wirtschaftlich nachvollziehbare Deals, die Verträge der Stars wären im Sommer 2017 ausgelaufen. Doch Tuchel war von anderen Voraussetzungen ausgegangen. Klub-Boss Hans-Joachim Watzke hatte nach SPORT BILD-Informationen intern angekündigt, mit einem Spieler zu verlängern, einen trotz der Vertragssituation zu halten und nur einen abzugeben. Auch öffentlich schloss er einen Verkauf des kompletten Trios aus. Es kam anders. Tuchel reagierte enttäuscht und musste die Bayern-Attacke vorerst abschreiben – auch wenn er seinen Wunschspieler André Schürrle und einige der größten Talente Europas bekam.

Der Zoff mit dem damaligen Chefscout Sven Mislintat

Mislintat genießt beim BVB hohes Ansehen, entdeckte er doch Robert Lewandowski oder Pierre-Emerick Aubameyang. Mit Tuchel wurde der Chef-Späher aber nie richtig warm. Auslöser der Probleme: Der am Ende geplatzte Transfer des Spaniers Oliver Torres im Winter 2015/2016. Der Deal schien bereits in trockenen Tüchern, doch Tuchel zögerte. Folge: Transfer gescheitert, Stimmung zwischen Trainer und Chefscout eisig. Seit dem Zoff vor über einem Jahr blieb Mislintat dem Trainingsgelände fern, weil beide Seiten wissen, dass sonst erneutes Theater drohen würde.

Eine klärende Aussprache oder Versuche einer Vermittlung zwischen den Zerstrittenen blieb bis heute aus. Aber: Die Klub-Bosse beförderten Mislintat. Der 44-Jährige ist mittlerweile Kaderplaner und Leiter der Profi-Abteilung. Eine Personalie, die für weitere Spannungen sorgt.

Der Transfer von Alexander Isak

Am 25. Januar hatte SPORT BILD enthüllt, dass Tuchel bis kurz vor Abschluss nicht in den Transfer des schwedischen Top-Talents eingeweiht war. „Ich habe erst sehr spät erfahren, dass wir ihn verpflichten“, hatte der Trainer über den von Mislintat eingefädelten Deal gesagt. Ungewöhnlich, zumal die Ablösesumme in Höhe von rund zehn Millionen Euro stattlich war. Dennoch blieb Tuchel äußerlich gelassen, erklärte: „Ich kannte Isak vorher nicht. Es gibt Transfers, in die ich als Trainer komplett involviert bin. Und es gibt Transfers wie Isak, bei dem das Scouting und Michael Zorc die große Vorarbeit leisten.“

Im Inneren des Klubs knirschte es allerdings mal wieder. Zumal der Coach gern weiter mit Adrian Ramos geplant hätte. Der Kolumbianer wurde im Winter jedoch abgegeben. Der 17-jährige Isak wartet bis heute auf seine ersten Bundesliga-Minuten.

Tuchels öffentliche Kritik an Mannschaft und Erwartungen

Zweimal platzte Tuchel in dieser Saison nach Aufwärtsauftritten seiner Mannschaft öffentlich der Kragen. Nach dem 1:2 im vergangenen November bei Eintracht Frankfurt polterte er: „Unsere Leistung war ein einziges Defizit.“ Drei Monate später hatte er die Partie in Darmstadt zum „Mentalitätsspiel“ erklärt, was folgte, war ein neuerliches 1:2. Tuchel im Anschluss: „Jetzt kann man natürlich sagen: Wir sind gnadenlos durchgefallen.“ Bei den Spielern kam diese Schelte und die Zweifel des Coaches an der Einstellung gar nicht gut an.

Auch die Bosse rümpften die Nasen. Schließlich hatte Tuchel nach der Darmstadt-Pleite auch gesagt: „Ich plädiere seit Monaten dafür, sich einzugestehen, dass wir das eben auch sind. Auch bei uns intern dachte ich, dass das schon angekommen ist." Eine Kritik an der Erwartungshaltung und der Transferpolitik?

Die Folgen des Anschlags auf den BVB-Bus

Der bisherige Tiefpunkt im Verhältnis zwischen Bossen und Trainer. Am vergangenen Samstag, dem Tag des für die Champions-League-Qualifikation so wichtigen Spiels gegen die TSG Hoffenheim, räumte Watzke in einem Interview mit der „Funke Mediengruppe“ einen „klaren Dissens“ mit Tuchel ein. Streitpunkt: Der Termin für die Neuansetzung des Viertelfinal-Hinspiels der Champions League gegen Monaco. Die Partie wurde nur einen Tag nach dem dramatischen Bombenanschlag auf den BVB-Bus neu angesetzt worden. Tuchel und einige Spieler hatten dies scharf kritisiert.

Der Verein gibt derweil an, der Trainer sei in diesen Entscheidungsprozess einbezogen gewesen. Borussen-Präsident Reinhard Rauball stellte sich folglich auf die Seite von Watzke: „Er hat jahrelang bewiesen, dass er in schwierigen Situationen nicht an sich, sondern an den BVB denkt. Dieses Vertrauen in ihn sollte man schon haben“, sagte der 70-Jährige. Am Tag nach dem Anschlag sei auch Tuchel das Recht eingeräumt worden, sich gegen die Austragung der Monaco-Partie am selben Abend auszusprechen. Dies sei aber nicht geschehen. Rauball: „Ein solcher Wunsch ist nicht an uns herangetragen worden.“

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